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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.

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»Sie sind zu ängstlich,« lächelte die Gräfin, welche sich noch nie im Leben Sorgen gemacht hatte, wenn sie nur die unmittelbare Gegenwart gesichert wußte – »aber ich billige vollkommen Ihre Vorsorge etwa möglicher Eventualitäten. Wir wollen auch mit aller Umsicht zu Werke gehen, und daß wir es dabei nicht an Fleiß fehlen lassen,« setzte sie mit einem Blick auf ihren heute freilich noch nicht berührten Cigarrentisch hinzu, »werden Sie mir ebenfalls bezeugen können.«

»O, gewiß – deß bin ich sicher überzeugt,« stammelte Herr von Pulteleben, von der Güte der Frau Gräfin so entzückt, daß plötzlich die Idee in ihm aufstieg, den Moment zu benutzen und einen kühnen Schritt zu seinem künftigen Lebensglücke zu wagen – »Sie kennen mich ja aber jetzt auch, Frau Gräfin – Sie wissen, daß ich mit allem Eifer…«

»Ich weiß es,« sagte die Dame freundlich, »und die nächste Zeit wird Ihnen den Beweis bringen, wie rasch wir das jetzt vielleicht etwa Versäumte wieder eingeholt haben. Der neue Tabak ist vortrefflich und wir werden brillante Geschäfte damit machen. – Aber da fällt mir gerade ein, daß Jeremias unten auf den Bestellzettel wartet – ich habe ihn hier schon geschrieben – bitte, unterzeichnen Sie ihn nur noch – als unser Geschäftsführer,« setzte sie lächelnd hinzu – »das Geld können Sie ja dann vielleicht dem Jeremias gleich mitgeben – der Betrag ist hier ausgefüllt. – Der alberne Bauer hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, nur gegen baares Geld zu verkaufen.«

»Mit Vergnügen,« stotterte Herr von Pulteleben, der in diesem Augenblicke wirklich gar nicht mehr an den Tabak dachte – »aber – werden Sie mir auch nicht zürnen, wenn ich« – die Gräfin sah ihn erwartungsvoll an, und Herr von Pulteleben, welcher über und über roth geworden war, fuhr schüchtern fort: »wenn ich mit einer – mit einer recht großen Bitte vor Ihre Thür käme?«

»Mit einer Bitte?«

»Sie sind immer so sehr gütig gegen mich gewesen.«

»Und die Bitte?«

»Und Comtesse Helene ebenfalls,« stammelte Herr von Pulteleben, und sein Gesicht sah in dem Augenblick aus, als ob ihm das Feuer heraus schlagen wollte – »Sie – Sie können wohl denken, Frau Gräfin, daß das – daß das längere Beisammenleben mit einem so liebenswürdigen Wesen – ich muß zwar gestehen, daß ich eigentlich gar nicht daran denken dürfte, ein solches Glück zu verdienen – eigentlich ist Glück gar nicht der passende Name – Seligkeit sollte man sagen – und – und wenn ich nur hoffen dürfte, daß…«

Er stak wieder vollständig fest, und die Gräfin hatte seine unzusammenhängenden Worte, als sie nur erst deren Sinn ahnte, auch mit keiner Silbe weiter unterbrochen. Jetzt nickte sie leise lächelnd mit dem Kopf und sagte dann freundlich:

»Mein lieber Herr von Pulteleben, ich habe fast gefürchtet, daß Ihnen das tolle Mädchen den Kopf verdrehen würde. Überlegen Sie sich aber die Sache wohl, denn Helene ist…«

»Ein Engel!« unterbrach sie der junge Mann, der seiner überströmenden Gefühle nicht länger Meister war – »ich wäre selig, wenn ich nur hoffen dürfte, daß ich ihr nicht ganz gleichgültig bin.«

Die Gräfin lächelte wieder freundlich vor sich hin und sagte dann in gütigem, aber immer noch abwehrendem Tone:

»Nun, wir wollen sehen; ich werde mit meiner Tochter sprechen – ich glaube, daß wir zu einander passen, und wenn Sie auch noch etwas jung sind…«

»Ich werde mit jedem Tage älter!« rief Herr von Pulteleben, der vor lauter Glückseligkeit schon gar nicht mehr wußte was er sagte.

