Frouzan und der Priester

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»Mann, ist das ein Klasseweib. Die würde ich bestimmt nicht von der Bettkante stoßen« oder »Mit der würde ich gerne spielen, aber nicht auf dem Tennisplatz.«

Thomas musste zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatten.

Kathi und Thomas verstanden sich gut und kamen jetzt häufiger zusammen. Sie waren das beste Doppelpaar im Verein und sehr erfolgreich bei Verbandsspielen. Häufig gingen sie nach den Spielen oder nach dem Training gemeinsam nach Hause. Näher kamen sie sich bei einer Faschingsveranstaltung.

»Du, Thomy, hast du nicht Lust, mit mir auf den Faschingsball des Obst- und Gartenbauvereins zu gehen? Bitte, mach mir die Freude und komm mit!«

Er bemerkte, dass sie etwas verlegen fragte und dabei auch etwas rot geworden war. Thomas übersah es, denn auch er war verlegen. Schon seit einiger Zeit hatte er nach Möglichkeiten gesucht, sich mit Kathi allein zu treffen. Es fehlte ihm der Mut, sie einfach darum zu bitten. Jetzt bot sich die Gelegenheit und etwas heiser vor Freude antwortete er, dass er sehr gerne mitgehen wolle. Ohne sich verabredet zu haben, gingen beide als urbayerisches Paar zum Fest. Sie mussten lachen, als sie sich so sahen. Kathi trug ein buntes Dirndl mit verführerischem Blusenausschnitt. Ihre Wangen hatte sie rot angemalt. Eine große, runde und knallrote Pappnase war lustige Ergänzung ihres Outfits. Die zu einem dicken Zopf geflochtenen blonden Haare waren wie ein Kranz um ihren Kopf gewunden. Auch Thomas sah richtig zünftig aus mit einer echten Lederhosn mit breiten Hosenträgern und Stulpen um die sportlichen Waderln. Seine große Pappnase sah genau wie die Kathis aus. Er musste sie im gleichen Laden gekauft haben wie Kathi die ihre. Jedenfalls war Kathi ganz begeistert.

»Du siehst aber schick aus, direkt zum Verlieben!«

»Du aber auch«, amüsierten sie sich.

Als sie dann im Ballsaal ihren Platz gefunden hatten, beichtete Thomas ganz leise und wurde nun selbst rot dabei: »Du, Kathi, ich kann gar nicht tanzen, ich wollte bloß in deiner Nähe sein!«

»Das ist ganz lieb von dir«, flüsterte sie auch ihm ins Ohr, hauchte ihm einen versteckten Kuss auf die Wange und sagte: »Das mit dem Tanzen ist überhaupt kein Problem. Du darfst bloß nicht auf die Füße gucken, du musst dich mir nur richtig hingeben.« Sie lächelte ihn verführerisch an und ergänzte: »Du wirst schon sehen, es ist ganz einfach.«

Es war nicht nur einfach und es war nicht nur schön, mit Kathi zu tanzen; es war ein noch nicht gekanntes Erlebnis, den warmen und anschmiegenden Körper dieser jungen Frau zu spüren. Kathi und Thomas erlebten ein wunderbares Fest, das nur überschattet wurde, wenn Kathi von einem anderen zum Tanz aufgefordert wurde. Dann war er traurig und sogar eifersüchtig.

Erst früh am Morgen brachte er Kathi heim. Sie bedankte sich bei ihm und meinte, dass er ein erstaunlich gelehriger Schüler sei. Eigentlich ganz selbstverständlich gab sie ihrem Thomas zum Abschied schnell noch ein Küsschen auf die Wange. »Tschüss, bis morgen!«

1969 machte Thomas sein Abitur mit 1,4. In Religion hatte er eine glatte Eins, in seinen Wahlfächern Latein und Griechisch Zweien und in den anderen Fächern Noten, die schließlich zu der endgültigen Feststellung geführt hatten. Er war zufrieden und seine Eltern waren es auch.

Mit Kathi traf er sich jetzt oft, was auch den Müttern nicht verborgen blieb. Sein Vater war etwas beunruhigt, nachdem er es erfahren hatte. Er wusste, dass Kathi nicht katholisch war, und machte sich Gedanken darüber.

