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Der Müller von Angibault

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»Ja, tun Sie mir also den Gefallen, in das Wildgehege zu treten, wo zu dieser Stunde niemand sich aufhält, und verstecken Sie sich gut in einem Winkel. Im Vorübergehen werde ich dann pfeifen, wie wenn ich, mit Ihrer Erlaubnis zu sagen, meinem Hunde rufen würde, und dann vereinigen Sie sich wieder mit mir.«

Lemor gab sich zufrieden, in der Hoffnung, der kluge Müller werde wohl ein Mittel ausfindig machen, Marcelle mit ihm zusammenzubringen. Er verfolgte also langsam den heimlichen Weg, welcher das Wildgehege durchkreuzte, jeden Augenblick innehaltend, das Ohr spitzend, den Atem an sich haltend und wieder umkehrend, um der glücklichen Begegnung desto näher zu sein.

Es währte nicht lange, als er leichte Tritte vernahm, welche den Rasen zu streifen schienen, und das Rauschen der Blätter ihn überzeugte, dass sich jemand nähere. Er trat in ein Dickicht, um sich zu versichern, dass er sich nicht täusche, und sah eine unkenntliche Gestalt auf sich zukommen, ein weibliches Wesen von ziemlich kleinem Wuchse.

Man glaubt gewöhnlich, was man wünscht, und Heinrich, welcher nicht zweifelte, dass es, von dem Müller hergeschickt, Marcelle sei, verließ das Gebüsch und ging der Gestalt entgegen. Allein er blieb sogleich stehen, als er eine unbekannte Stimme vorsichtig sagen hörte:

»Paul, Paul! Bist du es, Paul?«

Als Heinrich wahrnahm, dass er sich geirrt hätte und mit einer einem andern bestimmten Zusammenkunft beglückt werden sollte, wollte er sich entfernen. Aber das Geräusch, welches seine Schritte auf den dürren Zweigen verursachten, machte, dass die Wahnsinnige aus ihren Liebesträumen aufgeschreckt wurde, ihn erblickte und sich mit der Schnelligkeit eines Pfeils an seine Fersen heftete, indem sie mit kläglicher Stimme schrie:

»Paul, Paul! Da bin ich! Paul! Ich bin es!.... Geh’ nicht fort! Paul! Paul! Du fliehst immer, immer!«

24. Kapitel.
Die Wahnsinnige

Lemor beunruhigte sich anfangs wegen dieses Abenteuers nicht sehr und meinte, die Nacht werde ihn hinlänglich begünstigen, um der Frau, welche er nicht deutlich genug gesehen hatte, um ihren Wahnsinn zu erraten, entgehen zu können. Natürlich bildete er sich ein, er werde schneller laufen können, als sie; allein bald sah er, dass er sich täusche und dass er mit Aufbietung seiner ganzen Behändigkeit nicht imstande sei, einen bedeutenden Zwischenraum zwischen sich und seine Verfolgerin zu legen. Genötigt, das ganze Wildgehege zu durchkreuzen, fand er sich bald in der hinteren Allee, wo die Bricoline ganze Stunden hin- und herzugehen pflegte und wo das Gras an vielen Orten von ihren Fußstapfen weggetilgt war. Hier entfaltete der Flüchtling, welchem die Wurzeln des Kräutergewindes und die Unebenheiten des Fußpfades bisher etwas hinderlich gewesen, seine ganze Kraft, um einen Vorsprung zu gewinnen; aber die Wahnsinnige schien unter dem Einfluss eines glühenden Gedankens leicht geworden zu sein wie ein von dem Sturm dahingeführtes welkes Blatt.

Sie verfolgte daher Lemor so rasch, dass er voller Erstaunen und der Notwendigkeit bewusst, sich nicht in der Nähe sehen zu lassen, um nicht später wiedererkannt zu werden, sich abermals in das Dickicht warf und sich in den Schatten zu verlieren trachtete. Die Wahnsinnige kannte jedoch alle Bäume, alle Gebüsche, und, sozusagen, alle Zweige des Wildgeheges. Seit den zwölf Jahren, welche sie an diesem Orte zugebracht hatte, hatte ihr Körper mechanisch jeden Schlupfwinkel des Gehölzes zu finden und zu durchdringen gelernt, obwohl der Zustand ihres Geistes sie verhinderte, sich irgendeiner vernünftigen Beobachtung hinzugeben. Außerdem machte die Exaltation ihres Wahnsinns sie für körperliche Schmerzen unempfänglich, sie hätte Fetzen ihres Fleisches an den Dornsträuchen hängen lassen, ohne es wahrzunehmen, und dieser sozusagen kataleptische Zustand gab ihr keinen unbedeutenden Vorteil über den, welchen sie einholten wollte.

