Бесплатно

Fadette

Текст
Автор:
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Neuntes Kapitel

Als der arme Landry sich etwas verdrossen über den Schlag, den man ihm eben auf die Schulter versetzt hatte, umwandte, erblickte er die kleine Fadette, und gleich hinterdrein ihren Jeannet, den Grashüpfer, der ihr hinkend folgte, denn er war von Geburt an krüppelhaft und krummbeinig gewesen.

Anfangs wollte Landry, ohne auf die beiden zu achten, seines Weges gehen, denn er war gewiß nicht in der Stimmung auf andere Dinge einzugehen. Die Fadette aber rief, indem sie ihm noch einen zweiten Schlag auf die andere Schulter versetzte: »Seht! Seht! den garstigen Zwilling, diese Hälfte von einem Burschen, der seine andere Hälfte verloren hat!«

Landry, der ebensowenig in der Stimmung war sich beleidigen, wie sich necken zu lassen, drehte sich abermals um und versetzte der kleinen Fadette einen Schlag mit der Faust, den sie sicherlich gefühlt haben würde, wäre sie nicht rechtzeitig auf die Seite gesprungen, denn der Zwilling zählte seine fünfzehn Jahre, war kein Schwächling und wußte seine Hände zu gebrauchen. Die Fadette stand im vierzehnten Jahre und war so klein und zierlich gebaut, daß man sie für nicht älter als zwölf hätte halten können. Ihrem ganzen Aussehen nach hätte man denken sollen, sie müsse schon vom bloßen Anrühren zerbrechen.

Aber sie war zu gewitzigt und zu behende, um den Schlag zu erwarten, und was ihr beim Gebrauch ihrer Hände an Kraft gebrach, das ersetzte sie durch Gewandtheit, Schnelligkeit und List. Sie wußte so geschickt im richtigen Augenblick zur Seite zu springen, daß wenig daran fehlte und Landry wäre, durch die Wucht, mit der er zum Schlage ausgeholt hatte, mit der Nase auf einen großen Baum gestürzt.

»Du böse Grille,« rief der arme Zwilling, außer sich vor Zorn, »du mußt gar kein Herz haben, daß du mit jemandem, der einen so großen Schmerz hat, wie der meinige ist, noch deine Neckereien treiben kannst. Schon seit geraumer Zeit nennst du mich immer einen halben Burschen, nur um mich zu ärgern. Ich wäre heute grade dazu aufgelegt, dich in vier Stücke zu zerreißen, dich und deinen abscheulichen Grashüpfer, nur um einmal zu sehen, ob ihr beide zusammen wohl den vierten Teil von etwas Richtigem ausmachen würdet.«

»Da seht einmal den schönen Zwilling vom Zwillingshofe, den Herrn von der Schilfwiese an den Ufern des Flusses,« gab die kleine Fadette spöttelnd zurück. »Du bist wirklich recht dumm, so böse mit mir zu sein, da ich dir doch Nachricht von deinem Zwillingsbruder geben wollte und dir sagen, wo du ihn wieder finden kannst.

»Das ist freilich etwas anderes,« sagte Landry in rasch besänftigtem Tone, wenn du das weißt, Fadette, dann sage es mir, und ich werde es dir sicherlich Dank wissen.«

»Jetzt giebt es weder eine Fadette noch eine Grille mehr, die Lust haben könnte, deinen Wunsch zu erfüllen,« gab die Kleine zur Antwort. »Du hast mich mit Schmähungen beleidigt, und wenn du nicht so schwerfällig und ungeschickt wärest, hättest du mich noch dazu geschlagen. Suche dir also deinen Tropf von Zwilling nur allein; wenn du klug genug bist, wirst du ihn schon finden.«

»Ich bin sehr dumm, dich noch weiter anzuhören, du boshaftes Ding!« sagte Landry, indem er ihr den Rücken kehrte und sich wieder auf den Weg machte. »Du weißt nicht mehr davon, wo mein Bruder ist, als ich selbst, und du bist in solchen Dingen auch nicht klüger, als deine Großmutter, die eine alte Lügnerin ist, und weiter nichts.«

Aber die kleine Fadette, den Grashüpfer, – dem es gelungen war sie wieder zu erreichen, und sich an ihren alten, ganz mit Asche beschmutzten Rock zu hängen – an der Hand mit sich fortziehend, schickte sich an, hinter Landry herzugehen. Dabei hörte sie nicht auf ihn zu necken, und rief ihm unaufhörlich zu, daß er ohne sie seinen Zwilling niemals wiederfinden würde. Sie war so eifrig bei diesen Neckereien, daß Landry sie gar nicht los werden konnte und sich einbildete, ihre Großmutter und vielleicht auch sie selbst würden durch irgend eine Zauberei, oder durch eine Verbindung mit dem Geist des Flusses, es ihm unmöglich machen, Sylvinet wieder aufzufinden. Er faßte deshalb kurzweg den Entschluß über die Schilfwiese nach Hause zurückzukehren.

