Beim Zwiebeln des Häuters

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Trompete des Volksempfindens

Kulturkritik mit Klaus Rainer Röhl

Der Leserschaft »zur vergnüglichen Lektüre« empfiehlt Klaus Rainer Röhl sein »Deutsches Phrasenlexikon«. »Den Lesern dieses Buchs empfehle ich deshalb als Therapie: Erst mal ablachen.« Was Eckhard Henscheid mit seinem Wörterbuch »Dummdeutsch« gelungen ist – Begriffe der aktuellen Schaumsprache aufzuführen und der Lächerlichkeit preiszugeben –, musste Röhl, der das meiste einfach aus Henscheids Buch übernommen hat, missglücken, denn ihn leitet allein sein politisches Ressentiment. Röhl passt die ganze Richtung nicht.

Wenn von »Streitkultur«, »Politikverdrossenheit« und »Emanzipation« die Rede ist, glaubt Röhl polemisch leichtes Spiel zu haben. Viel Mühe hat er sich jedenfalls nicht gegeben: Die Mehrzahl der Begriffe und Wendungen qualifiziert er schlicht und einfallslos als »toskanisch«, »toskanadeutsch«, »frühtoskanisch«, »alttoskanisch«, »hochtoskanisch«, »nordtoskanisch«, »medientoskanisch«, »gewerkschaftstoskanisch« oder »realtoskanisch«. Wenn er dann auch noch »grüne Toskanatantchen« verspottet, hält sich die angekündigte Vergnüglichkeit in engen Grenzen.

Gleich elfmal präsentiert er eine Gleichung, die schon beim ersten Mal weder komisch noch erhellend, sondern nur vulgär war – »Autonomendeutsch (= Scheißdeutsch)« –, und mangels Pointen schließt er seine Einträge mit Floskeln ab: »Noch Fragen?« – »Noch Klärungsbedarf?« – »Alles klar für die nächste Party?«

Und als sei er niemals der Herausgeber von konkret gewesen, spricht Röhl jetzt herablassend »von winzigen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinenden altkommunistischen Sudelblättchen«. In Pardon, schreibt er, hätten Robert Gernhardt und Friedrich Karl Waechter »eine freischwebende Blödel-Ecke namens ›Wiese‹ mit Beiträgen« versehen. Möglicherweise meint er die unter dem Kürzel »WimS« bekannte, ja: berühmte Kolumne »Welt im Spiegel«. Eine »Wiese« hat es in Pardon nie gegeben. Mit Fakten geht Röhl überhaupt generös und erstaunlich lax um. Harry Rowohlt, teilt er mit, veröffentliche in der Zeit eine Kolumne, »in der der kauzige Permatrinker aus Hamburg-Eppendorf auf gestelzte Art zum Ausdruck bringt, dass er fast alle übrigen Menschen bekloppt findet«. Auch hier hat Röhl sein Ressentiment dem Augenschein vorgezogen.

Nicht einmal der Spott über Esoteriker und Selbsterfahrungsgruppen ist so billig zu haben, wie durchschnittliche Kabarettisten und neuerdings auch Klaus Rainer Röhl sich das vorstellen. Wenn er sich über »Willensänderung durch Fußreflexzonenmassage« lustig zu machen versucht, offenbart er nur seine Ahnungslosigkeit. Jene obskuren Gestalten, die sich »gruppendynamischer, die Seele aufrüttelnder Tanzgymnastik zu fernöstlicher Musik und gemeinschaftlich betriebenen Zärtlichkeitsübungen (altdeutsch: Ringelpietz mit Anfassen, neudeutsch: rudelbumsen)« hingeben, bevölkern eher Röhls Phantasie als sein teures Vaterland.

Früher war alles besser. »Doch bald etablierten die Wächter der political correctness einen Tugendterror, der sich mit dem der Jakobiner durchaus messen könnte«, stellt er fest. Diesen verblüffenden Befund hat der Zeichner Klaus Böhle für das Lexikon ins Bild gesetzt: Eine seiner Karikaturen zeigt die Köpfe von Philipp Jenninger und Stefan Heitmann im Strohkorb vor der Guillotine.

