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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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Siebenter Brief

Guter Edde und allerbeste Mämme.

Gott der Gerechte was is das vor a Land, Edde? Nehmt de Mämme und den Schmul und den Moses und de Rachel, und bringt se so schnell ihr kennt nach Amerika. Wie haißt Amerika – Canaan sillts haiße – soll mer Gott helfe und will ich nich gesund auf meine Fiße stehn. Seekrankheit? – wie haißt Seekrankheit? – Cholera, s' böse Wesen und die Pocken – Alles wär net ze viel wenn mer nur kennt damit komme nach Amerika.

Was ich for Geschäftcher gemacht hab, sait ich in Amerika bin? – frog mich der Edde mol noch meine Geschäftcher – bin ich jetzt drei Monat in's Land gewese und was hab ich verdient in die drei Monat? – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn – 700 baare Dollars klingende Münze hab ich verdient, un womit hab ich die Geschäftcher gemacht, mechte der Edde wissen? mit klaine winzig klaine Paket'ger hob ich se gemacht, un nur getauscht hab ich Silber mit Silber wie en ehrlicher Mann.

Nu die Geschicht is gar ainfach – hab ich mich doch geferchte in Anfang in 'en Wald ze gehn, aus Forcht vor die wilde Katzen und Bären. – Wie haißt wilde Katzen – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn wenn ich nich schon drai Monat im Lande 'rim handle und noch nich gesehn habe an ainzige wilde Katz, vielweniger en Kater. Aber was sin das vor Menschen hier im Land, in Pensilvanien und Ohio und in Indiana und Kentukki? – Gott der Gerechte, Menschen sind's wie die Kinder, so unschuldig wie die Täubcher. Die Mämme hätt' ihre Fraid gehabt, wenn se's hette sehn kenne, wie se den Veitel getracktirt haben un in was ver schaine Betten er geschlofen hat. Und mit was hat der Veitel hauptsächlich gehandelt? – Fragt ämol den Veitel mit was er gehandelt hat? – mit Juwelen Bischutterie und silberne Leffeln hat er gehandelt, will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn er nich gehandelt hat mit Bischutterie und silberne Leffeln.

Aber den Edde muß ich vorher in's Gehaimniß lasse – das Englisch is nemlich a ganz firtreffliche Sprach – un 's drickt die Sach so gnau aus, wo's sie beschreibt, daß mer's im Dunklen erkennen kennt. In Daitschland haißt's Argentan oder Neisilber – wie haißt Neisilber – was thu ich demit ob's nei oder alt is? wos vor a verständiger Mann is devor der Amerikaner – der nennt's deitsches Silber, Dschermen Silwer wie se hier sagen, un wenn ich gekommen bin zu die Lait und hab ihne gebracht Leffeln von Dschermen Silwer so habe se mich gewehnlich gefragt – wie haißt Dschermen Silwer – is das was besonderes oder was anderes als Amerikanisches Silber? »Gott der Gerechte« hab ich denn aber gesagt – »muß doch Silber haißen wenn es in Dschermani is, Dschermen Silber und wenn es in Amerika is, Amerikanisches Silber, will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn da waiter en Unterschied is als der Prais – wir Deitsche nehmen mit wenig Verdienst vorlieb – aber mer sin reell.« Gott der Gerechte sill mer beistehn wann ich nich habe gehabt 700 Procentchen un die ainzige Unbequemlichkait in der waiten Gotteswelt, daß ich nich bin wieder gekommen ganz genau in die Gegend.

Un hab ich immer geglaubt, 's wär ä Unglick daß uns Kainer kennt hier und mer net Credit hättet – wo so Unglick g'rod des Gegenthail ist's – Gottes Wunder was wir Jüdden hier vor en Credit haben – 's geht ins Hebräische hinain und immer waiter, immer waiter. Im Anfang en klans bissel un nachher immer greßer und der Itzig Löwenhaupt hat schon 5 Städte, wie er sogt, wo er nich mehr hinkommen derf, bei mir fangts aber erst an un der Itzig is schon a angesehener raicher Mann.

Gott der Gerechte, wenn ich doch de Rachel hier hätte, was hat mer hier en Feld vor Geschäftcher, und den Edde und die Mämme aber se alle missen noch her kommen nach Amerika. – Wie haißt Bamberg? – was thu ich mit Bamberg –? net abgemolt mecht' ich sain in Bamberg.

