Quer durch Afrika

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Sehr interessant ist der große Kirchhof, eine Grabstätte von zwei Kilometern Länge, die sich im Westen um die Stadt herumzieht. Die Menge der Gräber und Grabsteine geht ins Unglaubliche, doch konnte ich kein einziges antikes darunter entdecken, obwohl zu vermuten ist, dass längs der hindurchlaufenden Straße römische Grabmäler gestanden haben. Auch alte Inschriften in arabischer Sprache fand ich nicht. In der Mitte und am nördlichen Ende des Feldes liegen nur Gräber aus neuerer Zeit. Die Platten, mit denen sie gedeckt sind, namentlich die aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert, sind nicht wie die älteren aus hartem Kalkstein, sondern aus Ton. Namen, Jahreszahl und ein Koranspruch wurden in den Ton geschrieben, solange er noch weich war; dann verhärtete die Masse an der Sonne, und durch die sehr trockene Luft hat sich die Schrift meistens ganz gut erhalten.


Wanderdünen in der Sahara

Die Moscheen, von denen es zwei große und mehrere kleine gibt, haben keinen architektonischen Wert, obgleich die darin verwendeten Säulen fast alle, wie es scheint, antiken Bauwerken entnommen sind. Das Innere der Wohnhäuser zeichnet sich durch Reinlichkeit und durch einen verhältnismäßigen Reichtum an Gerätschaften wie Truhen, Messinggeschirr, Spiegeln und dergleichen aus. Doch sind die Räume sehr beschränkt und entbehren daher gesunder Luft; nur einige außerhalb der eigentlichen Stadt in den Gärten stehende Häuser haben offene luftige Höfe. Von fern gesehen bietet die blendend weiße Häusermasse, aus einem dichten dunkelgrauen Palmenhain mitten in der vollkommen öden Sahara sich erhebend, einen überraschenden, höchst malerischen Anblick dar.

VIERTES KAPITEL
Meine Erlebnisse in Rhadames

Nicht ganz frohen Mutes hatte ich diesmal die Reise nach Rhadames unternommen. Einmal war die Jahreszeit, im Hochsommer, die möglichst ungünstigste für einen Aufenthalt am Rand der Sahara; sodann musste ich befürchten, die Einwohner möchten derweil in Erfahrung gebracht oder wenigstens Verdacht geschöpft haben, dass mein Renegatentum nur ein vorgebliches sei. Allein ich war entschlossen, allen Eventualitäten die Spitze zu bieten, konnte ich doch auf den Schutz der türkischen Regierung und auf die moralische Unterstützung der europäischen Konsuln zählen.

Wirklich stellten sich mir gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft Widerwärtigkeiten entgegen. Als ich mich dem Pascha Kassem präsentierte, erklärte er, mein Bu-Djeruldi sei nur für Fesan gültig, verpflichte ihn mithin zu nichts. Nun hatte allerdings der Schreiber in Tripolis den Fehler begangen, Fesan besonders zu erwähnen, aber da der Pass auf ganz Tripolitanien lautete, musste er selbstverständlich auch für Rhadames, wenngleich dies nicht speziell genannt war, volle Gültigkeit haben. Das Haus in der Stadt, das Kassem Pascha für mich räumen ließ, war viel zu klein, um mir und meiner Dienerschaft bequeme Herberge zu gewähren. Freundlicheren Empfang fand ich beim Mkadem (Vorsteher) der Sauya des Mulei-Thaib von Uesan; in der Voraussetzung aber, der Pascha werde der Sitte gemäß für mein Abendessen sorgen, unterließ auch er es, mir ein solches zu schicken, und ich selbst hatte, auf die Gastlichkeit eines von beiden rechnend, nichts für uns zubereiten lassen. So kam es, dass ich samt meinen Dienern und Kamelen den Tag hungrig beschließen musste, denn als ich meinen Irrtum bemerkte, war es zu spät, um noch Lebensmittel einzukaufen.

Am folgenden Tag gestalteten sich meine Angelegenheiten günstiger. Der Pascha mochte doch wohl bedacht haben, dass sein ungastliches Benehmen üble Folgen für ihn haben könne; er schickte den Scheich el-bled (Bürgermeister) zu mir, der mich fragte, ob ich im Besitz eines Firmans von Konstantinopel sei. Ich übergab ihm das Dokument, damit er es dem Pascha zeigte, und bald kehrte er zurück mit der Botschaft, der Pascha lasse wegen des Missverständnisses um Entschuldigung bitten und habe befohlen, mir ein geräumigeres Wohnhaus vor dem Tor anzuweisen. Letzteres war eine große Wohltat für mich, denn es wäre schrecklich gewesen, hätte ich in der engen, dumpfen Stadt wohnen, am Tag durch die finsteren Straßen tappen müssen und nachts nicht einmal auf dem Dach des Hauses verweilen dürfen. Und die Umquartierung war umso dankenswerter, als außerhalb der Stadt nur wenige Häuser verfügbar sind. Meine neue Wohnung lag gerade der Sauya Mulei-Thaib gegenüber.

