Za darmo

Indiana

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Siebzehntes Kapitel

»Das ist eine jämmerlich erfundene Lüge!« sagte Raymon, »Sir Ralph sehnt sich nach einer Lektion, und ich will ihm eine geben …«

»Ich verbiete es Ihnen,« sagte Indiana mit kaltem, entschiedenem Tone. »Ralph hat nie gelogen. Mein Gatte ist hier, wir sind verloren.«

»Wohlan,« sagte Raymon, indem er sie begeistert in seine Arme schloß, »da der Tod uns droht, so verzeihe mir alles und laß in diesem erhabenen Augenblicke dein letztes Wort das der Liebe sein!«

»Dieser Augenblick des Schreckens, der kühnen Mut erfordert, hätte für mich der schönste meines Lebens werden können,« sagte sie, »aber du hast ihn mir verdorben.«

Das Rollen eines Wagens ließ sich im Hofe hören und eine ungeduldige Hand setzte die Glocke des Schlosses in Bewegung.

»Ich kenne diese Art zu klingeln,« sagte Indiana aufmerksam und kalt; »aber du hast noch Zeit zu entfliehen. Geh! ….«

»Nein, ich gehe nicht!« rief Raymon; »ich ahne einen schändlichen Verrat. Ich bleibe, meine Brust wird dich beschützen …«

»Hier ist kein Verrat im Spiele … Du hörst, die Diener sind bereits wach und das Gitter wird geöffnet … Flieh, die Bäume im Garten werden dich verbergen, und der Mond ist untergegangen. Kein Wort mehr, geh!«

Raymon war genötigt, zu gehorchen; aber sie begleitete ihn bis zur Treppe hinab und warf einen spähenden Blick auf die Baumgruppen des Gartens. Alles war ruhig. Sie blieb lange auf der letzten Stufe, angstvoll dem Geräusche seiner Tritte auf dem Sande lauschend. An ihren Gatten dachte sie nicht mehr. Was kümmerte sie sein Verdacht und sein Zorn, wenn nur Raymon außer Gefahr war.

Dieser eilte durch den Park, überschritt die Brücke und erreichte die kleine Pforte. Kaum war er draußen, als Sir Ralph zu ihm trat.

»Haben Sie die Gefälligkeit,« redete er Raymon mit kalter Höflichkeit an, »mir diesen Schlüssel anzuvertrauen, wenn man ihn sucht, wird es weniger auffallen, ihn in meiner Hand zu finden,«

Raymon hätte die tödlichste Beleidigung dieser spöttischen Großmut vorgezogen,

»Ich bin nicht der Mann, einen aufrichtigen Dienst zu vergessen,« sagte er, »weiß aber auch einen Schimpf zu rächen.«

»Ich verzichte auf Ihren Dank,« antwortete Ralph in unverändertem Tone, »und erwarte ruhig Ihre Rache; doch das ist keine Zeit zu einem Gespräch. – Da ist Ihr Weg – denken Sie an Frau Delmares Ehre.«

Und er verschwand.

Raymon kam mit Tagesanbruch in Cercy an und legte sich mit Fieberschauern zu Bette.

Indiana dagegen machte beim Frühstück voll Ruhe und Würde die Wirtin. Der Oberst war düster und sorgenvoll, seine Angelegenheiten beschäftigten ihn so vollauf, daß er für einen eifersüchtigen Verdacht keine Gedanken gehabt hätte.

Raymon fand erst gegen Abend die Sammlung wieder, an seine Liebe zu denken; aber diese Liebe hatte bedeutend abgenommen. Er liebte die Hindernisse, aber sie durften nicht so peinlicher Art sein, wie er sie jetzt voraussah, nachdem Indiana das Recht hatte, ihm Vorwürfe zu machen,

Endlich erinnerte er sich, daß die Schicklichkeit es erfordere, sich nach ihr zu erkundigen. Er schickte seinen Diener aus, in der Nähe von Lagny herumzustreifen, um zu erfahren, was daselbst vorgehe. Dieser Bote brachte ihm folgenden Brief, den Frau Delmare ihm übergeben hatte:

»In dieser Nacht haben Sie ein Wort zu mir gesprochen, das mir schmerzliche Freude gemacht hat.

