Der grüne Pfad hat nie ein Ende

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Die dunklen Blätter der Erle ließen die hirschrote Decke seiner Beute besonders kontrastreich zur Geltung kommen. Simon konnte es danach nicht lassen, ließ sich noch einmal auf dem einfachen Brett des Sitzes nieder und hielt eine zweite Wacht an dem Bock, den der Neuntöter in der vermeintlich sicheren Deckung des Rapsschlages ihm verraten und dem er seitdem sein ganzes Denken und Fühlen gewidmet hatte.


Der Elbmarscher prahlt zwischen zwei geringeren, aber sehr alten Böcken.

Schwarze Böcke

Nicht zu Unrecht sprechen wir manchmal vom Rehbock als vom „Hochwild unseres Herzens“ und geben dem fast überall verbreiteten Rehwild, in diesem Falle dem spannenden Erleben um einen besonderen Bock, die verdiente Wertschätzung. So gut wie jeder Weidmann hat mehrere oder viele Gehörne an der Wand hängen, deren Träger ihm zu Lebzeiten Tage und Wochen köstlicher Jagd geschenkt haben, bis es in der „dummen Stunde“ dann doch auf den Heimlichen geklappt hat.

So sammeln sich in langer Reihe oder kompakter Gruppe die Abschussböcke, die Starken, und auch der Prozentsatz der abnormen Gehörne nimmt stetig zu. Diese sind etwas Besonderes, und so mancher Weidmann ist in starkem Maße erpicht auf die verdrehten, mehrstangigen, in alle Richtungen gewachsenen oder sonstwie monströsen und widersinnigen Trophäen.

Eine ganz seltene Besonderheit – nicht vom Wuchs der Stangen, sondern von der Färbung der Decke her – stellt das schwarze Rehwild dar. Immer wieder liest man Kleinanzeigen in der Jagdpresse, in denen der Wunsch nach der Erlegung solch eines Lebensbockes zum Ausdruck kommt – den man nach Erfolg natürlich als Kopf-Schulter-Präparat an seiner Wand sehen will. In diesem Zusammenhang – ein Rückblick – muss man den Haster Wald westlich von Hannover nennen, in dem die Forstverwaltung durch gezielten Abschuss der roten Rehe seinerzeit (1933) einen schwarzen Rehwildbestand von 90 % heranhegte. Auch Kaiser Wilhelm II. und Hermann Löns wussten um die begehrte Besonderheit!

Mein eigener schwarzer Bock, gering im Wildbret und stark von Rachendassellarven befallen, fiel beim Ansitz auf Schwarzwild. Ich will da nichts Mystisches hineinweben, aber wenn ich einen oder mehrere Schwarzkittel im großen Rapsschlag hörte oder sah (Letzteres leider weniger, aber einen Überläufer erwischte ich doch), kam garantiert auch der schwarze Bock irgendwann und irgendwo in einer der Lücken, Fahrspuren oder Fehlstellen in Anblick.

„Na, da hast du ja dein Stück Schwarzwild, auch wenn’s diesmal keine Sau ist, hast du doch Saudusel gehabt“, sagte damals der Beständer zu mir.

Die Reviere in der Nähe der alten Salzstadt Lüneburg bringen in ihrer Rehwild-Population immer wieder mal schwarze Stücke hervor. Im Revier Ochtmissen hatte ich auch einmal eine rote Ricke mit schwarzem Kitz und ein dunkles Schmalreh in Anblick, und nicht weit davon, im Revier Vögelsen, konnte Jürgen Schnelle aus Sangenstedt zwei schwarze Böcke erlegen, einen braven Sechser und einen Abnormen. Auch im Luhdorfer Revier – auf der Fahrt zur Bockjagd nach Radbruch – sah ich häufig eine einzelne schwarze Ricke auf einer Wiese neben der Straße ihrer morgendlichen Äsung nachgehen. Immer wieder besondere Erlebnisse!

Ich begegnete dem Melanismus beim Rehwild in den Landkreisen Lüneburg, Lüchow-Dannenberg, Celle und Rotenburg/Wümme. Wir finden die Schwarzfärbung auch beim Damwild und bei Wildkaninchen sowie, was kaum bekannt ist, auch beim Biber. Der Wasserbauer hat nicht nur Deutschland wieder besiedelt und macht teilweise Probleme, auch in Estland hat er sich zu einer wahren Landplage entwickelt. In so manchem Dorf geht plötzlich das Licht aus, weil ein von dem großen Nager gefällter Baum auf die Stromleitung fällt, auch unterhöhlt er Straßen und Wege und setzt Kulturen unter Wasser. Ich selbst habe mir einmal übel den Knöchel verstaucht, als ich bei der Pirsch in ein von Altgras überwachsenes Luftloch einer Biberhöhle trat. Einen pechschwarzen Meister Bockert mit einem sagenhaften Gewicht von 30 Kilogramm erlegte in seiner alten Heimat kurz vor der Jahrtausendwende der Freiherr Hans von Stackelberg und formulierte in diesem Zusammenhang, dass schwarze Biber in Estland (ich komme auf das baltische Land noch zurück) wohl so selten seien wie in Deutschland das schwarze Rehwild.

