Czytaj książkę: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2», strona 125

Czcionka:

Sie gab so zu erkennen, daß er sich in ihrem Schlafzimmer gut auskannte, behandelte ihn wie jemanden, der auch weiß, wo Kämme und Bürsten liegen. Als er ihr die Stecknadeln gebracht hatte, nahm sie eine nach der anderen, nötigte ihn, neben ihr stehenzubleiben, schaute ihn an und sprach leise mit ihm, als wäre Denise gar nicht da.

»Ich bin doch nicht bucklig … Geben Sie Ihre Hand her, befühlen Sie meine Schultern — bin ich denn so schief gebaut?«

Denise hatte langsam aufgeblickt; sie war noch blasser als vorher und begann von neuem, schweigend die Nadeln festzustecken. Mouret sah nichts als ihr reiches, blondes Haar und ihren zarten Nacken; aber er glaubte das Unbehagen und die Scham auf ihrem Gesicht förmlich zu spüren. Jetzt würde sie ihn noch mehr zurückstoßen, sagte er sich, würde ihn zu dieser Frau schicken, die ihr Verhältnis selbst vor einer Fremden nicht verbarg. Seine Fäuste ballten sich krampfhaft, er fühlte nicht übel Lust, Henriette zu schlagen. Wie sollte er sie zum Schweigen bringen? Wie sollte er Denise zu verstehen geben, daß er sie anbete, daß sie allein für ihn da sei, daß er alle seine früheren Liebschaften ihr aufzuopfern bereit sei? Nicht einmal eine gewöhnliche Dirne hätte sich die zweideutigen Vertraulichkeiten dieser Frau erlaubt.

»Es ist überflüssig, daß Sie sich weiter damit aufhalten, gnädige Frau«, sagte er endlich. »Ich finde selbst, daß der Mantel verschnitten ist.«

Nun erhob sich auch Denise.

»Das ist alles, was ich tun kann, gnädige Frau«, bemerkte sie.

Sie war mit ihrer Kraft am Ende. In ihrem Kummer hatte sie sich schon zweimal mit den Stecknadeln in die Finger gestochen. War er denn mit Frau Desforges im Bunde? Hatte er sie kommen lassen, um sich für ihre Weigerung zu rächen, indem er ihr die anderen Frauen zeigte, die ihn liebten? Dieser Gedanke lähmte sie. Niemals hatte sie so sehr all ihrer Kraft bedurft wie in diesem Augenblick. Die Demütigung wog nicht schwer; aber ihn fast in den Armen einer anderen zu sehen, hier vor ihren Augen …

Henriette betrachtete sich vor dem Spiegel, dann brach sie von neuem in harte Worte aus.

»Das ist doch die Höhe, Fräulein! Der Mantel sitzt jetzt noch schlechter als früher. Schauen Sie, wie er über der Brust spannt, ich sehe ja aus wie eine Amme!«

Zum Äußersten getrieben, ließ Denise sich ein gereiztes Wort entschlüpfen:

»Gnädige Frau sind eben etwas stark, wir können Sie beim besten Willen nicht schlanker machen.«

»Stark, stark?« wiederholte Henriette erblassend. »Jetzt werden Sie gar unverschämt, Fräulein! Sie haben es nötig, andere abfällig zu beurteilen!«

Sie betrachteten einander bleich und bebend. Da gab es keinen Unterschied mehr zwischen Dame und Verkäuferin; sie waren nur noch Frauen, einander gleich in ihrer Feindschaft.

»Es wundert mich«, fuhr Henriette fort, »daß Herr Mouret eine solche Unverschämtheit duldet. Ich dachte, Sie wären strenger mit Ihrem Personal, Herr Mouret.«

Denise hatte ihre Ruhe und Fassung wiedergefunden; sie erwiderte höflich:

»Wenn Herr Mouret mich im Dienst behält, so geschieht es wohl, weil er mir nichts vorzuwerfen hat. Ich bin bereit, mich bei Ihnen zu entschuldigen, wenn er es wünscht.«

Erschüttert von diesem Streit, stand Mouret wortlos da. Er hatte eine tiefe Scheu vor solchen Auseinandersetzungen unter Frauen. Henriette wollte ihm eine Äußerung entreißen, die das Mädchen verurteilte, und da er dieses Wort nicht fand, stachelte sie ihn durch eine letzte Demütigung auf.

