Quer durch Afrika

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Unterwegs bemerkte ich, dass die Kameltreiber einer kleinen Eidechse mit plattem Kopf, Bu-Bris genannt, einer Gekko-Art, eifrig nachstellten und jede, derer sie habhaft wurden, töteten. Sie meinten, das Tierchen vergifte durch seinen Hauch die Speisen, es könne dem Menschen einen Ausschlag anspritzen, und schwangere Frauen, die von ihm angeblickt würden (Basiliskenblick), kämen mit gefleckten Kindern nieder. Das unschuldige Tierchen ist in diesem Teil der Vorwüste überaus häufig. Um die Leute von der Torheit ihres Wahns zu überzeugen, nahm ich eine Bu-Bris in die Hand, setzte sie auf meinen Fuß und ließ sie über meinen Teeteller laufen – aber vergebens, sie blieben bei ihrem abergläubischen Vorurteil und sagten, ich sei gegen das böse Wesen gefeit.

Am 10. Juni durfte ich hoffen, endlich unser nächstes Ziel, die Oase Derdj, zu erreichen. Es war höchste Zeit: Infolge der großen Hitze waren die Kamele von dem achttägigen Marsch durch die Hammada erschöpft, meine Diener ertrugen zum Teil nur schwer die ungewohnten Strapazen, und zwei von ihnen sowie ich selbst litten an Diarrhö, die trotz starker Opiumgaben nicht weichen wollte. Mich hatte der kurze Wüstenmarsch bereits so abgemagert, dass ich meine Geldkatze, die mir früher zu eng gewesen war, jetzt noch um fünf Zoll einnähen musste, ja, ich fühlte an den abnehmenden Kräften, dass eine ernstliche Krankheit im Anzug war.

Wir zogen noch an einigen Gra vorüber, erblickten im Norden von uns auf etwa acht Kilometer Entfernung den Djebel el-Chaschm-el-Dub und durchschritten um halb neun Uhr den Chorm Tuil-el-Nailat (Langer Pass der Sandalen). Um zehn Uhr ›gielten‹ wir. Ich sandte zwei Diener mit meinem Bu-Djeruldi voraus, damit sie mich bei den Bewohnern Derdjs anmeldeten und einen guten Lagerplatz für uns aussuchten. Der Zug folgte ihnen erst um vier Uhr nachmittags.

Abends erreichten wir endlich den Ort Derdj, nachdem schon lange vorher Spuren von Menschen und Tieren uns dessen Nähe verkündet hatten. Die Einwohner bereiteten mir einen recht freundlichen Empfang, der Bu-Djeruldi schien seine Wirkung auf sie nicht verfehlt zu haben. Für unser Lager hatten sie einen reizenden Platz, unter Palmen und hinlänglich mit Wasser versehen, bestimmt, allein ich zog es vor, auf der luftigeren Hammada zu kampieren, wo ich mir von den frischen Winden einen heilsamen Einfluss auf meine stark angegriffene Gesundheit versprach.

Außer dem Hauptort Derdj hat die Oase Derdj (Stufe), so genannt, weil sie am steilen Abhang oder Rand der Hammada liegt, noch drei kleinere Ortschaften: Tugutta, Tefelfelt und Matres. Die Bewohner von Derdj, Tugutta und Tefelfelt sind nicht arabischen, sondern berberischen Ursprungs; nur Matres ist von Arabern bewohnt. Erstere werden von den umwohnenden Stämmen auch mit dem gemeinsamen Namen Mammeluki belegt, was wohl auf ihre frühere Verbindung mit der Regierung von Tripolis hindeuten soll. Aber weder die Berber noch die Araber der Oase Derdj zeigen im Äußeren die charakteristischen Merkmale dieser Völkerrassen, sie sind so stark mit Negerblut durchsetzt, dass man sie eher wohlgestaltete Schwarze mit kaukasischer Gesichtsbildung nennen als zu den Weißen rechnen möchte. Ihre Gemütsart anlangend, fand ich sie gastfrei, gutmütig, aber etwas apathisch. Mit der Reinlichkeit schienen sie in beständigem Kampf zu leben, dagegen mit dem Schmutz auf vertrautestem Fuß zu stehen. Die Häuser, aus Stein erbaut, gleichen ganz den in den übrigen Ksors dieser tripolitanischen Gegend. Ihr Inneres ist unsauber und dient Ziegen wie Menschen zum gemeinsamen Aufenthalt. In den meisten gibt es jedoch einen abgesonderten Raum, ein Staatszimmer, in dem die Mitgift der Frau oder der Frauen, in einer großen Zahl messingener Schüsseln bestehend, aufbewahrt wird. Alle die blanken Schüsseln prangen hier an den Wänden und werden nie benutzt, scheinen also keinen anderen Zweck zu haben, als den Reichtum der Familie zur Schau zu stellen, da Kupfer hierzulande ein seltenes und kostbares Metall ist.

