Der Politiker

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Hitler in Worms /1932

Das Strassenbild in Worms verändert sich. Immer mehr junge Männer in Uniformen stolzieren durch die Gassen. Ihr Benehmen gibt zu Sorgen Anlass. Zivilisten müssen aufpassen, dass nicht eine Gruppe uniformierter sie aufs Korn nimmt. Wahllos werden Leute angegriffen und verprügelt. Nach einem Überfall ist es besser, sich ruhig zu verhalten. Eine Anzeige bei der Polizei ist zwecklos. Die Banden werden durch sie geschützt. Wenn man Pech hat, landet man als Anstifter einer Schlägerei im Knast.

Franz hat gelernt mit ihnen umzugehen. Wenn ihm eine Gruppe begegnet, hebt er den rechten Arm und grüsst zackig. Das macht Eindruck und hilft darüber hinweg, dass er kein Parteiabzeichen trägt. Sein Verhalten ist ihm innerlich zuwider, es ist jedoch besser als verprügelt zu werden. Er sehnt sich nach der Zeit des Kaisers zurück.

Der Winter 1932 ist wieder sehr streng. Franz muss langsam seine Reserven anzapfen. Um wenigstens ein Zimmer warm halten zu können, tauscht er drei Laib Käse gegen Briketts ein. Zu Essen gibt es Sauerkraut und Kartoffeln, ab und zu kocht Rosa ein bisschen Schinken.

Als sich endlich der Frühling ankündigte, ist das Schlimmste überstanden. Aus dem Garten gibt es frühen Salat. Mit der wärmeren Jahreszeit legen wieder mehr Schiffe im Hafen an und die goldene Gans macht mehr Umsatz.

Ende Mai hängen überall in der Stadt Plakate, welche auf einen Auftritt von Adolf Hitler im Wormatia Stadion am 12. Juni hinwiesen. Das ist ein grosses Ereignis und wird von vielen mit Begeisterung erwartet.

Für Franz hatte der Besuch von Hitler verheerende Folgen. Die SA wollen Worms im besten Licht erscheinen lassen. Am 3. Juni stürmen zwanzig SA-Leute die goldene Gans und schlagen alles zusammen. Es gab einige verletzte Gäste. Der Wirt wird schwer verletzt in Spital eingeliefert. Franz hat Glück, er war zum Zeitpunkt des Überfalls nicht im Lokal. Die SA nahm es dem Wirt immer noch übel, dass sie in Uniform nicht ins Lokal durften. Jetzt kann gar niemand mehr ins Lokal. Die Türe der goldenen Gans wurde mit Brettern vernagelt.

Brauchbar ist das Lokal eh nicht mehr. Das gesamte Mobiliar wurde zertrümmert. Nun hat Franz seine Haupteinnahmequelle verloren. Dank dem Garten kann er sich über Wasser halten, aber was bringt der nächste Winter?

Dann kommt der 12. Juni. Zu tausenden strömen die Leute ins Stadion. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadion wütete der Mob. Alles was nach jüdisch aussieht, wird zerstört. Zum Glück liegt der Laden von Goldberg nicht in der Nähe des Stadions. Vorsorglich hat er das Geschäft die ganze Woche geschlossen. Kunden sind eh selten geworden. Neue Uhren kann er schon lange nicht mehr verkaufen. Lediglich mit Reparaturen, welche Joshua durchführt, hält er sich über Wasser.

Für Franz ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, er musste sich entscheiden, denn bei den Braunen gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Die Nachbarschaft beobachtet ihn schon lange. Zu verlockend ist es, einen bei der SA anzuschwärzen, so kann man von sich selber ablenken und hat seine Ruhe.

Vor dem Einschlafen diskutiert er mit Rosa, soll er morgen ins Stadion? Rosa hat sich sehr verändert. Seit Hitler allgegenwärtig ist, geht sie nur noch selten in die Kirche.

«Natürlichen gehst du hin, du musst mit der Zeit gehen», stellt Rosa fest, «du hast schon die Stelle verloren, nur weil du für die falsche Partei kandidiert hast. Du kannst dir mal anhören was dieser Hitler zu berichten hat. Das bedeutet ja nicht, dass du ihn dann wählen musst.»

«Meinst du?», fragt Franz nach, «ich habe ja nicht einmal eine Binde mit Hakenkreuz, da falle ich auf und werde womöglich noch verprügelt.»

«Dann nähe ich dir so eine Armbinde, das ist doch kein Problem. Stoff habe ich.»