Im ehemaligen Landkreis Bremervörde, nun auch Rotenburg/Wümme, liegt die Gemeinde Sittensen, wo ich aufgewachsen bin und die Wälder, Felder und Moore der Umgebung durchstöbert habe, um insbesondere die freilebende Tierwelt zu beobachten. Auch aus dieser lang zurückliegenden Zeit erinnere ich mich an den Anblick von mehreren rußdunkel gefärbten Stücken Rehwild am Thörenwald bei Freetz und im Tister Bauernmoor.

Südostwärts über die B75 hinweg liegt der kleine Ort Königsmoor in einer wahrlich dünn besiedelten Gegend. In den baumlosen, übersichtlichen Moorbiotopen war, in den Jahrzehnten nach dem Krieg, das Birkwild noch stark vertreten, als Hinweis darauf führt noch heute die Gemeinde Königsmoor den Birkhahn im Wappen.

Die Abgeschiedenheit der Landschaft gefiel dem Boxchampion Max Schmeling, einem unserer populärsten Sportler überhaupt, sehr gut. Wem ist dieser Ausnahmesportler nicht ein Begriff, und wer hat zumindest nicht einmal von seinem Titel als Schwergewichtsboxweltmeister der Jahre 1930–1932 und seinem Sieg 1936 im „Kampf des Jahrhunderts“ gegen den „unbesiegbaren braunen Bomber“ Joe Louis gehört?

Unser Box-Idol, von Jugend an großer Naturfreund und passionierter Jäger, wurde schnell heimisch in der Runde der ortsansässigen Weidgenossen und wurde Mitpächter der Gemeindejagd von Stemmen, einem Niederwildrevier. Er lebte in Wenzendorf in der Samtgemeinde Hollenstedt in glücklicher Ehe mit der tschechischen Schauspielerin Anny Ondra beschaulich und zurückgezogen und ging von dort aus über 40 Jahre zur Jagd.

Wenn Schmeling und seine Freunde ihrer Jagdleidenschaft gefrönt hatten, kehrten sie gerne im Landhaus Stemmen oder in umliegenden Gastwirtschaften ein, um einen kräftigen und ausdauernden Skat zu dreschen und die Jagderlebnisse noch einmal Revue passieren zu lassen, wenngleich am bequemen Tisch Max’ absoluter Schwerpunkt die Karten waren und er zu stark ablenkende Gespräche nicht schätzte. Jagd ist Jagd und Skat ist Skat, das nahm er ernst!

So manchen Birkhahn erlegte Max damals noch, und ein besonderer Stolz und eine tiefe Freude des in der Natur und in der Jagd aufgehenden Mannes war ein mit der goldenen Hegenadel dekorierter üppig geperlter Fünfstangenbock, den er im Juni 1971 erlegen konnte.

Natürlich schoss auch Max Schmeling seinen schwarzen Bock, den er zum ersten Mal in Begleitung seiner Frau in Anblick hatte und deswegen noch einige Jahre schonen „musste“, weil sie das seltene Tier so sehr bewunderte. Der immer bescheiden und menschlich gebliebene Max Schmeling mit seiner ausgeprägten Liebe zur norddeutschen Landschaft fand also hier eine neue jagdliche Heimat, konnte hier vielleicht ein Stück weit den am Ende des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verlust seines Rittergutes Ponickel in Hinterpommern, das einen guten Rotwildbestand aufwies, verschmerzen und verkraften.

In dem weiten und flachen Land ist auch heute noch rotes und schwarzes Rehwild auf den dem mageren Moorboden abgerungenen Wiesen und Weiden verbreitet und findet gute Einstände in den Feldgehölzen, natürlich ziehen die Sauen durch, und im Zuge des Verschwindens der Heidegebiete und Moore und der Aufforstungen kommt auch Damwild als Wechselwild vor.

