Quer durch Afrika

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Gerhard Rohlfs in nordafrikanischer Tracht

Abermals gelangte Rohlfs nach Äthiopien. Der Negus Johannes, von Ägypten bedroht, hatte die europäischen Großmächte um Vermittlung gebeten, und wieder war es Bismarck, der den erfahrenen Forscher in diplomatischer Mission in das christliche Kaiserreich am Osthorn Afrikas entsandte, um den dortigen Herrscher des Wohlwollens des Deutschen Reiches zu versichern. Rohlfs’ Reisebegleiter war wiederum Dr. Strecker, sein Gefährte bei der Kufra-Expedition. Vom November 1880 bis zum Mai 1881 erfüllte er nicht nur seinen Auftrag, sondern durchforschte auch noch ein halbes Jahr lang das geheimnisvolle, in Europa weitgehend unbekannte Land.

Und noch einmal sollte Rohlfs nach Afrika zurückkehren. Als Generalkonsul nach Sansibar entsandt, von wo aus der Erwerb eines deutschen »Schutzgebietes« vorangetrieben werden sollte, reiste er 1884 auf einem Schiff um das Kap der Guten Hoffnung, besuchte kurz Kapstadt und trat im Januar 1885 seinen Dienst an. Seine Frau folgte ihm wenig später über Kairo und das Rote Meer nach. Doch das diplomatische Ränkeschmieden und die Intrigenspiele behagten dem geradeaus denkenden und dynamischen Mann nicht. Bereits ein halbes Jahr später wurde er von einem Berufsdiplomaten abgelöst.

Eine weitere diplomatische Berufung – zur Auswahl standen die Konsulate in Jerusalem und Marokko – lehnte Rohlfs ab. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er als Privatgelehrter in Deutschland. Wegen des milderen Klimas übersiedelte er von Weimar nach Godesberg, wo am 2. Juni 1896 sein reiches und ausgefülltes Leben ein Ende fand. Eine Herzlähmung hatte einem der bedeutendsten Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts den raschen Tod gebracht.

In seiner Heimatstadt Vegesack wurde er in einem Ehrengrab bestattet. Der unermüdliche Entdecker war fünfundsechzig Jahre alt geworden, doch wie er selbst noch kurz vor seinem Tod sagte: »Die Jahre in Afrika zählen doppelt.« Und Gerhard Rohlfs hatte rund achtzehn Jahre seines Lebens auf dem »Schwarzen Kontinent« verbracht.

Als Grundlage für die vorliegende Bearbeitung diente die zweibändige Erstausgabe aus den Jahren 1874/75. Wir haben versucht, behutsam zu kürzen. Etwa ein Drittel des Originaltextes musste aus Raumgründen einer Streichung zum Opfer fallen. Eine Fülle von akribischen Zeit- und Ortsangaben, zum Teil botanische, geologische und historische Exkurse des Forschers – außer für den Fachgelehrten kaum von Interesse für den heutigen Leser – machten es dem Herausgeber leicht, eine lesbare und zeitgemäße Fassung aus dem Originalwerk zusammenzustellen. Der Text wurde bis auf einige stilistische, grammatikalische und orthographische Korrekturen im Original belassen. Antiquierte Ausdrücke, die für den heutigen Leser kaum noch verständlich sind und im Übrigen beim Lesen nur stören würden, wurden modernisiert, ohne dadurch dem Text Rohlfs sein spezifisches Kolorit zu nehmen. Die Schreibweise der Eigennamen wurde mit Ausnahme der Akzente, welche dem heutigen Stand der linguistischen Forschung widersprechen, beibehalten, wenn sich auch heute allgemein eine andere Schreibung eingebürgert haben mag. Die oft in Klammern beigefügten Übersetzungen oder Erklärungen stammen von Rohlfs selbst und stehen in gleicher Weise auch im Original. Aus diesem Grund konnten wir auch das Wörterverzeichnis am Ende des Buches relativ kurz halten, in welchem wir nur erklärungsbedürftige Ausdrücke aufgenommen haben, die nicht an irgendeiner Stelle des vorliegenden Textes erläutert sind.