«Das würdest du machen?», fragt er unsicher, «ist das nicht Verrat an den Goldbergs?»

«Hat sich Goldberg um dich gekümmert, als du die Arbeit verloren hast?»

«Konnte er ja nicht», wendet Franz ein, «das hätte es nur noch schlimmer gemacht.»

«Ja vielleicht hast du Recht, aber jetzt muss man für sich schauen. Die Braunen schauen gut zu ihren Leuten, die haben alle Arbeit.»

Damit ist das Thema erledigt, bis Mittag hatte Franz seine Armbinde. Die Farbe stimmt nicht genau, aber da wird er nicht der Einzige sein. Sein Haus verlässt er noch ohne Armbinde. Erst als er sich der Hauptstrasse nähert, holt er die Binde aus der Tasche und streift sie über den linken Arm. Nun ist er einer von Ihnen, das deutsche Volk muss zusammenhalten.

Im Stadion herrscht eine gespannt Stimmung. Die lokalen Organisatoren waren nervös. Der Führer soll einen guten Eindruck von Worms bekommen, das ist man der Stadt schuldig. Bevor der hohe Gast eintrifft, muss der Gruss geübt werden. Zu tausenden brüllten die Leute: «Heil Hitler!»

Als Franz die kritischen Blick der nebenstehenden Leute bemerkte, weil er nur die Lippen bewegte, schrie er bei der nächsten Übung kräftig mit. Jetzt strahlten die beiden kräftigen Männer neben ihm, geht doch, verrät ihr Gesichtsausdruck.

Dann kam der grosse Moment. Hitler tritt an das Rednerpult. Kaum hat die Menge ihn erblickt, bricht ein unglaublicher Jubel aus. Die Menge ist wie verhext, jeder schreit aus Leibeskräften. Franz ist verwirrt, er hatte sich Hitler grösser vorgestellt. Na egal, mal hören was er zu sagen hat. Die Blicke der beiden Kerle veranlassten ihn mitzuschreien. Dass er heiter, statt Hitler schrie, bemerkt keiner der Umstehenden.

Dann beginnt Hitler zu sprechen. Zumindest versuchte er es, aber kaum dass er die Stimmen erhebt, brandet der Jubel los. Erst nachdem seine Gesten andeuten, dass es genug sei, kann er seine Parolen ins Stadion schreien. Franz versteht nichts, er wird von zwei Lautsprechern, die nicht synchron sind, mit Ton versorgt. Zudem geht alles im Jubel unter. Er ist zu weit hinten, er kann Hitler nicht verstehen.

Nur Bruchstücke gelangen zu ihm. Deutschland muss sich von den Klauen der Siegermächte befreien! - Deutschland muss wider stark werden und dass der Jude an allem Schuld ist! sind die wichtigsten Punkte die er versteht. Aber eines wird ihm bewusst, gegen diese Fanatiker kommt man nicht an. Es ist wieder wie zu Zeiten des Kaisers, jemand übernimmt Verantwortung.

Franz lässt sich von der Stimmung mitreissen. Ein unglaubliches Gefühl der Zusammengehörigkeit ist zu spüren. Jeder wird mitgerissen, das Gehirn ist ausgeschaltet. Der Mann auf dem Podium hat die Massen im Griff. Sie schreien wenn er will, sie heben den rechten Arm, wenn er es befiehlt! Es ist unheimlich. In den Gesichtern der Zuhörer erkennt er, sie sind bereit dem Führer zu folgen und das ohne jede Kritik.

Gegen Ende der Veranstaltung wird nur noch geschrien. Fahnen werden geschwenkt, dann stehen die Uniformierten stramm und salutieren. Alles begleitet von Rufen: «Heil Hitler!»

Auch Franz schreit mit, dabei ist sein Innerstes immer noch am Zweifeln. Solange er im Stadion ist, wird das Gewissen verdrängt. Er ist ein Teil der fanatischen Masse, das muss er akzeptieren.

Dann ist die Veranstaltung zu Ende. Der Führer wird in seinem Auto weggefahren, noch einmal huldigt ihm die Menge. Die löst sich nur langsam auf. Immer wieder stolziert ein Uniformierter auf die Bühne und fordert die Menge auf, Hitlers Name zu schreien oder ihn hochleben zu lassen.

Erst nachdem er stundenlang in der Mass stehen musste, kann Franz sich auf den Heimweg machen. Langsam wird ihm bewusst was er eben erlebt hat. Der Franz der da im Stadion stand, das ist nicht der Franz den er kennt. Kann man Hitler mit dem Kaiser vergleichen? Eigentlich nicht, er ist klein und unscheinbar und trotzdem fasziniert er die Massen. Aber warum? Darauf weiss er keine Antwort, da muss er erst darüber schlafen.

