Ein tödliches Spinnennetz

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Bereits am gleichen Tag kündigte ich drei verschiedene Prüfungen in unterschiedlichen Abteilungen an. Die Erste war für den Zahlungs- und Bankenverkehr, da dieser von uns als der kritischste Bereich im Unternehmen eingestuft werden musste, denn dort ging es um Geld, viel Geld. Kurz darauf kündigte ich die Prüfung für die Rechnungsschreibung und für den Einkauf an, da auch hier erhebliche Risiken bestanden. Ich teilte meine Leute in kleine Teams mit klar definierten Aufgabenstellungen. Innerhalb einer Woche sollten sie jeweils die in den Revisionsberichten dargestellten, und von uns als Problem identifizierten Bereiche, verifizieren. So sollte der Umfang potenzieller oder eingetretener Risiken beziehungsweise Verluste erfasst werden, soweit dies in der Kürze der Zeit möglich war. Dazu wählten wir einzelne, im Voraus definierte Geschäftsvorfälle, die in allen drei Abteilungen überprüft werden konnten. Ich wollte so schnell wie möglich einen Überblick der aktuellen Situation erhalten.

Schon eine halbe Stunde später erhielt ich den ersten Anruf. Der Abteilungsleiter des Zahlungs- und Bankenverkehrs, kurz »ZB«, wollte von mir eine Erklärung für mein Vorgehen. Ich erläuterte, dass wir regulär wiederkehrende Prüfungen vornehmen würden, die Frau Mohr, Mitglied der Geschäftsführung, als Grundlage ihrer Entscheidungen heranziehen wollte. Reine Routine eben. Es beruhigte ihn nicht sonderlich, von Begeisterung war natürlich auch keine Rede. Doch er gab klein bei. Wenige Augenblicke später erlebte ich Gleiches mit den Leitern der Rechnungsschreibung und des Einkaufs. Letzterer wollte gar wissen, dass wir dazu gar nicht berechtigt seien. Wir würden damit unsere Kompetenzen überschreiten. Ich verwies ihn an Frau Mohr, nicht ohne auch seinen Hinweis auf Offermann zu beantworten, dass dieser von Frau Mohr wichtigere Aufträge erhalten habe und deshalb anderweitig beschäftigt sei. Das fing also schon gut an und ich war gespannt, was für Spielchen da noch auf uns warteten.

Nachdem ich Lisa Schuster wegen der vielen Arbeit und Besprechungen seit Tagen nicht gesehen hatte, verabredeten wir uns für den Abend im Café Einstein. Ich musste zugeben, dass sie mir fehlte, da ich doch sonst mit niemandem wirklich offen reden konnte. Als sie im Café eintraf und wir uns mit einer kurzen Umarmung begrüßten, bekam ich wieder eine Portion ihres Parfüms in die Nase. Fast hätte ich sie nicht losgelassen, so angenehm empfand ich in diesem Moment den Hauch ihres Duftes.

Wir unterhielten uns über die letzten Tage und wie wir bei Lohr angekommen waren. Lisa erklärte, dass sie ein merkwürdiges Gefühl habe, weil in ihrer Abteilung offenbar alles und jedes überwacht würde. Sie hatte deshalb bisher nicht versucht, die Lohr internen Systeme zu analysieren, um nicht aufzufallen. Ich bat sie, weiterhin sehr vorsichtig zu agieren, denn ich bräuchte sie doch hier. Dann erzählte ich, was sich bisher bei mir getan hatte und beschrieb, was ich mir vorstellte. Spätestens, wenn ich eine Freigabe für mein weiteres Vorgehen hätte, würde ich wieder auf sie zukommen. Deshalb sollten wir uns von nun an wieder öfter sehen. Insgeheim dachte ich aber, nicht nur deshalb.

Nach fast drei Stunden entschieden wir, gemeinsam mit der S-Bahn nach Hause zu fahren. Wir unterhielten uns über ein paar Typen, die gerade aus der S-Bahn ausstiegen. So viel Eisen im Gesicht hatte ich vorher noch nicht gesehen. Wir lachten über ihren Gedanken, dass das bei dem nassen Wetter doch zu Rost führen könnte. Bei meiner Endstation angekommen, gab es noch mal eine leichte Umarmung. Als die Bahn wieder anfuhr, folgte noch ein kurzes Winken. Ich sah ihr nachdenklich nach. Ihren Duft hatte ich, während ich langsam die Bahnstation verließ, noch eine ganze Weile in der Nase. Er schien sich in meinem Kopf festzusetzen.