»Ich muss mit dir reden, Thomas«, sagte er eines Tages zu seinem Sohn. »Du kannst mir glauben, ich mag Katharina, sie ist ein sehr nettes und gebildetes Mädchen. Sie ist aber protestantischen Glaubens und das missfällt mir. Gibt es denn kein anderes Mädchen, das wie wir glaubt?«

»Nein, Papa. Ich liebe Kathi und mir ist egal, woran sie glaubt!«

Sein Vater schien sich schließlich damit abzufinden, meldete aber trotzdem Bedenken an, Bedenken ganz anderer Art.

»Thomas, du weißt, dass, wenn man jung ist, die körperliche Liebe, du weißt schon, was ich meine, dass die Sexualität ein wichtiger Bestandteil der Liebe ist. Was ich damit sagen möchte, ist das: Als ich die Mama kennenlernte und wir wussten, dass wir füreinander bestimmt sind, haben wir geheiratet. Erst danach haben wir uns vereinigt. Wir hatten Gottes Gebot befolgt. Das erwarte ich auch von dir!«

Die Mutter, die zugehört hatte, widersprach selbstverständlich nicht der Meinung ihres Mannes und wünschte ihrem Sohn so viel Glück, wie sie es hatte und noch immer hat. Sie dachte jedoch sehr viel realer und kannte die ethisch-moralischen Veränderungen in einer neuen Generation. In ihrem Bekanntenkreis gab es einige Ehen, die gottesfürchtig geschlossen, dann aber bald, meistens wegen sexueller Differenzen, geschieden worden waren. Sie hatte deswegen auch Verständnis dafür, dass sich junge Menschen in dieser Beziehung erst einmal prüfen, ob alles stimmig ist. Obwohl Christine ihren Mann liebte und mit ihm rundum zufrieden war, fand sie ihn in dieser Beurteilung zu konservativ. Seine Haltung fand sie zu streng und nicht zeitgemäß. Ganz im Stillen dachte Christine manchmal sogar, dass ein bisschen Sünde menschlich, vielleicht sogar gottgewollt und durchaus ertragbar wäre.

Thomas und Kathi liebten sich. Sie trafen sich zu langen Spaziergängen, lachten viel und schwammen auf der gleichen Wellenlänge. Noch war ihre Liebe platonisch, sie fühlten jedoch, dass sie bald Sex haben würden. Ihre Gefühle und Körper verlangten es immer stärker. Als Thomas’ Eltern einige Tage verreisten, bot sich die Gelegenheit.

»Du, Kathi, meine Eltern sind nicht da, kommst du heute Abend zu uns? Wir machen es uns gemütlich.«

Kathi wusste, was kommen würde, und wollte es auch. Liebe, Lust und Neugier waren wie ein prickelnder Zwang.

»Ja, ich komme gern.« Sie hauchte ihm einen versteckten, vielversprechenden Kuss zu.

Als es dann am Abend an der Tür klingelte und er aufmachte, stand Kathi lächelnd und verführerisch vor ihm. Sie mussten nicht reden. Sie fielen sich in die Arme und küssten sich verlangend. Wild und zu schnell hatten sie ihre erste Befriedigung. Für beide war es ein wunderbares Erlebnis.

Als sie sich etwas später im Arm hielten und ihre warmen, nackten Körper genossen, flüsterte Kathi: »Thomas, ich liebe dich«, und küsste ihn immer wieder.

Als Thomas dann wieder sprechen konnte und sie ansah, sagte er: »Du bist so schön! Ich kann das alles gar nicht glauben. Bitte kneif mich, damit ich weiß, dass das alles wahr ist.«

Sie tat es und küsste ihn wieder und fragte: »Sag, warum sind wir erst jetzt darauf gekommen?«

Danach schmiegten sie sich verschlungen aneinander und genossen immer wieder ihr neues, schönes Leben.

Nachdem die Eltern zurück waren, hatten die Verliebten genug Fantasie, um ihr neues Leben mit Lust und auch Spaß zu genießen. Ihre Eltern schienen das nicht zu bemerken. Thomas’ Mutter wusste es, sicherlich auch die Kathis. In der Öffentlichkeit spielten sie ein harmloses Paar, das sich zwar freundschaftlich an den Händen hielt, aber ernsthaft und distanziert miteinander redete und so seine »Unschuld« demonstrierte. Sie mussten dann lachen, wenn man sie ihnen abkaufte und kein intimes Liebesleben vermutete.

