Raus aus der Krise

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«Ich weiss effektiv nicht, was wir machen sollen», fragt Paul, «was meinst du?»

«Wenn ich das wüsste, ich könnte platzen vor Wut, wenn ich daran denke, dass er mich mit diesem jungen Ding betrügen wollte. Ich kann ihn ja verstehen, in diesem Alter sah ich auch noch sehr gut und verführerisch aus. Warum läuft diese Göre auch so sexy rum?»

«Bist du eifersüchtig? Man hört die betrogene Freundin heraus. Pass Morgen bitte auf, dass du ihn nicht zu stark belastest, sonst sitzt er unter Umständen noch lange im Gefängnis. Ich höre aus deinem Gespräch heraus, dass du ihn bereits als schuldig verurteilst. Ich glaube, ich bringe morgen noch nichts in der Zeitung, es ist mir zu riskant, wir können später unsere gute Position immer noch ausspielen, wenn wir sicher sind. Gute Nacht, ich muss jetzt zuerst darüber schlafen.»

Der Gefängnisalltag beginnt für Max mit dem Bezug seiner Zelle im vierten Stock des Polizeigebäudes. Seine wenigen persönlichen Effekten, die er auf sich trägt, werden ihm abgenommen. Er erhält leihweise einen Trainingsanzug für die Nacht. Wenn er länger bleiben muss, darf er seine eigenen Kleider tragen. Doch damit rechnet Max nicht, er ist ja unschuldig.

Die Zelle ist etwa zwei Meter breit und drei Meter lang. Das Fenster liegt etwas erhöht, er muss auf einen Stuhl steigen, wenn er auf die Strasse runter sehen will. Er hat eine schöne Aussicht auf den Jura. In der Nähe des Fensters steht ein Schreibtisch und an der Wand ein normales Bett. Hinter einem Vorhang leicht versteckt, gibt es ein Lavabo und die Toilette. Im Vergleich zu den Hotels in Ägypten ist es direkt komfortabel eingerichtet, vor allem ist es blitzsauber, was ihn etwas positiver stimmt.

Der Wärter, welcher ihn einquartiert und mit der Hausordnung vertraut macht, erklärt nur das Nötigste und zieht sich nach kurzer Zeit zurück.

«In einer halben Stunde gibt es Nachtessen», erklärt er Max bevor er die Türe hinter sich schliesst, «bis dahin würde ich noch die Hausordnung durchlesen, sie liegt in der obersten Schublade des Schreibtisches.»

Nun ist Max allein und beginnt in der Zelle auf und ab zu gehen. Mit so etwas hat er in Ägypten gerechnet, aber dass ihm das in der Schweiz passieren würde, das überrascht ihn doch ziemlich. Er fühlt sich hundemüde und freute sich, auf eine ruhige Nacht, hoffentlich ist das Essen gut.

«Was wird wohl Susi denken, wenn er nicht nach Hause kommt? Herr Friener hat ihm versichert, dass sie über seinen Verbleib informiert wird. Doch wie wird sie reagieren, wenn sie hört, dass er im Gefängnis gelandet ist? Sicher wird sie alle Hebel in Bewegung setzten, dass er wieder freikommt.»

Optimistisch für den nächsten Tag schläft Max ein, er ist überzeugt, dass es die einzige Nacht im Gefängnis sein wird. Er hat eine neue Erfahrung gemacht, welche ihm als Journalist vielleicht zu gute kommen wird. Mit diesen Gedanken schläft er ein, ohne zu ahnen, dass er sich doch irrt.

Als Susi am nächsten Morgen aufsteht, holt sie als erstes die Zeitung aus dem Briefkasten. Sie hat schlecht geschlafen, es ist eigenartig, wie sie sich bereits an Max gewöhnt hat. Sie will heute versuchen, einen Besuchstermin bei Max zu bekommen.

Sie holt die Zeitung aus dem Briefkasten und erschrickt, da steht in grossen Buchstaben:

«Ist der grausame Mörder von Anita endlich gefasst?»

