Czytaj książkę: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2», strona 122

Czcionka:

»Ich kam mit Frau Desforges, da sind uns die Herren begegnet.« Eben kamen auch die anderen Damen hinzu. Ein letztes Mal durchstreiften sie die verschiedenen Abteilungen. Es war vier Uhr geworden, die sinkende Sonne warf ihre Strahlen schräg durch die Fenster der Vorderfront und die Verglasung der Hallen. Es war, als funkelten die Waren noch einmal in lebendiger Glut, Spiegel strahlten den Glanz wider, und wie ein feiner Vorhang flimmerte im Sonnenlicht der von all den vielen Füßen aufgewirbelte Staub.

Frau Desforges hatte endlich ihren Reisemantel gekauft und ging, über einen Vorwand nachsinnend, unter dem sie Denise einmal zu sich kommen lassen könnte. Sie wollte sie in Gegenwart von Mouret selbst demütigen, um beider Mienen zu sehen und daraus Gewißheit für sich zu schöpfen.

Während es Herrn von Boves gelungen war, mit Frau Guibal in der Menge zu verschwinden, war seine Frau, gefolgt von Blanche und Vallagnosc, auf den Einfall gekommen, einen roten Ballon zu verlangen, obwohl sie nichts gekauft hatte. Er sei für den Kleinen ihres Hausmeisters, sagte sie. An der Ausgabestelle war man gerade beim vierzigsten Tausend angelangt: vierzigtausend rote Ballons, die ihren Flug in der schwülen Luft der Geschäftsräume angetreten hatten, eine ganze Wolke roter Ballons, die von einem Ende von Paris zum andern schwebten und den Namen des »Paradieses der Damen« gen Himmel trugen.

Es schlug fünf Uhr; die Damen waren alle gegangen, nur Frau Marty mit ihrer Tochter konnte sich nicht losreißen. Wieder ging sie durch das Erdgeschoß, die Weißwaren-, die Seiden-, die Handschuh-, die Leinenabteilung, dann stieg sie hinauf, kehrte zur Konfektion zurück, zur Wäsche, zu den Spitzen, ja selbst in den zweiten Stock zog es sie noch einmal, zur Bettenausstellung und in die Möbelabteilung. Und überall machten die Angestellten – Hutin und Favier, Mignot und Liénard, Deloche, Pauline, Denise –, obgleich todmüde, eine letzte Anstrengung, um den Käufern das Geld aus den Taschen zu locken. Als Frau Marty endlich ging, nachdem sie, entsetzt über die Höhe ihrer Rechnung, erklärt hatte, sie werde zu Hause zahlen, waren ihre Züge entstellt, sie hatte die fiebrigen Augen einer Kranken. – Als am Abend Denise vom Essen zurückkam, rief ein Laufbursche sie an.

»Fräulein, die Geschäftsleitung wünscht Sie zu sprechen.«

Sie hatte ganz vergessen, daß Mouret sie am Morgen aufgefordert hatte, abends nach dem Verkauf in seinem Arbeitszimmer zu erscheinen. Er erwartete sie stehend; als sie eintrat, ließ sie die Tür offen.

»Wir sind zufrieden mit Ihnen, Fräulein«, begann er, »und wollten Ihnen einen Beweis unserer Anerkennung geben … Sie wissen, in welcher unwürdigen Weise uns Frau Frédéric verlassen hat; von morgen an werden Sie ihre Stelle einnehmen.«

Unbeweglich und in höchster Überraschung hörte Denise ihn an, dann flüsterte sie mit zitternder Stimme:

»Aber es sind Kolleginnen da, die schon viel länger in der Abteilung sind als ich!«

»Das tut nichts«, sagte er. »Sie sind die Geschickteste, die Gewissenhafteste, und darum wähle ich Sie, das ist ganz natürlich; sind Sie zufrieden?«

Jetzt errötete sie. In dem Glück und der Verwirrung, die sich ihrer bemächtigten, verschwand der ursprüngliche Schreck. Warum hatte sie nur zuerst an gewisse Vermutungen gedacht, mit denen man diesen unerwarteten Gunstbeweis aufnehmen würde? Trotz ihrer Dankbarkeit fühlte sie sich etwas betreten. Er betrachtete sie noch immer lächelnd, wie sie vor ihm stand in ihrem einfachen Seidenkleid, ohne jeden anderen Schmuck als den ihres prachtvollen blonden Haares. Sie hatte sich verändert, wirkte zart und ernst, ihre ehemalige Unbedeutendheit war einem gewinnenden Liebreiz gewichen.

