Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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„Guten Morgen mitsammen“, sagte er, als er hineintrat und sein Bündel dabei in der Hand, seinen Hut auf dem Kopf behielt – „könnt' ich nicht einmal mit Jack Drygarn sprechen?“

„Guten Morgen“, sagte der ältere Mann, der hier die Oberaufsicht zu führen schien, „Jack Drygarn sucht Ihr? Ja, der ist nicht mehr in Pembroke.“

„Nicht mehr in Pembroke?“ rief Bill erstaunt, „aber wo ist er denn, und wem gehört denn hier das Geschäft?“

„Das Geschäft gehört mir,“ sagte der Fremde, „und Jack Drygarn ist, so viel wir von ihm haben erfahren können, vor etwas über drei Jahren nach Amerika gegangen.“

„Nach Amerika!“ rief Bill erstaunt. – „Hm, das ist doch wunderbar! Und was ist aus Bill geworden?“

„Ja, das ist eine unglückliche Geschichte,“ meinte der Eigentümer der Werkstätte, mit den Achseln zuckend – „Bill ging hinüber nach Irland, wo Jack hatte Geld einkassieren sollen, um diesen zu suchen, und fiel nachts, als das Schiff an Waterford beilegen wollte, über Bord.“

„Über Bord?“

„Ja. Ein Passagier, der in Waterford an Land gesetzt wurde, brachte die Nachricht mit dorthin. Ihr seid wohl ein früherer Schiffskamerad von den beiden?“

„Beinah' so 'was“, sagte Bill, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, – „und Bill's Frau?“ setzte er dann hinzu, denn was nun kommen musste, wusste er, wie er fürchtete, schon mehr als zu gut.

„Nun, Bill's Frau“, sagte der Mann, indem er sich auf das Fensterbrett setzte und sein rechtes Bein über das linke schlug, „wartete ihr gehöriges Trauerjahr ab, und wie das vorbei war, heiratete sie wieder einen gewissen Henry Burton, und ihr Mann sitzt vor Euch.“

„Das ist nicht möglich“, rief Bill erschreckt, „Polly hat also wirklich –“

„Nicht möglich?“ sagte spöttisch der Mann, „aber, mit Eurer Erlaubnis, doch wahr.“

„Mit meiner Erlaubnis?“

„Ja, wenn Ihr nichts dagegen habt“, lachte der Segelmacher.

„Hm! – sonderbar“, brummte Bill vor sich hin, indem er sich hinter den Ohren kratzte.

„Heh?“ sagte da Polly's zweiter Mann, dem bei dem wunderlichen Betragen des Fremden ein eigener Gedanke aufstieg, indem er den Seemann lächelnd anschaute. „Ihr seid wohl gar ein alter Anbeter von Polly und habt gedacht, sie solle auf Euch warten, bis Ihr zurückkämet und um sie anhieltet?“

Bill sah den Mann überrascht an. Der Gedanke hatte aber doch so viel Komisches, dass er trotz seiner eben nicht heitern Stimmung darüber lachen musste.

„Beinahe könntet Ihr recht haben“, erwiderte er dann, „und doch nicht so ganz. – Lebt die Schwiegermutter noch?“

„Meine Schwiegermutter? – Ja – gewiss. Kennt Ihr die auch?“

„Ich denke – wenn's Euch recht ist, werd' ich einmal hinaufgehen und ihr einen guten Tag sagen.“

„Wird sich ungemein freuen, denk' ich“, erwiderte der Mann ganz ernsthaft. „Geht nur voran, ich komme gleich nach, habe hier unten nur noch eine Kleinigkeit zu tun.“

Bill ging, ohne weiter etwas zu erwidern, hinaus und die Treppe hinauf, und achtete nicht darauf, dass die Gesellen hinter ihm mitsammen lachten. Er ließ diesmal auch den Klopfer herzhaft auffallen, und als ihm ein Mädchen geöffnet und ihn, auf seine Frage nach der alten Dame, hinaufgewiesen hatte, stieg er langsam die Treppe hinan. Jetzt aber kam es ihm wirklich so vor, als ob er unter jedem Fuß eine zolldicke Bleisohle habe, so schwer wurden ihm die Füße, und auf der letzten Stufe musste er stehen bleiben und frisch Atem schöpfen. Endlich klopfte er an.

