Das Buch von Ela

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Erst letzte Woche wurde ich Zeuge, wie wild das erwachsene »Baby« sein kann: Ich saß mitten in der Nacht in meinem Sessel, durch abscheuliche Zahnschmerzen am Schlaf gehindert, als es in der Küche rumste und rappelte. Ich stand auf, um nach dem Rechten zu sehen und Ela dran zu hindern, Elke zu wecken.

Die Katze saß in der Küche und maunzte mich übermütig an. Es lag nichts auf dem Boden, aber kürzlich hat sie einen gusseisernen Topf–Untersetzer in Hühnerform vom Schrank geschubst. Ich glaube, sie könnte versucht haben, einen dort geparkten Kasten voll leerer Colaflaschen mit dem schweren Teil zu »bombardieren«. Sie verfehlte ihn nur um Zentimeter.

Der Krach stammte wohl daher, dass sie den Stuhl, von dem sie oft auf Herd und Schrank springt, beim Absprung an den Marmorküchentisch katapultiert hatte.

Ich warf ihr ein paar Brekkies zu, ging wieder ins Wohnzimmer und setzte mich. Auf einmal flog die schwere Tür auf, die bis auf einen Spalt geschlossen gewesen war, um das Licht vom Schlafzimmer fernzuhalten, als hätte Uwe Seeler ihr einen Tritt versetzt, und die Katze schoss schreiend herein und machte eine Vollbremsung vor der Balkontür. Unglaublich: Der gleiche Stubentiger, der im »Zivilleben« ratlos und kläglich maunzend vor angelehnten Türen verharrt, muss – da Uwe Seeler fern war – die hohe und massive Eppendorfer Tür mit dem Schädel aufgestoßen haben!

Ich ließ das rabiate Kätzchen ins Freie, hatte später aber viel Mühe, Ela aus dem Graskasten wieder in die Wohnung zu locken. Ich musste mir etwas anziehen und sie aus ihrer Katzenwiese heben, denn es war viel zu kalt, als dass sie dort stundenlang hätte liegen können. Ela hat in letzter Zeit wiederholt Katzenschnupfen gehabt.

Damit möchte ich nur sagen, dass unser Tier eine echte Katze ist. Mit der Aufzeichnung ihrer Gewohnheiten, Schrullen, Ticks und Eskapaden beim Essen und Trinken, Kuscheln und Schmusen, Schlafen, Spielen, Toben und Putzen, bei allem eben, was Katzen tun, und bei allem, was sie gemeinhin – oder in der Vorstellung der beobachtungsfaulen oder –unfähigen Halter – nicht tun, etwa dem Sprechen und Verstehen (beides für unser manchmal geniales Grauchen eine leichte Übung) will ich Elas Wesen lebendig werden lassen.

Ich hoffe, dass ich dem Charakter unseres Grauchens einigermaßen gerecht werde. Er ist nämlich unglaublich vielschichtig, und das Katzentier hat so viele Eigenheiten, Marotten und Gewohnheiten, dass man einen Ganztagsschreiber bräuchte, wollte man sie alle aufzuzeichnen. Ein gestresster Stern–Reporter, der die »graue Eminenz« nur ab und zu sieht, reicht da einfach nicht.

Ein Beispiel ist Elas Verhältnis zu Türen. Wie eben schon erwähnt, schafft es Ela einerseits nicht (oder ist schlicht zu vornehm), angelehnte Türen mit ihren kräftigen Ärmchen zu öffnen. Andererseits hasst sie geschlossene Zimmerportale aus tiefstem Katzenherzen.

Elke muss stets ihre Gäste warnen, nach vollendeter Erleichterung die Klo–Pforte nicht mit Schwung zu öffnen; denn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sitzt Ela vor der Tür und grämt sich über den verhassten Anblick – und wohl auch den Verstoß gegen die von ihr erlassenen »Katzen–Hausordnung«.

