Das Buch von Ela

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1. April 2000

Heute ist der erste April, und ich erlaube mir bei Ela einen Aprilscherz: Ich krieche auf allen Vieren zu der Katze, die auf ihrer achtfach gefalteten Lieblingsdecke thront, und gebe vor, ihren lässig über die Sofafront hängenden Schwanz zu putzen: Ich reibe meine Nase mit Putzbewegungen über den flauschigen Schweif.

Ela, mühsam nach oben schielend, reißt ihre Augen auf und fixiert mich mit einem ganz besonderen, ernsten und wichtigen Blick, den ich noch nie bei ihr gesehen habe. In ihm liegt etwas von Erkennen, Verstehen, Verblüffung, Ehrfurcht und andächtigem Staunen.

Im gleichen Moment jauchzt Elke auf. »Sie macht Deine Bewegungen mit dem Kopf nach!« Ich »putze« erneut – und wieder »nickt« Ela im Takt mit dem Kopf, vollführt ein synchrones »Trockenputzen« oder »Leer–lecken«. Und dann noch einmal.

Elke und ich grübeln, warum sie das tut. Dann finden wir eine plausible Antwort: Wahrscheinlich wollte die Katze dem Menschen gerne das zukommen lassen, was er ihr angedeihen ließ – soziale Fellpflege nämlich, für Katzen eine ganz wichtige, Bindungen schaffende und bestätigende Beschäftigung: Sie wollte mich zurück–putzen, kam an meinen Kopf aber nicht heran. Da blieben ihr nur Leerbewegungen.

Der Vorfall zeigt wieder, wie wenig die Menschen so ein Tier wirklich verstehen, mit dem sie jahrelang auf engstem Raum zusammenleben. Elas Blick war so voller tiefer tierischer Emotion, das »Putzen« durch mich war ihr so enorm wichtig, wie ich nicht im Traum geglaubt hätte. Ich hatte mir ja nur einen Scherz erlaubt und wollte nett zur Katze sein.

3. April 2000

Was Milch betrifft, hat Ela ihre eigenen Regeln. Magermilch verabscheut sie, wie schon geschildert. Vollmilch trinkt sie vor allem dann gern, wenn sie »katzengerecht« ist – und zu entschlüsseln, was das beinhaltet, versuchen Herrchen und Frauchen schon seit Langem.

Fest steht: Wenn die Milch zu kalt ist, weil sie frisch aus dem Kühlschrank kommt, ist sie nicht genehm, schon alleine, weil sie nicht nach »Milch« zu riechen scheint – oder nicht nach dem, das Ela olfaktorisch mit Milch assoziiert.

Das Grauchen nimmt morgens nur ein halbes Dutzend Schlabberschlucke zur Erfrischung und um den Schlafgeschmack aus dem Mund zu verscheuchen, dann hört sie auf.

Nach einer bestimmten Zeit hat die Milch die richtige Trinktemperatur für den Normal–Genuss – das Problem ist nur, dass das Schälchen dann meist unbeachtet in der Küche steht und vor sich hin gammelt – bis auf sonntags, wo Elke ihrer Katze den Napf nach dem Frühstück noch einmal vorsetzt, meist mit Erfolg. »Ach, die habe ich ja ganz vergessen!«, scheint Ela zu denken, und die Zunge beginnt im Akkord ihre Förderarbeit.

War die Milch lange Zeit in Vergessenheit geraten und hat sie sich in Dickmilch verwandelt, ist nichts verloren: Ela trinkt auch diesen »Katzen–Joghurt a la nature«. Oft steht das Schälchen lange halbgefüllt herum, und man denkt bei sich: »Die arme Milch« oder »Diese verschwenderische Katze!« Kommt man aber das nächste Mal vorbei, hat Ela alles aufgeputzt!

10. April 2000

Ela schnappt sich ihren heißgeliebten Tennisball aus der großen alten Porzellanschale, in der Frauchen ihre Katzenspielzeugsammlung aufbewahrt. Später findet Elke die gelbe Kugel, die bereits lange Flauschbärte trägt, den scharfen Katzenkrallen bisher aber standgehalten hat, in Elas Schlafkiste wieder.