Abends sandte mir der Pascha denn auch das übliche Diner, oder Souper, wenn man will, heraus. Araber und Türken pflegen nämlich nur eine größere Tagesmahlzeit, und zwar gegen Abend, einzunehmen. Sobald die Rhadameser sahen, dass der Pascha mich mit Aufmerksamkeit behandelte, wurden sie ebenfalls willig und zuvorkommend gegen den fremden Gast.

Der Pascha, ein ältlicher Mann von ehrwürdigem Aussehen, ein echter Araber, war der Oheim jenes bekannten Rhuma, der die Türken so hartnäckig bekämpft und als einer der Letzten in der Verteidigung des heimatlichen Bodens gegen die Fremdherrschaft ausgehalten hatte, dann geächtet und von allen seinen Landsleuten den schmählichsten Tod erlitt – wenn der Tod fürs Vaterland jemals ein schmählicher sein kann –, jetzt aber von den Bergbewohnern in Liedern gefeiert und sicher ruhmgekrönt im Andenken der Nachwelt fortleben wird. Kassem Pascha hingegen hielt es stets mit den Türken; er eignete sich ihre Sprache an und beobachtete aufs Strengste ihre Sitten und Gebräuche. Im Ganzen schien mir der Mann ziemlich vorurteilsfrei zu sein, und wir wurden nach und nach recht gute Freunde.

Am schwersten mochte es ihm ankommen, dass er als türkischer Beamter gezwungen war, sich fast ganz europäisch zu kleiden, nämlich den offiziellen schwarzen Rock, graue enge Beinkleider und Glanzstiefel zu tragen. Denn nichts widerstrebt den fanatischen Arabern mehr als die Anlegung europäischer Tracht, welche sie ihrer Meinung nach entheiligt und ihnen einen anderen als den gewollten Charakter aufprägt.


Köcher der Tuareg

Ich richtete mich nun in meiner Wohnung häuslich ein. Das Gebäude enthielt ein Erdgeschoss, zu Küche, Magazinen und Ställen dienend, und im oberen Stock ein größeres und ein kleineres Zimmer mit davor liegendem plattem Dach. Das große Zimmer machte ich vollkommen dunkel, um die Fliegen daraus zu vertreiben, die in Rhadames, wie in allen Dattelbaum-Oasen, zur Qual und Folter des europäischen Reisenden in Unmasse vorhanden sind. Absolute Finsternis ist das einzige Mittel, sie von einem Wohnraum fernzuhalten. Meine Kamele wurden auf die Weide geschickt. Einen meiner Neger sandte ich nach Tripolis, damit er etwa für mich ankommende Briefe und Sendungen von dort abholte.

Das Thermometer stieg jetzt nachmittags auf + 50 Grad im Schatten und zeigte selbst morgens vor Sonnenaufgang immer schon über zwanzig Grad. Indes bewirkten der gleich des Morgens stattfindende ziemlich starke Luftzug, die leichte Kleidung und die beständige gelinde Transpiration der Haut, dass mir die Hitze nicht allzu lästig erschien. Die Nächte, die ich auf dem Dach meiner Wohnung verbrachte, waren in der Regel herrlich; doch musste dasselbe lange vorher tüchtig mit Wasser überschwemmt werden, so sehr war es durch die fast senkrecht herabschießenden Sonnenstrahlen erhitzt.