Die alte Dame, die schon auf der Treppe jemand Fremdes gehört, öffnete die Stubentür, sah ihn an, stieß einen Schrei aus – und schlug sie ihm wieder vor der Nase zu. Dass sie ihn erkannt hatte, war außer allem Zweifel. Bill wusste jetzt auch wirklich nicht, ob er da stehen bleiben und warten solle, bis sie wiederkäme, oder ruhig und unbekümmert eintreten. Darüber wurde er aber nicht lange in Zweifel gelassen, denn kaum zwei Minuten später ging die Tür wieder auf und Polly, seine eigene, allerdings höchst ungerecht verlassene Frau, stand auf der Schwelle und winkte ihm, einzutreten. Sie sah totenbleich aus – jedenfalls vor Schreck – und streckte ihm zitternd die Hand entgegen. Hinter ihr stand die doppelte Schwiegermutter und schaute ihn durch die Brille an.

„Aber, Jack“, sagte sie, „wo habt Ihr die Zeit über gesteckt, seit das Unglück passiert?“

„Das Unglück?“ sagte Bill ganz verstört und achtete gar nicht auf den Namen Jack. Er hielt seine Frau wieder an der Hand, und wagte nicht einmal, ihr um den Hals zu fallen.

„Ach, Jack! ach, Jack!“ jammerte die alte Dame, „was habt Ihr damals durch Euer Fortgehen für Jammer und Elend angerichtet – und der arme, arme Bill – das gute, ehrliche Herz –“

„Bill?“ rief dieser aber erstaunt, ja erschreckt aus, – „nun bei Gott, ich bin doch nicht Jack, und wenn Jack wirklich nach Amerika –“

„Ihr seid nicht Jack?“ rief Mrs. Bellhope, „und wer denn sonst?“

„Kennt denn Polly nicht einmal ihren eigenen Mann mehr?“ sagte der arme Teufel traurig, – „und sind doch erst kaum drei Jahre darüber hingegangen.“

„Bill?“ rief Polly erschreckt und riss ihre Hand aus der des Gatten, – „Ihr seid doch nicht Bill – der ist ja über Bord gestürzt und ertrunken.“

„Ist ihm nicht eingefallen“, sagte Bill kopfschüttelnd, – „in die Luke ist er gestolpert und hat sich den Schädel geborsten, das war alles, und jetzt – wie er zurückkommt –“

„Na, nun wird's aber Tag!“ schrie da plötzlich Mrs. Bellhope und stemmte die Arme in die Seite. „Erst geht der liederliche Strick mit dem Gelde durch und nach Amerika, und nun, da er das vertan und verjubelt hat und sein armer Bruder darüber verunglückt ist, kommt er mit einem Schnupftuch voll alten Gelumpes wieder an und will sich für den andern ausgeben.“

„Aber, Schwiegermutter –“

„Der Teufel ist seine Schwiegermutter!“ rief die alte Dame in vollem Zorn aus, und Polly rang indes die Hände, setzte sich auf einen Stuhl und barg das Gesicht in die Schürze.

„Hallo, was ist nun los?“ sagte da plötzlich die tiefe, aber vollkommen ruhige Stimme des neuen Segelmachers, der in diesem Augenblick in der Tür erschien und die drei verwundert ansah.

„Was los ist?“ rief Mrs. Bellhope in, wie sie glaubte, sehr gerechter Entrüstung, „da kommt Jack Drygarn zurück von seiner Vagabundenfahrt, und will sich für Polly's Mann, für seinen Bruder ausgeben – weiter nichts.“

„S — o?“ – sagte der Segelmacher, indem er die Hände in die Taschen schob und den angeblichen Delinquenten neugierig betrachtete. „Das ist also Jack Drygarn, der –“

„Jack und immer nur Jack – zum Teufel noch einmal mit dem Namen!“ rief aber jetzt auch Bill ärgerlich, „ihr werdet mich noch zuletzt so verrückt machen, dass ich am Ende selber nicht mehr weiß, wer ich bin.“

„Der Fall scheint mir schon jetzt eingetreten, mein Junge“, sagte Polly's neuer Mann gutmütig.

„Aber Polly wird doch wenigstens wissen, wer ich bin?“ rief der arme Teufel, zur Verzweiflung getrieben. „Polly, mein Schatz – kennst du denn deinen Bill nicht mehr?“

„Ach, Jack“, sagte aber schluchzend die junge Frau – „wie dürft Ihr nur Eures armen seligen Bruders Namen so missbrauchen und Jammer und Elend hier in seine Familie bringen wollen. – Ja, wenn es Bill wäre, das arme Herz, aber das schläft schon lange in seinem nassen kalten Grabe.“

„Ich werde wahrhaftig verrückt!“ sagte Bill, sich mit beiden Händen den Kopf haltend.

