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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.

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»Aber solche Eile ist ja gar nicht nöthig.«

»Doch vielleicht – bis wann verläßt der Dampfer Santa Clara wieder?«

»Er – hat Ordre, zu warten, bis Sie bereit seien, falls Sie ihn zur Abreise benutzen wollten.«

»Nun, sehen Sie,« sagte Sarno, indem ein ironisches Lächeln um seine Lippen zuckte – »ich darf die Güte der Regierung doch nicht mißbrauchen – der Dampfer ist nach Rio bestimmt?«

»Ja«

»Sehr schön; in einigen Tagen denke ich ihn zu benutzen, übermorgen aber werde ich jedenfalls hier ausziehen, und meine Wohnung indessen im Gasthofe nehmen.«

»Es ist das wirklich nicht nöthig – ich bin bei dem Baron vortrefflich aufgehoben.«

»Ich glaube, die Sache ist damit abgemacht.«

»Wenn Sie es nicht anders wollen – so habe ich die Ehre, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen.«

Sarno verbeugte sich höflich, aber kalt gegen den Baron, und dieser verließ rasch das Zimmer, hatte aber kaum die Treppe betreten, als ein Brett unter seinen Füßen nachgab und er polternd die ziemlich steilen achtzehn Stufen mit einem furchtbaren Lärm hinab kollerte.

»Der Herr scheinen die neuen Colonietreppen noch nicht gewöhnt zu sein,« sagte Jeremias, der unten an der Treppe stand und mit einer seiner zierlichsten Verbeugungen den Hut abnahm – »haben sich doch nicht etwa Ihre werthen Arme oder Beine gebrochen?«

»Verfluchte Treppe!« brummte Herr von Reitschen, indem er sich kaum vom Boden zu heben vermochte, ohne daß ihm Jeremias jedoch die geringste Hülfe geleistet hätte – »eine schöne Ordnung hier im Hause, daß man nicht einmal sicher die Stiege betreten kann!«

»Schade um die hübsche Hose,« sagte Jeremias, auf das zerrissene Kleidungsstück deutend – »aber wenn's Bein nur ganz ist.«

Der neue Director hörte ihn nicht mehr und verließ hinkend das Haus, Jeremias aber stieg, vergnügt vor sich hin pfeifend, die Treppe wieder hinauf, holte dort einen Hammer und Holzstift, welcher letztere genau in die Stelle paßte, wo einer im Seitenbret fehlte, und hatte den Schaden in wenigen Minuten vollständig ausgebessert.

Der nächste Tag war ein lebendiger in der Colonie, denn während Sarno mit Herrn von Reitschen in dem Directionsgebäude arbeitete und wirthschaftete, schien indessen jede wirkliche Beschäftigung in dem Städtchen aufgegeben zu sein, und die Männer schlenderten in den Straßen herum oder saßen in den Wirthshäusern, theils die neuen Soldaten zu betrachten, theils sich ihre Bemerkungen über diesen, Keinem willkommenen Zuwachs mitzutheilen.

Und was war jetzt der neue Director für ein Mann, und weshalb hatte man ihnen den alten eigentlich nicht gelassen? Jetzt, da sie ihn verlieren sollten, fiel ihnen auf einmal Allen ein, daß er doch ein ganz tüchtiger und braver Mann gewesen, der es mit den Colonisten wirklich gut gemeint, und wie sich der neue zu diesen stellen werde, wußte man ja noch gar nicht. Außerdem war er ein Baron, kein Bürgerlicher, wie Sarno, und hatte sich auch gleich bei dem Baron Jeorgy einquartiert – weshalb ging er nicht in's Gasthaus, meinte Bohlos, denn wozu wären denn die Gasthäuser eigentlich da, wenn die Fremden nicht darin wohnen wollten?

Die vorläufige Unterbringung der Soldaten hatte ebenfalls ihre Schwierigkeit, denn kein Deutscher wollte diese Burschen, die nirgends in dem besten Rufe stehen und außerdem entsetzlich schmutzig und roh sind, in Quartier nehmen. Es blieb also zuletzt in der That nichts Anderes übrig, als sie vor der Hand in das Auswanderungshaus zu legen, obgleich hier schon zwei aus einer andern Colonie herübergekommene Familien einquartiert lagen. Den Colonisten wurden indessen von Herrn von Reitschen bedeutet, daß es nur für ganz kurze Zeit sei, da die Leute selber schon am nächsten Tage daran gehen sollten, Hütten für sich in der Nähe des Flusses zu errichten.