Dennoch bekam meine bereits stark angegriffene Gesundheit durch die erschlaffende Hitze, vielleicht auch durch den unvorsichtigen Genuss von Melonen einen neuen Stoß. Ich erkrankte ernstlich und schwebte einige Tage in wirklicher Lebensgefahr. Fortwährende heftige Blutentleerungen aus dem Darm schwächten mich derart, dass ich an meinem Aufkommen verzweifelte. An Essen durfte ich gar nicht mehr denken, ebenso wenig wagte ich es, meinen Durst zu stillen. Strengste Enthaltsamkeit und große Gaben von Opium brachten endlich zwar die entsetzliche Darmblutung zum Stillstand, aber durch die lange Gewöhnung an den Genuss von Opiaten war meinem Körper dieses Narkotikum unentbehrlich geworden. Versuchte ich, damit innezuhalten, so stellte sich sogleich wieder wässrige Diarrhö ein, und ich musste daher immer von Neuem mich in jenen halb taumeligen, keineswegs angenehmen Zustand versetzen. Einige Dutzend Flaschen Bordeauxwein, die mir mein Freund Botta von Tripolis zuschickte, hatten eine günstige Wirkung, wenn sie mich auch nicht gänzlich zu heilen vermochten.

Als ich soweit genesen war, um wieder ausgehen zu können, versäumte ich nicht den fleißigen Besuch der Moscheen, in welchen die erwähnten antiken Säulen von Kalk- oder Sandstein, meist aus einem Stück, mit ihren zierlichen Kapitellen und geraden oder spiralförmigen Kannelüren meine Aufmerksamkeit fesselten.

Die Einwohner sahen es gern, wenn ich ihre Moschee besuchte, denn sie hielten mich für einen Rechtgläubigen und waren in dieser Meinung noch durch höchst günstige Berichte über mich, die inzwischen aus Tuat eingelaufen waren, bestärkt worden. Der Hadj Abd-el-Kader von Ain-Ssalah hatte mir eine Pistole zur Reparatur nach Tripolis mitgegeben, aber niemand verstand sich dort auf die Arbeit, und in Rhadames angekommen, schickte ich die Pistole an ihn zurück, zugleich als Geschenk einen achtzehn-schüssigen Lefaucheux-Revolver nebst dazugehöriger Munition. Nach einiger Zeit erhielt ich ein Schreiben von ihm, dessen Inhalt ich natürlich allen meinen Rhadameser Freunden mitteilte. Für mich ging daraus hervor, dass ich ohne Gefahr hätte wieder nach Tuat kommen können. Allein was sollte ich dort? Über Tuat nach Timbuktu ziehen nur die von Rhadames ausgehenden Karawanen, und hier stand für die nächste Zeit der Aufbruch keiner Karawane dahin in Aussicht. Auch erwartete ich ja noch von Tag zu Tag die Ankunft Si-Othman ben Bikris, der mich der Verabredung gemäß nach Ideles begleiten sollte.

 

Mit Brandmalerei verzierter Schöpflöffel der Tuareg

Wie von den Stadtbewohnern wurde ich auch von Tuaregs viel besucht, selbst von jungen, nicht unschönen Tuaregmädchen. Letztere gaben sich, um meine Gunst zu gewinnen, für Verwandte Si-Othmans aus. Bei jedem Besuch wussten mir übrigens die Mädchen einige begehrenswerte Gegenstände, kleine Spiegel, Taschentücher, Glasperlen, Nadeln und dergleichen, abzubetteln.