«Und wie war es?», fragt Rosa.

«Unheimlich», mehr bringt er nicht raus.

«Ist das alles?»

«Er hatte sie in der Hand, es war unheimlich.»

«Nun erzähl doch, was hatte er für einen Anzug an?»

«Was interessiert mich sein Anzug? - Ja ich glaube er trug einen Anzug nicht die Uniform, aber ich bin mir nicht sicher, ich stand weit hinten.»

«Das nächste Mal muss ich wohl selber hingehen, du erzählst ja nichts.»

«Das kann ich dir nicht empfehlen. Politik ist Männersache. Die würden dich zerdrücken, da geht es nicht sehr friedlich zu. Ich kaufe morgen eine Zeitung, dann kannst du alles nachlesen.»

Danach versinkt Franz in grosses Schweigen. Der Tag macht ihm Angst, wie geht es weiter? Wird Hitler Deutschland wieder gross machen. Dagegen hat er nichts, nur dieser Hass auf die Juden, das kann er als Katholik nur schwer akzeptieren, dieser Goldberg ist doch ein angenehmer Zeitgenosse. Der hatte viel Pech im Leben und hat sich wieder gefangen. Franz könnte ihm nichts vorwerfen.

Sicher gibt es unter den Juden solche, die wissen wie man ein gutes Geschäft abschliessen kann. Ist das ein Verbrechen? Gut vielleicht meint Hitler die Juden, welche die Gutgläubigkeit der Mitmenschen ausnutzen und ihr Vermögen mit illegalen Geschäften anhäuften. Dass man gegen diese Leute vorgeht, da kann er nichts dagegen einwenden. Sicher meinen die Nazis nur solche Juden. Die Juden die Franz kennt, sind im Alltag integriert und fühlen sich als Deutsche. Wenn er da an seine Grossschwiegermutter denkt. Die hatte deutsche Soldaten gepflegt. Da kann man doch nicht von einer Jüdin sprechen, sie ist so deutsch wie andere Frauen.

Plötzlich läuft es ihm kalt den Rücken runter. Es wird ihm bewusst, dass er gar nicht in die NSDAP eintreten kann, er hat jüdisches Blut in seiner Verwandtschaft. Was heisst das nun für ihn? Die Vernunft sagt ihm, dass er die NSDAP mit allen Mitteln bekämpfen müsste, doch kann er das überhaupt? Wie konnte er, als er Rosa heiratete, wissen, dass sie jüdische Vorfahren hat? Das überprüfte doch damals niemand.

 

Beim Einschlafen drehen sich seine Gedanken um die Zeit, als er an der Kerb überlegte, welches Mädchen er zum Tanz auffordern will. Neben Rosa war da noch die Waltraud und auch die blonde Hanna stand zur Auswahl. Schliesslich viel die Wahl auf Rosa, weil sie sich nicht zierte, als er ihren Busen streichelte. Als er drei Tänze früher das gleiche bei Hanna probierte, spielte die die Entrüstete. Bei Waltraud klappte es nicht, weil sein Freund schneller war. Als er Rosa nach der Kerb nach Hause brachte, waren die Würfel gefallen! Wie konnte er damals ahnen, welch grossen Fehler er gerade beging?

Wieso Fehler? Stellt er entsetzt fest. Mit Rosa hat es doch ganz gut geklappt, jahrelang waren sie ein glückliches Ehepaar. Das soll nun wegen diesen Nazis plötzlich nichts mehr Wert sein? Er lässt sich von denen doch nicht vorschreiben, welche Frau er heiratet. Das geht die doch nichts an.

Trotzdem hat er nun ein Problem. Wie soll er sich verhalten? Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder er ist gegen die Nazis, das ist aber sehr gefährlich. Es bleibt also nur die zweite Möglichkeit, er muss unauffällig mitschwimmen. Nur nicht auffallen und so tun, als ob man sich nicht an der Politik beteiligt. Manchmal wird er eine Armbinde tragen müssen, damit er nicht auffällt, aber was er denkt, das bleibt sein Geheimnis. Vielleicht ist das mit diesen Nazis früher vorbei, als man denkt. Dieser Hitler kann es mit dem Kaiser nicht aufnehmen.