»Sie sind sehr gütig«, stammelte sie, »ich weiß gar nicht, wie ich —«

Doch sie unterbrach sich, denn auf der Schwelle erschien der Kassierer Lhomme. Er trug einen großen Ledersack in der einen Hand, während er mit dem verstümmelten Arm eine riesige Tasche an seine Brust drückte. Hinter ihm kam sein Sohn Albert, ebenfalls mit Geldsäcken beladen.

»«587 210 Franken 30 Centimes!« rief der Kassierer, dessen weiches, verschwommenes Gesicht gleichsam im Widerschein einer so ungeheuren Summe zu strahlen schien.

Dies war die größte Tageseinnahme, die das »Paradies der Damen« je gehabt hatte.

»Das ist ja großartig!« rief Mouret entzückt. »Mein braver Lhomme, legen Sie es nur hin und ruhen Sie sich aus, Sie können ja gar nicht mehr. Ich werde das Geld schon zur Hauptkasse schaffen lassen. Ja, ja, packen Sie nur alles auf meinen Schreibtisch, ich will mich erst mal an dem Anblick weiden.«

Er war fröhlich wie ein Kind. Der Kassierer und sein Sohn entledigten sich ihrer Last. Der Ledersack gab einen hellen Goldklang von sich, aus zwei weiteren Säcken flossen Silber- und Kupferstücke heraus, während die Tasche ganze Bündel von Banknoten sehen ließ.

Als die beiden, sich den Schweiß vom Gesicht trocknend, gegangen waren, stand Mouret einen Augenblick unbeweglich da, den Blick auf das Geld gerichtet. Beim Aufschauen bemerkte er Denise, die in den Hintergrund getreten war. Da lächelte er wieder, forderte sie auf näherzukommen und sagte schließlich, er wolle ihr schenken, was sie mit einem Griff nehmen könne. Dieser Scherz klang wie ein Liebeshandel.

»Greifen Sie in den Ledersack! Ich wette, daß Sie weniger als tausend Franken herausnehmen. Ihre Hand ist ja so klein.«

Allein sie war blaß geworden und wich noch mehr zurück. Liebte er sie denn? Sie begriff plötzlich und fühlte die zunehmende Flamme seiner Leidenschaft, mit der er sie umgab, seit sie in die Konfektionsabteilung zurückgekehrt war. Noch mehr aber verstörte sie, daß sie ihr eigenes Herz stürmisch klopfen fühlte. Warum verletzte er sie mit all diesem Geld, während sie von Dankbarkeit überströmte und er sie mit einem einzigen freundlichen Wort hätte gewinnen können? Er näherte sich ihr wieder unter allerlei Scherzen, als zu seinem größten Mißvergnügen Bourdoncle unter dem Vorwand erschien, er müsse ihm mitteilen, wieviel Kunden am heutigen Tag das »Paradies der Damen« besucht hatten: siebzigtausend waren es gewesen.

Diese Gelegenheit benutzte Denise; sie entfernte sich schnell, nachdem sie ihm noch einmal gedankt hatte.

Kapitel Ein­hundert­vier

Am ersten Sonntag im August wurde Inventur gemacht; bis zum Abend sollte sie beendet sein. Wie an Werktagen war schon am Morgen jeder auf seinem Posten, und bei geschlossenen Türen begann die Arbeit.

Denise war nicht um acht Uhr heruntergekommen wie die übrigen Verkäuferinnen. Sie hatte fünf Tage an einer Sehnenzerrung, die sie sich durch das viele Treppensteigen zugezogen hatte, krank gelegen. Mittlerweile ging es ihr besser; allein da Frau Aurélie sie überaus freundlich behandelte, beeilte sie sich nicht allzu sehr. Mit Mühe zog sie ihre Schuhe an, da sie trotz allem entschlossen war, sich in der Abteilung zu zeigen. Die Zimmer der Verkäuferinnen nahmen jetzt an der Rue Monsigny entlang den ganzen fünften Stock des neuen Gebäudes ein. Es waren insgesamt sechzig, zu beiden Seiten eines Ganges gelegen; sie waren etwas bequemer als die alten, obgleich nach wie vor nur mit einem schmalen Eisenbett, einem großen Schrank und einem kleinen Nußbaumtisch möbliert.

Denise hatte übrigens als stellvertretende Abteilungsleiterin eines der größten Zimmer bekommen, dessen zwei Mansardenfenster auf die Straße gingen. Sie war jetzt fast reich und gönnte sich manchen Luxus, so eine Daunendecke, einen kleinen Teppich vor dem Schrank und zwei blaue Glasvasen, in denen ein paar Rosen welkten.