Die kleine Fadette folgte ihm bis zu dem hölzernen Drehkreuz der Wiese, und als er hindurchgeschritten war, setzte sie sich wie eine Elster auf einen der Querbalken und spottete ihm nach: »Leb wohl! du schöner Zwilling ohne Herz, der seinen Bruder im Stiche läßt. Du kannst lange darauf warten bis er zum Abendessen kommt; du wirst ihn heute nicht mehr sehen, und morgen ebensowenig: denn wo er jetzt liegt, da rührt er sich so wenig wie ein Stein, und sieh nur! wie das Gewitter droht. Noch in dieser Nacht wird es die Bäume in den Fluß schleudern, und der Fluß wird Sylvinet mit davon tragen, so weit, ach! so weit, daß du ihn niemals wieder finden kannst.

Alle diese schrecklichen Reden, die Landry gleichsam trotz seiner selbst, anhören mußte, bewirkten, daß ihm am ganzen Körper der kalte Schweiß ausbrach. Er glaubte nicht unbedingt an das, was die Grille sagte, aber schließlich stand die Familie Fadet im Ruf, ein Bündnis mit dem Teufel zu haben, so daß man doch nicht recht sicher sein konnte, was man davon halten sollte.

»Höre Fränzchen, sagte Landry, indem er stehen blieb, »willst du mich in Ruhe lassen, ja oder nein? oder willst du so gut sein, es mir zu sagen, wenn du wirklich etwas von meinem Bruder weißt?«

»Und was willst du mir dann geben, wenn ich dir helfe ihn wieder zu finden, noch ehe es anfängt zu regnen?« sagte die Fadette und richtete sich auf dem Querbalken des Drehkreuzes gerade in die Höhe, die Arme hin- und herbewegend, als ob sie im Begriff wäre, davon zu fliegen.

»Landry wußte nicht, was er ihr dann nur versprechen könne, und es kam ihm der Gedanke, daß sie es darauf abgesehen habe, Geld von ihm zu erpressen. Aber der Wind, der in den Bäumen rauschte, und der Donner, der zu rollen begann, regten ihm das Blut auf, daß er wie von Fieberangst ergriffen war. Nicht, als ob er das Gewitter gefürchtet hätte, aber wirklich der Sturm war so plötzlich und in einer so sonderbaren Weise losgebrochen, daß es ihm nicht mehr mit rechten Dingen zuzugehen schien. Vielleicht aber auch hatte Landry in seiner Herzensangst nicht bemerkt, wie es hinter den Bäumen am Ufer des Flusses heraufgezogen war. Seit zwei Stunden war er nicht aus der Tiefe des Thalgrundes herausgekommen, und so hatte er den Himmel nicht mehr überblicken können, als in dem Augenblick, da er die Höhe erreichte. Wirklich, er hatte keine Ahnung von der Nähe des Gewitters gehabt, als bis die kleine Fadette ihn darauf aufmerksam machte. In demselben Augenblicke blies auch der Wind ihren Rock in die Höhe; unter ihrer stets schlecht befestigten, schief auf einem Ohr sitzenden Haube, glitten ihre häßlichen schwarzen Haare hervor, und flatterten wie eine gesträubte Mähne empor. Ein heftiger Windstoß hatte dem Grashüpfer die Kappe entführt, und nur mit großer Mühe hatte es Landry verhindern können, daß nicht auch ihm der Hut vom Kopfe gerissen wurde.

Jetzt hatte sich der Himmel in zwei Minuten ganz schwarz überzogen, und die kleine Fadette, welche auf der hölzernen Planke aufrecht dastand, erschien Landry zweimal so groß als sonst. Endlich ergriff ihn, es läßt sich nicht leugnen, wirklich die Angst.

