Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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Glücklicherweise dauerte dieser Zustand nicht so lange. Der Kapitän, der sich wohl denken konnte, wie den unglücklichen Passagieren drunten zu Mute sein musste, ließ, als der Regen aufgehört hatte niederzuströmen, die Luken öffnen, um wenigstens frische Lust einzulassen, und die Zwischendecks-Laternen hinunterschaffen, damit die Passagiere bei dem matten Schein derselben den engen Raum wieder ein wenig in Ordnung bringen und sich dann zu Bett legen konnten. An Deck wurden jedoch nur Einzelne nacheinander hinaufgelassen, um die Arbeiten der dort noch immer beschäftigten Matrosen nicht zu hindern – unter Deck konnten sie machen was sie wollten – wenigstens was ihnen die Schiffsgesetze erlaubten oder nicht verboten.

Wie sich die Leute aber nur einmal von dem ersten Schreck erholt und sich vergewissert hatten, dass ihnen weiter keine unmittelbare Gefahr drohe, kehrte auch bei den meisten der frische, fröhliche Lebensmut zurück, und nachdem sie sich, soweit das die Umstände erlaubten, getrocknet, oder ihre Kleider gewechselt und das Zwischendeck selber von den umherliegenden Scherben und Sachen gesäubert hatten, sammelten sie sich unter den beiden Laternen, die neben der vorderen und hinteren Luke hingen, um die Erlebnisse des Abends zu besprechen, wie ihre verschiedenen Meinungen über die erlittene Havarie auszutauschen.

„Schöne Geschichte das“, sagte ein breitschultriger Schneider, der wegen revolutionärer Umtriebe in Deutschland hatte landesflüchtig werden müssen und auch schon steckbrieflich verfolgt, aber noch glücklich an Bord der „CAPTAUBE“ entkommen war – „vortreffliche Geschichte das – aber das kommt nur von der Überklugheit der Herren Matrosen, die alles besser wissen wollen als andere vernünftige Leute. Ich hab' es dem Holzkopf von Steuermann schon heute Morgen gesagt, dass die Segel zu hoch wären und das Schiff nächstens einmal umkippen müsste – ob er mir nur darauf geantwortet hätte, und jetzt haben wir die Bescherung. – Mir ist eine Flasche Sirup ausgelaufen, und gerade über mein Kopfkissen weg und in meinen einen Stiefel hinein, und dem Bäcker da drüben haben sie eine Flasche Tinte in die Wäsche gegossen.“

„Es ist wirklich schade, dass du nicht Kapitän geworden bist,“ sagte ein Lohgerber, der mit dem Schneider in einer Koje schlief, „und hier könntest du's gleich großartig betreiben, denn heut Abend sind uns in der einen Viertelstunde mehr Lappen über Bord gegangen, als du in deiner ganzen Lebenszeit wahrscheinlich unter den Tisch gesteckt hast.“

„Ja, ihr braucht auch noch darüber zu spotten,“ sagte aber ein Instrumentenmacher, der seine kleine Familie und eine Anzahl fertiger Fortepianos an Bord hatte, um sie nach Amerika überzuführen; „oben sieht's schön aus, und dass wir diesmal so mit dem Leben davongekommen sind, können wir eben nur dem Kapitän Dank wissen. Wie wir aber mit den Maststumpfen nach Amerika hinüber kommen wollen, weiß ich nicht.“

„Wir sind auch noch nicht davon,“ sagte da die tiefe, dumpfe Stimme eines alten, wetterharten Burschen, der jedenfalls schon mehr von der See gesehen, als einer der Übrigen, und in seinem ganzen Wesen, obgleich er nicht so gekleidet ging, kaum den Matrosen verleugnen konnte, an Bord der „CAPTAUBE“ aber als Passagier eingeschrieben war – „dahinten im Westen steht noch faules Wetter genug, und ich will keinen Zwieback mehr kauen, wenn ich nicht glaube, dass wir die Nacht noch 'was Tüchtiges auf die Mütze kriegen.“

„Ach, Dummheiten“, sagte der Schneider, „jagen Sie einem keinen Schreck ein; das Wetter ist ja wieder recht still und freundlich geworden –“

„Na, mir soll's recht sein“, meinte der Alte, „denn wenn's von da drüben herüberkäme, wo die Wolken jetzt so dicht und dunkel heraufziehen, und wo das erste auch schon hergekommen ist, dann könnten wir uns gratulieren. Mit den paar Lappen da oben wären wir nicht imstande, uns gegen den Wind noch einmal zu halten, und in Lee haben wir die fatalste Sandküste, die sich ein Mensch eben zu wünschen braucht. – Wer weiß, ob uns nicht schon vor Tag der Hals voll Wasser gelaufen ist!“