Als sie die Schuhe angezogen hatte, versuchte sie vorsichtig, im Zimmer auf und ab zu gehen. Sie nahm sich vor, zeitig zu Bett zu gehen, um ihr krankes Bein zu schonen. Da klopfte die Aufseherin, Frau Cabin, an die Tür und übergab ihr mit geheimnisvoller Miene einen Brief.

Als die Tür geschlossen war, öffnete Denise das Schreiben, ganz betroffen über das geheimnisvolle Lächeln der Frau. Doch kaum hatte sie gelesen, da wurde sie sehr blaß und sank in einen Sessel. Es war ein Brief von Mouret, in dem er schrieb, daß er über ihre Genesung glücklich sei, und sie einlud, abends mit ihm zu essen, da sie doch nicht ausgehen könne. Der Ton, vertraulich und väterlich zugleich, hatte nichts Verletzendes; allein sie konnte den Sinn unmöglich mißverstehen. Im ganzen Haus wußte man nur zu gut, was diese Einladungen zu bedeuten hatten; Claire hatte mit ihm gegessen, andere auch, all jene, auf die er sein Auge geworfen hatte. Und nach dem Essen kam der Nachtisch, wie die Angestellten boshaft zu sagen pflegten. Die bleichen Wangen des Mädchens nahmen allmählich eine tiefe Schamröte an.

Sie hatte den Brief auf die Knie gleiten lassen und saß mit hochklopfendem Herzen da, die Augen starr auf die hellen Fenster gerichtet. Sie wiederholte sich ein Geständnis, das sie sich in diesem Zimmer in Stunden der Schlaflosigkeit inzwischen oft gemacht hatte: sie hatte ihn schon geliebt, als sie ihn noch fürchtete wie einen erbarmungslosen Herrn. Sie hatte ihn geliebt, als ihr törichtes Herz von Hutin träumte. Sie hätte sich vielleicht einem andern hingegeben, aber niemals hätte sie einen andern geliebt als diesen Mann, dessen Blick sie erstarren ließ. Abermals klopfte es an die Tür; sie beeilte sich, den Brief verschwinden zu lassen. Es war Pauline, die unter irgendeinem Vorwand ihre Abteilung verlassen hatte und heraufkam, um ein wenig zu plaudern.

»Wie geht es Ihnen? Man sieht Sie ja gar nicht mehr.«

Da es verboten war, in die Zimmer hinaufzugehen und insbesondere sich zu zweien einzuschließen, führte Denise sie in den Aufenthaltsraum am anderen Ende des Flurs; es war dies ein Entgegenkommen des Chefs den weiblichen Angestellten gegenüber, die dort bis elf Uhr lesend oder arbeitend den Feierabend verbringen konnten. Das Zimmer, nüchtern wie ein Hotelsaal, war mit einem Klavier, einem großen Tisch, mehreren Sesseln und einem Sofa möbliert.

»Wie Sie sehen, kann ich schon gehen«, sagte Denise. »Ich werde gleich hinunterkommen.«

»Nanu, wozu der große Eifer?« rief die andere. »Ich würde mich schonen, wenn ich so einen Vorwand hätte.«

Sie hatten sich auf das Sofa gesetzt. Paulines Haltung hatte sich etwas geändert, seit ihre Freundin Zweite in der Konfektionsabteilung geworden war. In die Herzlichkeit des gutmütigen Mädchens mengte sich ein Zug von Achtung, eine gewisse Überraschung, daß die kleine, schwächliche Verkäuferin von ehemals im Begriff war, ihr Glück zu machen. Denise aber liebte sie sehr und vertraute unter den zweihundertfünfzig Kolleginnen, die gegenwärtig im Hause beschäftigt waren, nur ihr allein.

»Was ist mit Ihnen?« fragte Pauline, als sie die Verwirrung des Mädchens bemerkte.

»Oh, nichts«, beteuerte Denise mit einem Versuch zu lächeln.

»Doch, doch, es ist etwas. Sie trauen mir nicht; warum erzählen Sie mir Ihren Kummer nicht?«

Da konnte Denise nicht länger an sich halten. Sie reichte Pauline den Brief und stotterte:

»Schauen Sie, er hat mir geschrieben.«

Sie hatten untereinander noch niemals offen von Mouret gesprochen; aber eben dieses Stillschweigen war gleichsam ein Eingeständnis ihrer geheimen Gedanken. Pauline wußte Bescheid. Nachdem sie den Brief gelesen hatte, zog sie Denise an sich, legte den Arm um sie und flüsterte:

»Meine Liebe, wenn ich offen sein darf, ich meinte, es sei schon geschehen … Seien Sie doch nicht so entrüstet; ich versichere Ihnen, das ganze Haus ist dieser Ansicht. Mein Gott, er hat Sie so rasch zur Zweiten ernannt, und dann ist er fortwährend hinter Ihnen her — es ist zu offenkundig«

Sie küßte sie auf die Wange und fragte dann:

»Sie werden der Einladung natürlich folgen?«

Denise betrachtete sie, ohne zu antworten, dann brach sie plötzlich in Schluchzen aus und legte den Kopf auf die Schulter ihrer Freundin. Pauline war sehr überrascht.