Un frogt ämol den Veitel wo er sain klan Kerbche hindahn hot, mit dem er is schachere gange, un wo ihn die Lait haben uf die Stroß gesetzt, geschwinder als er is hinain gekomme? – Gottes Wunder, wie haißt Kerbche jetzt? un der Veitel hat ä klan's Wägelche un ä lebendiges Pfärd, un oben druff sitzt er mit seine Packjes und kutschirt im Lande herim wie ä Färscht – frogt ämol den Veitel wo er sain klan Kerbche hindahn hot.

Gott behit's Edde und Mämme – macht Eich kaine Sorg' um den Veitel, es geht Eirem Jingelche gut – so grißt mer de Rachel un der Simon soll riber kommen mit sain klain Handel und der Stern und der Rosengarten – aber sogt en nix von die Leffeln, Edde – wo ich gewese bin kenne se doch nix verdiene un setzen sich nur Unannehmlichkeiten aus – und wo ich nich gewesen bin – Gottes Wunder, was brauch ich do den Stern und den Simon und den Rosengarten? do geh ich selber hin.

Gott behits noch e mol, Edde und Mämme und es grißt Eich herzlich

Eier lieber Sohn
Veitel.

Der Klöppeldistrict des sächsischen Erzgebirges

Es ist seit langen Jahren, und besonders seit der Zeit, wo ich die Vereinigten Staaten von Nordamerika kennen gelernt, immer ein Lieblingswunsch von mir gewesen, die unglücklichen Proletarier unseres so sehr übervölkerten Vaterlandes nach jenen fruchtbaren Gefilden der neuen Welt hinübergeschafft und sie so ihrem fürchterlichen Elende gewissermaßen mit einem Gewaltstreich entrissen zu sehen. Bis jetzt ist das freilich noch ein frommer Wunsch geblieben; die Idee einer solchen Auswanderung durchzuckte mir auch nur manchmal in form- und gestaltlosen Bildern das Hirn, ich hatte mir selbst noch keine Rechenschaft darüber gegeben oder das Für und Wider solcher That geprüft und erwogen. Als uns aber der wieder und immerwieder kehrende Jammer jener Gegend stets zu neuer Hülfe und Unterstützung rief, als ein Nothschrei nach dem andern aus den Bergen drang, da stieg der alte Wunsch in mir immer lebendiger und kräftiger auf und im Geiste sah ich schon die Schaaren fröhlicher Auswanderer auf wogender See einem neuen, glücklichen Leben entgegeneilen.

Wohl sprach ich mich jetzt gegen Freunde und Bekannte darüber aus und suchte zu erfahren, auf welche Art ein solcher Schritt möglicher Weise zu realisiren wäre; die Leute schüttelten aber fast Alle mit dem Kopf und sagten einfach: »Das geht nicht – das thut's in den Gebirgen nicht – der Bergbewohner klebt an der Scholle und ist nicht fortzubringen, ja kann nicht einmal in seiner nächsten Umgebung verwendet werden; überdies sind sie schwächlich und entnervt und würden unmöglich die schwere Arbeit des Landurbarmachens ertragen können.« – Und gleich danach kamen unzählige Beispiele von Dienstmädchen, die es wundergut bei ihren Herrschaften hatten und doch nicht aushielten, sondern wieder zurück in's alte Elend liefen, – von Knechten, die entweder ihrer Arbeit nicht gewachsen, oder aus anderen Gründen nicht zu bewegen gewesen waren außer dem Gebirge auszuhalten, und das Resultat blieb stets das nämliche: ein solcher Versuch wäre unnütz – die Leute hielten es nicht aus.

Dem konnte ich nicht mehr widersprechen, denn ich kannte die Menschen ja nicht, über die ich solches Urtheil hörte; der Gedanke ließ mir aber keine Ruhe und ich beschloß einmal selbst hinauf zu wandern und mich an Ort und Stelle von der Wahrheit des Gesagten zu überzeugen. Allerdings war es damals gerade Winter und das Erzgebirge wird in dieser Jahreszeit von den Bewohnern des flachen Landes gewöhnlich für eine Art von Sibirien gehalten. Das schien mir aber auch in sofern die passende Zeit, als ich die Familien mehr zusammenfand und mich eher davon überzeugen konnte, ob die »Stubenhocker« auch wirklich für jede andere Arbeit untüchtig und verloren wären. Angenehm war es mir, daß ich mit einem Spitzenhändler Hrn. H., die Reise wenigstens zum Theil gemeinschaftlich machen konnte; ich wurde dadurch gewissermaßen in jene Gegend eingeführt und brauchte meine Zeit nicht mit langem Suchen zu verlieren.

