Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte

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Z serii: gelbe Buchreihe #156
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Um solcher Bedingung einer Geschichte willen ist es auch geschehen, dass jenes so reiche, ja unermessliche Werk der Zunahme von Familien zu Stämmen, der Stämme zu Völkern und deren durch diese Ausdehnung herbeigeführte Ausbreitung, welche selbst so viele Verwicklungen, Kriege, Umstürze, Untergänge vermuten lässt, ohne Geschichte sich nur zugetragen hat; noch mehr, dass die damit verbundene Verbreitung und Ausbildung des Reiches der Laute selbst lautlos und stumm geblieben und schleichend geschehen ist. Es ist ein Faktum der Monumente, dass die Sprachen im ungebildeten Zustande der Völker, die sie gesprochen, höchst ausgebildet worden sind, dass der Verstand sich sinnvoll entwickelnd ausführlich in diesen theoretischen Boden geworfen hatte. Die ausgedehnte konsequente Grammatik ist das Werk des Denkens, das seine Kategorien darin bemerklich macht. Es ist ferner ein Faktum, dass mit fortschreitender Zivilisation der Gesellschaft und des Staates diese systematische Ausführung des Verstandes sich abschleift und die Sprache hieran ärmer und ungebildeter wird, – ein eigentümliches Phänomen, dass das in sich geistiger werdende, die Vernünftigkeit heraustreibende und bildende Fortschreiten jene verständige Ausführlichkeit und Verständigkeit vernachlässigt, hemmend findet und entbehrlich macht. Die Sprache ist die Tat der theoretischen Intelligenz im eigentlichen Sinne, denn sie ist die äußerliche Äußerung derselben. Die Tätigkeiten der Erinnerungen und der Phantasie sind ohne die Sprache unmittelbare Äußerungen. Aber diese theoretische Tat überhaupt wie deren weitere Entwicklung und das damit verbundene Konkretere der Völkerverbreitung, ihrer Abtrennung voneinander, Verwicklung, Wanderung bleibt in das Trübe einer stummen Vergangenheit eingehüllt; es sind nicht Taten des selbstbewusstwerdenden Willens, nicht der sich andere Äußerlichkeit, eigentliche Wirklichkeit gebenden Freiheit. Diesem wahrhaften Elemente nicht angehörend haben jene Völker ihrer Sprachentwicklung ungeachtet keine Geschichte erlangt. Die Voreiligkeit der Sprache und das Vorwärts- und Auseinandertreiben der Nationen hat erst teils in Berührung mit Staaten, teils durch eignen Beginn der Staatsbildung Bedeutung und Interesse für die konkrete Vernunft gewonnen.

c) Nach diesen Bemerkungen, welche die Form des Anfanges der Weltgeschichte und das aus ihr auszuschließende Vorgeschichtliche betroffen haben, ist die Art des Ganges derselben näher anzugeben; doch hier nur von der formellen Seite. Die Fortbestimmung des konkreten Inhalts ist Angabe der Einteilung.