Am nächsten Morgen erschien Müller in meinem Büro.

»Sie wollen uns keine Unterlagen aushändigen!«, fauchte er. »Sie sagen, wir dürfen das nicht und deshalb sollen wir uns vom Hof scheren!«

Ich fragte, wer das von sich gegeben hatte und bekam zur Antwort, dass der Teamleiter von ZB, Ulf Carlson, dies von seinem Chef, Max Übel, so aufgetragen bekommen hätte. Ich überlegte kurz, unterdrückte meinen Ärger und griff zum Telefon. Max Übel meldete sich mit schroffem Ton. Ich begrüßte ihn betont freundlich. Bevor er jedoch fragen konnte, was ich wollte, erklärte ich ihm in einem leisen, aber scharfen Ton, dass in fünf Minuten die angeforderten Unterlagen auf meinem Tisch liegen sollten, sonst würde er der Finanzchefin, Frau Mohr, seine Verhaltensweise erklären müssen. Schließlich würden wir nur umsetzen, womit sie uns beauftragt habe. Ich hörte ein tiefes Stöhnen auf der anderen Seite der Leitung und fragte noch mal nach, ob er mich auch richtig verstanden hätte. Ein gepresstes »Ja« kam durch den Hörer. Den Rest, der sich wie ein Schimpfwort anhörte, ignorierte ich.

Ich schickte Müller zu Carlson mit dem Auftrag, die Unterlagen abzuholen. Er könne ruhig erwähnen, dass ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin, und wenn er nicht in fünf Minuten mit allem zurück wäre, würde er mich bei Frau Mohr finden. Mit abgeleiteter Autorität zu arbeiten, widerstrebte mir zutiefst, doch noch ging es nicht anders.

Müller war zehn Minuten später da und trug einen Klappkasten mit Unterlagen. Carlson half ihm tragen und grinste etwas schmerzverzerrt, nachdem er den Kasten auf den Schreibtisch gestellt hatte.

»Na also, geht doch«, brummte ich ärgerlich.

Er verzog das Gesicht und verschwand. Müller machte die Tür zu und lachte.

»Sie hätten die Gesichter von Carlson und Übel sehen sollen, als ich wieder vor deren Schreibtischen stand und erklärte, dass ich maximal fünf Minuten Zeit hätte, Sie davon abzuhalten, zu Frau Mohr zu gehen. Sie flitzten und schwitzten, dass es nur so eine Freude war. Allerdings habe ich mitbekommen, dass Übel mit Offermann telefonierte. Mein Eindruck war, dass die sich abstimmen und Offermann aus dem Hintergrund gegen uns opponiert.«

Stimmte mein Eindruck, dass die betroffenen Führungskräfte ziemlichen Respekt, vielleicht sogar Angst vor der Finanzchefin hatten? Die Erwähnung ihres Namens bewirkte offensichtlich so einiges.

»Nicht so wichtig. Sie werden uns, zumindest vorläufig, nicht weiter behindern. Lassen Sie Ihr Team die Unterlagen überprüfen. Schauen Sie vor allem, ob Sie Originale bekommen oder ob Sie stattdessen Kopien erhalten haben. Bei Kopien können wir nicht sicher sein, ob diese nicht manipuliert wurden. Wenn das der Fall sein sollte, gehen Sie zurück und fordern Sie die Originale an. Falls das nicht funktionieren sollte, geben Sie mir bitte Bescheid. Dann werde ich mich darum kümmern.«

Nach diesen Erfahrungen würde ich Verzögerungen oder gar Behinderungen nicht länger hinnehmen.

Es kam, wie es kommen musste. Bestimmte Unterlagen waren nicht oder nur in Kopie beigefügt worden. Meist waren sie dann auch kaum lesbar. Originalbelege gebe es nicht mehr, wurde begründet.

Wir stellten eine Liste der Belege darüber zusammen und ich ging damit zu Kollege Übel. Diesmal hielt sich meine Freundlichkeit in engen Grenzen. Er schloss hinter mir die Tür. Ich verwies auf die fehlenden Unterlagen und die Kopien. Rechtlich und steuerrechtlich könnte man ihm unterstellen, dass er die Unterlagen unterdrücke oder gar beseitige. Ob er sich dessen bewusst sei? Dabei sah ich ihn dann so vertrauensselig an, wie ich nur konnte. Es war mir schon fast peinlich. Doch in seiner Erregung merkte er es offenbar nicht. Stattdessen stotterte er herum, was er denn nun tun könnte, schließlich wäre er doch nur ausführendes Organ, und außerdem würde auch Offermann das sagen! Er wischte sich die Schweißperlen auf seiner Stirn mit dem Handrücken ab.