„Nun“, meinte der Segelmacher, „so lange Ihr noch immer nur erst die Aussicht habt es zu werden, mag es angehen. Jetzt aber, so lang' es noch Zeit ist, seid so gut und kommt erst einmal mit in meine Stube, dass wir über die ganze Sache ein vernünftiges Wort sprechen. Auch selbst, wenn Ihr nur Jack Drygarn seid, wie es doch scheinen will, haben wir eine Abrechnung mit einander, und wenn die in Frieden und Freundschaft abgemacht werden kann, ist es immer besser, als den Nachbarn nachher Futter für Skandal zu geben.“

Bill warf noch einen zögernden Blick auf Polly, als er aber in deren bleiches, verweintes und halb von ihm abgewandtes Gesicht schaute, drehte er sich langsam ab und folgte, ohne ein Wort weiter zu sagen, dem ihm vorangehenden Stellvertreter.

Auf der Stube angekommen, schloss Burton ohne Weiteres die Tür hinter ihm ab, rückte zwei Stühle zum Tisch, holte eine Flasche mit Brandy und Wasser aus dem Schrank, aus der er sich selber vor allen Dingen ein tüchtiges Glas einschenkte, und begann dann mit seinem wunderlichen Gast eine lange und, wie es schien, sehr ausführliche Besprechung, die aber so leise geführt wurde, dass selbst Madame Bellhope's dicht an die Tür gelegtes Ohr nur einzelne, unzusammenhängende Sätze, und nicht den geringsten Sinn daraus entnehmen konnte. Zwei volle Stunden dauerte die Unterredung, dann wurden drinnen die Stühle gerückt. Mrs. Bellhope glitt in ihre Stube, und aus der geöffneten Tür schritten Burton und Bill Drygarn, anscheinend als die besten Freunde. Burton's Gesicht drückte dabei volle Zufriedenheit aus, während Bill mehr ernst und sogar niedergeschlagen schien.

Unten an der Tür von Polly's Stube blieb er stehen und sah sich nach seinem ihm folgenden Gefährten um.

„Geht nur hinein, Jack“, sagte dieser, „ich will so lange hier draußen auf Euch warten.“

Bill drückte die Klinke auf und trat hinein. Polly saß in der Sofaecke und sprang erschreckt auf, als sie ihn allein auf sich zukommen sah. Ohne indessen eine Miene zu verziehen, trat er zu ihr, reichte ihr die Hand und sagte:

„Es hat mich gefreut, Polly, euch alle so wohl und munter hier zu sehen – die Mutter sieht noch recht gut aus, und – ich will wünschen, dass es euch immer unter der alten Firma wohl gehen mag.“

 

„Ihr wollt fort?“ stammelte Polly, und wagte nicht zu ihm aufzusehen.

„Ja – ich gehe wieder an Bord – wird wohl lange dauern, ehe ich einmal wieder nach Pembroke komme; Gott behüte euch, Polly!“

Er drückte ihr die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, und wollte sie loslassen, aber sie hielt ihn fest.

„Polly!“ sagte er mit weicher, fast herzlicher Stimme. Die Frau ließ seine Hand los, sah ihm ein paar Momente starr in die Augen, warf plötzlich ihre Arme um seinen Nacken und drückte ihm einen heißen Kuss auf die Lippen. Dann, als ob sie ein Unrecht getan, schrak sie zurück und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie hörte Schritte – die Tür wurde auf- und wieder zugemacht, und als sie emporblickte, war das Zimmer leer.

„Nun, Jack, das war rasch abgemacht“, sagte Burton, als Bill wieder aus dem Zimmer trat.

„Ja“, sagte dieser, sein Bündel mit der Linken aufnehmend und sich mit der Rechten den Hut in die Stirn drückend – „es war weiter nichts zu bestellen.“

„Und wo schick' ich Euch die Sachen heut Abend hin?“

„In den Anker – wann geht der Zug nach Liverpool zurück?“

„Um Neun. Wollt Ihr fort mit dem?“

„Wird wohl das Beste sein; good bye, Burton.“

„Adieu, alter Junge; hat mich herzlich gefreut, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Wollt ihr nicht Abschied von der Schwiegermutter nehmen?“

„Danke“, sagte Bill, „grüßt sie recht schön von mir.“

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände; Bill schob die seinige dann in die Tasche, verließ das Haus und schlenderte langsam die Straße hinunter, dem Anker zu. Eine Stunde später etwa wurde eine Seekiste, wie sie die Matrosen gewöhnlich mit sich führen, im Anker für „Jack Drygarn“ abgegeben, um gleich darauf von Bill geschultert und nach dem Liverpool-Bahnhof getragen zu werden.