Kamen targische Männer zu mir, so hinterließen sie immer eine bedeutende Lücke in meiner Speisekammer. Dies veranlasste einmal einen fatalen Auftritt, der leicht sehr üble Folgen für mich hätte haben können. Mein kleiner Spitz Mursuk, ebenso bissig wie wachsam, hegte einen unüberwindlichen Widerwillen gegen Fremde, die meinem Hause nahten, und er hatte darin einen sympathischen Bundesgenossen in meinem geizigen Diener Schtaui, von dem ich sogar die Äußerung vernahm: »Gott segne dich, Hund! Wenn wir dich nicht hätten, würden uns die Tuareg gar nichts übrig lassen.« – Unerhört in dem Munde eines Muselmanen, da bekanntlich Hunde den Mohammedanern als unrein gelten und tief von ihnen verachtet werden. Eines Tages hörte ich von der Straße her rufen: »Binde den Hund an, Mustafa, bindet den Hund an; es kommen Freunde!« Ich befahl, Mursuk anzubinden, und ließ dann durch einen Diener die Ankommenden vor der Haustür empfangen und zu mir heraufführen. Vorsichtigen und langsamen Schritts traten drei Tuareg ein, den Litham vorm Gesicht, in der Rechten den langen Speer, in der Linken einen Rosenkranz, Hals und Brust mit Amuletten, kleinen, schmutzigen, einen Koranspruch umschließenden Ledersäckchen behängt. Den Speer lehnten sie an die Wand, doch blieb ihnen als Waffe der Dolch, der an der inneren Seite des Vorderarmes getragen wird. Sobald sie mir gegenüber Platz genommen und die gegenseitigen Erkundigungen nach dem Befinden ausgetauscht waren, ließ ich ihnen sechs Brote, jedes von einem halben Pfund, eine große Schüssel voll gesalzenen Öls, in welches man die Brotbissen eintaucht, und eine saftige Melone vorsetzen. Sie langten eifrig zu, dabei ihr Gesicht vollständig entblößend, während sonst die Tuareg in Gegenwart von Fremden beim Essen verschleiert bleiben und die Bissen unter dem Litham in den Mund schieben. Plötzlich stößt einer von ihnen einen lauten Schmerzensschrei aus, und in demselben Augenblick sehe ich Mursuk, der sich unbemerkt eingeschlichen hat, die Treppe wieder hinunterlaufen. Der Schreiende war von dem Hund in den Rücken gebissen worden. Mit wütenden Gebärden sprangen die beiden anderen auf mich zu, um ihren verwundeten Kameraden an mir zu rächen, und wer weiß, was geschehen wäre, hätte ich nicht meinen Revolver zur Hand gehabt. Doch ich wusste ein Beschwichtigungsmittel. Ich rief Schtaui, den ich im Verdacht hatte, den Hund losgebunden zu haben, und trug ihm auf, sogleich noch sechs Brote, eine Schale Öl, die größte Melone und ein Pfund »Chlea« (in Fett gesottenes Fleisch) heraufzuholen. Schtaui war entsetzt. »Um Gotteswillen«, stotterte er, »bedenkt doch, ein Pfund Chlea kostet ja einen halben Mahbub.« – »Geschwind«, sagte ich, »geh, oder ich schicke Hammed; du weißt, der ist kein Knauser wie du.« Zögernd gehorchte er. Die Tuareg, des Arabischen nur unvollkommen mächtig, hatten meinen Befehl nicht verstanden, fuhren daher fort zu fluchen und mich zu bedrohen. Desto größer war die Wirkung, als sie eine zweite vermehrte Auflage der Kollation erscheinen sahen. »O Mustafa«, hieß es nun, »was für ein großmütiger Mann bist du! Dir zu Ehren wollen wir uns jetzt vollends satt essen. Gott segne dich, wir werden überall deine Gastfreundschaft rühmen.« Schnell machten sie sich an die Vertilgung der ihnen so unerwartet gekommenen Vorräte, und wir schieden im besten Einvernehmen. Dennoch hielt ich es für ratsam, wegen der Bisswunde des Targi am anderen Tag noch einmal Brot, Öl und Melonen auftragen zu lassen, denn es war zu wichtig für mich, mit den Tuareg, »den Herren der Karawanenstraßen«, gute Freundschaft zu halten.


Pulverflaschen der Tuareg


Tuareg, die verschleierten Männer

Unzweifelhaft sind die Tuareg Berber oder doch gemeinsamen Ursprungs mit diesen, wie sie auch dieselbe Sprache, das Tamasirth, reden. Aber der Aufenthalt in der Wüste, der ja innerhalb eines oder zweier Jahre die Wolle des Schafs in Haare verwandelt, hat im Laufe der Zeit einen wesentlich umgestaltenden Einfluss auf sie ausgeübt. Dies tritt in ihren Sitten und Einrichtungen auffallend hervor. Während z. B. bei den Arabern die Frau nur Sklavin ist, bei den Berbern, die in ganz Nordafrika mehr oder weniger mit Arabern untermischt wohnen, die Frau schon mehr Selbstständigkeit genießt, nimmt sie bei den Tuareg eine wahrhaft bevorzugte Stellung ein, denn sogar die Erbfolge der Häuptlinge wird durch weibliche Deszendenz bestimmt. Noch weniger als in den Berberstämmen hat auch der Islam unter den Tuareg feste Wurzel zu fassen vermocht, vielmehr legten sie alles wieder davon ab, was mit ihren alten Bräuchen in Widerspruch stand. Ist doch nach Barth das Wort Tuareg eine Zusammenziehung aus »tereku dinihum«, d. h. sie haben ihre Religion verlassen, und es soll ihnen der Name wegen ihres öfteren Abfalls vom Mohammedanismus durch die Araber beigelegt worden sein.