»Das ist ja prächtig! Ich muß mir also in meinem eigenen Haus die Unverschämtheiten Ihrer Geliebten gefallen lassen … Eines Mädchens, das Sie irgendwo aus der Gosse aufgelesen haben!« Schwere Tränen stiegen in Denises Augen. Lange schon hielt sie sie zurück, aber bei dieser Beschimpfung war ihre Kraft zu Ende. Als er sie so weinen sah, ohne auf diese Beleidigung mit gleicher Heftigkeit zu erwidern, in stiller, würdevoller Verzweiflung, da zögerte Mouret nicht länger. Sein Herz flog ihr in grenzenloser Liebe entgegen. Er nahm sie bei der Hand und sagte mit bebender Stimme:

»Gehen Sie rasch, mein Kind, und vergessen Sie dieses Haus.« Verblüfft und sprachlos vor Zorn blickte Henriette beide an.

»Warten Sie einen Augenblick«, fügte er dann hinzu und legte selbst den Mantel zusammen; »nehmen Sie das mit, die gnädige Frau wird sich irgendwo einen andern kaufen. Und weinen Sie nicht, bitte! Sie wissen doch, wie sehr ich Sie schätze.«

Er begleitete sie bis zur Tür und schloß sie hinter ihr. Sie hatte kein Wort gesagt, doch eine rosige Glut war ihr in die Wangen gestiegen, während abermals Tränen in ihre Augen traten, diesmal Tränen der Freude.

Henriette, die fast erstickte, hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und preßte es krampfhaft an ihre Lippen. Das war das Ende all ihrer Berechnungen, sie sah sich in der eigenen Falle gefangen. Sie war verzweifelt darüber, daß sie, von ihrer Eifersucht gepeinigt, die Dinge so weit getrieben hatte. Eines solchen Geschöpfes wegen verlassen zu werden, sich vor ihr so behandelt zu sehen! Ihr Stolz litt noch mehr als ihre Liebe.

»Also das ist das Mädchen, das Sie lieben?« stammelte sie mühsam, als sie allein waren.

Mouret antwortete nicht gleich. Er ging mit langsamen Schritten im Zimmer auf und ab, um seiner heftigen Erregung Herr zu werden. Endlich blieb er stehen und sagte sehr höflich, aber auch sehr kühl:

»Ja, gnädige Frau.«

Henriette sank in einen Sessel, zerknüllte das Taschentuch zwischen ihren fieberhaft zitternden Fingern und sagte ein ums andere Mal:

»Mein Gott, wie unglücklich ich bin!«

Er betrachtete sie einige Sekunden stumm, dann ging er ruhig hinaus. Sie blieb allein und weinte lange vor sich hin.

Als Mouret in den kleinen Salon zurückkehrte, fand er hier nur Vallagnosc; der Baron hatte sich wieder zu den Damen begeben. Da er noch in höchster Aufregung war, setzte er sich auf ein Sofa im Hintergrund des Zimmers. Als sein Freund ihn so verstört sah, stellte er sich barmherzig vor ihn, um ihn etwaigen neugierigen Blicken zu entziehen. Eine Weile sahen sie einander wortlos an. Dann fragte Vallagnosc, den die Verlegenheit Mourets innerlich erheiterte, spöttisch:

»Amüsierst du dich immer noch?«

Mouret schien die Frage nicht gleich zu verstehen. Als er sich jedoch ihres früheren Gesprächs über die Hohlheit und unnütze Quälerei des Lebens erinnerte, antwortete er:

»Gewiß, nie habe ich so gern gelebt. Ja, mein Lieber, du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen. Die kürzesten Stunden des Lebens sind die, in denen man vor Leid zu sterben glaubt.« Er dämpfte die Stimme und fuhr dann etwas heiterer fort, während er seine Bewegtheit kaum zu unterdrücken vermochte:

»Du weißt Bescheid, nicht wahr? Sie haben eben alle beide mein Herz zu zerreißen versucht. Doch auch das ist noch wonnevoll, fast ebenso wonnevoll wie ihre Liebkosungen. Ich bin ganz zerschlagen, ich kann nicht mehr, aber das tut nichts; du kannst dir nicht denken, wie sehr ich das Leben liebe! Ich werde dieses Kind schließlich doch bekommen, und wenn es noch so widerspenstig ist!«

Vallagnosc begnügte sich damit, zu sagen:

»Und dann?«

»Nun, dann habe ich sie. Ist das nicht genug? Du hältst dich für sehr stark, weil du nicht leiden und keine Dummheiten begehen willst. Du bist aber nur ein Narr, nichts weiter. Du weißt nicht, wie es ist, wenn man mit allen Fasern hinter so einem Mädchen her ist. Da kann eine Minute Entschädigung genug sein für alle Leiden. Ich will und werde sie besitzen! Und wenn sie mir entkommt, sollst du mal die Maschinerie sehen, die ich mir aufbauen werde, um mich zu kurieren! … Du verstehst das nicht, mein Lieber. Sonst würdest du wissen, daß die Aktivität schon ihren Lohn in sich trägt. Handeln, schaffen, sich mit den Tatsachen herumschlagen und sie besiegen oder von ihnen besiegt werden: darin liegt alle Freude, alle Kraft des Menschen beschlossen!«

»Nichts als eine Art, sich zu betäuben«, murmelte der andere.