Die beiden hatten so viele gemeinsame Interessen: Sie liebten klassische Musik, besuchten aber auch öffentliche Tanzveranstaltungen, lasen gerne mit verteilten Rollen moderne Romane und diskutierten über Kapitalismus, Wirtschaft und Sozialismus. Sie sprachen aber auch über Hitler und den Holocaust und über die schreckliche Zeit damals. Ihre Eltern waren zu der Zeit noch Kinder gewesen und erzählten von den schlimmen Bombardierungen und den vielen Toten, die der Krieg gefordert hatte. Kathi und Thomas konnten mitfühlen, sie hatten aber keinen besonderen Bezug zu den Ereignissen vor fast 25 Jahren.

Über komische Begebenheiten und auch über sich selbst konnten sie herzhaft lachen. Es passierte auch, dass Thomas bei einem Essen zwei Gläser und Kathi eines zu viel getrunken hatten und die Abwesenheit von Eltern ausnutzten, um eine halbe Nacht mit fröhlicher, lustvoller Liebe zu verbringen und die andere Hälfte aneinandergekuschelt zu verschlafen.

Selbstverständlich redeten sie über Religion und Glauben. Da gingen ihre Meinungen auseinander. Thomas merkte man seine nicht gerade strenge, aber doch katholische Erziehung an, während Kathi Glauben sehr distanziert beurteilte. Es waren eigentlich oberflächliche Gespräche, die nur das in der Schule Übermittelte und das zu Hause Gepflegte als Grundlage hatten. Solche Differenzen waren jedoch unbedeutend, sie schoben sie einfach zur Seite.

Dann begann Kathi in Bonn Jura und Volkswirtschaft zu studieren und Thomas in Münster, an der Westfälischen Wilhelms-Universität, Theologie und später noch Soziologie. Sie konnten sich nur noch an Feiertagen oder in den Semesterferien treffen. Ihre nicht mehr so häufigen Begegnungen waren nach wie vor harmonisch, interessant, aber eher freundschaftlich. Sie bemerkten jedoch, dass verschiedene Interessen eine gewisse Distanz aufgebaut hatten.

Thomas lernte noch Hebräisch für seine Studien und fand sein Theologiestudium großartig. Damit nicht genug studierte er Soziologie. In der Seminararbeit, als die gesellschaftliche Entwicklung in den Industriestaaten das Thema war, beurteilte er die bundesdeutsche Demokratie und die Regierungsarbeit sehr kritisch. Mit dem Grundgesetz als Basis hatten wir ein überzeugendes, demokratisches Staatswesen geschaffen. Deutschland wurde zu einem immer mächtigeren Industriestaat. Der Finanzpolitik fiel eine steigende Bedeutung zu. Thomas wurde klar, dass die Gewinne aus der Arbeit im Wesentlichen für notwendige Investitionen eingesetzt werden mussten. Volkswirtschaftlich war das notwendig. Allerdings, und das war ein Grund seiner Kritik, partizipierten diejenigen, die dieses erfreuliche Wachstum ermöglichten, nur unverhältnismäßig daran. In diesem Zusammenhang fand er die Existenz von Gewerkschaften als Teil einer Demokratie durchaus berechtigt.

 

Ihm eröffneten sich Weltblicke, in denen der Glaube an Gott nicht nur in unserer christlichen und jüdischen, sondern auch in islamischer und der Glaubenswelt anderer Religionen an Bedeutung zunahm. Bei all seinem Denken bemerkte Thomas nicht, wie sehr er beinahe rücksichtslos das Leben Kathis und ihre Gefühle außen vor ließ. Kathi ihrerseits fand Thomas’ Interessen und Begeisterung übertrieben und nicht ausgereift. Sie war reifer geworden, vernünftiger. Sie dachte natürlich an Familie und Kinder. So weit konnte Thomas noch nicht denken. Für ihn war erst einmal sein Studium wichtig und der erfolgreiche Abschluss. Beide hatten in der Vergangenheit das Thema Familie schon angetippt. Ernsthafter, eingehender, hatten sie sich damit aber noch nicht befasst.

Beider Studium nahm sie voll in Anspruch. Trafen sie sich gelegentlich, vermissten sie die alte, herzliche und intime Zuneigung. Selbstverständlich war es noch immer die vertrauensvolle Freundschaft. Unausgesprochen wurde jedoch eine gemeinsame Zukunft immer unwirklicher. Bei ihrem Sex, den sie gelegentlich doch noch hatten, war die frühere Zuneigung und Wärme eher eine traurige Erinnerung. Bedauernd wusste Kathi, dass es für sie und Thomas keine gemeinsame Zukunft geben konnte. Beide spürten die Entfremdung.

