Za darmo

Der Erbe. Dritter Band.

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»Man hatte keine Beweise,« sagte Witte, »und die Sache schlief die langen Jahre. Das Wunderbare aber dabei ist, daß selbst Sie den wahren Thatbestand nicht kannten. Ja, mein gnädiges Fräulein, wenn Sie auch noch so höhnisch lächeln, ich bestehe doch auf meiner Behauptung. Sie glaubten nämlich damals, daß die Baronin von Wendelsheim eine Tochter geboren habe, die wenige Tage oder Wochen später gestorben sei; die Thatsache aber ist, daß sie einen Sohn geboren hat, der bis zu dieser Stunde noch lebt und wohl und gesund ist, und jenes nichtswürdige Weib, die Heßberger, nur den Tausch vollbrachte und Ihnen einen andern Knaben unterschob, um sich den reichen, in Aussicht gestellten Gewinn nicht entgehen zu lassen.«

Die Wirkung, welche diese Worte auf das Fräulein von Wendelsheim machten, war merkwürdig. Ihr Gesicht nahm eine fast erdfahle Färbung an, die Augen traten ihr aus den Höhlen, ihre Lippen öffneten sich, und den magern rechten Arm, der wie in Fieberfrost hin und wieder flog, vorstreckend, stand sie so für einen Augenblick dem Staatsanwalt gegenüber. Endlich stammelte sie: »Eine Lüge – eine schändliche – teuflisch erfundene Lüge!«

»Mein gnädiges Fräulein,« sagte Witte, »ich bin nicht besonders empfindlich und verzeihe Ihnen in der jetzigen Aufregung gern ein hartes Wort, aber Sie werden auch einsehen, daß Sie dadurch Ihre Sache nur verschlechtern, nie verbessern können. Erlauben Sie mir deshalb, Ihnen einfach zu sagen, weshalb ich hergekommen bin, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen nichts mittheile, was ich nicht durch lebende Zeugen beweisen kann. Ich verlange von Ihnen vor der Hand kein Eingeständniß des Geschehenen, und bitte Sie nur, die Thatsache im Gedächtnisse zu behalten, daß der Familie Wendelsheim ein wirklicher, leiblicher Erbe lebt und der bisherige Baron, Bruno von Wendelsheim genannt, ein untergeschobenes Kind ist. Ich kenne Sie dabei als Frau von klarem, ruhigem und sehr scharfem Verstand , und bin einzig und allein deshalb hier herausgefahren, um mit dem Baron und Ihnen – oder unter den jetzigen Umständen mit Ihnen allein – zu überlegen, wie und auf welche Art der wirkliche Erbe am besten wieder in seine Rechte einzusetzen und der vermeintliche auf irgend eine zu arrangirende Art zu entschädigen sei, ohne dabei Ihren Namen zu compromittiren. Ich muß Ihnen dabei gestehen, daß ich selber um einen Ausweg verlegen bin; aber ich möchte, wenn es irgend möglicher Weise anginge, den Eclat von Ihrem Hause abwenden. Sie sehen daraus, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund zu Ihnen komme.«

Witte hatte sich in der Frau vollständig verrechnet. Er war ihr mit der festen Ueberzeugung gegenübergetreten, daß er sie mit den nach einander aufgehäuften Thatsachen jedenfalls zerschmettern und augenblicklich zu einem Bekenntniß ihrer Schuld bringen würde, wenn er sie eben um gar nichts fragte, sondern ihr im Gegentheil zeige, daß er schon Alles wisse. An wen anders konnte sie sich dann nachher um Hülfe anklammern, wenn er selber ihr die Hand dazu bot? Aber er hatte in seiner Berechnung einen Factor zur Geltung gebracht, der in dem Nervensystem des gnädigen Fräuleins gar nicht existirte: das Gewissen – und darum stimmte das Facit nicht.

In den Zügen des Fräuleins war schon, während er noch sprach, eine auffallende Veränderung vorgegangen; das erst vor Schreck und Ueberraschung weitgeöffnete Auge hatte sich wieder zusammengezogen, der Mund geschlossen; aber die rechte Hand blieb noch wie krampfhaft geballt, und erst als er geendet, sagte sie, aber jetzt mit ruhiger, wie spöttischer Stimme: »Und war das Alles, was mir der Herr Staatsanwalt mitzutheilen hatte?«

Witte erschrak; er glaubte schon Grund gefaßt zu haben, und fühlte jetzt, daß ihm der Boden wieder unter den Füßen wegging. »Nein, mein gnädiges Fräulein,« sagte er rasch, »denn Sie scheinen noch immer an meinen Worten zu zweifeln; aber Sie wissen vielleicht nicht, daß das Heßberger'sche Ehepaar hinter Schloß und Riegel sitzt und…«