»Fränzchen,« rief er ihr zu, »wenn du mir meinen Bruder wieder giebst, verspreche ich dir, was du willst. Vielleicht hast du ihn gesehen. Du weißt vielleicht, wo er ist. Sei ein gutes Mädchen, Fränzchen. Ich begreife nicht, wie du ein Vergnügen daran finden kannst, meinen Schmerz zu sehen. Zeige mir, daß du ein gutes Herz hast, und ich glaube dann auch, daß du besser bist, als deine Reden und als du aussiehst.«

»Und warum sollte ich für dich ein gutes Mädchen sein?« gab sie zur Antwort, »wenn du mich so schlecht behandelst, ohne daß ich dir je etwas zu leide that! Warum sollte ich ein gutes Herz haben für die beiden Zwillinge, die so aufgeblasen sind, wie ein paar Hähne, und die mir noch nie die geringste Freundschaft erzeigt haben?«

»So komm doch, Fadette,« sagte Landry, »du willst ja, daß ich dir etwas verspreche; sage mir rasch, was du haben möchtest, und ich werde es dir geben. Willst du mein neues Messer haben?«

»Zeig es mir einmal,« sagte die Fadette, und hüpfte wie ein Frosch an seine Seite.

Und als sie das Messer gesehen hatte, welches Landrys Pate auf der letzten Messe für zehn Sous gekauft hatte, gelüstete es sie einen Augenblick nach dessen Besitz. Gleich darauf aber fand sie, daß es zu wenig sei und fragte, ob er ihr nicht lieber seine kleine weiße Henne geben möchte, die nicht größer als eine Taube war, und befiedert bis auf die Spitzen der Zehen.

»Ich kann dir das weiße Huhn nicht versprechen, weil es meiner Mutter gehört,« antwortete Landry; »aber ich verspreche dir, daß ich sie darum bitten werde, es dir zu schenken, und ich stehe dafür, daß meine Mutter sich nicht weigern wird; denn es wird sie so glücklich machen, Sylvinet wieder zu sehen, daß es nichts geben kann, was ihr zu gut wäre, um dich zu belohnen.«

»Ho! ho!« rief die kleine Fadette, und wenn ich nun Lust hätte, eure Ziege mit der schwarzen Nase zu verlangen, würde die Mutter Barbeau mir wohl auch diese geben?«

»Gott! mein Gott! Fränzchen, wie lange du brauchst, um dich zu entschließen! Höre nur, das alles ist mit einem Worte abgethan: wenn mein Bruder in Gefahr ist und du mich augenblicklich zu ihm führst, dann giebt es auf unserem ganzen Hofe keine Henne, kein Hühnchen, keine Ziege noch ein Böckchen, das mein Vater und meine Mutter dir aus Dankbarkeit nicht gern geben würden.«

»Nun gut! Landry, das werden wir ja sehen, sagte die kleine Fadette, ihre kleine magere Hand dem Zwilling darreichend, damit er, zum Zeichen, daß die Sache abgemacht sei, die seinige hineinlegen solle. Er that dies, aber nicht, ohne ein wenig dabei zu zittern, denn in diesem Augenblicke wurden ihre Augen so feurig, daß man hätte sagen sollen, sie sei der leibhaftige Kobold. »Ich werde dir jetzt nicht sagen, was ich von dir will; vielleicht weiß ich es selbst noch nicht. Aber, daß du es nur ja im Sinn behältst, was du mir in diesem Augenblicke versprichst; und wenn du dem Versprechen nicht hältst, dann werde ich es allen Leuten sagen, daß man sich auf das Wort des Zwillings Landry nicht verlassen kann. Jetzt sage ich dir hier Adieu und vergiß ja nicht, daß ich nichts von dir verlangen werde, bis zu dem Tage, an dem ich zu dir komme, um das von dir zu verlangen, wofür ich mich entschieden habe, und du mußt es dann ohne Zögern und ohne Widerstreben gewähren.«

 

»Einverstanden! Fadette, das ist abgemacht und so gut wie unterschrieben,« sagte Landry, indem er seine Hand in die ihrige legte.

»So ist's recht!« sagte sie mit stolzer und befriedigter Miene; »kehre jetzt gleich an das Ufer des Flusses zurück und gehe daran entlang, bis du ein Blöken hörst; und wo du dann ein wollreiches Lamm erblickst, da wirst du auch deinen Bruder finden. Wenn nicht alles so eintrifft, wie ich es dir jetzt gesagt habe, dann ist dir dein Wort zurückgegeben.«

Darauf nahm die kleine Fadette den Grashüpfer beim Arm, ohne darauf zu achten, daß es ihm nicht sonderlich zu behagen schien, und wie sehr er sich auch sträubte und zappelte, sprang sie mit ihm in das dichte Gebüsch hinein. Landry sah und hörte nichts mehr von ihnen, als ob er alles nur geträumt habe. Er verlor keine Zeit weiter darüber nachzudenken, ob die kleine Fadette vielleicht auch nur ihren Spott mit ihm getrieben habe. In atemloser Hast lief er zur Binsenwiese bis an den Ausschnitt; ohne hinunter zu steigen, ging er nur weiter daran entlang, denn er hatte diese Stelle schon hinlänglich untersucht, um sicher sein zu können, daß Sylvinet hier nicht war, aber, indem er sich davon entfernte, vernahm er das Blöken eines Lammes.