Arme Noun! verzeihe mir! Sie haben gesagt, Raymon, Sie hätten mir diese Unglückliche geopfert, Sie liebten mich mehr als sie. Und doch hätte Ihr Betragen mich daran zweifeln lassen sollen. Wollen Sie versprechen, mich nie auf diese Weise zu lieben? O, nicht reiner geliebt zu sein, als sie es war! Wenn ich dies glauben müßte! …. Und doch war sie schöner als ich, weit schöner! Warum haben Sie mich vorgezogen? Sie müssen mich doch anders und tiefer geliebt haben …. Das wollte ich Ihnen sagen. Wollen Sie den Gedanken aufgeben, mein Geliebter zu sein, wie Sie der ihrige waren, dann kann ich auch ferner an Ihre Reue, an Ihre Aufrichtigkeit, an Ihre Liebe glauben; wo nicht, so werden Sie mich niemals wiedersehen. Vielleicht ist das mein Tod, aber ich will lieber sterben, als mich herabwürdigen.«

Raymon war sehr verlegen, was er antworten sollte. Dieser Stolz beleidigte ihn.

Von diesem Augenblicke an liebte er sie nicht mehr. Sie hatte seine Eigenliebe gekränkt. Für ihn war sie nicht einmal mehr das, was ihm Noun gewesen war. Arme Indiana! Sie, die mehr sein wollte! Ihre leidenschaftliche Liebe wurde verkannt, ihr blindes Vertrauen verachtet. Raymon hatte sie nie verstanden, wie hätte er sie lange lieben können!

Es war ihm nicht mehr darum zu tun, ein Glück zu erobern, sondern einen Schimpf zu rächen. Nach kühler Überlegung schrieb er folgende Antwort an Indiana nieder:

»Ich bin strafbar gewesen. Doch nein, ich war wahnsinnig. Vergiß diese Stunden. Ich bin jetzt ruhig; ich habe nachgedacht und fühle mich noch Deiner würdig …. Gesegnet seist du, Engel des Himmels, daß du mich vor mir selbst gerettet, mich erinnert hast, wie ich Dich lieben sollte. Ich werde Dein Freund, Dein Bruder sein, nichts mehr. Ich will sanft, unterwürfig, unglücklich sein, wenn ich nur noch ferner aus Deinem Munde höre, daß Du mich liebst. O, schenke mir Dein Vertrauen und mein Glück wieder; sage mir, wann wir uns wiedersehen werden. Ich weiß nicht, was in dieser Nacht nach meiner Entfernung vorgegangen ist; warum läßt Du mich darüber in Ungewißheit? Mein Diener hat Euch alle drei im Park spazieren gehen sehen. Der Oberst war niedergeschlagen, doch nicht zornig. Also hätte dieser Ralph uns doch nicht verraten? Seltsamer Mensch! Aber wie werde ich mich ferner in Lagny sehen lassen dürfen, da unser Schicksal jetzt in seinen Händen ruht? Ich werde es dennoch wagen, und müßte ich mich auch demütigen. Ich werde lieber alles tun, als dich verlieren. Um Deinen Willen verließe ich selbst meine Mutter; für Dich würde ich jedes Verbrechen begehen. Ach, wenn Du meine Liebe verständest, Indiana!«

Die Feder entsank Raymons Händen; er war müde bis Zum Einschlafen. Er schellte seinen Diener, trug ihm auf, das Billett noch vor Tagesanbruch nach Cercy zu tragen, und genoß dann jenes tiefen, erquickenden Schlafes, dessen Süßigkeit nur der Selbstzufriedene kennt.«

Frau Delmare brachte die Nacht mit Schreiben zu. Als sie Raymons Brief erhielt, antwortete sie eilig darauf:

»Dank, Raymon, Dank! Du gibst mir Kraft und Leben wieder. Jetzt kann ich alles ertragen; denn Du liebst mich; Dich schrecken die härtesten Proben nicht. Ja, wir werden uns wiedersehen, wir werden allem trotzen. Ralph mag aus unserem Geheimnis machen, was er will, ich mache mir darüber keine Sorgen. Du liebst mich, ich fürchte selbst meinen Gatten nicht mehr.