Sicher werden Elas kulinarische Vorlieben, ihr Speiseplan und ihre Tischsitten in diesem Tagebuch viel Platz beanspruchen. Nicht, weil unser Grauchen ein Vielfraß ist. Ela ist, was die Kalorienaufnahme angeht, einmal ein gierig–gefräßiges Katzenluder, dessen Tischmanieren zu wünschen übrig lassen, ein anderes Mal ein anspruchsvolles, wählerisches und verwöhntes Salongeschöpf, das an gewöhnlicher Nahrung nur nippt und wirkliches Interesse erst bei Delikatessen zeigt.

Sie betrachtet es als selbstverständliches Privileg, immer nur einen Teil des Doseninhalts zu essen und den Rest vertrocknen zu lassen. Sie meint offenbar, nur die erste Portion aus einer Futterbüchse sei genießbar und ihrer würdig, und der Rest des Inhalts sei dazu da, weggeworfen oder an weniger edle Katzen verteilt zu werden – in Anlehnung an ein mittelalterliches Recht von Landgrafen eine Art jus primae portionae.

(Das heißt: wer weiß, was wäre, wenn Ela wüsste, dass die verschmähte Nahrung tatsächlich an fremde Katzen ginge? Gut möglich, dass sie ihr Futter dann restlos wegputzte – nur, damit die anderen nichts bekämen!)

So sieht sie es als eine Art Affront, wenn man sie zwei– oder dreimal, am Ende gar viermal! aus ein und demselben Döschen zu verpflegen trachtet. Für sie ist das eine unerhörte Barbarei! Welcher Mensch, höre ich sie maunzen, isst schon viermal hintereinander Labskaus, Sauerbraten oder Chili con Carne?

Während sie sich meist noch dazu herablässt, bei Portion zwei und drei das Futter auf ihrem Tellerchen von links nach rechts oder von oben nach unten zu lecken und dabei etwaige Pflanzenölbeimengungen heraus zu lutschen, ist die vierte Portion für unsere Katze nichts weniger als ein Anschlag auf Ehre, gesellschaftlichen Status, Gesundheit, Magenschleimhaut, ja, das schiere Überleben!

Brekkies mag sie immer, und das Betteln beziehungsweise die Jagd nach den Knackbonbons macht einen wichtigen Teil ihres kätzischen Tagesgeschäfts aus. Sie wird verschiedener Leckerbissen, die sie an Anfang vor begeisterter Gier quasi einatmete, schnell müde.

Beispiele für den Gewöhnungseffekt sind Ardenner Leberpastete, die es lange sonntags zum Frühstück gab, und Tartar, auf Hamburgisch Beefsteak–Hack, das immer Samstag zur Begrüßung serviert wird, wenn Elke das Prinzesschen fürs Wochenende aus ihrer Wohnung in meine bringt.

Ungeachtet ihres sensiblen Gaumens isst die Katze manchmal die komischsten Sachen, die keinesfalls auf ihrem Speiseplan stehen können – etwa Toppas, die aus stranggepresster Getreidemasse gesponnene Cerealien–Minikissen, die sie sich aus Frauchens Frühstücksschüssel angelt, oder eine Spaghetti–Nudel von italienischer Originallänge, die ihr Herrchen von oben in den (wahrscheinlich allein wegen des anheftenden Pelzes von geriebenem Parmesan–Käse) gierig geöffneten Rachen sinken ließ.

Oder Joghurt (Geschmacksrichtung Erdbeere, genommen wird auch Birne mit Pfirsich, aber nur von der Marke Landliebe) und vieles mehr, das Gegenstand der nachfolgenden Aufzeichnungen sein wird.