Endlich war sie von so schmächtiger Gestalt, ihr Körper nahm so wenig Raum ein, dass sie wie eine Eidechse zwischen den dichtstehenden Stämmen hinglitt, während sich Lemor oftmals genötigt sah, sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen oder sogar umzukehren. Bemerkend, dass er jetzt noch schlimmer daran sei denn vorher, eilte er auf den freien Platz zurück und entschloss sich, über den Graben zu springen, ohne wegen des dichtbelaubten Buschwerks, welches denselben deckte, dessen Breite berechnen zu können. Er machte seinen Satz und stürzte in den Dornen auf die Knie nieder. Aber er hatte kaum Zeit aufzustehen, als das Phantom, welches ohne der Steine und Nesseln zu achten den Graben passiert hatte, ohne darüber zu springen, sich bereits ihm zur Seite befand und sich an seine Kleider anklammerte.

Als sich Lemor, dessen Phantasie so lebhaft war wie die eines Künstlers und eines Poeten, von einem in Wahrheit fürchterlichen Wesen so bedrängt sah, wähnte er sich von einem Traum befangen, und sich schüttelnd, als ob ihn der Alp drückte, gelang es ihm, sich von der Wahnsinnigen, welche unartikuliertes Geschrei ausstieß, loszumachen und seinen Lauf durch die Felder fortzusetzen. Allein sie heftete sich an seine Fußstapfen, auf dem gefurchten, mit frischen, ihre Füße verwundenden Stoppeln bepflanzten Boden nicht weniger geschwind, als sie es in dem Dickicht des Parkes gewesen.

Am Ausgang des Ackerlandes übersprang Heinrich eine Einfriedigung und befand sich darauf in einem jäh bergabgehenden Hohlweg, hatte aber kaum zehn Schritte in demselben zurückgelegt, als er das Gespenst schon wieder mit erstickter Stimme hinter sich schreien horte:

»Paul! Paul! Warum gehst du fort?«

Diese Flucht hatte etwas Phantastisches, welches sich der Einbildungskraft Lemors immer mehr und mehr bemächtigte. Er war, während er sich aus der Umarmung der Wahnsinnigen losmachte, imstande gewesen, in der sternhellen Nacht diese bizarre Erscheinung, dieses leichenhafte Antlitz, diese fleischlosen, mit Wunden bedeckten Arme, diese langen, schwarzen, auf blutbefleckten Lumpen wogenden Haare zu unterscheiden. Es war ihm noch nicht in den Sinn gekommen, dass dieses unglückliche Geschöpf verrückt sein konnte, sondern er glaubte sich von einer eifersüchtigen Verliebten verfolgt, die der Irrtum betreffs seiner Person allerdings für den Augenblick verrückt gemacht haben müsse. Er bedachte sich, ob er nicht stehen bleiben sollte, um mit ihr zu sprechen und sie zu enttäuschen. Aber wie ihr seine Gegenwart in dem Parke zu erklären? Musste er, wenn er als Fremder und wie ein Räuber in dem Schatten des Wildgeheges umherschlich, nicht gleich zu Anfang den seltsamsten Argwohn auf dem Pachthof erwecken und musste er es nicht vor allem vermeiden, seine Anwesenheit in der Gegend durch ein skandalöses oder lächerliches Abenteuer zu bezeichnen?

Er entschloss sich also, weiterzulaufen, und diese wunderliche Leibesübung dauerte ohne Unterbrechung wohl eine halbe Stunde. Der Kopf Lemors erhitzte sich wider seinen Willen und für Augenblicke glaubte er, selber verrückt zu werden, wenn er die unabänderliche Beharrlichkeit und die übernatürliche Geschwindigkeit des an seine Fersen gehefteten Phantoms erwog. Die Märchen von den Willis und andern bösen Feen der Nacht fielen ihm ein. Endlich fand sich Lemor in der Tiefe des Tales an dem Ufer der Vauvre, und obgleich mit Schweiß bedeckt, war er im Begriffe, sich in das Wasser zu werfen, indem er bedachte, dass ihn doch wohl der Fluss von dem Gespenst trennen werde, als er hinter sich einen Schrei vernahm, einen Schrei, so entsetzlich und herzzerreißend, dass es seinen ganzen Körper kalt überlief. Er wandte sich um, sah aber nichts. Die Wahnsinnige war verschwunden.