»Wollen Sie etwa behaupten,« fuhr die Dame auf, »daß jenes Weib etwas gegen mich aussagt? Aber,« setzte sie plötzlich kalt und höhnisch hinzu, »wie ich eben so gut weiß, daß das unmöglich ist, so sehe ich auch an Ihrem Gesicht, daß es nicht geschehen ist! Sie selber spielen dabei jedoch eine klägliche Rolle, Herr Staatsanwalt, wie Sie wohl einsehen werden, und fallen mit Ihrem Versuche, einer Familie ein Geheimniß aufdrängen zu wollen, in der gar keins besteht, sehr traurig ab – ich glaube, Ihr Geschäft ist jetzt hier erledigt.«

»Und verlangen Sie nicht einmal den Namen des rechtmäßigen Erben, ihres eigenen Neffen, zu wissen?« sagte Witte, wirklich ganz durch diese starre Ruhe außer Fassung gebracht.

»Es wird sich gleich bleiben,« erwiederte Fräulein von Wendelsheim, selbst nicht einmal die Schwäche der Neugierde verrathend, »ob Sie beabsichtigten, uns einen Schuster oder Schneider unterzuschieben. Ich will nichts weiter von der Sache hören und ersuche Sie jetzt ganz ernstlich, mich zu verlassen.«

»Auch noch hinausgeworfen für meinen guten Willen – versteht sich!« lachte Witte bitter vor sich hin, indem er von seinem Stuhl aufstand und seinen Hut nahm. »Aber, mein gnädiges Fräulein, Sie haben sich jetzt auch die Folgen selber zuzuschreiben – ich hatte gehofft, die Sache…«

»Da mich Ihre Hoffnungen nicht im mindesten interessiren, Herr Staatsanwalt,« sagte die Dame, »so ersuche ich Sie, das Gespräch draußen fortzusetzen – ich habe Ihr Geschwätz jetzt satt.«

»Sehr schön, mein gnädiges Fräulein!« rief Witte, dem das denn doch zu arg wurde, indem er sich aber vorsichtiger Weise nach der Thür zurückzog, denn der in diesem weiblichen Unhold schlummernde Drache schien sich zu regen. »Von meinem Geschwätz sollen Sie nicht länger belästigt werden, aber vielleicht gefällt Ihnen dann eine Vorladung vor Gericht besser, die…«

Die Dame fuhr mit so zornsprühenden Augen auf ihn ein, daß er es für das Beste hielt, das Zimmer zu verlassen; denn er hielt sie in ihrem jetzigen Zustand, gereizt und zum Aeußersten getrieben, auch zu Allem fähig. Er mochte aber dabei die Thür wohl etwas rascher auf- und wieder zugemacht haben, als das in der gewöhnlichen gesellschaftlichen Form die Sitte erheischt, und als er draußen aufblickte, sah er durch den einen Fensterflügel durch, den sie in der Hand hielt und gerade abputzte, in das vergnügt grinsende Gesicht der Magd, die etwas Anderes gar nicht erwartet zu haben schien.

»Na, war's hübsch?« flüsterte das boshafte Geschöpf auch noch, als er, ohne sie weiter zu beachten, an ihr vorüberschreiten wollte; aber er hielt es natürlich nicht der Mühe werth, ihr eine Antwort zu geben, und eilte, so rasch er konnte, die Treppe hinunter und auf den Stall zu, wo er sich augenblicklich sein Pferd wieder einschirren ließ. Der Knecht schien sich zu gern in ein Gespräch mit ihm einlassen zu wollen, um zu erfahren, wie es oben abgelaufen. Witte fühlte sich aber nicht in der Stimmung, drückte ihm ein gutes Trinkgeld in die Hand, setzte sich auf und fuhr in einem scharfen Trab zum Thor hinaus. Er war auch dabei sehr unzufrieden mit sich selber, denn er hatte bei dem ganzen verunglückten Versuch, die Sache durch einen entscheidenden Schritt zu erledigen, nicht allein nichts erreicht, sondern vielleicht eher Schaden angerichtet, und gar nicht zu seiner besondern Erbauung fiel ihm in dem nächsten Augenblick der Major und Rath Frühbach ein, die etwa in ähnlicher Weise von Vollmers abgezogen waren. Jene handelten freilich nur auf einen Verdacht, er selber aber auf die Gewißheit der Thatsachen hin; doch was halfen ihm die, so lange es ihm an Beweisen dafür fehlte, und mit denen sah er sich vollständig auf den Sand gesetzt.