»Offermann sagt das auch! Sie stimmen sich also tatsächlich ab«, überlegte ich.

»Nun, wenn er uns die Belege im Original doch noch heute verschaffen könnte …« Ich ließ den Satz gewollt unbeendet und überließ es seiner Interpretation, was ich meinen könnte. Nachdenklich versprach er, sich noch heute zu melden.

Es dauerte tatsächlich nicht lange, da klopfte es an meiner Tür. Erstaunt sah ich Kollege Übel mit einem Paket im Türrahmen stehen.

»Sie hatten recht!«, begann er kleinlaut. »Das ist alles sehr seltsam. Deshalb bin ich gleich selbst gekommen und habe nicht Carlson geschickt. Wer weiß denn schon, was der davon wirklich versteht.«

Auf seinen letzten Satz ging ich nicht ein, schließlich war das sein Mitarbeiter. Gespannt war ich, was er mir nun vorlegen würde. Er breitete seinen Schatz aus und erklärte jedes Dokument, allerdings immer betonend, dass er nichts davon gewusst hätte. Dabei entging ihm offenbar, dass auf den meisten Unterlagen auch sein Kurzzeichen vermerkt war oder er ignorierte es geflissentlich. Vielleicht glaubte er auch tatsächlich, dass ich es nicht bemerken würde. Ich schwieg und nahm die Unterlagen mit ernster Miene entgegen. Am Ende dankte ich für seine Kooperation und bat ihn um Stillschweigen, um nicht Unruhe bei den Mitarbeitern auszulösen. Was ich allerdings wirklich dachte, behielt ich für mich. Außerdem war ich mir sicher, dass er umgehend Offermann informieren würde, und der würde sicher versuchen, die Fäden wieder in die Hand zu bekommen, um mich auszubremsen.

Kaum war er draußen, rief ich die beiden Müller rein.

»Meine Herren«, sagte ich, »schauen Sie sich das bitte an und übernehmen Sie die Unterlagen in Ihre Analysen.« Ich dachte, vermutlich hält Übel mich nun für einen ausgemachten Einfaltspinsel.

Diese Übung hatte sich schnell herumgesprochen. In den anderen beiden Abteilungen versuchte nun niemand mehr, uns größere Steine in den Weg zu legen, auch wenn sie immer wieder versuchten, auf Zeit zu spielen. Allerdings nahm ich an, dass man uns aufgrund der eher unauffälligen Vergangenheit dieser Abteilung unter Offermann, vorläufig zumindest, nicht für voll nahm und deshalb keine größeren Probleme auf sich zukommen sah. Dennoch musste ich vorsichtig bleiben.

 

Am Wochenende kam Vivien. Ich holte sie mit einem schönen Blumenstrauß vom Flughafen ab, was sie mit einem Lächeln quittierte. Wir frühstückten ausgiebig im Einstein. Danach nutzten wir das gute Wetter für eine lange Bootsfahrt durch Berlin, vorbei an den Regierungsgebäuden und dem Dom fuhren wir durch Kanäle und Schleusen. Es war wärmer geworden, und so gingen wir nach einem schönen Abendessen mit einem guten französischen Rotwein noch eine Weile bummeln. Wir genossen es, mal wieder von Angesicht zu Angesicht reden zu können. Der Konflikt, dass ich entgegen meiner Absicht nun doch wieder sehr viel mehr eingespannt und länger von zu Hause weg war, schwelte trotzdem weiter zwischen uns. Kleine Bemerkungen machten mir deutlich, dass sie meine Entscheidung nur duldete, aber nicht akzeptiert hatte. Immer wieder fragte sie danach, wie lange das hier noch dauern würde, wann ich nach Hause käme. Ich hatte darauf keine zufriedenstellende Antwort. Leider stellten wir dann auch noch fest, dass das Bett in meiner Wohnung nicht für zwei gedacht war, zumindest was die Größe der Matratze betraf. Das war nicht das Einzige, was Vivien in der Wohnung kritisch zur Kenntnis nahm, da ich meine Sachen seit meinem Einzug immer noch nicht aufgeräumt hatte. Sie fand das überhaupt nicht gut, dass ich nicht für ihren Besuch vorgesorgt, ja noch nicht mal aufgeräumt hatte. Ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit mit dem Vermieter wegen des Bettes zu sprechen, da die Wohnung möbliert vermietet worden war. Um das aber nicht weiter eskalieren zu lassen, schlug ich kurzerhand vor, in ein Hotel zu gehen. Gesagt, getan. Ich hatte im Park Inn am Alexanderplatz ein Zimmer in einem der oberen Stockwerke für zwei Nächte bekommen. Wir hatten einen grandiosen Ausblick auf den Fernsehturm und die Stadt. Vivien war zufrieden und der Frieden zwischen uns schien wiederhergestellt. Leider war das Wochenende viel zu kurz und am Montagmorgen flog sie wieder nach Hause.
Ich stellte unseren ersten Bericht bei Frau Mohr vor. Ich beobachtete die ganze Zeit sehr genau jede ihrer Reaktionen. Beherrscht wie meist, entschied sie, dass sie Offermann eine andere Aufgabe anbieten würde, die er nicht ablehnen könnte. Damit wäre er aus dem bisherigen Umfeld entfernt und das, ohne sein Gesicht zu verlieren. Es schien, als würde sie einen Konflikt mit ihm gerne vermeiden wollen.