Nachmittags vier Uhr hatte Sarno seine Geschäfte mit dem neuen Director, so weit das bis zur vollständigen Übernahme geschehen konnte, beendet, als Könnern, der einen kleinen Ausflug in das innere Land gemacht, vor seiner Thür hielt, abstieg und zu Sarno hinauf ging.

»Sie kommen gerade recht,« rief ihm dieser lachend entgegen, »um Ihr eigenes Gepäck zusammen zu packen und mit mir auszuziehen. Wir sind Beide auf die Straße gesetzt.«

»Also ist es wirklich wahr?« sagte Könnern kopfschüttelnd – »ich hatte schon draußen vor dem Orte davon gehört, und der Herr, der mir da eben in der Thür begegnete…«

»Ist der neue Director, Herr von Reitschen.«

»Sein Gesicht gefällt mir nicht besonders – doch was thut das – ich werde mit dem Herrn in keine nähere Berührung kommen. Aber ist Schwartzau noch nicht zurück?«

»Noch nicht, doch kann er jeden Tag eintreffen, denn wir haben die letzten drei Tage einen festen Süder gehabt, der eine ganze kleine Flotte von Schoonern in den Fluß gebracht – und geschrieben hat er, daß er kommt. Apropos, Könnern, gehen Sie mit nach Rio?«

»Wann?«

»Jetzt – morgen oder übermorgen.«

Könnern hatte die Arme untergeschlagen und ging mit langsamen Schritten im Zimmer auf und ab; er beantwortete auch eine Zeit lang die Frage nicht; endlich sagte er leise: »Ich kann nicht – ich kann wenigstens jetzt noch nicht, bis sich mein Schicksal hier entschieden hat.«

»Könnern, Könnern, nehmen Sie sich in Acht!«

»Ihre Warnung kommt zu spät,« sagte der junge Mann, indem er vor Sarno stehen blieb und ihm treuherzig in's Auge sah.

»Und sind Sie schon so weit?«

»Weit?« seufzte Könnern; »ich stehe an der nämlichen Stelle, wo ich vor vier Wochen stand – ich habe Elisen seit jenem Tage, an dem ich zum ersten Male ihren Garten betrat, nicht wieder gesehen, also auch nie allein sprechen können, denn der Alte hütet sie ordentlich vor mir, und hat mich schon ein Dutzend Male von seiner Thür zurückgewiesen. Aber ich bin jetzt entschlossen, dem ein Ende zu machen. Ich glaube daß Elise mich wieder liebt, und ist dem so, dann können die Eltern keinen Grund haben, sie mir zu verweigern; ich bin vollkommen unabhängig und kann eine Frau ernähren.«

»Sie wissen, daß Meier ausverkaufen und von hier fortziehen will?« fragte Sarno.

»Kein Wort!« rief Könnern rasch.

»Er steht schon über seine Chagra in Unterhandlung, und zwar durch eine Mittelsperson, mit jenem Pulteleben, der bei der Frau Gräfin wohnt. Ich weiß es genau, und glaube jetzt fest, daß Sie die Ursache sind, die ihn hier forttreibt.«

»Es wäre entsetzlich wenn Sie Recht hätten!« sagte Könnern scheu; »und doch fürchte auch ich fast, daß dem so ist, denn welcher andere Grund könnte den Mann aus seiner freundlichen Häuslichkeit treiben.«

»Es wäre das wenigstens ein Zeichen, daß das Mädchen auch Sie liebt, und etwas Ähnliches den Eltern vielleicht erklärt hat. Sonst weiß ich nicht, weshalb eine solche Maßregel nöthig wäre. Ein Vater kann doch nicht immer gleich die ganze Gegend verlassen, wenn Jemand um seine Tochter anhält, der ihm aus dem einen oder andern Grunde nicht genehm ist.«

»Ich muß hin – ich muß noch heute hin!« sagte Könnern, seinen Spaziergang im Zimmer wieder fortsetzend – »ich muß wissen woran ich bin, und wenn mich Elise wirklich liebt, dann dürfen mir die Eltern ihre Hand nicht verweigern; sie dürfen ihr Kind nicht unglücklich machen um der Laune eines menschenscheuen Mannes wegen!«

»Mein lieber Könnern,« sagte Sarno ruhig, »wenn die Sache so steht, und Sie bis über die Ohren in die junge Dame wirklich verliebt sind, so werde ich natürlich meine Zeit nicht länger mit Bitten vergeuden, mich zu begleiten. Bleiben Sie hier und thun Sie, was Sie eben nicht lassen können. Um eins aber muß ich Sie bitten, schon Ihres Bruders wegen: handeln Sie nicht unüberlegt und wie ein junger, tollköpfiger Bursche von zwanzig Jahren. Heute Abend sind Sie aufgeregt – thun Sie keinen Schritt in der ersten Aufwallung, der Sie nachher vielleicht gereuen könnte und nie wieder gut zu machen ist. Beschlafen Sie die Sache; denken Sie mit kaltem Blute darüber nach, und wenn Sie morgen nach dem Frühstück noch genau derselben Meinung sind wie heute, gut, dann thun Sie was Sie wollen!«