Röhl sieht, mitten unter uns, Köpfe rollen, und er registriert nicht nur »Knoblauchkränze« und »Asylantengruppen«, die ihm »durch ihre Tänze oder ihre in Parkanlagen gegrillten Knoblauch-Klopse« unangenehm auffallen, sondern auch die »typisch somalisch-afrikanische Bereitschaft, zu plündern«. Und Israel, vermerkt er, da er keine Reputation mehr zu verlieren hat, erhalte aus Deutschland »eine Art Ablass oder besser eine ›Ablöse‹, wie man die fragwürdigen Transaktionen von Zuhältern beim Wechsel eines Mädchens (ab 50 000 DM) oder von Fußballvereinen (ab 500 000 DM) beim Wechsel eines Profis nennt«.

Gegen das Milieu und die Phrasen der guten Menschen, die sich regelmäßig mit einer Kerze in der Hand und einer Träne im Knopfloch nach Taka-Tuka-Land einschiffen, um die Probleme der Welt zu lösen, ist vieles vorzubringen. Röhl beschränkt sich jedoch auf die Phrasen seines eigenen Milieus, in dem man selbstbewusst Position gegen »Knoblauch-Klopse« bezieht und stolz darauf ist, deutsch zu sein. Hier hat das gesunde Volksempfinden endlich wieder eine genuine Stimme gegen die Verniggerung der Kultur gefunden: »Die Jüngeren himmeln einen Schlagersänger nur an, wenn er zumindest englisch singt, noch lieber spanisch, italienisch, französisch, griechisch, am liebsten lateinamerikanisch oder einen Dialekt von den glücklichen Multikulti-Inseln benutzt (Rap, Rasta). Die Mädchen lassen sich ihre meist zu dünnen blonden Haare, wenn irgend möglich, zu Rastalöckchen aufnudeln und ziehen Jeans nur an, wenn sie aus den USA kommen, während ihre Eltern für eine farbige Bluessängerin am Bildschirm fast zu Boden sinken, wann immer möglich ›beim Türken‹ einkaufen gehen und sich als schönste Gaumenfreude erträumen, Tsaziki ›beim Griechen‹ zu essen ...«

So primitiv hat uns zuletzt Alfred Tetzlaff die Welt erklärt, als Röhl sein Geld noch mit links verdiente. Heute sind die beiden Politologen ein Herz und eine Seele.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.12.1995

Der Bundespräsident, unbehaust

Ungewohnt offenherzig zog Roman Herzog in seiner Weihnachtsansprache über seine ehelichen Gepflogenheiten her. Man solle andere Menschen nicht leichtfertig als »Betrüger« oder »Mörder« beschimpfen, wie es »uns allen« zum Beispiel »bei Ehestreitigkeiten« immer wieder unterlaufe, sagte der Bundespräsident. Im übrigen, und das dürfte vor allem die Obdachlosen beeindruckt haben, seien »wir doch alle unbehaust in den Veränderungen, die neue politische und gesellschaftliche Probleme, neue technische Entwicklungen, Globalisierungsvorgänge und anderes mehr mit sich bringen«.

Ein wahres Wort. Oder ist hier etwa jemand »behaust« in den laufenden Globalisierungsvorgängen? Geht das überhaupt? Muss man dafür Miete zahlen? Was kostet der Quadratmeter? Gibt es Kündigungsschutz, und welche Fristen sind zu beachten? Sind Häuser aus Globalisierungsvorgängen spitzgiebelig oder Bungalows? Und wären Häuser aus Liebe nicht komfortabler?

»Ich baue uns ein neues Haus aus lauter Liebe auf«, sang Peter Alexander einst, und Reinhard Mey griff die Metapher auf: »Manchmal wünscht’ ich, unsere Liebe wär’ ein Haus, und du könntest darin wohnen ...« Schön und gut. Doch die Unbehaustheit des Bundespräsidenten, den seine Frau, wenn er sich mit ihr streitet, der Kapitalverbrechen bezichtigt, sollte uns, bei aller Liebe, zu denken geben. Wenn selbst das Staatsoberhaupt seine Ehekräche nicht mehr in den eigenen vierzig Wänden austrägt, sondern unter Brückenbögen, dann ist etwas faul im Staate. Die Villa Hammerschmidt und das Schloss Bellevue sind beide schon maisons perdues. Roman Herzog wohnt nicht einmal mehr in einem Haus aus Liebe, und seit Weihnachten ist er sogar in den Globalisierungsvorgängen unbehaust. Was sagt er selbst dazu?