Mit kleineren Buchstaben geht es weiter: «Ist der Verhaftete M. M. der Mörder von Anita? Noch hat er kein Geständnis abgelegt, aber der Verdacht wird immer konkreter. Kein Alibi, er weiss über den Fall Anita Details, welche nur der Täter wissen kann, M. M. hielt sich sehr oft im besagten Gebiet auf, M. M. verfolgte öfters junge Mädchen, die zwölfjährige R. K. hatte riesiges Glück, sie war auf dem Weg mit M. M. in einen Wald, als die Polizei einschritt und M. M. verhaftete. Ist die Verhaftung zu früh erfolgt? Fehlen jetzt die Beweise gegen M. M.? Hätte die Polizei die Zwei nicht besser noch eine Weile beobachtet? Die Staatsanwaltschaft wird es sehr schwer haben, die Tat zu beweisen, im Fall Anita gibt es sehr wenig Spuren.»

Anschliessend wird der ganze Fall Anita neu aufgerollt. Unter dem Motto, sie erinnern sich, können nochmals einige Spalten gefüllt werden.

Susanne kocht vor Wut, jetzt hat doch Paul alles Material, welches sie zusammengetragen hat, gegen ihren Willen veröffentlicht. Schnaubend vor Wut rennt sie die Treppe hoch und greift zu Telefon. Paul ist in der Redaktion nicht anzutreffen, also versucht sie es zu Hause. Pauls Frau nimmt ab und erklärt ihr: «Mein Mann hat die ganze Nacht durchgearbeitet und braucht jetzt Schlaf.»

Susanne ruft in der Zeitung an und verlangt den stellvertretenden Redaktor. Dieser erklärt ihr, dass Paul spät in der Nacht nochmals mit Staatsanwalt Friener gesprochen hat und dass die ziemlich sicher sind, den richtigen Täter verhaftet zu haben. Es steht schlecht um Max. Sie muss sich keine Sorgen machen, denn sie wird an dem Fall tüchtig mitverdienen. Sie ist am jetzigen Artikel finanziell beteiligt.

«Am Besten ist, du machst dich gleich an die Arbeit, eine solche Chance bekommst du nicht so schnell wieder.»

Mit einem gemischten Gefühl geht Susanne zur Einvernahme auf den Polizeiposten. Max ist für sie selber zu einem Rätsel geworden. Irgendwie ist sie eifersüchtig auf Rebekka. Dieses junge Ding nimmt sich einfach heraus, ihr Max wegzunehmen. Aber handelt es sich um ein Wegnehmen? Aber was wollte er sonst von ihr? Macht es ihn einfach unglaublich scharf, ein unverdorbenes Mädchen zu verführen? Gehört er zu den Männern, welche auf solche jungen Mädchen stehen? Denkbar wäre es schon, dass die Scheidung, der Alkohol und die Ereignisse in Afrika, zu einer psychischen Störung führten.

Während der Befragung regt sie sich furchtbar darüber auf, was für intime Details, dieser Beamte alles wissen will. Mehrmals verweigert sie die Aussage unter dem Hinweis, dass ihr Sexualleben nicht zur Diskussion steht. Sie hat nicht die Absicht, einen Seelenstrip hinzulegen und ist auch nicht bereit, den Beamten über ihre Sexpraktiken Auskunft zu geben, damit sich der daran ergötzen kann. Der Beamte treibt sie aber trotzdem ziemlich in die Enge. Seine Drohungen, bezüglich der Illegalität ihrer Beziehung zueinander, sowohl steuertechnisch, wie auch nach den geltenden Arbeitsrechten, verunsichern Susanne sehr. Zum Glück bezieht Max keine Arbeitslosenunterstützung mehr, sonst wäre sie vermutlich noch wegen Beihilfe zum Betrug einvernommen worden. Aus der jetzigen Situation kann nicht mehr nachgewiesen werden, ab wann Max wesentlich zu ihrem Verdienst beisteuert hat.

Nach drei Stunden hat Susanne das Verhör endlich hinter sich gebracht, mit einer Wut im Bauch verlässt sie den Polizeiposten. Es ist schon eine Frechheit, was für Fragen sie den Beamten beantworten musste. Auf Grund des Verhörs ist sie jetzt ziemlich sicher, dass Max der Mörder von Anita sein könnte. Dieser Umstand steigert ihre Wut noch beträchtlich.

«Wie konnte ihr Max das antun?»

Wenn er schuldig ist, dann wird sie sich grausam rächen, denn, so langsam fühlt sie sich auch als Opfer von Max. Sie bekommt Angst, wie sie sich rechtfertigen soll, einen solchen Mann als Freund aufgenommen zu haben, ja sie hat sich ihm ja förmlich aufgedrängt. Womöglich wird sich Max mit dieser aufgedrängten Beziehung sogar noch vor Gericht verteidigen und sie steht als moralische Mittäterin da. Aber sie hat es ja nur gut gemeint mit Max, dass sie von dieser Beziehung profitiert hat, das ist eigentlich normal. So ist es bei jeder Beziehung. Aber eines wird ihr immer mehr bewusst und stimmt sie traurig: «Max und Susi, sind ein eingespieltes Team, aber die grosse Liebe war ihre Beziehung nicht.»