Am ersten Tag erreichten wir Eibenstock, eine aus lauter Eckhäusern bestehende Stadt, und ich fand mich hier, wenn auch noch nicht mitten unter ihnen, doch schon im Bereich der Unseligen, die den Titanenkampf gegen englische Fabrikate kämpfen.

In und um Eibenstock wohnen eigentlich mehr die Tambourirer als Klöppler, aber auch hier hat das Elend schon seine Vertreter; bleiche abgemagerte Gestalten, die von Morgens, bis Abends spät, über dem Stickrahmen beugen und mit geschäftigen Händen die Erhaltung ihres Lebens, wenige Neugroschen, zu erstreben suchen. Durch den freundlichen Eifer des Herrn Oberförster Thiersch ist erst jetzt ein Arbeitshaus errichtet, wo die Kinder ganz armer Eltern wenigstens in warmer Stube und bei freiem Lichte arbeiten können. Manches arme Kind, das bis dahin bettelte, verdient doch jetzt wenigstens etwas die Woche; aber die Preise sind heruntergedrückt, eine gute Arbeiterin kann mit aller Noth wirklich nur wenige Groschen verdienen, und Sorge und Mangel furcht die bleichen farblosen Wangen.

Auch eine Schwefelholzfabrick – von lauter Kindern – ist in Eibenstock. Hier werden Streichhölzchen fabricirt – die gewöhnlichen Streichhölzchen in Papierkapseln, unten mit Sand beklebt. – Die Kapsel, die vielleicht 60 bis 80 Stück enthält, zu – einem Pfennig. Und die Kinder leben und athmen die ganze Zeit in dem Phosphordampf – einzelne Eltern behielten sogar die Kleinen zu Hause, weil sie »den Geruch nicht aushalten konnten,« den jene mitbrachten; – die Noth zwang sie aber doch bald wieder dazu, sie an die Arbeit zu schicken und – sie gewöhnten sich endlich daran.

Von Eibenstock brachte uns am nächsten Tage ein vierstündiger Marsch, oder eigentlich mehr Spatziergang, durch prächtigen schneegefüllten Nadelwald und malerische Schluchten und Thäler, bergauf und ab nach Breitenbrunn. Aber schon unterwegs kamen wir durch einzelne Klöppeldörfer und die Fenster füllten sich überall, wie sie die fremden Männer vorbeigehen sahen, mit einer wahren Unmasse von kleinen Köpfen. Jedes einzelne Haus sah aus, als ob es eine Kinderbewahranstalt wäre.

 

Mir graute es im Anfang davor, eines derselben zu betreten; die niederen Stuben sahen von Außen alle so dumpfig und gedrückt aus; wie erstaunte ich aber, als ich mich endlich überwand, über die Reinlichkeit und Ordnung, die in diesen Räumen der Noth und des Elends herrschten. Das erste derartige Zimmer, was ich sah, war in Sosa, einem kleinen Dorfe zwischen Eibenstock und Breitenbrunn. Mehre Familien, wie das im Erzgebirge gewöhnlich der Fall ist, wohnten darin, und ein paar junge Mädchen waren noch mit ihren Tambourir- und Stickrahmen aus der Nachbarschaft zum Besuch gekommen – d. h. nicht etwa zum Kaffee und zum Plaudern, die Armen haben keine unnütze Zeit zu versäumen und keinen Kaffee zu trinken, sondern um gemeinschaftlich im warmen Zimmer die mühsame Arbeit zu fördern. Nur einige von diesen tambourirten, die übrigen klöppelten, und ich hörte hier zum ersten Male das monotone, unheimlich raschelnde Geräusch der hin und hergeworfenen Klöppel.

Es waren weiche, schwächliche Gestalten, aber ihre Gesichter sahen nur bleich, nicht kränklich aus – die Stubenluft und die sitzende Arbeit lähmte ihnen nur die Körper- und Geisteskraft, und hatte sie noch nicht ertödtet. – Die unheilvolle Ursache einmal beseitigt, und nicht ausbleiben würde die segensreichste Wirkung; nur das gutmüthige Lächeln, mit dem sie die Fremden empfingen, hatte etwas Leidendes. Das Ganze war mir aber noch zu neu – ich schämte mich zu fragen, ich hielt es für Sünde, diese Armen, Unglücklichen auch noch durch, wie sie doch jedenfalls glauben mußten, bloße Neugierde zu kränken; erst später verlor sich das, als ich Hütte nach Hütte betrat und an den Jammer gewöhnt, endlich auch Worte fand, seinen Grund zu erfahren, ohne mehr zu fürchten, den Gefragten wehe zu thun.