»Nun, dann will ich mich eben betäuben. Ich will lieber vor Leidenschaft vergehen als vor Langeweile!«

Da lachten sie alle beide. Dennoch erging sich Vallagnosc weiter in Reden über die Nichtigkeit des Lebens. Warum sollte der Mensch sich auch anstrengen, wenn doch niemals etwas so ging, wie man wollte. Er führte seinen künftigen Schwiegervater als Beispiel an, der in Madame Guibal eine nachgiebige, gefällige Blondine, die Laune einer Stunde, zu finden gehofft hatte; und nun war sie wie mit Peitschenhieben hinter ihm her, brauchte seine letzten Kräfte auf. Während man ihn auf einer Inspektionsreise nach Saint-Lô glaubte, saß er mit ihr in einem kleinen Landhaus in Versailles und vertat den Rest seines Vermögens.

»Er ist glücklicher als du«, sagte Mouret und erhob sich.

»O gewiß«, erklärte Vallagnosc. »Überhaupt scheint nur das Schlechte amüsant zu sein.«

Mouret hatte sich wieder gefaßt und dachte daran, zu gehen, aber er wollte nicht, daß es nach einer Flucht aussehe. Er kehrte daher mit seinem Freund in den Salon zurück, wo man noch immer beim Tee war. Baron Hartmann fragte ihn, ob der Mantel endlich passe, und Mouret erwiderte ohne jede Verlegenheit, daß er die Sache aufgegeben habe.

Er setzte sich neben Bouthemont, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Auf dessen Fragen erklärte er ihm ohne viel Umstände, daß die Herren in einer gemeinsamen Beratung beschlossen hätten, auf seine ferneren Dienste zu verzichten. Er tat dabei, als sei er ganz verzweifelt über diesen Beschluß. Aber was könne er tun? Er könne sich mit seinen Teilhabern wegen einer Personalfrage nicht überwerfen. Bouthemont hörte ihm blaß und schweigend zu und mußte ihm für sein Wohlwollen auch noch danken.

»Das muß ein schrecklicher Mantel sein«, erklärte jetzt Frau Marty. »Henriette will wohl gar nicht mehr wiederkommen?«

In der Tat begann das lange Ausbleiben der Hausfrau alle zu beunruhigen. Endlich erschien Frau Desforges.

»Haben Sie es auch aufgegeben?« rief Frau von Boves.

»Wieso denn?«

»Nun, Herr Mouret hat erklärt, es sei alles umsonst, der Mantel werde Ihnen niemals passen.«

Henriette tat sehr erstaunt.

»Herr Mouret hat sicher gescherzt; der Mantel sitzt jetzt vortrefflich!«

Sie schien sehr ruhig und lächelte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Augen gewaschen, denn sie waren frisch und zeigten nicht die geringste Röte. Als wohlerzogene Dame fand sie die Kraft, ihr Leid unter der Maske der Anmut zu verstecken. Sie bot mit ihrem gewohnten Lächeln Vallagnosc ein belegtes Brötchen an. Nur der Baron, der sie sehr gut kannte, bemerkte das leise Beben ihrer Lippen und das dunkle Feuer ihrer Augen. Er ahnte, was vorgefallen war.

»Mein Gott, jeder nach seinem Geschmack«, sagte Frau von Boves. »Ich kenne Frauen, die nicht einmal einen Meter Band anderswo als im ›Louvre‹ kaufen würden. Andere wieder schwören aufs ›Bon-Marché‹ – das ist Ansichtssache.«

»Das ›Bon-Marché‹ ist doch sehr provinziell«, murmelte Frau Marty, »und im ›Louvre‹ ist immer so ein schreckliches Gedränge!«

Damit waren die Damen wieder bei den großen Warenhäusern angelangt, und Mouret mußte seine Ansicht äußern. Er trat in ihre Mitte und tat, als wolle er nur gerecht sein. Das »Bon-Marché« sei ein ausgezeichnetes Haus, urteilte er, solid und anständig, aber das »Louvre« habe die bessere Kundschaft.