»Nun gut,« lachte die Gräfin jetzt herzlich – »da Sie diesen Fehler also täglich verbessern, so läßt sich ja vielleicht über die Sache reden. Ich kann Ihnen natürlich ohne meine Tochter keine bestimmte Zusicherung geben.«

»Sie heben mich in den siebenten Himmel!« rief von Pulteleben.

»Aber ich will doch sehen was sich thun läßt,« fuhr die Gräfin fort, »und kann Ihnen wenigstens versprechen, daß ich ein gutes Wort für Sie einlegen werde. Aber unsere Geschäfte dürfen wir darüber nicht versäumen.«

»In zwei Minuten soll Jeremias abgefertigt sein,« rief der junge Mann, seinen Hut ergreifend.

Das Gestampfe ungeduldiger Pferde unter dem Fenster wurde in diesem Augenblick hörbar, und als Herr von Pulteleben, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, hinaus sah, bemerkte er, wie sich Helene in den Sattel schwang und dann, als sie ihn am Fenster erblickte, hinauf rief: »Reiten Sie mit?«

»Wenn Sie nur einen Moment auf mich warten wollen,« rief dieser hinab, und sich dann zu der Gräfin wendend, sagte er bittend: »Ich bin heute nicht mehr im Stande, zu arbeiten – das Herz ist mir zu voll! Hier haben Sie meinen Schlüssel – bitte, theuerste Frau Gräfin, besorgen Sie das Nöthige,« und mit zwei Sätzen war er die Treppe hinunter und im Stalle, und wenige Minuten später bei den Geschwistern draußen, mit denen er in flüchtigem Galopp die Straße hinab sprengte.

6
Der Ritt am Strande

Günther von Schwartzau hatte indessen seine Geschäfte in Santa Catharina rascher besorgt, als er im Anfange selbst geglaubt, und da ihn Nichts weiter an den Platz fesselte, so benutzte er die erste sich ihm bietende Gelegenheit, auf einem der kleinen brasilianischen Schooner die Rückreise nach Santa Clara anzutreten.

Die Reisen auf diesen Fahrzeugen sind freilich nur sehr unsicher, denn so gut sie gebaut und seetüchtig sie sein mögen, so ängstlich werden sie von den brasilianischen Seeleuten behandelt. Gegen den Wind verstehen diese gar nicht zu kreuzen, weil sie so erbärmlich und unregelmäßig steuern, und selbst bei etwas starkem, wenn auch günstigem Winde getrauen sie sich nicht in die offene See hinaus. Kommt nun noch dazu, daß der Aufenthalt auf einem solchen Schooner, was Bequemlichkeit und Reinlichkeit betrifft, ein höchst trauriger ist, so läßt es sich denken, daß sich nicht gern Jemand der Gefahr aussetzt, vielleicht zwei oder drei Wochen in solche Verhältnisse eingepfercht zu werden, wenn man irgend Gelegenheit hat, in anderer Weise fortzukommen.

Eben so unregelmäßig ist aber auch selbst die brasilianische Dampfschifffahrt an jener Küste, und da jetzt gerade ein günstiger Südwind eingesetzt hatte, und sich Günther nicht der Gefahr aussetzen wollte, vielleicht acht, ja vierzehn Tage hier liegen zu bleiben, ehe der nächste Dampfer von Rio Grande eintraf, beschloß er, die sich gerade bietende Gelegenheit zu benutzen, und schiffte sich auf einem dieser kleinen Küstenfahrer ein.

Die Reise war auch in der That eine günstige, aber der Schmutz in der engen Cajüte so furchtbar, daß ihm selbst die wenigen Tage zu einer fast unerträglichen Plage wurden, und er dankte Gott, als der Schooner am Abend des fünften Tages, nach einer ungewöhnlich raschen Reise, die Mündung des Santa Clara-Flusses sichtete.