Um neun Uhr ging der Zug – und Bill mit ihm, auch erfuhr Burton, der sich sehr angelegentlich darnach erkundigte, später, dass er sich in Liverpool auf einem schon in den nächsten Tagen in See gehenden Ostindienfahrer eingeschifft habe. Weiter hörte man nichts mehr von ihm, und als die Tatsache in Pembroke bekannt geworden, dass Jack Drygarn, der Verschollene, plötzlich wieder aufgetaucht sei, schwamm Jack Brown schon lange wieder draußen auf seinem alten Element.

* * *

An Cap Horn

An Cap Horn

Über die See brauste und schäumte es in wilder, zorniger Wut, häufte die Wogen zu Bergen auf und jagte die bäumenden im tollen Spiel und Sturz hintereinander drein. Hoch auf stieg dann hier und da ein Wut kristallener Fels, einem spielenden Walfisch nicht unähnlich, der mit halbem Leibe der Flut entsteigt, um im nächsten Augenblick schwerfällig wieder darin zu verschwinden; riesig in sich selbst und doch so winzig klein in dem gewaltigen massenhaften Heer solcher Wogen, das ihn umgibt.

Hoch auf reckt er die Krone und streckt und dehnt sich, aber der Sturm leidet das nicht. Hui! hat er ihm den blitzenden Perlenschmuck vom Haupte gestrichen und streut ihn weit aus mit rüstiger Hand, wie der Sämann die Saat. In sich zusammenschmelzend, stürzt und zerfließt der Berg; ein milchweißer Teich kündet auf dem tintenfarbenen, von silbernen Schaumadern marmorartig durchzogenen Untergrund die in sich zusammengestürzte Woge, die jetzt wenige Sekunden lang ein Tal zwischen zwei anderen Bergen bildet und noch zischend in Schaum und Gischt schon wieder emporgeworfen wird von neuen, ungestümen Massen.

Wie das kocht und gährt und wühlt und in einander fließt und über die dunkeln Wasser heult in furchtbarer Majestät! – Die fliegende Windsbraut hält ihren Tanz dort unten und stimmt ihre Instrumente zum wilden, entsetzlichen Reigen – wehe dem, der sich ihr entgegenstellt in ihrem Grimm!

„Ein Segel, hoh!“ Durch Sturm und Graus und einen Wald von Wogen, von denen jede einzelne hinreichend wäre, mit einem Schlage eine Flotte zu vernichten, wenn sie nur den Halt bekäme, sie einen Augenblick zu fassen, wagt sich der kecke Mensch in schwankendem Kahn. Dem Kompass folgend, der ihm die Bahn zeigt durch die Wasserwüste, und unbekümmert um Gefahr und Tod, die ihm aus jedem schäumenden Wogenkamm entgegenblitzen und mit gewaltiger Faust an die dünnen Planken donnern, lenkt er sein Fahrzeug sicher durch den Sturm und trotzt den beiden empörten Elementen: Windsbraut und Wellen.

Alles an Bord ist fest und wohl verwahrt, die Segel liegen an die Masten geschnürt, der heulenden Windsbraut keine Fläche zu geben, an der sie reißen und zerren könne, und nur das dichtgereefte Vormarssegel, hart an den Wind gebrasst mit dem Vorstengenstag oder Sturmsegel – um das Schiff zum Steuern in der Gewalt zu halten, dass die Wogen sich nicht seitwärts dagegen werfen und ihm verderblich werden könnten –, zeigt, dass noch Leben an Bord und die Mannschaft trotzig dem Wind gerade in den Zähnen liege, sein Austoben ruhig unerschrocken abzuwarten.

Und über die empörten Wogen, von dem Sturm in rasender Schnelle geführt, mit langsamem gewaltigen Flügelschlag strich der riesige Albatros, umzog neugierig das Schiff in weiten Kreisen und kreuzte herüber und hinüber im glatten, einer Straße ähnlichen Fahrwasser, das sich der tiefe Kiel gezogen, aufmerksam den mit furchtbarem Schnabel bewehrten Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite drehend, ob nicht irgend ein von Bord des Schiffes geworfener Leckerbissen, wozu besonders Speck und Fleisch gehört, die Monotonie seiner gewöhnlichen Fischkost unterbrechen könne.