14. April 2000

Alles, was Frauchen isst, da ist Ela sicher, muss gut sein – ganz besonders, wenn es beim Essen knackt und kracht wie Brekkies: Elke kippt sich beim Frühstück Cornflakes in eine Schale. Husch – ist Ela da und angelt sich mit der Pfote ein paar der goldbraunen Krüstchen aus der Schüssel.

20. April 2000

Ich verlasse das Büro ungewohnt zeitig – schon um halb sieben – und spute mich, nach Hause zu kommen. Grund: In der Wohnung wartet ein Pensionsgast, für den sich Eile lohnt – Ela.

Als ich in meine »Höhle« trete, steht die Katze schon in der Wohnzimmertür; offenbar ist sie beim Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels von ihrem Sessel heruntergesprungen und zu meiner Begrüßung herbeigeeilt.

Beim ersten netten Wort geht sie auf mich zu, wirft sich auf meinen gerade des Schuhs entkleideten rechten Fuß, reibt die Seite ihres Kopfes dran, wirft sich auf die Seite und reibt ihre Wange weiter. »Herrchen!« lautet die Botschaft, »bin ich FROH, dass Du endlich wieder da bist!«


21. April 2000

Ela liebt Bücher. Nicht nur, wenn sie stundenlang im Arm der im Bett lesenden Elke liegt und schnurrt. Sie liebt es auch, in den nicht mit hinderlichen Glastüren verschlossenen Bücherschrank im Wohnzimmer zu springen und sich hinter den Druckwerken zu verstecken.

Das Hochkatapultieren erfordert langwierige Vorbereitungen. Ela sitzt und peilt, rechnet und prüft, wägt ab, grübelt, verwirft alte Kalkulationen, bezweifelt Frischgeschätztes und zaudert. Ihr ganzer Körper wird von dem Räderwerk mit bewegt, das sich da im Katzenkopf dreht: Er schaukelt vor und zurück, als spränge sie schon mal im Geiste ab, und er erzittere unter dem virtuellen Rückstoß. Obendrein hebt sich der rundliche Allerwerteste Elas ab und zu vom Teppichboden, ruckt vor und wieder zurück.

Das Gezappel dauert und dauert und nimmt kein Ende. So ähnlich muss Albert Einstein über seiner allgemeinen und der speziellen Relativitätstheorie gebrütet haben.

Wenn Ela in der Phase der Hochkonzentration ist wie eine Olympia–Hochspringerin beim letzten Versuch über 2,05 m, schaut man am besten weg (oder tut zumindest so). Denn sollte die Katze bemerken, dass sie beobachtet wird – dass sich die ungebetenen Zuschauer vielleicht sogar über sie amüsieren oder ihre Vorbereitungen anderweitig lustig finden – bricht sie sofort den Versuch ab und fängt an, sich peinlich berührt und dementsprechend hektisch zu putzen.

Ich kann das Zögern und Zimpern nicht mehr mit ansehen; denn ich meine, die unerfüllte Sehnsucht der Katze nach einem erfolgreichen Sprung und dem schönen Versteck ebenso zu spüren wie die in ihr tobenden Dominanzkämpfe zwischen Komplexen, Unsicherheit und Sprunglust sowie ihren Frust, das Springen, eine der größten Katzenkünste, aus Alters– oder Gewichtsgründen nicht mehr perfekt zu beherrschen.

Also gehe ich, wandelnder Katzen–Samariter, ins andere Wohnzimmer, packe das Pelzpuff, wuchte es hoch und will es Ela gerade als Sprungbrett unter das Regal stellen – da hechtet das Tier direkt vor meiner Nase mit verblüffender Leichtigkeit ins begehrte Versteck hinauf! Es kriecht hinter die Bücher und legt sich nieder, dem gefoppten Puffträger ihren dicken Hintern zuwendend.

Ela ist beleidigt. Da hat Herrchen doch tatsächlich nicht geglaubt, dass sie diesen lächerlichen Mini–Sprung schafft! Wie er nur darauf gekommen ist?