Leider war jetzt gerade Ebbe, und die Barre zu seicht, mit dem ziemlich schwer geladenen Fahrzeuge den Übergang zu riskiren. Der »Capitain« kannte auch vielleicht nicht einmal den Canal der Einfahrt genau, und zog es vor, unter dem Schutze der südlich vorspringenden Landzunge, unter welcher er in fast ruhigem Wasser lag, vor Anker zu bleiben. Damit versäumte er aber auch die ganze Nacht und die nächste Fluth, und da die zweitnächste erst wieder Morgens zehn Uhr eintrat, und Günther unter keiner Bedingung noch eine Nacht an Bord bleiben wollte, so beschloß er, sich an Land setzen zu lassen.

Er kannte dort, von einer früheren Vermessung her, jeden Fuß breit Boden. Gar nicht weit vom Strande lag die Chagra eines Brasilianers, auf welcher er leicht ein Pferd geborgt bekommen konnte, und ritt er dann kaum zwei Legoas auf dem harten Sand des Strandes hinauf, und schnitt nachher quer in die Hügel, von einer andern Chagra aus, hinein, so erreichte er Santa Clara selber wenigstens drei oder vier Stunden früher, als der Schooner den Biegungen des Flusses stromaufwärts folgen konnte.

Der Abend war indessen schon zu weit vorgerückt, heute noch an einen Ritt in stockfinsterer Nacht zu denken. Günther nahm deshalb gern die gastliche Einladung des Brasilianers an, bei ihm den Morgen zu erwarten. Mit Tagesgrauen sollte dann ein Pferd für ihn bereit stehen, mit dem er die Colonie recht gut bis etwa elf Uhr Morgens erreichen konnte.

Die hier angelegte Chagra war nicht unbedeutend, denn in den zunächst den Sanddünen liegenden Hügeln fanden mehrere Heerden vortreffliche Weide, während ein kleines Stück weiter im Lande drinnen ein rother, fruchtbarer Lehmboden Bohnen, Mais, Maniok, ja selbst Zuckerrohr reichlich gedeihen ließ. Der Brasilianer hielt auch zur Bearbeitung des Landes und zur Beaufsichtigung seiner Heerden sechszehn bis achtzehn Sclaven beiderlei Geschlechts, und den zahlreichen Gebäuden nach zu urtheilen, unter denen besonders ein stattliches Herrenhaus hervorragte, mußte er sich in vortrefflichen Umständen befinden. Nichts desto weniger lebte er aber so einfach, wie nur ein Mensch in der Welt leben kann, welcher keine Ahnung von irgend einer möglichen Bequemlichkeit hat – Luxus gar nicht einmal gerechnet.

Das große Zimmer des Haupthauses, in welchem für die Familie heute Abend der Tisch gedeckt wurde, war nicht einmal gedielt. Die hohen Fenster hatten keine Gardinen, Tische und Stühle bestanden aus einfachem, weichen Holz, und das jetzt aufgelegte Tischtuch war nur ein schlechter, baumwollener Stoff, und deckte weder die volle Länge noch Breite des Tisches selber. Nur an den Wänden hatte der Eigenthümer sich einem ganz wunderbaren Luxus hingegeben, der von den Händen des Schneiders und Zimmermalers Justus Kernbeutel herrührte, und in einem außerordentlich kühn gehaltenen Entwurfe der brasilianischen Geschichte, in Farben ausgeführt, bestand.

Das erste Bild sollte wahrscheinlich die Entdeckung Brasiliens vorstellen. Vorn, gleich rechts neben der Thür, stand wenigstens eine einzelne Palme, und an beiden Seiten daneben befand sich ein Indianerpaar, welches staunend alle vier Arme emporhob, weil ihnen gegenüber auf dem hellblauen Meere ein großes Schiff angeschwommen kam, das eine Besatzung von weißen Riesen, mit Hintansetzung jeder Perspective, an Bord hatte. Eigentlich sah diese Abtheilung aus wie ein Besuch des Columbus bei Adam und Eva.