Die erste Bewegung Lemors war, diesen Augenblick des Zögerns von Seite seiner Verfolgerin zu benützen, um sich weiter zu entfernen und sie seine Spur verlieren zu machen. Aber der schreckliche Schrei ließ einen peinlichen Eindruck in ihm zurück. Hatte ihn wohl dieses Weib ausgestoßen? Der Ton hatte nichts Menschliches und doch – was lag für ein Schmerz, was für eine wilde Verzweiflung darin? Sollte sie etwa gefallen und sich bedeutend verletzt haben? fragte sich Lemor, oder sollte sie, mich unter diesen Weiden aus dem Gesicht verlierend, gewähnt haben, ich sei ertrunken?

Das war ein Schrei des Todeskampfes oder des Schreckens. Oder ließ sie vielleicht die Wut, mir nicht ins Wasser folgen zu können, in welches ich mich, wie sie leicht annehmen konnte, werfen würde, denselben ausstoßen? Aber wenn sie während des Laufens in einen Graben oder über einen Abhang hinuntergestürzt wäre, ohne dass ich es wahrgenommen? Wenn diese unselige Begegnung einer Unglücklichen das Leben kosten würde? Nein, was immer daraus entstehen mag, es ist mir unmöglich, sie den Schrecken des Todeskampfes hilflos zu überlassen.

Lemor kehrte also um, woher er gekommen, ohne jedoch die Unbekannte zu finden. Der abschüssige Weg, auf welchem er herabgeeilt, berührte den äußersten Saum des Parkes. Rechts und links gab es wohl hohe Einfriedigungshecken, aber keinen Graben; auch war kein Pfuhl, kein Brunnen da, wo sie sich hätte ertränken können.

Der sandige Weg zeigte, soweit Lemor sehen konnte, keine Spur von dem Fall eines Körpers. Er suchte fort und fort und verlor sich in allerlei Vermutungen, als er zu wiederholten Malen pfeifen hörte, wie wenn man einen Hund lockt. Anfangs beachtete er dies wenig, so sehr war er von seinem Abenteuer beschäftigt und aufgeregt; allein zuletzt erinnerte er sich, dass es das mit dem Müller verabredete Signal sei, und daran verzweifelnd, seine Verfolgerin wiederzufinden, antwortete er ebenfalls pfeifend dem Rufe des großen Louis.

»Sie haben den Teufel im Leibe«, sagte dieser mit gedämpfter Stimme zu ihm, als sie wieder in dem Wildgehege beisammen waren, »dass Sie so weit weg gingen, da ich Ihnen doch empfohlen hatte, sich nicht von der Stelle zu rühren! Schon eine Viertelstunde suche ich Sie ungeduldig in diesem Gehölz, ohne zu wagen, lauter zu rufen.... Aber was haben Sie denn gemacht? Sie sind ja ganz atemlos und außer sich! Der Teufel hole mich! Meine Bluse hat auf Ihren Schultern einen schlimmen Platz gehabt, wie ich sehe. Aber reden Sie doch! Sie sehen ja drein wie ein Kaninchen, dem der Raubvogel im Nacken sitzt, oder vielmehr wie ein Mensch, der von einem Gespensterspuk verfolgt wird.«

 

»Sie haben es gesagt mein Freund. Entweder beruht das, was mir Hans von den Nachtkobolden des schwarzen Tales erzählt hat, auf einer unerklärlichen Wirklichkeit oder aber ich habe eine Vision gehabt. Schon seit einer Stunde, glaub’ ich, (vielleicht aber auch seit einem Jahrhundert, ich kann’s nicht sagen), balge ich mich mit dem Teufel herum.«

»Wenn Sie nicht bei allen Ihren Mahlzeiten ein so hartnäckiger Wassertrinker wären, würde ich glauben, Sie wären just in der rechten Stimmung, um von dem großen Tier, von dem weißen Windhund, oder von dem Georgeon, dem Wolfshetzer, zu erzählen. Aber Sie sind ein viel zu gelehrter und viel zu vernünftiger Mann, um an diese Gespenstergeschichten zu glauben. Es muss Ihnen also etwas ausgestoßen sein; ein wütender Hund vielleicht?«