Heutzutage jagt dort auch, gewissermaßen auf den grünen Pfaden Max Schmelings, der Weidmann Stefan Schapitz aus Holm-Seppensen bei Buchholz und betreut eine ca. 200 Hektar große Eigenjagd praktisch alleine mit einem Begehungsschein. Irgendwann rief mich Stefan zu Hause an und bat um eine Signatur für die in seinem Besitz befindlichen Bücher aus meiner Feder. Als er mich besuchte, legte er gleich alle meine bis dahin verfassten sechs Werke auf den Tisch, was ich schmunzelnd und als Autor natürlich erfreut zur Kenntnis nahm und ihm gerne den Gefallen tat. Aus dem geplanten Kurzbesuch wurde ein stundenlanges, höchst interessantes Gespräch über unsere gemeinsame Passion, und irgendwann waren wir bei dem Thema „schwarze Böcke“.

Stefan, der erst im fortgeschrittenen Alter die Möglichkeit hatte, den ersehnten Jagdschein zu machen, hatte sich gleichwohl schon eine gehörige Portion Erfahrung erworben. Kein Wunder bei dem Revier, einen schwarzen Bock hatte er auch schon – im gleichen Jahr (2017) erlegt.

Er zeigte mir gestochen scharfe Fotos von diesem dunklen Recken und ich schaute sie mir mit Begeisterung an.

Ich besuchte Stefan Ende März im ruhigen und gemütlichen, ganz im Grünen gelegenen Heim, und wir redeten über viele allgemein interessierende und politische Themen, aber natürlich auch über unsere jagdlichen Laufbahnen. Seine nette Frau Aibe hatte vor Jahren – mit besten Prüfungsergebnissen – ebenfalls den Jagdschein gemacht, wir redeten also alle eine Sprache. Wie angenehm für einen Jägersmann, wenn die Ehefrau ihn nicht komisch anguckt und von oben bis unten mustert, wenn er von dem Perückenbock berichtet, der im Bestand im Bett gesessen hat, von den Sauen, die in der Wiese gebrochen haben oder dass er zwar Kahlwild vor hatte, aber nicht den Schneider, den er gerne geschossen hätte. Wie entspannt, wenn sie Verständnis aufbringt, dass er fünf Stunden später als angesagt aus dem Revier heimkommt, weil er unter schwerster Mühe den erlegten Keiler aus dem Sumpf bergen und in die Wildkammer transportieren musste.

 

Zwischen zwei Stückchen Kuchen sah ich mir die Trophäenwände mit dem starken und reifen Hirsch aus dem Süsing und den beiden guten Muffelwiddern an und erfuhr auch, dass er in einem anderen Revier schon als Jungjäger einen ersten schwarzen Bock strecken konnte.

Das Kopf-Träger-Präparat des „aktuellen Schwarzen“, eines ungeraden Achters, hielt ich bewundernd in den Händen.

Ja, diese Schwarzen, schwerpunktmäßig in Norddeutschland ihre Fährte ziehend, sind als „Rußteufel“ und Seltenheit besonders begehrt, und wenn ihre Erlegung erst nach größtem Bemühen und hochaktiven Phasen der „grünen Gehirnwindungen“ gelingt, ist es eine erzählenswerte Geschichte.

Es hatte Stefan viel Zeit gekostet, dem territorialen Beherrscher eines Wiesengeländes auf die Schliche zu kommen. „Nachdem er bei vielen vergeblichen Ansitzen nicht zu mir kam, ging ich zu ihm“, griente Stefan und schilderte mir weiterhin eingehend, noch immer von diesem Erlebnis erfüllt, seine spannende Jagdausübung auf diesen Bock.

Die über einen Wassergraben gebaute Kanzel war einer seiner Lieblingssitze. Von hier aus entdeckte er im letzten Licht des Maientages den Rücken eines dunklen Stückes Rehwild, das gerade im Waldsaum untertauchte. War es der schon verschollen geglaubte Bock?!

Stefan brauchte nun nicht mehr lange zu überlegen, wo er morgens und abends ansitzen wollte. Die alte Kanzel wurde seine „zweite Heimat“, von der aus er zwar den Bock noch einige Male erspähte, aber immer stand er viel zu weit entfernt auf der riesigen, über 15 Hektar sich ausdehnenden Wiesenfläche. Nach diesen immer erfolglosen Bemühungen musste etwas passieren. Stefan ist ein Mann von Tatkraft und fasste einen Entschluss.

An einem Nachmittag, an dem er sowieso diverse Revierarbeiten erledigen wollte (Salzlecken beschicken, Malbäume mit Holzteer bestreichen, um vielleicht mal wieder einen Überläufer strecken zu können, oder auch die letzten Nistkästen reinigen und einige Sprossen an den – vielleicht noch zu Max Schmelings Zeiten gebauten? – in die Jahre gekommenen Hochsitzen und Leitern erneuern), galt seine „letzte Amtshandlung“ und Planung dem schwarzen Bock.