27. April 2000

Eine Ergänzung: Wenn unsere Ela wieder einmal kurzzeitig ins Bücherbord, Sektion Lebenshilfe, einzieht, feuert sie stets ein paar Bücher aus dem Regal. Offen ist, ob die Bände zu Boden stürzen, weil die Katze sie in den Abgrund schubst (sie liebt es, Gegenstände zu Boden plumpsen zu sehen!) oder ob die Druckwerke nur Opfer ihres runden Achterstevens sind und unabsichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Vielleicht lässt sich das Rätsel mithilfe der Titel lösen, die Ela bevorzugt aus dem Regal kegelt: Da wäre an erster Stelle das Werk »Wohin mit meiner Trauer – menschliche Verluste als persönliche Herausforderung«, gefolgt von »In Gesichtern lesen – Menschenkenntnis auf den ersten Blick«, »Finden Sie Ihren Persönlichkeits–Code – die eigenen Chancen besser wahrnehmen« und »Pessimisten küsst man nicht – Optimismus kann man lernen«.

Nun, was sagt uns das?


2. Mai 2000

Endlich, endlich kann Ela wieder länger auf »ihren« Balkon hinaus. Sie hat den ganzen Winter sehnsüchtig auf den Frühling gewartet, denn das bedeutet Balkonzeit. Auf der Veranda verwandelt sich Ela in eine andere Katze. Da ist sie in einer Art schaumgebremster Freiheit und Unabhängigkeit, da weht der Wind, bellen Hunde, miauen manchmal sogar andere Katzen. Da knallen Autotüren, und es fährt der hochinteressante weil laut polternde und klöternde Müllwagen vor; da marschieren Leute, fliegen und singen Vögel, rauschen die Blätter und biegen sich Äste der Straßenbäume im Wind; da gibt es Gras, das man mit langen Zähnen bekauen und abzufressen versuchen kann, Katzenminze, die man ignorieren kann, obwohl Herrchen sich eine solche Mühe mit Aussaat und Pflege gemacht hat, und pro Balkon einen alten Weihnachtsbaumstamm, mit dessen unteren Aststummeln man wunderbar schmusen kann.

Unter freiem Himmel erwachen in Ela ganz fremdartige Gelüste. Da holt sie sich pitschnasse Pfoten, wenn es regnet (Hauskatzen hassen nasse Pfoten!) und sogar ein nasses Fell (ein Horror für jeden Stubentiger!). Sie liegt bei Kälte auf blankem Kachelboden oder in ihrem Grasbeet und betet die Erde an, wo doch im Wohnungsinneren kein Kissen weich genug und keine Lampe oder Heizung warm genug sein kann.

Elke hat die ZEN–Entrückung unseres Grauchens in ihrem Höhepunkt beobachtet: Ela stand völlig bewegungslos auf meinem großem Balkon und hatte Hals und Kopf auf die nackte Erde einer unbepflanzten Tonschale gelegt. Sie schien zu meditieren oder im Stehen zu schlafen, den ausgestreckten Kopf auf diese merkwürdige, ganz katzenuntypische Manier aufgestützt und auf Erdkrümel gebettet. Ob sie den Duft von Mutter Erde inhalierte?

 

Vielleicht hat sie auch von Athen geträumt, von mitternächtlicher Smog–Hitze, wilden Jagden über Stock und Stein, leidenschaftlichen Liebhabern, schrill–obszönen Gesanges–Arien, geheimen Versammlungen der Katzen–Clans zur Geisterstunde auf der Akropolis, heißblütigen Gefechten mit anderen Krallenträgern und Scharmützeln mit Hunden?

Vielleicht trinkt Ela deshalb auch so gerne Blumenwasser. Sie schlabbert das im Untersetzer der Balkonrose schwappende Regen– oder Gießwasser hingebungsvoll auf, obwohl sie gerade eben an ihrem mit sauberem Leitungswasser wohlgefüllten Schüsselchen in der Küche vorbeigegangen ist. Sie schlabbert und schlabbert, als sei die erdige Brühe das köstlichste Nass der Welt. Wahrscheinlich schmeckt es nach Athen und nach Freiheit.