„Das ist ja eine schreckliche Unke“, brummte der Lohgerber. „Hals voll Wasser laufen – ja wohl, wer das Maul aufmacht, hätte das Vergnügen schon vor einer Stunde haben können.“

„Glauben Sie wirklich, dass es noch einmal anfängt?“ rief eine der Frauen, die dem Gespräch zugehört hatte und sich jetzt, mit einem kleinen Kind auf dem Arm, ängstlich zwischen die Männer hineindrängte, dem Alten zu.

„Ach papperlapapp!“ rief aber der Schneider ärgerlich. „Herr Meier weiß eben auch nicht mehr davon wie wir anderen, und da uns noch nichts gemeldet worden, brauchen wir uns auch an nichts zu kehren. Die Matrosen werden die Geschichte schon wieder in Stand setzen; sie haben ja eine ganze Portion Notmasten und andere Stücke Holz, die sie zu Querbalken und Latten gebrauchen können, an Bord, und die Segel sind auch wieder zu flicken; das ist keine Kunst.“

„Ehe der Morgen dämmert, sind vielleicht so viele Nähte (Die Stellen, wo die Planken zusammengefügt sind, heißen in der Schiffssprache Nähte) an dem alten Kasten auszubessern, dass alle Schneider der Welt eine Lebenszeit daran zu tun hätten,“ brummte der Alte wieder – „'s wäre mir lieb, wenn ich mich irrte. Hat jemand von euch hier ein Barometer?“

„Einen Korkzieher habe ich bei mir“, sagte der Schneider, „aber ein Barometer nicht.“

Die anderen lachten, und Meier, wie der alte Mann hieß, zog sich finster auf seine eigene Kiste in die vordere Ecke zurück, wo er, mit seinem Rücken an die Koje gelehnt und vollkommen im Schatten, keinen Anteil an dem Gespräch weiter nahm und sitzen blieb.

„Wichtigtuer“, brummte der Schneider noch mürrisch hinter ihm her – „der Art Leute meinen immer, wenn sie nur recht 'was Unglückliches prophezeien können, nachher hätten sie Recht, und dann soll man sie für 'was Großes ansehen – Hals voll Wasser laufen – ja wohl und was sonst noch.“

„Na, so viel weiß der Kapitän ja wohl auch noch“, sagte der Lohgerber, „und wenn der glaubte, dass Gefahr bei der Sache wäre, führ' er doch gewiss einfach ins Land und ließe uns aussteigen. Ich hab's in meinem Kontrakt, dass er uns sicher hinüber bringen muss.“

„Herr Gott von Danzig,“ mischte sich der Schuster, der bis dahin ziemlich still und vor sich hinbrütend gesessen hatte, mit in das Gespräch, „Was die Kerle da oben an Deck herumtrampeln und einen Spektakel machen, als ob sie die Planken durchtreten wollten. Das tun sie uns doch nur justament zum Possen, gerad' über unseren Köpfen hin.“

„Ich will einmal hinaufgehen und zuschauen, wie's oben aussieht,“ sagte der Schneider, indem er aufstand und seinen Hut hinter sich von der Kiste nahm; „wenn der Koch nur noch heiß Wasser in der Kombüse hätte, dass man sich einen Grog machen könnte – auf den Schreck und die Nässe wär' der famos.“

„Donnerwetter, ja, Heidelberger, versuchen Sie's einmal“, rief der Schuster, von dem Gedanken ergriffen, „wenn Sie dem Burschen ein paar Groschen in die Hand drücken, tut er's auch, und nachher legen wir zusammen.“

Der Schneider stieg mit dem doppelten Auftrag an Deck, und das Gespräch drehte sich unten indessen um allerlei häusliche Angelegenheiten, umgestoßene Senfbüchsen, ausgelaufene Milch- und Essigkrüge, zerbrochene Flaschen und Tassen und durchweichten Zwieback. Nur die Frauen drängten sich noch einmal ängstlich heran, wenn das Schreien und Stampfen der Matrosen an Deck gar zu arg wurde, und wollten wissen, ob der Sturm wieder angefangen hätte zu wehen. Von den Männern wurden sie aber gewöhnlich kurz abgefertigt, und die meisten waren auch durch das erneute Schaukeln zu unwohl geworden, sich in lange Gespräche einzulassen – wenn die Matrosen an Deck nur nicht gar solch' entsetzlichen Spektakel gemacht hätten!