 

Die zweite Abtheilung, welche eine ganze breite Wand einnahm, beschäftigte sich mit der Unterjochung der Indianer, welche man überall von Leuten, mit dreieckigen Hüten und Federbüschen auf, verfolgt und auf das Entsetzlichste umgebracht sah. Säbel fuhren stets bis an's Heft in den getroffenen Leib und an der entgegengesetzten Seite an einer vollkommen unmöglichen Stelle wieder heraus, Flintenkugeln sausten wie Hagel, und ein halbes Dutzend braune Leichen, welche ganz vorn lagen, hätten, wenn nicht die Wunden schon tödtlich gewesen wären, allein in ihrem eigenen Blute ertrinken müssen. Glücklicher Weise war aber gerade dieses Bild mit so vollkommen räthselhafter Zeichnung und Farbenverschwendung ausgeführt, daß man erst nach einem längern Anschauen herausbekommen konnte, was eigentlich ein Baum und was ein Mensch sein sollte, es hätte sich sonst auch nie eine friedliche Familie dicht darunter zu Tisch setzen können.

Das dritte Bild stellte wieder einen Kampf vor, aber dieses Mal unter Weißen, wahrscheinlich eine Anspielung auf die letzte Revolution. Hierbei schien es aber blutlos herzugehen. Justus Kernbeutel war Demokrat durch und durch – ein Mann in einem großen Barte, wahrscheinlich Garibaldi, sprengte auf einem keinesfalls schon entdeckten Ungethüm Brasiliens hinter den flüchtigen Truppen her, unter denen sich ein Mann, wieder mit einem dreieckigen Hute und einer Krone oben darauf, was vielleicht den Kaiser darstellen sollte, auszeichnete. Der seiner Regierung zugethane Brasilianer ahnte wahrscheinlich gar nicht den Sinn dieses republikanischen Albumblattes.

Die vierte Wand sollte – über die Folgen der Revolution hinweggehend – Brasilien in seinem jetzigen Zustande darstellen. Kaffeebau, Zuckerrohr, Reis, Mais, Maniok, Alles war auf einem unglaublich kleinen Raume lebensgroß zusammengedrängt, und vorn saß, inmitten aller dieser tropischen Erzeugnisse, ganz gemüthlich ein guter deutscher Bauer in Pelzmütze und Leinwandjacke, die mit besonderm Fleiße gemalte kurze Pfeife im Munde, aus welchem der Qualm einem arbeitenden pechschwarzen Neger gerade in's Gesicht stieg.

Gunther unterhielt sich vortrefflich damit, die wunderbare Fresco-Malerei zu betrachten, bis sein Wirth wieder hereinkam und diesem eine Anzahl von Sclaven mit dem Abendbrod, auf dem Fuße folgte.

Die Mahlzeit selber, an welcher der Brasilianer mit seiner Frau und zwei sehr schweigsamen jungen Damen Theil nahm, war äußerst reichlich, aber auch eben so einfach, und bestand als erster Gang aus einem halben aber kalten Hammel, der in voller Länge aufgetragen wurde und von welchem sich die Herrschaft nur die besten Theile herunterschnitt, um das Übrige jedenfalls der Dienerschaft zu lassen.

Der zweite Gang war das gewöhnliche brasilianische Gericht, gekochtes Schweinefleisch, etwas sehr fett, mit schwarzen Bohnen und Maniokmehl, eine außerordentlich nahrhafte und auch wirklich wohlschmeckende Kost, mit der sich Günther auch schon lange befreundet hatte. Dazu wurde Wasser getrunken.