»Du willst wissen, wie unsere Angelegenheiten stehen? …. Wir sind ruiniert. Es ist die Rede davon, Lagny zu verkaufen und in die Kolonien zurückzukehren … Aber was kümmert mich das alles! Raymon, ich baue auf Dein Versprechen, rechne Du auf meinen Mut. Nichts kann mich schrecken, nichts mich von meinem Vorhaben abbringen. Mein Platz ist an Deiner Seite und nur der Tod wird mich von Dir trennen.«

»Überspannte Frau!« sagte Raymon, indem er das Billett in den Händen zerdrückte. »Romanhafte Pläne, gefährliche Unternehmungen schmeicheln ihrer Einbildungskraft. Ich habe gesiegt, meine Herrschaft ist neu begründet, und jene tollen Ideen, mit denen sie sich trägt – das wollen wir schon sehen! Immer sind diese leichtsinnigen, lügenhaften Wesen bereit, Unmögliches zu unternehmen! Wenn man diesen Brief liest, sollte man wirklich nicht glauben, daß sie ihre Küsse zählt und mit ihren Liebkosungen geizt!«

Noch an demselben Tage begab sich Raymon nach Lagny. Ralph war nicht da. Der Oberst empfing ihn aufs freundschaftlichste und sprach voll Vertrauen mit ihm. Er führte ihn in den Park, um ungestörter zu sein. Dort sagte er ihm, daß er gänzlich zu Grunde gerichtet sei, und die Fabrik schon am folgenden Tag zum Verkauf ausschreiben werde. Raymon bot seine Hilfe an.

»Nein, lieber Freund,« entgegnete der Oberst, »schon der Gedanke, meine Stellung Ralphs Gefälligkeit zu verdanken, ist mir zu peinlich gewesen, es verlangt mich, meinen Verbindlichkeiten gegen ihn nachzukommen. Der Verkauf dieses Grundstückes wird mich in den Stand setzen, alle meine Schulden auf einmal zu bezahlen. Es wird mir allerdings dann nichts mehr übrig bleiben, aber ich habe Mut, Unternehmungsgeist und Geschäftskenntnis. Ich habe schon einmal das Gebäude meines kleinen Glückes aufgerichtet, ich kann wieder von vorn beginnen. Ich bin es meiner Frau schuldig, die jung ist, und die ich nicht in Dürftigkeit hinterlassen mag. Sie besitzt noch ein kleines Haus auf der Insel Bourbon, dorthin will ich mich zurückziehen und mich wieder auf Handelsgeschäfte verlegen.

Raymon drückte des Obersten Hand. »Ich sehe mit Vergnügen,« sagte er, »daß Sie sich von diesen Unglücksfällen nicht niederbeugen lassen. Aber zeigt Frau Delmare denselben Mut? Fürchten Sie nicht ihren Widerstand gegen Ihren Auswanderungsplan?«

»Die Frauen sind zum Gehorchen da, nicht um Ratschläge zu erteilen. Ich habe meiner Frau meinen Entschluß noch nicht definitiv angekündigt und mache mich auf Tränen und Krämpfe gefaßt, und wäre es auch nur aus Widerspruchsgeist! Doch ich rechne auf Sie, lieber Raymon, daß Sie meiner Frau vernünftig zusprechen werden. Sie hat vertrauen zu Ihnen.«

Raymon versprach, am folgenden Tage wiederzukommen, um Indiana den Entschluß ihres Gatten mitzuteilen.

»Sie werden mir dadurch einen großen Dienst erweisen,« sagte der Oberst. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie ungestört mit ihr sprechen können.«

»Ei, das trifft sich ja herrlich!« dachte Raymon im Weggehen.

Achtzehntes Kapitel

Raymon sah voraus, daß diese Liebe, welche sich ihrem Ende näherte, ihm bald höchst lästig werden würde. Daher kam ihm auch das Mißgeschick des Obersten sehr gelegen. Für ihn handelte es sich nur noch darum, sich Indianas Übersprung geschickt zu nutze zu machen und dann seinem guten Sterne die Sorge zu überlassen, ihn von ihren Tränen und Vorwürfen zu befreien.

 

Am folgenden Tage begab er sich daher nach Lagny.

»Indiana,« begann er seine Unterredung mit ihr, »ahnst du wohl, mit welchem Auftrage mich dein Gatte betraut hat? Ich soll dich bitten, ihn nach der Insel Bourbon zu begleiten, ich soll dich überreden, mich zu verlassen, mir das Herz aus dem Leibe zu reißen. Glaubst du, daß er seinen Advokaten gut gewählt hat?«

Der düstere Ernst Indianas zwang Raymon trotz seiner Kunstgriffe dennoch eine gewisse Achtung ab.