Der Boden um Derdj wird hauptsächlich durch das Uadi Tinaout bewässert. Außer dem oberirdisch fließenden Wasser fördert man jedoch auch Wasser durch Fogarat (unterirdische Galerien, Brunnen) sowie durch Ziehbrunnen zutage. Die vorhandenen Palmengärten würden zur Ernährung der Einwohnerschaft mehr als ausreichen, wenn nicht zwei Drittel der Gärten und Bäume an Rhadameser oder an Djebeli verkauft wären. Es zeugt für die Indolenz der Bewohner, dass sie einen Teil ihres Grund und Bodens und ihrer kostbaren Habe, der Dattelbäume, infolge schlechter Wirtschaft in fremden Besitz kommen ließen. Wie überall in den Oasen werden auch hier Bäume und der Boden, auf dem sie stehen, getrennt voneinander verkauft, ein Gebrauch, der natürlich oft zu heftigen Streitigkeiten Anlass gibt; so klagt z. B. der Besitzer einer Palme gegen den Grundeigentümer, der Baum sei eingegangen, weil er nicht genügend bewässert worden sei usw. Das Areal, selbst das von Gärten, ist in Derdj, wenn man die Fruchtbarkeit des Bodens und den Wasserreichtum in Betracht zieht, billig zu haben. Felder mit fließendem Wasser werden natürlich teurer bezahlt. Hingegen stehen die Bäume, den Wert des Geldes in Anschlag gebracht, verhältnismäßig hoch im Preis. Für eine Palme der edleren Gattung, zumal eine solche, die alljährlich eine Kamelladung Datteln liefert, zahlt man bis zu über hundert Mahbub, für eine Kamelladung Datteln der besten Sorte sieben bis acht Mahbub. Die Zahl der Dattelpalmen in den vier Orten zusammen dürfte sich auf ungefähr dreihunderttausend Stück belaufen. Was die sonstige Produktion betrifft, so unterscheidet sich die Oase Derdj nicht von den anderen Oasen der Hammada. Sie hat – außer dem Zehnten von allen Früchten – 1182 Mahbub an Abgaben zu entrichten.

Mein Unwohlsein steigerte sich in bedenklicher Weise. Der Mudir des Ortes riet mir, Lakbi dagegen zu nehmen, und ich nahm in der Tat einen Topf voll dieses abscheulichen Getränks zu mir. Anfangs verschlimmerte sich die Diarrhö danach, aber gegen Abend des zweiten Tags spürte ich Besserung, sodass ich mich imstande fühlte, den kurzen Marsch nach Rhadames zurückzulegen, wo ich auf bessere Verpflegung und längere Ruhe hoffen durfte. Da meine Kameltreiber aus Misda dorthin zurückgekehrt waren, mietete ich in Matres andere, und nachdem ich noch, soweit ich es vermochte, alle Bettler in Derdj befriedigt hatte, brachen wir am 15. Juni morgens um halb acht Uhr auf.

In Richtung 275 Grad längs dem Uadi Milha hinziehend, erreichten wir nach drei Stunden Matres und ›gielten‹ daselbst im Schatten einiger Palmen. Der kleine Ort hat nur circa hundert Einwohner, die sich hauptsächlich vom Vermieten ihrer Kamele ernähren, denn Palmen gibt es dort nicht viele, und die meisten davon sind Eigentum der Rhadameser.

Der Weg von hier nach Rhadames soll nicht allzu sicher sein. Mehrere Leute von Derdj, von Matres und einige vom Stamm der Uled Mahmud baten daher, sich mir anschließen zu dürfen, und da sie alle mit Flinten bewaffnet waren, sah ich diese Verstärkung meiner Karawane nicht ungern, obschon ich neue Angriffe auf meine Mundvorräte von ihnen gewärtigen musste, eine Voraussicht, die sich dann auch in vollem Maße bestätigte.