»Beruhigen Sie sich doch«, sagte sie, »es ist ja nichts dabei. Warum sind Sie darüber so entsetzt?«

»Nein, nein, lassen Sie mich«, stammelte Denise; »wenn Sie wüßten, welchen Kummer mir das macht! Seit ich diesen Brief habe, bin ich ganz außer mir. Lassen Sie mich weinen, das erleichtert mir das Herz.«

Pauline war sehr gerührt und sprach ihr Trost zu, ohne sie eigentlich recht zu begreifen. Vor allem treffe er sich doch mit Claire nicht mehr, sagte sie. Man erzähle sich zwar, daß er außerhalb des Hauses zu einer Dame gehe, aber das sei nicht erwiesen. Dann erklärte sie ihr, bei einem Mann in einer solchen Stellung dürfe man nicht eifersüchtig sein. Er habe zu viel Geld und er sei schließlich der Chef.

Denise hörte ihr zu; wenn sie noch an ihrer Liebe hätte zweifeln können, so mußte sie ihr jetzt klar bewußt werden bei dem Schmerz, den ihr der Name Claires und die Anspielung auf Frau Desforges verursachten.

»Sie würden also gehen?« fragte sie.

»Natürlich; was soll man denn anderes tun?« rief Pauline, ohne lange zu überlegen.

Dann fügte sie hinzu:

»Früher wenigstens hätte ich es getan. Heute nicht mehr, denn jetzt will ich mich mit Baugé verheiraten, und da wäre es ja wirklich schlimm.«

In der Tat wollte Baugé, der das »Bon-Marché« verlassen hatte, um beim »Paradies der Damen« einzutreten, sie gegen Ende August heiraten. Bourdoncle war kein Freund von Ehepaaren im Hause, allein sie hatten die Einwilligung zu ihrer Heirat erhalten und hofften, sogar vierzehn Tage Urlaub zu bekommen.

»Sehen Sie wohl«, erklärte Denise. »Wenn ein Mann ein Mädchen liebt, muß er es heiraten. Baugé heiratet Sie.«

Pauline lachte hell auf. Dann umarmte sie sie und sagte:

»Meine Liebe, das ist doch etwas anderes. Baugé heiratet mich, weil er Baugé ist, er ist aus dem gleichen Stand wie ich, da geht die Sache von selbst … Herr Mouret aber — kann Herr Mouret eine seiner Verkäuferinnen heiraten?«

Sie lachte wieder und küßte Denise freundschaftlich. Ihr breites Gesicht mit den kleinen zärtlichen Augen nahm den Ausdruck mütterlicher Teilnahme an. Dann erhob sie sich, öffnete das Klavier und begann leise mit einem Finger eine Melodie zu klimpern. Denise war im Sofa zurückgesunken und stützte den Kopf auf die Lehne; sie war abermals in Schluchzen ausgebrochen und preßte krampfhaft ihr Taschentuch an die Augen.

»Schon wieder?« rief Pauline und wandte sich um. »Sie sind wirklich nicht gescheit. Warum haben Sie mich hierhergeführt? Wir hätten in Ihrem Zimmer bleiben sollen.«

Sie kniete vor ihr nieder und begann ihr von neuem gut zuzureden. Wieviele andere wären gerne an ihrer Stelle, sagte sie; übrigens, wenn ihr die Geschichte nicht gefalle, so brauche sie ja nur einfach nein zu sagen, ohne sich darüber viel zu kränken. Aber sie werde sich die Sache gewiß überlegen, bevor sie durch eine unerklärliche Weigerung ihre Stellung aufs Spiel setze. Sei es denn gar so schrecklich? … Und die kleine Predigt schloß mit einem heiteren Geflüster, als man plötzlich vom Gang her Schritte vernahm.

Pauline war aufgestanden, um einen Blick durch die Tür zu werfen.

»Still, es ist Frau Aurélie«, flüsterte sie, »ich verschwinde … Trocknen Sie sich die Augen; niemand braucht etwas zu wissen.«

Als Denise allein war, erhob sie sich und drängte gewaltsam ihre Tränen zurück; mit zitternden Händen schloß sie aus Furcht, daß man sie hier müßig überraschen könnte, das Klavier, das ihre Freundin offengelassen hatte. Sie hörte Frau Aurélie an ihre Tür klopfen; da trat sie auf den Gang.