Die Weltgeschichte stellt, wie früher bestimmt worden ist, die Entwicklung des Bewusstseins des Geistes von seiner Freiheit und der von solchem Bewusstsein hervorgebrachten Verwirklichung dar. Die Entwicklung führt es mit sich, dass sie ein Stufengang, eine Reihe weiterer Bestimmungen der Freiheit ist, welche durch den Begriff der Sache hervorgehen. Die logische und noch mehr die dialektische Natur des Begriffes überhaupt, dass er sich selbst bestimmt, Bestimmungen in sich setzt und dieselben wieder aufhebt und durch dieses Aufheben selbst eine affirmative, und zwar reichere, konkretere Bestimmung gewinnt, – diese Notwendigkeit und die notwendige Reihe der reinen abstrakten Begriffsbestimmungen wird in der Logik erkannt. Hier haben wir nur dieses aufzunehmen, dass jede Stufe als verschieden von der andern ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Solches Prinzip ist in der Geschichte Bestimmtheit des Geistes, – ein besonderer Volksgeist. In dieser drückt er als konkret alle Seiten seines Bewusstseins und Wollens, seiner ganzen Wirklichkeit aus; sie ist das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit. Diese speziellen Eigentümlichkeiten sind aus jener allgemeinen Eigentümlichkeit, dem besonderen Prinzipe eines Volkes zu verstehen, sowie umgekehrt aus dem in der Geschichte vorliegenden faktischen Detail jenes Allgemeine der Besonderheit herauszufinden ist. Dass eine bestimmte Besonderheit in der Tat das eigentümliche Prinzip eines Volkes ausmacht, dies ist die Seite, welche empirisch aufgenommen und auf geschichtliche Weise erwiesen werden muss. Dies zu leisten, setzt nicht nur eine geübte Abstraktion, sondern auch schon eine vertraute Bekanntschaft mit der Idee voraus; man muss mit dem Kreise dessen, worin die Prinzipien fallen, wenn man es so nennen will, a priori vertraut sein, so gut als, um den größten Mann in dieser Erkennungsweise zu nennen, Kepler mit den Ellipsen, mit Kuben und Quadraten und mit den Gedanken von Verhältnissen derselben a priori schon vorher bekannt sein musste, ehe er aus den empirischen Daten seine unsterblichen Gesetze, welche aus Bestimmungen jener Kreise von Vorstellungen bestehen, erfinden konnte. Derjenige, der in diesen Kenntnissen der allgemeinen Elementarbestimmungen unwissend ist, kann jene Gesetze, und wenn er den Himmel und die Bewegungen seiner Gestirne noch so lange anschaut, ebenso wenig verstehen, als er sie hätte erfinden können. Von dieser Unbekanntschaft mit den Gedanken des sich entwickelnden Gestaltens der Freiheit rührt ein Teil der Vorwürfe her, welche einer philosophischen Betrachtung über eine sonst sich empirisch haltende Wissenschaft wegen der sogenannten Apriorität und des Hineintragens von Ideen in jenen Stoff gemacht werden. Solche Gedankenbestimmungen erscheinen dann als etwas Fremdartiges, nicht in dem Gegenstande Liegendes. Der subjektiven Bildung, welche nicht die Bekanntschaft und Gewohnheit von Gedanken hat, sind sie wohl etwas Fremdartiges und liegen nicht in der Vorstellung und dem Verstande, den solcher Mangel sich von dem Gegenstande macht. Es folgt daraus der Ausdruck, dass die Philosophie solche Wissenschaften nicht verstehe. Sie muss in der Tat zugeben, dass sie den Verstand, der in jenen Wissenschaften herrschend ist, nicht habe, nicht nach den Kategorien solchen Verstandes verfahre, sondern nach Kategorien der Vernunft, wobei sie jenen Verstand aber, auch dessen Wert und Stellung kennt. Es gilt in solchem Verfahren des wissenschaftlichen Verstandes gleichfalls, dass das Wesentliche von dem sogenannten Unwesentlichen geschieden und herausgehoben werden müsse. Um dies aber zu vermögen, muss man das Wesentliche kennen, und dieses, wenn die Weltgeschichte im Ganzen betrachtet werden soll, ist, wie früher angegeben worden, das Bewusstsein der Freiheit und in den Entwicklungen desselben die Bestimmtheiten dieses Bewusstseins. Die Richtung auf diese Kategorie ist die Richtung auf das wahrhaft Wesentliche.

Von den Instanzen und von dem Widerspruch gegen eine in ihrer Allgemeinheit aufgefasste Bestimmtheit kommt gewöhnlich auch ein Teil auf den Mangel, Ideen zu fassen und zu verstehen. Wenn in der Naturgeschichte gegen die entschieden sich ergebenden Gattungen und Klassen ein monströses, verunglücktes Exemplar oder Mischlingsgeschöpf als Instanz vorgewiesen wird, so kann man mit Recht das anwenden, was oft ins Unbestimmte hin gesagt wird, dass die Ausnahme die Regel bestätige, das heißt, dass an ihr es sei, die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, oder das Mangelhafte, Zwitterhafte, das in der Abweichung von dem Normalen liegt, zu zeigen. Die Ohnmacht der Natur vermag ihre allgemeinen Klassen und Gattungen nicht gegen andere elementarische Momente festzuhalten. Aber z. B. wenn die Organisation des Menschen in ihrer konkreten Gestaltung aufgefasst wird und zu seinem organischen Leben Gehirn, Herz und dergleichen als wesentlich gehörig angegeben werden, so kann etwa eine traurige Missgeburt vorgezeigt werden, welche eine menschliche Gestalt im allgemeinen oder Teile derselben in sich hat, auch in einem menschlichen Leibe erzeugt worden, darin gelebt und aus ihm geboren geatmet habe, in der sich aber kein Gehirn und kein Herz befinde. Gebraucht man eine solche Instanz gegen die allgemeine Beschaffenheit des Menschen, bei dessen Namen und dessen oberflächlicher Bestimmung man etwa stehen bleibt, so zeigt sich, dass ein wirklicher, konkreter Mensch freilich etwas anderes ist: Ein solcher muss Gehirn im Kopfe und Herz in der Brust haben.