Ein ganzes Volk blau und weißer Cap-Tauben (Eine in Größe und Gestalt der Taube ähnliche Möwe) trieb sich schon lange hinter dem Heck des Fahrzeuges her, mit raschem Flügelschlag nach jedem übergeworfenen Stück Garn oder Werg niederfahrend, und gegen einander zankend und kreischend, wenn der Koch ihren Heißhunger durch ausgeworfene Leckerbissen rege machte oder einer oder der andere der Seeleute die kleine, mit Speck besteckte und an langer Leine befestigte Angel auswarf, um einen der Vögel heranzulocken. Die Matrosen fangen auf diese Art gern Cap-Tauben und Albatrosse, essen die ersteren und brauchen von beiden die Federn, oder nehmen auch den letzteren die mit großen Schwimmhäuten versehenen Füße, um sich wunderliche Tabaksbeutel daraus zu fertigen.

Auch andere Mögen kreuzten herüber und hinüber, braun und schwarz mit langen scharfgespitzten Schwingen, vom Sturm getragen und geschickt mit dem Schiff gegen ihn lavierend oder langsam über die aufgeregten Wogen streichend, auf deren nach ihnen aufleckende Wellen sie die elastischen Flügelspitzen legten und sich scheinbar mit ihnen hoben, immer aber mit rascher Wendung die Gefahr vermeidend, erreicht zu werden.

Tagelang begleiten sie so das Schiff, schlafen auch wohl hier und da nachts auf seinen Rahen, und folgen ihm am nächsten Tage wieder unermüdet auf seiner Bahn. Dem Seemann aber sind sie willkommene Begleitung auf einsamer Reise; gern sieht er ihren leichten Flug und folgt ihren kreisenden Bahnen mit dem Blicke, und wenn sie in Lee (Die Leeseite ist immer die Seite des Schiffes, auf der es liegt, also die dem Wind entgegengesetzte; „in Lee“ ist daher unter dem Wind.) vom Schiffe, was sie bei schwerem Wetter am liebsten tun, herüber und hinüber streichen, sagt er, dass sie nachschauen, ob die Schoten und Brassen auch fest sind, um Taue und Rahen zu wahren. Im Lee vom großen Boot sitzt er denn auch wohl, sein Priemchen geschäftig im Munde, schaut ihrem Fluge zu und plaudert und erzählt von der und jener Zeit, wo die Mögen gerade so kreisten und suchten und er an der oder jener Küste auf leckem Schiff vielleicht oder mit schwerer Havarie gegen das zornige Element ankämpfte, um sein Leben auf festes Land zu retten – und festes Land doch eben kaum nur betreten hatte, als er sich wieder hinaussehnte auf die weite, wogende, treulose und doch so lieb gewonnene See.

Die Leute am Land haben überhaupt gewöhnlich einen ganz falschen Begriff von dem Leben an Bord eines Schiffes in offener See und bei schwerem Wetter. Nicht selten hört man da sagen, wenn es weht und stürmt: „Oh die armen Menschen auf der See – wie weh und ängstlich ihnen jetzt zu Mute sein muss – wie sie jetzt in ihrer Angst zu Gott beten und den Mast mit ihren Armen umfassen – krampfhaft, um nicht fortgeweht zu werden!“ Weit gefehlt! Auf offener See und mit keiner Küste in Lee, von der sie abarbeiten müssen, um nicht auf den Strand gesetzt zu werden, nur mit dem regelmäßigen Seegang gegen sich und mit dem Winde, wenn der auch beide Backen voll genommen, gibt es kaum eine bessere und gemütlichere Zeit an Bord eines Schiffes für den Matrosen, als gerade bei solchem Wetter. Sobald die leichten Segel nur erst einmal festgemacht, die anderen nötigen dicht gereeft, ebenso alle Luken ordentlich dicht sind, und alles an Bord, was von überkommenden Seen fortgewaschen werden könnte, wohl und sicher befestigt ist, beginnt für den Matrosen, der sonst über Tag keinen Augenblick unbeschäftigt bleibt, die freie Zeit.

Mit dem breiten „Süd-Wester“ auf dem Kopf, in wasserdichten, geölten Jacken und Hosen, sitzen die Leute dann, wer nicht gerade seine Zeit am Steuerruder abzustehen hat, unbelästigt von einem Ruf der Offiziere, in Lee vom großen Boot, das ihnen Schutz gegen den Wind gibt, dicht geschaart beisammen, und haben sie nur Tabak zum Kauen, dessen Mangel ihnen allein vielleicht die Laune verderben könnte, so wird erzählt und gelacht, und der Sturm mag indessen wehen nach Herzenslust. Sie können auch nichts dagegen tun, als die Zeit abwarten, in der es einmal zu wehen aufhört; das Schiff liegt indessen dicht am Winde und reitet, wenn nur richtig von dem Steuerruder geführt, schon selber die Wogen.