Leider ist das Rohlf’sche Originalwerk von »Quer durch Afrika« nicht illustriert. Die diesem Band beigegebenen Abbildungen finden sich in den verschiedensten im Literaturverzeichnis angeführten Werken.

Natürlich ist Rohlfs’ Afrika-Bericht ein Produkt seiner Zeit, des Zeitalters des Kolonialismus. So schimmert hier und da bei Schilderung bestimmter Kulturerscheinungen und Lebensgewohnheiten das Überlegenheitsgefühl der »weißen Rasse« durch. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Rohlfs bemüht war, der Lebenswelt der von ihm erforschten Völker Afrikas möglichst vorurteilsfrei gerecht zu werden. In grundsätzlichen Fragen ist seine Haltung – gemessen am damaligen Zeitgeist – fortschrittlich-humanistisch und aufgeklärt-kosmopolitisch. Erwähnt seien hier nur die herbe Kritik an im damaligen Afrika noch praktizierten Sklavenhandel und sein Bemühen, die farbige Bevölkerung Afrikas gegen primitive Vorurteile in Schutz zu nehmen.

Herbert Gussenbauer


GERHARD ROHLFS

Ölpalme

ERSTES KAPITEL
In Tripolis

Ende des Jahres 1864 kam ich von meiner Reise über den marokkanischen Atlas, durch Tafilet, Tuat und die Sahara gen Osten gehend in der Stadt Tripolis an. Es war meine Absicht, gleich dort zu bleiben, ohne erst wieder nach Europa zurückzukehren; allein die große Sehnsucht, meine Geschwister nach so langer Trennung wiederzusehen, sowie der Umstand, dass ich, alles reiflich erwogen, das Interesse an meiner neu projektierten Reise nach Innerafrika durch persönliche Vorstellung in Berlin, Gotha und Bremen nachdrücklicher als auf schriftlichem Wege zu fördern hoffte, bestimmten mich zur Änderung dieses Vorhabens. Ein längeres Weilen in Europa sollte mir freilich im Winter 1864/65 nicht beschieden sein.

Kaum hatte ich die Mittelmeerzone verlassen und war in Paris angelangt, als meine damals noch offenen Schusswunden mir derartige Beschwerden verursachten, dass ich daran denken musste, meinen Aufenthalt in Deutschland soviel wie möglich abzukürzen. Nach einem flüchtigen Besuch bei meinen Geschwistern in Bremen eilte ich nach Gotha und konnte hier dem Mann, der sich meiner während der Reise durch Marokko mit so aufopfernder Tätigkeit angenommen hatte, Dr. Petermann, zuerst mündlich meinen Dank abstatten. Eingehend besprach ich mit ihm den Plan, von Tripolis aus über Rhadames dem Irharhar entlang oder im Tal desselben selbst bis Ideles zu gehen, das Hogar-Plateau zu übersteigen und auf der südwestlichen Seite desselben dem Tachirt folgend zum Niger vorzudringen.

Leider fand dieser Plan bei Dr. Barth in Berlin wenig Anklang– jedenfalls nur deshalb, weil er von Petermann, auf meine Aussagen gestützt, entworfen war. Denn der Grund, den Barth anführte, die Sicherheit meiner Person würde dabei aufs Höchste gefährdet sein, da man in Tripolis in Erfahrung gebracht hatte, dass ich ein Christ und mein Gebaren nur Maske gewesen sei, erwies sich als hinfällig: Ich besuchte später in Rhadames oft die Moscheen, ohne dass jemand in meinen Mohammedanismus Zweifel gesetzt hat. Zudem verhält es sich in Afrika ebenso wie in den anderen Weltteilen: Die großen und relativ sichersten Verkehrsstraßen ziehen sich längs der Flüsse, durch die Uadis, Täler und Niederungen hin. Barth schlug dagegen vor, ich solle durch das Gebiet der Teda nach Uadai und Darfur gehen und so zu den westlichen Nilzuflüssen zu gelangen suchen. Gewiss ebenfalls ein lohnendes Ziel, aber mindestens ebenso schwer zu erreichen, wie über Ideles an den Niger vorzudringen.