Oben an Deck wurde jetzt die große, vorn hängende Schiffsglocke in regelmäßigen Schwingungen angezogen, während zugleich Heidelberger, der Schneider, wieder nach unten kletterte, mit dem einen Fuße von der Leiter ab vorsichtig nach seiner Kiste fühlte und dabei sagte:

„Herr du meine Güte, ist das eine Finster und ein Nebel da oben; keine Hand kann man vor Augen sehen.“

„Vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn –“ zählte der Lohgerber – „an was schlagen die denn da oben an? Die Uhr ist wohl mit ihnen durchgegangen.“

„Nein“, sagte der Schneider, der an Deck zufällig gehört hatte, wie der Befehl dazu gegeben wurde, „das ist immer bei Nebel und soll nur ein Zeichen sein, dass wir mit keinem andern Schiff zusammenrennen.“

„Wie sieht es denn oben aus, Herr Heidelberger?“ fragte die Frau des Instrumentenmachers, ein junges, blühendes Weibchen, die eben ihr Kind beruhigt hatte, aber aus Sorge selber nicht schlafen konnte.

„Stockpechrabenschwarze Dunkelheit, verehrte Madame Halter“, erwiderte Heidelberger achselzuckend, „man kann nicht einmal bis dahin an die Masten hinauf sehen, wo die Stücken abgebrochen sind; kein Stern am Himmel, keine Ecke Mond, kein Leuchtfeuer mehr zu sehen – blos noch Licht in der Kombüse und am Kompass –“

„Nun, kriegen wir heiß Wasser?“ fragte der Schuster schnell.

„Der Koch bringt's selber herunter“, lachte Heidelberger, „der trinkt auch gern einen Schluck und will die Gelegenheit nicht unbenutzt vorüberlassen. Sie sind gleich fertig mit ihren Arbeiten, und dann hat er „seine Wacht zur Koje“, wie er sagt. Es geht übrigens kein Lüftchen mehr oben, und die Segel hängen wie Lappen am Mast herunter.“

„Das wär' bös!“ sagte Meier, jetzt zum ersten Mal wieder aus seiner Ecke aufstehend und ebenfalls an Deck kletternd.

„Bös?“ brummte der Schuster hinter ihm drein. „Jetzt seh' einer den Holzkopf an; ärgert sich, weil es still geworden und der Sturm nicht gekommen ist, den er prophezeit hat – alter Barometermacher, der.“

 

„Ach, lass ihn gehen,“ sagte aber Heidelberger, „wir wollen lieber unterdessen alles zum Grog zurechtmachen, bis der Koch mit dem Wasser kommt – er meinte, der Kapitän müsste nur erst von Deck sein, dass er nicht etwa 'was merkte. Vor dem Alten hat er einen heillosen Respekt.“

Oben an Deck wurde es jetzt ruhig – es war wirklich so dunkel, dass sie keine weitere Arbeit vornehmen konnten. Was sich von den abgeschlagenen Spieren und dem Takelwerk bergen ließ, lag an Deck, die Segel, die jetzt angebracht werden konnten, standen, den geringsten wiederkehrenden Luftzug zu fangen, und alles Weitere musste bis zu dem dämmernden Tag verschoben werden, wo sich der erlittene Schaden dann freilich erst ordentlich übersehen ließ. Nur die eine Beruhigung hatten sie, dass sich kein Wasser im Raum fand. Der Schlag, der die Stengen über Bord jagte und das ächzende Schiff bis in seinen Kiel hinab erschütterte, hatte nicht vermocht, die Nähte zu trennen oder zu lockern, und sie durften hoffen, am nächsten Tag einen Hafen irgendwo an der englischen Küste anzulaufen um dort den erlittenen Schaden wieder auszubessern. Freilich musste das die Reise um Wochen lang verzögern.