»Aber welchen Grund könnten Sie haben, einen solchen Schritt für unüberlegt zu halten? Elise…«

»Ist ein Engel, wie ich keinen Augenblick zweifle,« unterbrach ihn lächelnd Sarno; »aber,« setzte er ernster hinzu – »man heirathet zu Zeiten nicht allein die Geliebte, sondern auch die Schwiegereltern mit, und – mein Rath geht eben nur dahin, sich vorher über deren Verhältnisse doch ein wenig genauer zu unterrichten. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß mir der alte Meier nicht besonders gefällt, denn daß er sich so ängstlich von jedem Menschen zurückhält, kann recht gut einfache Scheu vor einem geselligen Umgange – es kann aber auch etwas Anderes sein, und ich habe in den zwölf Jahren, in denen ich mich in den Colonien herumtreibe, schon ganz merkwürdige und oft wunderliche Erfahrungen gemacht.«

»Sie glauben doch nicht das alberne Geschwätz Zuhbel's?«

»Zuhbel ist ein Schwätzer, und wenn Alles wahr wäre was er sagt, so verdiente ich zum Beispiel gehängt zu werden.«

»Und hat jener Meier in der Zeit seines hiesigen Aufenthalts irgend Etwas gethan, was…«

»Nichts – gar Nichts – er hat sich stets als einen fleißigen, anständigen Menschen gezeigt.«

»Dann überlassen Sie mich auch meinem Schicksal,« sagte Könnern freundlich. »Ich will Ihrem Rathe folgen und erst morgen früh hinüberreiten – alles Andere mag sich aber dort entscheiden.«

5
Die Cigarrenfabrik

In dem Hause der Frau Gräfin Baulen hatte sich indessen, und in dem kurzen Zeitraum von wenigen Wochen, außerordentlich viel verändert. Das ganze Haus war eigentlich auf den Kopf gestellt, und so still es sonst gewesen, glich es jetzt einem Bienenstock, in dem eine Menge von fremden Menschen täglich ein und aus schwärmte – wenn sie auch eben keinen Honig eintrugen.

Der sogenannte »Gartensalon« unten, wie man früher das größte Zimmer genannt, war nämlich in eine Werkstätte verwandelt worden, in der sieben kleine Tische mit eben so vielen Stühlen standen, während auf jedem ein dickes, viereckiges Brett aus hartem Holz und ein kleines Messer lagen.

 

Fünf von diesen waren mit Arbeitern in Hemdsärmeln besetzt, die Haufen von Tabaksblättern neben sich liegen und ein Kistchen oder einen Korb dabei stehen hatten, in denen fertige und noch feuchte Cigarren aufgeschichtet lagen, und in der Stube selber, an eingeschlagenen derben Nägeln waren Seile ausgespannt, auf denen breite Deckblätter zu oberflächlichem Abtrocknen aufgehangen waren.

Die Fenster waren geöffnet, theils um die milde Luft herein, anderntheils um den dichten Tabaksqualm hinaus zu lassen, denn die fünf Cigarrenmacher rauchten die eben gewickelten und noch biegsamen Cigarren mit einer wahren Leidenschaft. Allerdings hatte ihnen das die Frau Gräfin im Anfange nicht gestatten wollen, und in den ersten Tagen war es nur Oskar und Herrn von Pulteleben erlaubt gewesen, im Hause zu rauchen. Da sich die Leute aber zu arbeiten weigerten, wenn sie nicht ihre Cigarre dabei rauchen dürften, und sogar die Bibelstelle mit dem dreschenden Ochsen und dem Maulverbinden citirten, sah sich die Frau Gräfin genöthigt, in ihrer Strenge nachzulassen. Es hatte überdies Mühe genug gekostet, Leute aufzutreiben die im Cigarrendrehen erfahren waren, und es hing jetzt Alles davon ab, eine größere Quantität fertig zu bringen und auf den Markt zu werfen.

Die beiden jetzt leer stehenden Tische im unteren Zimmer verriethen vor den übrigen eine kleine Auszeichnung. Erstlich standen Rohrstühle davor, und dann hatten die auf dem Brette liegenden Messer Perlmuttergriffe.