Sie haben viel Spass im Bett, aber genau genommen ist es eben doch nur eine Verbindung, welche zustande kam, weil eben beide profitieren. Susi beschliesst, bei Paul in der Redaktion vorbeizuschauen. Sie muss unbedingt wissen, wieso er schon alles in der Zeitung gebracht hat und bei dieser Aussprache will sie ihm in die Augen sehen. Handelt es sich um einen Racheakt gegen Max, ist er eifersüchtig, oder will er nur gross rauskommen und endlich eine grosse Nummer in der Zeitung sein?

Susi meldet sich unten an der Rezeption an. Paul ist anwesend und wird sie empfangen.

«Hallo Susi!», begrüsst sie Paul, «komm, wir fahren irgendwo hin, wir müssen uns ungestört unterhalten können. Ich nehme meinen Wagen, da bin ich telefonisch erreichbar. So werde ich informiert, wenn meine Frau anruft.»

Paul fährt in Richtung Jura und sie halten in einem kleinen Gartenrestaurant. Die Aussicht auf das Aaretal ist wunderbar. Aber sie sind nicht wegen der Aussicht gekommen, während der Fahrt wurde nicht über den Fall Max gesprochen. Erst als sie im Gartenrestaurant sitzen legt sie los.

«Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, den Bericht schon in die Zeitung zu geben?», dabei gibt sie sich keine Mühe ihre Wut zu verbergen.

«Wenn man deinen Bericht gelesen hat, dann ist es schon klar, dass Max ein Mörder ist. Es ist ein Wunder, dass du wenigstens nur M. M. geschrieben hast. Aber sonst hast du alles geschrieben, was ich herausgefunden habe.»

«Ja, du hast ja Recht, aber wir haben da auch unsere Verbindungen zur Polizei und die haben eigentlich keine grossen Zweifel mehr, dass dein Max der Täter ist und in dieser Situation muss man handeln, sonst nimmt dir die Konkurrenz die Butter vom Brot. Heute werden es sowieso schon die Spatzen vom Dach pfeifen. So ist nun mal unser Beruf, dem Zweiten bleiben nur die Brosamen, du musst der Erste sein. Die Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht.»

Heftig wird hin und her gestritten. Nicht ohne Stolz stellt Susi fest, dass auch eine gehörige Portion Eifersucht mitspielt. Paul scheint ihre gelegentlichen Seitensprünge doch zu vermissen, denn seit Max bei ihr eingezogen ist, hat sie schon gar keine Möglichkeiten mehr, sich mit ihm im Bett zu treffen. Für Susi ist das kein Problem, sie hat ja Max, für Paul ist es ein echter Abbau an Lebensqualität.

 

«Du bist natürlich finanziell voll mitbeteiligt», erklärt Paul, «ich denke wir teilen zu gleichen Teilen. Du bringst die Informationen aus erster Hand und ich schaue, dass ich möglichst viel herausholen kann. Nur zusammen sind wir stark.»

Sie unterhalten sich noch eine Weile über Max, was für Storys er liefern kann und wann, sie welche, bringen wollen. Susi kommt sich gemein vor, aber Max hat auch nicht an sie gedacht, als er dieser jungen Göre nachlief.

«Kommst du noch mit zu mir», fragt Susi Paul, «ich habe Lust, ich muss mich ein bisschen abreagieren.»

«Bei so einem verlockenden Angebot kann ich nicht nein sagen. - Ober zahlen!»

In ihrer Wohnung stürzen sie sich aufeinander wie zwei Verliebte, die sich fünf Wochen nicht gesehen haben.

Max beginnt den zweiten Tag im Gefängnis optimistisch. Der Kaffee schmeckt ihm gut. Er hat sehr schlecht, aber dafür lange geschlafen. Ohne Eile kann er seine verschiedenen Arbeiten verrichten, welche es an Hand der Hausordnung zu tun gibt. Um acht Uhr ist er zum ersten Verhör bestellt. Herr Friener setzt seine Befragung fort. Er ist jetzt in Besitz des Notizbuchs und Max versucht anhand der Eintragungen die Fragen des Untersuchungsrichters zu beantworten. Es gelingt Max jedoch nur unvollständig zu belegen, wo er sich an den fraglichen Tagen aufgehalten hat. Bei seinen unterschiedlichen Tagesabläufen ist dies nicht verwunderlich, zu dumm für Max, dass ausgerechnet diese Tage sehr schlecht dokumentiert sind. Dies ist für den Staatsanwalt wieder ein Hinweis mehr, der Max verdächtig macht.