An einem Karfreitag trafen sie sich in einem Café in Hamburg. Kathi hatte darum gebeten.

»Thomas, mein Lieber. Wir kennen uns nun schon über fünf Jahre. Eine lange Zeit, die uns auch verändert hat. Du weißt es und ich weiß es auch. Lange habe ich über uns nachgedacht und mich an unsere wunderbare Liebe erinnert. Deine Zukunft, möglicherweise auch unsere, habe ich mir vorgestellt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass wir keine haben können. Wir sind als Menschen nicht so verschieden, wir sind es im Glauben. Noch stört uns das nicht, lieber Thomas, es würde aber nicht gut gehen.«

Nach ihren Worten schwieg Thomas und sah Kathi nur an. Nach einer Weile sagte er: »Du überraschst mich, Kathi. Ich muss aber zugeben, dass ich ähnlich gefühlt habe, nur wollte ich es nicht glauben. Ja, ich hatte einfach Angst davor, dich zu enttäuschen und dich zu verletzen.«

»Mir fällt ein Stein vom Herzen und du musst dir keine Gedanken machen. Für unsere wunderbare Liebe danke ich dir. Ich denke und hoffe, dass wir gute Freunde bleiben werden. Und ich muss dir noch etwas gestehen: Ich habe einen Kommilitonen kennengelernt. Wir kennen uns erst seit kurzer Zeit und sind zuversichtlich, dass wir beieinanderbleiben werden. Sexuell haben wir noch nichts miteinander gehabt, denn ich wollte zuerst mit dir über die neuen Ereignisse reden. Ich konnte noch nicht mit ihm intim werden, ohne mit dir gesprochen zu haben.«

»Du bist eine wunderbare Frau und ich bin glücklich, dich zu kennen. Ich bin aber auch sehr traurig, dass unsere Liebe so endet. Ich bin dir nicht böse und egal, wie das Schicksal mit uns spielt, ich werde immer für dich da sein!« Bewusst vermied er, Gott zu thematisieren.

»Genauso denke ich auch von dir, lieber Thomas, und ich danke dir von Herzen für dein Verständnis.«

Sie tranken noch ihren Wein aus, nahmen sich in die Arme, wünschten sich viel Glück und versprachen, sich nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Trennung von Kathi war für Thomas trotz allen Einverständnisses zunächst eine sehr schmerzliche Überraschung. Als er es seinen Eltern erzählte, war die Resonanz verschieden. Seine Mutter bedauerte die Trennung, weil sie Kathi mochte und sich vorgestellt hatte, von ihr und ihrem Sohn zu einer glücklichen Oma gemacht zu werden. Anders ihr Mann. Er fand Genugtuung, denn Glaube und Religion und das Studium der Theologie prädestinierten seinen Sohn zu mehr als zu Weltlichem.

Tatsächlich war die Trennung für Thomas ein elementares Ereignis. In seinem Kopf und in seinem Herzen herrschte ein Wirrwarr, der nicht nur auf die Trennung von Kathi zurückzuführen war. Er fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, sie zu lieben und mit ihr zu schlafen. Was habe ich ihr angetan? Zweifellos war es eine wunderbare Zeit mit ihr. Trotzdem machte er sich große Vorwürfe und ein Bedürfnis nach Wiedergutmachung kam auf. Er dachte auch über seine Familie nach, dachte an seine Erziehung und an den christlichen Glauben, der das Leben seiner Eltern und besonders das seines Vaters bestimmte. Er wusste, dass der Glaube an Gott und die heilbringende Erlösung die Grundlage ihres Glücks und ihrer Zufriedenheit waren. So wurde es ein unerklärlicher Zwang, der ihn nach längerer Zeit wieder eine Messe besuchen ließ. Es war wie ein Befehl, dem er zu gehorchen hatte, den er gar nicht hinterfragen konnte und es auch nicht wollte. Er kniete nieder und flehte Gott an, ihm zu helfen. Als der Priester seine Gemeinde am Ende des Gottesdienstes segnete, sah Thomas plötzlich seine Zukunft: Seelsorge und Dienst für Gott. Er musste Priester werden.

Neben dem Studium besuchte er regelmäßig Gottesdienste und Messen und führte lange Gespräche mit dem Priester, einem etwas älteren und sehr angenehmen Menschen.