»Wie, Sie sind aufgestanden?« rief die Abteilungsleiterin; »das ist sehr unvernünftig von Ihnen, mein liebes Kind. Ich bin heraufgekommen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen und Ihnen zu sagen, daß wir unten auch ohne Sie fertig werden.«

Denise versicherte, daß es ihr besser gehe und ein wenig Beschäftigung ihr nur gut tun werde.

»Ich muß mich ja nicht anstrengen; ich werde mich auf einen Stuhl setzen und bei den Schreibarbeiten mittun.«

Beide gingen hinab. Frau Aurélie war sehr höflich und bat sie, sich auf ihre Schulter zu stützen. Sie hatte offenbar ihre geröteten Augen bemerkt und beobachtete sie heimlich. Sie war ohne Zweifel über so manches auf dem laufenden.

Denises Sieg in der Abteilung war, so unerwartet ihr selber das kam, nahezu vollständig. Nachdem sie in ihrer Anfangszeit Monate hindurch vergebens gegen die Böswilligkeit ihrer Umgebung angekämpft hatte, war es ihr jetzt in wenigen Wochen gelungen, sie zu beherrschen, alles um sich her entgegenkommend und achtungsvoll zu sehen. Dabei war ihr die plötzliche Aufmerksamkeit Frau Aurélies sehr behilflich gewesen. Man erzählte sich leise, daß die Abteilungsleiterin die Helfershelferin Mourets sei, daß sie ihm insgeheim gewisse heikle Dienste erweise; sie hatte das Mädchen unvermittelt mit solcher Wärme in Schutz genommen, daß man es ihr sicherlich ganz besonders empfohlen hatte. Allein auch Denise hatte alles aufgeboten, um ihre Feindinnen zu entwaffnen. Die Aufgabe war um so schwieriger, als sie die allgemeine Entrüstung über ihre Ernennung zur Zweiten beschwichtigen mußte. Die Verkäuferinnen sprachen laut von Ungerechtigkeit und beschuldigten sie, sie habe dem Chef diesen Posten beim Nachtisch abgeschwatzt, und fügten ganz abscheuliche Einzelheiten hinzu. Doch trotz ihrer Empörung imponierte ihnen der neue Rang des Mädchens.

Denise gewann eine Autorität, welche die feindseligsten unter ihnen in Erstaunen setzte und beugte. Ihre Bescheidenheit und ihre Sanftmut vervollständigten den Erfolg. Claire allein blieb bei ihrer ablehnenden Haltung. Während der kurzen Laune Mourets hatte sie die Lage dazu mißbraucht, ihre Arbeit zu vernachlässigen; als er ihrer überdrüssig ward, beklagte sie sich nicht, denn bei ihrem zügellosen Dasein kannte sie keine Eifersucht; sie begnügte sich damit, aus der Geschichte den Vorteil zu ziehen, daß man sie im Hause duldete, obgleich sie nichts tat. Allein sie dachte doch, Denise habe sie um die Nachfolge von Frau Frédéric gebracht. Sie hätte diese Stelle ja niemals angenommen, versicherte sie; es sei viel zu viel Mühsal damit verbunden. Aber was sie ärgerte, war, daß man sie überging; sie hatte die gleichen Ansprüche, ja sogar ältere als die andere!

»Schau, die Wöchnerin wird ausgeführt«, spöttelte sie, als Denise am Arm von Frau Aurélie eintrat.

Marguerite zuckte die Achseln und sagte:

»Kein besonders guter Witz, den Sie da gemacht haben.«

Zuvorkommend wandte sie sich dann an Denise.

»Warum sind Sie denn heruntergekommen? Wir sind doch Leute genug.«

»Das habe ich ihr auch gesagt«, erklärte Frau Aurélie. »Aber sie wollte durchaus helfen.«

Alle eilten herbei, um sich Denise gefällig zu zeigen; die Arbeit wurde dadurch unterbrochen. Man beglückwünschte sie und wollte alles über ihre Krankheit wissen. Endlich ließ Frau Aurélie sie auf einem Stuhl vor einem Tisch Platz nehmen; es wurde ausgemacht, daß sie nur die ausgerufenen Artikel aufschreiben solle. Bei solchen Inventuren wurden alle Angestellten, die schreiben konnten, herangezogen: Inspektoren, Kassierer, Verkäufer, ja selbst die Laufburschen. Diese Leute wurden dann auf die verschiedenen Räume verteilt, damit die Arbeit rascher vonstatten ging. Denise fand den Kassierer Lhomme und den Laufburschen Joseph an ihrer Seite, beide über große Bogen Papier gebeugt.