Ich treffe ihn in Bonn am Rhein am zweiten Weihnachtsfeiertag unter der Konrad-Adenauer-Brücke. Der Bundespräsident hat sich mit Wellblechfetzen zugedeckt und besudelt sich beim Lambruscotrinken. »Ich baue uns ein neues Haus aus lauter Liebe auf«, grölt er. Vor Schreck geht ein Schiff unter, und Roman Herzog brüllt: »Versenkt!« Aber da biegt schon die First Lady um die Ecke und schwenkt ein zum Nudelholz gerolltes Stück Pappe. »Du Betrüger!« zetert sie. »Du Mörder!« Und es beginnt eine wüste Verfolgungsjagd.

Würden Sie diesem Paar eine Wohnung vermieten?

taz, 28.12.1995

Würstchen mit Haarteil

Heinos Lebensbilanz

Heino, »das kleine Würstchen aus Oberbilk« (Heino über Heino), wurde 1985 von Franz-Josef Strauß auf dessen Geburtstagsfeier herzlich begrüßt. »Das war eine verkehrte Welt: Ein Ministerpräsident Strauß wartet jahrelang darauf, Heino kennenzulernen – verrückt. Aber es hat mir natürlich unendlich gutgetan. Es bewies mir, dass ich irgend etwas richtig gemacht habe.«

Das stellt Heino in seiner Autobiographie fest. »Und sie lieben mich doch« – der trotzige Titel verweist auf Heinos Imageprobleme. »Es hat mich schon sehr geschmerzt, dass ich von manchen Leuten für eine Symbolfigur der Rechten gehalten wurde.« Das sei er nie gewesen, sondern »ein richtig armes Schwein« und ein »Hans-Dampf in allen Gassen«, aber auch »ein stilles, zurückhaltendes Kind«, »der Junge aus der Backstube«, ein »Schäferhund-Fan« und Träger eines Haarteils, »und mich beruhigt der Gedanke: Ich bin ja nicht der einzige in der Showbranche, der ein Haarteil trägt. Andere haben auch noch ein Gebiss – ich aber habe noch alle meine Zähne.«

Politisch tendierte Heino (»Im Grunde meines Kinderherzens war ich Kommunist«) mal hierhin (»Als ich später meine Stimme abgeben durfte, habe ich immer SPD gewählt«) und mal dorthin (»Im Grunde tendiere ich zu den Grünen«), doch über alle Widrigkeiten triumphierte die Liebe. Heino (»Ich liebte die Natur, die freie Landschaft«) liebt seine Heimat (»Das ist mein Fleckchen Erde«). Er liebt aber auch Rudi Schurickes »Caprifischer« (»Ich liebte dieses Lied«), Karin (»Karin hatte eine Super-Figur: lange Beine, schmaler Popo, knackiger Busen; ein edles, schmales Gesicht, langer Pferdeschwanz«), Henny (»Wir taten, was alle jungen Menschen am liebsten tun, obwohl es lange noch keine Pille gab«), Lilo (»Ich habe sie ziemlich schnell geküsst. Es schmeckte wie Erdbeeren mit Sahne«) und Hannelore (»Ich liebte Hannelore, basta«). Speziell Hannelores Gastbeitrag verdanken wir auch die endlich Gemeingut gewordene Kenntnis der Geschehnisse in der dritten Hütte: »Und dann hat er mich hinauf in mein Zimmer unterm Dach begleitet. Und da ist es dann passiert. Endlich! Ich will nur dies verraten: Es war so schön wie noch nie im Leben.«

 