(Herrchen, der an alle möglicherweise im Untersetzer enthaltenen giftigen Nährsalze denkt und, um die Gesundheit des Tiers besorgt, die Katze wegscheucht, kriegt einen bösen Blick ab.)


27. Mai 2000

Vom 8. bis zum 25. Mai war ich in Indien und habe eine Story über Elas große Verwandte recherchiert, die vom Aussterben bedrohten Tiger. Im Bundessstaat Madhya Pradesh war es unglaublich heiß, fast 50 Grad, und es war sehr anstrengend – man sitze einmal vierzehn (!) Stunden am Stück auf einer ungepolsterten Sitzbank auf der Ladefläche eines Pickup, der von Schlagloch zu Schlagloch holpert und springt.

Man weiß nach einiger Zeit nicht mehr, was schlimmer ist: die Sonnenglut, das Bocken des Fahrzeugs, das einen ständig in die Luft schleudert, das anstrengende Festklammern an heißem Blech, oder der Staub. Das übelschmeckende Wasser, das man aus Plastikflaschen in sich hineinschüttet, ist so heiß, dass man damit Tee aufbrühen könnte.

Die Vogelspinne, groß wie ein Topfdeckel, die in der Dusche auf mich zu marschierte, war auch nicht von schlechten Eltern ...

Aber wie kann man das Erlebnis beschreiben, auf einem Elefantenrücken drei Meter entfernt von einem echten wilden Königstiger zu sitzen und ihn anzuschauen, wie er in all seiner unglaublichen Herrlichkeit daliegt und in der Hitze hechelt und seinen Hirschkadaver bewacht? Wie kraftstrotzend und wunderschön sind diese Tiere! Wie man sie nur für ein paar Dollar abknallen oder vergiften kann!

Habe Elke den Original–Gipsabdruck einer Tigerpfote mitgebracht. Bis auf die Größe ist es ein Ebenbild von Elas Tatze.

Wo ich überall war, habe ich beinahe schon vergessen. Es war Delhi, Agra, Khajuraho, Nagpur und Bombay.

29. Mai 2000

Früh am Sonntagmorgen, für mich – immer noch von indischer Zeit regiert – eigentlich noch mitten in der Nacht, weil bereits wieder am Abend, wache ich auf, denn Ela brüllt.

Pflichtbewusst (»Das arme Tier hat Hunger!«) springe ich aus dem Bett, bevor ich überhaupt richtig aufgewacht bin und zu denken begonnen habe. Ela ist nicht zu sehen; sie sitzt unter dem Bett, bemerke ich, nachdem ich auf dem Boden herumgekrochen bin – eine unfreiwillige und sehr müüüde Morgengymnastik. Ela hat sich wahrscheinlich versteckt, weil das raffinierte Tier vor eventuellen Wutanfällen Herrchens sicher sein will.

Erst, als ich mit den Brekkies klötere, kommt die Katze hervorgetrippelt. (Wenn es zum Futter geht oder auf den Balkon, legt Ela eine ganz eigene Art des schnellen Trabs an den Tag. Es scheint, als ob bei dieser Version des eilfertigen Katzengeschwindschritts die Beine in ganz besonders wohlgeordneter Abfolge und Synchronität bewegt werden. Ela scheint laufen, rasen, sprinten zu wollen, sich aber nicht die Blöße der Gier geben zu wollen und deshalb nur zu gehen, das aber so schnell wie irgend möglich. Die Pfötchen fliegen. Wenn die Katze nicht so rundlich wäre und das Vergleichsobjekt so mager, würde ihr Flitzen an das eifrige Getrippel eines Regenpfeifers oder Strandläufers erinnern.)

Ich sehe die hastenden weißen Söckchen, mache die Futterdose auf, schneide ein Viertel der Pastete wie ein Tortenstück aus, hieve es auf einen sauberen Unterteller, zerteile die Masse mit dem Messer, kratze sie zu einem Häufchen zusammen, träufle etwas Sonnenblumenöl darüber, mische noch einmal durch, hauche das Gemisch warm und stelle es Ela hin.

