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Indiana

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»Er! er kann uns trennen!« unterbrach ihn Indiana, welche mit Wonne zuhörte. »Ach! ach! Sie kennen ihn nicht; er ist ein Mann, der keine Verzeihung übt, ein Mann, den man nicht täuscht. Raymon, er wird Sie töten! …«

Und sie verbarg sich weinend an seinem Busen. Raymon drückte sie leidenschaftlich an sich.

»Ich trotze ihm!« rief er. »Liebe mich und ich bin unverwundbar. Dich aber werde ich der grausamen Macht dieses Tyrannen entreißen. Sage mir, du liebst mich, und ich ermorde ihn, wenn du ihn zum Tode verurteilst.«

»Sie flößen mir Entsetzen ein, schweigen Sie! Wollen Sie jemand töten, so töten Sie mich; denn ich habe einen ganzen Tag gelebt und verlange nichts mehr …«

»Stirb denn, aber vor Fülle des Glücks!« rief Raymon, seine Lippen auf Indianas Mund drückend.

Aber der Sturm war für diese schwache Blume zu überwältigend; sie erbleichte, legte die Hand an ihr Herz und verlor das Bewußtsein.

Anfangs glaubte Raymon, seine Liebkosungen würden sie wieder erwecken, aber vergeblich bedeckte er ihre Hände mit Küssen, vergeblich rief er sie mit den süßesten Namen. Seit langer Zeit ernstlich krank, war Frau Delmare Nervenzufällen unterworfen, welche stundenlang anhielten. Verzweifelnd mußte endlich Raymon Hilfe herbeirufen. Er zieht die Klingel. Eine Kammerfrau erscheint; aber ein Schrei entringt sich ihrer Brust, als sie Raymon erkennt. Dieser fand sogleich seine Geistesgegenwart wieder.

»Still, Noun!« flüsterte er der Kreolin ins Ohr. »Ich wußte, daß du hier bist; ich wollte zu dir; ich ahnte nicht, deine Gebieterin hier zu finden, sondern glaubte sie auf dem Ball. Als ich ins Zimmer trat, habe ich sie erschreckt, und sie sank in Ohnmacht. Sei klug, ich entferne mich.«

Raymon entfloh und ließ jede dieser Frauen im Besitz eines Geheimnisses zurück, das beiden verhängnisvoll werden mußte, wenn es sich ihnen enthüllte.

Siebentes Kapitel

Am folgenden Morgen erhielt Raymon wieder einen Brief von Noun. Diesen warf er nicht verächtlich von sich, im Gegenteil, er öffnete ihn eilig. Das Geheimnis des jungen Mädchens ließ sich nicht mehr verbergen. Schon hatten Kummer und Verzweiflung ihre Wangen gebleicht. Frau Delmare bemerkte diesen krankhaften Zustand, ohne die Ursache zu erraten. Noun fürchtete die Strenge des Obersten. Sie wußte wohl, daß sie die Verzeihung ihrer sanften Herrin erhalten würde, aber die Schande und der Schmerz, zu einem furchtbaren Geständnis gezwungen zu sein, würde sie töten. Was sollte aus ihr werden, wenn Raymon nicht dafür sorgte, sie vor den Demütigungen zu bewahren, die sie zu Boden drückten? Er mußte endlich an ihr Schicksal denken, oder sie warf sich zu den Füßen der Frau Delmare, um ihr alles zu gestehen. Das war der verzweifelte Inhalt des Briefes.

Herrn von Ramières erste Sorge war, Noun von ihrer Herrin zu entfernen.

»Hüte dich, ohne mein Einverständnis zu sprechen,« antwortete er ihr. »Richte es ein, daß du diesen Abend in Lagny bist, ich werde hinkommen.«

Während er sich nach Lagny begab, überlegte er, wie er sich benehmen solle. Noun war einsichtig genug, um nicht das Unmögliche von ihm zu verlangen. Sie hatte niemals gewagt, das Wort Ehe auch nur auszusprechen, und weil sie bescheiden und edelmütig war, meinte Raymon, er habe sie nicht betrogen und Noun hätte ihr Schicksal voraussehen müssen. Er wäre gern bereit gewesen, dem armen Mädchen die Hälfte seines Vermögens anzubieten, und ihr alle Unterstützung zu teil werden zu lassen, welche sie verlangen konnte. Seine Tage wurde aber dadurch peinlich, daß er gezwungen war, ihr zu sagen, er liebe sie nicht mehr; denn er konnte nicht täuschen. Er hatte Noun mit den Sinnen geliebt; Indiana liebte er mit ganzer Seele. Raymon war sehr unglücklich. Er kam an die Parkpforte von Lagny, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben.