So lange die Mahlzeit dauerte, sprach fast Niemand ein Wort, das ausgenommen, was sich unmittelbar auf das Essen bezog, und erst als die aufwartenden Mädchen die Schüsseln wieder hinausgetragen und den Kaffee hereingebracht hatten, zündeten sich die Männer ihre Cigarettos an, und der bisher so schweigsame Brasilianer schien aufzuthauen. Aber er sprach auch nur über das, was ihn speciell interessirte: das Land, das in seiner Nachbarschaft lag, und über das ihm sein Gast allerdings die beste Auskunft geben konnte; über die Vermessung des Coloniebodens, über günstige Lagen, welche man etwa ankaufen könne, über neue Ansiedelungen, die vielleicht nächstens in Angriff genommen würden, und die Nothwendigkeit guter Verbindungswege für das Fortbestehen und Wachsen der Colonien.

Die Frauen saßen still dabei oder unterhielten sich unter einander flüsternd, und erst als der Gast Zeichen von Müdigkeit gab, wurde ihm sein einfaches Lager angewiesen, auf welchem er seinen Kampf mit den Flöhen für die Nacht beginnen konnte.

Günther war aber nicht der Mann, sich durch solche Kleinigkeiten im Schlafe stören zu lassen. An alle Arten von Lagern schon seit manchen Jahren gewöhnt, rollte er sich in seine Decke, schlief augenblicklich ein und erwachte erst wieder, als er Morgens eine Hand auf seiner Schulter fühlte.

Noch war es stockdunkel, da aber Günther am Abend vorher den Wunsch geäußert hatte, eine Stunde vor Tag aufzubrechen, hatte der Brasilianer seinen Negern Befehl gegeben, zu der Zeit Kaffee für den Gast und ein gesatteltes Pferd bereit zu halten, was auch pünktlich befolgt war, und fünfzehn Minuten später saß der Deutsche schon auf und ritt, als eben im Osten der Tag zu grauen begann, den schmalen Pfad entlang, welcher nach dem Strande führte.

Schon hörte er, gar nicht weit mehr entfernt, das dumpfe Schlagen und Donnern der Brandung, die ihre Wogen gegen den Strand schleuderte, und nach kaum einer Viertelstunde scharfen Rittes in der kühlen prachtvollen Morgenluft, sah sich Günther unmittelbar am Rande des atlantischen Meeres, welchem er, nach Norden zu, hier ziemlich anderthalb Legoas folgen mußte. Noch war aber glücklicher Weise Ebbe, oder die Fluth hatte doch erst seit ganz kurzer Zeit wieder begonnen zu steigen, so daß er seine Bahn auf dem sonst vom Meere gepeitschten und dadurch hart und fest gewordenen Sande halten, und sein Pferd tüchtig austraben lassen konnte.

Was für ein merkwürdiges Gefühl das ist, so unmittelbar am Rande der bäumenden Wogen, im ungewissen, dämmernden Lichte des Morgens hinzureiten, und wie wunderbar das Meer selber aussieht, das mit seinen weiten, weißen Wogenkämmen sich wie eine lebendige Mauer gegen den Wanderer heranwälzt!

Dieser ganze Theil der brasilianischen Küste bietet bis Rio Grande hinunter, mit Ausnahme weniger Flußmündungen, keinen einzigen Platz, wo ein Schiff geschützt liegen oder ankern könnte. Alles ist seichter Sandboden, welcher sich viele Hundert Schritte, oft halbe Legoas weit in das Meer hinausdehnt, und über den Untiefen rollt und bricht die See und wirft ihre Wogen schäumend und donnernd gegen den nackten Strand.

Und wie das Meer leuchtet und wühlt und glüht und zischt, zurückweicht und wieder vorspringt und seine züngelnden Arme dem dahinsprengenden Thier oft bis unter die Hufe wirft!

Aber das Pferd, welches Günther ritt, war am Meeresstrande groß geworden. Trotzdem, daß es oft schien, als ob die nächste Woge Roß und Reiter bedecken müsse, trotzdem, daß ihm eine schwerere Woge manchmal die klare, zischende Fluth bis über die Fesseln jagte, kümmerte es sich nicht das Geringste darum, schnob wohl einmal und warf den Kopf wie unwillig auf und nieder, schlug aber gleich darauf den wieder frei gewordenen Sand nur desto kräftiger mit den ausgreifenden Hufen.