Indes war es mir doch sehr lieb, dass ich noch mit Barth selbst über so mancherlei konferieren konnte. Mein Bruder Hermann, wegen des kalten Winters ängstlich besorgt um mich wie ein Vater um sein Kind, hatte es sich nicht nehmen lassen, mich nach Gotha und Berlin zu begleiten, und unvergesslich werden uns beiden die Stunden bleiben, die wir bei Barth, dem nun schon seit Jahren Verewigten, und in dessen gastlichem Haus zubrachten. Aber trotz der sorgsamsten Pflege, die mir mein Bruder angedeihen ließ, verschlimmerte die Kälte den Zustand meiner Wunden derart, dass ich nun, wollte ich nicht bettlägerig werden, aufs Schleunigste wieder ein warmes Klima aufsuchen musste.

So verließ ich denn schon am 23. Februar 1865 Bremen, um über Paris, Marseille und Malta nach Tripolis zurückzukehren. Ich hatte das Glück, in Malta, wo man sonst oft wochenlang vergebens auf eine Gelegenheit nach Tripolis warten kann, guten Anschluss zu finden, und am 19. März betrat ich wieder afrikanischen Boden.

Es ist ein eigen Ding um das Unternehmen einer Reise ins Innere von Afrika. Große und luxuriös angelegte Reisen sind in diesem Land eher hemmend als nutzbringend. Zwar hat die elegant und aufs Reichste ausgestattete Barth’sche Expedition, die im Verein mit denen Vogels, Richardsons und Overwegs mindestens hunderttausend Taler kostete – ich erinnere nur an die Kutsche, an das Schiff, welches mitgeführt wurde, und an die kostbaren Geschenke – im Ganzen sehr gute Resultate ergeben; aber diese Expedition zerlegte sich in verschiedene Reisen, die unabhängig voneinander ausgeführt wurden.

Mir bangte deshalb auch keinen Augenblick davor, im Besitz einer verhältnismäßig so geringen Geldsumme die weite Reise anzutreten. Hatte ich doch meine erste Reise ganz ohne Mittel unternommen und auf der zweiten, durch ein Gebiet, dessen Längenausdehnung ungefähr der Distanz zwischen Lissabon und Memel gleichkommt, nicht mehr als tausend Taler gebraucht. Was mir diesmal an Geld zur Verfügung stand, belief sich auf etwa zweieinhalbtausend Taler. Dreihundert Taler hatte mir der Bremer Senat bewilligt, 275 Taler betrug das Karl-Ritter-Stipendium von Berlin; das Übrige bekam ich teils aus Gotha aus dem zur Aufsuchung Vogels in Deutschland aufgebrachten Kapital, teils aus meiner Vaterstadt Bremen, wo man eine freiwillige Sammlung zu meinem Besten veranstaltet hatte. An den mit Vogels Namen verknüpften Geldern hafteten übrigens keinerlei beschränkende Bedingungen für mich, und auch sonst waren mir von keinem der Geber irgendwelche Verpflichtungen in Bezug auf die Verwendung der Beträge auferlegt worden. Hinzufügen muss ich noch, dass die Londoner Geographische Gesellschaft, die mich schon einmal großmütig durch die Verleihung eines Stipendiums ausgezeichnet hatte, mir auch zu dieser Reise ein solches bewilligte.

 

Mit wie frohen Gefühlen landet der Afrikareisende, nachdem er die Fluten des Mittelmeeres durchfurcht, auf dem afrikanischen Kontinent, den er während der Dauer seiner Reisen gewissermaßen als seine Heimat betrachtet. Hier hofft er der geographischen Kenntnis neue Länder, neue Gebirge, Flüsse und Seen zu erschließen, hier hofft er neue Völker zu finden mit anderen Sitten, anderer Religion. Afrika ist in der Tat das Dorado der Reisenden.