Wie still und unheimlich das auf dem Wrack jetzt aussah, mit den an Bord geholten gebrochenen und zersplitterten Hölzern, den zerrissenen Segeln und wirr durcheinander geschlungenen Tauen, und wie das klappte und schlug von noch locker hängenden Enden und losgegangenen Blöcken, die mit dem faulen Schlingern des Schiffes, das keinen Widerhalt im Wind mehr fand und auf den Wogen herüber und hinüber taumelte, an die Maststumpfe und großen Rahen klopften. Dick und schwer lag dabei ein dicker Nebel auf dem Wasser, dass man nicht einmal von Bord zu Bord des eigenen Schiffes sehen konnte, und was dabei das Schlimmere war: Er verdeckte auch das Licht der Leuchttürme, das Einzige, wonach der Kapitän im Stande gewesen wäre den Platz jetzt zu bestimmen, wo er sich gerade befand, und die Strömung zu erfahren, die ihn, wie er fast fürchtete, dem südlich gelegenen flachen Lande zu setzte. Hierüber mussten sie sich aber Gewissheit verschaffen, und die war auch außerdem durch das Senkblei zu bekommen.

Mit dem kleinen Lot erreichten sie allerdings noch keinen Grund, das größere ergab jedoch eine Tiefe von fünfzig Faden, und als sie das Senkblei einige Sekunden auf dem Boden liegen ließen, fanden sie ihre Befürchtung der Strömung wegen allerdings begründet, denn das Schiff trieb über die Leine hin, nach Südosten zu. Trotzdem ließ sich für den Augenblick nichts weiter tun, denn das Wasser war zum Ankern zu tief und das Ankern selber auch für sie gefährlich. Die Brise konnte nicht mehr lange ausbleiben, dann verzog sich auch aller Wahrscheinlichkeit nach der Nebel, und ihr einziges Streben musste jetzt sein, so rasch als möglich einen Hafen zu erreichen. Das Schiff selber war dicht und unbeschädigt, und die paar Hölzer und Segel ließen sich dann bald wieder herstellen.

Fortgang machten sie indessen fast gar nicht, höchstens vielleicht eine oder zwei englische Meilen die Stunde; nichtsdestoweniger wurde vorn am Bug die Glocke zeitweilig angeschlagen, ein mögliches Zusammenstoßen mit einem andern Schiff, dem sie kaum hätten ordentlich ausweichen können, zu vermeiden.

Der Kapitän hatte jetzt seine Wacht zur Koje und ging nach unten. Was geschehen konnte, war geschehen, und sie durften ihre Kräfte nicht vor der Zeit aufreiben, da man allerdings nicht wissen konnte, was dem arg beschädigten Schiff noch bevorstand. Der Steuermann, der mit seiner Wache an Deck blieb, hatte aber strenge Ordre, das Senkblei von Zeit zu Zeit auswerfen zu lassen, sowie bei einer Veränderung der Witterung, oder sonst etwas Auffälligem, den Kapitän augenblicklich zu wecken und davon in Kenntnis zu setzen.


„Na, da kommt er endlich!“ rief unten im Zwischendeck Heidelberger, als der Koch, ein eben nicht besonders reinlich aussehender Bursche, mit einem großen dampfenden Blechgefäß in der Hand, rasch die schmale Treppe, die in der Vorderluke lehnte, herabstieg, sich die Mütze dann abnahm und den Schweiß von der triefenden Stirn mit einem rotbaumwollenen Tuche abtrocknete.

„Hurrah, der Koch soll leben!“ wollte der Schuster eben, in dem Vorgefühl bald befriedigten Durstes, ausrufen, als ihn aber das also zu ehrende Individuum selber eben nicht sanft gegen die Schulter stieß und bedeutete, „das Maul zu halten“.

„Hol' euch doch der Henker hier mit eurem ewigen Brüllen!“ knurrte er dabei; „muss es denn immer gleich das ganze Schiff wissen, wenn man euch einmal einen Gefallen tun will? – Und dann werdet ihr überdies nicht mehr lange zu hurrahen haben – beten wär' euch besser und nützlicher.“

Der Koch war ein mürrischer, finsterer Gesell, trotzdem aber mit einem ziemlichen Teil trockenen Humors begabt, der ihn schon bei seinen Passagieren sehr beliebt gemacht hatte. Auch kochte er nicht übel und verstand die Behandlung einer Auswanderungsküche aus dem Fundament. Nur mit der Reinlichkeit sah es nicht besonders aus, und das in tausend kleine bewegliche Falten gezogene Gesicht ließ ihn dabei immer noch schmutziger erscheinen, als er vielleicht wirklich war. Der einzige Fehler nur klebte ihm an: er trank und ließ sich auch deshalb mehr und intimer mit den Passagieren ein, als das auf der langen Reise für den Koch nützlich und den Offizieren des Schiffes angenehm ist. Die Auswanderer führten aber eine Menge spirituöser Getränke bei sich, und denen konnte er, da an Bord selber kein Branntwein verabreicht wurde, nicht widerstehen.