Und jetzt dämmerte der Morgen. Über die See herüber stahl sich das mattgraue, erste Licht des Tages und gab den aufgeworfenen Sanddünen zur Linken jene eigene gelbe Färbung, welche aus sich selber heraus zu leuchten schien. Breiter und breiter wurde der lichte Streifen im Osten, schon erglühten zur Linken die ferngelegenen und bewaldeten Gebirgsrücken, die sich in malerischen, kühn geschnittenen Ketten gen Norden zogen, und plötzlich, ehe die Nacht noch recht geschwunden, stieg wie glühendes Gold in riesenhaftem Umfang die Sonnenscheibe aus dem Meer empor und sandte ihre Strahlen über die erwachte Erde.

Und mit der Sonne begann das rege Leben der Thierwelt. Kleine langschnäblige Strandläufer kamen in ordentlichen Schwärmen von irgend einem Inlandwasser, an dem sie die Nacht verbracht, um sich ihre Nahrung in an den Strand gespülten Insecten zu suchen; eine gar wunderliche Art schnepfenähnlicher Vögel mit langen, zinnoberrothen Schnäbeln spazierte ebenfalls am Strande herum, als ob sie nur die Morgenpromenade zu ihrem Vergnügen machten, ärgerten sich über einige leichtsinnige Möven, welche von See aus zu ihnen herüber kamen, um sich ihrer Gesellschaft anzuschließen, und trieben sie augenblicklich wieder in die Flucht, während sie nur mitnahmen, was ihnen von Miniaturmuscheln und Seethieren gerade in den Weg kam.

Vor Günther am Strande strich ein einzelner großer Geier ein, der sogenannte »brasilianische Adler«, und schien sich ebenfalls sein Frühstück auf dem nackten Sande zu suchen. Aber er sah sich nicht lange und nutzlos nach angespülten Muschelthieren um, sondern ging gleich frisch an die Arbeit, das was er brauchte, aus dem Boden herauszugraben.

Mit den scharfen Fängen riß er den feuchten Sand auf und grub sich tiefer hinein, bis er, etwa vier Zoll unter der Oberfläche, auf eine dort eingesenkte Muschel traf. Der ansprengende Reiter störte ihn dabei nur wenig; er drehte den Kopf nach ihm um, hob dann die Muschel mit dem Schnabel heraus, setzte einen seiner Fänge darauf und riß sie auseinander, verspeiste den leckern Bissen, und flog dann um den indessen herangekommenen Reiter dicht herum, wo er sich gleich hinter dem Pferde wieder niederließ, um sein Frühstück in Ruhe zu beenden.

Wie wunderbar die Natur für ihre Geschöpfe sorgt und eines mit dem andern erhält; so hier den Geier mit dem Schaalthier, der sonst auf den weiten Sanddünen und im wilden Walde wohl nicht immer seine nöthige Nahrung fände! Und hilft ihm dabei der Instinct, zu welchem viele Menschen allein den wirklichen Verstand der Thiere gern herabdrücken möchten, um für sich selber etwas Apartes zu haben? Gott bewahre! Mit dem Instinct allein sollte er lange und oft vergebens graben, ehe er die kleinen, sicher versteckten Thiere tief im Sande fände, aber jede Muschel, die sich dort, um ihrer eigenen Nahrung nachzugehen, in den Sand hineingewühlt, braucht zu ihrer Existenz die Luft, und um die zu behalten, führt eine kleine Röhre an die Oberfläche, die zum Verräther ihres Aufenthalts wird. Der Geier nicht allein, vielleicht noch manche andere Bewohner der Seeküste wissen an den kleinen Löchern im Sande augenblicklich, was darunter steckt, und selbst der Mensch sucht in der Ebbe diese Stellen auf, um sich eine Quantität der wohlschmeckenden und mit leichter Mühe zu gewinnenden Muscheln zu sammeln.