»Und über allen steht das ›Paradies der Damen‹«, sagte lachend der Baron.

»Gewiß«, erwiderte Mouret ruhig. »Bei uns werden die Wünsche und der Geschmack der Kunden berücksichtigt, und man begegnet ihnen mit der meisten Zuvorkommenheit.«

Alle anwesenden Damen waren derselben Ansicht. Das war es: sie fühlten sich dort fortwährend umschmeichelt und angebetet. Auf dieser galanten Verführungskunst beruhte ja der enorme Erfolg des Hauses.

»Übrigens«, warf Henriette ein, »was macht mein Schützling, Herr Mouret, Fräulein von Fontenailles?«

Sie wandte sich zu Frau Marty und fügte erklärend hinzu:

»Eine Marquise, meine Liebe, ein armes Mädchen, das in Schwierigkeiten geraten ist.«

»Mein Gott«, sagte Mouret, »sie verdient in der Stoffmusterabteilung drei Franken täglich. Ich denke, ich werde sie mit einem meiner Laufburschen verheiraten.«

»Pfui, was für eine schreckliche Idee!« rief Frau von Boves. Er sah sie an und sagte ruhig:

»Warum denn, gnädige Frau? Ist es nicht besser, einen wackeren Jungen und tüchtigen Arbeiter zu heiraten, als Gefahr zu laufen, daß man auf den Straßen durch irgendeinen Taugenichts aufgelesen wird?«

Vallagnosc glaubte, sich ins Mittel legen zu müssen, und bemerkte scherzend:

»Treiben Sie ihn nicht zu weit, gnädige Frau, sonst wird er Ihnen noch sagen, daß alle alten Familien Frankreichs besser daran täten, sich dem Handel zu widmen.«

»Das wäre für viele von ihnen wirklich ein ehrenvolles Ende«, erklärte Mouret.

Alle lachten; das erschien ihnen doch zu widersinnig. Er aber fuhr fort, sich in Lobpreisungen über das zu ergehen, was er den Adel der Arbeit nannte.

Mittlerweile saß Bouthemont regungslos in seinem Sessel. Noch klangen ihm die Worte Mourets in den Ohren; endlich erhob ei sich und sagte leise zu Henriette:

»Er hat mir eben meine Entlassung mitgeteilt, allerdings in sehr höflicher Weise … Aber er soll es bereuen! Ich habe schon einen ausgezeichneten Firmennamen, ›Zu den vier Jahreszeiten‹. In der Nähe der Oper will ich mich niederlassen.«

Sie schaute ihn an, ihre Augen brannten in einem dunklen Feuer.

»Zählen Sie auf mich, ich bin dabei«, flüsterte sie ihm zu.

»Warten Sie einen Augenblick.«

Sie zog den Baron Hartmann in eine Fensternische. Hier empfahl sie ihm Bouthemont als einen gewitzten Jungen, der bald ganz Paris in Aufruhr bringen werde, denn er sei im Begriff, sich selbständig zu machen. Als sie nun aber von einer Unterstützung ihres neuen Schützlings sprach, konnte der Baron, der an sich über nichts mehr erstaunte, doch eine Geste der Verwunderung nicht unterdrücken. Das war das vierte Genie, das sie seiner Fürsorge anvertraute. Er fühlte, daß er lächerlich zu werden begann. Indessen lehnte er nicht rundweg ab. Die Idee, dem »Paradies der Damen« selbst ein Gegengewicht erstehen zu lassen, gefiel ihm sogar; auch in seinem Bankgeschäft war er schon darauf verfallen, sich in dieser Weise selber eine Konkurrenz zu schaffen, um gefährlicheren Widersachern die Lust zu irgendwelchen Versuchen zu nehmen. Er versprach, die Angelegenheit zu erwägen.

»Wir müssen heute abend noch über die Sache reden«, flüsterte Henriette Bouthemont ins Ohr. »Kommen Sie pünktlich um neun Uhr; der Baron ist so gut wie gewonnen.«

Lautes Stimmengewirr erfüllte den geräumigen Salon. Mouret hatte mitten unter den Damen seine gute Laune wiedergefunden. Er verteidigte sich heiter gegen den Vorwurf, sie mit lauter Tand und Flitter zu ruinieren, und wollte mit Zahlen den Nachweis liefern, daß sie bei ihm dreißig Prozent an ihren Einkäufen sparten. Der Baron betrachtete ihn mit einer Art brüderlicher Bewunderung. Er hielt den Zweikampf für entschieden; Henriette war besiegt, sie war also nicht die Frau, die da kommen sollte. Und wieder glaubte er das zarte Gesicht des jungen Mädchens vor sich zu sehen, das er im Vorzimmer bemerkt hatte. Geduldig hatte sie dagestanden, gefährlich in ihrer Sanftmut.