»Etwas Ärgeres«, entgegnete Lemor, sich allmählich sammelnd, »nämlich ein wütendes Weib, mein Freund, eine Hexe, welche weit schneller lief als ich, und welche verschwand, ich weiß nicht wie, in dem Augenblick, wo ich mich, um von ihr loszukommen, in den Fluss werfen wollte.«

»Ein Weib? Oh, oh! Und was sagte das Weib?«

»Sie hält mich für einen gewissen Paul, der ihr, wie es scheint, sehr am Herzen liegt.«

»Ja richtig, ’s ist nicht daran zu zweifeln. Das ist die Wahnsinnige vom Schloss. Es war recht dumm von mir, dass ich Sie nicht darauf vorbereitet habe, Sie könnten ihr begegnen. Verdammt, ich hatte es vergessen. Wir sind so sehr daran gewöhnt, sie des Abends wie ein altes Wiesel umherstreichen zu sehen, dass wir gar nicht mehr darauf achten. Und doch ist’s ein Unglück, das einem das Herz bluten machen kann! Aber wie zum Teufel! kam sie dazu, sich mit Ihnen einzulassen? Sie ist doch sonst gewohnt, jedermann auszuweichen. Ihr Übel muss sich seit kurzem verschlimmert haben, und doch war es schon schlimm genug… armes Mädchen!«

»Wer ist denn dieses unglückliche Geschöpf?«

»Sie sollen es später erfahren. Verdoppeln wir unsere Schritte, wenn es Ihnen gefällig ist. Sie sehen ja aus, als seien Ihnen alle Flügel geknickt.«

»Ich glaube, ich habe mir im Falle die Knie verstaucht.«

»Einerlei, es harrt am Ende des Weges jemand voller Ungeduld auf Sie«, sagte der Müller, seine Stimme noch mehr dämpfend.

»Oh!« rief Lemor aus, »ich fühle mich leichter als der Nachtwind!«

Und er begann zu laufen.

»Sachte!« sagte der Müller ihn zurückhaltend; »gehen Sie nur auf dem Grase und machen Sie kein Geräusch. Sie wartet unter jenem Baume. Verlassen Sie den Platz nicht. Ich werde die Runde machen, um sie vor Überraschung zu sichern.«

»Ist denn ihr Hieherkommen gefährlich für sie?« fragte Lemor etwas erschreckt.

»Wenn ich das dächte, so hätte ich sie gewiss daran verhindert. Sie haben auf dem Schlosse alle Hände voll zu tun mit den Vorbereitungen zu dem morgigen Feste. Aber wenn ich auch weiter nichts tun kann, so kann ich doch die Wahnsinnige von Ihnen abhalten, wenn sie nochmal auf den Einfall kommen sollte, Sie belästigen zu wollen.«

Heinrich, ganz glücklich, vergaß alles Übrige und eilte, sich Marcelle zu Füßen zu werfen, welche ihn unter einer mächtigen Eiche an einer wenig besuchten Stelle des Gehölzes erwartete. Der erste Überschwang ihrer Gefühle gab keiner Erklärung Raum. Keusch und enthaltsam, wie sie immer gewesen, empfanden sie jetzt dennoch eine Trunkenheit, welche kein Menschenwort erschöpfend ausdrücken kann. Sie waren wie erstaunt, sich so bald wiederzusehen, nachdem sie beinahe an eine ewige Trennung hatten glauben müssen, und dennoch suchten sie sich nicht darüber zu verständigen, was alles zwischen ihnen habe vorgehen müssen, um so geschwind alle ihre Pläne von Mut und Entsagung herbeizuführen und rückgängig zu machen; allein sie errieten gegenseitig wohl, welche unaussprechliche Schmerzen und welcher unwiderstehliche Zauber sie zueinander gezwungen, in demselben Augenblicke, wo sie geschworen, sich zu fliehen.

»Unsinniger! Du wolltest mich für immer verlassen!« sagte Marcelle, indem sie Lemor ihre schöne Hand hin reichte.

»Grausame, du wolltest mich auf ein Jahr verbannen!« entgegnete Heinrich, diese Hand an seine glühenden Lippen pressend.