Noun hatte keine so schnelle Antwort erwartet und deshalb wieder ein wenig Hoffnung gefaßt.

»Er liebt mich noch,« sagte sie sich, »er will mich nicht verlassen. In Paris, mitten unter all den Festen, hat er nur auf einige Augenblicke die arme Kreolin vergessen. Ach, wer bin ich, daß er mir all die großen Damen, alle schöner und reicher als ich, zum Opfer bringt?«

Und Noun vergegenwärtigte sich die verführerischen Reize des Luxus und prunkender Toiletten so lebhaft, daß sie darin das Mittel zu erblicken glaubte, ihre frühere Macht über Raymon wieder zu gewinnen. Sie legte die Kleider ihrer Herrin an, zündete in dem Zimmer, welches Frau Delmare bewohnte, ein großes Feuer an, schmückte den Kamin mit den schönsten Blumen, die sie im Treibhaus finden konnte, trug feines Obst und edle Weine auf und umgab sich, mit einem Worte, mit dem ganzen anheimelnden Zauber eines Boudoirs. Als sie sich in einem großen Spiegel besah, ließ sie sich nur selbst Gerechtigkeit widerfahren und dachte: Vielleicht gewinn ich alle die Liebe wieder, die er einst für mich empfunden hat.

Raymon hatte sein Pferd in einer Köhlerhütte im Walde gelassen und trat in den Park, zu dem er einen Schlüssel besaß. Fast alle Diener waren der Herrschaft gefolgt, der Gärtner stand in seinem Vertrauen, und er kannte alle Zugänge zu Lagny.

Die Nacht war kalt; ein dicker Nebel verhüllte die Bäume des Parks und Raymon irrte einige Zeit in den verschlungenen Alleen herum, ehe er die Tür des Kiosks fand, wo Noun ihn empfing. Sie war in einen Pelz gehüllt, dessen Kapuze über ihr Haupt gezogen war.

»Wir können hier nicht bleiben,« sagte sie, »es ist zu kalt, folge mir, aber sprich nicht.«

Raymon fühlte einen außerordentlichen Widerwillen, Indianas Heim als Liebhaber ihres Kammermädchens zu betreten. Doch diese Zusammenkunft sollte entscheidend werden.

Noun führte ihn über den Hof, öffnete geräuschlos die Pforte, ergriff ihn dann bei der Hand und geleitete ihn schweigend durch die düsteren Korridore; endlich zog sie ihn in ein rundes Gemach, wo blühende Orangerie süße Wohlgerüche verbreitete und helle Wachskerzen auf Kandelabern brannten,

Noun hatte bengalische Rosen entblättert und auf den Boden gestreut, den Diwan mit Veilchen geschmückt, eine sanfte Wärme strömte dem Eintretenden wohlig durch die Glieder, auf den Tischen schimmerten glänzende Kristallflaschen und Gläser. Raymon bedurfte nur kurzer Zeit, um zu erkennen, wo er war. Der feine Geschmack und die keusche Einfachheit, welche in dem ganzen Gemach herrschten, jene elegant gebundenen Bücher auf einem Bücherbrett von Mahagony, der mit einer zierlichen und unvollendeten Arbeit bespannte Stickrahmen, die Harfe, deren Saiten noch zu zittern schienen, die Kupferstiche, welche die zärtliche Liebe Pauls und Virginiens, die Berggipfel der Insel Bourbon und die Küsten von Saint-Paul darstellten, vor allem aber das kleine, unter Mousselinvorhängen halb verborgene Bett, weiß und züchtig, wie das einer Jungfrau. – Alles deutete auf Indiana. Während Raymon sich an dem feinen, unbestimmbaren Duft, den Indianas Gegenwart in diesem Heiligtum zurückgelassen hatte, berauschte, betrachtete Noun ihn mit unnennbarem Entzücken, in dem Glauben, der Anblick aller der ihm erwiesenen Aufmerksamkeiten versenke ihn in dieses süße Staunen.

Endlich brach er das Schweigen.