»Fünf Mäntel, Tuch, mit Pelzbesatz, Größe drei, zu zweihundertfünfzig Franken«, rief Marguerite. »Viermal dasselbe, Größe eins, zu zweihundertzwanzig.«

Die Arbeit ging wieder an. Drei Verkäuferinnen hinter Marguerite waren damit beschäftigt, die Schränke auszuleeren; dann ordneten sie die Artikel vor und reichten sie ihr in ganzen Packen hin. Wenn Marguerite ihrerseits sie ausgerufen hatte, warf sie sie auf die Tische, wo sie sich allmählich zu riesigen Stößen türmten. Lhomme schrieb auf, und Joseph legte zur Kontrolle eine zweite Liste an. Inzwischen war Frau Aurélie, von drei anderen Verkäuferinnen unterstützt, damit beschäftigt, die Seidenkleider zusammenzuzählen, die Denise aufnahm. Claire war damit betraut, die erledigten Stapel zu überwachen und zu ordnen, damit sie auf den Tischen so wenig Platz wie möglich einnahmen. Aber sie war ganz und gar nicht bei der Arbeit, einzelne Stöße fielen bereits auseinander.

»Sagen Sie mal«, fragte sie eine Verkäuferin, die im Laufe des Winters eingetreten war, »werden Sie auch Gehaltserhöhung bekommen? Denken Sie bloß, die Zweite soll auf zweitausend heraufgesetzt werden, und das macht mit ihrer Verkaufsprovision siebentausend Franken!«

Ohne in der Arbeit innezuhalten, erklärte die andere, daß sie die Bude im Stich lassen wolle, wenn man ihr nicht achthundert Franken gebe. Die Gehaltserhöhungen fanden gewöhnlich am Tag nach der Inventur statt; an diesem Tag bekamen auch die Abteilungsleiter ihren Anteil am Mehrgewinn gegenüber dem Vorjahr. Diese Geldfragen beschäftigten daher einen jeden während der Arbeit. Man flüsterte sich zu, daß Frau Aurélie auf fünfundzwanzigtausend Franken kommen werde. Diese Summe versetzte die Mädchen in höchste Aufregung. Marguerite, die beste Verkäuferin nach Denise, hatte es auf fünfzehnhundert Franken feste Bezahlung und dreitausend Provision gebracht, während Claire alles in allem nur zweitausendfünfhundert Franken erreichte.

»Ich kümmere mich wenig um die Gehaltsaufbesserung«, meinte diese. »Wenn mein Vater einmal tot ist, lasse ich sie alle sitzen … Mich ärgern nur die siebentausend Franken dieser Vogelscheuche.«

Frau Aurélie unterbrach plötzlich dieses Gespräch.

»Schweigen Sie doch, man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr!«

Dann fuhr sie fort auszurufen:

»Sieben Rokokomäntel, Größe eins, zu hundertdreißig! Drei Pelzumhänge Surah, Größe zwei, zu hundertfünfzig. Haben Sie geschrieben, Fräulein Denise?«

Claire mußte sich wieder mit den auf den Tischen liegenden Kleidungsstücken beschäftigen; sie schob sie weiter, um Platz zu gewinnen. Doch bald ließ sie ihre Arbeit von neuem im Stich, um mit einem Verkäufer zu sprechen, der aus seiner Abteilung heraufgekomemn war. Es war Mignot, der zwanzig Franken von ihr leihen wollte. Er war ihr schon dreißig schuldig, die er nach einem Wettrennen, wo er sein ganzes Geld auf ein Pferd gesetzt und verloren hatte, von ihr geborgt hatte. Claire trug nicht mehr als zehn Franken bei sich, die sie ihm aber bereitwillig gab.

Sie plauderten noch eine Weile, dann beugte sich Mignot, der seine zwanzig Franken brauchte, zu Lhomme, um den Rest von ihm zu verlangen. Der Kassierer, in seiner Schreiberei gestört, schien sehr verlegen. Er wagte aber nicht, die Bitte abzuschlagen, und suchte in seinem Portemonnaie nach einem Zehnfrankenstück, als Frau Aurélie, überrascht, daß sie Marguerites Stimme nicht mehr hörte, sich umwandte und Mignot erblickte. Da begriff sie. Sie sandte ihn schroff in seine Abteilung zurück; er brauche nicht hierherzukommen, um die Damen von der Arbeit abzuhalten. In Wahrheit hatte sie Angst vor dem jungen Mann, der ein intimer Freund ihres Sohnes Albert und der Mitschuldige an allerlei bösen Streichen war, die, wie sie befürchtete, eines Tages ein schlimmes Ende nehmen würden. Als er seine zehn Franken hatte und davongegangen war, sagte Frau Aurélie zu ihrem Mann:

»Du wirst dich hoffentlich von diesem Gecken nicht an der Nase herumführen lassen.«

»Aber ich konnte ihn wirklich nicht abweisen … «

Sie zuckte nur die Achseln. Als sie sah, daß die Verkäuferinnen sich über diese kleine häusliche Auseinandersetzung lustig machten, fuhr sie mit strenger Miene fort:

»Vorwärts, Fräulein Marguerite, Sie schlafen ja ein; so werden wir niemals fertig.«

Lhomme hatte sich wieder über seinen Bogen gebeugt und schrieb. Man hatte allmählich seine Bezüge auf neuntausend Franken erhöht, aber er bewahrte noch immer die alte Unterwürfigkeit gegenüber seiner Frau, die das Dreifache ins Haus brachte.

So ging die Arbeit wieder ungestört fort, ständig wurden Zahlen ausgerufen, mit dumpfem Geräusch fielen die Kleiderpacken auf die Tische. Inzwischen hatte Claire eine neue Zerstreuung gefunden. Sie neckte Joseph, den Laufburschen, wegen einer Liebschaft, die er angeblich mit einem in der Stoffmusterabteilung angestellten Fräulein angeknüpft hatte. Dieses Fräulein, achtundzwanzig Jahre alt, mager und blaß, war ein Schützling von Frau Desforges. Sie hatte Mouret eine wahre Trauergeschichte über dieses Mädchen erzählt: sie sei eine Waise, die Letzte aus dem Geschlecht der Fontenailles, einer adeligen Familie aus dem Poitou. Sie sei mit ihrem Trunkenbold von Vater nach Paris gekommen, aber trotz ihrer Armut ehrbar geblieben; leider sei sie nicht genügend ausgebildet, um sich als Gouvernante oder als Klavierlehrerin fortzubringen. Mouret wollte meistens nichts davon wissen, wenn man ihm arme Mädchen von vornehmer Herkunft empfahl; seiner Meinung nach gab es keine unfähigeren, unerträglicheren, unbrauchbareren Geschöpfe. Er nahm indessen Frau Desforges' Schützling doch auf. Fräulein von Fontenailles verdiente in der Stoffmusterabteilung täglich drei Franken, gerade genug, um in einem Kämmerchen in der Rue d'Argenteuil ihr Leben zu fristen. Ihre traurige Miene, ihre dürftige Kleidung hatten endlich Josephs Herz gerührt. Er gestand seine Leidenschaft nicht ein, aber er errötete, wenn die Mädchen aus der Konfektionsabteilung mit ihm ihren Scherz trieben; denn die Stoffmusterabteilung befand sich in einem benachbarten Raum, und man hatte ihn immer wieder vor der Tür herumlungern sehen.

»Joseph läßt sich so leicht ablenken«, flüsterte Claire, »seine Nase kehrt sich immer wieder nach der Wäscheabteilung.«

Fräulein von Fontenailles half im Augenblick dort bei der Inventur. Da Joseph in der Tat fortwährend nach dieser Abteilung blickte, begannen die Mädchen zu lachen. Er geriet in Verlegenheit und versenkte sich ganz in seine Listen, während Marguerite, um die Lachlust zu unterdrücken, die in ihr aufstieg, weiter, so laut sie konnte, ihre Zahlen schrie.

»Vierzehn Jacken, englisches Tuch, Größe zwei, zu fünfzehn Franken!«

Frau Aurélie wandte sich mit majestätischer Miene zu ihr um und sagte:

»Etwas leiser, Fräulein, wir sind doch nicht in der Markthalle … Sie sind wirklich alle miteinander nicht recht gescheit, daß Sie sich mit solchen Kindereien unterhalten; die Zeit ist doch zu kostbar.«

In diesem Augenblick ereignete sich eine Katastrophe, weil Claire nicht mehr aufgepaßt hatte. Die Mäntel gerieten ins Rutschen und zogen sämtliche Stöße nach sich. Alles, was auf dem Tisch gelegen hatte, glitt auf den Boden hinunter, und im Nu lagen die verschiedenen Haufen kunterbunt übereinander.

»Da haben wir's, ich habe es ja gesagt«, rief die Direktrice außer sich. »Passen Sie doch ein wenig auf, Fräulein Claire; es ist ja nicht zum Aushalten!«

Da fuhr mit einemmal alles zusammen: Mouret und Bourdoncle erschienen auf ihrer Besichtigungsrunde in der Abteilung. Man hörte die Stimmen wieder hell ausrufen und die Federn kritzeln, während Claire sich beeilte, die Kleidungsstücke vom Boden aufzuheben. Der Chef unterbrach die Arbeit nicht, er blieb schweigend stehen. Als er Denise sah, machte er eine erstaunte Bewegung. Weshalb war sie denn heruntergekommen? schien er zu fragen. Seine Blicke begegneten denen Frau Aurélies. Nach kurzem Zögern entfernte er sich und ging in die nächste Abteilung.