Als sie ihm einige Stunden später in meiner Gegenwart, mit entsprechender Begründung, die neue Aufgabe übertrug und gleichzeitig darüber informierte, dass ich seine bisherige Tätigkeit ausüben werde, fiel seine Reaktion seltsamerweise sehr leise aus. Hatte die Finanzchefin ihn bereits vorgewarnt und mich deshalb an diesem Meeting mit Offermann mit einbezogen? Hatte sie ihm etwas anderes für die Zukunft in Aussicht gestellt? Hoffte Mohr, dass er von selbst kündigen würde und sie damit ein Problem los wäre?

Bei Max Übel war sie weniger zartfühlend und versetzte ihn umgehend in den Ruhestand. Er hatte zugestimmt, nachdem man ihm die Wahl zwischen einer fristlosen Kündigung oder den Gang in den vorzeitigen Ruhestand gelassen hatte. In den wenigen Tagen der Prüfung in seiner Abteilung hatten wir eine große Anzahl von unautorisierten Aktivitäten und undokumentierten Zahlungsvorgängen entdeckt. Hier würden weitergehende Untersuchungen erforderlich sein, denn ob Lohr hier Geld verloren hatte, ob Veruntreuungen stattfanden, konnten wir in der Kürze der Zeit nicht zu Ende überprüfen. Kurt Weiser, der Einkaufschef, hatte noch während der ersten Prüfungstage fristlos gekündigt und fast fluchtartig sein Büro geräumt.

Bereits in den ersten zwei Tagen kamen Vorgänge ans Licht, die allesamt für Lohr nachteilig gewesen waren. Es wurden bestimmte Lieferanten immer wieder bevorzugt, ohne dass Angebote anderer Mitbewerber eingeholt worden waren. Auffällig dabei war, dass keiner der drei, weder Offermann noch Weiser oder Übel etwas zu den Vorgängen erklären wollte. Sie schwiegen beharrlich.

Für Max Übel kam ein ehemaliger Bankkaufmann von extern und Müller wurde Nachfolger von Weiser. Der begann sogleich damit, sich mit den Vorgängen beim Einkauf genauer zu befassen. Wir gewannen dabei verstärkt den Eindruck, dass verwandtschaftliche Interessen bei der Vergabe von Aufträgen eine Rolle spielten.

Das Revisionsteam von Offermann wurde nun komplett meiner Abteilung zugeschlagen. Seine Mitarbeiter ließen sich erwartungsgemäß nur schwer davon überzeugen, dass sie nun mit meinen Leuten und mir zusammenarbeiten sollten. Es gab fast einen Aufstand. Doch die Alternative für sie war, keinen Job mehr zu haben. Da erlosch der Widerstand. Zumindest vorerst. Ohnehin mussten wir erst sehen, ob sie möglicherweise selbst aktiv und in größerem Ausmaß in die Vorgänge ihres Chefs Offermann verwickelt waren. Außerdem wusste ich inzwischen, dass manche der Revisoren auch privat zu Offermann Kontakt hielten. Hätte ich diese Aufgabe hier unter anderen Gesichtspunkten angetreten, würde ich wohl vorsichtshalber für den Austausch dieser Leute sorgen.