Kapitel Ein­hundert­sechs

Am 20. September begannen die Arbeiten an der neuen Fassade des »Paradieses der Damen«. Baron Hartmann hatte seinem Versprechen gemäß in der letzten Generalversammlung der Immobilienbank die Sache durchgesetzt. Mouret näherte sich endlich der Verwirklichung seines Traums. Diese Front, die sich längs der Rue du Dix-Décembre erstrecken sollte, würde sein Glück zur vollen Blüte bringen. Daher wollte er auch die Grundsteinlegung feierlich begehen. Er machte ein Fest daraus, verteilte Geschenke an seine Angestellten und bewirtete sie am Abend mit Wildbret und Champagner. Den ganzen Nachmittag über war er sehr heiter und trug eine strahlende Miene zur Schau. Aber als er abends beim Essen durch den Speisesaal ging, um mit seinem Personal ein Glas Champagner zu leeren, war er wieder fieberhaft erregt, sein Lächeln war gezwungen, seine Züge verrieten uneingestandenes Leid.

Am folgenden Tag suchte Ciaire in der Konfektionsabteilung Denise zu ärgern. Sie hatte die hartnäckige Liebe Colombans endlich bemerkt und kam auf den Gedanken, sich über die Baudus lustig zu machen. Mit lauter Stimme rief sie zu Marguerite hinüber:

»Mein Anbeter da drüben dauert mich wahrhaftig in seiner finsteren Bude, wo niemals Kundschaft hinkommt … «

»Der ist gar nicht so unglücklich«, erwiderte Marguerite, »er heiratet doch die Tochter seines Chefs.«

»Sieh an«, rief Ciaire, »wäre das ein Vergnügen, ihn der wegzuholen! Den Spaß will ich mir machen!«

Sie fuhr in diesem Ton fort, entzückt darüber, Denise empört zu sehen. Diese konnte ihr alles verzeihen, aber der Gedanke an ihre kranke Kusine, der diese Grausamkeit den Rest geben mußte, brachte sie außer sich. Eben trat eine Kundin ein, und sie übernahm, da Frau Aurélie in den Keller gegangen war, die Leitung der Abteilung. Sie rief Ciaire herbei:

»Sie täten besser daran, sich um diese Dame zu kümmern, anstatt zu schwatzen.«

»Ich schwatze nicht.«

»Schweigen Sie und nehmen Sie sich sofort der Dame an.«

Ciaire fügte sich. Wenn Denise, ohne auch nur die Stimme zu heben, ihren festen Willen zeigte, wagte keine sich zu widersetzen. Durch ihre Sanftmut hatte sie sich ein unbeschränktes Ansehen erworben.

Einen Augenblick ging sie schweigend zwischen den ernst gewordenen Kolleginnen einher. Marguerite als einzige gab ihr recht, daß sie dem Chef Widerstand leistete. Sie erklärte, man solle lieber anständig bleiben; diese Dummheiten brächten nichts als Unannehmlichkeiten ein.

»Sie ärgern sich?« flüsterte jetzt eine Stimme hinter Denise.

Es war Pauline, die eben durch die Abteilung ging.

»Ich muß wohl«, erwiderte Denise; »es ist so schwer, diese Mädchen in Zaum zu halten.«

»Lassen Sie's gut sein«, bemerkte Pauline achselzuckend; »Sie können uns doch alle beherrschen, wenn Sie nur wollen.«

Sie konnte die Weigerung ihrer Freundin noch immer nicht begreifen. Sie hatte Ende August Baugé geheiratet, eine große Dummheit, wie sie lachend versicherte. Bourdoncle behandelte sie jetzt, als wäre sie für das Geschäft verloren. Sie zitterte davor, daß man sie und ihren Mann eines schönen Tages entlassen könnte, denn die Herren von der Direktion wollten von verliebten Paaren nichts wissen. Das ging so weit, daß sie tat, als kenne sie ihren Mann nicht, wenn sie ihm im Hause begegnete. Sie hatte gerade wieder einen Schrecken hinter sich: der Inspektor Jouve hatte sie beinahe dabei ertappt, wie sie mit ihrem Mann in einem Winkel geplaudert hatte.