Zuvor hatte Heino mehrmals überstürzt den Rückzug antreten müssen. Als »die hübsche Henny«, die er geschwängert hatte, mit ihrer Mutter vor seinem Elternhaus erschien, handelte er sofort. »Ich dachte mir: jetzt musst du aber gucken, dass du schnell zur Hintertür rauskommst auf den Hof. Erstmal Land gewinnen. Weg war ich. Erst eine Stunde später kam ich wieder nach Hause.« Einige Jahre später klingelte seine Jugendliebe Karin an der Haustür, mit einem kleinen Mädchen an der Hand. »Da hat es auch bei mir geklingelt. Das war Karin Theilenberg. Und das kleine Mädchen war mir sehr ähnlich, das sah man auf den ersten Blick.« Wieder reagierte Heino antrittsschnell: »Ich bin mit meinem Schwiegervater blitzartig durch den Hinterausgang geflohen. Wir gingen in eine Kneipe und warteten beim Bier ab, dass sich der Qualm verzieht.«

Dem Bier blieb Heino treuer als den Frauen, die er zu Müttern gemacht hatte. Er hat Udo Lindenberg zugeprostet (»Wir saßen in Udos Garderobe und tranken ein paar Bierchen«), als junger Zeitschriftendrücker schon vormittags zugelangt (»Um zehn Uhr zog ich los als Treppenterrier, um elf Uhr ging ich in die Gastwirtschaft, ein kühles Bierchen trinken«) und die erste Plattenaufnahme zünftig begossen (»Ich ging in die erstbeste Kneipe und zischte ein paar Bierchen«). Gern kehrt Heino heute noch beim Dorfspaziergang ein (»Im Dorf befindet sich das gemütliche Haus Rupperath, wo ich schon mal ein Bierchen trinke«), und wenn er mit Hannelore wandern geht, trinken die beiden auch einmal zur Abwechslung »in einem Wirtshaus ein Bierchen« – ein Hobby, das Heino mit seinem Freund Hans-Dietrich Genscher teilt: »Er kam immer mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, und dann tranken wir schon mal ein Bierchen und redeten über meine Lieder. Genscher hat eine große Heino-Sammlung zu Hause.«

Alles an Heino ist schlicht – seine Musik, sein Geschmack, sein Herzensgrund, sein Fleckchen Erde, seine Autobiographie und sein Geist. »Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich das Meer: soviel Wasser! So blau! Bis zum Himmel!« Schlichtheit der Gedanken und des Gemüts ist das Programm, das Heinos Fans an Heino lieben, der sich ihren Traum vom Glück so schlicht wie möglich erfüllt hat: »Vor dem breiten Panoramafenster meines gemieteten Hauses in Bad Münstereifel-Eicherscheid sitzend schaue ich in ein wunderschönes Eifel-Tal hinein. Der Blick geht über die Kronen der Bäume, folgt dem Flug von Krähen oder Schwalben, hinüber zu den langgestreckten Hügeln. Dich, mein stilles Tal, grüß ich tausendmal ...«

Einfalt, Bierseligkeit und musikalisches Banausentum sind kein Grund zur Aufregung. Aber dass selbst die Bergvagabunden der sogenannten politischen Klasse darauf abfahren, stimmt bedenklich. Genscher hört Heino, Rudolf Scharping hört Konstantin Wecker, Gregor Gysi hört Barbara Thalheim, aber Bill Clinton hört Johnny Cash. Es führt kein Weg von Bad Münstereifel-Eicherscheid nach Washington.

konkret 1/1996

Was Friedrich Schorlemmer so denkt

»Spiel das Spiel / Sieh das Ziel / Streu die Saat / Steig aufs Rad / Und sag es weiter« – Friedrich Schorlemmer, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und auch Dichter, hat in der Goldmann-Taschenbuchreihe »Querdenken!« veröffentlicht, was er denkt. Sein Erfolg gründet in der Begabung, sich mit unanstößigen Ecken und Kanten zu verzieren, wobei die Rede glatt und seifig bleibt. »Wir wachsen durch das Einander-Befragen«, teilt er mit und predigt gegen »das Weghören und Fernlassen, das Wegblenden und Abstumpfen« und für »das Gespräch der Menschen auf den Dörfern ringsherum«. Denn »Einverstanden sein wächst aus einem Sich-hinein-Verstehen«. Die Phrasensoftware dafür bekommt man über eine Kleinanzeige in der Zeitschrift Pfarrer und PC.