»Allbarmherziger Gott! Das Mädchen sagte es mir ja vorher: ich höre das Blöken des Lammes, mein Bruder muß da sein. Aber der Himmel mags wissen, ob er nun tot oder noch lebend ist.

Und er sprang auf den Grund des Einschnittes und drang in das Gesträuch ein. Von seinem Bruder war nichts zu entdecken; aber, indem er am Wasser entlang ging, etwa zehn Schritte weit, immer das Blöken des Lammes vernehmend, erblickte er auf der anderen Seite des Ufers seinen Bruder in sitzender Stellung. Auf dem Schöße hielt er in seiner Bluse wirklich ein Lamm, das schwarz und weiß gesprenkelt war von der Schnauze bis zur Spitze des Schwanzes.

Als Landry sah, daß sein Bruder lebte, und daß er weder im Gesicht, noch an seinen Kleidern irgend eine Spur von Verletzung trug, fühlte er sich unsäglich erleichtert und begann aus vollem Herzen Gott zu danken, ohne ihn zugleich um Verzeihung zu bitten, daß er, um dieses Glückes teilhaftig zu werden, seine Zuflucht zu den Künsten des Teufels genommen hatte. Grade, als er im Begriff war Sylvinet anzurufen, der ihn noch nicht sah und wahrscheinlich auch nicht hören konnte, wegen des rauschenden Wassers, das an dieser Stelle über die Kiesel lärmend dahinschoß, – blieb er stehen, um ihn zu betrachten. Er war erstaunt ihn gerade so zu finden, wie die kleine Fadette es ihm vorher gesagt hatte: unter den vom Winde heftig hin und hergeschleuderten Wipfeln der Bäume, saß er so regungslos da, als ob er selbst von Stein gewesen wäre.

Es ist allgemein bekannt, daß es gefährlich ist, an den Ufern unseres Flusses zu verweilen, wenn ein Sturm im Anzüge ist. Die Ufer sind ganz unterhöhlt, und es bricht kein Gewitter aus, ohne daß nicht einige von den Erlen ausgerissen werden, die meistens, wenn sie nicht etwa sehr dick und alt sind, nicht tief im Boden wurzeln. Sie stürzen plötzlich nieder, ohne, daß man sich dessen versehen könnte. Sylvinet aber, der sonst nicht einfältiger oder unvorsichtiger war, als jeder andere, schien gar nicht an die Gefahr zu denken. Er achtete so wenig darauf, als ob er sich unter dem Schutz einer gut gebauten Scheune befunden hätte. Er war ganz erschöpft davon, daß er den ganzen Tag auf den Beinen gewesen und aufs Geratewohl umhergeschweift war. Wenn er sich auch glücklicherweise nicht in den Fluß gestürzt hatte, so saß er doch nun da, versunken in seinem Kummer und Verdruß, wie ein vom Wasser ausgeworfener Baumstamm, der hier zurückgeblieben war. Seine Augen waren starr auf den Fluß gerichtet, sein Gesicht so bleich wie eine Wasserlilie, den Mund hatte er halb geöffnet, wie man dies bei einem nach der Sonne aufschnappenden Fischlein sieht; und das Haar war vom Winde ganz zerzaust. Er achtete nicht einmal auf das kleine Lamm, dessen er sich erbarmte, als er es verirrt in den Wiesen aufgefunden hatte. In seiner Bluse hatte er es mitgenommen, um es an den Ort zurückzubringen, wohin es gehörte, aber unterwegs hatte er vergessen, sich darnach zu erkundigen. Er hielt es jetzt auf seinen Knien, ohne auf das klägliche Blöken des armen kleinen Tieres auch nur zu achten. Es blickte mit seinen großen klaren Augen umher, als ob es ganz erstaunt sei, von keinem anderen Tiere seiner Art gehört zu werden. Dieses große Wasser und dieser düstere, schattige Ort, der ganz mit hohem Grase bewachsen war, wo es weder seine Wiese, noch seine Mutter, noch seinen Stall entdecken konnte, mochten es wohl mit Furcht und Schrecken erfüllen.