Gefährliche Strassen /1932

Seinen 17. Geburtstag feiert Willi mit den Freunden vom Fussball. Eigentlich plante er eine kleine Feier im Klubhaus. Der Stadionwart riet ihm ab, es könnte sein, dass die Braunen die Feier stören könnten.

So schmückte Willi das Gartenhaus. Rosa und Gabi helfen ihm, dass es trotzt dem kleinen Raum, gemütlich wirkt. Kaum zu glauben, dass seit dem schwarzen Freitag schon vier Jahre vergangen sind. Seither hat sich das Leben der Familie Wolf deutlich verändert. Die guten Zeiten sind vorbei. Für eine einfache Geburtstagsfeier reicht das Geld noch. Es wird ein ruhiger Geburtstag, vom Grammophon, welches ein Freund mitgebracht hat, ertönen mehrheitlich Schnulzen. Das Grammophon gehört seiner Mutter und die liebt diese Schnulzen. Da die meisten Freunde ihre Freundin dabei haben, wird bei schummrigem Licht viel geknutscht.

Die Paare steckten sich gegenseitig an, wenn einer seine Hand auf den Busen seiner Freundin legt, wird es von den anderen Paaren nachgemacht. Die Mädchen welche sich bisher züchtig verhielten, geben ihre Zurückhaltung noch so gerne auf. Lediglich seine Mutter Rosa, welche ab und zu frischen Kaffee bringt, verhinderte, dass die Feier total ausartet.

Gegen neun Uhr ist das Fest beendet. Die Jungen müssen ihre Freundinnen nach Haus bringen. Nachts sind die Strassen von Worms gefährlich, da patrouillierten Nazihorden durch die Strassen. Wehe, sie finden einen Grund, sich mit jemandem anzulegen. Das endete meistens mit einer blutigen Nase oder gar mit einem Spitalaufenthalt.

Der Stadtrat versuchte zwar, seine Polizisten zur Sicherung der Strassen einzusetzen, doch die Nazis finden immer Wege, die Polizei auszutricksen. So ist es sicherer, wenn man sich rechtzeitig in seine Wohnung zurückzieht, da hatte man seine Ruhe.

Wilhelm ist mit Ausnahme von Mittwochabend, den verbringt er immer noch traditionsgemäss mit Gabi, meistens zu Hause. Im nächsten Jahr will er sein Abitur abschliessen. Zurzeit arbeitet er an einem Bericht über die Fliegerei. Das Thema fasziniert ihn immer noch, obwohl seit Lindberghs Flug einige Zeit vergangen ist, werden in der Fliegerei werden laufend neue Rekord aufgestellt. Die technischen Neuheiten sind zahlreich und alle müssen in seinem Bericht erwähnt werden. Noch ist es ein Kampf zwischen Fliegerei und Luftschiffen. Die Flugzeuge sind schneller, doch die Luftschiffe sicherer.

Willi ist auf dem Nachhauseweg vom Fussballtraining. Er sass diesmal noch länger mit seinen Freunden zusammen als üblich, weil man noch den Jahresabschluss feierte. Willi geht durch die aussen Bezirke nach Hause. Hier kann er eine nahende Horde Nazis rechtzeitig hören und sich verstecken.

Er kommt gut voran und wird nicht belästigt. Er ist schon beinahe zuhause, als am Horizont eine helle Stelle auszumachen ist. Nach einigen Sekunden der Unsicherheit realisiert er, dass es irgendwo brennt. Er muss sich entscheiden, soll er nach Hause oder muss er sich um das Feuer kümmern. Schon hört er die Glocke mit der die Feuerwehr alarmiert wird. Er ist also nicht der einzige, welcher das Feuer bemerkt hat. Er kann nach Hause gehen, das Feuer ist bereits gemeldet und die Löscharbeiten sind eingeleitet.

Seine Neugier ist jedoch stärker. Er geht in Richtung des Feuers und nähert sich der Stadt. Das Feuer muss Mitten in der Stadt ausgebrochen sein. Dann kann er die Brandstelle zuordnen, es muss das Stadttheater sein, welches da in Flammen steht.

Inzwischen sind viele Leute eingetroffen und rennen panikartig herum. Die Feuerwehr legt Schläuche aus und beginnt Wasser in das brennende Gebäude zu pumpen. Einer ruft Willi zu sich, er soll beim Pumpen helfen. Kräftig zieht er an der Stange, mit fünf anderen Männern, pumpen sie was ihre Kräfte hergeben.