»Herr Gütlich, bitte glauben Sie mir, mein Amt ist kein Zuckerschlecken. Es gibt so viele, oft banale, aber auch zu viele und zu oft bedauerliche und verzweifelte Aufgaben, die mich immer mehr die Grenzen meiner Kraft spüren und mit meinen mangelnden Möglichkeiten verzweifeln lassen.«

So erfuhr Thomas von den vielseitigen Aufgaben eines Priesters. Die Warnungen dahinter rechnete er dessen fortgeschrittenem Alter zu und antwortete trotzdem: »Ich muss Seelsorger werden. Ich muss Menschen helfen, ihre von Gott aufgegebene Last zu tragen, ich muss sie zu ihrem Herrn führen und in ihrem Glauben an ihn und seinen Mensch gewordenen Sohn bestärken!«

Maria und der Heilige Geist waren in diesem Augenblick seltsamerweise noch nicht Teil seiner Gedanken.

Mit großem Eifer, so, als wollte er damit etwas verdrängen, betrieb Thomas Gütlich das Studium der katholischen Theologie. Er beschäftigte sich mit den historischen Grundlagen der Religionen in der vorchristlichen Zeit. Seine Interessen galten der ökumenischen Theologie mit Religionsphilosophie, Humanwissenschaft, Friedensforschung und den nachreformatorischen Kirchen. Er registrierte aber auch das Alte Testament mit dem 1. Buch Moses, der Genesis, über die Entstehung der Erde. »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.« Land und Wasser, Pflanzen und Bäume entstanden und schließlich auch die Sterne mit Abend und Morgen. Gott war mit seinen Schöpfungen überaus zufrieden. Jetzt fehlten noch Tiere und Menschen. Die schuf er dann auch. Mit Adam und Eva begann die Menschheitsgeschichte. Gleich am Anfang gab es einen schlimmen Brudermord, den der Allmächtige nicht verhinderte. Es folgten unselige Kriege und das Böse nahm Überhand. Das konnte Gott nicht mehr zulassen und er ertränkte alle seine ungeratenen Menschen und unverständlicherweise auch Tiere. Nur Noe durfte mit Familie und vielen Tierpaaren in einem Schiff überleben. Im 2. Buch Moses, dem Exodus, hilft Gott ihm und dem Volk der Israeliten bei der Flucht aus Ägypten. Das war etwa vor 3300 Jahren. Zu der Zeit soll auch der Bund Gottes mit den auserwählten Israeliten geschlossen worden sein. Zum Stammvater der Juden wurde Abraham gemacht.

Man wusste, dass diese Niederschriften nicht beweisbare und unglaubliche Behauptungen waren. Übernommen wurden Gottes Gebote. Sie sind Gesetz im jüdischen Glauben. Als die »Zehn Gebote« wurden sie auch Teil des christlichen Glaubens ebenso wie im Islam. Hier verzichtet man allerdings auf die Taufe, weil jeder Mensch im Zustand der Reinheit und ohne Sünde geboren wird. Man anerkennt Jesus als Propheten, aber nicht als Gottes Sohn. Im Christentum ergänzte man die Geschichte mit den lehr- und prophetischen Büchern bis zu den Evangelien, den Apostelgeschichten und schließlich der Offenbarung des Johannes. Die vorhandenen Ungereimtheiten, die er bereits als Schüler festgestellt hatte, empfand er als unbedeutend und belastete sich noch nicht damit.

Thomas lernte jetzt intensiver andere Zivilisationen mit ihren eigenen Glaubensauffassungen kennen. Er war überrascht, welchen Wert zum Beispiel der Friede im Buddhismus hat, und das auch schon seit zweieinhalb Tausend Jahren. Die Theologie, stellte er fest, ist ein riesiges und interessantes Fachgebiet, das ihn immer wieder begeisterte.

Selbstverständlich wurde in den Seminaren auch heftig diskutiert und gestritten. Nicht immer wurden in Jahrhunderten überlieferte Glaubensregeln oder philosophische Meinungen akzeptiert. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse waren oft Grund für ernsthafte Auseinandersetzungen. Nicht nur die geschätzte Entstehungszeit des Universums und die Angaben in Moses Genesis und Exodus lösten lange Debatten aus, sondern auch die Frage, woher das Böse kommt. Das Böse ist eine weltliche und keine Glaubensangelegenheit. Es war ihm klar, dass richtige Demokratie und eine sozial geprägte Wirtschaft zu den Pfeilern gehören, auf die sich friedliches Leben aufbauen kann. Vernünftig gestaltet und gepflegt, kann so mit dem Glauben Gutes getan und Böses, wenn auch nicht ganz, eingedämmt werden. Thomas glaubte überzeugt und voller Hoffnung an die Barmherzigkeit Gottes und seine Offenbarungen, die er mit der Auferstehung Christi deutlich gemacht hatte.