Und Marcelle fühlte wohl, dass ihr Entschluss, dem Geliebten mutvoll für die Dauer eines Jahres zu entsagen, von ihrer Seite redlicher gemeint gewesen sei, als das ewige Exil, zu welchem sich Lemor zu verdammen gesucht hatte.

Als sie daher, nachdem sie sich lange mit schweigendem Entzücken in die Augen geschaut, die Fähigkeit, zu sprechen wieder erlangten, kam Marcelle zuerst wieder auf ihren lobenswerten Vorsatz zurück, indem sie sagte:

»Das ist nur ein flüchtiger Sonnenblick aus Wolken. Man muss dem Gebot der Pflicht gehorchen. Wenn wir auch betreffs der Sicherheit unseres Beisammenseins hier auf keine Hindernisse stießen, so wäre es doch durchaus irreligiös, uns so schnell zu vereinigen, und diese Zusammenkunft muss bis zu Ablauf meiner Witwentrauer die letzte sein. Sagen Sie mir, dass Sie mich lieben und dass ich Ihre Gattin sein werde, und ich werde die nötige Kraft haben, um Ihrer zu warten.«

»O, sprechen Sie mir jetzt nicht von Trennung!« erwiderte Lemor leidenschaftlich. »Lassen Sie mich diesen Augenblick, welcher der schönste meines Lebens ist, langsam genießen! Lassen Sie mich vergessen, was gestern war und was morgen sein wird! Sehen Sie, wie lau die Nacht, wie schön der Himmel, wie ruhig und duftig diese Stelle ist! Sie sind hier, Marcelle, Sie sind es wirklich, es ist nicht bloß Ihr Schatten! Wir sind beide da! Wir haben uns durch Zufall und unfreiwillig gefunden. Gott hat es gewollt und es macht uns so glücklich, seinem Willen zu folgen, es macht uns beide glücklich, Sie nicht weniger, als mich, Marcelle! Ist es möglich? Nein, ich träume nicht, denn Sie sind hier, mir zur Seite, bei mir! Wir sind allein, wir sind glücklich! Wir lieben uns so sehr! Wir konnten uns nicht verlassen, wir können es nicht, wir werden es niemals können.«

»Und dennoch, Freund.«

»Ich weiß! Ich weiß, was Sie sagen wollen! Morgen, ein andermal werden Sie mir schreiben, werden Sie mir Ihren Willen kundtun, und ich werde gehorchen. Warum wir heute Abend davon sprechen? Warum wir diesen Augenblick, der in meinem ganzen Leben nicht seinesgleichen hat, verderben? Lassen Sie mich glauben, Sie wissen es wohl! er werde ewig dauern! Marcelle, ich sehe Sie! O, ich sehe Sie wohl, ungeachtet der Nacht! Wie sind Sie seit drei Tagen, seit heute Morgen, wo sie doch schon so schön waren, schöner geworden! O sagen Sie mir, dass Ihre Hand für immer in der meinigen bleiben wird! Ich halte sie ja fest.«

»Ach, Sie haben Recht, Lemor! Freuen wir uns unseres Wiedersehens und denken wir jetzt nicht der Trennung! Morgen, ein andermal.«

»Ja, ein andermal, ein andermal!« rief Heinrich aus.

»Tun Sie mir doch den Gefallen, leiser zu sprechen«, sagte der Müller, sich nähernd. »Ich höre ja wider Willen alles, was Sie sagen, Herr Heinrich.«

Die beiden Liebenden blieben beinahe eine Stunde lange in tiefe Ekstase versunken, tausend süße Zukunftsträume entwerfend und von ihrem Glucke sprechend, als gälte es nicht, dasselbe morgen zu unterbrechen, sondern zu beginnen. Der sanfte Lufthauch umsäuselte sie mit den Düften der Nacht und die hellen Sterne wandelten über ihren Häuptern, ohne dass sie den unwiederbringlichen Verlauf der Zeit bemerken wollten, welche nur in dem Herzen der Liebenden einen Stillstand macht.

Allein der Müller kam, nachdem er verschiedene Zeichen von Ungeduld von sich gegeben, herbei, um sie zu unterbrechen, indem ihm die zum Untergang sich neigenden Polarsterne auf dem himmlischen Zifferblatt die zehnte Stunde anzeigten.