Heßberger, total gebrochen und eingeschüchtert, hatte allerdings Alles, was man von ihm wollte, gestanden, die Heßberger selber aber, bei welcher er dann, aber auch noch ganz privatim, den Versuch gemacht, um eine Zustimmung von ihr zu erhalten, kalt und höhnisch erwiedert, sie wisse von nichts, und als er ihr endlich das Zeugniß ihres Mannes vorhielt, geantwortet, dann erledige sich die Sache von selber. Möglich, daß die verstorbene Frau Baronin die Absicht gehabt habe, einen solchen Tausch zu machen, falls ihr eine Tochter geboren würde – sie könne es nicht sagen und die Frau auch nicht mehr fragen, denn sie wäre todt; dann hätte sich das aber auch natürlich durch die Geburt eines Sohnes unnöthig gezeigt und jede Mutter ihr eigenes Kind erzogen.

Dabei blieb sie, und dagegen würde selbst Heßberger's Zeugniß nichts geholfen haben. Durch diesen konnte allerdings der Versuch eines Betrugs constatirt werden, aber nie die Ausführung desselben und der wirkliche Tausch. Die Kinder waren ihm im Dunkeln überliefert worden, und er selber hätte nie im Leben beschwören können, ob er dasselbe Kind oder ein anderes dafür zurückgetragen.

Aber jetzt half es nichts mehr; er war schon zu weit gegangen, um noch zurück zu können. Auf der einen Seite drängte ihn der alte Baumann selber, die Sache zum Abschluß zu bringen, auf der andern war er jetzt der Gefahr ausgesetzt, daß dieses entsetzliche Fräulein von Wendelsheim sogar eine ähnliche Klage gegen ihn richtete, wie die Frau Müller gegen den Major. Bis zu diesem Augenblick hatte er Alles allein auf eigene Faust und im Stillen betrieben, nun ging das nicht länger; er mußte selber die Anzeige beim Gericht machen. Ueberdies war auch der Termin der Erbschafts-Auszahlung so nahe herangerückt, daß er sich hätte die größte Verantwortung zuziehen können, wenn er eine derartige ihm gemachte Anzeige über denselben hinaus verheimlichte. Er durfte eben nicht länger zögern und das Ganze auf die eigenen Schultern nehmen, und mit dem Entschluß wurde er auch wieder ruhiger und selbstzufriedener. Sein Pferd fühlte die Peitsche, und der leichte Wagen rollte rasch der Stadt entgegen.

5
Rathlos und Rath Frühbach

In den letzten Tagen hatte ein so wunderliches Verhältniß im Baumann'schen Hause geherrscht, daß selbst der Gesell und die Lehrlinge darauf aufmerksam geworden waren und den Kopf darüber schüttelten. Sonst war nichts als Friede und Freundlichkeit in der Familie, und wenn der alte Schlossermeister mit seinem jüngsten Kind, seinem kleinen Liebling, manchmal nach Feierabend spielte, lachte er oft so herzlich über dessen kindischen Frohsinn, daß die Leute auf der Straße stehen blieben und unwillkürlich mitlachen mußten, wenn sie auch keine Ahnung hatten, was da drinnen so Lustiges vorging. Jetzt war das anders, viel anders geworden. Der alte Baumann stand den ganzen Tag bis Abends spät am Amboß und hämmerte auf das Eisen ein oder feilte an seiner Arbeit; wenn er sich aber noch vor wenigen Tagen ein lustig Lied dazu gepfiffen oder gesungen, so verrichtete er jetzt sein Tagewerk stumm und mit düster zusammengezogenen Brauen, und kein Wort wurde in der Werkstätte gesprochen, das sich nicht auf die Arbeit bezog und nothwendig gesprochen werden mußte.

 

Und welche Veränderung konnte erst mit der Meisterin vorgegangen sein? Sie war nicht krank, denn sie schaffte den ganzen Tag in der Küche und verrichtete alle ihre Besorgungen pünktlich, wie zuvor; aber sie kam gar nicht mehr vorn in die Stube, außer wenn sie Morgens rein machte und Mittags zum Essen, und selbst dann hatte sie einen andern Platz am Tische, als früher, nicht mehr neben dem Meister, sondern zwischen ihrer kleinen Else und dem Gesellen; und keine Frage that der Meister an sie, keine Silbe wurde überhaupt bei Tische gesprochen.