Im vierten Semester wurde eine Deutsch-Russin Kommilitonin. Sie war mit ihren Eltern und Geschwistern vor einigen Jahren nach Deutschland gekommen und sprach sehr gut Deutsch, allerdings mit dem unverkennbaren, weichen Tonfall der russischen Sprache. Sie war die einzige Studentin der katholischen Theologie. Irina hieß sie und als sie sich etwas besser kennengelernt hatten, fragte Thomas sie einmal neugierig: »Entschuldige, Irina, aber was hat dich eigentlich bewogen, katholische Theologie zu studieren?«

»Ich weiß nicht, wie weit du mit der Geschichte der Russlanddeutschen vertraut bist. Wahrscheinlich gar nicht. Vor einigen Jahrhunderten sind meine Vorfahren aus Hessen nach Russland ausgewandert. Sie hatten an der Wolga gesiedelt. Es waren gläubige Katholiken. Das ging alles gut und die Menschen waren zufrieden. Der Erste Weltkrieg berührte sie kaum. Sie waren Russen und ihr Herrscher war der Zar. Unsere Großeltern und Eltern sprachen zu Hause nur Deutsch. Wir Kinder hatten das übernommen, lernten in der Schule aber Russisch. Das war unsere Umgangssprache. In unseren Kirchen wurden Gottesdienste und Messen in beiden Sprachen abgehalten. Unsere Großeltern erzählten, dass die Kirchen sonntags immer voll gewesen seien. 1917 kamen dann die Bolschewiken an die Macht, die jeglichen Glauben an die Dreifaltigkeit verboten. Alle Kirchen wurden geschlossen oder einer profanen Nutzung zur Verfügung gestellt. Religiöse Handlungen durften nicht mehr durchgeführt werden. Glauben und beten konnte man im Geheimen nur noch zu Hause. Nach ihrem Pass waren die Großeltern und Eltern Sowjetbürger, in ihrem Herzen blieben sie jedoch Deutsche. Als Hitler dann die Sowjetunion überfiel, wurden sie von Stalin nach Kasachstan vertrieben. Offiziell hieß es, umgesiedelt. 1946 wurde ich geboren und verbotenerweise zu Hause getauft.«

»Wir haben darüber gehört und gelesen. So neu ist es für mich nicht, du wolltest mir aber sagen, warum du hier studierst.«

»Geduld, mein Lieber, das will ich ja auch erzählen. Du solltest nur erst die Hintergründe kennenlernen. Was ich in meiner Kindheit allgemein über Religion und im Besonderen über den Katholizismus oder russisch-orthodoxen Glauben gelernt hatte, war mehr als dürftig. Offenbarungen waren für mich, wie man so komisch sagt, ›Böhmische Dörfer‹. Sie interessierten mich aber, und als sich unsere Lebensbedingungen endlich verbesserten und wir schließlich in die Bundesrepublik Deutschland auswandern durften, konnte ich mein Interesse befriedigen. So bin ich hier gelandet. Zufrieden?«

»Natürlich. Du hast mich aber auch neugierig gemacht. Ich würde gern mehr über eure interessante Vergangenheit erfahren.«

»Über unsere Vergangenheit kannst du in Büchern lesen. Über meine Vergangenheit gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Kindheit war schön und ich erinnere mich gern daran. Kasachstan war meine Heimat und was die Eltern von ihrer Heimat an der Wolga erzählten, war zwar interessant, aber Vergangenheit. Dann kam die Umstellung in Deutschland und die Gegenwart. Sie wird dich verblüffen: Meine Gegenwart ist Georg. Wir lieben uns und werden im nächsten Jahr heiraten!«

»Stimmt, du hast recht, ich bin tatsächlich verblüfft. Das habe ich nicht erwartet. Bitte versteh mich richtig. Ich freue mich mit dir über dein Glück, verstehe aber nicht, warum du da noch Theologie studierst!«

 

»Das ist ganz einfach, ich bin nur neugierig!«

Nach einem Jahr heiratete Irina ihren Georg. Nach einem weiteren Jahr bekamen die beiden ein Baby und Irina hängte ihr Studium sozusagen an das Bettgestell ihres Buben.