Hier sollten oder wollten Herr von Pulteleben und Oskar arbeiten, und in der ersten Woche waren sie auch in der That die Ersten und Letzten dabei gewesen. Dieser Eifer aber verrauchte freilich bald, und Oskar erklärte schon am Montag Morgen der zweiten Woche, daß er nicht nach Brasilien gekommen wäre, um »wie ein Sclave zu schanzen«, er hätte sich sonst gleich von vorn herein schwarz anstreichen lassen.

Herr von Pulteleben hielt länger aus; er ging wenigstens ab und zu in die Fabrik, um einestheils die Arbeiter zu überwachen, anderntheils aber auch einmal ein paar Dutzend Cigarren fertig zu bringen, die aber freilich alle noch eine solche außergewöhnliche Form hatten, daß er sie selber rauchen mußte und nur einzeln zwischen die regelrecht gefertigten der Arbeiter einschieben konnte. Mit dem Wickeln selber ging es noch so ziemlich, aber er brachte die Spitze nicht zu Stande, die sich in die verschiedensten phantastischen Formen drehte und manchmal lang und dünn auslief, oft aber mit Kleister zum Zusammenhalten gezwungen werden mußte.

Selbst in die Zimmer der Frau Gräfin waren die unnatürlichen Auswüchse der Cigarrentische gedrungen, und diese selber gab sich hier mit Helenen derselben Beschäftigung hin. Helene entwickelte vor allen Anderen einen wahrhaft eisernen Fleiß in diesem neuen und ihr wahrlich fremden Wirkungskreise. Mit der ihr in allen anderen Dingen eigenen Geschicklichkeit hatte sie rasch gelernt, nicht allein rauchbare, sondern auch gut aussehende Cigarren in regelmäßiger Form anzufertigen, und schon nach drei Wochen arbeitete sie kaum weniger rasch, als irgend einer der angestellten Gehülfen.

Wie sich aber die Arbeit bei ihr förderte, schien auch ein anderer, besser Geist über sie zu kommen; sie schien heiterer, glücklicher zu werden, und wenn sie sich des Gedankens vielleicht selber nicht ganz klar wurde, war es doch wohl nur ein Gefühl größerer Selbstständigkeit, das sie durchzuckte, wenn sie sich bewußt wurde, ihr Brod im Nothfall selber verdienen zu können.

Jeder wirklich edle Charakter hat dieses Gefühl, mag ihn das Schicksal in eine Stellung geworfen haben, in welche es wolle – jeder sollte es wenigstens haben, denn es ist die einzige »Lebensversicherung«, die uns der Zukunft darf getrost in's Auge schauen lassen.

Helene, mit einem empfänglichen Herzen für alles Schöne und Gute, das selbst durch die schlaffe, leichtsinnige Erziehung ihrer Mutter nicht in ihr ertödtet werden konnte, hatte schon lange schmerzlich den Kampf empfunden, den diese gegen das Leben ankämpfte, nur um eine leere, äußere Erscheinung aufrecht zu erhalten, und wenn sie sich bis dahin selber machtlos gefühlt, das zu ändern, eröffnete plötzlich diese neue Beschäftigung ihr dazu die Aussicht. Daß ihre Mutter nur durch die äußerste Nothwendigkeit zu einem solchen Schritte getrieben war, sah sie recht gut ein; aber sie dankte Gott dafür, und nur manchmal beschlich sie, nach Andeutungen die jene fallen ließ, ein eigenes dunkles Gefühl, daß von der sonst so stolzen Gräfin dieses Mittel, sich eine Stellung im Leben zu erzwingen, nicht ernstlich gemeint sei, ja, nur als augenblickliche Aushülfe betrachtet werde und einem andern, tiefer liegenden Zwecke dienen solle. Und welchem? Comtesse Helene preßte die feingeschnittenen Lippen fester zusammen und ihr Auge nahm wieder jenen alten, zornigen Trotz an, den die letzten Wochen fast daraus verbannt hatten – aber sie dachte den Gedanken nie aus und arbeitete dann nur um so rüstiger weiter, um die ihr noch so nöthige Fertigkeit in ihrer neuen Beschäftigung zu erlangen.

Die Frau Gräfin selber hatte wohl auch ein paar Mal begonnen Cigarren zu machen, aber es war stets nur bei einem leider nicht mit Erfolg gekrönten Versuche geblieben. Selbst Jeremias weigerte sich, die von ihr angefertigten Cigarren zu rauchen, weil er behauptete, er bekäme die Schwindsucht dabei und zöge sich die Seele aus dem Leibe. Das Fabrikat mußte stets wieder zu Einlagen für andere verwendet werden.