«Wir müssen hier die Befragung unterbrechen», meint Herr Friener gegen zehn Uhr, «Herr Doktor Marti, unser Gefängnisarzt, wird sie jetzt noch untersuchen.»

«Aber, wann komme ich nun endlich frei?», regt sich Max auf, «ich habe ja nichts gemacht! Was wollt ihr denn noch von mir? Ich will nicht den Sündenbock für jemand anderes sein. Ich habe diese Anita noch nie vorher gesehen! Das könnt ihr mit mir nicht machen, ich werde sie verklagen!»

Max schreit in seiner Wut immer lauter. Plötzlich kommen zwei uniformierte Polizisten ins Zimmer, nehmen Max in den Polizeigriff und führen ihn aus dem Zimmer. Vergeblich versucht er sich zu wehren. Er wird in ein Untersuchungszimmer geführt, das wie eine Arztpraxis eingerichtet ist.

«Bitte beruhigen sie sich», besänftigt ihn der Arzt, «wenn sie unschuldig sind, wird sich das herausstellen, für die moderne Wissenschaft ist das kein Problem. Ich bin Doktor Marti. Bitte ziehen sie sich aus, ich muss sie untersuchen.»

Max beruhigt sich wenigstens ein bisschen und gibt sich wieder friedlicher, so dass ihn die beiden Beamten loslassen. Doktor Marti setzt seine Bemühungen fort, Max zu beruhigen. Jetzt können die beiden Beamten draussen zu warten.

Er beginnt mit der Untersuchung, Max wird Blut entnommen, dann untersucht er seinen ganzen Körper und Max muss über jeden Kratzer, der an seinem Körper auftaucht Auskunft geben und von seinem Ägyptenabenteuer gab es da doch einige, besonders von den scharfen Korallen am Strand und von seinen Kletterpartien in den Felsen am Nil.

Später werden ihm peinliche Fragen über seine sexuellen Praktiken gestellt. Welche Stellungen er bevorzugt, ob er gerne mit dem Mund befriedigt werde, ob er schon anal verkehrt habe und natürlich, ob ihn junge Mädchen oder sogar Männer, sexuell erregen.

«Nun brauche ich noch ihr Sperma», erklärt der Arzt und man kann ihm ansehen, dass es ihm auch ein wenig peinlich ist, «sie können es in dieser Kabine erledigen. Darf ich sie bitten.»

Es ist schon eine verdammt peinliche Situation für Max, aber unter diesen Bedingungen geht es einfach nicht. Dieser Umstand vermerkt der Arzt mit der Bemerkung: «Leichte Potenzprobleme!» im Protokoll.

«Versuchen sie es damit», er reicht ihm ein Pornoheftchen durch die Kabinentür. Damit soll es eigentlich gehen. Tatsächlich bringt es Max hinter sich, es ist so peinlich.

«Na endlich», brummt der Arzt mürrisch, «warum nicht gleich so.»

Max kocht wieder vor Wut, aber er nimmt sich zusammen und blieb stumm.

«So, wir wären fertig», erklärt der Arzt und ruft einen Beamten herein, «sie können Herr Meier wieder in seine Zelle bringen.»

Kurze Zeit später ist Max wieder allein in seiner Zelle. Dass man sich eine solche Behandlung gefallen lassen muss ist ungeheuerlich. Aber was kann er machen, am liebsten hätte er diesen Doktor Marti umgebracht, «Leichte Potenzprobleme!!», so ein Idiot. Was hat das damit zu tun, wenn man unter solchen Bedingungen nicht kann. Überhaupt war die ganze Untersuchung eine einzige Demütigung für ihn. Er hockt auf seinem Bett und denkt über seine Lage nach, so langsam hat er die Hoffnung aufgegeben, dass er hier schnell wieder rauskommt. Plötzlich bekommt er einen Weinkrampf.