Schorlemmer ist auch einer der Juroren, die regelmäßig das »Unwort des Jahres« auswählen. Dazu ist er berufen. Er hat die »Rückwärtserinnerung« und die »Mutlatte für den einzelnen« in die deutsche Sprache eingeführt, aber auch die »ideologische Angstlügenglocke« und die »Enkelverträglichkeit allen Tuns und Lassens«. Da muss man sich hinein verstehen. Und kaum weiß man, was Schorlemmer denkt, da erfährt man auch schon, was er ist oder vielmehr zufällig erst einmal nicht ist:

»Zufällig bin ich keine vertriebene bosnische Muslimin, zufällig kein vertriebener Krajinaserbe, zufällig kein niederländischer Blauhelmsoldat.« Schorlemmer ist etwas tiefer (»Ich bin ein Abgrund«), etwas älter (»Ich bin Adam«), etwas sündiger (»Ich bin Kain«) und etwas großspuriger (»Ich bin Abraham«). Und was nicht noch alles: »Ich bin David, Uria, Bathseba, bin Akteur und Opfer tragischer Beziehungskonflikte, zwischen Lust, Liebe und Verbrechen.«

Eine klingende Schelle, ein tönend Erz.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1996

Dariusz Michalczewski!

Jedesmal, wenn Sie einen Boxkampf gewonnen haben, reißen Sie ihren eingedeutschten Rachen bis zum Anschlag auf und lassen alles in die Kameralinse quellen, was Sie zu bieten haben: Zunge, Zähne, Gaumen und Gaumenzäpfchen. Das ganze Gerümpel. Und wir müssen den Anblick ertragen – kaum eine Woche vergeht, in der uns beim Blättern im Zeitschriftenmüll nicht plötzlich Ihr bescheuertes, feuchtes, mit Gebrüll geblecktes, perlweiß-knallrot gefärbtes Schlundbiotop entgegen klafft. Schön ist was anderes.

Dem Spiegel haben Sie aber nun erzählt, dass Sie »frei und dicke leben« wollten (»dann scheiße ich auf die Quote«), dass Henry Maske im Gegensatz zu Ihnen nur »Mist geboxt« habe und dass Sie stolz auf Ihre Freundschaft mit Heino seien, »der einfach Bock auf mich hat«.

Eingedenk dessen, was Sie in den kurzen Maulsperrenpausen herauslassen, möchten wir Ihnen empfehlen, doch lieber wieder dem Ausstoßen unartikulierter Schreie den Vorzug zu geben. Auch wenn uns der Anblick schmerzt. Bitte entscheiden Sie sich! Schreien oder Scheiße reden. Beides zusammen ist zu viel für uns.

Titanic

Titanic 5/1996

Die 89er

Eine komische Generation

Früher hat es noch halbwegs plausibel definierte Generationen gegeben – die Flakhelfergeneration, die skeptische Generation, die Halbstarken und die 68er. Soziologen, die sich einen Namen machen wollten, versuchten später, die »78er« als eigenständige Generation publizistisch und akademisch durchzusetzen. Die »78er« waren angeblich vom Deutschen Herbst und der Energiekrise geprägt, verschwanden aber mangels Masse rasch wieder in der Versenkung. Auch die kurz darauf erfundene, triebhaft Häuser besetzende und die Atomkraft verneinende Generation der »81er« hielt sich nicht besonders lange in der Diskussion. Als Geschenk des Himmels fiel den zuständigen Soziologen und Essayisten nach langen Dürrejahren die »Generation X« in den Schoß. Diese Generation war schon in den USA entdeckt, beschrieben und beglaubigt worden, und es ließ sich herrlich haltlos darüber theoretisieren, wer oder was sie eigentlich sei, was sie wolle, wovon sie lebe, welche Musik sie höre und welche Wäsche sie trage.