So erhielten sie von uns unabhängige Aufgaben, die strikt von den unseren getrennt waren. Pasternak steuerte und überwachte die Leute für mich. Gleichwohl waren das nicht unsere einzigen Probleme, denn wir hatten inzwischen Anzeichen dafür, dass gezielt Geschäftsabläufe manipuliert, Zahlen, beispielsweise in Angeboten, beschönigt oder gefälscht worden waren. Protokolle und Dokumente, die unsere diesbezüglichen Wissenslücken hätten schließen können, fehlten uns bisher ganz oder teilweise. Manches schien gezielt für uns zusammenkopiert oder aber aus dem Schriftverkehr herausgelöscht worden zu sein, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Die potenziell beteiligten Personen hatten wir zwar anvisiert, indes wir mussten sehr vorsichtig sein, da wir ihnen bisher keinen Vorsatz nachweisen konnten. Den Beweis für einen Vorsatz, zum Beispiel mehrfach unautorisierte Entscheidungen, brauchten wir jedoch, um mögliche Personalmaßnahmen dann auch rechtlich abgesichert vornehmen zu lassen.

Bei Frau Mohr hatte ich vorsichtig angeregt, die Systeme von Lohr unauffällig inspizieren zu lassen. Sie reagierte sehr zurückhaltend und wollte wissen, warum wir das benötigten. Ich erklärte, dass wir nur so weitere Zusammenhänge erkennen könnten, um zusätzliche Risiken zu identifizieren. Dabei vermied ich den Eindruck zu erwecken, dass wir eine umfassende Analyse, die auch sie betreffen könnte, vornehmen wollten.

»Wir sollten allerdings vermeiden, dass dies im Unternehmen bekannt wird. Zum einen wollten wir keine Aufregung bei den Mitarbeitern verursachen, zum anderen möchten wir niemandem auf die Idee bringen, schnell noch irgendwelche Dinge zu bereinigen«, erklärte ich.

»Dinge bereinigen? Was meinen Sie damit? Glauben Sie, dass jemand Dokumente manipulieren will?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und einem seltsamen Unterton.

»Das ist nicht auszuschließen, da wir noch nicht wissen, wie tief die Mitarbeiter von Offermann, Übel und dem Ex-Chef des Einkaufs in diese Vorgänge involviert waren. Möglicherweise wurden sie kleinteilig von ihren Vorgesetzten eingesetzt, um zu verhindern, dass sie ein komplettes Wissen über die Abläufe erhalten. Dennoch wäre es fahrlässig, nicht vorsichtig zu Werke zu gehen, oder?«, erwiderte ich mit Bedacht.

Mohr hörte mit ernstem Gesicht zu. Auch wenn sie verstehend nickte, so erweckte sie bei mir doch auch einen leicht irritierten Eindruck. Hatte sie verstanden, dass sie nun auch selbst in den Fokus geraten könnte? Dann erklärte ich, dass ich von einer Kollegin bei IT gehört hätte, von der man behauptete, sie sei sehr gut in ihrem Job. Der Name wäre irgendwas mit Handwerk, wie Schreiner, Schneider oder Schuster, oder so. Sie schrieb es sich auf. Der zweite Teil unserer Mission war angelaufen.

Feuer gelegt!

Schon zwei Tage später wurde ich zu Frau Mohr gerufen. Sie hatte Lisa Schuster ausfindig gemacht und unter einem Vorwand zu sich ins Büro gebeten. Nun würde ich also nach unserem letzten Treffen im Café Einstein erstmals wieder auf Lisa treffen.

Als ich kam, saßen beide bereits bei einer Tasse Kaffee und redeten über ihren Job. Frau Mohr stellte mich vor und Lisa Schuster und ich taten so, als würden wir uns nicht kennen. Sofort hatte ich wieder ihren Duft in der Nase, obwohl ich ihr doch nur die Hand gegeben hatte.

Innerhalb weniger Minuten hatte Frau Mohr das Thema, so wie sie es von mir kannte, erklärt. Ich war dann doch beeindruckt, wie gut sie die Situation erfasst hatte, nachdem ich inzwischen manchmal den Eindruck hegte, dass sie die Dinge vielleicht etwas zu unkritisch sah. Lisa nickte, deutete aber an, dass das nicht so einfach durchzuführen sei. In ihrem Team fände eine auffällig starke Kontrolle durch die Führungskraft statt. Derartige umfassende Finanzabfragen über alle Geschäftsvorfälle der letzten zwölf Monate würden auf jeden Fall und sehr schnell zu Nachfragen führen, die erklärt werden müssten.