Nach dem recht guten Mittagessen erhält er Besuch vom Pfarrer. Max hat schon lange kein Gespräch mit einem Pfarrer geführt. Er hat Probleme mit Beten, er kann sich einfach nicht vorstellen, dass das etwas helfen soll. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass man sich selber helfen muss. Doch nun ist Max plötzlich in eine Lage geraten, aus der er selber nicht herauskommt. Es wird ihm bewusst, dass er fremde Hilfe braucht, wie damals in Ägypten, als er ohne die Hilfe von Mustafa nicht durchgekommen wäre. Diesmal ist er auf eine andere Form von Hilfe angewiesen, nur weiss er nicht genau, wie die aussehen muss. Der Pfarrer jedenfalls scheint nicht der richtige Partner zu sein.

Der Pfarrer gibt ihm den Rat, sich einen Rechtsanwalt zu suchen. So wie seine Lage zurzeit steht, muss Max einsehen, dass es wohl das Beste ist.

«Können sie mir einen empfehlen», fragt er den Pfarrer, «bis jetzt habe ich nur bei der Scheidung einen gebraucht, aber den möchte ich nicht mehr sehen, das ist für mich abgeschlossen.»

«Ich habe da eine Liste mit allen Rechtsanwälten der Region», erklärt der Pfarrer und nimmt einige Blätter mit Adressen aus der Aktentasche, «ich kenne die Leute auch nicht gut, in ihrer Lage wird es schwer werden, dass wir einen finden, der den Fall übernehmen will. Die sind an Fällen, bei denen es viel Arbeit gibt und nur schlechte Aussichten auf normale Bezahlung besteht, nicht besonders interessiert.»

Max darf mit dem Pfarrer in ein Zimmer mit einem Telefon wechseln und dort rufen sie einige Rechtsanwälte an. Wie der Pfarrer bereits angekündigt hat, sind die meisten zu sehr beschäftigt und wollen vor ihrem Jahresabschluss nicht noch einen neuen Fall übernehmen. Schliesslich finden sie eine Frau Doktor M. Moser, welche sich bereit erklärt, den Fall zu übernehmen. Für heute reicht es allerdings nicht mehr zu einem Besuch. Sie würde versuchen, ihren neuen Mandanten morgen zu besuchen. Vor diesem Gespräch ist nicht sicher, dass sie den Fall übernimmt.

Max muss sich also damit abfinden, dass er noch eine Nacht hier verbringen muss. Dieser Gedanke ist für ihn in seiner heutigen Verfassung fast unerträglich, ausserdem quält ihn, dass er nicht mit Susi sprechen darf. Er hätte ihr gerne alles erklärt, wie das mit der Beziehung zu Rebekka genau war, sicher hätte sie Verständnis für ihn gehabt. Den Pfarrer konnte er mit seiner Geschichte überzeugen, so hat er wenigstens den Eindruck gehabt, doch bei einem Pfarrer weiss man nie so genau, ob sie ihre Meinung äussern, oder er nur das erzählt, was sein Gegenüber hören will.

Max hat auf jeden Fall einen sehr schlechten Nachmittag, wenn er noch gewusst hätte, was in der Zeitung stand, wäre es ihm noch schlechter gegangen. Den endgültigen Tiefschlag erhält er kurz vor dem Nachtessen. Ein uniformierter Polizist bringt ihm seine Koffer. Darin sind alle seine Effekten verstaut. Sie hat gar nichts vergessen. Alles ist im Koffer, sein Schachcomputer, sein Notebook, seine Pyjamas und seine gesamte Wäsche. Viel mehr besitzt er ja immer noch nicht. Durch die Tränen in seinen Augen kann er den kurzen, aber eindeutigen Brief fast nicht lesen, welcher den Koffern beigelegt ist. Darin teilt ihm Susi mit, dass sie von ihm grenzenlos enttäuscht sei, vor allem, dass er hinter jungen Mädchen herschleiche, was ja bewiesen sei, veranlasse sie, ihre Beziehung sofort zu lösen. Sie wünsche, dass er endgültig aus ihrem Leben verschwinde und sie nicht mehr belästige.

Nun ist Max wieder allein. Mit Rebekka kann er sich in nächster Zukunft sicher nicht aussprechen und Susi hat ihn mit diesem Brief so grenzenlos enttäuscht, dass er selber sie gar nicht mehr sehen will. Es wird ihm bewusst, dass ihre Beziehung nicht die grosse Liebe war, sondern doch eher eine zweckmässige Verbindung. Das hiess jedoch und das ist für Max ein schwerer Schlag, er hat soeben, seinen Job, seine Wohnung und seine letzte Bezugsperson verloren. Das Essen rührt er nicht an und hat deshalb mit dem Wärter eine heftige Diskussion, weil das Geschirr noch schmutzig ist, als der es abholen will.