Den Leuten war das natürlich unheimlich, aber keiner von ihnen, selbst Karl nicht, der Sohn vom Hause, wagte nach der Ursache zu fragen. Meister und Meisterin mußten sich mitsammen gezankt haben, wenn das auch eigentlich nie vorfiel und Keiner von Allen etwas gehört haben wollte; das aber blieb die einzige Erklärung, die sie darüber wußten, und war das der Fall, dann versöhnten sie sich auch wieder und das alte Verhältniß wurde hergestellt – daß es nur so viele Tage dauerte!

Das Essen war vorüber; der Meister stand wieder draußen bei seiner Arbeit und die Frau wusch das Geschirr auf, als ein Polizeidiener in die Werkstätte kam und nach der Frau Baumann fragte.

»Was soll sie?« sagte der Schlossermeister, der todtenbleich geworden war, indem er den Hammer auf dem Amboß ruhen ließ.

»Ich habe hier eine Vorladung für sie auf heute Nachmittag vier Uhr.«

»Schön; legen Sie das Papier nur dahin, es soll ausgerichtet werden.«

»Nein; ich muß es ihr selber geben.«

»Dann gehen Sie in die Küche,« sagte der alte Mann düster, drehte sich ab und schob das Eisen in den Feuerherd, dessen Gluth, durch den Blasebalg angefacht, emporloderte.

Die Leute in der Werkstätte sahen ihm verwundert nach. Sie begriffen nicht, was die Meisterin mit der Polizei zu thun haben könnte. Der Meister wußte es, aber er sagte kein Wort; er sah nicht auf, als der Polizeibeamte seine Pflicht erfüllt hatte und die Werkstätte wieder verließ; er ging nicht zu seiner Frau, um mit der zu sprechen. Er hätte sich nicht weniger darum bekümmern können, und wenn die Bestellung im Nachbarhause abgegeben wäre.

Da warf Karl plötzlich seine Feile hin, rief: »Der Fritz!« und sprang der Thür zu, durch deren kleines, angelaufenes Glasfenster er den Bruder erkannt hatte. Und die kleine Else hatte im Zimmer den Ruf gehört und kam herausgesprungen, und wie er die Thür öffnete, klammerte sie sich an ihn, ließ sich von ihm emporheben und herzte und küßte ihn.

Und das war jetzt ein Fragen und Jauchzen zwischen den jungen Leuten, daß der Fritz wieder frei war und kein Verdacht der nichtswürdigen That mehr auf ihm lastete; und die Kleine hatte nur immer ihre Aermchen um seinen Nacken geschlagen und weinte und lachte: die bösen Männer dürften ihren Fritz nun nicht wieder in's Gefängniß stecken, und er solle bei ihr bleiben und nie wieder von ihr fortgehen.

Auch der Vater hatte seine Arbeit bei Seite gelassen und ihm die Hand entgegengestreckt, die er derb schüttelte und drückte.

»Aber wo ist die Mutter?« rief Fritz. »Weshalb kommt sie nicht? Geh' hin, Elschen, und ruf' sie; sag' ihr, der Fritz sei wiedergekommen.«

»Bleib', Else,« sagte der Vater; »sie ist in der Küche – geh' dann zu ihr.«

Fritz sah den Vater verwundert an und dann den Bruder. Karl machte ihm aber hinter dessen Rücken ein Zeichen, das er zwar nicht verstand, aber doch daraus ersah, es müsse etwas vorgefallen sein, und er thäte besser, für den Augenblick nicht weiter nachzuforschen. Wie er aber nur in der Werkstätte dem Vater und den Uebrigen flüchtig erzählt hatte, wie es da oben gewesen und er heute Morgen freigelassen sei, ja, eigentlich schon vor drei Stunden hätte hier sein müssen und nur durch ein Versehen des albernen Schließers noch zurückgehalten wäre, da griff er sein Schwesterchen wieder auf und sprang hinüber in die Küche zur Mutter, um diese zu begrüßen.

Es dauerte lange, bis er wieder zurückkam, und jetzt ohne die kleine Else, und als er in die Werkstatt kam, ging er auf den Vater zu und sagte: »Vater, was ist denn eigentlich hier im Hause vorgegangen? Ihr seht mir Alle so sonderbar aus, so fremd. Mir ist, als ob ich jahrelang entfernt gewesen wäre und nicht nur kaum eine Woche oder etwas mehr. Was habt Ihr nur? Wie ich in die Küche kam, fiel mir die Mutter um den Hals und weinte, als ob ihr das Herz brechen müßte, wollte sich auch gar nicht mehr beruhigen, und jetzt hat sie die kleine Else auf dem Schoß und küßt das Kind in Einem fort und drückt es an sich.«