»Warum willst du von dem allen mit mir sprechen?« fragte sie; »fürchtest du, daß ich gehorche? Beruhige dich, Raymon, mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin bereit, den kühnen Schritt zu tun, zu dem mein Geschick mich treibt, und du wirst ja meine Stütze, mein Führer sein!«

Raymon erschrak vor Indianas ruhiger Zuversicht. Übrigens war er immer noch in der Meinung, daß Indiana ihn eigentlich nicht liebe und ihre überspannten Ideen nur aus Romanen geschöpft habe, um sie jetzt auf ihre Lage anzuwenden. Er nahm seine leidenschaftliche Beredsamkeit, seine poetische Phantasie zu Hilfe, um sich auf gleicher Höhe mit seiner romanhaften Geliebten zu halten, und es gelang ihm, ihren Irrtum zu verlängern.

Raymon fürchtete jedoch, Indiana könne ihn beim Wort nehmen und ihn zur Erfüllung seiner Verheißungen zwingen, wenn er nicht geschickt den von ihr entworfenen Plan unterminierte. Daher überredete er sie, bis zu dem Augenblick, wo es Zeit zum offenen Widerstand sei, dem Anschein des Einverständnisses oder der Gleichgültigkeit anzunehmen.

Ralph wollte durchaus seinen unglücklichen Freunden helfen. Er bot sein ganzes Vermögen, sein Schloß Bellerive, seine Renten aus England und den Verkauf seiner Plantagen in den Kolonien an; doch der Oberst war unbeugsam. Er wollte keinerlei Opfer von ihm annehmen. Ralph verpachtete Bellerive und begleitete Herrn und Frau Delmare nach Paris, bis zu ihrer Abreise nach der Insel Bourbon.

Lagny wurde mit der Fabrik und allem Zubehör zum Verkauf gestellt. Der Winter verfloß für Indiana traurig und düster. Wohl war Raymon in Paris, wohl sah er sie alle Tage; er war voll zarter Aufmerksamkeit für sie, aber er blieb stets nur kurze Zeit und nur in Anwesenheit ihres Gatten.

Raymon hatte Grundsätze, wie wir schon gesagt haben. Als er sah, welche Freundschaft, welches Vertrauen der Oberst ihm schenkte, wie er ihn für das Muster der Ehrenhaftigkeit hielt und wie er fast auf seine Vermittlung zwischen sich und seiner Frau brannte, da entschloß er sich, dieses Vertrauen zu rechtfertigen, diese Freundschaft zu verdienen und die beiden Gatten zu versöhnen. Er wurde wieder moralisch, tugendhaft, Philosoph. Es wird sich zeigen, auf wie lange.

Indiana, welche diese Umwandlung nicht verstand, litt furchtbar, sich so vernachlässigt zu sehen; doch war sie harmlos genug, sich den völligen Ruin ihrer Hoffnungen nicht einzugestehen, denn sie ließ sich leicht täuschen. Ihr Gatte trug vor der Welt den stoischen Gleichmut eines charakterfesten Mannes zur Schau, zu Hause aber war er nur noch ein reizbares Kind. Indiana hatte darunter schwer zu leiden. Eine gewöhnliche Frau würde diesen Mann beherrscht haben, sie wäre auf seine Ansichten eingegangen und hätte sich ihr Bestes dabei gedacht; sie hätte sich scheinbar seinen Vorurteilen angeschlossen, um im stillen sich darüber lustig zu machen, sie würde ihm geschmeichelt, würde ihn getäuscht haben. Aber Heucheln und Täuschen war in ihren Augen ein Verbrechen und zwanzigmal in einem Tage war sie im Begriff, ihrem Gatten zu gestehen, daß sie Raymon liebe; nur die Furcht, den Geliebten zu verlieren, hielt sie davon zurück. Ihr kalter, schweigender Gehorsam reizte den Oberst weit mehr, als offener Widerstand es vermocht hätte, denn er mußte sich gestehen, daß er wohl befehlen, aber nicht überzeugen könne. Wenn er zuweilen eine verkehrte Anordnung tat, die Indiana, ohne ihre richtigere Meinung geltend zu machen, mit der mechanischen Unterwerfung eines Sklaven ausführte, und wenn er dann sehen mußte, wie sehr die Folgen ihres blinden Gehorsams sein Interesse schädigten, so geriet er in furchtbare Wut, und das schlimmste dabei war, daß er sich selbst als Schuldigen anklagen mußte. In solchen Augenblicken hätte er Indiana umbringen können.