Tuareg auf ihren Reitkamelen (Meheris)

Obschon meine Genesung nur erst halb vollendet war, hätte ich doch keinen Augenblick gezögert, nach dem Hogar-Land aufzubrechen, wäre der sehnlichst erwartete Si-Othman ben Bikri erschienen, der Einzige, in dessen Geleit ich die Reise dorthin wagen konnte. Oft genug kamen zwar andere Tuareghäuptlinge zu mir, mit dem Erbieten, mich sicher nach Ideles zu bringen, aber es waren entweder Schurken, die auf meine Unerfahrenheit spekulieren zu können meinten, oder Leichtsinnige, die ihre Versprechungen nicht zu halten vermocht hätten.

Die einen wie die anderen nahmen meine beabsichtigte Reise nach Ideles nur zum Vorwand, um sich zum ewigen Ärger Schtauis an meinen Mundvorräten gütlich zu tun.

Endlich sollte ich der langen Ungewissheit enthoben werden. Gegen Ende August brachte mir der Schantat (zu Kamel reitender Postbote) mit den in Tripolis für mich eingelaufenen Briefen auch die neuen französischen Zeitungsblätter. Da las ich im Moniteur folgende Note: »In Algier wird in den nächsten Tagen der Tuareghäuptling Si-Othman ben Bikri erwartet, der mit einem zahlreichen Gefolge von Rhadames kommt, um dem Gouverneur von Algerien einen Besuch abzustatten.«

Jetzt wäre es reine Zeitverschwendung gewesen, noch länger in Rhadames zu bleiben, denn bis zur Rückkehr Si-Othmans aus Algier mussten im besten Fall mehrere Monate verstreichen. Derselbe hatte mir gegenüber also nach unseren Begriffen sein Wort gebrochen; er selbst freilich, der wie alle seine Landsleute vom Wert der Zeit sich keine Vorstellung machen kann, mochte die Sache leichter nehmen und etwa so räsonieren: Mustafa wird schon noch warten; ohne mich kann er nicht nach Ideles gehen, und da er in Rhadames gut aufgehoben ist, so liegt ja nichts daran, wenn er, so Gott will, vielleicht ein Jahr dort verweilt. Und dieser Logik gemäß glaubte er sich wohl keines Unrechts gegen mich schuldig zu machen, wenn er inzwischen erst einen Zug nach Algier unternahm.

Mein Entschluss war schnell gefasst. Die Reise nach dem Hogar-Land wurde aufgegeben, und dafür die Tour über Fesan fest in Aussicht genommen. Ich hoffte, dieses Land werde auch ohne Anschluss an eine Karawane sicher zu erreichen sein; und von da werde sich dann Gelegenheit zum weiteren Vordringen finden. Zuvor musste ich aber nach Misda zurückgehen, um mir dort Kamele bis Mursuk zu mieten.

Nicht ohne Bedauern schied ich von Rhadames und seinen Bewohnern, die ich trotz ihrer zur Schau getragener Scheinheiligkeit lieb gewonnen hatte. Sie hatten mir in meiner schweren Krankheit Teilnahme bezeigt und manchen Liebesdienst erwiesen, einige, wie der alte blinde Omar, der Mkadem der Sauya Mulei-Thaibs, waren mit mir näher befreundet. Meinerseits hatte ich die herrschenden Vorurteile soviel wie möglich respektiert, am Freitag regelmäßig die Djemma (Moschee) besucht und dem Ableiern des langweiligen Chotbah-Gebets beigewohnt, alles bar und teurer als die Tuareg bezahlt, so auch für das Haus, das ich bewohnte, einen verhältnismäßig hohen Mietzins entrichtet, endlich durch Schenkung eines Lefaucheux mit vierundzwanzig Schuss an Kassem-Pascha diesen zu meinem Freund gemacht – alles das hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und man ließ mich merken, dass ich ein gern gesehener Gast war. Gegenseitiges Wohlwollen bekundete sich nun auch bei meiner Abreise. Eine große Zahl von Bekannten war aus der Stadt gekommen, mir ein letztes Lebewohl zu sagen, umschwärmt von der Rhadameser Jugend, die noch einmal meinen Mursuk, das Wundertier, bestaunen wollte. Viele Händedrücke, viele Ssalams, viele Rufe »Auf Wiedersehen« wurden ausgetauscht, als ich am 31. August nachmittags Rhadames verließ.

FÜNFTES KAPITEL
Von Rhadames nach den Schwarzen Bergen

Unsere Karawane war von stattlicher Länge; außer meinen eigenen befanden sich fünfzig Sintaner-Kamele in dem Zug, die Waren nach Rhadames gebracht und jetzt, bis auf einige, die von mir gemietet waren, unbeladen zurückgingen.