Um fünf Uhr nachmittags zogen wir in Richtung 265 Grad weiter. Ich hatte die Absicht, den Marsch bis Mitternacht fortzusetzen, um von der Kühle der Nacht zu profitieren. Aber kaum war eine halbe Stunde im langsamen und gleichmäßigen Kamelschritt zurückgelegt, als an der Spitze der Karawane sich ein großer Lärm erhob, in dem ich sofort das klagende Gebrüll eines Kamels unterschied. Ich ritt in der Regel am Ende des Zuges, um etwaige Unordnungen leichter wahrnehmen und abstellen, auch die Leute besser überwachen zu können. Schnell trieb ich mein Kamel an; die ganze Karawane machte inzwischen halt, und so ließ sich mit einem Blick das angerichtete Unglück überschauen. Mein Neger Cheir hatte aus Versehen mit seinem Stock dem Tier das rechte Auge aus dem Kopf geschlagen, das nun blutig am Boden lag. Bekanntlich haben die Kamele sehr stark hervortretende Augen. Während das verletzte Tier noch immer sein klägliches Gebrüll ausstieß, lärmte und tobte der Eigentümer desselben, ein Bewohner von Matres, und drohte sogar handgreiflich zu werden. Was war zu tun? Er sprach vom Kadhi, von Schadenersatz oder Umtausch gegen eines meiner Kamele, und ich selbst konnte ihm nicht unrecht geben, denn sein Kamel war ein junges und starkes Tier. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn die ganze Karawane nach Derdj zurückgekehrt und der Fall dem dortigen Kadhi zur Entscheidung übergeben worden wäre. Darauf ging ich jedoch nicht ein, sondern sagte ihm, falls er die Sache vor den Richter bringen wolle, könne er dies in Rhadames ebenso gut tun. Indessen hoffte ich, bis dahin mich gütlich mit ihm zu einigen. Nachdem er noch eine kurze Strecke parlamentierend neben mir hergegangen war, erbot er sich schließlich, ein anderes Kamel aus Matres zu holen und mir dann zum Kadhi von Rhadames zu folgen. Er machte sich auf den Weg, und wir lagerten um sechs Uhr, um seine Rückkunft zu erwarten. Wirklich erschien er nach einigen Stunden wieder, aber statt eines Kamels seinen Bruder mitbringend. Auch dieser verlangte, dass ich mit ihnen umkehren oder wenigstens den Täter, meinen Neger Cheir, an den Kadhi von Derdj zur Aburteilung entsenden solle. Als sie aber sahen, dass ich fest auf dem Weitermarsch beharrte, schlugen sie zuletzt vor, ich möge selbst als Bei (sowohl in meinem Firman wie in dem Bu-Djeruldi war mir der Titel Bei verliehen) das Urteil in der Sache fällen – ein sehr schlauer Vorschlag, denn sie appellierten damit zugleich an meine Gerechtigkeit und an meine Großmut. Ich gestand ihnen denn auch, wie von Anfang an, bereitwilligst zu, dass sie Anspruch auf Schadenersatz hätten, gab ihnen aber zu bedenken, wie ungerechtfertigt ihre Forderung wäre, den vollen Wert des verletzten Tieres bezahlt zu erhalten, da ein Kamel doch kein Luxustier sei und der Verlust eines Auges seine Tragfähigkeit nicht beeinträchtige; selbst der fünfte Teil des Wertes würde daher ein noch viel zu hoher Ersatz sein. Sodann fragte ich sie, ob nach dortigem Gebrauch der Herr für jeden Schaden, den sein Diener angerichtet, unbedingt aufkommen müsse. »Cheir«, lautete die Antwort, »ist kein Diener, sondern dein Sklave.« Wäre dies richtig gewesen, so hätte ich allerdings die Verpflichtung gehabt, vollen Ersatz zu leisten, denn wie alles, was der Sklave verdient, nach mohammedanischem Recht seinem Herrn gehört, ist auch der Schaden, der durch einen Sklaven angerichtet wird, von seinem Herrn zu tragen. Ich schwor, dass Cheir nicht mein Sklave, sondern ein gemieteter Diener sei, und meine übrigen Diener beschworen dasselbe mit den kräftigsten Eiden. Der Mohammedaner liebt es bekanntlich, bei jeder Gelegenheit zu schwören, und erwartet auch von anderen die Beteuerung der geringfügigsten Aussage durch einen feierlichen Schwur. Dass von Cheir selbst, der seit Kurzem erst in meinen Diensten stand, folglich keine Schätze besaß, nichts zu erpressen war, leuchtete den beiden Brüdern ein. So fügten sie sich denn vorläufig in ihr Missgeschick, zumal sie keinen Augenblick zweifelten, die Medizin, Charpie mit Wachssalbe bestrichen, die ich dem armen Tier zur Linderung der Schmerzen in die leere Augenhöhle gedrückt, werde demselben ein neues Auge verschaffen, und als am anderen Morgen die Karawane aufbrach, waren wir vollkommen gute Freunde.