»Meine Freunde«, sagte er, »ich darf Euch nicht länger hier lassen und Ihr dürft keinen Augenblick mehr hier bleiben. Ich höre die Knechte auf dem Hofe der Pächterei nicht mehr singen und die Lichter erlöschen an den Fenstern des neuen Schlosses. Nur das der Jungfer Rose brennt noch und sie erwartet die gnädige Frau Marcelle, um schlafen zu gehen. Herr Bricolin wird sogleich seine Runde machen, wie er am Vorabend eines Festtages immer zu tun pflegt. Machen wir uns also aus dem Staube!«

Lemor fand das nicht nach seinem Geschmacke und sagte:

»Ei, ich bin ja kaum angekommen.«

»Das ist möglich«, entgegnete der Müller, »aber was mich betrifft, so muss ich heute Abend noch nach La Châtre gehen, verstanden?«

»Wie? Etwa um meiner Angelegenheiten willen?«

»Ja, wenn es Ihnen gefällig ist. Ich will Ihren Notar sprechen, bevor er schlafen geht, und möchte ihn nicht erst morgen bei Tage besuchen, weil Herr Bricolin dann leicht dahinter kommen könnte, dass ich gegen ihn konspiriere.«

»Aber, großer Louis«, sagte Marcelle, »ich will nicht, dass Sie sich meiner wegen der Gefahr aussetzen.«

»Genug, genug geschwatzt!« erwiderte der Müller. »Ich werde tun, was mir gefällt, ich. Aber hören Sie, wie die gelben Hunde auf dem Pachthof anschlagen! Kehren Sie nach der Wiese zurück, gnädige Frau Marcelle, und wir, mein Pariser, wollen den Weg unter die Füße nehmen und tüchtig ausziehen!«

Die Liebenden trennten sich, ohne sich ein Wort zu sagen, so sehr fürchteten sie, es sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dass diese Zusammenkunft als die letzte zu betrachten sei. Marcelle hatte nicht die Kraft gehabt, einen Tag für Heinrichs Abreise festzusetzen, und dieser beschleunigte in der Besorgnis, sie möchte einen festsetzen, sein Weggehen, nachdem er ihr noch zehnmal schweigend die Hand geküsst.

»Nun, was haben Sie beschlossen?« fragte ihn der Müller, als sie den Saum des Parkes erreicht hatten.

»Nichts, mein Freund«, versetzte Lemor. »Wir haben nur von unserem Glück gesprochen.«

»Von dem zukünftigen. Aber die Gegenwart?«

»Es gibt weder Gegenwart noch Zukunft. Dieser Unterschied verschwindet gänzlich, wenn man sich liebt.«

»Ei, das ist überhirniges Zeug. Ich hoffe indessen, dass Sie sich ruhig verhalten und mich nicht die ganze Nacht in Todesängsten um Sie in den Wäldern zappeln lassen. Doch hier, mein Bursche, ist der Weg nach Angibault. Ich denke, Sie wissen sich allein dorthin zurückzufinden.«

»Gewiss. Aber soll ich Sie nicht nach der Stadt begleiten?«

»Nein, es ist sehr weit. Einer von uns müsste zu Fuße gehen und also den andern verzögern, wenn wir uns nicht beide nach Landesbrauch auf Sophies Rücken setzen wollten. Das arme Tier ist aber hochbetagt und hat zudem nicht zu Nacht gefressen. Ich muss den Baum aufsuchen, unter welchem ich sie dort unten angebunden, nachdem ich getan, als kehrte ich nach der Mühle zurück. Wissen Sie, dass es mir große Mühe machte, die arme Sophie dergestalt dem Schutze Gottes anheimzustellen? Ich habe sie allerdings möglichst unter den Zweigen versteckt, aber wenn nun so ein Vagabund, deren von allen Arten zu der morgigen Kirmes kommen, das Tier wahrgenommen und gestohlen hätte? Während Sie im Parke schmachteten und girrten, ging mir Sophie fortwährend im Kopf herum.«

»Nun, wir wollen sie mitsammen suchen!«

»Nein, nein. Sie sind immer sehr bereit, gegen das Schloss hin umzukehren, ich sehe es wohl. Gehen Sie lieber, um meiner Mutter zu sagen, sie solle sich unbesorgt schlafen legen; ich würde vielleicht etwas spät zurückkehren. Herr Tailland, der Notar, wird mich beim Nachtessen behalten wollen. Er ist ein Lebemann, ein Feinschmecker, ein liebenswürdiger Mensch. Ich werde dabei Gelegenheit haben, mit ihm die Angelegenheiten der gnädigen Frau Marcelle zu besprechen, und Sophie wird inzwischen, ohne eine Konsultation zu verlangen, ein Mäßchen Hafer verzehren.«