Das erste Erfordernis, das ein Afrikareisender, wie überhaupt jeder, der unbekannte Gegenden durchforschen will, von Haus aus mitbringen muss, ist, dass er sich selbst gründlich kennt; denn nur nach einer strengen und unparteiischen Selbsterkenntnis darf man hoffen, sich die genügende Menschenkenntnis anzueignen, und Letztere ist nirgends so unentbehrlich wie bei Reisen in Afrika, wo es täglich darauf ankommt, fremde Völker und Menschen richtig zu beurteilen. Gefahren drohen ja nur von einer Seite, von den Menschen. Die klimatischen Einflüsse dieser Gegenden lassen sich wirksam mit Chinin bekämpfen, und die von wilden Tieren kommenden Gefahren sind gleich null; aber wie schwer ist es hier, den Freund vom Feind zu unterscheiden, umso schwerer, je höher die Stufe der sogenannten Zivilisation ist, die die Menschen einnehmen. Zweitens muss der Reisende Geduld im höchsten Grad besitzen, alle Arten von Strapazen, Hunger und Durst, selbst Kränkungen und Beschimpfungen ertragen können. Ohne diese Eigenschaften wird niemand in das Innere Afrikas einzudringen vermögen.

Mit den größten Schwierigkeiten ist immer der erste Schritt, die erste Etappe verbunden, namentlich das Durchkreuzen der Sahara. Wie viele Tausend Dinge gibt es da nicht vorzusorgen und zu bedenken. Zu einer Reise durch die Sahara gehört eine ähnliche Ausrüstung wie zur Seereise auf einem Segelschiff. So wie der Kapitän eines Segelschiffes nie mit Bestimmtheit vorhersagen kann, an dem und dem Tag werde ich den Hafen erreichen, ebenso wenig kann der Karawanenführer zuverlässig behaupten, an dem oder jenem Punkt wird Wasser zu finden sein oder in so und so viel Tagen werden wir bei einer Oase anlangen. Desgleichen muss wie zu einer Seereise hinlänglicher Proviant mitgenommen werden. Trotz der mehr als tausendjährigen Erfahrung, wie oft geschieht es, dass die Lebensmittel- und Wasservorräte nicht ausreichen. Durch den Samum, durch die Hitze geht kein Mensch zugrunde, aber wie viele verschmachten alljährlich wegen Mangels an Trinkwasser. Was mich betrifft, so hatte ich einen Teil meiner Ausrüstung schon in Deutschland und Frankreich angeschafft: Ich kaufte in Paris die notwendigsten Instrumente, Aneroids, Thermometer, Hygrometer, Hypsometer, Bussolen etc., bei Lefaucheux die Waffen für meinen persönlichen Gebrauch, in Marseille die Medikamente und später in Lavalletta Teppiche, wollene Decken, Schwimmgürtel, Gewehre, Munition, Tee, Biskuits, einige Konserven und andere Gegenstände. In Tripolis endlich sollte das noch Fehlende ergänzt werden.

Aber abgesehen davon, dass Eingeborene und Europäer darin wetteifern, den europäischen Reisenden, den sie als eine Extrabeute betrachten, zu übervorteilen, hat das Einkaufen in Tripolis für den nicht Eingeweihten seine ganz besonderen Schwierigkeiten. Geht man z. B. auf den Markt, um ein Kamel oder irgendwelche Ware zu erstehen, so hat der Besitzer keinen Preis dafür oder er nennt wenigstens keinen. Auf die Frage: »Wie viel kostet das?«, hat er die stehende Antwort: »Biete!« oder: »Wie viel gibst du?« Was soll nun aber der Neuling, dem die dortigen Verhältnisse fremd sind, auf einen Gegenstand bieten, dessen gewöhnlichen Preis er meist auch nicht annähernd kennt?


Blick auf Tripolis

Und gar vieles fehlte noch zu meiner vollständigen Ausrüstung. Außer den Dienern, Kamelen und Kameltreibern war für diese Reise durch die wasserlose Sahara zunächst die nötige Anzahl Schläuche zu beschaffen. Auf gute Schläuche hat man das Hauptaugenmerk zu richten. Als die besten gelten die von sudanischen Ziegen, nicht nur wegen ihrer Größe, sondern auch wegen der Dauerhaftigkeit des Leders. Ein Schlauch besteht aus dem ganzen ungenähten Fell einer Ziege oder eines Schafes. Um es ganz zu erhalten, zieht man den Körper des getöteten Tieres durch die Halsöffnung, die später als Mündung dient. Inwendig werden die Schläuche geteert, damit das Wasser länger vor Fäulnis geschützt bleibt und auch damit weniger Wasser durch Verdunstung verloren geht. Große Schläuche halten bis zu fünfundsiebzig Pfund Wasser.