Und dann, als der Tag in der Zeit-Redaktion einmal besonders lang gewesen war, dachte sich der dort einsitzende Redakteur Ulrich Greiner wiederum eine völlig neue Genration aus – die »89er«. Es wird die Spur von Greiners Erdentagen erst in Quartalen untergehen, denn der Soziologe Claus Leggewie schrieb sofort ein Buch über die »89er«, und inzwischen haben auch die Sympathisanten des rechten Flügels der Schüler-Union das Stichwort aufgeschnappt.

Sie reklamieren für sich, die »89er« zu sein und für eine Generation zu sprechen, die wieder stolz darauf ist, deutsch zu sein und die Todesstrafe gut zu finden. Das Forum dieser »89er« ist der Ullstein-Verlag, der ihnen die Möglichkeit geboten hat, einen nationalen Frühschoppen mit ganz wenigen Journalisten aus einem einzigen Land zu veranstalten und ein Buch daraus zu machen. Es heißt »Wir ’89er – Wer wir sind und was wir wollen«. Herausgegeben hat es Roland Bubik, ein Student, der sich darum bemüht, »Deutschland eine Seele zu geben«. Im Vorwort erklärt er kühn: »Der vorliegende Band ist Angebot, Herausforderung und Provokation zugleich. Er stellt die erste Manifestation einer Generation dar, mit der man in Zukunft zu rechnen haben wird. Hier sprechen wir. Wir ’89er.«

Die Beiträger entstammen den Jahrgängen 1966 bis 1976 und werden sich wahrscheinlich schon bald für ihren rechtsdrehenden Quark genieren. Es wäre aber schade, wenn sie vom rechten Wege abkämen, denn sie sind ausgesprochen possierlich und amüsant, und was sie von sich geben, ist von hohem Unterhaltungswert. Sie glauben an Gott, tragen wieder Schmiß und Scheitel und betrachten sich als Elite der Menschheit. Ihre Lieblingssymbole sind Lebensrunen und Zeremonienkreuze, ihre Hausautoren sind d’Annunzio, Tolkien, Ernst Jünger und Richard Bach. Musikalisch bevorzugen sie Schumann, Techno, Marienhymnen, Johann Sebastian Bach und Udo Jürgens.

Und wie sie aussehen! Die beigegebenen Passfotos zeigen mit Biskin und Brisk frisierte Kinnmuskelspanner, kniepäugelnde Blitzmädel und Milchgesichter – lauter lustige Nussknacker, deren Anblick Kraft durch Schadenfreude spendet.

»Meine Fuxenzeit bei der Hansea-Alemannia Hamburg bedeutete für mich rege Teilnahme an den Fuxenstunden«, berichtet der Burschenschafter Patrick Martens, der an die Trinität von »Ehre-Freiheit-Vaterland« glaubt und seinen Vaterlandsbegriff durch rege Teilnahme an den Fuxenstunden auf Vordermann gebracht hat. »Der Vaterlandsbegriff wird auf das Volkstum bezogen verstanden«, doziert der uniformierte Torfrock-Fan und bedauert, »dass die Mensur als Ausdruck studentischen Ehrbegriffs leider in den Hintergrund« gerückt sei.

Wer kein »89er« ist, der macht sich von Vaterland und Ehre keinen Begriff mehr und ist überhaupt arm dran, sehr zum Leidwesen des Herausgebers Bubik: »Ich sehe mich schon heute von mehr und mehr Jugendlichen umgeben, denen zwei zentrale Achsen des mitteleuropäischen Menschen fehlen: die von Vergangenheit und Zukunft sowie die von Schuld und Erlösung.« Die bis heute übliche zentrale Achse von Ernie und Bert hingegen fördert nur »die Auflösung der Identität unseres Volkes« (Bubik).