Und doch liebte er im Grunde seines Herzens diese schwache Frau. Wenn er des Morgens in ihr Zimmer trat, in der Absicht, mit ihr zu zanken, so fand er sie zuweilen schlafend und wagte nicht, sie aufzuwecken. Er betrachtete sie schweigend, erschrak über ihre Zartheit, über die Blässe ihrer Wangen, über den Ausdruck schwärmerischer Ergebung, der sich in diesen stummen Zügen aussprach. Dann schämte er sich, daß ein so schwächliches Wesen auf sein Geschick einen Einfluß gewonnen hatte, auf ihn, den Mann von Eisen, gewohnt, durch ein einziges Kommandowort ganze Schwadronen in Bewegung zu setzen.

Dieses Weib, fast noch ein Kind, das er, wenn er gewollt hätte, mit seiner Hand hätte zerdrücken können, da lag sie, hinfällig, unter seinen Augen vielleicht von einem andern träumend und selbst im Schlafe ihm trotzend. Er fühlte sich versucht, sie an den Haaren herumzuschleifen, um sie zu zwingen, um Gnade zu bitten; aber sie war so hübsch, so zierlich, so weiß, daß er sich ihrer erbarmte, wie das Kind vom Anblick des Vögleins gerührt wird, das es töten wollte. Und er weinte wie ein Weib, dieser eherne Mann, und entfernte sich, damit sie nicht den Triumph genießen sollte, seine Tränen zu sehen. In der Tat, es war schwer zu entscheiden, wer unglücklicher war, ob sie oder er. Herr und Frau Delmare hatten in Melun und Fontainebleau einige wohlhabende Familien kennengelernt, die den Winter in Paris zubrachten und hier das Ehepaar aufsuchten. Diese kleinstädtischen Menschen wurden nun die eifrigsten Zwischenträger und suchten die Gatten auszusöhnen, die doch niemals in Streit gerieten. Die einen rieten Frau Delmare zur Unterwerfung und sahen nicht, daß sie darin schon des Guten zu viel tat; die anderen rieten dem Gatten, streng zu sein und sein Ansehen nicht unter den Pantoffel kommen zu lassen. Nichts wurde von diesen klatschsüchtigen Leuten, unter dem Vorwande, Frieden zu stiften, unversucht gelassen, die Lage des so ungleichen Ehepaares zu verschlimmern und ihre gegenseitige Hartnäckigkeit noch zu schüren.

Ralph war klug genug, sich in ihre Zwistigkeiten nicht zu mengen. Indiana hatte geargwöhnt, er werde Raymon bei ihrem Gatten verdächtigen; doch das fortdauernde gute Einvernehmen zwischen diesen beiden war ihr ein überzeugender Beweis von der Verschwiegenheit ihres Vetters. Sie fühlte jetzt das Bedürfnis, ihm zu danken; aber er wich ihren Versuchen aus. Sie bemühte sich daher, ihm ihre Dankbarkeit durch freundliche Fürsorge und kleine zärtliche Aufmerksamkeiten zu bezeugen; aber Ralph schien nicht darauf zu achten und Indianas Stolz wurde von dieser hochmütigen Großmut sehr gedemütigt. Um in ihm nicht die Meinung zu erwecken, als habe sie ihn durch jene zarten Auszeichnungen nur in seiner Nachsicht und Verschwiegenheit bestärken wollen, nahm sie gegen den armen Ralph wieder ein kaltes, gezwungenes Wesen an. Sein Benehmen erschien ihr als der ausgebildetste Egoismus; er schien sie zwar zu lieben, aber nicht mehr zu achten. Ihre Gesellschaft schien ihm nur zu seiner Zerstreuung zu dienen, seine Besuche nur eine gewohnheitsmäßige Sache, ihre Fürsorge für seine kleinen Bedürfnisse nur etwas Selbstverständliches zu sein.