Als Reisegefährten hatte ich eine damals von den Tripolitanern für äußerst wichtig gehaltene Persönlichkeit, Hammed-Aga, Hauptmann in der Armee des türkischen Sultans, zugleich aber Leibkutscher und, wie man sagte, intimer Vertrauter des Muschir-Pascha in Tripolis. Er war von diesem abgesandt worden, um Kassem-Pascha den Firman seiner Versetzung nach Rhadames auszuhändigen, und da der Empfänger eines neuen Firmans dem Überbringer desselben ein reiches Geldgeschenk machen muss, ist allerdings eine solche Mission als besonderer Gunstbeweis für den damit Betrauten anzusehen. Ich besaß die Zuneigung des Hauptmann-Kutschers, weil ich ihm in Rhadames, als sein Vorrat an Araki, dessen Genuss er leidenschaftlich ergeben war, zu Ende ging, einige Flaschen dieses edlen Getränkes zu verschaffen gewusst hatte. Für die Rückreise hatte ihn natürlich Kassem-Pascha genügend damit versorgt. Nach orientalischer Weise freigiebig, in Glaubenssachen so tolerant, wie es ein Türke sein kann, liebte er das weibliche Geschlecht über die Maßen, war aber mit nur einer Frau verheiratet.

Eine kurze Strecke verfolgten wir den Weg, auf dem ich von Misda gekommen war, und lenkten dann scharf nach Süden ab bis zu einem Weg, der in der Entfernung von etwa zwei Stunden mit jenem parallel läuft. Bei Sonnenuntergang wurde haltgemacht, um zu kochen, bald aber weitermarschiert und erst um Mitternacht am Djebel Krab genächtigt.

Während der Abendrast vermisste Hammed-Aga, der sich bereits in sehr angeheitertem Zustand befand, das Emblem seiner Würde, seine lange silberbeschlagene Peitsche. Er erinnerte sich, dass er sie beim Abschied von Kassem-Pascha im Hof von dessen Wohnung hatte stehen lassen, und schickte einen seiner Diener – der Kutscher des Paschas von Tripolitanien ist in der Lage, sich mehrere Diener halten zu können – zwecks ihrer Abholung zurück. Derselbe kehrte aber ohne Peitsche wieder, die mit dem glänzenden Silberbeschlag mittlerweile Liebhaber angelockt und trotz allen Suchens verschwunden blieb. Der Hauptmann-Kutscher war außer sich über den Verlust; lieber hätte er seinen Säbel eingebüßt als die Peitsche, noch dazu das Eigentum seines Herrn. In seiner Wut überhäufte er die uns begleitenden Beduinen mit den gröbsten Schimpfworten, und die Geschmähten, obgleich vollkommen unschuldig an dem Vorfall, wagten nicht, gegen den Günstling des Muschir-Paschas den Mund aufzutun. Um Zorn und Ärger zu ertränken, schaute er nun noch tiefer in die Araki-Flasche, sodass er, als wir wieder aufsaßen, sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die Kameltreiber wollten ihn auf seinem Tier festbinden, damit er von dem hohen Sitz nicht herabfiel, aber er stieß sie schimpfend beiseite. Glücklich überwand er auch ohne ihre Hilfe die ersten zwei schaukelnden Bewegungen, die das Kamel im Aufstehen macht, bei der dritten jedoch plumpste sein schwerer Körper, nach hinten sich überschlagend, auf höchst possierliche Art zu Boden. Betrunkene fallen fast immer ungefährlich; so kam auch unser Trunkenbold mit einigen leichten Quetschungen davon. »Gott und unser gnädiger Herr Mohammed haben Erbarmen mit mir! Ich werde zehn Tage fasten und morgen wieder beten!«, lallte er, etwas ernüchtert und offenbar seinen Sturz als eine Strafe Gottes für das Araki-Trinken ansehend. Geduldig ließ er es jetzt zu, dass ihn die Treiber auf das Kamel hoben und mit Stricken an dem Sitz festbanden. Am anderen Morgen aber, als er seinen Rausch ausgeschlafen und sah, wie unbedeutend die erlittenen Quetschungen waren, fragte er mich ganz ernsthaft, ob ich glaube, dass unser gnädiger Herr Mohammed das Weintrinken absolut verboten habe. »Gewiss«, erwiderte ich, »aber das Schnapstrinken nicht.« – »Mustafa, du bist ein weiser Mann!«, sagte er und tat einen kräftigen Zug aus seiner Schnapsflasche.