Dieter Stein, der Herausgeber der braunen Schülerzeitung Junge Freiheit, genießt den Vorzug einer unaufgelösten völkischen Identität: »Die Erziehung seitens meiner Eltern war gesamtdeutsch.« Das ist wunderschön formuliert. Weniger schön sind Steins Lebensumstände, denn er sieht sich »von ungewaschenen Langzeitstudenten« umstunken und gelangt zu dem harten Urteil: »Die Menschen sind seelisch angefüllt mit Jauche.«

Gegen diese Jauchefüllung, aber auch »gegen eine Volksfrontregierung von SPD, Grünen und SED/PDS« kämpft im Allgäu unerbittlich Manuel Ochsenreiter, Jahrgang 1976, ein Schüler, der »die 68er Sesselhocker aus ihren Ämtern holen« und »innerhalb der Union zur konservativen Erneuerung beitragen« möchte. Früh wurde in ihm »das Interesse für die mährische Herkunft« geweckt, »so dass ich mich einem Verband der sudetendeutschen Vertriebenen anschloss«. Es war noch nicht der Wiederanschluss Mährens ans Deutsche Reich, aber immerhin schon der Anschluss Manuel Ochsenreiters an einen Vertriebenenverband.

Fürs knallhart Katholische steht der Student Michael Hageböck ein: »Christus ist die Wahrheit schlechthin, er ist der Eckstein, der alle Dinge im Innersten zusammenhält, er ist das Alpha und Omega« – Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein, wenn Michael Hageböcks Christuskind alle Dinge im Innersten zusammenhält, also auch Nutella, Fürze und Viererketten. Zwischenfragen lässt Hageböck nicht zu: »Seit die Heilige Schrift der Interpretation des Volkes anheimgestellt wurde« – er meint: Seit dem Volk die Interpretation der Heiligen Schrift anheimgestellt wurde –, »haben sich zahllose Sekten gebildet, um das Wort Gottes zu zerfleddern. Dies ist ein Sakrileg! Zur Verkündigung des Glaubens besitzt einzig die Una Sancta Ecclesia Kompetenz.« Hageböck glaubt, er lebe in einer »Kloake aus Wohlstand und falsch verstandenen Freiheitsrechten«, die sich die Menschen herausnähmen, ohne den lieben Gott um Erlaubnis zu bitten. Am übelsten stößt Hageböck die Fleischeslust in der Kloake auf. »Ungeheuer liegt heute eine Last auf den Jugendlichen: ein Zeitgeist, der ihre Geschlechtlichkeit pervertieren und ihre Reinheit negieren möchte.« Untenherum ist es mit der Reinheit der Jugendlichen vermutlich nicht gar so weit her, wie Hageböck annimmt. Man kann nur hoffen, dass er das nicht merkt, sondern zu einem neuen Pfarrer Sommerauer reift, der unerschütterlich auf verlorenem Posten ausharrt und zur allgemeinen Erheiterung den »Sexy-Rummel« geißelt.

 

Fragen des Fleisches beschäftigen auch Frank Liebermann, einen schwergewichtigen Türsteher. Als seine Vorbilder bezeichnet er Johannes Paul II. und Ernst Jünger, denn er versteht viel von Kultur: »Das Metzgerhandwerk ist die Speerspitze deutscher Kultur. Was sagt mehr über ein Land aus als die Reichhaltigkeit der Wursttheke? Gerade darin spiegelt sich die Schaffenskraft und der Überlebenswille eines Volkes wider. Aus Schweinen, Kühen, Rindern und Kälbern lassen sich die unterschiedlichsten Leckereien zubereiten. In Metzgereien finden sich die Ergebnisse dieser schöpferischen Potenz. Im Imbiss steht heute Leber mit Bratkartoffeln auf dem Menüplan. Innerlich verfalle ich in Jubel: meine Lieblingsspeise.« Man sieht es ihm an.

Die gemeinen Menschen, angefüllt mit Jauche statt mit Blutwurst, tummeln sich unkeusch in der Kloake, aber die »89er« suchen die Achse von Schuld und Erlösung unerschrocken in der Metzgerei und verkörpern beim Leberverzehr das neue »Heroentum«, das sich die 1970 geborene Politologin Simone Satzger dringend wünscht. »Die Erleuchteten haben die Erde entzaubert und ihr die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen genommen, die seit ewigen Zeiten die Phantasie der Kinder nährt«, klagt sie. »Sie warfen das Wort ›lumière‹ in die Welt. Ihr Motiv war und ist die Angst vor dem Leben.« Die Gegenaufklärung des forschen Fräuleins läuft auf die Einsicht hinaus, »dass der Verlust des Lebens weniger schlimm sein kann als der Verlust der Haltung« – aus gutem Grund ist von der Wehrmacht ja auch niemals eine gefallene Haltung im Zinksarg mit militärischen Ehren in die Heimat überführt worden.