Neunzehntes Kapitel

Indiana machte Raymon keine Vorwürfe mehr, seit sie gefunden hatte, daß er sich nur lau verteidigte. Mehr noch als eine Erkaltung seiner Liebe, fürchtete sie, von ihm verlassen zu werden. Sie konnte nicht mehr leben ohne die Hoffnung auf die Zukunft, die er ihr versprochen hatte, denn das Leben mit ihrem Gatten und Ralph war ihr verhaßt geworden, und wenn sie nicht darauf hätte rechnen dürfen, der Herrschaft dieser beiden Männer bald entzogen zu werden, so würde auch sie sich ins Wasser gestürzt haben. Sie dachte oft daran; wenn Raymon sie wie Noun behandle, sagte sie sich, so bliebe ihr kein anderes Mittel, einer unerträglichen Zukunft zu entgehen, als Noun nachzueilen.

Die zur Abreise festgesetzte Zeit näherte sich. Der Oberst schien an einen Widerstand seiner Frau kaum ernstlich zu denken und ordnete seine Angelegenheiten. Alle diese Vorbereitungen beobachtete Indiana mit größter Ruhe, denn ihr Entschluß stand fest. Sie suchte im voraus an ihrer Tante, der Frau von Carvajal, einen Schutz zu finden, sie gestand ihr ihren Widerwillen gegen diese Reise, und die alte Marquise, welche, obgleich in allen Ehren, in der Schönheit ihrer Nichte eine Anziehungskraft für ihre Gesellschaftsabende sah, erklärte, es sei des Obersten Schuldigkeit, seine Gattin in Frankreich zu lassen, es grenze an Barbarei, sie bei ihrer zarten Gesundheit den Strapazen einer Seereise auszusetzen. Herr Delmare betrachtete diese Andeutungen als leeres Geschwätz, und auch als sie durchblicken ließ, daß Indiana ihre Erbin nur werden würde, wenn sie hier bleibe, blieb er fest.

Raymon kümmerte sich nicht mehr darum, was aus Indiana werden würde; diese Liebe war ihm völlig zur Pein geworden, ohne daß sie es ahnte.

Eines Morgens, als er von einem Balle nach Hause kam, fand er Frau Delmare in seiner Wohnung.

Sie war um Mitternacht gekommen und erwartete ihn seit fünf langen Stunden im ungeheizten Zimmer. Den Kopf in ihre Hand gestützt, saß sie mit jener düsteren Geduld da, welche das Leben ihr gelehrt hatte. Als Raymon eintrat, erhob sie den Kopf; in ihrem bleichen Gesicht war weder ein Ausdruck des Unmutes noch des Vorwurfes zu entdecken.

»Ich erwartete dich,« redete sie ihn sanft an. »Da du seit drei Tagen nicht zu mir gekommen bist, und in dieser Zwischenzeit Dinge vorgegangen sind, die du unverzüglich wissen mußt, so bin ich um Mitternacht fortgegangen, um dich davon in Kenntnis zu setzen.«

»Das ist eine unverzeihliche Unklugheit,« erwiderte Raymon, indem er sorgfältig die Tür hinter sich schloß; »und meine Diener wissen, daß du hier bist, sie haben es mir gesagt.«

»Lassen wir das,« entgegnete sie kalt, »Höre, was ich dir zu sagen habe. Herr Delmare will in drei Tagen nach Bordeaux und von da nach den Kolonien abreisen. Du hast mir versprochen, mich vor Gewalt zu schützen; daß es so weit kommen wird, ist außer Zweifel. Ich habe mich gestern abend erklärt, daraufhin schloß Herr Delmare mich in mein Zimmer ein. Ich bin durch ein Fenster entschlüpft, sieh, meine Hände sind noch blutig. In diesem Augenblick sucht man mich vielleicht; Ralph könnte vermuten, wo ich bin, aber er ist in Bellerive. Ich bin entschlossen, mich zu verbergen, bis Herr Delmare sich darein ergeben hat, ohne mich zu reisen. Hast du daran gedacht, mir einen Zufluchtsort zu sichern? Seit so langer Zeit habe ich dich nicht allein sprechen können, daß ich nicht weiß, wie weit du mit deinen Vorbereitungen bist. Mit Ergebung ertrug ich die Kürze deiner Besuche, den Zwang in unserer Unterhaltung, die Vorsicht, womit du jedes vertraulichere Gespräch mit mir zu vermeiden suchtest. Dennoch hat mein Vertrauen zu dir keinen Augenblick gewankt. Heute will ich mir den Lohn für mein vertrauen holen; der Augenblick ist gekommen; sprich, nimmst du mein Opfer an?«

Es war keine Zeit mehr, die Täuschung aufrecht zu erhalten, Raymon war wütend, sich in seiner eigenen Schlinge gefangen zu sehen.