Eine kleine Waldzunge sprang in die Wiese hinein, und Stefan hatte beobachtet, dass der gehörnte Hausherr des Grünlandes von dort aus vielleicht mit einem weiten Schuss zu erlegen wäre. Also spannte er hier neben einer Birke mit Holunderbusch ein Tarnnetz auf und stellte den alten Küchenstuhl von der Kanzel hinter diese Sichtdeckung.

Als er am nächsten späten Nachmittag dieses lauschige Plätzchen aufsuchte, brachte er – schwer bepackt – auch noch seinen Ansitzstuhl mit Gewehrauflage sowie einen dreibeinigen Zielstock mit. Alles dabei, nun fehlte nur noch der Schwarze mit dem hellen Gehörn.

Sollte es wieder ein Abend ohne Rehwild-Anblick werden? Der Weidmann erfreute sich an dem wunderbaren Frühlingsbild rund um ihn herum, aber mit dem langsamen Nachlassen des Tageslichtes hätte er doch gern auch eine schwarze Decke irgendwo im Grün auftauchen sehen. Natürlich war der Überblick hier im Schirm nicht so gut wie von der Kanzel.

Während er im Geiste gerade mal überschlug, wie viel Ansitze er an dieser Örtlichkeit schon hinter sich hatte, war es plötzlich so weit! Sein „unbewaffnetes“ Auge erspähte weit hinten im sattgrünen Halmenmeer ein trutzig-dunkles Rehhaupt mit hellen Stangen darüber. Stefan nahm zwar das Glas hoch, aber zum Ansprechen brauchte er es nicht – natürlich stand dort der Schwarze! „Weit, aber nicht zu weit“, murmelte er in sich hinein, als der Bock sofort darauf über eine Fehlstelle wechselte und dort mit dem Haupt in das niedrige Gras eintauchte und äste. Wie ruhig es plötzlich hier geworden war!

Einer der fast ständig zu hörenden Ringeltäuber durchbrach die Stille und meldete verhalten am Waldrand, woraufhin gleich zwei der Waldbauchredner ihm energischer als er selbst antworteten. Doch das war kein Signal für den Bock, so plötzlich aufzuwerfen … Mit langem, aber längst nicht mehr jährlingshaft schmalem Träger äugte er zur Waldkante hin und stand dabei völlig breit, präsentierte sich als ein mindestens mittelalter, sich hier ganz als Revierbesitzer aufspielender gehörnter Herr! Stefan strich an der Birke an, konzentriert brachte er das Absehen auf die noch nicht ganz durchgefärbte Decke des Bockes, und wenig später sorgte der peitschende Schussknall erneut für eine erschrockene Stille im weiten Umkreis.

Das ersehnte Wild war im Feuer gefallen, keine einzige Flucht mehr hatte es gemacht.

„Pauk ja hunnik“ (übersetzt „Schuss und Haufen“), sagen die Esten in ihren schönen baltischen Revieren als Entsprechung zum deutschen „Weidmannsheil“ als Glückwunsch am gestreckten Stück, so habe ich es jedenfalls erlebt bei meinen Elchen. Vor der Jagd heißt der begleitende gute Wunsch „Kivi kotti“ (frei übersetzt „einen Stein im Rucksack“).

Doch warum fällt mir bei der Geschichte von der Erlegung eines schwarzen Rehbockes das nördlichste baltische Land ein? Estlands Hauptstadt Tallinn (abgeleitet von „Dänenstadt“ oder „Dänenburg“, die Dänen unter ihrem König Waldemar II. haben im Jahre 1219 die Nordküste des Landes erobert) hieß bekanntlich zu deutsch-baltischen Zeiten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Reval, hinter welchem Namen sich das Wort „Rehfall“ verbirgt. Rehwild ist allerdings gewissermaßen ein Neubürger im Lande und hat erst in den letzten zwei Jahrhunderten durch Einwanderung von Süden her nennenswerte Bestände gebildet.

Wölfe, Luchse und harte Winter dezimierten immer wieder die im Aufbau befindlichen Populationen. So war es eine Riesensensation, als im 13. Jahrhundert plötzlich ein Stück an der Ostseeküste auftauchte. Man verfolgte es, mit Netzen und Seilen zum Einfangen bewaffnet, bis zu einer Steilwand eines die Küste begleitenden Höhenzuges, wo das „besonders gezeichnete Tier“ in seiner Panik jedoch abstürzte. War es vielleicht ein schwarzes Stück? Wir wissen es nicht, vielleicht war der Aufregungsfaktor auch nur die absolute Seltenheit, aber so entstand der Name für die sich dort gründende Siedlung, die schnell zur Stadt anwuchs und 1285 der deutschen Hanse beitrat. Eine eher grausige Geschichte mit dem Rehfall, ob sie wirklich wahr ist? Heute sieht man die Herkunft des früheren Namens der Hauptstadt einfach in einer estnischen Bezeichnung für die Region, nämlich Rävala oder Revala.