»Ich danke dir für alle die Vorbereitungen, die du für mich getroffen hast,« sagte er, »ich danke dir besonders, mir den Eingang in dieses Zimmer geöffnet zu haben, aber wir sind hier nicht an unserem Platz und ich muß Frau Delmare selbst in ihrer Abwesenheit respektieren,«

»Das ist sehr grausam,« entgegnete Noun, die ihn nicht verstanden hatte, aber sein kaltes, unzufriedenes Wesen beobachtete. »Ich hatte gehofft, dir zu gefallen, und ich sehe, du stößest mich zurück.«

»Nein, liebe Noun, ich werde dich nie zurückstoßen. Ich bin hieher gekommen, um ernstlich mit dir zu sprechen und dir Beweise von der Zuneigung zu geben, die ich dir schuldig bin. Ich erkenne dankbar deinen Wunsch an, mir zu gefallen; aber es wäre mir lieber, wenn ich dich nur im Schmuck deiner Jugend und deiner natürlichen Anmut vor mir sähe, anstatt mit diesem geborgten Flitter.«

Noun verstand ihn nur zur Hälfte, aber sie weinte.

»Ich bin sehr unglücklich,« sagte sie, »ich hasse mich, da ich dir nicht mehr gefalle. Ich hätte es voraussehen sollen, daß deine Liebe nicht lange anhalten werde. Daß du mich nicht heiraten würdest, wußte ich sehr wohl, aber wenn du mich wenigstens noch liebtest, so hätte ich ohne Klage alles getragen … O, ich bin verloren, entehrt! Vielleicht jagt man mich fort … Jeder wird das Recht zu haben glauben, mich mit Füßen zu treten … Ach, und doch würde ich dies alles freudig ertragen, wenn du mich noch liebtest.«

Noun war von Tränen fast erstickt; sie hatte die Blumen von ihrer Stirn gerissen und ihr langes Haar wogte wild auf ihre vollen glänzenden Schultern herab. Sie strahlte in Schmerz und Liebe. Überwältigt zog Raymon sie in seine Arme und ließ sie neben sich aufs Sofa sitzen. Durch dieses Zeichen der Zärtlichkeit beglückt, trocknete Noun ihre Tränen und warf sich zu Raymons Füßen.

»Liebe mich doch noch,« sagte sie, seine Knie umfassend, »sage mir noch einmal, daß du mich liebst, und ich bin wieder glücklich.«

Ihre großen schwarzen Augen weilten auf ihm mit den zärtlichsten Blicken. Raymon vergaß alles, seine Entschlüsse, seine neue Liebe und den Ort, wo er war, indem er Nouns Liebkosungen erwiderte.

Nach und nach tauchte ein unbestimmter nebelhafter Gedanke an Indiana in Raymon auf. Die beiden Spiegelscheiben, welche Nouns Bildnis vervielfältigten, schienen sich mit tausend Phantomen zu bevölkern. Er glaubte in der Tiefe dieser doppelten Widerspieglung eine zartere Form zu erblicken und in dem letzten duftigen, dunklen Schatten, welchen Noun hineinwarf, den feinen, schmächtigen Wuchs Indianas zu erkennen.

Betäubt, wie Raymon von den starken Weinen, verstand Noun die wunderlichen Reden ihres Geliebten nicht, wenn sie nicht selbst trunken, wie er gewesen wäre, würde es ihr nicht entgangen sein, daß Raymon an eine ganz andere dachte. Sie hätte bemerkt, daß er die Schärpe und die Bänder küßte, die Indiana getragen hatte, die Wohlgerüche einatmete, die ihn an sie erinnerten, aber Noun bezog dies alles auf sich selbst, während Raymon von ihr nichts sah, als Indianas Gewand. Indiana sah er in der Wolke des Wunsches, welchen Nouns Hand entzündet hatte.

 

Als Raymon von seinem Rausch erwachte, drang der Tag durch die Spalten der Fensterladen, und lange blieb er regungslos in ein dumpfes Staunen versunken, den Ort, wo er sich befand, und das Bett, worauf er in seinen Kleidern geruht hatte, fast für ein Traumgesicht haltend. Im Zimmer der Frau Delmare hatte Noun alles wieder in Ordnung gebracht, nichts verriet das Gelage des gestrigen Abends.

Raymon stand auf und wollte hinausgehen; aber die Tür war verschlossen, das Fenster dreißig Fuß vom Boden entfernt.

Da warf er sich auf seine Knie.