 

Für einen Hochzeitszug herausgeputztes Kamel

Endlich, am 17. Juni, sollte der letzte Tagesmarsch zurückgelegt werden. Um vier Uhr morgens verließen wir unseren Lagerplatz und erreichten, westlich vorrückend, um sechs Uhr den Fuß des relativ etwa fünfhundert Fuß hohen Berges Krab; nach zehn Minuten war die Höhe erstiegen, und ohne Aufenthalt ging es den weniger steilen westlichen Abhang hinunter. Westlich von Djebel Krab hört alle Vegetation auf; in der Umgebung von Rhadames ist kein Strauch, kein Halm mehr zu erblicken. Ich ließ um neun Uhr morgens ›gielen‹ und sandte meinen Burschen Hammed in Begleitung einiger anderer meiner Leute mit dem Bu-Djeruldi voraus. Kurz vor Sonnenuntergang langte die ganze Karawane vor Rhadames an.

Die Stadt hat an der Nordwestseite drei Tore. Beim ersten, glaubte ich, würde uns Hammed erwarten; er war aber nicht dort, auch beim zweiten und dritten trafen wir ihn nicht an. Wir kehrten daher zum ersten, dem Haupttor, zurück und hielten durch dieses unseren Einzug, gefolgt von einem Schwarm Kinder der Tuareg, welche außerhalb der westlichen Ringmauer der Stadt zu lagern pflegen. Auch eine Menge Rhadameser hatte sich mittlerweile dem Zug angeschlossen, doch schien die allgemeine Aufmerksamkeit weniger auf mich und mein Gefolge als auf meinen Hund Mursuk gerichtet zu sein. Wohl noch nie zuvor war den meisten Bewohnern von Rhadames ein Hund zu Gesicht gekommen, denn die Slugi (Windhunde), die die Tuareg mit sich führen, werden von den Rhadamesern nicht zum Hundegeschlecht gerechnet.

Es war bereits das zweite Mal, dass ich in Rhadames einzog; ein Jahr vorher hatte ich auf dem Weg von Rharb (Marokko), für einen frommen Mohammedaner geltend, die Stadt betreten. Im Vorüberziehen hörte ich, wie die einen behaupteten, ich sei Christ, wogegen andere schworen, ich sei Türke, und noch andere mir »Willkommen, Konsul!« zuriefen. Vor der Wohnung des Kaimakams, des türkischen Gouverneurs von Rhadames, ließ ich den Zug halten.

Ehe ich aber in der Erzählung meiner Reiseerlebnisse fortfahre, will ich versuchen, den Leser etwas näher mit dieser merkwürdigen Stadt bekannt zu machen.

DRITTES KAPITEL
Die Stadt Rhadames und ihre Bewohner

Fast überall, wo ein mächtiges Felsplateau mittels steiler Wände auf die Ebene drückt, springen, selbst in der Sahara, Quellen aus der Erde hervor, die den Boden bewässern und in der Wüste dann Oasen entstehen lassen. Einer solchen Quelle verdankt auch die Oase Rhadames ihre Entstehung.

Unzweifelhaft waren die Umgebungen dieser Quelle, die naturgemäß eine dichte Palmenvegetation erzeugte, schon in grauer Vorzeit von Ansiedlern bewohnt. Davon zeugen die zum Teil noch aufrecht stehenden Ruinen runder und viereckiger Türme aus roh bearbeitetem Stein, von den Eingeborenen »Esnamen« (die Götzenbilder) genannt. In jedem Turm befindet sich zur ebenen Erde eine meist gut erhaltene, oben spitz zulaufende gewölbte Kammer und in einigen über derselben ein zweiter ähnlicher Raum, zu dem von außen steinerne Stufen hinaufführen. Aus festem Material gebaut und vielleicht durch Mauern miteinander verbunden, hatten sie wahrscheinlich den doppelten Zweck, sowohl als Zufluchtsstätte und Schatzkammer wie auch zur Verteidigung gegen feindliche Angriffe zu dienen.