Denise hatte, durch den plötzlichen Eifer ringsum aufmerksam gemacht, den Kopf gehoben, sich aber, als sie Mouret erkannte, gleich wieder über ihre Blätter gebeugt. Seit sie so am Schreiben war, hatte ihre Aufregung sich ein wenig gelegt, sie war ganz bei der Arbeit, entschlossen, ihr Herz zum Schweigen zu bringen und zu tun, was ihr richtig erschien.

Es schlug zehn Uhr, das Getöse im Haus nahm zu; inmitten dieses Lärms durchlief eine Nachricht mit unglaublicher Schnelligkeit alle Abteilungen: jeder Angestellte wußte bereits, daß der Chef am Morgen Denise geschrieben und sie zum Essen eingeladen hatte. Pauline hatte unvorsichtigerweise ein Wort fallen lassen. Als sie heruntergekommen war, hatte sie in der Spitzenabteilung Deloche getroffen, und ohne zu bemerken, daß Li[/e]nard in der Nähe war, hatte sie ihm die Neuigkeit erzählt.

»Nun ist's passiert, mein Lieber, sie hat soeben einen Brief erhalten, er lädt sie für heute abend ein.«

Deloche wurde blaß. Er hatte begriffen, denn er fragte Pauline des öfteren aus; sie plauderten alle Tage von ihrer gemeinsamen Freundin, von der Liebeslaune Mourets, von der berüchtigten Einladung, mit der das Abenteuer enden mußte. Sie schalt ihn übrigens aus wegen seiner heimlichen Liebe zu Denise, bei der er niemals etwas erreichen werde, und sie zuckte die Achseln, als er jetzt sagte, das junge Mädchen habe ganz recht, daß es dem Chef Widerstand leiste.

»Ihr Bein ist wieder gesund, sie kommt herunter«, fuhr Pauline fort. »Machen Sie doch keine solche Leichenbittermiene … Es ist ein Glück für sie, was jetzt geschieht.«

Damit eilte sie in ihre Abteilung zurück.

»Aha!« sagte Liénard; »es handelt sich um das Fräulein mit dem kranken Fuß!… Nun, da hatten Sie ja allen Grund, sie gestern abend im Café so warm zu verteidigen!«

Hierauf ging auch er, und ehe er in seiner Wollwarenabteilung angelangt war, hatte er die Geschichte weiteren vier oder fünf Angestellten erzählt, und in weniger denn zehn Minuten machte sie die Runde durch alle Abteilungen.

Die letzte Bemerkung Liénards bezog sich auf eine Szene, die sich am Abend vorher im Café Saint-Roch zugetragen hatte. Deloche und Liénard waren seit kurzem eng befreundet. Deloche hatte Hutins Zimmer im Hotel Smyrna übernommen, als dieser zum Zweiten ernannt worden war und sich eine Dreizimmerwohnung gemietet hatte. Die beiden Angestellten kamen jeden Morgen zusammen ins »Paradies der Damen« und gingen am Abend miteinander fort. Ihre Zimmer lagen nebeneinander, und sie vertrugen sich trotz der Verschiedenheit der Charaktere recht gut. Nur in einem Punkt waren sie einander ähnlich: in ihrer Ungeschicklichkeit als Verkäufer, die ihnen jede Hoffnung auf ein Vorwärtskommen nahm. Wenn sie das Geschäft verließen, gingen sie ins Café Saint-Roch, das abends von dem geräuschvollen Treiben der Verkäufer erfüllt war. In einem Winkel links saß dann Liénard und ließ sich köstliche Sachen geben, denn er wurde von seinem Vater unterstützt, während Deloche sich mit einem Glas Bockbier begnügte, mit dem er vier Stunden hinbrachte. Hier nun hatte er gestern gehört, wie Favier an einem benachbarten Tisch abscheuliche Dinge über Denise erzählte, über die Art, wie sie den Chef »eingefangen« habe, indem sie die Röcke aufhob, wenn sie vor ihm die Treppe hinaufging. Deloche hatte an sich halten müssen, um ihn nicht zu ohrfeigen. Als der andere aber fortfuhr und behauptete, daß Denise jede Nacht zu ihrem Geliebten hinuntergehe, geriet Deloche in die höchste Wut und nannte Favier einen Lügner.