Jeremias hatte übrigens in der neuen »Fabrik« eine nicht unbedeutende Wichtigkeit erlangt, da sich sehr bald herausstellte, daß er die einzige Person im Hause sei, die wirklich Etwas von Tabaksblättern verstand und eingesandte Proben beurtheilen konnte. So oft man aber auch versuchte, ihn zu thätiger Mitwirkung bei der allgemeinen Leidenschaft zu veranlassen, so oft schlug er jedes solches Anerbieten auf das Entschiedenste aus, und nahm sich nur die Interessen seines Gutachtens in fertiger Waare, besonders von Oskar's Tische, der auch nur für eigenen Bedarf zu arbeiten schien.

Herr von Pulteleben war außer Helenen noch der Fleißigste der Familie, zu der er sich jetzt vollkommen zu zählen schien, und besonders veranlaßte ihn dazu wohl die schon merkliche Abnahme seines kleinen Capitals, das noch dazu nicht Alles in den Ankauf von rohem Tabak und die Bezahlung der Arbeiter gesteckt war.

Die Frau Gräfin hatte, da der schon so lange erwartete Wechsel angeblich noch immer nicht eingetroffen (er war in der That angekommen, aber auch augenblicklich verausgabt worden, um nur die dringendsten Gläubiger zu befriedigen), einige kleine Anlehen gemacht, um, wie sie Herrn von Pulteleben sagte, besonders Helenens Garderobe in Etwas zu restauriren und dann einige andere höchst nöthige Verbesserungen in ihrer Wirthschaft zu treffen, und die Einnahme der fertigen, aber noch nicht abgelagerten Cigarren stellte sich außerdem als viel geringer heraus, als man im Anfang erwartet haben mochte.

Herr von Pulteleben begann nachzudenken. Die ersten Zweifel stiegen in ihm auf, ob er hier auf brasilianischem Boden wohl auch gleich die richtige Speculation getroffen habe, in sehr kurzer Zeit ein reicher Mann zu werden, und zwar ohne fremde Hülfe, aus eigener Geistesfähigkeit und Ausdauer – denn das mitgebrachte und ebenfalls nicht selber verdiente Geld rechnete er natürlich gar nicht. Hinter dem Allem aber schwebte freilich das Bild Helenens, deren Reize einen unwiderstehlichen Zauber ausübten und ihn noch immer nicht recht zur Besinnung kommen ließen.

Hatte er sich gleich im ersten Augenblick von ihrer lieblichen Erscheinung gefesselt gefühlt, so festigte sich das Band, das ihn zu ihr hinzog, mit jedem Tage mehr und mehr, trotzdem ihm das schöne Mädchen nicht die geringste Ermuthigung gab, an eine gegenseitige Neigung glauben zu dürfen. Sie war stets mehr höflich und artig als freundlich gegen ihn; sie ging, so muthwillig sie auch sonst sein konnte, nie auf die Scherze ein, die Oskar oft in kindischer Ungezogenheit mit ihrem neuen Hausgast trieb, denn Oskar war nicht gewohnt, irgend eine Verbindlichkeit gegen Jemanden in der Welt anzuerkennen, selbst nicht einmal gegen seine eigene Mutter. Helene aber wußte, daß sie Alle dem Fremden Dank schuldig seien, sie, wenn auch nur für den Augenblick, aus einer Lage befreit zu haben, in die sie die unbedachte und zwecklose Verschwendung ihrer Mutter gebracht; aber sie fühlte sich dadurch gedrückt, denn Herr von Pulteleben war keine Persönlichkeit, der sie mit freudigem Herzen Etwas hätte danken mögen.

Arno von Pulteleben legte aber selbst diese oft nur kalte Höflichkeit stets zu seinen Gunsten und seinen eigenen Wünschen gemäß aus, denn er besaß eine vortreffliche Meinung von sich selber, und hatte ihn der Rangesunterschied bei dem ersten Begegnen auch etwas schüchtern gemacht, so schwanden diese Bedenken immer mehr und mehr, als er erst einmal die Überzeugung gewann, daß die gräfliche Familie, vor der Hand wenigstens, nicht die ihrem Rang entsprechenden Mittel besaß, und die Frau Gräfin selber auf das Herablassendste seine pecuniäre Hülfe in Anspruch nahm.