Doch zurück zu Stefans Geschichte von seinem Weidmannsheil. Er repetierte seinen Stutzen im Kaliber .308 Win. durch, aber in ihm machte sich die glückliche Gewissheit breit, den zweiten Schuss nicht mehr zu brauchen.

Taube, Amsel, Singdrossel und die kleine Vogelwelt intonierten längst wieder ihre Abendunterhaltung, als er zu seiner nicht schwer zu findenden Beute hinschritt und freudig, aber auch besinnlich, den schwarzen Herrscher des Wiesengrundes in Besitz nahm. Es war sicher eine der seltenen Sternstunden, die in der grünen Erinnerung Stefans immer einen festen Platz einnehmen werden.


Es hat geklappt: schwarze Decke auf grünem Gras …


Von dieser Seltenheit wird natürlich ein Kopf-Schulter-Präparat gemacht.

Listige rote Strolche

Mit letzterem Begriff will ich Meister Reineke, der mir so unendlich viele Jagdfreuden geschenkt hat – mal hat er mich überlistet, mal war ich erfolgreich – keineswegs diskreditieren. Auch bei der Jagd auf das Raubwild –, sei es der Fuchs, der Stein- und Baummarder in heimischer Wildbahn oder der Bär in den Karpaten, in Kanada oder auf Kamtschatka – sehen wir Jäger doch das Recht des Wildtieres, mit Respekt, Fairness und unter Berücksichtigung des Tierwohles bejagt zu werden. Wir nennen es Weidgerechtigkeit.

Der Fuchs im reifen Winterbalg erzeugt bei mir einen ganz besonderen inneren Jubel und gehört auch heute noch zu der Jagdbeute, die bei mir in der „grünen Rangliste“ ganz weit oben steht, gibt es doch so viele verschiedene Jagdarten auf den Roten, von denen aber der Ansitz in der Winternacht (gar bei Schneelage, himmlisch) mir immer noch die liebste ist. Wie gehen die Pulse hoch, wenn der lange Strich urplötzlich im diffusen Licht erscheint und sich im Glas nicht als Löffelmann, sondern als der ersehnte rote Räuber, von der Stärke her sehr schwer anzusprechen, entpuppt.

Mein Lehrgeld habe ich in jungen Jägerjahren bezahlen müssen. Es ist unglaublich, wie fein der Rote, vor allem in stiller Winternacht, vernehmen kann. Das Einstechen des Drillings im Anschlag auf dem Kanzelfenster – wenn man denn gerade den Vorzug einer solchen Ansitzeinrichtung genießt, oft tat es bei mir eine offene Leiter – veranlasst ihn zu sofortiger wilder Flucht, ohne noch einmal zu verhoffen und ein Ziel zu bieten. Auch auf das Knarren des Sitzbrettes oder Anstoßen des Gewehrkolbens an die Kanzelwand reagiert er ohne zu zögern und sucht mit Ausnutzung jeder Deckung zu entkommen. Aus meiner persönlichen Jagdpraxis habe ich so nach und nach die Erkenntnis mitgenommen, dass Rot- und Schwarzwild über den besten Windfang verfügen, Muffel- und Damwild am besten äugen, der Fuchs jedoch die besten Gehöre hat. Wie enttäuschend, wenn der zunächst vertraut schnürende Schelm plötzlich hochflüchtig verschwindet!

Aber wie gesagt, manchmal war ich auch erfolgreich …

Wenn es in unseren Breiten schon in der ersten Novemberhälfte ergiebig schneit, so ist das sicher recht früh im Jahr. In jenem Winter, von dem ich erzählen will, war es so. Zusammen mit meinen Enkeln Felix und Niklas spürte ich ausgiebig ab, um den nächtlichen Aktivitäten des Raubwildes auf die Schliche zu kommen.


Beim Abspüren auf die roten Strolche sind die Enkel Felix und Niklas gerne dabei.

Es spielte keine große Rolle, dass die Sichel des zunehmenden Mondes noch sehr schmal am bewölkten Himmel stand. Die nächtliche Sicht war ausreichend, war sogar gut, trotz leichten Nebeldunstes sah man jeden Hasen bis 200 Meter weit auf der weißen Fläche hocken, unter der sich die Wintersaat verbarg, und sich die begehrten grünen Spitzen freischarren.