Zehntes Kapitel

Wäre Landry nicht von Sylvinet durch den Fluß getrennt gewesen, der in seinem ganzen Laufe, wie man in der neueren Zeit zu sagen pflegt, nicht mehr als vier bis fünf Meter Breite hat, stellenweise aber ebenso tief wie breit ist – so würde er sicherlich ohne weiteres seinem Bruder an den Hals geflogen sein. Da er von Sylvinet nicht einmal gesehen wurde, hatte er Zeit bei sich zu überlegen, auf welche Art er den in seine Träumereien versunkenen Bruder erwecken, und durch Überredung mit sich nach Hause zurückführen könne. Sobald dies nicht mit den Absichten des armen Trotzkopfes übereinstimmte, konnte dieser leicht nach einer anderen Seite hin entschlüpfen, und für Landry war es dann nicht so leicht, früh genug eine seichte Stelle oder einen Brückensteg zu finden, um den Flüchtling wieder einholen zu können.

Nachdem Landry eine Weile mit sich selbst zu Rate gegangen war, fragte er sich, wie sein Vater, der an Klugheit und Bedachtsamkeit vier anderen erfahrenen Männern gewachsen war, in solch einem Falle handeln würde. Er sagte sich sehr richtig, daß Vater Barbeau, ohne viel Aufhebens zu machen, ganz sachte dabei zu Werke gehen würde, damit Sylvinet nur ja nicht merken könne, wie sehr man seinetwegen in Angst gewesen sei. So blieb es diesem auch erspart eine allzugroße Reue zu empfinden, und ebenso wurde er nicht ermutigt, wenn er eines Tages wieder von seinem Verdruß gepackt werden sollte, aufs neue ein ähnliches Stückchen aufzuführen.

Er begann deshalb zu pfeifen, als ob er die Amseln hätte locken wollen, um sie zum Singen zu veranlassen, wie dies die Hirten zu thun pflegen, wenn sie beim Einbruch der Nacht ihre Herden an den Gebüschen vorüber treiben. Das Pfeifen veranlaßte Sylvinet den Kopf zu erheben, und als er seinen Bruder erblickte, schämte er sich und stand rasch auf, sich mit dem Gedanken tröstend, daß er noch nicht gesehen worden sei. Landry that nun, als ob er ihn erst in diesem Augenblicke bemerke und rief ihn an, ohne die Stimme dabei besonders zu erheben, denn das Rauschen des Wassers war nicht mehr so stark, um es zu erschweren, sich verständlich zu machen.

»He! Sylvinet, bist du da drüben? Den ganzen Morgen habe ich auf dich gewartet, und als ich sah, daß du für so lange Zeit fort gegangen warst, habe ich mich aufgemacht, um hier einen Spaziergang zu machen bis zum Abendessen, wo ich dann sicher darauf rechnete dich wieder zu Hause zu finden; aber da bist du ja, und so wollen wir nun miteinander heim kehren. Wir wollen am Fluß entlang gehen, jeder auf der Uferseite, wo er sich jetzt befindet, und an der Strudelfurt treffen wir dann zusammen.« Dies war die Furt rechts von dem Häuschen der Mutter Fadette.

»Gehen wir also,« sagte Sylvinet, indem er das Lamm, dem er noch zu fremd war, als daß es ihm freiwillig gefolgt wäre, auf den Arm nahm. So gingen sie miteinander am Fluß hinunter, ohne daß sie es eigentlich gewagt hätten, sich anzublicken; so groß war ihre Furcht, etwas von dem Kummer merken zu lassen, den sie über das Bösesein empfunden hatten, oder die Freude zu verraten, die ihnen das Wiedersehen verursachte. Ohne sich im Gehen zu unterbrechen, richtete Landry, um den Schein zu vermeiden, als ob er an die Verstimmung seines Bruders glaube, von Zeit zu Zeit ein paar Worte an ihn. Zuerst fragte er, wo er das kleine gesprenkelte Lamm gefunden habe. Sylvinet wußte dies nicht recht zu sagen, denn er wollte nicht gestehen, wie weit er fortgegangen war, und daß er nicht einmal die Namen der Orte wußte, an denen er vorüber gekommen war. Als Landry seine Verlegenheit bemerkte, sprach er zu ihm: »Du wirst mir das später erzählen; der Wind weht hier so heftig, und es ist nicht ratsam sich unter den Bäumen am Flusse aufzuhalten. Aber, da fallen glücklicherweise schon Tropfen vom Himmel herunter; so wird es gewiß nicht lange mehr dauern, daß der Wind sich wieder legt.«

Für sich selbst sagte er dabei: »Es ist gerade so eingetroffen, wie die Grille es mir vorher sagte, daß ich ihn noch vor dem Regen wiederfinden würde. Soviel ist gewiß, dieses Mädchen versteht mehr als unsereins.«