»O Indiana,« rief er, die Hände windend, »kannst du mir eine solche Schmach verzeihen? Verwirf mich jetzt, vertrauende, sanfte Indiana; denn du weißt nicht, welchem schändlichen, gemeinen Menschen du die Schätze deiner Unschuld anvertrauen willst! Verstoße mich, tritt mich unter deine Füße!«

Da trat Noun in ihrer gewöhnlichen Kleidung ein. Als sie Raymon auf den Knien sah, glaubte sie, er bete. Sie wußte nicht, daß das nicht die Gewohnheit der vornehmen Leute ist. Schweigend wartete sie, bis es ihm gefallen würde, ihre Gegenwart zu bemerken.

Als Raymon sie sah, fühlte er sich gereizt und verlegen, ohne sich entschließen zu, können, sie zu schelten, oder ihr ein freundliches Wort zu gönnen.

»Warum hast du mich hier eingeschlossen?« fragte er endlich.

»Damit du nicht fortgehst,« antwortete Noun schmeichelnd. »Das Haus ist unbewohnt, der Gärtner kommt niemals in diesen Teil des Gebäudes, von dem ich allein den Schlüssel habe. Du bleibst also diesen Tag noch bei mir, du bist mein Gefangener.«

Diese Anordnung brachte Raymon zur Verzweiflung; denn er fühlte für seine Geliebte nichts mehr. Doch mußte er sich darein ergeben und vielleicht hielt ihn auch, trotz des peinlichen Gefühles, das ihn in diesem Zimmer ergriff, ein unwiderstehlicher Reiz darin fest.

Als Noun gegangen war, um ihm sein Frühstück zu bereiten, begann er beim Licht des Tages alle die stillen Zeugen von Indianas Einsamkeit näher zu betrachten. Er öffnete ihre Bücher, durchblätterte ihr Album und schloß sie dann eilig, denn er fürchtete noch immer, eine Profanation zu begehen und die unschuldigen Geheimnisse eines weiblichen Herzens zu verletzen. Endlich bemerkte er auf dem Wandgetäfel, dem Bette der Frau Delmare gegenüber, ein großes, mit doppelter Gaze bedecktes Gemälde in reichem Rahmen.

Vielleicht war es Indianas Bildnis. Begierig, es zu betrachten, stieg Raymon auf einen Stuhl, entfernte die Gaze und entdeckte mit Erstaunen das lebensgroße Porträt eines jungen Mannes.

Achtes Kapitel

»Es ist mir, als müßte ich diese Züge kennen,« sagte er zu Noun, als diese eben zurückkehrte, indem er sich bemühte, eine gleichgültige Miene anzunehmen.

»Pfui, mein Herr,« entgegnete das junge Mädchen, das Frühstück auf den Tisch setzend, »es ist nicht hübsch, in die Geheimnisse meiner Gebieterin einzudringen.«

Raymon erbleichte.

»Geheimnisse?« wiederholte er. »Wenn es hier Geheimnisse gibt, so bist du die Vertraute und doppelt strafbar, mich in dieses Zimmer geführt zu haben.«

»Ach nein, es ist kein Geheimnis,« sagte Noun lächelnd. »Könnte meine Herrin vor einem so eifersüchtigen Gatten Geheimnisse haben?«

»Wen stellt dieses Porträt vor?«

»Sir Ralph Brown, den Cousin der gnädigen Frau; es ist ihr Jugendfreund und ich könnte fast sagen, auch der meinige.«

Raymon betrachtete das Gemälde mit finsteren Blicken.

Wir haben bereits gesagt, daß Sir Ralph ein hübscher Mann war, von kräftiger Gestalt und reichem Haarwuchs, immer geschmackvoll gekleidet. Wenn er auch nicht der Mann dazu war, ein romantisches Frauenherz zu erobern, so hätte er doch die Eitelkeit einer nüchtern angelegten Natur befriedigen können. Er war in Jagdkleidern dargestellt, von seinen Hunden umgeben, an deren Spitze sein Lieblingshund, die schöne Ophelia, stand. Sir Ralph hielt in der Hand den Zügel eines prächtigen, englischen Pferdes, welches fast den ganzen Hintergrund des Gemäldes einnahm. Das Bild war bewundernswürdig ausgeführt und das Original kam ihn bei weitem nicht gleich.

Doch fragte sich Raymon unwillig:

»Wie, dieser vierschrötige Engländer genießt das Vorrecht, das geheimste Gemach der Frau Delmare zu schmücken? Sein fades Bild hängt immer da. Er überwacht, er verfolgt alle ihre Bewegungen; er besitzt sie zu jeder Stunde!«

»Ist das Gemälde immer mit der Gaze umhüllt?« fragte er das Kammermädchen.