»Er hat mich sogar verfolgt«, fügte sie hinzu, nachdem sie Denise das Abenteuer erzählt hatte. »Sehen Sie ihn da, wie er mit seiner großen Nase hinter mir herschnüffelt?«

In der Tat kam Jouve eben aus der Spitzenabteilung. Doch als er Denise erblickte, krümmte er den Rücken und entfernte sich mit freundlicher Miene.

»Gerettet!« murmelte Pauline. »Sie haben ihm das Maul gestopft, Liebste. Sie werden ein gutes Wort für mich einlegen, wenn mir etwas passieren sollte, nicht wahr? Ja, ja, seien Sie nicht so erstaunt! Man weiß doch, daß Sie alles durchsetzen können.«

Damit eilte sie in ihre Abteilung. Denise war sehr rot geworden; aber Pauline hatte die Wahrheit gesagt. An den Schmeicheleien, die sie umgaben, erkannte Denise ihre Macht. Als Frau Aurélie wieder in die Abteilung kam und unter der Obhut ihrer Stellvertreterin alles ruhig bei der Arbeit fand, lächelte sie Denise freundschaftlich zu. Sie ließ selbst Mouret im Stich und wurde täglich liebenswürdiger gegen eine Person, die eines Tages den Ehrgeiz haben konnte, nach der Stelle der Abteilungsleiterin zu trachten. Denises Herrschaft begann.

Nur Bourdoncle wollte die Waffen nicht strecken. Der geheime Krieg, den er gegen das junge Mädchen führte, beruhte auf instinktivem Widerwillen. Er verabscheute sie wegen ihrer Sanftmut, wegen des geheimen Zaubers, den sie ausübte. Des weiteren bekämpfte er sie, weil er ihren verhängnisvollen Einfluß auf das Geschäft fürchtete, der dem Haus an dem Tag gefährlich werden konnte, an dem Mouret ihr erliegen würde. Die geschäftlichen Fähigkeiten des Chefs, dachte er, müßten unter dieser dummen Leidenschaft verkümmern; was er durch die anderen Frauen errungen hatte, würde er durch diese eine wieder verlieren. Ihn selbst ließen alle kalt, er behandelte sie mit der Verachtung eines leidenschaftslosen Mannes, dessen Beruf es war, von ihnen zu leben, und der seine letzten Illusionen eingebüßt hatte, weil er sie als Geschäftsmann in ihrem wahren Wesen erkannt hatte. Er prügelte seine Geliebten, sobald er zwischen seinen vier Wänden war. Am meisten aber beunruhigte ihn an dieser kleinen Verkäuferin, die nach und nach so mächtig geworden war, daß er an ihre Uneigennützigkeit, an die Aufrichtigkeit ihrer Weigerung nicht glauben konnte. In seinen Augen spielte sie eine Komödie, eine ganz raffinierte Komödie. Denn hätte sie am ersten Tag nachgegeben, so hätte Mouret sie gewiß am anderen Morgen schon vergessen gehabt; durch ihre Weigerung jedoch hatte sie seine Begierden aufgestachelt, ihn verrückt, zu jeder Torheit fähig gemacht. Eine in allen Lastern erfahrene Dirne hätte nicht durchtriebener handeln können als diese Unschuld. Wenn Bourdoncle sie sah mit ihren klaren Augen, ihrem sanften Gesicht, ihrer schlichten Haltung, wurde er geradezu von Furcht ergriffen, als hätte er eine verkappte Menschenfresserin vor sich, das düstere Rätsel alles Weiblichen, den Tod unter der Maske der Jungfrau. Wie sollte er die Taktik dieser falschen Unschuld zunichte machen? Er suchte immer hartnäckiger ihre Schliche zu durchschauen, in der Hoffnung, sie eines Tages zu entlarven. Sicherlich würde sie einen Fehler begehen, er würde sie mit einem Liebhaber überraschen, und dann konnte man sie von neuem davonjagen, und das Haus würde wieder den geregelten Gang einer gut funktionierenden Maschine annehmen.

»Passen Sie auf wie ein Luchs, Herr Jouve«, pflegte er zu dem Inspektor zu sagen; »ich werde Sie belohnen.«

Allein Jouve ging dabei recht lässig zu Werk; er fragte sich, ob es nicht besser sei, sich gut zu stellen mit diesem Kind, das von heute auf morgen die Herrin des Hauses werden konnte. Wenn er sich ihr aucht nicht mehr zu nähern wagte, so hinderte ihn das doch nicht, sie ganz verteufelt anziehend zu finden.