1977 erhielt Thomas mit der bestandenen kirchlichen Prüfung den Titel Magister der Theologie. Ein Jahr später promovierte er mit »Marktwirtschaft und Soziologie« und bekam die Würde eines Dr. phil. nat. In seiner Doktorarbeit hatte er unter anderem seine Gedanken zu verschiedenen Wirtschaftssystemen formuliert. So war er zum Beispiel der Überzeugung, dass der Kommunismus eine Utopie war und nicht bestehen konnte. Er war auch der Meinung, dass sich der Kapitalismus von Spekulation und Gewinnsucht befreien müsse. Die Börse, hatte er in diesem Zusammenhang formuliert, sei ein Instrument, das dem Bösen Vorschub leiste.

Nach einem längeren Urlaub in Israel begann Thomas endlich mit der ersehnten Ausbildung im Priesterseminar. Dafür wechselte er an die Diözese Mainz. Hier wurde das Studium spezieller und mit der Pastoraltheologie verfeinert. Obwohl es eine spezifische Ausbildung war, hatten die Seminaristen fast alle weltlichen Freiheiten. Sport, Kino und Besuche kultureller Veranstaltungen durften genutzt werden. Allerdings ging die Seminarleitung davon aus, dass alle wussten, dass Ausschweifungen jeder Art ungehörig und tabu sind. Nach zwei Jahren schloss er sein Studium erfolgreich mit der kirchlichen Prüfung ab.

1983 wurde er in einer feierlichen Messe vom Bischof zum Priester geweiht und schwor überzeugt, Gott gehorsam zu sein, in Askese zu leben und ehelos zu bleiben.

Bevor er an diesem wunderbaren Tag zu Bett ging, fiel ihm Kathi ein. Er wollte nicht mehr an die Zeit mit ihr denken, trotzdem war sie da. Dann aber betete er aus dem 25. Psalm: »Wende Dich mir zu und sei mir gnädig! Ich bin ja so einsam und elend! Löse meines Herzens Bedrängnis, aus meinen Ängsten führe mich heraus! Nimm hinweg all meine Sünden! Unschuld und Redlichkeit mögen mich schützen, denn meine Hoffnung bist Du.«

Sein Vater war nicht nur glücklich, er fand auch seine Gebete zu Gott erhört. Die Mutter war natürlich auch stolz auf die Leistung ihres Sohnes, was sie aber nicht davon abhielt, sich eigene Gedanken zu machen, die nichts mit Religion und Glauben zu tun hatten.

Seine Vikarszeit war sehr kurz. Man brauchte dringend Seelsorger und Priester für die Gemeinden. Es gab zu wenig Interessenten für einen so opfervollen Beruf. Bereits 1983 bekam Thomas Gütlich seine erste Pfarrstelle in Bottelheim, einer Kleinstadt in der Nähe von Hamburg.

Kathi hatte seine Anschrift erfahren und ihm ganz herzlich gratuliert. Er wusste, dass sie inzwischen geheiratet hatte und Mutter zweier Kinder war. Vor neun Jahren hatten sie sich getrennt. Wie schnell doch die Zeit vergeht, dachte er mit einem Lächeln.

1979 kehrt der greise Religionsführer, der Ayatolla Khomeini, aus dem französischen Exil in den Iran zurück. Eine immer größer werdende politische und religiöse Opposition, in der sich neben Politikern und hohen geistlichen Würdenträgern viele Studenten engagierten, stürzte schließlich das selbstherrliche und diktatorische Regime des Shah Reza. Besonders in Teheran fanden blutige Kämpfe zwischen shahtreuen Polizei- und Armeeeinheiten und Demonstranten statt. Immer mehr Soldaten und Offiziere liefen zu den Revoltierenden über, die die Shah-Familie und ihre Getreuen schließlich vertrieben. Mit Freudentänzen, viel Geschrei, mit Fahnenschwenken und Schüssen in die Luft feierten sie ihren Sieg.