Auf ähnliche Weise wird verfahren, wenn richtig gesagt wird, dass Genie, Talent, moralische Tugenden und Empfindungen, Frömmigkeit unter allen Zonen, Verfassungen und politischen Zuständen stattfinden können, wovon es an beliebiger Menge von Beispielen nicht fehlen kann. Wenn mit solcher Äußerung der Unterschied in denselben als unwichtig oder als unwesentlich verworfen werden soll, so bleibt die Reflexion bei abstrakten Kategorien stehen und tut auf den bestimmten Inhalt Verzicht, für welchen in solchen Kategorien allerdings kein Prinzip vorhanden ist. Der Standpunkt der Bildung, der sich in solchen formellen Gesichtspunkten bewegt, gewährt ein unermessliches Feld für scharfsinnige Fragen, gelehrte Ansichten und auffallende Vergleichungen, tiefscheinende Reflexionen und Deklamationen, die umso glänzender werden können, je mehr ihnen das Unbestimmte zu Gebote steht, und umso mehr immer erneuert und abgeändert werden können, je weniger in ihren Bemühungen große Resultate zu gewinnen sind und es zu etwas Festem und Vernünftigem kommen kann. In diesem Sinne können die bekannten indischen Epopöen mit den homerischen verglichen und etwa, weil die Größe der Phantasie das sei, wodurch sich das dichterische Genie beweist, über sie gestellt werden, wie man sich durch die Ähnlichkeit einzelner phantastischer Züge der Attribute der Göttergestalten für berechtigt gehalten hat, Figuren der griechischen Mythologie in indischen zu erkennen. In ähnlichem Sinne ist chinesische Philosophie, insofern sie das Eine zugrunde legt, für dasselbe ausgegeben worden, was später als eleatische Philosophie und als spinozistisches System erschienen sei; weil sie sich auch in abstrakten Zahlen und Linien ausdrückt, hat man Pythagoräisches und Christliches in ihr gesehen. Beispiele von Tapferkeit, ausharrendem Mute, Züge des Edelmuts, der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung, die sich unter den wildesten wie unter den schwachmütigsten Nationen finden, werden für hinreichend angesehen, um dafür zu halten, dass in denselben ebenso sehr und leicht auch mehr Sittlichkeit und Moralität sich finde als in den gebildetsten christlichen Staaten usf. Man hat in dieser Rücksicht die Frage des Zweifels aufgeworfen, ob die Menschen im Fortschreiten der Geschichte und der Bildung aller Art besser geworden seien, ob ihre Moralität zugenommen habe, indem diese nur auf der subjektiven Absicht und Einsicht beruhe, auf dem, was der Handelnde für Recht oder für Verbrechen, für gut und böse ansehe, nicht auf einem solchen, das an und für sich oder in einer besonderen, für wahrhaft geltenden Religion für recht und gut oder für Verbrechen und böse angesehen werde.

 