Sodann mussten Kisten gezimmert werden, Kochgeschirr für die Leute und für mich, Proviant in benötigter Menge, Tauwerk, Beile und andere Werkzeuge, endlich Waren, die als Geschenke und Tauschmittel dienen sollten, gekauft werden: Burnusse von Tuch in den schreiendsten Farben, mit Gold bestickt, bunte Taschentücher, feineres und gröberes Baumwollenzeug, Maltese genannt, Turbane, achtzig Ellen lang (man denke sich, welche Zeit dazugehört, um einen solchen Turban, der allerdings aus ganz leichtem Stoff besteht, um den Kopf zu wickeln!), rote Mützen, einige Stück Samt und Seide, Essenzen, echte und unechte Korallen, ganze Zentner Glasperlen der verschiedensten Art, circa fünfzigtausend Nadeln, wovon man in Tripolis für einen Mariatheresientaler etwa sechstausend Stück bekommt, natürlich von sehr grober Arbeit. Auch ordinäres Schreibpapier, das von Deutschland kommt, und Hunderte von Messern, ebenfalls deutschen Fabrikats, kaufte ich ein, sodass nach und nach meine Wohnung einem Kaufladen glich. Vor allem mussten dann noch Mariatheresientaler eingehandelt werden, die man in Malta, Tripolis oder Alexandria zum Durchschnittspreis von eineinhalb Talern erstehen kann.

Die Mariatheresientaler sind für Zentralafrika die beliebteste Münze. Sie müssen aber vom Jahr 1780 sein, und auf der Krone der Maria Theresia müssen sieben Punkte sich befinden. Taler, die nicht diese Jahreszahl haben oder der sieben Punkte ermangeln, werden von den Sudannegern unbedingt zurückgewiesen. In früheren Jahren hielt man in den Negerländern auch darauf, dass die Taler ein altes geschwärztes Aussehen hatten, und der Gatroner erzählte mir später, er habe unter Barth das mitgenommene Geld durch Lagerung zwischen Pulver geschwärzt. Den Grund, weshalb in ganz Zentralafrika ausschließlich der österreichische Taler gang und gäbe ist, vermochte ich nicht zu erfahren.

Überhaupt ist Deutschland keineswegs in geringem Maß an den nach Zentralafrika eingeführten Waren beteiligt. Nicht nur der Mariatheresientaler ist deutsch, die Waffen aus Hagen und Solingen, die Nadeln aus Iserlohn, Zündhölzchen und Stearinkerzen aus Wien, Tuche aus Sachsen, Papier und kleine Industrieerzeugnisse aus Nürnberg bekunden, dass die Mehrzahl der in Zentralafrika gebrauchten Waren am billigsten in Deutschland gefertigt werden. Dennoch mangelt es, mit Ausnahme weniger großer Häuser in Ägypten, gänzlich an direkten Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Nordafrika. Zum Teil liegt das wohl daran, dass bisher in den nordafrikanischen Staaten der Deutsche vollkommen schutzlos oder höchstens für seine persönliche Sicherheit auf einen fremden Konsul angewiesen war. Kamen aber, wie es vielfach geschehen ist, deutsche Kaufleute mit Waren nach Tripolis, oder wollten sie mit den dortigen Geschäftsleuten direkte Handelsverbindungen anknüpfen, so blieben ihre Bemühungen jedes Mal ohne Erfolg, weil ihnen die fremden Konsuln, auf die sie zählen zu können glaubten, alle möglichen Hindernisse in den Weg legten – ganz natürlich, denn es wäre dadurch ihren eigenen Schutzbefohlenen ein Teil des lukrativen Handels entzogen worden. Mit Unrecht sagen daher die Regierungen Deutschlands: »Weshalb sollen wir nach dem und dem Ort einen Konsul hinschicken? Wir haben dort keine Interessen, es leben keine deutschen Kaufleute da, die unseres Schutzes bedürftig wären.« Deutsche Kaufleute können eben nicht hingehen, weil sie gegen die neidischen Umtriebe anderer Nationen keinen Schutz finden.