Die Sache hatte aber trotzdem ihren Haken; denn wenn sie mit ihrem Geschäfte wirklich nicht reussirten, ehe der fabelhaft lange ausbleibende Wechsel der Frau Gräfin ankam, so konnte er in eine Lage kommen, die ihm viel zu fremd war, um sich vor der Hand auch nur selber hineinzudenken; denn was er auch immer der Gräfin von dem seiner daheim noch wartenden Vermögen erzählt haben mochte, selber hegte er keineswegs die großen Erwartungen, die er in ihr erregt hatte. Desto fester aber glaubte er an eine freundliche Mythe, die, in dem Kopfe der Frau Gräfin entsprungen, ein sehr bedeutendes Rittergut in Ungarn zur Basis hatte, das jetzt durch ihren Anwalt verkauft wurde, und dessen Ertrag dann ohne Weiteres an sie übermacht werden sollte.

Die Frau Gräfin hatte ihm das eines Tages, als sie allein beisammen waren, unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt, denn Helene sollte nichts von dem Verkaufe wissen, weil sie kindischer Weise noch zu sehr an dem alten Stammgut hing.

Bis diese Gelder aber ankamen, mußte mit dem noch vorhandenen und allerdings schon sehr zusammengeschmolzenen Capital gewirthschaftet werden, und obgleich er selber Nichts in der Welt weniger als Geschäftsmann war, konnte er sich doch nicht verhehlen, daß ihre Ausgaben mit ihren Einnahmen auch nicht in dem geringsten Verhältniß standen. Ging die Sache also noch lange so fort, so mußte die Zeit eintreten, in welcher seine Baarschaft verausgabt war – und was dann? Er beschloß deshalb, ganz ernsthaft mit der Frau Gräfin zu reden – er war ihr das ja sogar schuldig – und sie konnten dann gemeinsam einen Plan entwerfen, wie – ja, er wußte eigentlich selber noch nicht recht, über was – aber das ergab sich dann ja auch schon in der Unterhaltung.

Es waren, wie schon gesagt, heute Morgen wieder frische Proben von Blättertabak eingesandt worden, und während Helene allein in ihrer Stube, mit ihrer Arbeit und ihren Gedanken beschäftigt, saß, hatte die Frau Gräfin mit Jeremias den Tabak geprüft und die Sorten ausgesucht, welche sie für die besten zur Bearbeitung hielten. Damit im Reinen, wurde Herr von Pulteleben gerufen, um zu einer abgemachten Sache seine Zustimmung und dann, die Hauptsache, die schriftliche Ordre zum Ankaufe zu geben, da die Frau Gräfin die etwas unangenehme Erfahrung gemacht hatte, ihre eigene Handschrift in der Geschäftswelt nicht besonders respectirt zu sehen.

Oskar lag auf dem Sopha, rauchte eine von ihm selbst gewickelte Cigarre und pfiff in den Pausen eines von Helenens Liedern. Was kümmerten ihn die Geschäfte!

Vor dem Zimmer stand ein Tausend Cigarren, das Oskar übernommen gehabt hatte, schon gestern Abend zu dem Geistlichen zu befördern und das Geld dafür mitzubringen, und Herr von Pulteleben ärgerte sich, daß der junge Bursche nicht allein zu gar Nichts zu bringen war, sondern sogar noch wie zum Hohn hier ausgestreckt auf dem Sopha lag.

»Ach, lieber Baron,« sagte die Gräfin, als er eintrat, und ohne seinen auf Oskar geschleuderten, eben nicht freundlichen Blick zu beachten – »wir haben hier den Tabak ausgesucht – sehen Sie, diese beiden Sorten – von der einen zwölf Aroben zu Einlage und drei Aroben von der andern zu Deckblatt – ich denke, das wird vorläufig genug sein, und wir können erst einmal mit der kleinen Quantität versuchen, wie sich die Cigarren machen werden. Von wem ist der Tabak, Jeremias?«

»Von Köhler's Chagra,« sagte der Angeredete, indem er sich von dem Tische ebenfalls eine Cigarre nahm und sie abbiß – »er hat aber gesagt, er gäb' ihn für den Preis nicht anders, als um baar Geld lacht – die landesübliche Münzsorte.«

 

»Ich denke, daß ihm sein Geld bei uns sicher ist,« sagte die Frau Gräfin, ärgerlich den Kopf zurückwerfend.

»Kann wohl sein,« meinte Jeremias, die abgebissene Spitze in die Ecke spuckend – »er denkt's aber nicht, und ist dumm genug, das Geld lieber in der eigenen Tasche wie bei fremden Leuten zu haben – mit Erlaubniß – damit ging er an das Feuerzeug und wollte sich ohne Weiteres seine Cigarre anzünden; die Frau Gräfin schien aber nicht gesonnen, ihm alle Freiheiten zu gestatten.