Da Herrchen und Frauchen so oft wun–der–ba–re Delikatessen zu sich nehmen (gebratene Hühnerbeine oder gar Hähnchenhälften aus saftigem warmem weißem Fleisch (hmmm, Fleiiiisch!!!), duftenden französischen gekochten Schinken, mäulchenwässernden mürben mittelreifen Appenzeller Käse, kaum gesalzenen, auf der Zunge zergehenden Räucherwildlachs oder fette, butterweiche geräucherte Makrelenfilets!) erwachen in Ela automatisch die Gaumengelüste, wenn wir essen.

Auf dem Tisch inspiziert sie gern das Futter der kauenden zweibeinigen Oberkatze derart gründlich, dass sie ihre Nase beinahe in Frauchens Essen taucht.

Aber man ist ja kein Hund; der alles ungesehen wegschluckt, was ihm sein Herrchen zuwirft; man ist eine Katze. So gibt es bei dem Grauchen keine Automatismen: Der parmesanüberpuderte Vierzig–Zentimeter–Spaghetto blieb ein Einzelfall, ein gastrointestinaler Katzenirrtum sozusagen, und beim Tartar brilliert Ela in ihrer Rolle als unberechenbares Kleinraubtier. Sie ignoriert die roten Kügelchen, wolft sie in Sekunden weg, ziert sich nörglerisch – oder sie konsumiert die Leckerei nur unter der Bedingung, dass ich sie ihr persönlich auf meiner Hand serviere, einzeln natürlich – und jedes Kügelchen vorher sorgfältig warmgepustet habe.

Jetzt kann man als Mensch natürlich nicht wissen, ob das Prinzesschen beim Naschen von Tartar deshalb zögert, weil das Schabefleisch aus dem Kühlschrank kommt (wo man Rinderhack aufzubewahren hat) und folglich noch ein wenig zu kühl sein könnte.

Ela leidet ja immer wieder an Problemen mit Zahnstein sowie Paradontose und hat als Folge möglicherweise kälteempfindliche Zahnhälse. Ob sie zulangt, weil die Speise von Herrchen persönlich auf Konsumiertemperatur gebracht wurde, oder weil sie sich einfach darüber freut, dass ich mich so um sie kümmere und sie liebevoll verköstige?

Wer kann schon ins Herz einer Katze blicken?

Versuchen wir es einmal.


2. Januar 2000

Es hat ein wenig geschneit, und der weiße Kristallflaum deckt gnädig die bunten Kadaver der zerplatzten Knallkörper zu, die in Hamburg–Eppendorf Straßen, Trottoirs und Terrassen sprenkeln. Es ist schweinekalt, und Ela verbringt die Wintertage zusammengerollt auf ihrer Lieblingsdecke, oder sie steckt ihre Nase im Tiefschlaf in die heißen Lamellen der Heizung.

Angesichts der weißen Pracht kommt uns eine gemeine Fotoidee: Ela im Schnee. Dieses Bild fehlt in unserem immer größer werdenden Archiv von Ela–Schnappschüssen.

Zwar müssen wir dazu das Grauchen aus seiner Faulenzia erwecken und auf den Balkon treiben, wo eine etwa drei Zentimeter dicke weiße Schicht liegt. Aber das Tier war in den letzten Tagen dermaßen bequem, dass ihm etwas Bewegung oder auch ein wenig Adrenalin in den Adern nur gut tun kann – denken wir.

Also packt Elke das träg–warme Tier, öffnet die Tür zu meinem vorderen Balkon und setzt Ela hinaus. Ich halte die Nikon schussbereit. Ich sehe das Bild schon vor mir: Ela sitzt im Schnee und schüttelt anklagend ein unterkühltes Pfötchen in der Luft aus, wie sie das manchmal tut, wenn eine Tatze nach einem harten Aufsprung schmerzt.

Ich löse aus, kaum dass die Katze im Freien ist – habe mein Wunschfoto aber wohl verpasst. Denn kaum hat Ela mit den Sohlen die eisige Schicht berührt, ist sie mit einem Riesensatz wieder ins Warme zurückgeschnellt. Im Balkonschnee zeichnen sich nur vier Tapser ab. Die sind, wie sich später erweist, auch auf dem Foto zu sehen. Sonst nichts.