Er dachte dabei aber nicht daran, daß er eine gute Viertelstunde damit verbracht hatte, sich mit der Mutter Fadet zu verständigen, als er sich mit seinen Bitten an sie gewendet, und sie sich geweigert hatte ihn anzuhören. Während dieser Zeit war es recht gut möglich, daß die kleine Fadette, die er nicht eher sah, als nachdem er das Häuschen verlassen hatte, Sylvinet gesehen haben konnte. Dies wurde ihm endlich klar; aber, wie war es nur möglich, daß sie, als sie ihn anredete, schon so gut wußte, warum er so bekümmert war, da sie doch nicht dabei gewesen war, als er sich vor der Alten darüber ausgesprochen hatte. Jetzt aber dachte er nicht daran, daß er schon mehrere Personen nach seinem Bruder gefragt hatte, bevor er noch auf die Binsenwiese gekommen war, und daß irgend jemand vor der kleinen Fadette davon gesprochen haben konnte; oder auch, daß diese das Ende seiner Unterredung mit der Großmutter mit angehört haben konnte, indem sie sich in der Nähe versteckt hielt, wie sie oft zu thun pflegte, um alles zu erfahren, was ihre Neugierde reizte.

Der arme Sylvinet dachte für sich auch darüber nach, wie er seinem Bruder und seiner Mutter gegenüber das Seltsame seines Benehmens erklären sollte, denn er hatte gar keine Ahnung davon, daß Landry sich nur verstellte, und er wußte nicht, welche Geschichte er ihm erzählen sollte, er, der in seinem ganzen Leben noch nicht gelogen, und der vor seinem Zwillingsbruder noch nie etwas verheimlicht hatte.

Es war ihm auch recht schlecht zu Mute, als er die Furt durchschritt, denn bis hierher war er nun gekommen, ohne etwas zu ersinnen, wie er sich aus der Verlegenheit heraushelfen sollte.

Sobald er das andere Ufer erreicht hatte, schloß Landry ihn in seine Arme, mit noch viel größerer Herzlichkeit, als er dies sonst zu thun pflegte. Aber er enthielt sich jeder weiteren Frage an seinen Bruder, da er recht wohl bemerkte, daß dieser nicht wußte, was er sagen sollte. So führte er ihn mit sich nach Hause zurück, indem er ihm von allen möglichen Dingen vorsprach, nur nicht von dem, was ihnen beiden am meisten im Sinne lag. Als sie am Hause der Mutter Fadet vorüber kamen, spähte er eifrig umher, ob die kleine Fadette nicht zu erblicken sei, und er fühlte sogar das Verlangen ihr zu danken. Aber die Thür war verschlossen, und man hörte kein anderes Geräusch, als die heulende Stimme des Grashüpfers, der von seiner Großmutter durchgeprügelt wurde, was jeden Abend geschah, mochte er es verdient haben oder nicht.

Als Sylvinet diesen kleinen Burschen weinen hörte, fühlte er sich schmerzlich ergriffen, und er sagte zu seinem Bruder:

»Das ist ein abscheuliches Haus, wo man immer nur Schreien und Prügeln hört. Ich weiß wohl, daß es nicht leicht etwas schlechteres und ungezogeneres geben kann, als diesen Grashüpfer, und was die Grille betrifft, so wäre sie mir auch keine zwei Sous wert. Aber sie sind beide recht unglückliche Kinder, da sie weder Vater noch Mutter mehr haben und nur von dieser alten Hexe abhängen, die immer in Wut ist und ihnen nichts hingehen läßt.«

»Da ist's freilich nicht wie bei uns,« erwiderte Landry. »Noch nie haben wir den geringsten Schlag erhalten, vom Vater so wenig wie von der Mutter, und selbst, wenn man uns wegen unserer Kinderstreiche auszankte, geschah es in so sanfter und anständiger Weise, daß die Nachbarn nichts davon hörten. So giebt es Menschen, die in ihrem Glück garnicht zu würdigen wissen, was sie vor anderen voraus haben; und doch, die kleine Fadette, welche das unglücklichste Kind auf Erden ist, und die so beispiellos schlecht behandelt wird, lacht immer, ohne sich je über etwas zu beklagen.«

 

Sylvinet verstand den Vorwurf und bereute sein Vergehen; schon seit dem Morgen hatte er diese Neue empfunden, und mehr als zwanzig Mal hatte ihn die Lust angewandelt nach Hause zurückzukehren, aber die Scham hatte ihn davon abgehalten. In diesem Augenblick wurde ihm das Herz schwer, und ohne etwas zu sagen, begann er zu weinen; aber sein Bruder nahm ihn bei der Hand und sprach zu ihm: »Sieh, wie stark es regnet, Sylvinet; wir wollen laufen, daß wir rasch zu Hause kommen.« Sie begannen also zu laufen; Landry gab sich alle Mühe Sylvinet zum Lachen zu reizen, und dieser, seinem Bruder zu gefallen, zwang sich auch dazu.