„Beten? Hallo, was ist nun im Wind?“ lachte der Schneider, der ihm indessen das Wasser abgenommen hatte und einen Teil desselben in eine große Blechkanne auf die darin schon vorbereitete Mischung von Rum und Zucker goss; „weil die paar Stücken Holz und Ellen Leinwand über Bord gegangen sind?“

„Der Klabautermann ist fort!“ flüsterte aber der Koch dem Schneider heimlich zu, und sah sich dann scheu im Kreise um, die Wirkung zu beobachten, die diese Worte auf die Umstehenden machen würden.

„Der Klabautermann?“ rief der Schneider erstaunt und lachend, denn es war das erste Mal in seinem Leben, dass er den Namen auch nur erwähnen hörte – „wer heißt Klabautermann? Nennt Ihr einen von euern Masten so?“

„Kennt Ihr den Klabautermann nicht?“ rief der Koch, aufs Äußerste erstaunt – „na, Gott sei Dank, weiß nicht einmal, wer der Klabautermann ist, und geht zur See; ihr Passagiere seid noch schrecklich dummes Volk.“

„Na, Donnerwetter, woher sollen wir denn in Preußen erfahren haben, wer der Klabautermann ist?“ brummte der Schuster – „heraus mit ihm denn, was ist mit ihm los, und wo ist er hin?“

„Fort ist er“, sagte der Koch wieder mit unterdrückter Stimme – „fort und vom Schiff, und nun ist die Geschichte aus.“

„Aber wer ist der Klabautermann?“ rief der Lohgerber, jetzt auch ungeduldig werdend – „schwafelt der Mensch da in den Tag hinein, dass keine Seele daraus klug wird, und antwortet auf keine vernünftige Frage. Was haben wir mit dem Klabautermann zu tun?“

„Was Ihr mit dem Klabautermann zu tun habt?“ wiederholte der Koch, „das wird euch bald klar werden. Der Klabautermann ist der Schiffsgeist, ein kleines kurzes Männchen, ganz wie ein Matrose angezogen, der unten im Raum der Fahrzeuge seine Wohnung hat und das Schiff, wenn ihm ein Unglück bevorsteht, warnt, sobald es aber nicht mehr zu retten ist, von Bord geht und nicht wiederkommt. Wenn die Ratten und der Klabautermann ein Schiff verlassen, dann gnade Gott der Mannschaft!“

„Na, die Geschichte muss uns der Koch nachher einmal ein bisschen näher auseinandersetzen“, sagte der Instrumentenmacher, der ungemein gern Geschichten erzählen hörte, „jetzt macht nur, dass ihr mit eurer Mischung fertig werdet, denn der Schreck vorhin und die Nässe sind mir dermaßen in die Glieder geschlagen, dass mich's ordentlich wie im Fieber schüttelt. Dagegen ist ein guter Grog die beste Medizin, und ich habe hier auch noch eine famose Flasche Rum.“

„Bravo“, sagte Heidelberger, „solche milde Beiträge lassen wir uns gefallen – der Wohltätigkeit werden keine Schranken gesetzt, und eure Becher her, ihr Leute. Wer ist denn da hinten noch so seekrank? Herr du meine Güte, würgt der Mensch –“

„Das ist der Nadler aus Nummer Sieben“, lachte der Lohgerber; „so wie sich das Schiff anfängt zu bewegen, liegt der auf der Nase.“

„So gebt ihm einen Schluck von der Mischung hier“, meinte der Instrumentenmacher gutmütig, „das wird ihn wieder auf die Beine bringen.“

Des Nadlers Frau wurde gerufen, um ihrem Mann etwas von dem Grog zu bringen, der aber stöhnte und ächzte, weigerte sich zu trinken und bat, man solle ihn lieber über Bord werfen. Die anderen lachten und nahmen weiter keine Notiz von dem Seekranken.

Die Becher wurden indes fleißig gefüllt und geleert; der Schreck von heut Abend war manchem in die Glieder geschlagen, und von allen Seiten kamen Flaschen und Krüge mit Rum gefüllt aus den verschiedenen Kojen vor, dass der Koch noch zweimal in die Kombüse musste, mehr heißes Wasser herbeizuholen. – Der Steuermann trank ebenfalls gern ein Glas, und wenn es ihm auch nicht einfiel, das mit den Zwischendecks-Passagieren zu tun, ließ er es doch geschehen, dass ihnen der Koch gefällig sein durfte – noch dazu an dem heutigen Abend. Auch Meier hatte sich bei der Bowle eingefunden, von der er aber oft fort und nach oben ging, um nach dem Wetter und Wind zu sehen.