So hier an Bord der tüchtigen kleinen amerikanischen Brig „SUANNAH“, die mit dem scharfen Bug keck gegen die drohenden, bäumenden Wogen anschnitt. So tief sie auch oft in die kristallenen Massen einschlug – wenn sich ein weiter Abgrund vor ihr öffnete, dass es aussah, als ob der nächste anstürmende Berg sie unter seiner Wucht begraben müsse – hob sie sich doch immer wieder kampfgerüstet zur rechten Zeit und schlug mit dem kecken Frauenbild, dessen Namen sie trug und das ihre Gallion zierte, rasch an gegen den auf sie geführten Wurf.


Wenn ihr die klare Flut dann in Strömen von der Stirn troff und die Woge, die ihren Untergang gesucht, sie selber auf den Nacken heben musste, schaute sie keck und zuversichtlich hinaus über das rollende Heer um sich her, und fuhr dann wieder nieder, wie zum Sprung, der nächsten zu begegnen.

„'s ist doch ein wackeres Seeboot,“ sagte der eine der Wache, die sich in Lee vom großen Boot zusammengefunden hatte und zwischen ein paar dort wohlbefestigten und Schutz nach vor und aft gewährenden Wasserfässern den Sturm eben austoben ließ, „und dicht und drall wie keins. Verdammt will ich sein, wenn noch ein anderes Schiff mit uns hier herumreitet, das bei so schwerem Wetter so wenig Wasser macht. – In zehn Minuten abends pumpen wir sie frei!“


Es war ein junger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren mit vollem lockigen Haar, das der Süd-Wester kaum decken konnte, und freien offenen Zügen; ein Rhode Island-Mann, wie er denn auch von seinen Kameraden nach dem Staate, dem er angehörte, statt seines eigentlichen Namens James, Rhode Island gerufen wurde.

„Gott sei Dank!“ sagte einer seiner Kameraden, ein alter wetter- und sonnverbrannter „Teer“ mit schneeweißem Haar, eben solchen Augenbrauen und knochigen zähen Gliedern – „Gott sei Dank, mein Junge, und nicht ‚verdammt‘, denn nur wer erst einmal Tage und Nächte lang in solcher See an den Pumpstöcken gelegen und für sein Leben gearbeitet hat, während sich der Tod da drunten heimlich durch alle Poren des Schiffs sog, der weiß, was es für ein Segen ist, ein dichtes, gutes Schiff unter sich und keine Küste in Lee zu haben. Ich werde an die See hier denken und würde ich tausend Jahre alt; denn hier ist mir das Haar in einer Woche so weiß geworden, wie ich's jetzt noch trage. Ja in einer Wache könnt' ich sagen, und gebe Gott, dass ich ihm nicht wieder begegne die paar Jahre, die ich überhaupt noch zu fahren habe.“

„Wurdet Ihr leck hier am Cap, Mate?“ fragte ein Dritter, der bis jetzt auf einer Notspiere zusammengekauert gesessen und dem Gespräch der übrigen zugehört hatte, ohne viel dreinzureden. „Segne meine Seele, Kamerad, ich wollte auch lieber die ganze Nacht Segel reefen und über Stag gehen, ehe ich nur die Hälfte der Zeit an dem verwünschten Pumpgeschirr hinge; Gott bewahre einen ehrlichen Matrosen vor der Arbeit!“

 

„Auf welchem Schiff war's, Tommy?“ fragte Rhode Island.

„Auf der ‚BUCKEYE BELLE‘, Jungens“, sagte der Alte, sein Priemchen im Munde drehend, „und ein so wackeres Schiff war's euch, wie nur je eins Furchen durch Salzwasser gezogen. Vor dem Wind oder bei dem Wind, es blieb sich gleich, sie lief ihre zehn und elf Knoten mit nur halbwegs Brise, und lag euch mit fünf Strichen im Wind, dass es eine Lust und Freude war. Was uns auch zu windwärts aufkam, musste nach Lee zu; wir segelten alles tot und hatten eine Prachtreise schon von Boston nach Rio gemacht, in dreißig Tagen, glaube ich, oder einunddreißig. Von Rio aus wollten wir nachher das Cap doublieren. Bei den Falklands-Inseln aber erwischte uns ein Pampero, der uns vor Top und Takel an den verwünschten Inseln vorbei, über irgend ein verborgenes Riff oder eine heimliche Klippe fortjagte, und wenn wir auch nicht gerade hängen blieben, bekam das Schiff doch einen Knacks und machte Wasser.