»Immer,« antwortete sie, »wenn die gnädige Frau abwesend ist. Doch bemühe dich nicht, sie wieder vorzuhängen, Frau Delmare kommt in einigen Tagen zurück.«

»Dann, Noun, wäre es gut, wenn du ihr sagtest, daß dieses Gesicht einen sehr impertinenten Ausdruck hat … An Herrn Delmares Stelle würde ich nur eingewilligt haben, es hier aufzuhängen, nachdem ich ihm beide Augen ausgestochen hätte …«

»Was hast du denn gegen das Gesicht des guten Herrn Brown?« sagte Noun. »Er ist ein so trefflicher Herr! Früher hatte ich ihn nicht so gern, weil ich immer von meiner Herrin hörte, er sei selbstsüchtig, aber seit dem Tage, wo er dir so viel Teilnahme bewies …«

»Richtig,« unterbrach sie Raymon, »er stand mir bei, aber nur auf Frau Delmares Bitte.«

Der Tag rückte vor, ohne daß Noun wagte, Raymon an den eigentlichen Zweck seiner Anwesenheit zu erinnern. Endlich gegen Abend gewann sie es über sich und drang in ihn, ihr seine Absichten zu erklären.

Raymon hatte keine anderen, als sich von einem gefährlichen Zeugen und einer Frau, die er nicht mehr liebte, zu befreien. Doch wollte er ihr Schicksal sicher stellen und machte ihr die glänzendsten Anerbietungen.

Das arme Mädchen erblickte darin einen Schimpf; sie riß sich das Haar aus und hätte sich den Kopf zerschmettert, wenn Raymon sie nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte.

»Es ist meine Schuldigkeit,« sagte er, »und du wärst sehr strafbar, wenn ein falsches Zartgefühl dich bewöge, meine Anerbietungen zurückzuweisen.«

Noun beruhigte sich und trocknete ihre Augen.

»Wohlan,« sagte sie, »ich nehme deine Vorschläge an, aber nicht für mich. Auch mußt du mir versprechen, mich ferner zu lieben. Deine Gleichgültigkeit würde mich umbringen. Kannst du mich nicht zu dir nehmen, um dir zu dienen? Sieh, ich bin nicht ehrgeizig. Laß mich in den Dienst deiner Mutter treten. Sie soll mit mir zufrieden sein, ich schwöre es dir; und wenn du mich auch nicht mehr liebst, so werde ich dich doch wenigstens noch sehen können.«

»Du verlangst etwas Unmögliches, liebe Noun. In dem Zustande, in welchem du dich befindest, kannst du nicht daran denken, in irgend jemandes Dienst zu treten, und meine Mutter zu täuschen, wäre eine Niederträchtigkeit, in welche ich niemals willigen kann. Geh nach Lyon oder Bordeaux, ich verpflichte mich, dir bis zu dem Augenblick, wo du dich wieder zeigen kannst, es an nichts fehlen zu lassen.«

»Nein,« rief das Mädchen, schmerzlich die Hände faltend. »Ich will nicht in einer fernen Stadt sterben, wo Sie mich vergessen.«

»Noun, wenn du fürchtest, daß ich dich täuschen will, so komm mit mir, derselbe Wagen soll uns an den Ort führen, den du selbst wählen magst; überall hin will ich dir folgen und dir die Pflege angedeihen lassen, die ich dir schuldig bin, nur nicht nach Paris.«

»Ja, um mich zu verlassen, wenn Sie mich in einem fremden Lande als unbequeme Last abgesetzt haben,« sagte sie mit bitterem Lächeln. »Nein, mein Herr, nein, ich bleibe! Ich will mich zu Frau Delmares Füßen werfen, ihr alles bekennen, und ich weiß, sie wird mir verzeihen, denn sie ist gut und liebt mich. Wir sind fast an demselben Tage geboren; sie ist meine Milchschwester. Sie wird mich nicht von sich stoßen, sie wird mit mir weinen, sie wird mich pflegen. Ach, sie ist das einzige Wesen auf der Welt, welches sich meiner erbarmen wird! …«

Dieser Entschluß brachte Herrn von Ramière fast zur Verzweiflung. Ehe er noch eine Antwort finden konnte, ließ sich im Hofe das Rollen eines Wagens hören. Noun eilte bestürzt ans Fenster.