Alles deutet darauf hin, dass die Türme, lange bevor die Römer nach Rhadames kamen, wie man vermuten darf, von Garamanten errichtet wurden. Zwar ist hier nicht die eigentliche Heimat dieses Volkes gewesen, aber die Römer rechneten Cydamus, als sie die Stadt einnahmen, dem Gebiet der Garamanten zu. Sonst erfahren wir aus römischen Berichten nicht viel mehr, als dass Konsul Lucius Cornelius Balbo 19 v. Chr. die Stadt eroberte. Wie lange sie dem Römischen Reich verblieb und ob sie später christlich geworden ist, darüber fehlt jede Nachricht. Was die alten und mittelalterlichen Geographen über Rhadames erwähnen, ist äußerst mangelhaft und unzuverlässig. Leo führt unter dem Namen Gademes einen großen bewohnten Landstrich mit »vielen Schlössern und volkreichen Dörfern« auf. Dapper, der Gademes oder Gademez schreibt, spricht sogar von »16 ummauerten Städten und 92 Dörfern«. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass schon der örtlichen Beschaffenheit wegen solche Städte, Schlösser und Dörfer hier nicht existiert haben können.

Die Quelle von Rhadames, die Schöpferin der Oase und somit auch Ursache zur Gründung der Stadt, nimmt unser Interesse vorzugsweise in Anspruch. Sie ist in ein länglich viereckiges, fünfundzwanzig Meter langes und fünfzehn Meter breites Bassin gefasst, auf dessen Boden man an mehreren Stellen das Wasser hervorquellen sieht. Die massiven Steinquader der Einfassung verraten ebenfalls das Werk der Römer, die sehr wohl wussten, wie wichtig es ist, das Wasser vor der Verteilung über die Felder in größerer Menge anzusammeln. Aus fünf Rinnen, drei größeren und zwei kleineren, ablaufend, reicht das Wasser der Quelle und einiger Brunnen nur zur Bewässerung einer Oberfläche von circa 75 Hektar hin, während der ummauerte zur Oase gehörende Raum wohl doppelt so groß ist. Die Gärten müssen, damit die Berieselung durch Quellwasser stattfinden kann, vertieft angelegt sein, und immer muss der hereinwehende Sand sogleich wieder daraus entfernt werden.

Die Verteilung des Wassers an die einzelnen Gärten wird durch Wasseruhren geregelt und erfordert ein sehr kompliziertes Verfahren, weil das Land in so kleine Parzellen wie kaum irgendwo sonst geteilt ist: Die meisten Gärten haben nicht mehr als zweihundert Quadratmeter Umfang, und viele sind nur halb so groß oder noch kleiner. Auf dem Marktplatz der Stadt steht eine Klepsydra, von den Eingeborenen »Gaddus« genannt, ein eiserner Topf mit einer runden Öffnung im Boden, durch welche das Wasser, wenn er vollgefüllt ist, in circa drei Minuten abläuft. Jedes Mal, nachdem ein Gaddus durchgelaufen ist, schlingt ein dazu angestellter Knabe, der in gewisser Zeit von einem anderen abgelöst wird, einen Knoten in ein Palmblatt. Sieben Gaddus heißen eine »Dermissa« und geben eine ungefähr zwanzig Minuten anhaltende, für einen Garten mit sechzig Palmen genügende Berieselung. In ähnlicher Weise geschieht die Berieselung aus den beiden der Quelle am nächsten gelegenen Brunnen, wobei Neger die Schöpfarbeit verrichten. In früheren Zeiten gab die Teilung des Wassers steten Anlass zu oft blutigen Streitigkeiten unter den verschiedenen Grundbesitzern. Jetzt ist alles zur Berieselung dienende Wasser Staatseigentum, und die türkische Regierung bezieht daraus eine jährliche Einnahme.

Das Klima von Rhadames unterscheidet sich nicht von dem der Sahara; Regen fällt äußerst selten, kaum einmal in zwanzig Jahren gibt es einen nennenswerten atmosphärischen Niederschlag. Die Durchschnittstemperatur beträgt + 23 Grad Celsius; sie steigt in den Sommermonaten auf + 50 Grad im Schatten und sinkt im Winter zuweilen vor Sonnenaufgang bis auf – 5 Grad. Das Klima ist eigentlich nicht ungesund, sagt aber Europäern wenig zu. Augenkrankheiten, Syphilis, Fieber und Dysenterien, Letztere besonders zur Zeit der Melonen grassierend, sind die am häufigsten vorkommenden Krankheiten. Im Jahre 1865 wäre ich selbst dort beinahe das Opfer einer sehr akuten Blutdysenterie geworden.