„Der Steuermann, ein alter tüchtiger Seemann, wollte nun zwar wieder umkehren und nach Rio einlaufen, um dort zu reparieren, denn es war Winterszeit wie jetzt, und mit dem Cap ist manchmal nicht viel zu spaßen. Der Kapitän aber hatte seinen Sinn dick- und starrköpfig darauf gesetzt, die schnellste Reise nach Kalifornien zu machen, und wenn das Leck nicht ärger wurde, konnten wir's auch recht gut, mit ein paar Mal Pumpen den Tag über in den einzelnen Wachen, zwingen. Nicht weit von Staten Island kamen wir in ein schweres Wetter; eine See stand da, wie wir sie hier noch nicht einmal gehabt haben; von Segeleinnehmen war der Alte auch gerade kein Freund, und so jagte uns der Sturm denn auch richtig einmal in einer Nacht bei einem eisigen Schneegestöber, das uns die scharfen Flocken wie Nadeln ins Gesicht trieb, beide Masten über Bord. Durch die Erschütterung natürlich verschlimmerte sich das Leck, und bis wir das Wrack nur frei von Holz und Tauwerk hatten, das drum herumhing, fasste uns die See gerade in der Flanke, wusch die ganze eine Wache über Bord und Kombüse und Reling so rein vom Deck herunter, als ob im Leben nichts darauf gewesen wäre. Wie wir damals dem Tod entgangen sind, ist mir noch jetzt ein Rätsel; aber auf die eine oder die andere Art hielt Gott seine Hand über uns.

„An dem Stumpf des Vormastes, der vielleicht zehn Fuß über Deck abgebrochen war, richteten wir einen Notmast auf und brachten an Leinwand hinauf, was wir eben wagen durften zu führen, bis sich der Sturm gegen Morgen legte. Indessen war uns aber das Schiff halb voll Wasser gelaufen, und nun hieß es an die Pumpen, wenn uns nicht das Deck unter den Füßen weg sinken sollte. Jungens, Jungens, das war eine schwere Zeit, und die See schien zuletzt ordentlich müde zu werden, mit uns zu spielen, während wir selber Tag und Nacht an den Pumpen unsere Glieder kaum mehr regen konnten. Einmal wär's auch beinahe alle gewesen, denn ein paar von den jungen Burschen, die von den Pumpen herauf einen Branntweingeruch in die Nase kriegten, weigerten sich plötzlich, weiter zu arbeiten, und sprangen in den Raum hinunter, um die Rumfässer anzuzapfen, von denen wir, wie sie recht gut wussten, ein paar an Bord hatten; aber der Kapitän hatte glücklicherweise das vorhergesehen und ihnen den Boden eingeschlagen. Als wir's nachher mit dem Salzwasser herauspumpten, hatten sie's gerochen, aber zu trinken war nichts mehr, und die Leute kehrten zu ihrer Arbeit zurück.“

„Und bekamt ihr das Schiff in einen Hafen?“ fragte ein anderer.

„Ich glaube nicht, dass wir's so lange ausgehalten hätten“, sagte der Alte leise. „Zwei wurden uns noch während der Arbeit über Bord gewaschen, denn da uns die Schanzkleidung vorn von Bord geschlagen war, kamen die Wellen herüber, wie's ihnen gerade gefiel, und zwei andere wurden krank, fingen an zu phantasieren und mussten ins Logis gebracht werden. Einer kam wieder herauf und sprang über Bord, der andere lag ohne Besinnung, bis uns am neunten Tage ein Schiff, eine englische Barke, traf und anlief. Wir hatten auch nichts mehr zu versäumen, denn kaum an Bord des Engländers und noch selbst in Sicht vom Wrack, das jetzt langsam füllte, sank es weg.“

„Ach was! Lasst den traurigen Salm, wenn draußen der Sturm ebenfalls an die Planken pocht!“ rief der Rhode Isländer da ärgerlich. „Das ist eine Geschichte, die uns alle Tage selber passieren kann, weshalb sich die Wache damit verderben. – Wenn euch das Schiff gesunken wäre, hättet ihr euch immer noch mit Schwimmen Tage lang oben halten können, und der Engländer hätte euch doch gefunden.“