 

Unser Grauchen reagiert seinen Ärger über unseren »Anschlag« an seinem Lamettahaufen ab. Elke hat ihr das Bündel bunter Plastik– oder Metallstreifen überlassen, statt es auf den Weihnachtsbaum zu drapieren, weil Ela gar zu schön damit spielt. Sie hechtet mit Anlauf hinein, als gelte es, eine darin verborgene Maus zu schnappen, verhakt sich in dem Geschlinge, dreht sich auf den Rücken, deckt sich dabei mit Lametta zu, verbeißt sich in das Zeug.

Mir ist dabei nicht wohl: Die Fäden könnten giftig sein. Sie kommen bestimmt aus Fernost, und es ist unwahrscheinlich, dass man dort bei Christbaumschmuck irgendwelche Lebensmittelstandards beachtet. Ich würde ihr das Lametta gern abnehmen, aber dann sage ich mir, dass ich unter berufsbedingter Schwarzseherei leide und überall Toxisches wittere. Lass das süße Tier spielen!

4. Januar 2000

Ela hockt in Elkes Küche auf der Arbeitsplatte vor dem Fenster und versucht, Elke, die ihr gegenüber am Küchentisch sitzt und malt, mit Blicken zu durchbohren. Die Botschaft der sehnsuchtsvollen Augen ist klar: »Gib mir Brekkies!« Immer, wenn sich Elkes und Elas Blicke kreuzen, kommt ein leises »Mau?« aus ihrem schnurrbartstachligen Mund, fragend und piepsig, aber trotzdem fordernd.

Weiterhin ungehört, tigert sie ein paar Mal am Rand des Abgrundes hin und her – zwischen Arbeitsplatte und Küchentisch klafft ein Spalt von rund einem Meter –, setzt sich wieder und schickt noch ein »Mau?« los.

Wieder der hungrige Hypnoseblick oder seine verschärfte Ausführung, ein entmutigter, traurig resignierter Seitwärtslook mit der Botschaft »Ich armes, armes Tier werde überhaupt nicht beachtet!!!«, dann erneut direkter Augenkontakt und »Mau?«. So geht das eine halbe Stunde oder länger.

Fruchtet alle Pantomime nichts, geht Ela zu akustischer Kriegsführung über. Sie singt »Mau« oder »Mauuu«, »aunz«, »Auuu!« oder »Ma«, in allen Variationen und Stimmlagen. Nach einem solchen Ständchen gewinnt sie meist: Elke steht auf und gibt ihr Katzenkuchen.

6. Januar 2000

Das Grauchen thront in Elkes Küche auf der Arbeitsplatte, der Absprungbasis für seinen »Todessprung« zum Küchentisch. Auf dem Gasherd steht ein Topf, in dem Frauchens Eier kochen.

Als das Wasser heißer wird, beginnen die Eier zu tanzen und zu hopsen, machen klopfende und pochende Geräusche. Ela spitzt die Lauscher. Sie nähert sich dem kleinen Topf, der einen Glasdeckel hat, sodass sie hindurchschauen kann, und beäugt die hüpfenden Eier, die Wasserwirbel und die quirlenden Dampfblasen. Sie findet das spannend und kommt immer näher, bis sie mit dem Schnäuzchen bis in die Dampfwolken gerät, die unter dem Deckel hervor strömen.

Frauchen warnt das neugierige Tier (»Ela, pass auf, du verbrennst dir die Nase!«) aber Ela hat die Hitze schon gespürt und sich zurückgezogen. Doch bleibt sie ganz in der Nähe des Topfes sitzen und bewacht ihn.