Der Koch, der dem Grog fleißig zugesprochen, übrigens eine sehr bedeutende Quantität davon vertragen konnte, hatte indes den aufmerksam und vergnügt lauschenden Passagieren die Sage vom Klabautermann ausführlich erzählen müssen. Es war ein kleiner gemütlicher Geist, ein Überbleibsel noch der alten Heinzel- oder Wichtelmännchen, der im Innern des Schiffes, aber immer nur einzeln und einsam, sein Quartier aufgeschlagen und die weitesten Reisen mit dem einmal erwählten Fahrzeug machte. Bei gutem Wetter ließ er sich dabei weder hören noch sehen, und kam nicht vor; wenn aber dem Schiff Gefahr drohte, rief er aus den Masten herunter den Leuten zu, zu reefen, oder warnte sie auch wohl vor drohenden Klippen und Bänken, und nur, wenn das Schiff rettungslos verloren war, nahm er sein kleines Matrosenkistchen, das er, wie jeder andere Seemann, bei sich führte, unter den Arm und zeigte sich gewöhnlich noch einmal, ehe er ging, denen an Bord, die er während seiner Anwesenheit am liebsten gehabt. Nachher war er fort, und was aus ihm wurde, konnte niemand sagen.

Heut Abend aber war er fortgegangen. Er, der Koch, der ihm immer die gebührende Ehrfurcht erwiesen, und dem er deshalb auch gut geblieben war, hatte ihn mit eigenen Augen gesehen, und wenn einer von ihnen wieder das Land sehe – meinte der Mann mit leiser, unheimlich flüsternder Stimme – sei es ein Werk des Himmels.

Die Passagiere, die den Koch dicht umdrängten, hatten im Anfang über das „Märchen“ gelacht und ihren Spaß damit gehabt; als der Mann aber so gar ernsthaft dabei blieb und das überdies finstere und faltige Gesicht noch weit mehr zusammenzog und die Kunde, die auch sie so nahe betraf, so geheimnisvoll flüsterte, dass man ihm wohl ansehen konnte, wie er selber jede Silbe glaube, wurden doch auch manche der vorher noch ganz Beherzten und Ungläubigen stiller – das Lachen verstummte, und die noch immer unheimlich durch die Nacht tönenden Schläge der Schiffsglocke über ihren Häuptern mahnten sie dabei, dass allerdings nicht alles an Bord sei, wie es eigentlich sein solle.

„Aber es gibt doch keine Geister“, sagte endlich der Instrumentenmacher, der das ihm fatale Grausen zuerst abzuschütteln suchte mit einem allgemeinen Beweisgrund gegen jede derartige Erzählung.

„So? – gibt es nicht?“ erwiderte ihm der Koch, ohne von seinem Becher aufzuschauen – „und mich haben sie wohl nicht einmal an der Weser drüben zehn Meilen ins Land hinein gesetzt, ohne dass ich wusste wie?“

„Zehn Meilen ins Land?“ rief der Schneider erstaunt.

„Zehn Meilen ins Land“ bestätigte der Seemann, den Becher jetzt bis auf den letzten Tropfen leerend und wieder zum Füllen gegen Heidelberger vorstreckend, „und die Geschichte war merkwürdig genug. Wir lagen mit der „ROBERT FULTON“, einem andern deutschen Schiff, auf dem ich damals meine Reise als Koch machen sollte, unter Bremerhaven vor Anker und warteten auf den letzten Lichter, der mit Fracht von Bremen herunter kommen musste. Abends nach dem Essen schickte mich der Kapitän mit dem Kajütsjungen und zwei Leuten an Land, um in dem nächsten Dorf eine Partie Eier und Hühner und andere Sachen für die Kajüts-Passagiere und den Kapitänstisch einzukaufen. Der eine von den Leuten, die ich mit hatte, war aber ein alter Matrose, der damals schon seine sechzig Jahre auf dem Rücken haben mochte und die ganze Zeit, von Kindheit auf, zur See zugebracht hatte, und der behauptete, dass ihm an dem nämlichen Abend der schwarze Mann an Bord erschienen sei.“

 

„Der schwarze Mann?“ rief der Lohgerber, der mit offenem Munde der Erzählung lauschte.