»Ich passe ja auf«, versicherte er; »aber ich kann nichts entdecken, auf Ehre!«

Indessen waren trotz der äußerlichen Achtung allerlei abscheuliche Geschichten über Denise im Umlauf. Man erzählte sich jetzt allgemein, daß Hutin früher ihr Geliebter gewesen sei; man wagte nicht zu behaupten, daß er es noch immer sei, aber man vermutete, daß sie sich von Zeit zu Zeit träfen. Auch Deloche schlafe mit ihr, wußte man zu berichten; sie hätten Zusammenkünfte in verschiedenen dunklen Winkeln, wo sie stundenlang plauderten. Der reinste Skandal!

»Nichts mit dem Ersten in der Seidenabteilung? Auch nichts mit dem jungen Mann bei den Spitzen?« fragte Bourdoncle wiederholt.

»Nein, noch nichts«, versicherte der Inspektor.

Bourdoncle rechnete besonders darauf, sie mit Deloche zu überraschen. Eines Tages hatte er selbst bemerkt, wie sie im Keller miteinander gelacht hatten. Einstweilen aber behandelte er das junge Mädchen wie einen ernstzunehmenden Gegner, er unterschätzte sie keineswegs; er war überzeugt, daß sie stark genug sein würde, selbst ihn, der doch schon zehn Jahre im Haus war, zu Fall zu bringen, wenn sie eines Tages die Partie gewinnen sollte.

»Achten Sie besonders auf den jungen Mann aus der Spitzenabteilung«, schloß er jedesmal. »Sie stecken immer beisammen. Wenn Sie sie erwischen, rufen Sie mich. Alles übrige soll meine Sache sein.«

Mouret lebte inzwischen in Herzensangst und Unruhe. War es möglich, daß dieses Kind ihn dermaßen quälte? Immer wieder tauchte sie in seiner Erinnerung auf, wie sie zum ersten Mal im »Paradies der Damen« erschienen war, mit ihren plumpen Schuhen und ihrem fadenscheinigen schwarzen Kleidchen. Sie hatte kaum ein vernünftiges Wort hervorgebracht, alle hatten sich über sie lustig gemacht, er selbst hatte sie anfangs häßlich gefunden – und jetzt hätte sie ihn mit einem Blick dahin gebracht, daß er sich ihr zu Füßen geworfen hätte! Lang war sie die Letzte im Hause geblieben, herumgestoßen, verhöhnt, von ihm selbst wie ein Unikum behandelt. Monate hindurch hatte er beobachten wollen, wie so ein junges Mädchen sich entwickelte, diese Erfahrung schien ihn zu belustigen, und er begriff nicht, daß er dabei sein Herz aufs Spiel setzte. Sie aber wuchs allmählich und wurde ihm gefährlich. Vielleicht hatte er sie von der ersten Minute an geliebt, selbst damals schon, als er nur Mitleid für sie zu empfinden geglaubt hatte. Entdeckt aber hatte er seine Neigung für sie erst an jenem Abend, als sie miteinander unter den Kastanien der Tuilerien spazierengegangen waren. Von da ab hatte er erst zu leben begonnen; wie es dann weitergegangen war, wußte er nicht mehr. Von Stunde zu Stunde hatte sich sein Fieber gesteigert, sein ganzes Wesen hatte sich ihr hingegeben. War es möglich? Ein solches Kind! Er hatte sich lange aufgelehnt gegen diese Leidenschaft; zuweilen war er über sich selbst entrüstet und wollte sich von diesem albernen Bann befreien. Was besaß sie denn, was ihn so an sie fesselte? Hatte er sie denn nicht in ihren primitivsten Anfängen gesehen, war sie nicht sozusagen aus Mitleid in sein Haus aufgenommen worden? Wenn es sich wenigstens um eines jener herrlichen Geschöpfe gehandelt hätte, welche alle Welt in Aufruhr versetzten; aber dieses kleine, unscheinbare Mädchen! Sie hatte alles in allem eines jener Dutzendgesichter, von denen man nicht spricht. Sie konnte nicht einmal besonders klug sein, denn er erinnerte sich, wie ungeschickt sie sich zu Beginn als Verkäuferin gezeigt hatte. Aber nach jeder Zornesanwandlung wurde seine Leidenschaft nur tiefer, es packte ihn gleichsam eine heilige Furcht, sein Idol beleidigt zu haben. Alles, was es Gutes gab an einer Frau, hatte sie mitgebracht: Mut, Heiterkeit, Einfachheit, und von ihrer Sanftmut strömte ein Zauber wie von einem köstlichen, durchdringenden Parfüm aus. Man konnte nicht mit Gleichgültigkeit an ihr vorübergehen wie an der ersten besten. Ihr Zauber wirkte mit langsamer, unbezwinglicher Macht, man war ihr verfallen für immer, wenn sie nur zu lächeln geruhte. Dann strahlte alles in ihrem hellen Gesicht, ihre Augen, ihre Wangen, ihr Kinn mit den Grübchen, und ihr reiches blondes Haar schien zu leuchten in königlicher, siegreicher Schönheit. Er gestand sich ein, daß er besiegt war, sie war ebenso klug wie schön, und ihre Klugheit entsprang dem Besten ihres Wesens. Während die anderen Verkäuferinnen in seinem Haus nur eine oberflächliche Bildung hatten, jenen Firnis, der bei heruntergekommenen Mädchen bald wieder abbröckelt, bewahrte sie, ohne sich eine falsche Eleganz beizulegen, ihre natürliche Anmut und Frische. Die vernünftigsten und praktischsten kaufmännischen Gedanken reiften unter dieser schmalen Stirn, deren reine Linien festen Willen und Ordnungssinn verrieten. Und er war versucht, die Hände zu falten und sie um Verzeihung zu bitten für die Kränkungen, deren er in Stunden innerer Auflehnung sich schuldig gemacht hatte.