12. Januar 2000

Um an ihre Brekkies zu gelangen, geht Ela durch dick und dünn. Gestern Vormittag versucht sie, Elke aus dem Bett zu jaulen, um sich verpflegen zu lassen. Nach einigen Katzen–Arien, quasi als musikalischer Nachtisch vorgetragen, gibt sie auf, kommt wieder ins Bett gehüpft und kuschelt sich an ihr Frauchen. Doch dann klingelt das Telefon, und Ela verlässt überstürzt ihr Plätzchen an Elkes Bauch.

Nachdem Elke eine Dreiviertelstunde telefoniert hat, hört sie ein verdächtiges Scheppern aus der Küche. Sie beendet das Gespräch, das ja wirklich lange genug gedauert hat, und steht auf, um nach dem Rechten zu sehen.

Als Elke in die Küche kommt, schießt Ela ihr über die Schulter einen unwirschen Blick zu, der »Hab’ ich Dich endlich aus dem Bett gekriegt!« sagt. Die Katze ist von ihrem »Hochsitz« auf dem Abfalleimer über den Heizkörper auf die Arbeitsplatte gesprungen, durch den Besteckkasten marschiert (das war das Scheppern gewesen) und hat sich über die Brekkies hergemacht.

Auf dem Küchentisch hat sie »aufgeräumt« – Elkes Füller, ihr Feuerzeug und die asiatischen Hausgötter liegen auf dem Boden.


18. Januar 2000

Ela hat sich auf ihrer Lieblingsdecke niedergelassen. Sie liegt aber nicht wie üblich zusammengekugelt oder hingestreckt, auf die Seite gerollt, mit verdrehtem Kopf da, sondern kerzengerade in Richtung Sofaarmlehne und steckt den Kopf in das Wasserbüffelleder. Es sieht ziemlich unbequem aus, und Elas Gesicht, das sie in die Kuscheldecke drückt, die bis zur Hälfte der ledernen Sofaseite hochreicht, ist relativ ungnädig.

Als passe ihr die Lage nicht, wendet sie den Kopf nach rechts, dass seine linke Seite in die Decke gepresst wird, blinzelt ins Licht ihrer IKEA–Wärmelampe und – Kommando zurück! – dreht ihn wieder nach links.

Ich trete näher, um zu ergründen, wieso Ela freiwillig Ungemütlichkeit in Kauf nimmt. Eigentlich kann das nicht sein. Aber – natürlich – habe ich mich getäuscht: Die Katze hat sich so aufs Sofa drapiert, weil sie in der beschriebenen Lage zwei dicke Falten der Decke, die sich an der Seite des Sofas emporschieben, als Kopfstützen nutzen kann!

22. Januar 2000

Ich habe im Supermarkt einen Fehlgriff gemacht: Weil ich nur auf die blaue Farbe des »Bärenmarke«–Kartons geachtet, die blassblaue Beschriftung aber übersehen habe – und überdies gar nicht wusste, dass in unserer Zeit des fetten Überflusses neben Vollmilch noch Magermilch verkauft wird – ist mir eine Tüte Magermilch in den Einkaufskorb gerutscht.

Ohne Böses zu ahnen oder von meinem Shopping–Lapsus zu wissen, fülle ich einen Tiegel mit Milch und stelle ihn der Katze hin. Sie läuft zur Tränke, hält aber nur kurz den Kopf über den Rand des Schüsselchens (»Was ist denn DAS?«), prallt beim Anblick bzw. An–Ruch der Milch regelrecht zurück (»Ma–ger–milch!!! Eine Zu–mu–tung!!!«), dreht sich um (»Igitt, SOWAS trink ich nicht, pfui Spinne!«) und verlässt den Schauplatz der Beleidigung, jede Körperfaser Vorwurf und Entrüstung. Man meint, ein verächtliches »Pah!« zu hören.

(Herrchen, zuerst konsterniert und wieder einmal »diese unberechenbaren Katzen« für Elas untypisches Verhalten verantwortlich machend, wird später von Frauchen über seinen Missgriff aufgeklärt.)