Ich bewohnte während meines Aufenthalts in Tripolis ein Haus in der Mschia, das ich zu dem Zweck von einem Eingeborenen gemietet hatte. Ein einfaches Haus, nach orientalischer Sitte mit einem großen Hofraum, auf den sich die Wohnzimmer öffneten, auch mit Küchen-, Keller- und Wirtschaftsräumen versehen; hinter dem Haus war ein kleiner Garten, mit der Aussicht auf das Meer und mit Orangenbäumen bewachsen, welche zu der Zeit gerade blühten, sodass man sich kaum einen angenehmeren Aufenthalt wünschen konnte. Ich hatte die Wohnung auf dem Land vorgezogen, um ungestörter zu sein, da ich in der Stadt vor der allzu großen Liebenswürdigkeit und Umgänglichkeit der Tripoliner wenig Ruhe gehabt hätte.

Die eigentliche Glanzperiode in gesellschaftlicher Beziehung, die Zeit, als der Generalkonsul Warrington dort herrschte, war allerdings für Tripolis schon vorüber. Doch auch die trostlose Öde, welche jetzt über der europäischen Gesellschaft von Tripolis lagert, hatte damals noch nicht Platz gegriffen. An der Spitze des französischen Generalkonsulats stand Botta, der geistvolle Verfasser der »Monuments de Ninive« und anderer gelehrter Bücher. Dass der Umgang mit einem so verdienstvollen Reisenden, der die Welt umsegelt, dann in Ägypten und Sennar die eingehendsten Studien gemacht und durch seine Abhandlungen über die assyrischen Keilschriften, die er in Ninive und Khorsabad entdeckte, den ersten Impuls zum Studium der Keilschriften gegeben hatte, äußerst anregend auf mich wirkte, brauche ich wohl kaum zu sagen. Dazu besaß Botta nicht nur gründliches Wissen, das er leicht und in anziehendster Form mitzuteilen verstand, sondern auch einen durchaus edlen, wahrhaft ritterlichen Charakter. Sohn des berühmten italienischen Geschichtsschreibers, folglich seiner Abstammung nach Italiener, war er in Frankreich aufgewachsen und erzogen worden, und seine Gastfreundschaft, sein freigiebiges, großmütiges Wesen stempelten ihn zu einem echten Franzosen. Als Kanzler fungierte neben ihm sein Freund Lequeux, aus Lothringen gebürtig, ein gelehrter Orientalist. Der englische Generalkonsul, der alte Colonel Hermann, ein Veteran des Krieges auf der spanischen Halbinsel, war zwar ein nicht durch Gelehrsamkeit ausgezeichneter, aber höchst liebenswürdiger Mann, dessen Haus ebenfalls von jeher einen gastlichen Sammelpunkt für die europäische Gesellschaft bildete. Leider bestand zwischen den beiden Generalkonsuln unversöhnliche Feindschaft, veranlasst durch einen bei der Ankunft Bottas von Colonel Hermann begangenen Etikettefehler. So unbedeutend dieser Anlass schien, hatte er doch zur Folge, dass die beiden Männer während ihrer ganzen Amtsperiode in Tripolis, die über zwanzig Jahre währte, sich niemals näher traten, nie grüßten und, falls sie es nicht vermeiden konnten, an einem dritten Ort zusammenzutreffen, einander vollständig ignorierten.

Zu den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft in Tripolis zählten der amerikanische Konsul Mr. Porter mit Frau, der österreichische Konsul Rossi mit Frau, der spanische Generalkonsul mit großer Familie, verschiedene andere Konsuln und Kanzler, einige europäische Doktoren, darunter ein deutscher Pharmazeut, und einige Kaufleute, welche die Konsular- und Gouverneurskreise frequentieren durften. Pascha-Gouverneur war zurzeit Mahmud-Pascha, der spätere Marineminister des Osmanischen Reiches.