«Ach, leck mich am Arsch», hat er geschrien und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte ihm das Geschirr an den Kopf geworfen. Der Beamte hat zum Glück Erfahrung mit solchen Situationen und zieht sich sofort, ohne sich auf eine weitere Diskussion einzulassen, mit dem gefüllten Essgeschirr zurück. Max ist für die Nacht mit seinen Gedanken allein.

«Soll er sich umbringen?», fragt er sich immer wieder, «es hat ja alles keinen Sinn mehr, alles läuft gegen ihn!»

Die Verteidigerin

Am nächsten Morgen wird Max um neun Uhr ins Besuchszimmer geführt. Dort wartet er gespannt auf seine Verteidigerin. Er muss nicht lange warten und die Türe öffnet sich. Eine kleinere, nicht als schlank zu bezeichnende Frau, mit schönen dunkelblonden Haaren betritt das Zimmer. In ihren dunklen Augen erkennt Max einen unsicheren, aber freundlichen Eindruck.

«Ich bin Frau Marina Moser», stellt sie sich vor, «und Sie sind Herr Max Meier? Sehr erfreut.»

Sie geben sich die Hand und sie setzt sich ihm gegenüber an den Tisch. Langsam richtet sie sich ein und meldet sich mit gezücktem Kugelschreiber bereit.

«So, von mir aus kann's losgehen», beginnt sie das Gespräch, «noch kurz zu meiner Person, ich habe mein Studium vor einem Jahr abgeschlossen, meine eigene Kanzlei betreibe ich erst seit einem Monat. Nun erzählen sie mir, wie sie in die Sache rein geraten sind?»

Max erzählt der Reihe nach, wie alles passierte, beginnend bei seiner Entlassung und der Scheidung, über seine abenteuerliche Flucht bis zur verhängnisvollen Suche nach Rebi, welche ihm schliesslich diese Probleme eingebrockt hat.

«Ja, das ist eine schöne Geschichte, die sie mir da erzählen, für mich tönt es sogar glaubwürdig. Wenn ich es allerdings aus der Sicht des Staatsanwalts betrachte, könnte das natürlich ebenso eine sorgfältig vorbereitete Geschichte sein, in dieser Hinsicht verstehe ich den Staatsanwalt, dass er zuerst die Ermittlungen zu Ende führen will.»

«Steht es so schlecht um mich?», fragt Max ängstlich, «das gibt's doch nicht, ich bin wirklich unschuldig. Man kann doch nicht einen unbescholtenen Bürger einfach einsperren.»

«Doch man kann! Allerdings nicht unbeschränkt, wir müssen jetzt schnell versuchen, ihre Unschuld eindeutig zu beweisen. Nur weiss ich im Moment noch nicht, wo wir da anfangen sollen, das muss ich mir zuerst noch genau überlegen. Ihrer Freundin Susanne setzt die Sache mächtig zu. Sie schiesst mit scharfem Geschütz auf sie. Aber das wissen sie vermutlich noch gar nicht, sie durften bis jetzt noch keine Zeitungen lesen.»

Mit einem Griff in die Aktentasche holt sie einige Zeitungen hervor. Die Schlagzeilen sind nicht zu übersehen. In der Ausgabe von gestern ist noch von M. M. die Rede, in der heutigen Ausgabe heisst er schon Max. M. ein geschiedener, arbeitsloser Computerfachmann aus Olten. Wenn das so weiter geht, steht morgen bereits der volle Name mit Bild in der Zeitung.

«Dies müssen wir als erstes verhindern», erklärt Frau Moser kämpferisch, «ihnen Herr Meier, kann ich nur empfehlen, sich auf einen längeren Aufenthalt einzurichten, denn bei dieser Pressekampagne kann sich die Polizei nicht erlauben, sie laufen zu lassen, ohne dass sie von ihrer Unschuld hundertprozentig überzeugt ist. Ich brauche noch etwas Zeit, um mich mit dem Fall vertraut zu machen. Das Beste ist, wir sagen alle Termine beim Staatsanwalt ab, bis wir unser Konzept erstellt haben, es ist manchmal sehr wichtig, dass man nicht alle Karten gleich am Anfang auf den Tisch legt. Ab sofort gibt es keine Befragungen mehr, ohne dass ich anwesend bin.»