„Ja, der schwarze Mann,“ bestätigte der Koch, „auch so ein Wesen, das sich nur sehen lässt, wenn es mit einem von uns zu Ende geht, und der alte Bursche, sonst immer einer der Flinksten und Muntersten von allen, ließ den Kopf hängen und sprach kein Wort. Wir anderen jungen Burschen lachten ihn jetzt aus, neckten ihn, dass er einen Schluck zu viel genommen und den Pumpstock für den schwarzen Mann angesehen habe, und ich – ein junger Kehrdichannichts, der ich damals war – trieb es am tollsten, ja behauptete zuletzt sogar, es gäbe gar keine Geister, weder schwarze noch Klabautermänner, und rief, wenn wirklich welche da wären, sollten sie sich mir auch einmal zeigen, und dann wollte ich an sie glauben. Der Alte bat mich zwar nun, ich möchte still sein; wenn ich älter würde, erführ' ich das alles überdies noch zeitig genug; mit ein paar Gläsern Grog im Kopf machte ich mir aber aus der ganzen Sache nichts und trieb es toller als vorher. Unter der Zeit war es ziemlich dunkel geworden; das Dorf lag jedoch keine fünfhundert Schritt vom Fluss ab und ein breiter Fahrweg lief von der Landung gerade darauf zu, so dass wir gar nicht irre gehen konnten. Wir machten also unser Boot fest, stiegen ins Land und fanden auch glücklich den Platz, wo wir kauften, was wir brauchten, und dann mit den Sachen den Rückweg antraten.

„Ziemlich schwer zu tragen hatten wir übrigens und gingen deshalb einzeln hintereinander her auf der Straße, ich hintennach, weil ich auf das Ganze sehen musste. Gerade halbwegs zwischen dem Dorf und Fluss lag ein kleines Erlendickicht, vielleicht hundert Schritt breit, wie denn überhaupt die ganze Entfernung vom Dorf bis nach der Weser ja kaum einen Büchsenschuss betrug. Als wir nun mitten im Erlenbusch drin sind, hör' ich links neben mir, vielleicht zehn Schritt vom Wege ab, den Alten fluchen und mich rufen; er wäre von der Straße abgekommen und hätte ein paar Hühner verloren. „Na, ja“, sag' ich, „und in der Dunkelheit – wie sollen wir die nur wieder finden!“, und dann rief ich ihm zu, er möchte stehen bleiben, wo er wäre, ich wollte zu ihm kommen. Den Korb, den ich trug, behielt ich übrigens umhängen und drängte mich durch die kleinen Büsche der Stelle zu, wo ich ihn noch immer hören konnte; – auf einmal war alles still. – „Steffen“, sagte ich – keine Antwort – „Steffen, wo steckst du denn – mach' keine Dummheiten –“ keine Antwort.

„Jetzt wurde mir's unheimlich zu Mute, und was ich heute mit dem Alten gesprochen, fiel mir wieder ein; dann dachte ich aber auch daran, dass er mich wahrscheinlich zu fürchten machen wollte, weil ich nicht an Geister geglaubt hatte, und nun fing ich an zu lachen und rief ihm zu, so dumm wär' ich nicht, dass ich mich bange machen ließe. Wenn er das Maul nicht auftun wollte, damit ich ihn im Finstern fände, möcht' er stehen bleiben wo er wär', und arbeitete mich dann wieder rasch zurück auf die Straße – mit dem schweren Korb war's auch in den doch ziemlich dichten Büschen eben nicht angenehm zu marschieren.

„Die Anderen konnten übrigens kaum hundert Schritt vor mir sein, und da mir's doch jetzt, wie alles so still und ruhig um mich war, ein wenig unheimlich zu Mute wurde, schrie ich ihnen laut nach, auf mich zu warten – keine Antwort. Ich schrie noch einmal, und wie ich jetzt immer noch nichts hörte, fing ich an auszukratzen und lief, so rasch ich mit meinem schweren Korbe nur vorwärts kommen konnte, dem Flusse zu. Es war jetzt so dunkel geworden, dass man keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, vor mir aber schimmerte ein Licht – wie ich glaubte aus meiner eigenen Kombüse an Bord – und ich fing jetzt wieder an ein wenig aufzuatmen und langsamer zu gehen. Sonderbar kam es mir freilich dabei vor, dass ich noch immer Büsche zur Seite hatte, und vorher war mir es doch, als ob das Ufer vollkommen frei von Buschwerk gewesen wäre. Ich dachte mir aber doch nichts weiter dabei und kam dem Lichte immer näher; – das Schiff war es aber nicht, und, Jungens, ich sage euch, der Schweiß trat mir in großen Tropfen auf die Stirn, als ich plötzlich vor einem kleinen niederen Hause stand, aus dessen Fenstern ein Licht schimmerte, und von Fluss oder Schiff auch nicht die Spur zu finden war.“