»Du bist wahnsinnig!« rief er, sich in seinen Lehnstuhl werfend. »In welchem Roman für Kammerzofen hast du deine gesellschaftlichen Studien gemacht?«

Er schwieg, da er fühlte, er sei zu ungestüm.

Indiana war ruhig, wie jemand, der sich auf das Schlimmste gefaßt macht.

»Fahre fort,« sagte sie, ihre Arme über ihrer Brust kreuzend.

»Nie, nie werde ich solche Opfer annehmen!« rief Raymon, sich lebhaft erhebend. »Als ich dir sagte, Indiana, daß ich die Kraft dazu haben würde, habe ich mich selbst verleumdet; denn nur ein Nichtswürdiger kann seine Hand dazu bieten, die Frau, welche er liebt, der Schande preiszugeben. Bei deiner Unbekanntschaft mit der Welt hast du die Folgen eines solchen Schrittes nicht erwogen. Könntest du, einfaches, unwissendes Weib, mich noch lieben, wenn ich deinen Ruf, dein Leben meinem Vergnügen opfern wollte?«

»Du widersprichst dir selbst,« sagte Indiana. »Wenn ich dich glücklich mache, indem ich dir ganz angehöre, was fürchtest du die öffentliche Meinung? Liegt dir mehr an ihr, als an mir?«

»Ach, nicht meinetwegen lege ich einen Wert darauf.«

»Also meinetwegen? Ich habe diese Bedenklichkeiten vorausgesehen, und um dich vor jedem Vorwurf zu schützen, habe ich den entscheidenden Schritt selbst getan und es nicht erst darauf ankommen lassen, von dir entführt zu werden. Dich kann also kein Vorwurf treffen. In diesem Augenblick, Raymon, bin ich bereits entehrt; obgleich der erwachende Tag meine Stirn so rein findet, als sie es gestern war, so bin ich jetzt doch in der öffentlichen Meinung ein verlorenes Weib, Das alles habe ich erwogen, ehe ich handelte.«

 

»Abscheuliche Berechnung eines Weibes!« dachte Raymon. Dann sagte er mit schmeichelndem väterlichen Tone:

»Du überschätzest die Wichtigkeit deines Schrittes. Nein, liebe Freundin, einer Unbedachtsamkeit wegen ist noch nicht alles verloren. Ich werde dafür sorgen, daß meine Dienerschaft reinen Mund hält …«

»Und etwa auch die meinige, die in diesem Augenblick wahrscheinlich mich ängstlich sucht? Und mein Gatte? Denkst du, er werde mich morgen wieder bei sich aufnehmen wollen, nachdem ich eine Nacht unter deinem Dache zugebracht habe? Könntest du mir wirklich raten, zu ihm zurückzukehren und ihn fußfällig zu bitten, mich als Zeichen seiner Gnade noch einmal an die Kette zu schmieden, unter deren Last bereits meine Jugend verwelkte und mein Leben hinschmachtete? Könntest du ohne Gewissensbisse eine Frau diesem Schicksal preisgeben, die sich unter deinen Schutz flüchtet, um dir für ein ganzes Leben anzugehören?«

Raymon dachte auf ein Mittel, sich von dieser lästigen Treue zu befreien oder einen Vorteil daraus zu ziehen.