In Hütte nach Hütte aber fand ich dieselben Gestalten, fand ich dasselbe Leid – ein Dorf glich darin dem anderen, und nur manchmal, wo das Elend seinen höchsten Grad erreicht, wo die Unglücklichen nicht allein kein Bett, sondern nicht einmal einen Platz hatten ihr Stroh trocken hinzulegen, auf dem sie Nachts die erschöpften Glieder ausstrecken, so daß dieses also in den Stuben bleiben mußte, sahen dieselben unordentlich und dadurch unreinlich aus. Die natürliche Folge davon aber ist, daß der Staub und Schmutz ihre Arbeit unansehnlich macht, und sie nun auch noch mit den Preisen gedrückt werden.

Die Klöppelarbeit erfordert nämlich die größte und möglichste Reinlichkeit, da die Spitzen nicht mehr gewaschen werden, sondern gleich von den Kissen weg zum Verkauf kommen; die Klöppler und Klöpplerinnen haben denn auch feine weiße Hände, ihre wohl oft zerissene und tausendmal geflickte Wäsche ist schneeweiß, die Diele und das Hausgeräth auf das Sauberste gescheuert – keine Spinnenwebe in der Stube, kein Schmutz unter dem Ofen oder in den Ecken, auch das wenige irdene Geschirr – Gott weiß es, es ist wenig genug – reinlich aufgewaschen und an seinen gehörigem Ort.

Rührend ist es dabei, mit welcher Liebe der arme Erzgebirger an seiner Heimath hängt; Jeder, der mit ihm nur je in Verbindung kam, weiß Beispiele zu erzählen, wie die Söhne und Töchter der ärmsten und elendesten Familien doch nicht unter besseren Verhältnissen, aber von den Ihrigen getrennt, aushalten wollten, und lieber wieder in den alten Jammer zurück flohen, lieber das Leid zu Hause mit den Ihrigen theilten. Mir kommt das aber, was bei diesen Menschen Heimweh genannt wird, eher wie eine Krankheit, wie eine Angst vor, die sie in der ihnen fremden Umgebung erfaßt. Es ist das Alles wahr, daß die Erzgebirger nicht unter fremden Leuten ausharren wollen, daß Knechte wie Mägde guten Lohn und nahrhafte Kost verlassen und lieber an ihren Klöppelkissen oder bei der heimischen Arbeit, aber mit den Ihrigen doch zusammen, hungern und Noth leiden. Aber nicht Faulheit ist daran Schuld, wie es ihnen nur zu oft aufgebürdet wird, nicht Widerwillen ist die Schuld, den sie gegen härtere, als die gewohnte Arbeit, fühlen sollen, denn die Klöpplerin arbeitet auch von Morgens früh bis spät in die Nacht, und der Mann verrichtet im Sommer die gewiß nicht leichte Waldarbeit und bestellt sein Feld. Nein, es ist einestheils die Furcht, die das Mädchen wieder aus ihrem Dienst treibt, sich die weichen Hände zu verderben und dann zum Klöppeln nicht mehr tauglich, für immer aus ihrem Familienkreis ausgeschlossen zu bleiben; es ist das unbehagliche Gefühl, das den Knecht ergreift, wenn er sich seines linkischen ungeschickten Benehmens wegen verlacht und verachtet sieht oder auch nur glaubt, und dann in der That nicht im Stande ist, mit seinem, durch keine gesunde Nahrung gekräftigten Körper eben so viel und so gute Arbeit liefern zu können, als seine Kameraden. Ist dann auch der Herr nachsichtig mit ihm, will er ihn nach und nach gewöhnen und heranziehen, so fühlt der Erzgebirger nur zu gut, wie er indessen von seinen Mitarbeitern verachtet wird, und muß vielleicht auch noch rohe Reden darüber hören, daß er eben so viel ißt, eben so viel Lohn erhält als ein Anderer und nur halb so viel dafür leistet.

Woher kommt aber diese Weichlichkeit des Geschlechts? Woher kommt dieser abhängige, schüchterne Charakter eines Bergvolkes? Noth und Mangel hat es nach und nach entnervt. Die ewige vegetabilische Nahrung, und diese nicht einmal in einem gesunden und genießbaren Zustand, hat an seinem Mark und Leben gezehrt. Und haben diese Leute denn eigentlich wirklich gelebt? heißt das ein Leben führen? sind das mit Vernunft und Gefühl begabte Wesen, wie sie da bei dem monotonen Klappern der hölzernen Klöppel zusammenkauern und Woche aus und ein für wenige Groschen an einem vorgezeichneten Muster arbeiten, nur um zu existiren? Nein, es sind nur lebendige Maschinen, die blos da zu sein scheinen, eine gewisse Quantität Spitzen – so und so viele hundert Ellen – anzufertigen, um dann wieder zu denen, die sie zu Mangel und Jammer der Welt gegeben, in die steinige Erde gelegt zu werden.