29. Januar 2000

Ich tappe durch die dunklen Zimmer, um – wie immer – Ela ins Bett zu holen. Ich erfülle dabei nur Trägerdienste, denn das kapriziöse Katzenwesen weilt nur in Frauchens Federn. Also tappe ich ins Wohnzimmer, wo Ela auf ihrer Lieblingsdecke ruht, und stimme ein leises Warn– und Willkommens–Liedchen an, wie von Elke gelernt, allerdings in tieferer Tonlage, um das Tier sanft aus dem Schlaf zu wecken und freundlich auf den bevorstehenden Transport einzustimmen.

Tatsächlich, an Elas Platz leuchtet in der Finsternis ihr weißes Lätzchen. Also sitzt das Tier schon erwartungsvoll da und wartet nur darauf, hochgenommen und zu Frauchen getragen zu werden. Ich strecke meine Hände aus, erwarte, samtiges Fell zu fühlen, aber nichts da!

Spitze Zähne überall! Wo ich hin greife, sind spitzige Katzenhauer! Ela muss einen Rachen haben wie ein Hai oder sieben Mäuler wie Ungeheuer aus den griechischen Sagen, denn es ist unmöglich, nicht in die Beißer zu greifen, ob ich es nun links herum versuche oder mit Finten nach rechts. Jetzt kommen auch noch die Krallen dazu – ein wahres Stacheldrahtverhau!

Die Katze beißt mich in beide Hände – nicht bösartig oder brutal, aber doch so, dass ich es merke. Sie will, so scheint es, auf ihrer Decke bleiben und nicht in Frauchens Bett!

Da werde ich ob des nächtlichen Katzentheaters und vor Müdigkeit, es ist nach drei, ein wenig unwirsch. Ich greife entschlossen durch den Stacheldrahtverhau, packe die beiden Oberarme der Katze, ziehe das Tier zu mir hoch und gehe mit ihm ins Schlafzimmer. Und siehe da – Ela schnurrt begeistert!

31. Januar 2000

Zum Sonntagsfrühstück wird oft Lachs serviert. Ela liebt das mürbe rosa Fleisch meist (bis auf die Tage, wo sie es mit gerümpfter Nase und einem »Bäh!« im Gesicht verschmäht!). Ich kredenze der Katze fünf lange Streifen vom besten marinierten Salmo salar, die sie mir aus der Hand nimmt, auf das Cordsamtkissen ihres Stuhles – natürlich sitzt sie, wie sich das für Familienmitglieder geziemt, mit am Tisch – fallen lässt und dort »tötet« und zerlegt. Es sieht ganz so aus, als wolle sie nach Happen fünf die Portion sechs.

Da sage ich mehr zum Scherz (ist die Katze gierig und folglich gesund, freut sich bekannter weise der Mensch!): »Jetzt ist es aber genug, Ela. Du wirst zu DICK!« (Aus dem Hinterkopf drängt sich auch das Wissen in den Vordergrund, dass alles Gesalzene die Katzennieren schädigt und somit rationiert werden muss.)

PLUMPS!!! Ela ist vom Stuhl gesprungen, ganz plötzlich, unerwartet und im Affekt, quasi mitten im Kauen. Sie sitzt auf dem Boden, mir anklagend den Hintern zugewandt, und beginnt sich hektisch zu putzen – eine typische »Übersprunghandlung« peinlich berührter oder verärgerter Samtpfoten.

Hat sie verstanden, was ich gesagt habe, aber den Scherz nicht begriffen? Und wenn nein, wieso dann das Theater?