Auch die Studentin Ellen Kositza, Jahrgang 1973, verkörpert das neue deutsche Fräuleinwunder. Was erwartet sie von der Zukunft? »Befürchte: Amerikanisierung Europas; hoffe: auf ›befreite Zonen‹.« Außerdem verlangt sie die »Einführung der Todesstrafe für Kinderschänder, Vergewaltiger, Dealer«, und in den gewaltsam befreiten Zonen würden, wenn es nach Ellen Kositza ginge, auch die ungewaschenen Langzeitstudenten und Discothekenbesucher in Verschiß geraten, die ihr jetzt das Leben noch zur Hölle machen: »Die schweißnassen Dreadlocks eines besonders engagierten Tänzers peitschen in mein Gesicht. DRECKlocks eigentlich, die können unmöglich nur von Bier und Zuckerwasser so steinhart sein.«

Wo die Untermenschen ihre Mähne herumschleudern und die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen beschmutzen, tritt schließlich Claus-M. Wolfschlag auf den Plan. Dem Studenten mit dem aparten Vornamen wurde eines Tages »die Gnade zuteil, ›Träger‹ zu sein«, aber nicht etwa Bierkisten- oder Hosenträger, sondern »Träger von seelischen Strömungen, von Ideen, die geistig schon existieren, bevor sie sich bestimmte Körper als Medien suchen«. In Claus-M. Wolfschlags Fall ist es Claus-M. Wolfschlags Körper, den sich die seelischen Strömungen als Medium gesucht haben. Seither sind »keltisches Triskell und germanische Lebensrune« Claus-M. Wolfschlags persönliche Symbole. Er glaubt »an die wundersame Göttlichkeit der Natur«, fordert einen sofortigen »Zuwanderungsstop«, den »Abriß aller Trabantenstädte« und den »Aufbau menschlicher, grüner Orte«. Er hatte einst ein schönes Vaterland: »Doch Seele besitzen die Konsumgüter keine. Der selbstbemalte Schrank einer alten Bauernfamilie drückt mehr Atmosphäre aus als so manches aus dem Möbelmarkt stammende Apartment Frankfurter Großverdiener.« Und er hat einen Traum: »Er handelt von reinen, natürlichen Menschen, denen ideelle Werte mehr bedeuten als Geld und rücksichtslose Konsumbefriedigung. Ich sehe starke, gefestigte Männer, die mit Mut die Würde ihrer Gemeinschaft verteidigen – und tapfere, schöne Frauen mit langem, leuchtendem Haar und ästhetischen Gewändern, bei denen es den Männern zur Ehre gereicht, sie ›Gefährtin‹ nennen zu können.«

Claus-M. Wolfschlags Traum von willigen Walküren und heftiger Bauernschrankmalerei spielt sich in der grauen Lagune ab: »Ich träume davon, nackt im Main schwimmen zu können – und zehn nackte Mädchen springen mir hinterher.« Doch am Ende erweist sich auch dieser Träger des neuen Heroentums nur als kleinkarierter Bausparer: »Ich hoffe auf Gesundheit, Erfolg, ein Palais mit Pool, an dem sich eine schöne Frau sonnt.«

So sind sie, die »89er« – mährischer Herkunft, gesamtdeutsch erzogen, charakterfest und immer obenauf. In langen Fuxenstunden haben sie das Volkstum zum Eckstein ihrer Geschlechtlichkeit gemacht. Jetzt träumen sie davon, dass tapfere Frauen mit leuchtendem Haar ihre schöpferische Potenz im Metzgerhandwerk ausagieren. Danach wird im Palais am Pool gefummelt.

Zauberhaft.

Was sie wohl als nächstes aushecken? Patrick, Roland, Dieter, Manuel, Michael, Frank, Simone, Ellen und Claus-M. mögen so viele Abenteuer beschieden sein wie Hanni und Nanni! Ich persönlich möchte jedenfalls noch viel Spaß mit den »89ern« haben, bevor sie erwachsen werden.

Titanic 5/1996