Und könnten sie noch wirklich dabei existiren – wären sie im Stande, wenigstens so viel zu verdienen, daß sie nicht allein das Leid, nein auch die Freude des Lebens genössen, so möchte es noch sein; aber so blieb ihnen selbst nicht einmal Zeit in ihrer Jugend mehr als die einfachsten Schulkenntnisse zu erwerben, denn sie müssen ja schon zu Hause, selbst als Kinder, mit an dem ganzen gemeinschaftlichen Tagewerke schaffen, um nicht gemeinschaftlich mit zu verhungern. Allerdings ist von der Regierung viel für Schulen gethan, so viel vielleicht, als es für einen so ausgebreiteten Strich des Elends möglich war; aber diesen Versuchen einer wohlthätigen Belehrung haben die Verhältnisse selbst, und leider mit nur zu vielem Erfolg, entgegengearbeitet.

Die Dörfer des Erzgebirges, besonders die ärmsten, wie Breitenbrunn und vorzüglich Rittersgrün, liegen über weite Bergflächen zerstreut und es ist z. B. in dem letzteren Dorfe den armen Kleinen dadurch förmlich unmöglich gemacht, bei tiefem Schnee die unten im Thal liegende Schule zu besuchen – selbst wenn sie, was leider nur zu oft nicht der Fall ist, Kleidung hätten, die sie vor Wind und Wetter schützte. Aber auch wirklich den Fall angenommen, daß sie im Stande wären, die Schule, und zwar regelmäßig zu besuchen, was haben die armen, durch ihre sonstige Umgebung in keiner Weise angeregten Kinder dann gelernt? nothdürftiger Weise etwas Lesen, Schreiben, Rechnen und – Bibel- und Katechismusverse. – Die letzteren sagten ihnen auch am meisten zu – das Hersagen solcher Verse und Lieder und das einförmige Geräusch der Klöppel paßte vortrefflich zu einander, aber dadurch zog sich der kaum entzündete Funke von Geist wieder mehr und mehr in sich zurück, und verlöschte endlich nach kurzer Zeit in dem weiten Meer des Elends, wo er mit dem Ringen nach einem Lebensunterhalte langsam aber sicher versank und keine Spur mehr in den bleichen ausdruckslosen Zügen zurück ließ.

Welchen Begriff hat ein solcher Unglücklicher von der Welt? keinen – er kennt nur den Jammer der ihn umgiebt, und nicht einmal die Hoffnung kann ihn trösten, denn was soll er hoffen? das Grab – nur im künftigen Leben, hat ihm sein Pfarrer gesagt, blüht der Lohn für sein Ausdauern und Harren und er harrt, – aber dauert nicht aus, denn er geht nach und nach physisch und moralisch zu Grunde.

In Breitenbrunn, wo wir bei dem dortigen Pastor Hrn. Uhlmann freundliche Aufnahme fanden, besuchte ich Abends die Klöppelschule. Am Tag arbeiten dort auch Erwachsene, so spät aber trafen wir nur noch Kinder; Kinder von sieben bis zwölf und vierzehn Jahren, meistens Mädchen. Je sechse saßen auf einer Art von Fußbänken um einen hölzernen Schämel herum, auf dem eine einfache Blechlampe brannte; sie hatten nicht das Gesicht dem Schämel zugedreht, sondern hockten von der Seite immer Eine hinter der Anderen im Kreis, während eben so viele mit Wasser gefüllte Glaskugeln, wie sie die Schuhmacher bei ihrer Nachtarbeit gebrauchen, den scharfen, blendenden, aber schmalen Lichtstrahl nur eben auf den Punkt ihrer Klöppelarbeit warfen, wo sie ihn gebrauchten. Und so sitzen diese Kinder Tag aus Tag ein; des Morgens haben sie einige Stunden Schulunterricht, der Nachmittag findet sie wieder im lauten Geklapper ihrer Arbeit. Spiel und Erholung kennen sie nicht – sie rasten nicht – und doch – doch rasten sie manchmal – der Klöppellehrer erzählte uns mit leiser Stimme, »die armen kleinen Dinger hätten schon mehr male mit Arbeiten aufgehört und gemeint: sie könnten nicht mehr – sie wären so hungrig.« Der arme Teufel konnte ihnen selbst nichts geben, er verdient mit seiner Frau auch nur 2½ Thlr. die Woche und hat fünf Kinder.