Die riecht einmal, leckt ein halbes Mal, schaut mich mit einem Katzenblick an, der »Jetzt kapiere doch endlich!« sagt. Ich kapiere – und stöhne. Nicht Verpflegung, sondern Unterhaltung für die Dame ist angesagt – SPIELEN! Dabei bin ich noch sooo müde!

3. Juni 2000

Noch ein Pfoten–Stillleben: Ela liegt auf der Seite, alle vier weißen Pfötchen adrett auf engstem Raum geordnet. Sie sind weder gekreuzt noch gestapelt, sondern liegen in einer Reihe nebeneinander. Die beiden Hinterbeine sind ausgestreckt, die Füßchen dicht zusammengedrückt – das rechte ganz rechts, das linke links daneben. Die rechte Vorderpfote liegt, scharf abgeknickt, in einem Spalt, der sich zwischen dem linken Hinterfuß und dem linken Vorderfuß auftut, der ganz links liegt und als einziger seine rosa Bällchen zeigt.

Wie viele Pfötchenarrangements so eine Katze wohl beherrscht?

5. Juni 2000

Ela hat kurz vor Beginn der Heimfahrt, die wie jeden Sonntagabend gegen sieben Uhr stattfindet (meist ist die Katze schon darauf vorbereitet und hat sich bereits ausführlich für die Fahrt fein–geputzt) Hunger. Sie maunzt und tanzt in meiner Küche herum, aber Frauchen ist hart: »Futter gibt es zu Hause!« bescheidet sie streng. »Reise gehen!«

Und was tut Ela? Dieselbe Katze, die mich sonst so ungern verlässt, die – zu meiner diebischen Freude – in den Käfig geschoben werden muss und oft wenige Zentimeter vor dem Eingang noch abbiegen will, sich gegen die Pfosten der Türe stemmt, schnürt zu exakt diesem Transportmedium und nimmt vor der Eingangsklappe Aufstellung! »Na los!« heißt das, »lass uns fahren, dass ich was in den Magen kriege!«

6. Juni 2000

Es versteht sich von selbst, dass es unschicklich ist, mollige Mamsells im Pelzmantel auf der Toilette zu bespähen. Zwar trifft die Benimm–Regel, die vorschreibt, gewisse »Geschäfte« heimlich und verschwiegen auf »stillen Örtchen« zu erledigen, im Prinzip auch auf Ela zu. Doch sie fühlt sich selber in keiner Weise an menschliche Etikette und Takt–Regeln gebunden, sonst würde sie nicht so gern Stinkewürste abseilen, wenn (vielleicht sogar weil!) die Zweibeiner gerade ganz in der Nähe frühstücken oder dinieren. Der Knigge sieht das gar nicht gern!

Die Moral dieser Überlegung: Weil die Katze, was Zuschauer angeht, ein so unverkrampftes Verhältnis zur Darmentleerung hat wie die vielen Tausend in jeder beliebigen Minute zum gleichen Behufe auf Eisenbahnschienen hockenden Einwohner Bombays oder Delhis, deren magere Ärsche ich kürzlich bewundert durfte, hat auch Herrchen keine Probleme damit, dem Felidentier bei der Eiablage zuzuschauen.

Die Neugier entspricht selbstverständlich streng wissenschaftlichem Beobachtungsdrang, wird aber auch von den ungemein putzigen Verhaltenselementen angeregt, die Ela in ihrem Plastikklosett an den Tag legt.

Wenn das Grauchen im Wohnzimmer vom Schoß oder von ihrer Rajasthan–Steppdecke springt und in einem ganz bestimmten Tempo extrem zielbewusst und bis in die Fellspitzen motiviert aus der Tür schnürt, taub für alle Lockungen und Rufe, einen überaus determinierten Ausdruck in Antlitz und Körpersprache, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie zu ihrem Klo eilt.

Dort angekommen, inspiziert sie die Plastikschale mit ihren Streudünen zunächst von außen, schnüffelt ausgiebig, steigt dann merkwürdig zeremoniell, gewichtig und steifbeinig, ja beinahe gravitätisch, über den Rand in die Grube, dreht und wendet sich, riecht alles an, schnuppert und kontrolliert visuell. (Napoleon auf seiner Prunk–Toilette muss – natürlich auf seine Weise – ein ähnliches Zeremoniell an den Tag gelegt haben.)