Wir können hier überhoben sein, den Formalismus und Irrtum solcher Betrachtungsweise zu beleuchten und die wahrhaften Grundsätze der Moralität oder vielmehr der Sittlichkeit gegen die falsche Moralität festzusetzen. Denn die Weltgeschichte bewegt sich auf einem höheren Boden, als der ist, auf dem die Moralität ihre eigentliche Stätte hat, welche die Privatgesinnung, das Gewissen der Individuen, ihr eigentümlicher Wille und ihre Handlungsweise ist; diese haben ihren Wert, Imputation, Lohn oder Bestrafung für sich. Was der an und für sich seiende Endzweck des Geistes fordert und vollbringt, was die Vorsehung tut, liegt über den Verpflichtungen und der Imputationsfähigkeit und Zumutung, welche auf die Individualität in Rücksicht ihrer Sittlichkeit fällt. Die, welche demjenigen, was der Fortschritt der Idee des Geistes notwendig macht, in sittlicher Bestimmung und damit edler Gesinnung widerstanden haben, stehen in moralischem Werte höher als diejenigen, deren Verbrechen in einer höheren Ordnung zu Mitteln verkehrt worden sind, den Willen dieser Ordnung ins Werk zu setzen. Aber bei Umwälzungen dieser Art stehen überhaupt beide Parteien nur innerhalb desselben Kreises des Verderbens, und es ist damit nur ein formelles, vom lebendigen Geist und von Gott verlassenes Recht, was die sich für berechtigt haltenden Auftretenden verteidigen. Die Taten der großen Menschen, welche Individuen der Weltgeschichte sind, erscheinen so nicht nur in ihrer inneren bewusstlosen Bedeutung gerechtfertigt, sondern auch auf dem weltlichen Standpunkte. Aber von diesem aus müssen gegen welthistorische Taten und deren Vollbringen sich nicht moralische Ansprüche erheben, denen sie nicht angehören. Die Litanei von Privattugenden der Bescheidenheit, Demut, Menschenliebe und Mildtätigkeit muss nicht gegen sie erhoben werden. Die Weltgeschichte könnte überhaupt dem Kreise, worein Moralität und der so oft schon besprochene Unterschied zwischen Moral und Politik fällt, ganz sich entheben, nicht nur so, dass sie sich der Urteile enthielte, – ihre Prinzipien aber und die notwendige Beziehung der Handlungen auf dieselben sind schon für sich selbst das Urteil, – sondern indem sie die Individuen ganz aus dem Spiele und unerwähnt ließe, denn was sie zu berichten hat, sind die Taten des Geistes der Völker; die individuellen Gestaltungen, welche derselbe auf dem äußerlichen Boden der Wirklichkeit angezogen, könnten der eigentlichen Geschichtsschreibung überlassen bleiben.

Derselbe Formalismus treibt sich mit den Unbestimmheiten von Genie, Poesie, auch Philosophie herum und findet diese auf gleiche Weise allenthalben. Es sind dieses Produkte der denkenden Reflexion, und in solchen Allgemeinheiten, welche wesentliche Unterschiede herausheben und bezeichnen, sich mit Fertigkeit bewegen, ohne in die wahre Tiefe des Inhalts hinabzusteigen, ist Bildung überhaupt; sie ist etwas Formelles, insofern sie nur darauf geht, den Inhalt, sei er welcher er wolle, in Bestandteile zu zergliedern und dieselben in ihren Denkbestimmungen und Denkgestaltungen zu fassen; es ist nicht freie Allgemeinheit, welche für sich zum Gegenstand des Bewusstseins zu machen erforderlich ist. Solches Bewusstsein über das Denken selbst und seine von einem Stoffe isolierten Formen ist die Philosophie, die freilich die Bedingung ihrer Existenz in der Bildung hat; diese aber ist das, den vorhandenen Inhalt mit der Form der Allgemeinheit zugleich zu bekleiden, so dass ihr Besitz beides ungetrennt enthält, und so sehr ungetrennt, dass sie solchen Inhalt, der durch die Analyse einer Vorstellung in eine Menge von Vorstellungen zu einem unberechenbaren Reichtum erweitert wird, für bloß empirischen Inhalt nimmt, an dem das Denken keinen Teil habe. Es ist aber ebenso wohl Tat des Denkens, und zwar des Verstandes, einen Gegenstand, der in sich ein konkreter, reicher Inhalt ist, zu einer einfachen Vorstellung (wie Erde, Mensch, oder Alexander und Cäsar) zu machen und mit einem Worte zu bezeichnen, als dieselbe aufzulösen, die darin enthaltenen Bestimmungen ebenso in der Vorstellung zu isolieren und ihnen besondere Namen zu geben. In Beziehung aber auf die Ansicht, von der die Veranlassung zu dem eben Gesagten ausging, wird so viel erhellen, dass, sowie die Reflexion die Allgemeinheiten von Genie, Talent, Kunst, Wissenschaft hervorbringt, die formelle Bildung auf jeder Stufe der geistigen Gestaltungen nicht nur gedeihen und zu einer hohen Blüte gelangen kann, sondern auch muss, indem solche Stufe sich zu einem Staate ausbildet und in dieser Grundlage der Zivilisation zu der Verstandesreflexion und wie zu Gesetzen so für alles zu Formen der Allgemeinheit fortgeht. Im Staatsleben als solchem liegt die Notwendigkeit der formellen Bildung und damit der Entstehung der Wissenschaften sowie einer gebildeten Poesie und Kunst überhaupt. Die unter dem Namen der bildenden Künste begriffenen Künste erfordern ohnehin schon von der technischen Seite das zivilisierte Zusammenleben der Menschen. Die Dichtkunst, die die äußerlichen Bedürfnisse und Mittel weniger nötig hat und das Element unmittelbaren Daseins, die Stimme, zu ihrem Material hat, tritt in hoher Kühnheit und mit gebildetem Ausdruck schon in Zuständen eines nicht zu einem rechtlichen Leben vereinten Volkes hervor, da, wie früher bemerkt worden, die Sprache für sich jenseits der Zivilisation eine hohe Verstandesbildung erreicht.