Und doch sind diese Klöppelschulen ein Segen für die Unglücklichen – sie haben doch wenigstens eine warme Stube und freies Licht und bekommen Geld für ihre Arbeit. Aber nicht in allen Klöppelschulen ist das der Fall – das teuflische Drucksystem fängt auch im Erzgebirge wieder an aufzublühn, und das fehlt jetzt nur noch, die Bewohner desselben ganz zur Verzweiflung zu bringen. Fast alle die Factoren oder Verleger von Spitzen legen dort oben noch neben ihrem Geschäft kleine Ausschnittläden an, und wenn auch Manche brave rechtliche Leute sind, die keinen Mißbrauch damit treiben, so giebt es doch auch wieder gewissenlose Menschen unter ihnen, welche die Noth der Armen benutzen, nicht allein die Preise herunter zu drücken, sondern ihnen auch noch werthlose Waare aufzudringen, mit der sie nachher Tagelang umherlaufen müssen, um sie nur, natürlich wieder mit Verlust, anzubringen.

Breitenbrunn wie Rittersgrün sind mit die ärmsten Dörfer des Erzgebirges; Hunderte von armen Familien leben dort, ja das letzte Dorf besteht fast einzig und allein, und mit nur sehr wenigen Ausnahmen, aus solchen Unglücklichen. Die Pastoren derselben sind denn auch in der That mehr Armenpfleger als Seelenhirten; sie müssen mehr Zeit darauf verwenden, die Körper als den Geist ihrer Beichtkinder zusammen zu halten, denn der Arme hat ja weiter Niemanden als gerade seinen Pastor, der ihm die ewige Barmherzigkeit Gottes predigt – dieser allein giebt ihm eine, wenn auch weit hinaus geschobene Hoffnung auf ein künftiges Leben – ach es ist die Einzige, die der Unglückliche kennt, und er blickt nun vertrauend zu dem Mann empor, der ihn zu trösten und aufzurichten sucht.

Die Pastoren könnten hier von vielem und großem Einfluß sein, und Manche sind es auch, andere aber wieder, und vielleicht in ganz guter Absicht, quälen ihre Pfarrkinder noch mit dem, was eigentlich freiwillig aus innerstem Herzen springen sollte, mit der Religion und dringen darauf, daß »Gottes Tempel« nicht allein in »gutem Zustande« sei, sondern auch »anständig aussehe.« In den ärmsten Dörfern, wo Hunderte von Einwohnern wie die Schafe zusammengepfercht und in elenden Hütten, oft ohne Betten liegen, wird das stets unter die »nothwendigsten Ausgaben« gerechnet, daß die Kirche restaurirt werde. Sogar in Rittersgrün, wo mir der Pastor selber sagte, daß sein ganzes Dorf wie ein einziges Armenhaus dastehe, verlangt er zwölf- oder vierzehnhundert Thaler für die Herstellung der etwas baufälligen Kirche, und wollte zu diesem Zweck eine Pfennigsteuer erheben. Die Menschen können auf faulem Stroh liegen, aber der liebe Gott darf nicht mit einem gewöhnlichen und billig hergestellten Bethaus, wie ich es vorschlug, abgespeist werden. – »Das Dorf kann doch nicht ohne Kirche sein?« rief er erstaunt. Und der Mann meint es sicherlich gut, denn er hat schon unendlich viel für die Armen gethan, wenn er auch die etwas bevorzugt, die am regelmäßigsten zur Communion gehen und die Kirche besuchen.

Die Erzgebirger sind arm, aber ehrlich, Diebstähle fallen nur höchst selten bei ihnen vor; selten, aber doch manchmal. So war ich in Rittersgrün in einer Hütte, wo auch Gott weiß wie viel Personen in einem engen Käfterchen zusammenstaken, die übrigens Alle zu einer Familie, wenigstens zu einer Verwandtschaft gehörten; unter diesen saß eine schwangere Frau, vielleicht acht und zwanzig Jahre alt – oder wohl auch jünger, denn die Noth altert vor der Zeit – der liefen aber die Thränen über die Backen, als der Pastor, der uns begleitete, ein paar Worte mit ihr sprach. Böse Menschen (in Rittersgrün meinten sie, die Diebe müßten von der nicht fernen böhmischen Grenze herübergekommen sein) hatten ihr vor einigen Tagen das einzige Bett gestohlen, was sie mit ihren Kindern bis dahin getheilt. – Schwanger – unausgesetzte Arbeit den Tag über, Hunger und Sorge um die Kinder – und nicht einmal ein Bett, auf dem sie Abends die müden Glieder ausstrecken konnte. Vor der Thür der Hütte lagen auf dem Schnee drei weißgewaschene Hemden zum Trocknen; weiß gewaschen waren sie wohl, aber nur mit Mühe hielten noch die unzähligen kleinen Lumpen zusammen.