Als sie aber in Begriff waren in das Haus einzutreten, hätte Sylvinet sich gern in der Scheune verbergen mögen, denn er fürchtete sein Vater werde ihm Vorwürfe machen. Vater Barbeau aber, der die Dinge nicht so ernsthaft nahm wie seine Frau, begnügte sich damit ihn zu necken. Die Mutter Barbeau, die von ihrem Manne wohlweislich eine Lektion erhalten hatte, that sich allen Zwang an vor ihrem Sohne die qualvolle Unruhe zu verbergen, die er ihr verursacht hatte. Indessen, während sie damit beschäftigt war dafür zu sorgen, daß ihre Zwillinge sich vor einem tüchtigen Feuer wieder trocknen konnten, und ihnen ein Abendessen vorzusetzen, erkannte Sylvinet deutlich, daß sie geweint hatte und sah wie sie ihn von Zeit zu Zeit mit besorgter, kummervoller Miene betrachtete. Wäre er mit ihr allein gewesen, dann hätte er sie um Verzeihung gebeten, und würde sie so lange geliebkost haben, bis sie sich getröstet hätte. Aber der Vater Barbeau war nicht grade ein Freund von allen solchen Hätscheleien, und so sah Sylvinet, den die Müdigkeit überwältigte, sich genötigt, ohne etwas zu sagen, gleich nach dem Abendessen zu Bette zu gehen. Den ganzen Tag über hatte er nichts gegessen; sobald er deshalb sein Abendbrot, dessen er sehr bedurfte, hastig verzehrt hatte, fühlte er sich wie berauscht, so daß er gezwungen war, sich von seinem Zwillingsbruder entkleiden und ins Bett legen zu lassen. Dieser blieb dann auch bei ihm, und eine von Sylvinets Händen in der seinigen haltend, setzte er sich auf den Rand des Bettes.

Als Landry sah, daß sein Bruder fest eingeschlafen war, verabschiedete er sich von seinen Eltern, ohne zu bemerken, daß seine Mutter ihn mit größerer Zärtlichkeit küßte, als sie es sonst zu thun pflegte. Er hatte immer geglaubt, daß sie ihn nicht so liebe wie seinen Bruder, aber er war deshalb durchaus nicht eifersüchtig, denn er sagte sich, daß er ja auch viel weniger liebenswürdig sei, und daß er an ihrer Liebe den Anteil habe, der ihm zukomme. Er fügte sich in diesen Stand der Dinge, ebensosehr aus Respekt vor seiner Mutter, wie aus Liebe zu seinem Zwillingsbruder, der ja ein viel größeres Bedürfnis nach Zärtlichkeiten und sanftem Zuspruch hatte, als er selbst.

Am folgenden Morgen eilte Sylvinet an das Bett seiner Mutter, noch bevor sie aufgestanden war, und sein Herz vor ihr ausschüttend, bekannte er ihr seine Reue und wie sehr er sich schäme. Er erzählte ihr, wie er sich seit einiger Zeit so unglücklich fühle, nicht so sehr, weil er von Landry getrennt sei, als vielmehr, weil er sich einbilde, Landry habe ihn gar nicht mehr lieb. Als seine Mutter ihn wegen dieser ungerechten Vermutung zur Rede stellte, war es ihm nicht möglich die Gründe anzugeben, wie er dazu gekommen sei. Sie hatte sich seiner bemächtigt, wie eine Krankheit, deren er sich nicht erwehren konnte. Die Mutter verstand ihn besser, als sie es sich merken lassen wollte, denn das Herz einer Frau ist derartigen Quälereien sehr leicht zugänglich, und sie selbst hatte es oft peinlich empfunden, wenn sie sah, wie Landry in seinem Mut und seiner Kraft so gelassen und fest war. Aber bei dieser Gelegenheit erkannte sie, daß die Eifersucht in jedem Verhältnis etwas Verkehrtes ist, selbst da, wo uns die Liebe von Gott am meisten geboten wird, und so hütete sie sich wohl Sylvinet darin zu bestärken. Sie machte ihn darauf aufmerksam, einen wie großen Schmerz er seinem Bruder verursacht habe und auf dessen außerordentliche Güte, daß er sich nicht einmal darüber beklagt oder beleidigt gezeigt habe. Sylvinet sah dies alles ein und gab auch zu, daß Landry eine viel christlichere Gesinnung habe, als er selbst. Er versprach und nahm sich auch vor, daß er sich ändern wolle, wozu er jedenfalls den aufrichtigen Willen hatte.