 

Wir langten ohne weitere Gefährdung in Derdj an. Die Rohheit und Überheblichkeit Hammed-Agas traten hier wieder aufs Krasseste zutage. Wie ich, hatte er vom Kaimakam in Rhadames einen besonderen Empfehlungsbrief an den Mudir (Ortsvorsteher) von Derdj erhalten. Mit diesem Schreiben schickte er seinen Diener in den Ort und befahl ihm: »Sag dem Schwein, dem Araberhund, er soll den Brief seines Vorgesetzten in Empfang nehmen!« Aber an dem Mudir hatte er seinen Mann gefunden. »Sag dem Religionsschänder, dem Schnapstrinker«, lautete die Antwort, »dass ich nichts mit ihm zu tun haben will.« Hammed-Aga raste; seine Diener sollten den Mudir gebunden vor ihn bringen, und da sie wohlweislich den unsinnigen Befehl nicht ausführten, mussten sie mit Schlägen dafür büßen.

Mir wurde durch den Mudir, meiner Sicherheit wegen und weil ein längeres Lagern unter dem Zelt bei der brennenden Hitze nicht zu ertragen gewesen wäre, ein Haus in der Stadt zur Wohnung angewiesen, freilich auch kein angenehmer Aufenthalt, da es vor Schmutz starrte und mehr einer Höhle für wilde Tiere als einer menschlichen Wohnstätte ähnlich sah. Hier kam nun der Prozess um das ausgeschlagene Kamelauge zum Austrag. Der Eigentümer des verletzten Tiers hatte in Rhadames seine Ansprüche nicht geltend gemacht, sondern war bald wieder mit voller Ladung von da nach dem Gebirge abgegangen und inzwischen nach Derdj zurückgekehrt. Jetzt verlangte er von mir den halben Preis seines Kamels als Schadenersatz, indem er sich meines Negers zu bemächtigen drohte, falls die Forderung nicht befriedigt würde. Schließlich klagte er bei dem Kadhi von Derdj. Dieser verurteilte mich zur Zahlung von zehn Mahbub, setzte aber, als ich einwandte, dass ja das Tier dienstfähig geblieben sei, den Betrag auf die Hälfte herab. »Einen Sbili« (= einen Viertel Mahbub), sagte er zu mir gewendet, »steuere ich selbst bei, einen mag dein Neger geben, und den Rest wirst du zahlen.« Cheir legte wirklich einen Sbili hin, ich zählte das Übrige auf, und der Kläger war im Begriff, das Geld einzustreichen. Da redete ihn der Kadhi wieder an: »Wo ist denn jetzt dein Kamel?« – »Auf einer Reise nach Misda.« – »Hm, hm! Wenn das Tier so reisetüchtig ist, dass es fortwährend auf der Straße sein kann, so brauchst du gar keinen Schadenersatz, Freund meines Herzens; jedenfalls muss ich den Schaden erst besichtigen.« Mit diesen Worten steckte der würdige Richter das Geld in seine Tasche und entfernte sich, um, wie er sagte, ein Extragebet zu verrichten. Der verdutzte Eigentümer des Kamels aber schaute ihm offenen Mundes nach.

Ich verweilte mehrere Tage in Derdj, weil ich Kamele und einen Chaber (Karawanenführer) für die direkte Tour von da nach Mursuk zu mieten gedachte. Aber die Leute machten so hohe Forderungen, dass ich nicht darauf eingehen konnte, sondern die Reise bis Misda fortzusetzen beschloss. Meinen Diener Hammed ließ ich mit dem Hauptmann-Kutscher nach Tripolis gehen; er sollte kürzlich für mich eingetroffene Gelder daselbst abholen und sie mir, auf geradem Weg reisend, nach Mursuk bringen.

Einige Tagesmärsche vor Misda wurde eines meiner Kamele sehr schwach; mochte es schädliche Kräuter gefressen haben oder das stark abführende Wasser nicht vertragen können oder war die ihm aufgebürdete Last zu groß gewesen, es siechte zusehends dahin, und ich musste es an der Straße zurücklassen, in der Hoffnung, es werde sich selbst gutes Wasser und heilsame Kräuter suchen und sich vielleicht wieder erholen. Dass es gestohlen werden möchte, brauchte ich nicht zu besorgen. Denn während Raubzüge unternommen werden, um Kamele zu stehlen, auch wohl einzelne Kamele aus der Karawane oder aus dem Lager abhandenkommen, vergreift sich niemand an einem der Natur anvertrauten Kamel, selbst wenn es wieder gesund geworden ist. Ebenso werden Karawanen angefallen und geplündert, aber Waren oder Güter, die man auf der Straße abwirft, um die Last der Kamele zu erleichtern, bleiben unberührt an der Stelle liegen.