Auf der offenen Leiter war ich unter vielen Verrenkungen in den Loden-Ansitzsack gekrochen, leistete mir dann einen Zigarillo, dessen würziger Rauch gleichmäßig nach hinten links hinwegzog und mir bescheinigte, dass der Wind mich dem roten Freibeuter nicht verraten würde. Mit freiem Auge hatte ich die Waldkante zu meiner Rechten im Blick, aus welcher Deckung ich ihn erwartete. Für meine Aufmerksamkeit sorgten aber zunächst zwei Stück Rehwild, die vertraut auf die Fläche trollten und sich den Mümmelmännern zugesellten – mit dem gleichen Vorhaben und dem gleichen Geschmack. Ich hatte die Ricke mit ihrem Kitz gerade im Glas, als sie beide aufwarfen und zu dem Feldgehölz vor dem entfernten Dorf hin äugten. Na?

Nein, Reineke war es nicht, der aus der Nebelwand auftauchte, sondern ein weiteres Reh, ein noch aufhabender Bock, wie ich bald erkannte.

Rehwild und Hasen gingen nun vereint ihrer nächtlichen Äsungsaufnahme nach.

Nach einer Stunde etwa zogen die Rehe weiter, zwei der Langohren verdünnisierten sich auch, sodass nur noch ein dunkler Fleck auf dem weißen Tuch über der Landschaft zu erspähen war. Langsam merkte ich, wie die Frostgrade versuchten, in mir die Vorstellung eines heißen Getränkes am Kaminfeuer hervorzulocken, aber noch schützte mich der Ansitzsack zuverlässig vor derlei Versuchungen. Hier draußen war es doch viel interessanter! Wenn man höchstens eine Eule oder einen Kauz erwartet, streicht ein Fischreiher mit misstönendem Krächzen vorbei und klingeln späte Wildenten durch die Nacht. Die Schneenacht hat ihre Besonderheiten und Geheimnisse, die nicht im Lehnstuhl zu enträtseln sind.

Die beiden Hasen hatten ihren Hunger wohl immer noch nicht gestillt. Moment mal, zwei? Ich riss das Glas hoch. Da saß er auf den Keulen und äugte zu dem Krummen hinüber – Reineke Rotvoß war da … und mit ihm sofort das aufpulsende Jagdfieber!

Zwei im Moment bewegungslose Kegel, ein großer und ein kleiner, nahmen eine „Beurteilung der Lage“ vor und schätzten die Möglichkeiten auf Erbeutung bzw. erfolgreiche Flucht ab. Erstere schien aussichtslos, die zweite positiv, sodass keine weitere kostbare Energie verschwendet wurde. Langohr kratzte weiter Löcher in den Schnee, Rotbalg schnürte, sich noch einmal bedauernd umblickend, seinem weiteren Ziel zu. Das war der Waldrand, aus dem heraus ich ihn eigentlich erwartet hatte – also heute alles umgekehrt. Bevor er noch näher herankam, musste ich jetzt unbedingt das Schloss einstechen, bevor mir das nicht zu unterdrückende leise Klicken diese Gelegenheit verdarb. Ich tat es und schob dann den lautlos zu betätigenden Spannschieber nach vorn, ging auf der Gewehrauflage in den Anschlag – ich war bereit, nur jetzt nichts mehr falsch machen. Diese spannende und beuteträchtige Situation ist verantwortlich für das Fuchsfieber!

 

Wenn dieser starke – so war er mir vorgekommen – Herr von Malepartus seinen Pass geradeaus weiternahm (er schien mir nicht auf Mäusejagd zu sein), würde er außerhalb des Wirkungsbereiches meiner Schrote, aber in guter Entfernung für die Hornetkugel in den für ihn tödlichen Bereich gelangen. Zweimal verhoffte er, und diese Tatsache hielt mich davon ab, ihn durch Mäuseln oder andere Scherze zum Stoppen zu bringen – das konnte auch schiefgehen. Ich hatte ihn im Zielfernrohr und wartete auf ein erneutes Anhalten. Jetzt hatte er wohl doch irgendetwas unter dem Schnee entdeckt, er wurde niedriger, die lange und breite Lunte lag auf dem Weiß auf und er nahm den spitzen Fang herunter. Ich verstärkte den Druck des vom Handschuh befreiten Zeigefingers auf das Züngel, und mit einem peitschenden Knall fuhr das heiße Blei in die Nacht hinaus.