Dann harkt sie mit ihrem weitgefächerten rechten Pfötchen durch das Streu wie ein felltragender Gold–Prospektor auf Nugget–Suche, schaufelt hier, schichtet dort um, riecht an jeder neu auftauchenden geologischen Schicht, examiniert »Funde« mit dem Interesse eines passionierten Archäologen.

Die Sorgfalt und Andacht, mit der sie vorgeht, ist rührend, drollig und putzig. Und niedlich ist es, wie sie ein Pfötchen als Katzenstandbein verwendet, während sie mit dem anderen halbkreisförmig »arbeitet«. Ob die Rührung daher kommt, dass dies die einzige Gelegenheit ist, Ela mit Begeisterung bei der »Arbeit« zu erleben, quasi beim sanitären Straßenbau?

Die Ergriffenheit schlägt schnell in Entsetzen um, wenn man Ela beobachten kann, wie sie frisch aus ihrem hinteren Ende gequollene oder beim »Umgraben« wieder ans Tageslicht getretene Würste aus wenigen Millimetern Entfernung anschnuppert – einen Ausdruck genuinen Interesses, großer Genugtuung und tiefer Zufriedenheit im Katzengesicht – von Ekel jedoch keine Spur!

Der Beobachter, der auch diese Seite des geliebten Tieres kennenzulernen trachtet, fasst es nicht. Muss der infernalisch stinkende Katzenkot nicht auf den superfeinen Geruchssinn Elas wirken wie Halogenscheinwerfer auf großpupillige Eulenaugen? Oder wie der Krach eines Rockkonzerts auf Fledermauslauscher?

Wie überleben die feingetunten und supersensiblen Sinneszellen ihrer Riechschleimhaut, die Frauchens olfaktorische Aura mit der gleichen Leichtigkeit aus einer großen Menschenmenge herausfischen können wie wir einen Fußball aus einer Kiste Kartoffeln, diese Tortur?

Aber ist das wieder zu anthropozentrisch gedacht? Vielleicht gefällt Ela ja der Geruch ihrer Fäkalien? Oder gibt ihr die Analyse des Kotduftes Aufschlüsse über die Güte der letzten Futterration? Wer weiß, vielleicht ist das Kotschnüffeln der Katzen ja sogar ein uralter Gesundheits–Selbsttest.

Dennoch spricht einiges dafür, dass Ela genau wie wir ein leicht gestörtes Verhältnis zu ihren Fäkalien hat: Nach jedem Stuhlgang jault und jammert sie (etwa: »Aua–aua–aua! Hat das wehgetan! Mein ganzer Po brennt wie Feuer!«), und wenn sie ihr Ärschlein putzen muss, schaut sie ganz angeekelt. Manchmal sitzt sie an ihrer Hinterputzstation direkt vor der Küchentür im Korridor, mit dem Rücken an die rechte Wand gelehnt, wie ein Betrunkener im Lehnsessel balancierend, und starrt Frauchen regelrecht böse an: »Mach du das, Frauchen!« soll das wohl heißen, oder »Das ist scheußlich! Wieso muss ich das machen?«

Ist Elke (die Katzenkot auch nicht sonderlich mag!) gezwungen, Elas Hintern abzuwischen, weil da wieder frische Würste oder alte Knödel oder Krusten im Fell baumeln, wird das Tier fuchsteufelswild. (»Lass gefälligst meinen Po in Ruhe, du Katzengrapscherin!«)

Dennoch gehört das, was Ela uns zeigt von ihrem geheiligten Ritual der Darmentleerung, genauso zu ihrer Persönlichkeit wie das Schmusen und das Schnurren. Vielleicht ist das Bespähen der Toiletten–Gewohnheiten draller Feliden–Damen sogar noch wichtiger, denn auch die Klo–Usancen der Katze zeigen uns Menschen immer wieder, wie wenig wir unsere Stubentiger verstehen. Da gibt es noch viel zu tun.