 

«Wenn wir uns nicht zur Vernehmung stellen, dauert es doch noch länger, bis ich meine Unschuld beweisen kann.»

«Da haben sie allerdings Recht, doch solange wir ihnen nicht beweisen können, dass sie es nicht waren, werden sie sicher nicht freigelassen. Wenn wir unsere Trümpfe zu früh auf den Tisch legen, stechen sie vielleicht nicht so gut, wie sie sollten. Sie können doch Schachspielen? Sie können auch auf Komfort verzichten? Eine Stelle haben sie, soweit ich informiert bin, auch keine mehr? Also, sie werden das schon packen, nur Mut. So, nun muss ich mich verabschieden, aber noch etwas muss ich ihnen sagen: Sobald ich nicht mehr von ihrer Unschuld überzeugt bin, werde ich mein Mandat niederlegen und das wäre für sie sehr schlecht. Ich kann sie als Frau nur verteidigen, wenn ich von ihrer Unschuld überzeugt bin. Wenn sie also schuldig sind, unterzeichnen sie diese Vollmacht besser nicht und suchen sich einen Mann als Verteidiger, der kann dafür sorgen, dass die Strafe etwas milder ausfällt. Also, Herr Meier, können sie meine Vollmacht mit ruhigem Gewissen unterzeichnen?»

«Ja, das kann ich ohne Bedenken tun», erklärt Max und setzt die Unterschrift unter die Vollmacht, «ich habe volles Vertrauen zu Ihnen.»

Damit ist die erste Sitzung mit seiner Verteidigerin beendet.

Da alle Termine mit dem Staatsanwalt abgesagt sind, muss Max den ganzen Tag in seiner Zelle verbringen. Er ist sehr deprimiert, denn es besteht keine Aussicht, dass er bald freigelassen wird. Wieso hasst ihn Susi jetzt plötzlich, was hat er ihr getan? Na gut, es war genau gesehen eben doch nur eine Zweckverbindung, die recht gut funktioniert hatte. Die grosse Liebe war es sicher nicht. Aber enttäuscht ist er trotzdem.

Den ganzen Nachmittag versucht er Schach zu spielen, in so einer ruhigen Umgebung hat er noch nie gespielt, trotzdem gelingt es ihm nicht, sich zu konzentrieren. Diese Frau Moser gibt ihm auch Rätsel auf, er weiss nicht, woran er mit ihr ist, von seiner Unschuld ist sie noch nicht ganz überzeugt, das hat er gemerkt.

Sie ist vielleicht etwas mollig, aber ihr Busen ist sehr gut entwickelt und sie wirkt auf ihn sehr sexy. Er mag es, wenn eine Frau, nicht nur aus Haut und Knochen besteht.

Vor dem Einschlafen macht er sich Gedanken über die Menschheit. Sind die Menschen von Natur aus Bestien, welche alles was schwächer ist als sie, unterdrücken? Ist das der natürliche Selbsterhaltungstrieb, schauen, dass das Schwache schwach bleibt, so dass es nicht plötzlich stärker wird? Wenn man die Reaktion der Menschen in den verschiedenen Situationen beobachtet, so muss er einsehen, dass diese Theorie etwas an sich hat. Anderseits darf er jetzt aus dieser verzwickten Situation heraus, nicht zu schlecht über die Menschen denken, es gibt auch gute. Nur hat es ein guter Mensch schwer, sich durchzusetzen. Wenn man nicht die zum Überleben nötige Härte hat, ist man zu einem Schattendasein verurteilt.

Langsam gewöhnt sich Max an den Gefängnisalltag. Er besteht meistens darin, dass er am Morgen mit Frau Moser eine Unterredung hat. Was die schmutzige Pressekampagne betrifft, hält sie ihn auf dem Laufenden. Sie stellen sich auch wieder den Verhören des Staatsanwalts, es ist unmöglich, was die alles wissen wollen, zum Glück ist Frau Moser dabei, die doch viele der persönlichen Fragen zurückweist.

«Das hat nichts mit dem Fall zu tun», stellt sie fest und der Staatsanwalt verzichte auf die Frage, oder formuliert sie anders. Max gewinnt langsam Vertrauen zu Frau Moser, oder Marina, so nennt er sie in seinen Gedanken.