Mit einem mächtigen Satz sprang der Beschossene vom Boden ab, überschlug sich fast in der Luft, ganz kurz nur noch stäubten die schlagenden Branten des gefallenen Schelmes den Schnee, dann lag er still. Schnell lud ich nach, das war Gewohnheit, aber schon in der Überzeugung, auf diesen Roten jedenfalls die Kugel nicht mehr zu benötigen.

Ich hätte ihn so liegen lassen können, um auf einen weiteren Fuchs zu warten, aber ich wollte diesen ohne Verzögerung in Besitz nehmen, denn die Störung durch den Schussknall war ohnehin da. Es war kein „Herr“ von Malepartus, wie ich es mir vorgegaukelt hatte, sondern eine Frau Ermeline, eine starke Fähe mit wunderschönem Balg. Soweit das natürliche Licht es zuließ, bewunderte ich sie ausgiebig und hängte sie dann mit zusammengebundenen Hinterläufen an einen der Stützpfosten der Ansitzleiter.

Eine halbe Stunde Ruhe, dann durfte der Nächste kommen! Vielleicht ein junger, starker Kohlfuchsrüde, den man auch Brandfuchs nennt und dessen schwärzlich gefärbte Grannen einen ansprechenden Gegensatz zum hellroten Schmuckstück der Fähe bilden würden, da hätte sie eine nette Gesellschaft im Fuchshimmel.

Die weiße Fläche lag jetzt natürlich leer und ausgeräumt vor mir. Einen heißen Trunk hatte ich mir nicht eingepackt, das ist mir auf einer offenen Leiter zu gefährlich, es gibt doch unvermeidbare Geräusche und Unruhe, das sollte man sich für den Ansitz in einer geschlossenen Kanzel aufheben.

Weder nach 30 noch nach 60 Minuten war der erhoffte Gesellschafter für die Betze erschienen, das Rehwild äste woanders, und auch Hasen ließen sich nicht blicken. Aus der sich einstellenden gewissen Müdigkeit riss mich kurzzeitig der Waldkauz, dessen gellendes „Kju-wik“ – von abergläubischen Menschen als „komm mit“ (in den Tod) übersetztes Rufen – von der Waldkante her tönte; zu Gesicht bekam ich den Dickkopf jedoch nicht.

Wie kommt es, dass der Fuchs meistens so überraschend auftaucht? Da stand doch einer pomadig genau da, wo ich eigentlich den Ersten schon erwartet hatte, und stocherte mit dem Fang in der Schneedecke herum! Hatte sein Erscheinen am Bestandesrand vielleicht den Kauz zum Schimpfen veranlasst? Lange genießen wollte ich dieses winterliche und nächtliche Bild nicht. Der Rote war näher als seine Artgenossin, einesteils gut für den Schuss, anderenteils hoffte ich, dass er so weit abgelenkt war, dass er das leise Klicken des Stechers nicht vernehmen würde. Geschafft. Unendlich vorsichtig nahm ich den Drilling hoch und ging in Anschlag. Ich war ruhiger als beim ersten Schuss, oder waren es nur die durch die Kälte etwas gelähmten Gliedmaßen, die meine Bewegungen verlangsamten? Irgendetwas Interessantes musste Reineke dort ja in die Nase gekommen sein, jetzt allerdings schob er seine Branten einige zögernde Schritte nach vorn, verhoffte dann und nahm das Spitzbubengesicht hoch, äugte zum Dorf hinüber. Es wurde Zeit, Sekunden später brach der Schuss, wieder direkt hinter das Blatt des leicht schräg Abgewendeten gezielt.

Der Fuchs zeichnet gewaltig auf die kleine Kugel! Auch dieser machte einen weiten Satz nach vorne, versuchte einige blitzschnelle Fluchten, aber dann war es auch für ihn zu Ende, und die Schneedecke wurde sein letztes Bett. Das Teilmantelgeschoss hatte wieder wie erwartet gewirkt.

Donnerwetter, zwei Rotröcke! Das Jägerblut war wieder in Wallung geraten, und von der Kälte spürte ich nichts mehr. Zwar lud ich wieder nach, fasste aber gleich den Entschluss, den Ansitz zu beenden und abzubaumen. Vielleicht habe ich somit den dritten Räuber verpasst, denn als ich am nächsten Tag über die weiße Fläche marschierte, stand dort untrügbar eine Schnürspur, die keiner meiner beiden gestreckten Füchse – der zweite war tatsächlich ein Rüde – hinterlassen haben konnte. Zwei Füchse habe ich mehrere Male mit nach Hause gebracht, dreie nie, aber vielleicht hat der dritte rote Strolch dort entlang auch erst gegen Morgen seinen Pass genommen.