Günther hatte das Alles freilich schon oft und oft gesehen. Wenn aber auch selber kein Jäger, interessirte er sich doch für das rege Leben und Treiben dieser kleinen, geschäftigen Thierwelt um sich her. Und wie viel todte Penguins lagen am Strande – man trifft so selten im Walde ein selber verendetes Thier, und hier, auf dem nackten Sande, lag fast alle zwei- oder dreihundert Schritt einer dieser wunderlichen Vögel todt und durch die Fluth auf's Trockene hinaufgeschoben. Waren sie in den Stürmen umgekommen, die neulich hier gewüthet? Der Penguin taucht aber wie ein Fisch. Möglich, daß sie der lang anhaltende Südwind zu weit nach Norden und in ein ihnen nicht mehr behagendes warmes Klima hineingejagt, denn keiner der Vögel zeigte Spuren, daß er von einem andern Thiere getödtet worden.

Und über die See zogen düstere Nebelstreifen, deckten den Strand und verhüllten die kaum erhobene Sonne, als ob es noch einmal Nacht werden wollte. Und wie das die ganze Scenerie so rasch und wunderbar veränderte: die niederen Hügel der Sanddünen hoben sich zu hohen, schattenhaften Gebirgszügen; die bäumenden Wogen zur Rechten wuchsen riesenhaft empor, als ob sie das ganze Land überfluthen wollten, und dem Reiter schien es, als ob sich der harte Strand, auf welchem sein Roß dahinflog, vor seinen Füßen selbst zu einem steil niederführenden Hange abdache, daß er sich fast unwillkürlich im Sattel zurücklehnte, um ein Rückgewicht gegen die niedertretenden Hufe des Pferdes zu haben.

Und immer massenhafter lagerten sich die Schwaden über den öden Strand, immer dichter umgaben sie den Reiter mit ihrer feuchten, kalten Hülle. Da hob sich vor ihm ein lebendiger Gegenstand. Es waren zwei mächtige, weiße Schwäne, die vor ihm herstrichen eine lange Zeit, und dann nicht weit voraus, wie Schatten, wieder mitten zwischen die schäumenden Brandungswellen einfielen. Jetzt kam die Woge heran und überschlug sich; aber dicht vor dem zerfließenden Gischt schaukelten die majestätischen Vögel, und hoben sich erst wieder, als der Reiter sich ihnen nahte, um weiter nach vorn dasselbe Spiel zu wiederholen.

Weiter sprengte das Pferd, der Stelle auf's Neue nahend, wo sie schwammen und auf den Wogen schaukelten. Jetzt hoben sie sich noch einmal, aber kaum so hoch, daß sie die nächste Brandungswelle überfliegen konnten, und mit den breiten Schwingen strichen sie gerade gen Osten in das offene Meer und den Nebel hinaus, in dem sie spurlos, wie geisterhafte Schatten, verschwanden.

 

Günther hielt unwillkürlich sein Pferd an und sah ihnen nach, so lange er sie noch mit seinem Blicke verfolgen konnte. Ein eigenes, unheimliches Gefühl beschlich ihn; es war, als ob ihn selber in diesem Augenblicke, mit den verschwimmenden Gestalten der Schwäne, ein Verlust betroffen, als ob das nicht wilde, gleichgültige Thiere wären, welche ihn da flöhen, sondern liebe, traute Freunde, und er sie nun nie, nie in diesem Leben wiedersehen solle.

Und hat Euch noch nie im Leben ein solches Gefühl erfaßt? Ist Euch noch nie plötzlich das Blut zum Herzen zurückgetreten, als ob ein großes Unglück Euch bedrohe oder befallen habe, ohne daß man sich auch nur denken konnte, wo, wie und wann? Der Mensch hat solche Augenblicke, wo eine Geisterhand seine Nerven berührt, und seine Pulse selber stocken macht. Sie kommen und gehen, und wohl Dem, welchem sie nicht den kalten Reif zurücklassen auf seines Lebens Blüthen.

Lange, lange schon waren die Schwäne in dem düstern Nebel verschwunden, und noch immer starrte Günther in den leeren Raum, bis er sich ordentlich gewaltsam aus seinen Träumen riß. Das Pferd fühlte dabei die Sporen, und auf den Hinterbeinen herumfahrend, flog es gleich darauf in scharfem Galopp den Strand entlang.