Max hat es jetzt plötzlich nicht mehr eilig, aus dem Gefängnis zu kommen. Er freut sich auf die täglichen Unterredungen mit Frau Moser, welche, wie er inzwischen erfreut festgestellt hat, eigentlich ein Frau Moser ist. Das lange Studium verhinderte bis jetzt, dass sie sich verheiraten konnte. Sie ist auch fest entschlossen, mindestens das Studiengeld wieder hereinzuholen, bevor sie heiraten will. Somit ist sie dazu verurteilt, noch einige Zeit zu praktizieren.

Die Bemühungen von Marina gelten zuerst dem Alibi für die Tatzeit. Da die Tatzeit nie genau festgelegt werden konnte und nach so langer Zeit auch kein lückenloser Zeitplan für den fraglichen Tag gelingt, muss sie diese Bemühungen schlussendlich einstellen. Die Resultate der medizinischen Untersuchung werden vom Staatsanwalt noch unter Verschluss gehalten. Danach setzt sie auf das Protokoll der Befragung von Rebekka. Sie muss damit drohen, dass sie Rebekka selber befragen will, wenn ihr das Protokoll der Befragung nicht ausgehändigt wird. Sie studiert daraufhin die Aussagen des Mädchens. Sie decken sich eigentlich recht gut mit den Aussagen von Max. Nur die Frage, ob sie Angst vor Max gehabt habe, beantwortet sie schlussendlich mit ja und das ist für Max nicht günstig. Es wäre von Vorteil, wenn sie diese Aussage etwas präziser haben könnte, oder wenn sie wüsste, ob sie unter einem gewissen Druck zustande kam. Aber vorerst wird sie auf eine Befragung von Rebekka verzichten, sie allein bringt nicht den Durchbruch. Man muss auf die medizinische Untersuchung warten. Ein grosses Problem sind die sogenannten Insiderinformationen, über welche Max verfügt, die anscheinend nur der Täter wissen konnte. Max beteuert, dass er diese Infos, durch abhören des Polizeifunks erfahren hatte. Eigentlich dürfen Polizeibeamte über solche Dinge nicht am Funk sprechen. Sie muss jemand suchen, der auch denselben Funkspruch empfangen hat. Keine leichte Aufgabe, da es verboten ist, den Polizeifunk abzuhören.

Zu einem sehr grossen Problem werden die Berichte in den Zeitungen. Paul und Susanne drücken tüchtig auf die Tube. Jeden Tag bringen sie neue Einzelheiten über Max M. Heute ist sogar schon ein Bild von Max in der Zeitung, sein Gesicht wird noch unkenntlich gemacht, aber lange wird es nicht dauern und dann sind auch diese Balken verschwunden.

Die Verhöre mit der Staatsanwaltschaft verlaufen für das Duo, Max und Marina nicht besonders erfolgreich. Der Staatsanwalt ist sehr hartnäckig und da das Alibi löchrig bleibt, hat man es schwer, sich erfolgreich zu verteidigen. So wagt es Marina nicht, einen Antrag auf eine Haftentlassung zu stellen. Der Staatsanwalt kommt seinerseits mit der Erstellung der Anklageschrift nicht vorwärts, dabei rücken die Herbstferien immer näher und er hätte gerne den Fall noch vorher abgeschlossen. Alle Versuche, Max zu einem Geständnis zu bewegen, bleiben erfolglos. Die Beamten sind überzeugt, dass daran die Verteidigerin schuld ist, denn sie verhindert, dass man ihn so richtig in die Zange nehmen kann, aber so sind nun einmal die Gesetze.

Max wird wieder in seine Zelle geführt. Er setzt sich so auf seinen Stuhl, dass er zum Fenster hinaus auf den Jura blicken kann. Immer wieder überlegt er sich, was er machen soll, wenn er wieder aus dem Gefängnis raus kommt? Zurück zu Susi kann er nicht, an der Aare schlafen geht erst recht nicht mehr, eine Wohnung zu finden, wird auch nicht sehr einfach werden. Wenn er es realistisch betrachtet, ist es das Beste, wenn er noch eine Weile eingesperrt bleibt, aber das ist natürlich auch nicht das Richtige. Plötzlich klopft es an der Türe.

«Meier, du hast Besuch, in fünf Minuten kommen wir dich holen», ruft der Wärter durch die Türe.

«Das gibt es doch gar nicht», denkt Max, «wer will mich besuchen? Frau Moser kann es nicht sein, das weiss er.»

Er steht auf und macht sich zurecht.