»Es ist Frau Delmare!« rief sie, »fliehen Sie!«

Der Schlüssel zur verborgenen Treppe war in diesem Augenblick der Verwirrung nicht zu finden. Noun ergriff Raymon am Arm und zog ihn in den Korridor, aber kaum hatten sie die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie in geringer Entfernung vor sich Frau Delmares Stimme hörten und ein Licht, das ein Diener trug, seinen flackernden Schein auf ihre entsetzten Gesichter warf. Noun hatte nur noch Zeit, umzukehren und mit Raymon, den sie nach sich zog, in das Schlafzimmer zurückzueilen.

Ein kleiner Garderoberaum, in welchen eine Glastür führte, konnte für einige Augenblicke einen Zufluchtsort darbieten, aber die Tür konnte nicht verschlossen werden und möglicherweise hätte Frau Delmare gleich bei ihrer Ankunft hineingehen können. Um also nicht überrascht zu werden, mußte sich Raymon in den Alkoven zurückziehen und sich hinter den Vorhängen verbergen. Es war nicht wahrscheinlich, daß Frau Delmare sich gleich zur Ruhe legen würde. Unterdeß konnte Noun ein Mittel zu Raymons Flucht finden,

Indiana trat ein und umarmte Noun mit schwesterlicher Vertraulichkeit. Das Gemach war so wenig erhellt, daß sie die Bestürzung ihrer Freundin nicht bemerkte.

»Du hast mich also erwartet?« fragte Frau Delmare, sich dem Feuer nähernd; »wie wußtest du um meine Ankunft?«

Ohne Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu:

»Herr Delmare wird morgen hier sein. Als ich seinen Brief empfing, reiste ich sogleich ab. Ich hatte Gründe, ihn hier und nicht in Paris zu erwarten. Aber du scheinst über meine Gegenwart nicht besonders erfreut zu sein.«

»Ich bin traurig,« sagte Noun, indem sie niederkniete, um ihrer Herrin beim Wechseln der Fußbekleidung behilflich zu sein. »Ich habe mit Ihnen zu sprechen, aber später, wollen Sie jetzt nicht in den Salon kommen?«

»Gott bewahre mich, es ist ja eine fürchterliche Kälte darin.«

»Aber Ihr Abendessen wartet.«

»Ich bin nicht hungrig. Geh und hole meine Boa, die ich im Wagen gelassen habe.«

»Sogleich,« antwortete Noun, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren. »So geh doch, geh doch!«

Mit diesen Worten drängte Indiana die Zögernde scherzend zur Tür hinaus. Kaum hatte Noun das Zimmer verlassen, als Frau Delmare den Riegel vorschob, Hut und Reisepelz ablegte und beides auf das Bett warf. Dabei kam sie Raymon so nahe, daß er zurückwich und an das Bett stieß, das auf sehr leicht beweglichen Rollen stand und mit einem leichten Geräusch nachgab. Frau Delmare mochte glauben, sie habe selbst an das Bett gestoßen; hob aber doch den Vorhang empor und sah in dem Schein des Kaminfeuers den Kopf eines Mannes an der Wand. Mit einem Schrei stürzte sie nach der Klingel, um Hilfe herbeirufen, wenn sie ihre Leute rief, so kompromittierte sie sich selbst. Raymon baute auf ihre Liebe, er eilte auf sie zu, um sie von der Klingel zurückzuhalten. Aus Furcht, von Noun gehört zu werden, die nicht weit sein konnte, dämpfte er seine Stimme, indem er sagte:

»Indiana, verzeihen Sie einem Unglücklichen, den Sie seiner Vernunft beraubt haben, und der sich nicht entschließen konnte, Sie Ihrem Gatten wieder zu überlassen, ehe er Sie noch einmal gesehen hatte.«

Während er Indiana in seine Arme drückte, klopfte Noun angstvoll an die Tür. Frau Delmare riß sich aus Raymons Armen los, öffnete und sank auf einen Lehnstuhl.

Bleich und fast dem Tode nahe, warf sich Noun gegen die Tür des Korridors, um die hin und wieder gehenden Domestiken zu verhindern, Zeugen dieser seltsamen Szene zu werden.

Raymon fühlte, daß er mit einiger Geistesgegenwart immer noch beide Frauen zu gleicher Zeit täuschen könnte.