Mit Letzterem stand ich auf dem besten Fuß. Er wusste, dass ich meine erste und zweite Reise unter der Maske eines Moslems gemacht hatte, und riet mir daher sehr ab, die südwestliche Route über Adelis und durch das Land der Tuareg zu wählen, da man mittlerweile erfahren haben müsse, dass ich kein wirklicher Muselman sei und ich mich daher in jenen Gegenden der größten Gefahr aussetzen würde. Ich blieb aber fest bei meinem Entschluss, ebendiese Route, und zwar zunächst bis Rhadames, einzuschlagen, und fuhr bis zum Ende fort, mich in mohammedanische Tracht zu kleiden, wohl wissend, dass ich von Rhadames aus nur unter dieser Verkleidung weiter vorzudringen hoffen konnte.

Meine Diener und Leute betreffend war ich diesmal recht gut bestellt. In erster Linie nenne ich Hammed Tandjaui, meinen erprobten Reisegefährten bei der Übersteigung des großen Atlas, sodann Mohammed Schtaui, einen Tripoliner, der, ehedem Diener im neapolitanischen Konsulat, wegen eines Mordes nach Amerika verbannt worden war (die türkische Regierung verbannt bisweilen Verbrecher nach der anderen Erdhälfte) und nach erfolgter Begnadigung von dort zurückkehrte. Er war wegen seines mürrischen, ungeselligen Wesens und namentlich wegen seines hervorstechenden Geizes eine wertvolle Akquisition für mich, insofern er lästige Besucher durch sein abstoßendes Benehmen von meiner Wohnung fernhielt, niemals gemeinsame Sache mit den übrigen Dienern machte und mit meinem Eigentum, selbst mir gegenüber, auf das Allersparsamste umging, weil Geizen ihm zur zweiten Natur geworden war. Nächst den Genannten wurden noch drei Farbige vom Stamm der Kanuri, Haussa und Teda engagiert.

 

Zu meiner Freude war ein Dampfer von Europa mit Briefen für mich eingelaufen. Ich beschäftigte mich nun eifrigst mit der Vollendung meiner Ausrüstung, und um der Stadt etwas näher zu sein, bezog ich das reizend gelegene Landhaus des Herrn Labi, eines jüdischen Eingeborenen, der mir dasselbe freundlichst zur Verfügung gestellt hatte; es war so geräumig, dass auch meine sämtlichen Diener darin Unterkommen fanden.

Vonseiten der europäischen Kolonie erfreute ich mich fortgesetzt zuvorkommender Aufmerksamkeit; Engländer, Franzosen, Spanier und Österreicher wetteiferten gleichsam, mir Liebenswürdiges zu erweisen. Unter anderem verkehrte ich viel mit dem Pater Präfekt, einem sehr würdigen Mann, der mit bischöflicher Vollmacht der katholischen Kirche in Tripolis vorsteht; wie er häufig mein Gast war, war ich auch meinerseits kein Verächter seiner trefflichen Küche und des guten Klosterweins. Die meiste Sympathie aber flößte mir der französische Generalkonsul Botta ein, denn er und sein Kanzler Mr. Lequeux waren die Einzigen in der dortigen europäischen Gesellschaft, die für anderes, als was außerhalb des gewöhnlichen Lebenskreises liegt, Verständnis besaßen. Ich wusste zwischen ihm und dem englischen Generalkonsul Hermann stets meine Neutralität zu bewahren. Die beiden hatten sich, wie schon erzählt, nie gesprochen, nie besucht. Als Barth auf der Rückkehr von seiner großen Reise nach Tripolis kam, nahm er bei Colonel Hermann Quartier, mit dem er von früher her befreundet war. Botta stellte ihm schriftlich ein französisches Kriegsschiff, das gerade in Tripolis ankerte, für die Überfahrt nach Europa zur Disposition und lud ihn gleichzeitig zu einem Besuch ein. Aber Colonel Hermanns Eifersucht ließ weder das Anerbieten noch die Einladung in Barths Hände gelangen, sodass dieser sich nicht einmal für die Aufmerksamkeit bei Botta bedanken konnte. Auch zu mir hatte Colonel Hermann einst gesagt: »Ich sehe nicht gern, dass Sie die Franzosen frequentieren.« Natürlich nahm ich keine Notiz davon, und er war taktvoll genug, mich seinen Ärger darüber nicht empfinden zu lassen.