Melonen sind die einzigen Früchte, die in Rhadames gut gedeihen. Einzelne Exemplare erreichen einen kolossalen Umfang und ein Gewicht bis zu zwei Zentnern, sodass zwei solche eine Kamellast ausmachen. Andere Früchte, wie gelbe Pflaumen, Granaten, einige Reben, Pfirsiche, Aprikosen und Feigen, verkrüppeln und bleiben infolge der viel zu großen Sommerhitze saft- und geschmacklos. Sie können, ebenso wie Gemüse, von denen ich Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen, Rüben, Tomaten und Pfeffer hervorhebe, nur im Schatten der Palmen ihr kümmerliches Dasein fristen. Gleichfalls unterm Palmendach wird etwas Getreide, Weizen, Gerste und einige Hirsearten angebaut, doch lange nicht ausreichend für den Konsum der Einwohner. Leider sind auch die Dattelbäume hier weder ergiebig genug, noch von solcher Güte, dass mit ihren Früchten, wie in anderen Oasen, der Bedarf an Getreide, Schlachtvieh, Butter, Öl und sonstigen Lebensmitteln eingetauscht werden könnte. Die sechzigtausend Palmen, die Rhadames besitzt, vermögen den Bewohnern kaum für einen Monat im Jahr genügende Nahrung zu gewähren.

Wild wächst außerhalb der Stadt absolut keine Pflanze; in der Stadt selbst sah ich einige Mimosen, an der Quelle und in den Gärten Gräser und Quecken. Als Düngemittel muss aus den benachbarten Hattien (Oasen ohne Baum im Gegensatz zu Rhabba, Oasen mit Bäumen oder Buschwerk) ein Kraut, »Agol« (Alhagi Maurorum), geholt werden, denn der Dünger, welchen die Tiere des Ortes liefern, genügt nicht zur Befruchtung des Bodens.


Tuareg

Auch das Tierreich ist in Rhadames sehr spärlich vertreten. Von Haustieren gibt es nur Kamele, Esel, Katzen, Mäuse, Fledermäuse und Hühner, kein einziges Pferd, auch Hunde sind fast unbekannt, weswegen mein weißer Spitz auch, wie oben erzählt, das größte Aufsehen erregte. Außer Sperlingen bemerkte ich Schwalben; in den Palmenwipfeln nistet die kleine graue Baumtaube. Schlangen sind selten, nur die Hornviper und die gemeine Viper sollen zuweilen vorkommen. Ein gern gesehener Gast und fast in allen Häusern anzutreffen ist der Mauergecko; andere Eidechsenarten, wie die Dub-Eidechse, halten sich an den Gartenmauern auf. Frösche bevölkern die Quelle und die Rinnsale in großer Menge. Unter den Spinnen ist der Skorpion hervorzuheben. Fische finden sich weder in der Quelle noch in den Brunnen, während in vielen anderen selbst unterirdischen Quellen der Sahara kleine Fische leben, dagegen zahlreiche Blutegel und einige Molluskenarten. Von der Hausfliege, dieser Plage der Menschen bei Tag, und der Wasserschnake, ihrer Plage bei Nacht, ist man auch hier nicht verschont. Bienen gibt es nicht, aber eine Wespenart baut in den Häusern und Moscheen ihr Zellennest. Selbstverständlich fehlen, da die Rhadameser Mohammedaner sind, jene schmutzigen Insekten nicht, welche überall den unreinlichen Menschen anhaften, mit Ausnahme des Flohs, der nirgends in der Sahara existieren zu können scheint. Ein gefährlicher Parasit, der Guineawurm, wird von außen her eingeschleppt.

Die Einwohner von Rhadames sind, wie die ganze Bevölkerung Nordafrikas, berberischen Ursprungs, doch haben sie auch viel Neger- und Araberblut in sich aufgenommen. Ihre Sprache hat die größte Ähnlichkeit mit der, welche von den Bewohnern der übrigen Oasen, wie Sokna, Siuah, Audjila, gesprochen wird, sowie mit der Sprache der Tuareg, der Bewohner des Atlas und der Gebirgsbewohner längs der afrikanischen Küste des Mittelländischen Meeres. Fast jeder Rhadameser versteht übrigens daneben die eine oder andere Sprache Zentralafrikas; namentlich verbreitet ist die Sprache der Haussa und der Sonrhai, auch das Targische wird von den meisten verstanden.

 

Die Bewohnerschaft teilt sich in zwei streng voneinander geschiedene Volksparteien oder Triben: die Beni-Uasit und die Beni-Ulit. Sodann gibt es noch freie Neger und deren Nachkommen, insgesamt Atriya genannt.