Eine Stunde später sind sie völlig erschöpft. Es ist nichts zu machen. Das Stadttheater ist nicht zu retten, es brennt bis auf die Grundmauern runter. Erschöpft geht Willi nach Hause. Worms hat ein schönes Gebäude verloren, es wird nie mehr wie früher sein.

Am nächsten Morgen wird vermutet, dass der Brand gelegt wurde. Es gibt Zeugen, welche eine Nazihorde im Bereich des Stadttheaters gesehen haben. Kurze Zeit später bemerkten Passanten, den Rauchgeruch und alarmierten die Feuerwehr. Doch das Feuer bereitete sich rasend schnell aus. Das historische Gebäude ist nicht mehr zu retten.

Wochenlang wurde gerätselt, warum man ein solches Gebäude in Brand steckt. Was und vor allem wem, bringt das etwas? Musste das Gebäude verschwinden, weil dort auch Stücke von jüdischen Autoren aufgeführt wurden? Man weiss es nicht, die vermutlichen Brandstifter werden ermittelt, doch verurteilen kann man sie nicht. Es fehlen die Beweise. Die Zeugen zogen ihre Aussagen zurück. Zum Glück ist der Feuerwehrkommandant so weitsichtig, dass die Namen der Zeugen nicht veröffentlicht werden.

Später findet man bei der Brandruine einen Zettel: Man hat es getan, weil man es konnte!

An einem Nachmittag macht sich Maria auf und besucht Rosa. Sie hat einen Plan den sie mit der Familie Wolf besprechen will.

«Welche eine Überraschung», ruft Rosa erfreut, als sie Maria vor der Türe sieht, «nett, dass du uns wieder mal besuchst.»

«Ich möchte etwas mit dir und Franz besprechen, ist er da?»

«Ja er sitzt in der Stube und studiert sich den Kopf voll, wie er noch etwas Geld verdienen könnte.»

«Ist nicht mehr einfach», bestätigt Maria, «dass Josef als Jude Probleme hat, verstehe ich, aber ihr seid doch deutsche.»

«Franz hatte für die falsche Partei kandidiert, du erinnerst dich. Momentan hat er es nicht leicht. Bis die goldene Gans geschlossen wurde, ging es noch gut, aber jetzt ist die Quelle versiegt.»

In der Stube begrüsst auch Franz die Maria. Nach langen, nichtssagenden Floskeln, kommt Maria auf ihr Anliegen zu sprechen. Sie schlägt vor, dass Franz die Rolle eines Zwischenhändlers übernimmt. Josef würde in der Schweiz und im Schwarzwald Uhren einkaufen und Franz würde diese an deutsche Händler im Rheinland verkaufen.

Franz ist zuerst vorsichtig und glaubt nicht, dass es genug Kunden gibt. Maria kann ihn überzeugen, die Nazis haben Geld um Uhren zu kaufen, nur wollen die mit Juden nichts zu tun haben. Das Uhrengeschäft ist seit Generationen in der Hand der Juden. Den deutschen Uhrenhändler fehlt es an Fachwissen.

Nach zwei Stunden einigt man sich darauf, es mit einer kleinen Stückzahl zu versuchen, danach kann man immer noch abbrechen. In der folgenden Woche reist Josef nach Freiburg und besucht jüdische Uhrenmacher. Nach vier Tagen kommt er mit zwanzig Uhren zurück.

Joshua übergibt die Uhren an Willi, wenn der am Mittwoch mit Gabi in den Rheinauen spazieren geht. Dabei kreuzen sich zufällig ihre Wege. Wie Maria vorausgesagt hatte, kann Franz die Uhren zu einem guten Preis verkaufen. Endlich hat er wieder eine Beschäftigung. Uhrenhändler ist auf alle Fälle ehrenwerten, als dem Wirt der goldenen Gans, Matrosen zu vermitteln.

Im Schnitt kann Franz zwanzig Uhren pro Woche verkaufen. Es zeigt sich, dass die Nationalsozialisten wieder Geld für Luxusartikel einsetzen können. Für die ist die Krise bereits zu Ende, nur woher sie das Geld haben, ist Franz schleierhaft, doch das geht ihn nichts an.

Franz hofft auf die Reichstageswahl, vielleicht gibt es ja eine Überraschung und das Volk erteilt den Nationalsozialisten eine Abfuhr. Nur das Bild auf der Strasse ist ein anderes. Da dominieren die Uniformen der Nazis. Franz hofft darauf, dass er nicht der Einzige ist, welcher die Armbinde trägt, aber an der Urne liberal wählt.