»Gnädige Frau,« sagte er, indem er vor Indiana niederkniete, »meine Gegenwart hier muß Ihnen als eine Beleidigung erscheinen. Hier liege ich zu Ihren Füßen, um Ihre Verzeihung zu erflehen, gewähren Sie mir eine Unterredung nur von einigen Minuten und ich werde mich rechtfertigen …«

»Schweigen Sie, mein Herr, und entfernen Sie sich von hier!« rief Frau Delmare mit der vollen Würde, die ihrer Stellung zukam. »Öffne die Tür, Noun, und laß den Herrn hinaus, damit alle meine Diener ihn sehen und die Schmach seines Benehmens auf ihn allein falle.«

Noun, welche sich entdeckt glaubte, sank neben Raymon auf die Knie. Frau Delmare betrachtete sie mit Erstaunen und schwieg.

Raymon wollte ihre Hand fassen, aber sie entzog sie ihm. Rot vor Zorn stand sie auf.

 

»Entfernen Sie sich,« gebot sie, nach der Tür zeigend, »gehen Sie mir aus den Augen, denn Ihr Betragen ist schändlich. Es scheint Ihre Gewohnheit zu sein, sich auf diese Weise in die Familien einzuschleichen? Das also ist die so reine Verehrung, die Sie mir gestern Abend schworen! So wollten Sie mich beschützen, mich achten, mich verteidigen! Sie sehen eine Frau, die Ihnen mit eigenen Händen beigestanden, die dem Zorn ihres Gatten getrotzt hat, um Sie dem Leben zu erhalten. Sie täuschen sie durch eine heuchlerische Dankbarkeit; Sie schwören ihr eine ihrer würdige Liebe, und zum Lohn für ihre Sorge und Leichtgläubigkeit wollen Sie sie im Schlaf überfallen. Sie gewinnen ihr Kammermädchen, Sie scheuen sich nicht, ihre Diener zu den Vertrauten eines Verhältnisses zu machen, das noch gar nicht besteht … Gehen Sie, mein Herr, Sie haben es sehr schnell fertiggebracht, mich zu ernüchtern! … Gehen Sie! … Und du, elendes Mädchen, die du die Ehre deiner Herrin so wenig achtest, du verdienst, daß ich dich von mir jage. Tritt von der Tür weg! …«

Halb tot vor Erstaunen und Verzweiflung hatte Noun die Augen auf Raymon gerichtet, als erwarte sie von ihm Aufschluß über diesen ihr unerklärlichen Vorgang. Plötzlich ergriff sie unter heftigem Zittern Indianas Arm.

»Was sagen Sie?« rief sie wutbebend, »dieser Mensch liebt Sie?«

»O, du hast es recht gut gewußt,« sagte Frau Delmare, das Mädchen verächtlich zurückstoßend. »Ach Noun, das ist eine Schändlichkeit, deren ich dich niemals für fähig gehalten hätte. Du hast meine Ehre verkaufen wollen, die Ehre deiner besten Freundin, welche in dich so viel Vertrauen setzte.«

Frau Delmare weinte, aber eben so sehr vor Zorn als vor Schmerz. Niemals hatte Raymon sie so schön gesehen, aber er wagte kaum, sie anzublicken, denn ihr beleidigter weiblicher Stolz zwang ihn, die Augen niederzuschlagen, wäre er mit ihr allein gewesen, so hätte er sie vielleicht zu besänftigen vermocht.

Ein Klopfen an die Tür machte alle drei erbeben. Noun eilte sofort zur Tür, um den Eintritt in das Zimmer zu wehren; aber Frau Delmare stieß sie entschlossen zurück, winkte Raymon gebieterisch, sich in die Ecke des Gemaches zurückzuziehen, hüllte sich mit jener Kaltblütigkeit, welche sie sich in kritischen Momenten so bewunderungswürdig zu bewahren wußte, in einen Schal, öffnete selbst die Tür und fragte den Diener, der geklopft hatte, was er ihr zu sagen habe.

»Sir Ralph Brown kommt soeben an,« lautete die Antwort, »und fragt, ob die gnädige Frau ihn empfangen will.«

»Sage Herrn Ralph, daß mich sein Besuch sehr erfreut und ich sogleich zu ihm kommen werde. Laß Feuer in dem Salon machen und das Abendessen bereiten. Noch eins! Bring mir den Schlüssel zum kleinen Park.«

Der Bediente entfernte sich. Frau Delmare blieb an der halb offenen Tür stehen; sie wollte weder Noun noch Raymon zuhören.