Warum weigerte sie sich nur mit solcher Hartnäckigkeit? Zwanzigmal schon hatte er sie angefleht und jedesmal seine Anerbietungen erhöht, ihr Geld, sehr viel Geld angeboten. Dann hatte er sich gesagt, daß sie vielleicht ehrgeizig sei, und hatte ihr versprochen, sie zur Direktrice zu ernennen, sobald eine Abteilung frei werde. Aber sie weigerte sich immer noch! Es war für ihn ein Rätsel, dieser Kampf steigerte sein Verlangen bis zur Erbitterung. Das war doch nicht möglich, dieses Kind mußte endlich nachgeben; er hatte die Sittsamkeit einer Frau stets als eine zweifelhafte Sache betrachtet. Er sah kein anderes Ziel mehr vor sich, alles ging in diesem Verlangen unter, sie endlich bei sich zu haben, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen; und bei dieser Vorstellung hämmerte das Blut in seinen Adern, er wurde ganz verstört und zitterte in seiner Ohnmacht.

In dieser schmerzlichen Gemütsstimmung flössen seine Tage dahin. Am Morgen beim Aufstehen stand Denises Bild ihm vor Augen, in der Nacht hatte er von ihr geträumt, sie folgte ihm an seinen Schreibtisch, wo er von neun bis zehn Wechsel und Aufträge unterschrieb, eine Arbeit, die er mechanisch erledigte, wobei er sie immer an seiner Seite fühlte und ihr ruhiges Nein zu hören glaubte. Um zehn Uhr folgte die übliche Beratung mit seinen Teilhabern; man besprach Fragen der inneren Organisation, man überprüfte die Einkäufe, erörterte Werbemaßnahmen. Sie war stets zugegen, er hörte ihre weiche Stimme mitten unter den Zahlen, in den verwickeltsten finanziellen Überlegungen sah er ihr sanftes Lächeln vor sich. Nach der Beratung begleitete sie ihn weiter. Sie machte mit ihm den täglichen Rundgang durch die Abteilungen, kehrte mit ihm nachmittags in sein Büro zurück und stand unsichtbar neben seinem Sessel, wenn er von zwei bis vier alle möglichen Leute empfing, Fabrikanten, Großindustrielle, Bankiers, gelegentlich sogar Erfinder. Es war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen von Reichtum und Verstand, ein Tanz der Millionen. Und nach jedem Geschäft, das er abgeschlossen hatte, tauchte sofort die Frage in ihm auf: Wozu dieses ungeheure Vermögen, wenn sie doch nicht wollte? Um fünf Uhr endlich mußte er die Post unterzeichnen; wieder begann eine mechanische Tätigkeit, während deren sie gebieterisch von ihm Besitz ergriff, um ihn dann während der einsamen Stunden der Nacht ganz für sich allein zu haben. Am andern Morgen fing alles von vorn an, und der Schatten dieses Kindes genügte, ihn inmitten der ungeheuren Arbeit, die er täglich verrichtete, mit Angst und Unruhe zu erfüllen.