»Mein Vorgesetzter kontrolliert regelmäßig die Schreibtische und vor allem die durchgeführten Systemaktivitäten«, sagte Lisa. »Darüber hinaus lässt er sich Log-Berichte vorlegen oder im Detail erklären, was warum gemacht wurde. Außerdem prüft ein Mitarbeiter im Team regelmäßig die PCs beziehungsweise Laptops über ein Analyseprogramm auf unzulässig installierte Programme hin. Die Begründung dafür ist, dass man Viren und Ähnliches frühzeitig feststellen und das Eindringen von Hackern verhindern möchte. Es heißt, dass es vor einiger Zeit mal ein Vorkommnis gab, das man nicht wiederhaben will.«

Bianca Mohr war während Lisas Erklärungen wie erstarrt. Langsam löste sich nun ihre steife Haltung. Ihre Hände fuhren immer wieder über ihre Oberschenkel, als müsste sie sich ihre Hände trocken reiben. Was sie da gehört hatte, verursachte ganz offensichtlich ein ziemliches Unbehagen bei ihr. War sie möglicherweise über die Arbeitsweise in Lisa Schusters Abteilung informiert gewesen und fürchtete nun neue Schwierigkeiten?

Das war bedenklich, was Lisa da beschrieb. Nicht nur, dass dies gegen bestehendes Recht verstieß und deshalb die Mitarbeiterüberwachung in dieser Form, ohne Zustimmung der Mitarbeiter, äußerst fragwürdig war, eine umfassende Systemkontrolle konnte auch unser Vorhaben zum Scheitern bringen.

»Wer ist Ihr Chef?«, fragte Frau Mohr.

»Er heißt Timber, Fritz Timber. Eigentlich heißt er Friedrich Timberlein, doch alle nennen ihn Fritz Timber, weil er es so will.«

»Was würde passieren, wenn ich Sie anfordere, um mir ein paar Finanzreports zu generieren?«, fragte Frau Mohr.

»Hm, aufgrund meiner User-ID kann man überprüfen, was ich gemacht habe.«

»Könnten Sie Abfragen dann unter meiner ID machen?«, fragte Frau Mohr unsicher weiter. Noch immer schien sie sich nur mit Mühe kontrollieren zu können.

Lisa schaute mich an, dann sagte sie, dass man es ausprobieren müsste, um festzustellen, auf was sie damit zugreifen könnte. Allerdings könnte dann nur einer mit dieser ID arbeiten. Im Unklaren war sie sich darüber, ob möglicherweise alle User-IDs der Firma überprüft würden, also auch die von Frau Mohr.

Frau Mohr nickte.

»O. K., probieren wir es mit unverfänglichen Abfragen. Wenn dann etwas passiert, wissen wir, dass diese Kontrollen auch mich einschließen.«

Ich ergänzte diesen Wunsch.

»Lassen Sie uns so ein Thema aussuchen, dass wir es im Fall eines Falles als Versehen oder Fehlzugriff erklären können.«

Nach wenigen Minuten saßen beide Frauen vor dem PC. Sie suchten nach vordefinierten Standardreports, die man immer wieder im System aufrufen konnte. Sie wählten einen Report für zwei Kunden mit ähnlichen Namen aus, der alle Bestellungen, alle Forderungen, alle Zahlungen, auch alle Stornierungen und noch ein paar Details mehr, aufzeigte.

»O. K., das reicht für den Anfang. Lassen Sie uns das in ein paar Tagen mit anderen Daten noch mal probieren und dann noch mal. Wenn dann nichts passiert, bin ich wohl nicht in ihrem Raster. Aber, aber«, sagte sie plötzlich, »können Sie, Frau Schuster, feststellen, ob es Kontrollreports gibt, in denen ich mit meiner User-ID auftauche? Wenn das ginge, könnten wir uns absichern.«

Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass Bianca Mohr tatsächlich keine Ahnung hatte, was in ihrem Laden passierte. Oder war das alles nur gespielt?

 

Lisa Schuster verzog das Gesicht und meinte dann, sie werde mal schauen, was sie tun könnte, aber nicht im System, das würde ganz sicher entdeckt werden.

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