»Du hast recht, Indiana,« rief er mit Feuer, »du gibst mich mir selbst wieder. Verzeihe meiner kindischen Sorge und bedenke, daß nur meine Liebe zu dir sie mir eingegeben hat. Verzeihe, daß ich an etwas anderes denken konnte, als an das unaussprechbare Glück, dich zu besitzen. Laß mich alle Gefahren vergessen, die uns bedrohen, laß mich in dieser Stunde ganz in dem Glücke schwelgen, daß ich dir zu Füßen liege und dich besitze. Mag doch dein Gatte kommen und dich meinen Armen entreißen wollen, dich, mein Glück, mein Leben. Von jetzt an gehörst du ihm nicht mehr, du bist meine Freundin, meine Geliebte, meine Gebieterin.«

Raymon verschwendete nun alle Lockungen einer glühenden Beredsamkeit. Er war wirklich hinreißend in seiner Sprache. Er redete sich in eine Leidenschaft hinein, um sich selbst zu betrügen. Und das verblendete, leichtgläubige Weib hörte mit Entzücken auf diese trügerischen Deklamationen, sie fühlte sich glücklich, sie strahlte von Hoffnung und Freude; sie verzieh alles.

Da erhob sich der Tag sonnig und glänzend, er warf Ströme des Lichtes in das Zimmer und das Geräusch auf der Straße nahm mit jeder Sekunde zu. Raymon warf einen Blick auf die Uhr, welche die siebente Stunde anzeigte.

»Es ist Zeit, zu Ende zu kommen,« dachte er, jeden Augenblick kann Delmare erscheinen. Ich muß sie zu überreden suchen, gutwillig nach Hause zurückzukehren.«

Er wurde dringender, in seinen Küssen lag fast zorniger Ungestüm. Indiana fühlte sich von Furcht ergriffen. Ein guter Engel breitete seine Flügel über dieses wankende und verirrte Herz. Sie erwachte und wies die Angriffe des selbstsüchtigen und feigen Lüstlings zurück.

»Laß mich,« sagte sie. »Du brauchst unmöglich neue Beweise meiner Zärtlichkeit, meine Gegenwart hier ist schon ein sehr großer. Aber laß mich die Kraft meines Gewissens bewahren, um gegen die mächtigen Hindernisse zu kämpfen, die uns noch trennen.«

»Wovon sprichst du?« fragte Raymon, aufgebracht und durch ihren Widerstand erbittert. Alle Besinnung verlierend, stieß er sie roh zurück. Dann ging er mit heftigen Schritten im Zimmer auf und ab, ergriff eine Wasserflasche und stürzte ein großes Glas Wasser hinunter, welches seine Aufregung dämpfte.

»Jetzt, gnädige Frau, ist es Zeit, sich zu entfernen,« sagte er spöttisch.

Ein Strahl des Lichtes erleuchtete endlich Indiana und zeigte ihr Raymons Charakter unverhüllt.

»Sie haben recht,« sagte sie und wandte sich der Tür zu.

»Nehmen Sie doch Ihren Mantel und Ihre Boa mit!« rief er.

»Es ist wahr,« erwiderte sie, »diese Spuren meiner Gegenwart könnten Sie kompromittieren.«

»Sie sind ein Kind,« sagte er in leichtem, scherzendem Tone, indem er ihr mit lächerlicher Sorgfalt den Mantel umhing. »Warten Sie, ich werde Ihnen einen Wagen besorgen. Wenn ich könnte, würde ich Sie selbst nach Hause bringen, aber das hieße nur, Sie ins Unglück stürzen.«

»Und glauben Sie nicht, daß ich schon verloren bin?« sagte sie mit Bitterkeit.

»Nein, Geliebte,« erwiderte Raymon, dem jetzt nur noch daran gelegen war, daß sie ihn in Ruhe ließ. »Sie brauchen ja nur vorzugeben, bei Ihrer Tante Schutz gesucht zu haben; sie wird alles ausgleichen. Man wird glauben, Sie hätten die Nacht bei ihr zugebracht.«

Frau Delmare hörte ihn nicht. Mit gedankenlosem Blick sah sie die Sonne groß und rot über einen Horizont von glänzenden Dächern emporsteigen. Raymon versuchte, sie aus dieser Starre zu wecken. Sie wandte ihre Augen auf ihn, schien ihn aber nicht zu erkennen. Ihre Wangen hatten eine grünliche Farbe und ihre Zunge schien gelähmt.

Raymon ward von Furcht erfaßt. Er gedachte des Selbstmordes der anderen. Vor dem Gedanken zurückschaudernd, zum zweitenmal zum Verbrecher zu werden, führte er Indiana sanft zu seinem Lehnstuhl, schloß sie ein und begab sich nach der Wohnung seiner Mutter hinauf.