„Schwimmen, hier in See?“ sagte der Alte kopfschüttelnd; „ja, wenn Fische und Vögel nicht wären! Wer hier über Bord geht, dem wäre besser, dass er gar nicht schwimmen könnte; er sparte lange Qual und Todesangst.“

„Und das sagt Ihr mir?“ lachte Rhode Island, „mir, der sich erst auf der vorigen Reise mit Schwimmen gerade am Leben erhalten hat? Bah, Kamerad, das ist der Alteweiberspruch an Bord vieler Schiffe, dass ein Matrose eigentlich nie sollte schwimmen können, um nicht so schwer zu sterben. Ich habe mich aber schon volle vierundzwanzig Stunden über Wasser gehalten, als wir vor New-York mit dem Schiff nachts zusammenstießen, und bin dann doch noch von einem französischen Schiff aufgelesen worden. – Wo wär' ich jetzt, wenn ich nicht schwimmen könnte, heh?“

„Vielleicht besser aufgehoben“, sagte der Alte trocken; „wir sind alle noch nicht im Hafen!“

„Haha haha“, lachte Rhode Island, „die alte Krähe will weissagen. Aber ich erzähle euch einen Spaß, Kameraden, den ich an Bord des Franzosen hatte, kaum vier Wochen später, nachdem sie mich aufgefischt, und wenn ich nicht schwimmen könnte und es ihnen vorher bewiesen hätte, wäre es mir damals schlecht gegangen, obgleich ich mit keinem Fuß ins Wasser kam.“

„Unsinn, Rhode Island!“ riefen ein paar der Kameraden, „du willst uns wieder eine von deinen Rhode Island-Geschichten erzählen; aber nur zu; veer away und lass es uns haben, mein Junge, verlange nur nicht, dass wir's glauben.“

„Glauben? Der Teufel dank's euch!“ rief der junge Bursche; „was für andere Beweise wollt ihr, als eines Mannes Wort? Ich könnte euch übrigens die ganze Mannschaft zu Zeugen bringen, wenn ich sie eben hier hätte.“

„So komm einmal flott, zum Henker!“ rief ein anderer; „unsere Wache ist bald aus, und wir wollen die Geschichte hören.“

„Nun, sie ist einfach genug“, sagte Rhode Island. „Natürlich wurde ich an Bord von den Franzosen gleich einer Wache zugeteilt, zu der ich von da an, so lange ich an Bord war, gehörte, und wir liefen damals nach Rio hinunter. Unter der Linie nun, bei Windstille und blauem Himmel, ließ unser Alter das Schiff auswendig malen, und ich saß hinten allein auf dem Gerüst am Heck, gerade unter einer offenen Luke, die in die Vorratskammer führte. Nebenbei muss ich euch sagen, dass wir nicht einen Tropfen Spirituosen an Bord bekamen, weder Brandy noch Whisky, nicht für Liebe noch für Geld, nur solch verdammt saures Zeug, Claret glaube ich nannten sie's, das sie aus Blechbechern soffen und das mir jedes Mal Leibschneiden machte. Aus dem Vorrats-Spintge heraus roch es aber unmenschlich gut nach echtem Cognac, von dem der Alte wohl genug an Bord haben mochte, und mich plagt der Henker, dass ich, wie ich an Deck oben gerade niemand gehen höre, von der Stelling ab und in die Luke hinein krieche. In dem großen schwarzen Farbeneimer, den ich draußen bei mir hatte, konnte ich recht gut ein paar Flaschen unterbringen, die nachher schon aus dem Weg zu schaffen waren.

„Die Sache ging auch ganz vortrefflich; gleich in der nächsten Ecke stand eine offene Kiste mit der deutlichen Aufschrift Cognac. Ich hatte aus dieser schon zwei Flaschen in mein Hemd vorn geschoben und noch eine andere Flasche mit Pikles aufgepackt, und war eben wieder im Begriff, auf die Stelling draußen zurückzukehren, als ich den Ruf ‚Mann über Bord‘ oben an Deck und Stimmen höre, die gerade da, wo ich wieder zu Tage musste, laut über Bord sprachen. Einen ordentlichen Schlag gab's mir in die Kniekehlen, und ich wusste im ersten Augenblick wahrhaftig nicht, was ich tun, ob ich mich verstecken oder auf Gnade und Ungnade ergeben solle. Vielleicht zog aber gerade der über Bord Gefallene die Aufmerksamkeit der Mannschaft von mir ab, und ich konnte noch unbemerkt, unvermisst meinen Platz wieder einnehmen.