Der Diener kam in drei Minuten zurück. Frau Delmare nahm den Schlüssel und wandte sich nach der Entfernung des Dieners an Raymon mit den Worten:

»Die Ankunft meines Vetters Sir Brown schützt Sie vor dem Skandal, dem ich Sie aussetzen wollte. Er würde für meine Verteidigung sein Blut vergießen, aber da es mir leid wäre, das Leben eines Ehrenmannes gegen das eines Nichtswürdigen in Gefahr zu bringen, so erlaube ich Ihnen, sich ohne Aufsehen zu entfernen. Noun, die Sie hereingebracht hat, wird Sie wieder fortbringen, gehen Sie!«

»Wir werden uns wiedersehen, gnädige Frau,« antwortete Raymon mit scheinbarer Zuversicht, »und obgleich ich sehr strafbar bin, werden Sie doch vielleicht die Strenge bereuen, mit der Sie mich jetzt behandeln.«

»Ich hoffe, mein Herr, wir sehen uns niemals wieder,« antwortete Indiana.

Ohne Raymon eines Grußes zu würdigen, sah sie ihn mit seiner zitternden und unglücklichen Mitschuldigen hinausgehen.

Raymon erwartete Vorwürfe von Noun, als er in der Dunkelheit des Parks allein mit ihr war. Aber sie sprach kein Wort, sie führte ihn bis zum Gitter des verschlossenen Parks, und als er ihre Hand ergreifen wollte, war sie schon verschwunden.

Raymon ging, den Tod im Herzen; über dem Schmerz, Frau Delmare beleidigt zu haben, vergaß er Noun fast ganz und dachte nur auf Mittel, die erstere zu versöhnen, denn Hindernisse steigerten seine Tatkraft bis zur Leidenschaft, wenn ein Erfolg auch noch so hoffnungslos schien.

Als Frau Delmare, ziemlich schweigend mit Sir Ralph zu Abend gegessen und sich in ihr Gemach zurückgezogen hatte, kam Noun nicht, wie gewöhnlich, um sie zu entkleiden. Vergeblich klingelte sie, und da sie darin einen absichtlichen Ungehorsam sah, verschloß sie ihre Tür und legte sich nieder. Aber sie brachte eine entsetzliche Nacht zu und eilte mit Tagesanbruch in den Park, um in der Kälte das Fieber abzukühlen, welches ihre Brust verzehrte, welche entsetzliche Täuschungen hatte sie binnen vierundzwanzig Stunden erlebt! Sie hatte die ganze Nacht geweint und jetzt sank sie am Ufer des kleinen Flusses, welcher den Park durchschnitt, auf den vom Morgenreif noch weißen Rasen nieder. Es war gegen Ende des März; die Natur fing an zu erwachen; einzelne Nebelstreifen ruhten noch auf dem Wasser, die Vögel übten sich in ihrem ersten Frühlings- und Liebesliedern.

Ein frommes Gefühl erwachte in Indianas Herzen.

»Gott hat es so gewollt,« sagte sie. »Dieser Mensch hätte mich vielleicht zum Laster fortgerissen; er hätte mich ins Verderben gestürzt. Jetzt, wo die Niedrigkeit seiner Gesinnung mir enthüllt ist, kann ich gegen diese unheilvolle Leidenschaft, die in meinem Busen gärte, auf der Hut sein … Ich will meinen Gatten lieben … ich will es versuchen! Alles, was seine Eifersucht erregen kann, will ich vermeiden, denn jetzt weiß ich, was man von dieser lügnerischen Beredsamkeit zu halten hat, mit welcher die Männer uns zu betören wissen.«

Das Geräusch der Wasserräder, welche die Fabrik des Herrn Delmare in Bewegung setzten, begann sich hinter den werden des jenseitigen Ufers hören zu lassen. Der Fluß, welcher sich in die eben geöffneten Schleusen stürzte, zeigte schon Bewegung auf seiner Oberfläche, und als Frau Delmares Blick dem raschen Laufe des Wassers folgte, sah sie unter dem Schilf etwas wie ein Stück Zeug schwimmen, welches der Strom fortzureißen sich bestrebte. Sie stand auf, beugte sich über das Wasser und erkannte Nouns Kleidungsstücke. Entsetzen lähmte sie. Die Strömung arbeitete und zerrte langsam einen Leichnam aus dem Schilf, das ihn festgehalten hatte.

Ein durchdringender Schrei zog die Arbeiter der Fabrik herbei, Frau Delmare lag ohnmächtig am Ufer, unweit von ihr trieb auf dem Wasser Nouns Leichnam.