Zunächst einmal musste ein neues Staatssystem geschaffen werden, in dem wieder Recht, Ordnung und Freiheit herrschen sollten. Weltliche und religiöse Gruppierungen stritten sich um die Vorherrschaft. Aus Ghom erteilte Khomeini seine Lehren und Anweisungen, die zur Grundlage seiner angestrebten freien islamischen Republik wurden. Eingesetzte Revolutionswächter halfen dabei. Viele handelten egoistisch. Mit und ohne den Segen Allahs und sicherlich auch ohne Wissen Khomeinis wurden Menschen verhaftet, verurteilt und hingerichtet. Es waren Mitläufer des alten Regimes, Glaubensabtrünnige und Opfer persönlicher Feindschaften, die ohne Gerichtsverfahren getötet wurden. Die Schiiten, die leiblichen Nachfolger des Propheten und Religionsgründers Mohammed und seines Schwiegersohnes Ali, bekämpften mit Waffengewalt die Sunniten, die sich als einzige rechtgläubige Islamisten mit den Kalifen Abu Bekr, Omar und Othman als Nachfolger Mohammeds fühlen.

Viele Bekannte der Akebanis verschwanden spurlos. Man hütete sich, darüber zu sprechen. Sie selbst galten trotz ihrer »westlichen« Lebensweise noch als gläubige Muslime.

»Sima und mein lieber kleiner, großer Liebling, jetzt müsst ihr wohl wieder euren Tschador aus dem Schrank holen und umlegen, wenn ihr das Haus verlasst. Seid draußen vorsichtig, kein falsches Wort! Versprecht mir das!«

»Du kannst dich auf uns verlassen. Wir werden uns vorerst nicht mit unseren Freundinnen treffen. Wir werden auch meine Eltern zu uns einladen. Du weißt, die sind sehr gläubig und können uns durch ihre Anwesenheit einen gewissen Schutz geben.«

Trotzdem machte sich Darius Gedanken um ihre Zukunft, besonders um die seiner Tochter. Frouzan war jetzt 21 Jahre alt und hatte, bevor die Deutsche Schule in Teheran geschlossen worden war, dort noch ihre Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen. Unter Umständen könnte das gefährlich werden. Darius misstraute den friedlichen Ankündigungen und Versprechungen der neuen Machthaber aus Ghom. Die verkündete Islamische Republik Iran war für viele ein Rückschritt. Seine rigorose Abkehr von westlicher Moderne mit ihren unreligiösen, aber hilfreichen Errungenschaften und die Abschaffung des Frauenwahlrechts bedeuteten unverständliche Rückkehr in geistliches, beinahe mittelalterliches Herrschen. Selbstverständlich musste man das alte Herrschaftssystem vergessen machen und eine neue, auf Gott bezogene Gesellschaft bilden. Das bedeutete aber nicht, dass man vernünftige Errungenschaften in der Medizin, der Technik und Informationswelt verbannte. Das Geld spielte weiterhin eine sehr wichtige Rolle, egal ob es gutes oder böses Geld war. Man war sich darüber im Klaren, dass man auf dem internationalen Parkett präsent sein musste. Das führte zu internen Differenzen zwischen den Religionsführern, die bei einem derartigen Umbruch unvermeidbar sind und nicht zur Beruhigung beitrugen. Die Einbindung in das Weltgeschehen, in die internationale Wirtschaft und Finanzwelt war eine notwendige Aufgabe und musste bedacht werden. Erschwerend kam eine menschliche Schwäche hinzu, das Geltungsbedürfnis. In diesem Zusammenhang musste man auch fanatische Auswüchse zur Durchsetzung persönlicher Ziele in Kauf nehmen.

Darius’ Familie mit seinem Vater hatte gute Verbindungen zum Shah-Regime unterhalten, die sie jedoch nicht übermäßig ausgenutzt hatten. Sie galten eher als liberal und hatten die Teheraner Universität mit namhaften Geldspenden unterstützt. Deshalb wurden sie auch bei den studentischen Unruhen, die zum Sturz der Shah-Herrschaft führten, nicht behelligt – vorerst!

Sozusagen mit der Machtübernahme wurde die strikte Erfüllung der Glaubensvorschriften gefordert und durch immer mehr Kontrollen überwacht. Man durchleuchtete die Vergangenheit von Personen und zerrte die Verdächtigen vor die Scharia. Viele, auch »Unschuldige«, wurden in Prozessen als Schuldige hart bestraft. Viele sah man nie wieder. Wurde der im Koran festgelegte Glaube an Allah und die Propheten von den Mullahs gepredigt, legten sie dumme, herrschsüchtige Besserwisser nach ihren Vorstellungen aus. Das neue Regime wurde für viele Menschen zu einer Terrorherrschaft. Man durfte als westlicher Beobachter allerdings nicht vergessen, dass ein anderer Glaube in einer anderen Kulturwelt eine objektive Beurteilung der Vorgänge schwierig macht.

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