»Unsinn!« murmelte der Reiter dabei vor sich hin, und schüttelte ärgerlich mit dem Kopfe; »wie man so tolle Dinge in's Hirn kriegen kann über ein paar Schwäne – und was die überhaupt hier im Salzwasser zu thun haben – hatte immer geglaubt, die hielten sich nur auf Flüssen und Binnenseen auf – ach, ich wollte, die Sonne schiene wieder und scheuchte die feuchten Schwaden fort, die Einem ordentlich mit Bleischwere auf der Seele lasten! Der Teufel hole die Gedanken!«

Und zu immer schärferem Ritte spornte er sein Pferd, daß dessen Hufe den Sand kaum berührten, als es mit ihm die ebene Bahn entlang flog, – aber die Gedanken ritten mit und trugen ihn hinüber in die Heimath, trugen ihn zu Allem, was er daheim verlassen und lieb und theuer im Herzen wahrte, daß er den Nebel nicht mehr sah und die riesenhaften Umrisse der Dünen und die brandenden Wogen auf dem grauen Strande. Und wie der Nebel plötzlich so rasch sich zertheilte, wie er gekommen, als ob ihn das wogende Meer aufgesogen hätte, die Sonne wieder hell und klar an dem vollkommen wolkenreinen Himmel stand, und ihre jetzt schon warmen Strahlen niedersandte, fühlte er selbst das nicht, und das Herz war ihm so schwer, so schwer und gedrückt, daß er kaum Athem holen konnte.

Und immer noch flog der Rappe die Bahn entlang, von den Sporen des Reiters unbewußt gestachelt, wenn er nur einen Moment in seiner Flucht nachlassen wollte, als plötzlich der zwar schmale, aber doch tiefe Ausfluß einer Lagune den wilden Reiter in ziemlich rauher Weise zur Besinnung brachte. Günther nämlich, gar nicht auf seinen Weg achtend, fand sich auf einmal dicht am Rande des Wassers, und im nächsten Augenblicke auch mitten darin, daß ihm die salzige Fluth über dem Sattel zusammenschlug, während sein keuchendes Thier wacker dem andern Ufer entgegenarbeitete. Erschreckt fuhr er ihm in den Zügel, aber es war zu spät, um jetzt noch die seichteste Stelle zum Durchritt auszusuchen; schon befand er sich inmitten des schmalen Ausflusses, und wenige Minuten später sicher am andern Ufer.

Doch was that's? Die Sonne schien warm, und seinem freilich etwas erhitzten Pferde hatte das frische Bad auch gewiß Nichts geschadet, denn diese halb wild aufwachsenden Thiere sind ja an derartige Dinge schon gewöhnt. Er stieg deshalb nur ab, entkleidete sich und rang das meiste Wasser aus seinem Anzuge sowohl, wie aus den Satteldecken des Pferdes, stieg dann wieder auf, um das weitere Trocknen der Sonne und der Seebrise zu überlassen, und trabte jetzt, aber bedeutend langsamer als vorher, den immer schmaler werdenden Strand entlang, wo er voraus schon, hinter den Dünen her, den blauen Rauch der nächsten Ansiedelung konnte aufsteigen sehen.

Es war auch Zeit daß er diese erreichte, denn wenn die Fluth zu voller Höhe angewachsen ist, deckt sie vollkommen den harten Boden, und zwingt den Reiter in den weichen, lockern Sand der höher liegenden Dünen hinein, welcher sein Pferd gar bald ermüdet, daß es die schweren Hufe kaum weiter ziehen kann.

Etwa eine halbe Stunde später erreichte er wieder ein kleines, aber vollkommen seichtes Wasser, das sich nur mühsam durch den Sand dem Meere entgegenarbeitete, und diesem aufwärts folgend die Chagra des andern Brasilianers, von der aus er, quer durch die Hügel schneidend, die kleine Colonie Santa Clara bald erreichen konnte.