Vielleicht hätte ich diese Geschichte auch „Füchse bei Schnee“ nennen sollen, denn ich habe für diese Erzählung ja nur diesen einen Ausschnitt aus den vielen Möglichkeiten, den Schlauen zu bejagen – ich sprach es schon an –, ausgewählt.

Ein anderes Mal war es schon Dezember geworden, als sich wieder bei Schneelage die Gelegenheit bot, einige Stunden oder eine halbe Nacht an geeigneter Stelle anzusitzen. Die Auswahl dieser „Stelle“ habe ich selten dem Gespür oder dem Zufall allein überlassen, sondern ich habe alle Vorteile des weißen Leithundes und weiterer Neuen ausgenutzt und abgespürt und abgespürt …

Und siehe da, es zeigte sich ein Lieblingsplatz der Herren von Malepartus auf einer ungepflegten Pferdewiese, die mit Maulwurfshügeln und Mäuselöchern übersät war. Bei jeder Kontrolle strich mindestens ein Mäusebussard ab, mehrere Male blockte einer auf der am Rand stehenden, schon etwas verfallenen offenen Kanzel.

„Dir tue ich es nach“, dachte ich, als ich wieder einmal dem dunkelbraunen Mauser hinterherblickte. „Nur habe ich es nicht auf die Kleinsäuger, sondern auf deinen Konkurrenten abgesehen!“

Ich besserte die Leiter mit zwei neuen Sprossen aus, ließ zwei Tage und Nächte ins Land streichen, bis das Wochenende da war, und dann ging es los.

Selten war ich so von einem Erfolg überzeugt wie bei dem vor mir liegenden Ansitz. Das sollte bestraft werden, das hätte ich mir gleich denken können, denn auf der Jagd kommt meistens alles ganz anders. Zwei lange Ansitze blieben außer einigen fernen Stücken Rehwild ohne jeden Anblick. Ich musste mir meine Gedanken machen, die „grünen Gehirnwindungen“ arbeiteten auf Hochtouren, aber erst ein Zufall brachte mich auf die richtige Spur, die Fuchsspur.

Ein befreundeter Landwirt aus dem einen Kilometer entfernten Dorf erzählte mir, er selbst und einige andere Anwohner hätten schon einige Male zu spätabendlicher Stunde einen Fuchs um die Höfe, die Stallungen, die Mieten und Strohlager herumstreichen sehen, also dort, wo es immer eine Menge Mäuse oder auch andere für einen Fuchsmagen geeignete Happen gibt. Also schienen die menschlichen Behausungen das erste Ziel der Rotröcke zu sein, und erst „zum Nachtisch“ schnürten sie in die Feldmark und auf die Wiesen. Hieraus zog ich nun den Schluss, erst um 22 Uhr den Ansitz zu beginnen, um dann auch noch zur mitternächtlichen Stunde draußen zu sein. Gedacht, getan!

Huberto sei Dank war die Schneelage konstant geblieben, die moderate Kälte war auszuhalten, und so bezog ich zur angesagten Zeit meine Kanzel.

Welch herrlich anzuschauendes Sternenzelt wölbte sich weit über mir! Ich war sehr gespannt, ob ich die Schliche und Ränke des sprichwörtlich schlauen Fuchses enträtselt hatte. Schon bald verfiel ich in die – ich halte es für meine Wortschöpfung – „Hochsitzstarre“, die zuerst Behaglichkeit bedeutet, in Erwartung übergeht, in der alle Körperfunktionen gedrosselt sind und nur die Augen das Vorfeld überwachen (eingeschlafen bin ich dabei nie), und die schließlich in einer sehr langen Phase des Nichtdenkens mit akzeptierter Resignation endet – wenn der Erfolg ausbleibt und man schließlich abbaumt. Eng verwandt ist die „Sitzungsraumstarre“, die besonders – wie von gewöhnlich gut unterrichteter Seite verlautet – bei Europa-Politikern verbreitet ist und in starkem Maße bei überflüssigen Konferenzen und langweiligen Vorträgen aufzutreten pflegt. Empfiehlt sich bei dieser Krankheit mit starker Zurücknahme des Geistes jedoch ab und an ein interessiertes und wohlwollendes Nicken, so kann das auf dem Hochsitz vernachlässigt werden; auch ist es dem Fuchs völlig egal, ob der Jäger ein strahlendes Gesicht zeigt, weil ihm die Witze vom gestrigen Jägerstammtisch wieder eingefallen sind, oder ob er mürrisch guckt, weil ihn seine Eheliebste mit allerlei Aufträgen in Haus, Hof und Garten überhäuft hat, die er wegen der Ansitzpflicht kaum schaffen kann.

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