Ende Februar, der Frühling ist bereits spürbar, da verbreitet sich eine Meldung wie ein Lauffeuer: Adolf Hitler wird deutscher Staatsbürger.

Anfang März hat das Radio eine noch interessantere Meldung. Das Baby von Charles Lindbergh wurde entführt. Diese Meldung bewegt die Leute auf der Strasse mehr, als die Staatsbürgerschaft von diesem Hitler.

Nach einer bangen Woche und einem hin und her um das Lösegeld, wird das Baby am 12. März 1932 Tod aufgefunden. Danach beginnt die Suche nach dem Mörder. Das gibt jeden Tag weitere Schlagzeilen.

Am 10. April atmete Franz auf. Paul von Hindenburg wird Reichspräsident und nicht einer der Nazis. Die erreichen einen Achtungserfolg, werden aber nur die zweitstärkste Partei im Reichstag. Franz schöpft neue Hoffnung. Als die SA und die SS sogar verboten wird, lässt er die Armbinde zuhause. Deutschland hat doch ein Gewissen. Jetzt wo die Franzosen abgezogen sind und keine Reparationszahlungen mehr geleistet werden mussten, sollte es wieder aufwärts gehen.

Die Universität /1933

Im Sommer macht Wilhelm sein Abitur. Er schliesst sehr gut ab. Nun geht es darum, wo und was er studieren will. Für ihn ist klar, er will Luftfahrtingenieur werden und da bietet sich die Universität von Aachen an. Als seine Bewerbung angenommen wird, freute er sich riesig. Er wird in Aachen im Studentenwohnheim wohnen und nur noch am langen Wochenende nach Worms kommen. Die schönen Mittwochabende mit Gabi fallen aus. Aber sonst herrschte eitle Freude.

Rosa wischt sich eine Träne ab, als sie Wilhelm und Franz am Bahnhof in Worms verabschiedet. Ein grosser Koffer mit Wilhelms Habseligkeiten schleppend, besteigen sie den Zug nach Köln. Von dort fahren sie weiter nach Aachen. Franz hilft den Koffer bis ins Studentenwohnheim zu tragen. Wilhelm steht mit seinem Vater auf dem Platz vor der Universität. Er ist nicht der einzige. Auch andere Jungen stehen da mit ihrem Köfferchen und warten auf den Direktor der Uni.

Nun wird es Zeit, sich von seinem Vater zu verabschieden. Nach einer langen Umarmung, dreht sich sein Vater um und geht mit strammem Schritt Richtung Bahnhof. Sein rechter Arm geht oft zu seinem Kopf hoch, es könnte sein, dass er sich eine Träne wegwischen muss.

Nun ist Willi allein, das erste Mal in seinem Leben muss er ohne Eltern klar kommen. Er schaut seinem Vater noch nach, bis er hinter der Strassenecke verschwindet, dann konzentriert er sich auf seine neue Umgebung.

Auf der Treppe zum Eingang steht nun ein älterer Herr in einem Anzug mit Krawatte und fordert die Jungen auf ruhig zu sein. Dann beginnt er mit seiner Ansprache. Nach der Begrüssung verliest er einige Regeln, welche an der Uni gelten und die, so betont er, unbedingt eingehalten werden müssen. Eine Regel besagt, dass man nur in der Schuluniform, die jeder Student bekommt, an Vorlesungen teilnehmen darf.

Danach beordert er die Studenten, welche im Wohnheim der Uni wohnen werden, nach rechts, die anderen können bereits wieder nach Hause zu ihren Eltern. Beim Eingangstor verteilt ein Mann Zettel mit den Zeiten für den Beginn der einzelnen Vorlesungen. Es sind nur wenige die das Glück haben, bei ihren Eltern zu wohnen. Die meisten wohnen zu weit weg.

 

Eine attraktive Frau mit einer Liste beginnt nun mit dem Aufrufen von Namen. Immer wenn wieder vier Jungs bei ihr stehen, gibt sie denen die Zimmernummer bekannt. Darauf verlassen die den Platz mit ihrem Gepäck und machen sich auf, im Gebäude ihr Zimmer zu suchen.

«Klaus Kirsch, Wilhelm Wolf, Sepp Herger und Hermann Möller! - Ihr habt Zimmer zehn.»

Die vier schauen sich gegenseitig an, sie sind nun Zimmerkollegen. Dann packt Sepp seinen Koffer und geht los. Die anderen drei folgen ihm. Das Zimmer zehn liegt im ersten Stock des Wohnheims, nebst den vier Betten hat es einen grossen Schrank. Das Fenster zeigt Richtung Hinterhof. In der Mitte steht ein kleiner Tisch mit vier Stühlen. Die einzige Lampe hängt über dem Tisch.