In ganz Nordafrika, in den sogenannten Berberstaaten wie in den Oasen der südlich davon sich ausbreitenden Sahara, ist nur das einhöckrige arabische Kamel bekannt. In Ägypten bewirkten das bessere Futter, das reichliche süße Wasser und die Kürze der Märsche Verschiedenheiten in der Entwicklung des Tieres, dank derer es dort durchschnittlich größer ist und schwerere Lasten tragen kann. Nach Brehm trägt in Ägypten ein Kamel bis zu eintausend Pfund; in den übrigen nordafrikanischen Ländern ist die größte Kamellast fünfhundert Pfund, und dies auch nur bei kurzen Märschen; auf langen Wüstenreisen darf man nie mehr als dreihundert Pfund aufladen. Obwohl nirgends auf ägyptischen Denkmälern ein Kamel abgebildet ist, scheint doch die Annahme begründet, dass es in diesem östlichen Teil von Afrika schon in den frühesten Zeiten heimisch gewesen und später von da in die westlichen Länder eingeführt wurde.

Von dem arabischen Kamel Nordafrikas unterscheidet sich das afrikanische oder Meheri-Kamel, dessen Heimat die Zentralsahara ist, wie etwa der afrikanische Elefant sich vom indischen unterscheidet. Die abweichenden Merkmale sind so wesentlich, dass man jetzt die Meheri wohl als eine eigene Rasse bezeichnen darf, was indes die Möglichkeit, das arabische und das afrikanische Kamel seien ursprünglich eins gewesen, keineswegs ausschließt.

Für Reisen in der Sahara ist das Meheri dem Menschen unentbehrlich, ja, das Passieren der großen Wüste wäre ohne dieses Tier eine Unmöglichkeit. Es trägt verhältnismäßig große Lasten, kann im Notfall bis zu zehn Tage ohne Wasser existieren, nimmt mit der dürftigsten Nahrung vorlieb und zeichnet sich durch einen merkwürdigen Ortssinn aus. Nicht selten sind Karawanen, die sich verirrt hatten, bloß durch die Spürkraft der Kamele zu einer Oase oder zu einem Brunnen geleitet worden, denn Wasser wird von ihnen, namentlich wenn sie lange gedurstet haben und man sie frei gehen lässt, aus weiter Ferne gewittert. Trotz ihrer passiven Natur zeigen die Kamele Erkenntlichkeit und Anhänglichkeit gegenüber ihren Wohltätern. Ich gab dem Kamel, das ich gewöhnlich ritt, öfters ein Stück Brot oder eine Handvoll Datteln; war es nun mit anderen wochenlang fern auf der Weide gewesen, so erkannte es mich bei der Rückkehr doch wieder, kam ungerufen auf mich zu und beschnupperte meine Hand in Erinnerung der aus ihr empfangenen Spenden. Wenn in großen Karawanen die Kamele abends zu ihren Lagerplätzen zurückkehren, weiß jedes von selbst das Zelt seines Herrn herauszufinden.

Mein unterwegs zurückgelassenes Kamel hatte sich ganz allein, unserer Spur folgend, bis Misda fortgeschleppt. Da ich immer noch hoffte, es würde genesen, schloss ich mit einem Eingeborenen einen schriftlichen Kontrakt, nach welchem er sich verpflichtete, das Tier in seine Herde aufzunehmen, es gut zu pflegen und, wenn es sich soweit erholte, zum Verkauf nach Tripolis zu führen, wogegen der vierte Teil des Erlöses ihm selbst zukommen sollte. Aber schon am nächsten Tag sagte man mir, der Zustand des leidenden Tieres habe sich derart verschlimmert, dass der Tod jeden Augenblick zu erwarten wäre, ich müsse daher, falls ich sein Fell und Fleisch retten wolle, es sofort abstechen lassen. Nur das Fleisch von einem abgestochenen Kamel nämlich ist den Mohammedanern zu genießen erlaubt; von einem Kamel, das gefallen, durch eine Kugel getötet oder vom Blitz erschlagen worden ist, darf kein Rechtgläubiger essen. Doch kann das Abstechen von jedermann verrichtet werden, es ist nicht wie bei den Juden eine durch den Rabbiner oder einen anderen geistlichen Beamten zu vollziehende Zeremonie. Mein Neger Cheir stach das Tier regelrecht ab; das Fleisch verschenkte ich, für das Fell wurden mir dreieinhalb Mahbub bezahlt.