 

Mit Sonnenuntergang verließen wir Rittersgrün und wanderten durch eine Gegend, die im Sommer paradiesisch sein muß, am Schwarzwasser entlang auf Raschau zu.

Am nächsten Morgen trennte ich mich von meinem bisherigen Reisegefährten und wanderte allein das Dorf entlang, der Straße nach Annaberg folgend. Ich weiß nicht, wie die Dörfer zu anderer Zeit dreinschauen mögen; aber jetzt, von dem weißen blendenden Schnee umgeben, sahen sie alle mit ihren blank gehaltenen Fensterscheiben reinlich und sauber aus; der hie und da vom Eis befreite Bach rauschte und murmelte dabei fröhlich durch's Dorf hin und neugierige Kindergesichter blickten hie und da aus den Fenstern zu mir herüber, immer jedoch augenblicklich wieder und blitzesschnell verschwindend, sobald ich nur den Kopf zu ihnen hinwandte. Raschau kam mir im Ganzen nicht so ärmlich vor, als die früheren Orte die ich gesehen, dennoch fehlte es wahrlich nicht an den Hütten der Noth und des Elends. In einer von diesen fand ich eine freundliche Familie beisammen – die Mutter mit zwei erwachsenen Töchtern und drei oder vier anderen kleineren Kindern.

Die Leute schienen wenigstens das Nothdürftigste zu haben, die Stube war hell und geräumig, ihr Anzug, wenn auch einfach, doch wenig geflickt und von größter Sauberkeit, und die Kinder sahen, wenn auch bleich, doch nicht gerade so hohläugig darein, wie ich das leider bei so vielen gefunden. Der Mann war Bergmann und stak jetzt irgendwo in der Erde, die Frauen aber saßen gar eifrig an ihren Klöppelkissen und förderten die klappernden Spuhlen. Und was verdienten sie mit dieser Arbeit? – Für drei Viertel Zoll breite, sauber geklöppelte Spitzen bekommen sie von dem Händler für zehn Ellen fünf gute Groschen vier Pfennige, für zehn Ellen, an denen eine erwachsene Person mehrere Tage arbeiten und auch noch das Leinengarn zugeben muß. Die Leute hielten mich für einen Spitzenhändler und boten mir ihre Waare, als ich sagte, daß ich eine Kleinigkeit zu kaufen wünsche, um diesen Preis an. Ich kaufte an demselben Tag noch schmalere Spitzen – etwas über ein Drittel Zoll breit, die mir die Frau für fünf Neugroschen für zwanzig Ellen anbot. Als sie hörte, daß ich kein Spitzenhändler sei und nur ein einzelnes Stück kaufen wollte, setzte sie dann schüchtern hinzu: »so dürfen Sie mir schon ein paar Pfennige mehr geben – es ist gar wenig.«

In Oberscheibe, links und rechts zwischen ärmlichen Gebäuden hin, sah ich einen bleichen, krank aussehenden Mann, der mit einer Axt auf der Schulter eben in eine niedere Thür eintreten wollte; er blieb, als er mich herankommen sah, stehen und es kam mir vor, als ob er mich anzureden beabsichtigte – wenn das aber wirklich der Fall gewesen, so müßte er sich anders besonnen haben, denn er grüßte nur und verschwand in der Thür. Der Mann sah recht leidend aus – er hinkte auch, wie mir vorkam – die Männer waren sonst alle größtentheils auswärts an irgend einer Arbeit – ich hatte noch wenige zu Hause getroffen und beschloß diesem zu folgen. Rasch trat ich nach ihm in einen engen dunkeln Gang, der in den hinteren Theil des Gebäudes führte; er blieb stehen und sah sich erstaunt nach mir um, als er mich kommen hörte.