Auf jedem Bett liegen zwei Schuluniformen. Jeder musste seine Kleidergrösse vorher schriftlich angeben. Auf den Schuluniformen ist auch ein Namensschild angebracht. So weiss jeder, welches der Betten ihm zugeteilt ist. Dann packen die vier ihre Koffer aus.

«Ich bin der Sepp aus München und studiere Mathematik.»

«Ich bin Willi und studiere Luftfahrt Technik», antwortet Willi und reicht dem Sepp die Hand, «ich komme aus Worms.»

«Aus einer Kleinstadt, das finde ich niedlich.»

«Ich bin Klaus aus Pahlen und studiere Biologie.»

«Pahlen, wohl liegt den das?», fragt der Sepp abschätzig.

«In Schleswig-Holstein nur zehn Kilometer von der Nordsee entfernt.»

«Und habt ihr dort auch eine Schule?», will der Sepp wissen, «oder gibt es dort nur Kühe.»

«Kühe gibt es in Pahlen viele», entgegnet Klaus, auf die Bemerkung über die Schule geht er gar nicht ein.

«Ich bin Hermann Möller aus Gera und studiere deutsche Geschichte», stellt sich noch der kleinste der vier vor.

Nach der kurzen Vorstellung ist jeder mit Auspacken beschäftigt. Sie haben noch viel Zeit sich kennen zu lernen. Ab und zu schielt Willi zu den anderen rüber. Sepp und Hermann hängen ihre Uniform der Hitlerjugend schön gebügelt in den Schrank. Sie können sie nicht anziehen, denn es herrscht ein striktes Verbot, was das Tragen von politischen Symbolen betrifft und dazu gehören sicher auch Uniformen. Damit ist Willi eine grosse Sorge los, er befürchtete, dass alle in Uniformen der Hitlerjugend herumlaufen und er weiss nicht, wie er zu einer solchen kommen könnte. In Worms konnte er nicht der Hitlerjugend beitreten, die Klassenkameraden haben sein jüdische Uroma nicht vergessen.

Welche politische Ideologie Klaus vertritt, kann er nicht feststellen. Er scheint aus einfachen Verhältnissen zu kommen, zumindest deutet seine Kleidung darauf hin. Das kann auch daran liegen, dass er aus einem kleinen Dorf stammt. Da ist Kleidung kein Statussymbol, sie muss nur zweckmässig sein. Nun er wird es in den nächsten Wochen herausfinden.

Eine schrille Glocke ruft zum Essen. Nun ist Willi gespannt, ist die Verpflegung gut? Er hat auf jeden Fall einen riesigen Hunger. In der Mensa sind schon viele Plätze belegt. Die vier Leidensgenossen bleiben zusammen. Der Sepp spielt sich mächtig auf und prahlt mit seiner Grossstadt München, als sei sie die Hauptstadt nicht nur von Deutschland, sondern von der ganzen Welt. Deshalb habe Hitler sich hier niedergelassen.

Willi fällt auf, dass dieser Hitler allgegenwärtig ist. Man kommt nicht an ihm vorbei, da auch an den anderen Tisch oft dieser Name zu hören ist. Wenn Willi hier nicht untergehen will, muss er sich anpassen, es bringt nichts, wenn er sich dagegen stellt.

Er braucht dringend eine Strategie und Ausrede, warum er noch nicht in der Hitlerjugend mitwirkt. Ein Vorteil ist, dass er der einzige aus Worms ist. Er muss also nicht befürchten, dass die Geschichte seiner Uroma jemand kennt, so gesehen, kann er einen Neustart wagen.

«Die Lehrer in Worms haben uns verboten, in die Hitlerjugend einzutreten. Das waren noch so richtig kaisertreue. Sie waren immer der Meinung, dass man den Kaiser wieder einsetzen soll, nur der würde Deutschland einigen. Wir mussten natürlich auch unter der französischen Besatzung leiden.»

«Dann verstehe ich erst recht nicht», wendet Sepp ein, «warum die gegen Hitler sind, ihm ist es anzurechnen, dass die Franzosen abgezogen sind.»

«Das haben die jetzt auch begriffen», verteidigt sich Willi, «schliesslich wurde Hitler in Worms gebührend empfangen. Das Stadion war restlos überfüllt.»