»Komm einmal mit herein, Fritz,« sagte der Vater ernst; »ich habe ein Wort mit Dir zu reden.«

»Mit mir, Vater? Ist etwas vorgefallen?«

»Ja, und etwas, das Dir nicht länger ein Geheimniß bleiben darf, eigentlich hätte nie ein Geheimniß bleiben sollen.«

»Aber willst Du nicht erst einmal zur Mutter gehen?«

»Nachher, mein Junge; zuerst komm einmal mit mir in's Zimmer hinüber, denn mir – hat's beinahe das Herz abgedrückt die letzten Tage, und es ist Zeit, daß ich's los werde – ich halt's nicht mehr länger aus.«

»Ich begreife Dich nicht, Vater.«

»Du wirst's bald begreifen lernen,« nickte der Alte still vor sich hin; »komm nur mit, daß wir die Sache abmachen, denn ich muß wieder an die Arbeit. Und Du, Karl, geh' einmal zur alten Bertram hinüber und frage sie, ob sie Zeit hätte, ein paar Tage hier zu uns herüber zu kommen und uns in der Wirthschaft zu helfen.«

»Ist die Mutter krank geworden, Vater?« rief Karl rasch.

»Nein,« sagte der Schlossermeister; »aber laß es auch lieber sein, ich will nachher selber zu ihr gehen – komm, Fritz!« Und ihm voranschreitend, ging er in die Stube hinein, setzte sich dort in den alten Lehnstuhl und winkte dem Sohn, auf einem andern Sessel Platz zu nehmen.

Karl schüttelte mit dem Kopf; er konnte sich gar nicht denken, was »der Alte« heute hatte und wie tief und langsam er da drinnen sprach, und dann sein Bruder – wie heftig. Die Worte freilich ließen sich hier draußen nicht verstehen; aber etwas Besonderes mußte es sein. Und weshalb erfuhr er nichts davon? Gehörte er nicht zur Familie?

Die Mutter wußte, was die beiden Männer mitsammen sprachen. Draußen in der Küche saß sie niedergekauert an der Thür, die in die Stube führte und deren Schwelle sie nicht mehr zu überschreiten wagte, das Gesicht in den Händen geborgen, und zwischen den dünnen Fingern quollen die heißen, brennenden Thränen vor. So saß sie, bis die Zeit kam, in der sie auf das Amt gefordert war; sie wußte, daß sie von dort nicht wiederkehren würde. Sie war aufgestanden und hatte ein kleines Bündel Wäsche zusammengeschnürt, das Nothwendigste nur, das sie brauchte, und das unter dem Arm, trat sie endlich in die Werkstätte – sie vermied die Stube –, um ihren schweren Weg anzutreten. Aber Fritz hatte sie durch das kleine Fenster in der Wohnstube gesehen, und mit wenigen Sätzen war er draußen bei ihr.

»Mutter!« rief er und schlang seine Arme um ihren Nacken.

»Und Du nennst mich Mutter?« sagte die Frau erstaunt und sah ihn mit den großen, thränengefüllten Augen an.

»Meine liebe, liebe Mutter!« Und fest und herzlich drückte er sie an sich; sie aber, während sie ihr Haupt einen Moment an seine Schulter lehnte, sagte leise:

»Ich danke Dir, Fritz, ich danke Dir aus tiefstem Herzen; jetzt werd' ich hingehen und für Dich sprechen – verlaß Dich darauf, Dir soll Dein Recht werden!«

»Und Du, Mutter…?«

»Sorge Dich nicht um mich, ich habe es nicht verdient. Leb' wohl!« Und ihn noch einmal auf die Stirn küssend, machte sie sich von ihm los. Fast unwillkürlich wandte sie sich dabei dem Mann zu, um auch Abschied von ihm zu nehmen; aber der Schlossermeister hatte die Arme auf die Brust gekreuzt und schaute finster zur Seite – es war keine Spur von Versöhnung in seinen harten Zügen zu erkennen.

»Leb' wohl, Gottfried,« sagte sie leise und streckte ihm die Hand entgegen.

»Leb' wohl!« sagte Baumann, ohne sie anzusehen, drehte sich ab und schritt wieder in die Stube zurück.