Endlich nahte der Tag der Abreise. Den Abend vorher gab der amerikanische Konsul mir zu Ehren noch ein glänzendes Fest. Sämtliche Konsuln mit ihren Damen waren erschienen, selbst Mahmud-Pascha erhöhte den Glanz des Abends durch seine Gegenwart, und manche Flasche Champagner ward auf das glückliche Gelingen meiner Expedition geleert. Zum Abschied, ein Teil der Gäste hatte sich bereits entfernt, spielte mir Mrs. Porter die »Adelaide« von Beethoven vor, was ich als ein besonders gutes Omen ansah, denn auch zu meiner zweiten Reise über den Atlas und nach Tuat hatten mir musikalische Klänge das Geleit gegeben. Als ich nämlich damals spät abends von El-Aghouat wegritt, tönten fern durch den Palmenwald Melodien aus der »Weißen Dame« zu mir herüber, die ein französischer Offizier einem Waldhorn entlockte.


Tripolitanische Trachten

Bevor die Gesellschaft auseinanderging, ereignete sich noch eine komische Szene. Mein Diener Hammed Tandjaui war durch den Abschied von seinen Bekannten in eine wehmütige Stimmung versetzt worden und hatte dann, um sie zu verscheuchen, ganz gegen seine Gewohnheit etwas zu tief in die Araki-Flasche geguckt. Da erschien ihm mein langes Ausbleiben bedenklich. Flugs machte er sich auf und lief von dem Landhaus in die Stadt, in die er, obgleich in Tripolis zur Nachtzeit die Tore geschlossen sind, sich unbemerkt einzuschleichen wusste. Plötzlich trat er nun in einem fast adamitischen Kostüm, eine große Laterne in der Hand, mitten in den Kreis der eleganten tripolitanischen Damenwelt. Große Bestürzung zuerst und Ausrufe von »shocking, shocking!«, dann aber ein nicht aufhören wollendes Gelächter, unter welchem man sich trennte und eine gute Nacht wünschte – für mich die letzte in Tripolis.

Früh am 20. Mai war ich reisefertig. Als ich mich angekleidet und meine Geldbörse zu mir stecken wollte, vermisste ich ein Zwanzig-Franc-Stück; ich wusste ganz genau, dass ich tags zuvor hundert Francs aus der Kassette genommen hatte. Niemand anders, dachte ich, als Hammed, dem die Überwachung meines Geldes anvertraut war, kann das Stück entwendet haben, und in dem Verdacht, er habe sich seinen Rausch am vorigen Abend auf meine Kosten angetrunken, schlug ich, ohne auf die Beteuerungen seiner Unschuld zu hören, unbarmherzig auf ihn los. Durch die Ankunft einer Kavalkade aus der Stadt, an ihrer Spitze fast sämtliche Konsuln, welche herauskam, um mir bis zur Grenze der Mschia das Ehrengeleit zu geben, wurde glücklicherweise die Exekution unterbrochen, und zu meiner Beschämung fand ich bei wiederholtem Suchen in einer meiner Taschen das vermisste Goldstück. Hammed war außer sich; erst nach einigen Tagen gelang es mir, ihn zu beruhigen. »Ich weine nicht wegen der Schmerzen«, sagte er mehr als einmal, »die mir deine Schläge verursachten; aber ich werde nie vergessen, dass du an meiner Ehrlichkeit gezweifelt hast.« Dennoch hat er vergessen und mir die unverdient empfangene Züchtigung nicht nachgetragen; er war und blieb mein treuester Diener, treu und ehrlich bis zu seinem frühen Tod.

»E-o-a! E-o-a!«, schrien die Kameltreiber, dann ihr einförmiges »Ssalam ala rassul oua nebbina« (Heil und Frieden über unseren Gesandten und Propheten) anstimmend. Dazwischen wehklagten Abschied nehmende arabische Weiber oder stießen ein gellendes »Yu, Yu!« aus. Das letzte Gepäck wurde auf die Kamele verteilt und befestigt, der Zug vollends geordnet, und um halb acht Uhr bewegte er sich, das Mittelmeer im Rücken, gemessenen Schrittes landeinwärts.