»Darf ich einmal mit Euch eintreten, Freund, und einige Worte mit Euch sprechen?«

»Ach Gott ja,« sagte der Mann und sah mich verlegen an; »aber – es ist gar eng bei uns und – und sieht nicht besonders aus –.«

»Schadet nichts, will nur einen Augenblick bleiben – gehe gleich wieder fort.«

Er öffnete eine Thür dicht vor uns und ich fand mich gleich darauf in einem kleinen, kaum vier Schritt im Quadrat haltenden Zimmer. An dem Tisch saßen die Frau und zwei erwachsene Töchter von etwa sechzehn und siebzehn Jahren, rechts davon, nach dem Ofen zu noch ein paar kleinere Kinder und ein anderes, vielleicht zwölf oder vierzehn Monate altes, lag in einem Kasten, der ihm als Bettchen und Wiege diente. Die fürchterlichste Armuth herrschte in diesem Gemach, nicht einmal reinlich waren die Leute im Stande es zu halten, denn das Stroh, auf dem sie Nachts lagen, mußte in der Stube bleiben, sie hatten keinen andern Raum dafür. Die Frauen rückten schüchtern zusammen, als ich eintrat und der Mann schob mir einen der hölzernen Stühle hin, von denen zwei im Zimmer standen, sonst waren Bänke an den Wänden.

»Wie geht es Euch denn, Ihr Leute,« frug ich endlich, nachdem ich den Jammer, der mich umgab, wenige Secunden schweigend überblickt hatte; »wie geht es mit den Preisen, mit der Arbeit, mit den Lebensmitteln?«

»Ih nun,« sagte der Mann seufzend und schaute gar wehmüthig ernst vor sich nieder, »es geht recht schlecht – es kann nicht mehr viel schlechter werden.«

Die Frauen klöppelten eifrig fort und redeten keine Sylbe – sie waren so reinlich, wie das der enge Raum und das Zusammenleben mit den Kindern gestattete, angezogen, ihre Kleidung bestand aber aus fast lauter zusammengeflickten Lumpen. Es war ein peinliches Schweigen, das keiner brechen mochte.

»Sie sind wohl ein Spitzenhändler?« sagte die Frau endlich mit leiser Stimme und wandte sich halb nach mir um – ich verneinte es und der Mann fuhr fast mehr mit sich selber sprechend, als zu mir gewandt fort:

»Die Preise werden immer schlechter, die Kartoffeln sind verdorben und – aufgezehrt – ich wollte es wäre Sommer, aber damit hat's noch lange Zeit.«

»Und es ist keine Aussicht, daß die Preise wieder steigen.«

»Wenn sie nur einmal in England aufhörten Spitzen zu machen,« murmelte der Mann; »die Engländer haben doch viel auf dem Gewissen.«

»Aber Ihr wollt es ja auch nicht anders haben?« sagte ich jetzt; »warum hört Ihr nicht auf, warum klebt Ihr hier in den Bergen und zieht nicht fort, weit fort, wo es andere Arbeit und etwas zu verdienen giebt; lieber Gott, wenn Niemand Eure Spitzen mehr kaufen will, weshalb macht Ihr sie denn noch unausgesetzt und verhungert und verkommt dabei?«

»Fortziehn?« rief der Mann und sein Gesicht nahm eine etwas lebhaftere Farbe an; »fortziehn? ach Du guter Herr Gott, ja, wohin es ist und wenn's nach Amerika wäre – überall hin, wo wir nur nicht verhungern – aber wovon? fort betteln kann man sich doch nicht mit Weib und Kind, und das wäre die einzige Art, wie man daran denken könnte.«

»Aber warum gehn Eure Töchter nicht in irgend einen Dienst, sie kämen aus der Noth heraus und könnten etwas mehr verdienen.«

Die Mutter schüttelte mit dem Kopfe.

»Ja,« sagte sie, »aus der Noth kämen sie heraus, was aber kriegt so ein armes Ding, das weiter nichts gelernt hat als Klöppeln, für einen Lohn – es könnte selber nur nothdürftig davon leben, und hier zu Hause ging es nur noch schlimmer, wenn die großen Mädchen fort wären, die doch jetzt noch etwas verdienen – mein Mann ist krank, und wenn ich's auch von Herzen gern wollte, ich kann die übrigen Kinder nicht alle von den zehn oder zwölf Groschen erhalten, die ich die Woche verdiene. Und dann, wenn sie's nun nicht draußen aushielten, oder wenn ich auch krank würde und sie zurück müßten, dann haben sie sich ihre Hände zum Klöppeln verdorben und wovon dann leben? Aber ich sehe schon, es wird doch nichts anderes übrig bleiben, wenn nur der Winter erst vorbei ist, dann mögen sie hinaus gehen und sehen, wie's der liebe Gott mit ihnen fügen wird.«