Seine Frau wagte nicht ihm dahin zu folgen. Karl war vorgesprungen und wollte jetzt wissen, was sie habe, weshalb sie Abschied nähme. Sie küßte ihm das rußige, ehrliche Gesicht, hob noch einmal die kleine Else auf, die sich an sie hing und nicht von ihr lassen wollte, riß sich los und eilte mit raschen Schritten auf die Straße hinaus und dem Polizeigebäude zu, in dessen düsterem Thore sie verschwand. –

Der Staatsanwalt Witte befand sich an dem Tag in einer sehr unbehaglichen Stimmung, denn er hatte etwas unternommen, von dem er noch nicht recht klar sah, wie er es ausführen sollte. Wenn er sich auch bewußt war, nur seine Pflicht dabei zu thun, und ihn gesetzlich – der Fall mochte entschieden werden, wie er wollte – nicht die geringste Verantwortlichkeit treffen konnte, so täuschte er sich auch nicht einen Moment über das Aufsehen, das derselbe, besonders in den höheren Schichten der Gesellschaft, erwecken würde, und er wußte dabei recht gut, daß Alles für ihn nur von dem Erfolg dabei abhänge, denn nach dem Erfolg allein urtheilt die Welt. Fiel er mit seiner Klage durch, so konnte er sich erstlich darauf verlassen, daß Fräulein von Wendelsheim Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um sich an denen zu rächen, die es gewagt hatten, ihr entgegenzutreten. Aber das nicht allein: es mußte ihm auch wesentlich in seinem Rufe als Staatsanwalt schaden, zu einer dann als Schwindelei hingestellten Geschichte die Hand geboten zu haben, und dagegen half ihm nicht einmal der gute Name, den er bis jetzt als redlicher Mann in der Stadt hatte. Er kannte die Welt dafür viel zu genau.

Aber es ließ sich nicht mehr ändern; der Stein rollte, und durch seinen heutigen Besuch bei Fräulein von Wendelsheim hatte er überdies dem Faß den Boden ausgestoßen. Jetzt kämpfte er so gut für sich selber, als für die Rechte des wirklichen und leiblichen Wendelsheim'schen Erben, und wußte überdies die gute Sache auf seiner Seite – freilich noch immer nicht genug gegen zwei böse Weiber, so lange diese einig waren. Wenn man sie nur hätte entzweien können – aber wie?

Einer seiner Schreiber steckte den Kopf in die Thür und meldete einen Besuch.

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich für Niemanden heute zu sprechen bin?« fragte Witte scharf.

»Es ist der junge Baumann; er behauptet, er müßte Sie sprechen, und zwar in einer wichtigen Angelegenheit.«

»Der junge Baumann, hm – lassen Sie ihn hereinkommen. Der kann mir nachdenken helfen,« brummte er halblaut vor sich hin.

Fritz trat ein; er sah erschöpft und bleich aus. »Herr Staatsanwalt,« sagte er, »nach meinem letzten Hiersein hatte ich geglaubt, Ihre Schwelle nicht wieder betreten zu dürfen; aber die Verhältnisse zwingen mich dazu.«

»Lieber junger Freund,« sagte Witte, »Sie sind mir stets angenehm gewesen und werden es bleiben, wie sich auch immer die späteren Verhältnisse gestalten; Frauen haben allerdings ihren eigenen Kopf, aber – reden wir nicht davon. Was führt Sie zu mir?«

»Mein Vater hat mir Alles gesagt…«

»Ich dachte es mir, und es ist vielleicht besser so, einmal mußten Sie es doch erfahren.«

»Aber die Mutter ist auf's Amt gefordert und nicht wieder zurückgekehrt; sie werden doch um Gottes willen die arme Frau nicht gefangen halten?«

»Mein lieber Herr Baumann – erlauben Sie, daß ich Sie jetzt noch bei Ihrem alten Namen nenne –, das läßt sich nicht ändern,« sagte Witte achselzuckend; »die Gerechtigkeit muß ihren Lauf und in dem Laufe ihre Form haben. Aber seien Sie versichert, daß sie sich nicht in unfreundlichen Händen befindet. Ich war selber oben, als sie ankam und verhört wurde; sie legte ein offenes, reumüthiges Geständniß ihres ganzen Vergehens ab, aber so ohne jede Beschönigung für sich selbst, so nur von dem Einen Gedanken durchdrungen, Alles wieder gut zu machen, daß sie sich den Polizei-Director selber schon ganz gewonnen hat. Ich habe auch mit diesem gesprochen; jede Erleichterung, die ihr die Hausordnung des Gefängnisses verstattet, wird ihr werden. Aber in Freiheit kann sie nicht wieder gesetzt werden, bis Alles auf die eine oder andere Art erledigt ist.«

 

»Meine arme Mutter…!«

»Sie nennen sie Ihre Mutter?«

»Und ist sie es mir nicht gewesen die vielen, vielen Jahre lang? Hat sie nicht mit treuer Liebe für mich gesorgt und nie, nie, so lange ich denken kann, ein rauhes oder hartes Wort für mich gehabt?«

»Ich hoffe, es wird noch Alles gut gehen,« sagte Witte.