Seitdem die Stadt unter türkischer Herrschaft steht, haben die blutigen Fehden aufgehört, womit die beiden feindlichen Triben einander bekämpften, aber die gegenseitige Abneigung währt noch in unvermindertem Grad fort. Kein Verkehr findet zwischen ihnen statt, weshalb selbst die Sprache beider mannigfaltige Verschiedenheiten erkennen lässt. Nie vermischten sich bis jetzt durch Heiraten die Beni-Uasit mit den Beni-Ulit; nie betritt ein Angehöriger der einen Tribe das Quartier der anderen, und so gibt es Rhadameser, die Kuka, Kano, Timbuktu, Tripolis und andere weit entfernte Städte gesehen, niemals aber einen Fuß in die andere Hälfte ihrer Vaterstadt gesetzt haben. Neutrale Gebiete sind nur der Marktplatz, das Haus des türkischen Paschas, die Sauya (Kloster mit Moschee und Schule) des Mulei Thaib von Uesan und die Sauya des Mulei Abd-el-Kader Djelali von Bagdad; die übrigen Moscheen werden ausschließlich von den Mitgliedern desjenigen Stammes besucht, welcher das betreffende Quartier innehat. Der Marktplatz bildet die Mitte der Stadt und ist zu beiden Seiten von den feindlichen Quartieren begrenzt, sodass jede Partei zu demselben gelangen kann, ohne das Stadtviertel der anderen berühren zu müssen. Die beiden Sauyas und das Gebäude des Gouverneurs stehen außerhalb der eigentlichen Stadt. So schroff indes die Beni-Uasit und die Beni-Ulit zu Hause sich noch gegenüberstehen, so bringen sie doch ihre Stammesfeindschaft in der Fremde jetzt nicht mehr zur Geltung. Treffen Söhne der zwei verschiedenen Triben in Timbuktu oder an einem anderen fremden Ort zusammen, dann meiden sie sich nicht, sondern verkehren miteinander als Landsleute und Stadtgenossen.


Tuareg

Gegen Fremde zurückhaltend, verkehren die Eingeborenen unter sich ganz ungezwungen und frönen dann auch dem heimlichen Genuss des Lakbi und Araki miteinander. Hingegen ist der Umgang mit den Frauen nach festem Zeremoniell geregelt. Die Männer nehmen hier meist nur eine Frau; nur wenn sie in der Fremde weilen, pflegen sie noch eine oder mehrere Sklavinnen zu haben, ohne sich jedoch mit diesen zu verheiraten. Äußerst selten lässt sich in Rhadames eine Frau auf öffentlicher Straße blicken. Nur Atrya-Weiber sieht man auf dem Markt und in den Gassen, meistens sogar unverschleiert. Die Frauen der vornehmeren Stände wagen sich schon deshalb nicht auf die Straße zu gehen, weil alle Straßen überbaut, deshalb vollkommen dunkel sind, sodass man ohne Lampe nur tappend vorwärtsschreiten kann und durch Husten und Räuspern sein Nahen verkünden muss. Sie besuchen und versammeln sich auf den flachen Dächern der Häuser, welche ausschließlich den Frauen vorbehalten sind; mit Behändigkeit werden die niedrigen Stufen von einem Dach zum anderen überhüpft, und oft geht es da oben lebhafter zu als unten in den finsteren Straßen der Stadt.

Dem Wort eines Rhadamesers darf man vertrauen; er hält, was er verspricht. Europäische Kaufleute geben daher ihren rhadamesischen Geschäftsfreunden Waren im Wert von mehreren Tausend Talern auf Kredit, und noch nie ist es vorgekommen, dass ein Rhadameser seinen Gläubiger unbefriedigt gelassen hätte.