»Sie wissen doch, Jeremias,« sagte sie streng, »daß ich Niemandem gestatte, in meinem Zimmer zu rauchen – meinem Sohne ausgenommen,« fuhr sie fort, als sie bemerkte, wie Jeremias einen halb lächelnden Blick nach Oskar hinüber warf – »ich dulde keine Unverschämtheit.«

»Reden wir nicht weiter davon,« sagte Jeremias, indem er die Cigarre in die Tasche schob und mit dem Fuße den neben ihm liegenden Haufen Blättertabak etwas lockerte – »Sie können wahrscheinlich den Tabaksgeruch nicht vertragen. Soll ich dem Köhler das Geld gleich mit hinauf nehmen? denn er wollte sofort Antwort haben, weil jetzt gerade Gelegenheit ist, den Tabak nach Rio Grande zu schicken.«

»Kommen Sie nachher wieder herauf,« sagte Herr von Pulteleben, die Antwort umgehend – »ich habe augenblicklich mit der Frau Gräfin noch zu reden.«

»Hm,« sagte Jeremias, aus einer etwas engen Uhrtasche eine riesige, beinahe kugelrunde Taschenuhr herauszwängend und den silbernen Deckel derselben öffnend – »jetzt ist's in sechs Minuten zehn; um halb elf muß ich spätestens fort, wenn ich zu Mittag wieder da sein will. Wäre mir lieb, wenn ich bei der Gelegenheit auch gleich meinen rückständigen Lohn bekommen könnte, um meine eigenen Rechnungen zu bezahlen« – und mit den Worten schlenderte er langsam zur Thür hinaus.

»Der Bursche wird mit jedem Tage unverschämter!« sagte die Gräfin, als er das Zimmer kaum verlassen hatte – »und wenn Du seine Übergriffe duldest, Oskar, so habe ich nicht Lust, dem noch länger ruhig zuzusehen. Entweder er muß sich seiner untergeordneten Stellung fügen, oder das Haus verlassen.«

»Und wo willst Du einen Andern herbekommen?« sagte Oskar, ein Bein über das andere legend.

»Mein lieber Oskar,« fiel hier Herr von Pulteleben ein, »es ist nicht allein Jeremias, der sich ändern muß, wir werden Alle unsern Beruf ein wenig mehr in's Auge fassen müssen, wenn wir es wirklich zu Etwas bringen wollen.«

»Puh,« sagte Oskar, den Dampf zu gleicher Zeit ausblasend – »wollen Sie einmal wieder Moral lesen? Verderben Sie uns den schönen Tag nicht.«

»Moral gar nicht,« sagte Herr von Pulteleben piquirt – »aber ein klein Wenig müssen Sie doch auch mit zufassen, wenn nicht Alles rückwärts gehen soll. Die Cigarren zum Beispiel, die Sie schon gestern Abend an den Pfarrer Beckstein besorgen und das Geld dafür eincassiren wollten, stehen noch immer draußen, und wenn es auch nur zwanzig Milreis sind, so brauchen wir sie doch, um die laufenden Ausgaben zu decken.«

»Aber weshalb, zum Henker, schicken Sie da nicht den Jeremias?« – rief Oskar mit gerunzelter Stirn – »glauben Sie, daß ich Ihren Laufburschen machen soll?«

»Mein lieber Baron,« sagte die Frau Gräfin, »Oskar hat da wirklich Recht. Ich sehe auch nicht ein, weshalb das Jeremias nicht eben so gut besorgen kann.«

»Aber Jeremias,« meinte Herr von Pulteleben, »kann die wenigen Stunden, die er überhaupt hier ist, viel nützlicher beschäftigt werden, und Oskar hat auf der Gottes Welt Nichts zu thun…«

»Als Ihnen aufzuwarten, nicht wahr?« rief der junge Bursche, ärgerlich vom Sopha aufspringend – »es wird doch wahrhaftig alle Tage besser,« und das Zimmer verlassend, schlug er die Thür hinter sich zu, daß die Scheiben klirrten.

Herr von Pulteleben blieb mit der Frau Gräfin allein zurück, und zwar in der peinlichsten Verlegenheit, denn wenn er sich auch in seinem vollen Recht wußte und nicht das geringste Unbillige verlangt hatte, fühlte er doch, daß die Frau Gräfin selber einen andern Standpunkt einnahm, und mochte um Alles in der Welt ihr nicht feindlich entgegen treten. War sie nicht Helenens Mutter und mußte er nicht schon Helenens wegen in allen solchen, doch eigentlich Nichts bedeutenden Kleinigkeiten nachgeben? Und doch hatte er gerade heute Morgen mit der Frau Gräfin über ihre beiderseitige, sich schwieriger gestaltende Situation sprechen wollen, wenn die Frau Gräfin nur gerade nicht in diesem Augenblick so entsetzlich stolz und vornehm ausgesehen hätte.