»Und glauben Sie wirklich, daß sie wahr gesprochen?« fuhr Fritz bewegt fort, »daß nicht irgend eine fixe Idee sie erfaßt hat, in der sie jetzt Sachen behauptet, die gar nicht existiren?«

»Ich glaube jedes Wort, das sie gesprochen hat,« sagte Witte ruhig und bestimmt.

»Aber das Alles klingt so fabelhaft, so wild, so unmöglich; ich bin gar nicht im Stande, mich hineinzudenken.«

»Das wäre gerade kein Wunder,« nickte Witte, »denn ähnliche Dinge kommen sonst auch eigentlich nur in Feenmärchen vor, wo arme Hirten plötzlich Prinzen werden und dann die übliche Königstochter heirathen. Uebrigens gebe ich Ihnen mein Wort, junger Freund, daß kein Mensch in der Welt so tolle, wahnsinnige Dinge erfinden kann, als wirklich existiren und zu Tage kommen. Besonders jeder Rechtsanwalt wird Ihnen das bestätigen, denn was der Welt sonst häufig verborgen bleibt, müssen sie mit allen Verwickelungen und Einzelheiten stets erfahren.«

»Und wenn es wirklich so wäre, wer, glauben Sie, daß die größte Schuld an jener Täuschung trägt? Doch nicht die Mutter?«

»Nein, sicher nicht; jedenfalls jenes bösartige Weibsstück, die Schustersfrau, und Ihre Fräulein Tante.«

»Meine Tante?« sagte Fritz, tief aufseufzend. »Die Natur scheint wirklich nicht glücklich mit der Wahl meiner Tanten zu sein, denn wenn ich mir zwischen beiden, der bisherigen und der zukünftigen, eine auszusuchen hätte, ich wüßte nicht, welche ich nehmen sollte.«

»Ich würde für Beide danken,« sagte Witte trocken; »aber Eine ist Ihnen sicher. Doch wir vergeuden unsere Zeit. Was führt Sie zu mir?«

»Weiter nichts, als die Bestätigung aus Ihrem Mund zu hören, daß nicht vielleicht nur ein irrer Wahn, eine Einbildung meine Mutter zu dem Geständniß getrieben hat, und wenn das nicht der Fall wäre, mit Ihnen zu berathen, wie wir ihr helfen, wie sie retten können.«

»Da ist vor der Hand gar nichts zu thun,« sagte der Staatsanwalt, »als dem Gesetz eben seinen Lauf zu lassen; von ihrer Untersuchungshaft kann sie kein Mensch, und wenn es der Justizminister wäre, befreien.«

»Doch was soll jetzt geschehen?«

»Ja, das ist eben die Frage,« nickte Witte still vor sich hin, »und ich gäbe selber viel Geld darum, wenn ich sie richtig beantworten könnte. Geschehen kann sehr viel; aber daß das Richtige zuerst geschieht, das ist der Hauptpunkt, und der Teufel weiß, was das Richtige ist – ich nicht?«

»Sie glauben nicht, daß meiner Mutter Zeugniß allein genügt?«

»Gott bewahre – kein Gedanke daran! Die Erbschafts-Commission würde sich nie davon bestimmen lassen, denn eine solche Behauptung könnte am Ende jede Mutter aufstellen, um ihrem Kind eine Erbschaft von nahezu einer halben Million zuzuwenden.«

»Und der arme Bruno von Wendelsheim…«

»Der arme Bruno von Wendelsheim?« meinte Witte. »Sagen Sie lieber: die armen Leute, die dem armen Bruno von Wendelsheim auf seine Erbschaft hin die vielen Tausende geborgt haben!«

»Er wird sie bezahlen.«

»Er denkt gar nicht daran, denn seinen »guten Willen« kann er nicht wechseln lassen. Ich bin fest überzeugt, daß er über dreißigtausend Thaler Schulden hat – wenn das reicht.«

»Das wäre allerdings viel, aber er wird sie doch bezahlen,« sagte Baumann bestimmt – »er oder ich, wer nun die Erbschaft antritt.«

»Wollten Sie das wirklich?«

»Würden Sie nicht das Nämliche an meiner Stelle thun? Denn war er mehr schuldig an dem Tausch, als ich selber? Aber welchen nächsten Schritt beabsichtigen Sie – darf ich ihn wissen?«

Der Staatsanwalt war aufgestanden und ein paarmal in seiner kleinen Stube auf und ab gegangen.