„Natürlich“, lachte jetzt der Instrumentenmacher, „Sie hatten sich vorher in der Angst falsch herumgedreht und waren, anstatt nach dem Fluss zu wieder nach dem Dorf zurückgelaufen.“

„Das dacht' ich auch“, erwiderte der Koch, der jetzt in der Erinnerung an das damals Geschehene selbst des Trinkens vergaß, „setzte den Korb nieder, um ein wenig auszuruhen, und wollte dann eben umdrehen, als ich aus dem Dorf heraus einen Wagen kommen hörte, der jedenfalls nach dem Strom zu fuhr. Die Schultern taten mir überdies von dem Schleppen weh, und ich beschloss, den Wagen abzuwarten und meinen Korb da aufzusetzen. Der Wagen kam auch und hielt, als ich ihn anrief, und der Fuhrmann, der erst dicht zu mir herantrat, um zu sehen, wen er vor sich hätte, sagte ganz freundlich, er wolle meinen Korb gern mitnehmen, und ich möchte mich dazu oben aufsetzen. „Aber wo wollt Ihr denn hin“, fragte er mich dann, „mit dem schweren Ding?“ – Blos bis zum Fluss, sagte ich. – „Zur Elbe?“ – Ih Gott bewahre, zur Weser. „Zur Weser?“ rief der Mann erstaunt aus, „an die Elbe meint Ihr wohl.“ – Nein, sagte ich wieder, an die Weser, mein Schiff liegt ja drüben, dicht unter Bremerhaven. – „Na, du lieber Himmel,“ rief da der Mann, „da habt Ihr noch einen weiten Weg vor Euch und bliebt am besten hier über Nacht, vielleicht könnt Ihr dann morgen früh eine Fuhre dorthin bekommen; durch den Ort durch müsst Ihr doch.“ Durch den Ort durch? rief ich erschreckt, ja das ist ja doch gar nicht möglich, ich kann doch nicht darum hingelaufen sein. „Das weiß ich nicht“, lachte der Fuhrmann, „aber die zehn Meilen seid Ihr doch nicht mehr im Stande, heut Abend mit der Last zu machen.“ Zehn Meilen? schrie ich, und ich konnte mich vor Schreck kaum auf den Füßen erhalten, so fingen mir die Knie an zu zittern: – das kann ja aber gar nicht sein, denn ich bin vor einer Stunde etwa – der Fuhrmann ließ mich aber gar nicht ausreden und meinte: „Kann nicht sein; – wenn Ihr sie mit dem Korb da laufen wolltet, würdet Ihr glauben, es wären fünfzehn. Von Buxtehude aus werden zehn gute Meilen nach der Weser gerechnet.“ – Aber das ist doch nicht Buxtehude? schrie ich, halb tot vor Schreck. – „Das ist Buxtehude, Freund“„ sagte der Mann; „doch ich muss fort jetzt, will noch die Nacht nach Harburg und habe ebenfalls einen langen Weg vor mir. Gleich links, wenn Ihr ins Städtchen kommt, ist ein gutes Wirtshaus, da könnt Ihr übernachten“, und damit schwang er seine Peitsche um den Kopf, trieb seine Pferde an und ließ mich allein auf der Straße stehen. Wie mir aber zu Mute war, könnt Ihr Euch denken – und der Mann hatte Recht. Ich musste die Nacht in Buxtehude bleiben, wo sie mir aber mein Unglück nicht glaubten und mich für einen Deserteur von einem Hamburger Schiff hielten. Dorthin wurde ich am nächsten Morgen geschickt und später erst mit meinem Korb nach Bremen ausgeliefert, mein Schiff war aber indessen natürlich abgesegelt und ich blieb zurück.“

„Koch, Ihr gingt besser nach oben und wecktet den Kapitän“, unterbrach plötzlich Meier's tiefe und hochklingende Stimme das atemlose Schweigen, das der Erzählung des Kochs gefolgt war – „es ist die höchste Zeit.“