Lemor drang nicht weiter in seinen Freund, denselben begleiten zu dürfen. Wie sehr ihm auch der gute Müller Freundschaft und Dankgefühl einflößte, so zog er doch vor, nach den Bewegungen des Abends allein zu sein. Er fühlte das Bedürfnis, sich ungehindert dem Gedanken an Marcelle hinzugeben und, ihr Bild vor seine Seele rufend, den süßen Traum fortzuträumen, welchen er zu ihren Füßen gehabt.

Er fand seinen Weg nach Angibault gerade so, wie ein Nachtwandler sich in sein Bett zurückfindet. Ich kann nicht sagen, ob er den geraden Weg verfolgte, ob er den Fluss vermittelst der Brücke überschritt, ob er nicht das Doppelte der Strecke zurücklegte, ob er sich nicht manchmal am Rand einer Quelle vergaß. Die Nacht war wollustvoll und von dem Hahn ab, der seine Fanfaren von den zerstreuten Hütten herschmetterte, bis zu der Grille, die heimlich im Grase girrte, schien ihm alles, triumphierend oder geheimnisvoll, den teuren Namen Marcelles zu wiederholen. Als er aber in der Mühle angekommen, fühlte er sich so abgemattet, dass er sich, nachdem er die Müllerin benachrichtigt hatte, sie brauche ihren Sohn nicht zu erwarten, sogleich auf das kleine Bett warf, welches der große Louis in seiner reinlichen Kammer für ihn hatte bereiten lassen.

 

Nachdem die große Marie dem Müllerburschen Hans empfohlen, nicht zu lange auf seinen Meister zu warten, damit er aufwache und Sophie in den Stall bringen könne, wenn derselbe heimkehre, ging sie ebenfalls schlafen. Allein die mütterliche Zärtlichkeit schläft nur mit einem Auge und beim Ausbruch eines nächtlichen Gewitters erwachte die gute Frau sogleich wieder, indem sie bei jedem das Tal durchrollenden Donner ihren Sohn an Hansens Türe klopfen zu hören wähnte. Als der Tag anbrach, ging sie, um Hansen zu empfehlen, kein Geräusch zu machen, weil der große Louis, spät heimgekehrt, gewiss etwas länger als gewöhnlich werde schlafen wollen; aber sie erstaunte sehr und erschrak beinahe, als Hans ihr sagte, sein Meister sei noch nicht heimgekommen.

»Das ist nicht möglich«, meinte sie; »er schläft nicht auswärts, wenn er nicht weiter als nach Blanchemont geht.«

»Ah bah, Meisterin, es war ja der Vorabend des Festes. Da schlief dort kein Mensch. Die Wirtshäuser standen gewiss die ganze Nacht offen. Die Musikanten werden ihre netten Stückchen aufgespielt haben und das macht das Herz tanzen. Man kann den Morgen nicht erwarten, denkt nicht daran, schlafen zu gehen, weil man fürchtet, zu spät aufzuwachen und etwas von dem Pläsir einzubüßen. Der Meister wird sich lustig, wird Freinacht gemacht haben.«

»Der Meister bleibt nicht die Nächte über in den Wirtshäusern«, entgegnete die Müllerin kopfschüttelnd, nachdem sie die Stalltüre geöffnet hatte, um zu sehen, ob Sophie nicht an der Raufe angebunden sei.

»Ich glaubte, er sei etwa heimgekommen, ohne dich aufwecken zu wollen, Hans. Er macht es gewöhnlich so, denn er will lieber alles selber tun als ein Kind wie du, das sogar mit offenen Augen schläft, zu stören. Er aber, er hat nicht geschlafen und doch war er seit vorgestern so müde und ist in der vorigen Nacht so spät schlafen gegangen und in der heutigen gar nicht!«

Die Müllerin ging mit einem tiefen Seufzer ins Haus zurück, um ihren Sonntagsstaat anzulegen.

»Böse Liebe!« dachte sie, »du bist’s, die ihn quält und Tag und Nacht ihm keine Rast gönnt. Wie soll das alles noch für ihn enden?!«