3. Februar 2000

Ich liege mit Ela im Bett – etwas ganz Seltenes, denn Ela hat eine tief sitzende Phobie vor meinem Lager – und kose ihr zartes Fell und ihr dickes rundes Bäuchlein. Immer, wenn ich zu streicheln aufhöre, spüre ich Elas warme, nur an der Spitze weiche, dahinter raspelharte Zunge, die meine Hand leckt – als wolle die Katze sagen: »Streichle mich weiter, dann putz’ ich Dich auch!«

5. Februar 2000

Natürlich ist Elas Schwanz kein Spielzeug – obwohl besonders für mich die Versuchung groß ist, den drallen samtpelzigen Schweif in dieser Richtung zu zweckentfremden. Zwar reagieren die meisten Katzen auf Berührungen ihres Sprung–Höhen– und –Seitenruders ähnlich allergisch wie junge Damen auf unsittliches Betatschen ihrer Brüste; unsere vertrauensvolle Ela ist in dieser Beziehung jedoch duldsam.

Dennoch bleiben die Kontakte mit dem pelzigen Anhängsel meist beschränkt aufs Bürsten (das findet Ela scheußlich schön), aufs Festhalten zwischen zwei Fingern beim Bauchkraulen in Katzen–Rückenlage (nimmt das Tier im Kauf) oder aufs Spiel Schwanzspitze–zur–Katzennase–ziehen (das findet Ela infantil und ignoriert ihren Schweif geflissentlich!).

Kürzlich aber haben sich Herrchen und Frauen zusammengerottet, um gemeinsam einen »Anschlag« auf den Katzenschwanz zu verüben. Das ging so:

Frauchen sitzt mit Ela auf dem Sofa, Herrchen hat sich auf allen Vieren auf dem Boden herangepirscht – in der Hoffnung, von der Katze nicht bemerkt zu werden. Frauchen hält den Katzenschweif zwischen zwei Fingern an der Spitze fest (während sie ihr Kätzchen kost), und Herrchen pustet leicht auf die dergestalt »ruhiggestellte« Rute.

Diese wogt nur leicht, zittert und bebt, da sie ja im Griff von Elke ist und somit nicht frei, um die Emotionen auszudrücken, die die Katzenbrust bewegen. Herrchen bläst noch ein– oder zweimal – für pusteempfindliche Katzen der dritte Grad der Folter – und wieder zuckt, erschauert und schlottert Ela Ausläufer in seiner Halterung.

Dann lässt Elke den Schwanz los – und all die aufgestaute Energie entlädt sich in einem wilden Wirbel. Das pelzige Ding fährt mir wie ein tollwütiger Rasierpinsel durchs Gesicht, peitscht meine Nase, rubbelt über meine Augen und schlägt mir um die Ohren.

Elke brüllt vor Lachen.

Als der gespeicherte Bewegungsdrang erschöpft ist wie bei einem Drehgummimotor, sinkt der Schwanz wieder auf das Sofa. Nach einiger Zeit, als Ela die Passivität offenbar zu einförmig wird, nähert er sich sogar kontaktsuchend und kundschaftend meinem Gesicht. (»Geht das feine Spiel weiter, oder was?«)

Sobald ich mich ihm aber mit dem Mund nähere oder auch nur tue als ob, schlenkert Ela ihr bepelztes Steuerruder schleunigst aus der »Gefahrenzone« – obwohl sie (nach menschlichem Ermessen) überhaupt nicht sehen kann, was da hinten geschieht.

 

So überreagiert sie zur Belustigung beider Katzenhalter oftmals. Kleinste Berührungen lösen wilde Wirbel aus, größere Stupser oder Puster aber meist nur erstaunte Trägheit.

Elke kann sich nicht sattsehen an dem explodierenden Aktivitätsstau, also puste ich auf ihr Geheiß wieder und wieder sanft in den arretierten Schweif, »lade« ihn quasi auf mit Energie, und Elke lässt ihn dann »explodieren«. Ela macht gutmütig mit.

Aber sie zeigt uns stets den Hintern, als wolle sie sagen: »Im Grunde find ich das Spiel ja ganz nett, aber zugeben würde ich das nie!«