Indessen trotz seiner selbst, und obgleich er eine getröstete und zufriedene Miene zur Schau trug, und seine Mutter noch überdies alle seine Thränen getrocknet und alle seine Klagen mit den kräftigsten Trostgründen widerlegt hatte, und er selbst auch sein möglichstes that, sich seinem Bruder gegenüber einfach und natürlich zu benehmen, – so blieb in seinem Herzen doch ein Rest von Bitterkeit zurück. – »Mein Bruder,« sagte er sich unwillkürlich, »ist der bessere Christ und der Gerechtere von uns beiden; meine liebe Mutter hat es ja gesagt und es ist die Wahrheit; aber, wenn er mich ebenso lieb hätte, wie ich ihn, dann könnte er sich unmöglich so in die Verhältnisse hineinfügen, wie er es thut.« – Und hier gedachte er der ruhigen, beinah gleichgültigen Miene, welche Landry angenommen hatte, als er ihn am Ufer des Flusses aufgefunden hatte. Er erinnerte sich daran, wie Landry, als er nach ihm suchte, den Amseln gepfiffen hatte, und das grade in dem Augenblick, wo er selbst wirklich daran dachte, sich in den Fluß zu stürzen. Wenn er diesen Gedanken auch noch nicht gehabt hatte, als er das Haus verließ, so war er ihm gegen Abend doch wiederholt gekommen, als er sich mit der Einbildung quälte, sein Bruder werde es ihm niemals verzeihen, daß er ihm getrotzt habe und zum erstenmal in seinem Leben ausgewichen sei. »Wäre es Landry gewesen, der mir eine solche Beleidigung zugefügt hätte,« sagte er bei sich, »so würde ich mich nie wieder darüber beruhigt haben. Ich bin sehr glücklich, daß er mir verzeiht, aber ich hätte doch nicht geglaubt, daß er es thun würde.« Mit solchen Gedanken quälte das unglückliche Kind sich ab und konnte nicht fertig werden damit und hörte nicht auf zu seufzen.

Allein, wie Gott uns belohnt und seine Hilfe nicht versagt, sobald wir nur den ernsten Willen haben, ihm wohlgefällig zu sein, so geschah es auch, daß Sylvinet während der übrigen Zeit des Jahres vernünftiger wurde. Er vermied es mit seinem Bruder zu streiten und zu schmollen und liebte ihn schließlich in einer stilleren und friedlicheren Weise, so daß seine Gesundheit, welche durch alle diese Aufregungen gelitten hatte, wieder hergestellt und gekräftigt wurde. Sein Vater, welcher bemerkte, daß Sylvinet sich um so besser befand, je weniger er sich mit sich selbst beschäftigen konnte, sorgte dafür, ihn mehr zur Arbeit zu verwenden. Aber die Arbeit im elterlichen Hause ist nie so hart und schwer wie die, welche man bei Fremden auf Befehl zu verrichten hat. So kam es auch, daß Landry, der sich nicht eben schonte, an kräftiger Entwickelung in Wuchs und Gliederbau seinen Zwillingsbruder in diesem Jahre überholte. Die kleinen Verschiedenheiten, welche stets zwischen ihnen bemerkbar gewesen waren, traten immer deutlicher hervor, und übertrugen sich auch von ihrem Wesen auf die äußere Erscheinung. Nachdem sie das fünfzehnte Jahr überschritten hatten, gestaltete sich Landry immer mehr zu einem durchaus schönen Burschen. Sylvinet blieb ein hübscher junger Mensch, viel zierlicher in Gestalt und Wuchs und viel weniger männlich in der Färbung des Gesichtes als sein Bruder. Auch kam es nie mehr vor, daß man sie miteinander verwechselte, und trotzdem sie sich noch immer ähnlich waren, wie zwei Brüder, so wurden sie doch nicht mehr auf den ersten Blick als Zwillinge erkannt. Landry galt für den Jüngsten, weil er eine Stunde nach Sylvinet geboren war. Aber Personen, welche die beiden zum erstenmale sahen, hielten ihn stets für ein oder zwei Jahre älter als seinen Bruder. Dies trug dazu bei, den Vater Barbeau in seiner Vorliebe für ihn zu bestärken, denn nach Art der Landleute schätzte dieser vor allem die Kraft und einen stattlichen Wuchs als die Hauptsache.

Другие книги автора