In den meist unschönen Körperformen und Gesichtszügen der Eingeborenen verrät sich die häufige Kreuzung mit Negern. In ihrer Kleidung, die von der Tracht anderer Städtebewohner Nordafrikas kaum irgendwie abweicht, herrscht die weiße Farbe vor. Die Männer tragen ein langes baumwollenes Hemd, darüber ein kürzeres wollenes, Djilaba genannt, oder einen Haik (großer weißwollener Plaid), auf dem Kopf den weißen, um eine rote Mütze gewundenen Turban und gelblederne Pantoffel oder Sandalen an den Füßen. Bei den Reichen, besonders wenn sie sich längere Zeit in Zentralafrika aufgehalten haben, ist die gestickte Tobe aus den Sudanländern beliebt, ein Kleidungsstück, das eigentlich nur aus zwei ungeheuer weiten, oben zusammenhängenden Ärmeln besteht, zwischen welche durch ein enges Loch der ganze Körper hindurchgezwängt wird. Verschleierte Männer habe ich in Rhadames nie gesehen; auf Reisen aber benutzen sie, wie die Tuareg, ein Ende des Turbans als Litham (Gesichtsschleier). Das Haupt wird glatt rasiert, und auch vom Bart bleibt nur oberhalb und unterhalb des Mundes ein schmaler Streifen stehen. Die meisten haben einen oder mehrere silberne Ringe am Finger und um den Oberarm eine zollbreite Spange Serpentinstein. Beim Ausgehen hängen sie sich stets den mächtig großen eisernen Hausschlüssel an einem Lederriemen um den Hals. Tabak-Schnupfen gilt für erlaubt; der Genuss des Haschisch wird nicht gern gesehen, ist aber trotzdem ganz allgemein, der von Spirituosen wird mehr im Geheimen geübt.

Auch zur Tracht der Frauen gehört das lange baumwollene Hemd, die Gandura, von weißer Farbe, bei den Atrya-Weibern jedoch von blauer. Ihr Schmuck besteht aus Arm- und Beinringen, je nach dem Vermögen der Einzelnen aus Silber oder Messing, Ohrringen, Korallenhalsbändern und Schnüren von Korallen und Glasperlen im Haar, das man nach der in den Negerländern üblichen Weise zusammenflicht und dann während des ganzen Lebens selten mehr als einige Male wieder auflöst, um es zu reinigen und neu zu ordnen.

Ich schätze die einheimische Bevölkerung von Rhadames auf fünftausend Seelen, wozu noch tausend sich auswärts Aufhaltende hinzukommen mögen. Als oberster Beamter der Stadt fungierte früher nur ein Mudir, seit 1864 ein türkischer Kaimakam, der unter dem Gouverneur von Tripolis steht; er hat aber keine militärischen Kräfte außer einigen Soldaten aus dem Ghorian-Gebirge zur Verfügung. Zweiter Beamter ist der Scheich el-bled oder Stadtältester. Dieser, einige angesehene Kaufleute, der Kadhi und der Mufti bilden zusammen den Rat, welcher sich wöchentlich einmal, in außerordentlichen Fällen auch öfter, beim Kaimakam versammelt und bei Verteilung der öffentlichen Abgaben Stimmrecht hat, das heißt, zu allem »Ja« sagen muss, was die türkische Regierung befiehlt. Von den europäischen Mächten lässt sich nur Frankreich durch einen Konsularagenten, einen Eingeborenen, vertreten. England hat hier seit Jahren keinen Konsul mehr.

Ihre Handelsbeziehungen dehnen die Rhadameser nördlich bis Tunis und Tripolis, südlich bis Tuat, Timbuktu, Sokoto, Kano und Kuka aus. Sie sind die hauptsächlichsten Vermittler des Handels zwischen Zentralafrika und dem Mittelmeer: Sie bringen den zentralafrikanischen Ländern Tuche, weiße und bunte Kattune, fertige Tuchburnusse, rote Mützen, bunte seidene und baumwollene Tücher, Glasperlen, echte und nachgemachte Korallen, echte und gefälschte Essenzen, Messing, Papier, Blei, Pulver, Schwefel, kleine Spiegel, Messer, Scheren, Nadeln usw. und tauschen dagegen Sklaven, Elfenbein, Straußenfedern und Goldstaub ein. Letzterer kommt indes jetzt nur noch in unbedeutenden Quantitäten nach Rhadames, der meiste wird von Innerafrika aus nach der Westküste gebracht.

Die Stadt Rhadames gleicht von außen, wenn man die vor den Toren zerstreut stehenden Wohnungen der Beni-Belil abrechnet, mit ihren dicht aneinander geschlossenen mehrstöckigen Häusern, deren nackte Wände kaum hier und da im obersten Teil von einer winzigen Fensteröffnung durchbrochen sind, einer unregelmäßig emporgemauerten kompakten Festung. Im Inneren führen die überbauten Gassen selten zu einem kleinen offenen Platz; fast alle aber münden auf den Markt oder auf den Platz, der das Bassin der Quelle umgibt. Abgesehen davon, dass die Quelle sich hier im Ort selbst befindet, erinnert Rhadames in seiner Bauart sehr an die Stadt Siuah in der Oase des Jupiter Ammon.