Ob diese etwas Ähnliches vermuthete? Dann war sie jedenfalls augenblicklich im Vortheile, und nicht die Frau, einen solchen unbenutzt zu lassen.

»Sie haben Oskar ganz unnöthiger Weise gereizt, lieber Freund,« sagte sie, zu ihrem Schreibtische gehend und ein Flacon öffnend, an das sie mehrmals roch – »diese Scenen greifen meine Nerven an – Sie müssen doch bedenken, daß er noch ein ganz junger Mensch ist, der nicht die reifere Erfahrung des Alters haben kann, und das Leben stets von einer leichten, ich will nicht läugnen, oft zu leichten Seite betrachtet. Mit guten und freundlichen Worten ist er aber zu Allem zu leiten.«

»Frau Gräfin,« stammelte von Pulteleben verlegen, »ich will nicht abstreiten, daß ich vielleicht zu rauh gewesen bin, aber – aber die Schwierigkeit – die Ungewißheit unserer augenblicklichen Verhältnisse…«

»Schwierigkeit? – Ungewißheit?« sagte die Gräfin erstaunt – »ich verstehe Sie nicht.«

»Sie werden mir zugeben, daß« – fuhr Herr von Pulteleben verlegen fort, und stak dann fest.

»Zugeben? Was?« fragte die Gräfin ruhig.

»Daß unser Unternehmen doch noch keineswegs gesichert ist,« setzte der junge Mann mit einer Art von verzweifeltem Entschluß hinzu – »meine Aus – unsere Ausgaben sind sehr bedeutend und die Einnahmen bis diesen Augenblick noch außerordentlich gering gewesen.«

»Und ist das meine Schuld?« fragte die Gräfin streng.

»Um Gottes willen, verstehen Sie mich nicht falsch,« bat Herr von Pulteleben in Todesangst – »ich meine ja nur, daß wir bis jetzt entsetzlich wenig für die Cigarren gelöst haben. Die viertausend Stück, welche der Wirth, Herr Bohlos, bekommen hat, wurden nicht bezahlt, weil der Mann eine Gegenrechnung brachte, die Oskar…«

»Ja, leider, einer seiner jugendlichen Streiche,« sagte die Gräfin seufzend, – »ich habe ihm aber auch meine Meinung darüber gesagt und es wird nicht wieder geschehen.«

»Unglücklicher Weise traf es sich auch, daß unser erster Ankauf des Tabaks so gänzlich mißlang.«

»Lieber Gott,« sagte die Dame achselzuckend, »das wissen Sie ja selber, daß man in jeder Sache erst einmal Lehrgeld bezahlen muß. Ich glaubte einen ganz ausgezeichneten Kauf zu machen, glaubte mit einem ehrlichen Manne zu thun zu haben, und wurde auf das Schändlichste betrogen. Der nächste Tabak war dagegen vortrefflich, und dieser Herr Buttlich hat unsere Kundschaft für immer verloren.«

»Der Bäckermeister – wie heißt er gleich« – fuhr Herr von Pulteleben seufzend fort – »hat ebenfalls dreitausend Cigarren nicht bezahlt, weil er es von der Miethe abziehen will.«

»Das ist so gut wie baar Geld,« lächelte die Gräfin – »denn wir müßten es ihm sonst ja wieder herauszahlen.«

»Und der Kaufmann oben an der Ecke, von woher Sie Ihren Bedarf gezogen haben – «

»Aber, bester Freund,« sagte die Gräfin gereizt, »das sind ja lauter Gegenrechnungen, bei denen wir nur gewinnen, daß wir einen solchen Betrag in unserem Fabrikat bezahlen können. Werfen Sie mir vor, daß wir leben?«

»Ich? Aber ich bitte Sie, Frau Gräfin!« rief Herr von Pulteleben bestürzt – »ich erwähne diese einzelnen Posten ja nur, um Ihnen zu beweisen, daß wir schon eine ziemliche Quantität von Cigarren verarbeitet, durch ungünstige Umstände aber kein baares Geld dafür einbekommen haben. Mein an sich eben nicht übergroßes Capital schmilzt dabei mehr und mehr zusammen, und ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie von dem Umstande in Kenntniß zu setzen, damit wir nicht plötzlich einmal in – in Verlegenheit geriethen. Ein Geschäftsmann sollte doch eigentlich auf alle Zufälligkeiten gefaßt sein.«