Die ersten Wochen als Student sind für Willi nicht einfach. Es zeigt sich, dass die Schule in Worms, ihn nur ungenügend auf das Luftfahrtstudium vorbereitet hatte. Die meisten Mitstudenten waren bereits in der Luft. Wenn nicht in einem Flugzeug, so zumindest mit einem Zeppelin. Auch mit seinem Wissen im Bereich Strömungslehre hinkte er im Vergleich zu dem anderen Studenten hintennach. In diesem Fach kann ihm Sepp wenigstens etwas Nachhilfe geben, so dass er langsam den Anschluss findet.

In Aachen halten sich die Nationalsozialisten zurück. Noch haben sie in der Regierung nicht die Mehrheit, sie sind nur zweitstärkste Partei. Immerhin Sorgen ihre Scharmützel in ganz Deutschland für Unruhe. Diese Unruhen führen am 12. September zur Auflösung des Reichstags. Faktisch ist Deutschland nicht mehr regierbar.

Sepp und Hermann halten mit bissigen Kommentaren nicht zurück. Willi beteiligt sich ebenfalls an den politischen Diskussionen und vertritt nun vehement die Haltung, dass nur Hitler Deutschland retten kann. Für ihn spielt auch die Tatsache, dass sich Hitler sehr für die Luftfahrt einsetzt, eine wichtige Rolle. Bei den Politikern der Zentrumspartei hat man immer noch den Eindruck, dass sie eher auf Kavallerie setzen, als auf diese neuartige Modeerscheinung.

Dank der Unterstützung von Sepp und Hermann wird Willi in die deutsche Studentenverbindung der Nationalsozialisten aufgenommen. Jetzt hatte er endlich das Gefühl, dass er dazugehört.

An den Abenden im Vereinslokal geht es hoch her. Nationalistische Lieder werden gegrölt. Die Studenten sind bereit, für den Führer alles zu geben, das sind sie Deutschland schuldig.

Der Aufschrei im Keller ist gross, als die neue Reichsregierung die SS und die SA verbietet. Das will man sich nicht bieten lassen. Nur dem Umstand, dass man keine Waffen hat, ist es zu verdanken, dass die Studenten nicht auf die Strasse gehen.

«Unsere Zeit komm noch», verkünden die Aufpeitscher, «wir müssen Geduld haben und uns auf die kommenden Aufgaben vorbereiten. Man darf erst losschlagen, wenn man sicher ist, dass man gewinnt. Diese Lehre haben wir aus dem gescheiterten Hitlerputsch gezogen. Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir an der Reihe.»

Grossdemonstrationen organisierte man keine mehr. Dafür sind immer kleine Gruppen unterwegs, die, allerdings nur wenn keine Gefahr besteht, Schaufenster von jüdischen Geschäften einschlagen oder linke Demonstrant verprügeln, wenn diese aus ihren Kneipen kommen. Solange Hitler nicht an der Macht ist, darf Deutschland nicht zur Ruhe kommen.

Willi lebt sich gut in Aachen ein. Seiner Gabi schreibt er wöchentlich einen Liebesbrief. Beide freuten sich, dass sie sich in den Herbstferien endlich wieder sehen können.

Die Enttäuschung von Gabi ist gross, als ihr Willi schrieb, dass er die ganzen Herbstferien in einem Lager für Studenten verbringt. Willi sieht das Lager als Chance, sich in der Hitlerjugend zu integrieren und das dadurch die jüdische Uroma nicht mehr relevant ist. Das Lager könnte auch seine Chance, später in die Luftwaffe einbezogen zu werden, erhöhen.

Zusammen mit Sepp und Hermann fahren sie nach Brüggen am Niederrhein. Dort wird ein Zeltlager errichtet. Das erste Mal wird Willi einem militärischen Drill ausgesetzt. Es beginnt bereits am Morgen beim Frühstück, ganze zehn Minuten sind dafür eingeplant. Punkt sechs Uhr ist Appel. Der Führer des Lagers verkündet das Tagesprogramm. Zuerst Sport, danach exerzieren, danach Schiessübungen mit einem Karabiner. Endlich darf Willi seinen ersten Schuss abgeben. Der landet nur noch knapp auf der Scheibe, was den Hortenführer zu einer Schimpftirade veranlasst. Mit dem zweiten und dritten Schuss kann er sich die ersten Punkte auf dem Blatt notieren lassen. Eins ist klar, beim Schiessen muss er sich noch gewaltig steigern. Danach gibt es Mittagessen auf dem Feld, das heisst aus der Feldküche und mit der Gamelle.