»Ich war heute in Wendelsheim,« sagte er, »und kam gerade zur rechten Zeit, um einem heftigen Auftritt Ihrer Fräulein Tante mit dem jungen Mädchen da draußen – wie heißt sie doch gleich?«

»Mit Kathinka?«

»Ja, mit Kathinka beizuwohnen. Dann hatte ich eine Unterredung mit der Dame selbst; ich wollte sie zu einem Geständniß bringen, aber es mißlang gründlich.«

»Die Baronin von Wendelsheim hat also nie um den Tausch gewußt?«

»Es scheint nicht so; aller Vermuthung nach hat Fräulein von Wendelsheim die Kleinigkeit, jedenfalls unter Mitwissen Ihres Vaters, besorgt.«

»Sie leugnete?«

»Sie ließ sich nicht einmal herbei, zu leugnen, denn damit hätte sie sich auf der Defensive halten müssen, sondern sie ging augenblicklich, wie ein tapferer Feldherr, zur Offensive über, und ich gebe Ihnen mein Wort, sie leistete darin Außerordentliches. Von der Dame ist auch nie ein Geständniß zu gewärtigen; eher verräth der Stuhl da, wo der Baum gestanden hat, aus dem er einst geschnitten wurde.«

»Und wäre es denn nicht möglich, die ganze Sache zurückzuziehen? O, Gott ist mein Zeuge, ich verlange den Reichthum nicht, und ehe so großes Elend über so viele Menschen kommt…«

»Das ist zu spät, mein junger Freund,« sagte Witte, »und zwar nicht allein der Gerichte, sondern vorzüglich Ihres eigenen Vaters – des Schlossermeisters, wollte ich sagen – wegen; denn dessen Schädel ist härter als das Eisen, das er schmiedet. Aber es ginge auch überhaupt nicht, die Sache ist schon zu weit gediehen; wir könnten nicht mehr zurück, selbst wenn wir wollten. Aber wir wollen auch nicht,« setzte er hartnäckig hinzu, »und es ist eine Art von Zweikampf daraus geworden, den ich schon ehrenhalber mit Ihrer Fräulein Tante auszufechten habe.«

»Und meine arme Mutter?«

»Sorgen Sie sich nicht um sie. Ihre Pflegemutter hat allerdings gefehlt und wird dafür gestraft werden müssen; aber stellt sich die Untersuchung so heraus, wie ich vermuthe, so wird die Strafe nicht überhart ausfallen. Nicht so günstig möchte freilich das Urtheil für den Baron lauten, der mit voller, ruhiger Ueberlegung dabei gehandelt haben muß und nur von der noch schlaueren Schustersfrau überlistet wurde.«

»So wäre Benno mein Bruder gewesen!« seufzte Fritz. »Und o, wie lieb hab' ich den Knaben gehabt, ohne es zu wissen, wie manche lange Stunde an seinem Bett gesessen und ihm in die guten, klugen Augen gesehen! Jenes arme Mädchen aber, das jetzt von dem gnädigen Fräulein so hart behandelt wird, war seine treue Pflegerin, und Benno hing mit solcher Liebe an ihr!«

Witte stand am Fenster und trommelte an den Scheiben. »Es ist eine ganz verfluchte Geschichte,« sagte er endlich, »und es wird uns nichts übrig bleiben, als den Stier bei den Hörnern zu fassen, wie man so zu sagen pflegt, und der Stier ist dieses Mal kein Anderer, als die gnädige Tante.«

»Ich habe kein Mitleiden mit ihr,« sagte Fritz.

»Ja, es ist nur das Schlimme, daß sie das auch gar nicht verlangt. Sie zeigt die Zähne, und wenn wir die Sache, wie sie jetzt steht, vor die Geschworenen bringen, deren Sitzungen in nächster Zeit beginnen, so ist es undenkbar, daß sie sich hindurchfinden.«

»Aber wäre es nicht möglich, weitere Zeugen aufzutreiben?«

»Nein; das Frauenzimmer, das damals der Frau Heßberger hülfreiche Hand geleistet hat und dessen Aussage jetzt allerdings von der größten Wichtigkeit wäre, ist, wie ich von Ihrer Mutter, der Frau Baumann, gehört habe, leider in der Zeit gestorben. Lieber Gott, es sind vierundzwanzig Jahre her, und die erst später hinzugerufene Amme des jungen Barons – die Geschichte kenn' ich genau – weiß von nichts und kann von nichts wissen, denn als sie eintraf, war die ganze Sache abgemacht.«