Auch die Philosophie muss in dem Staatsleben zum Vorschein kommen, indem das, wodurch ein Inhalt Sache der Bildung wird, wie soeben angeführt wurde, die dem Denken ungehörige Form ist und der Philosophie, welche nur das Bewusstsein dieser Form selbst, das Denken des Denkens ist, hiermit das eigentümliche Material für ihr Gebäude schon in der allgemeinen Bildung zubereitet wird. Wenn in der Entwicklung des Staates selbst Perioden eintreten müssen, durch welche der Geist edlerer Naturen zur Flucht aus der Gegenwart in die idealen Regionen getrieben wird, um in denselben die Versöhnung mit sich zu finden, welche er in der entzweiten Wirklichkeit nicht mehr genießen kann, indem der reflektierende Verstand alles Heilige und Tiefe, das auf unbefangene Weise in die Religion, Gesetze und Sitten der Völker gelegt war, angreift und in abstrakte götterlose Allgemeinheiten verflacht und verflüchtigt, so wird das Denken zu denkender Vernunft hingenötigt werden, um in seinem eignen Elemente die Wiederherstellung aus dem Verderben zu versuchen, zu dem es gebracht wurden ist.

Es gibt also freilich in allen welthistorischen Völkern Dichtkunst, bildende Kunst, Wissenschaft, auch Philosophie, aber nicht nur ist Stil und Richtung überhaupt, sondern noch vielmehr der Gehalt verschieden, und dieser Gehalt betrifft den höchsten Unterschied, den der Vernünftigkeit. Es hilft nichts, dass eine sich hochstellende ästhetische Kritik fordert, dass das Stoffartige, das ist das Substantielle des Inhalts, unser Gefallen nicht bestimmen solle; sondern die schöne Form als solche, die Größe der Phantasie und dergleichen sei es, was die schöne Kunst bezwecke und von einem liberalen Gemüte und gebildeten Geiste beachtet und genossen werden müsse. Der gesunde Menschensinn gestattet doch solche Abstraktionen nicht und eignet sich die Werke der genannten Gattung nicht an. Möchte man so die indischen Epopöen den homerischen um einer Menge jener formellen Eigenschaften, Größe der Erfindung und Einbildungskraft, Lebhaftigkeit der Bilder und Empfindungen, Schönheit der Diktion willen gleichsetzen wollen, so bleibt der unendliche Unterschied des Gehalts und somit das Substantielle und das Interesse der Vernunft, das schlechthin auf das Bewusstsein des Freiheitsbegriffes und dessen Ausprägung in den Individuen geht. Es gibt nicht nur eine klassische Form, sondern auch einen klassischen Inhalt, und ferner sind Form und Inhalt im Kunstwerke so eng verbunden, dass jene nur klassisch sein kann, insofern es dieser ist. Mit phantastischem, sich nicht in sich begrenzendem Inhalte, – und das Vernünftige ist eben, was Maß und Ziel in sich hat, – wird die Form zugleich maß- und formlos oder kleinlich und peinlich. Ebenso in der Vergleichung der verschiedenen Philosopheme, von der wir früher schon gesprochen haben, wird das übersehen, worauf es allein ankommt, nämlich die Bestimmtheit der Einheit, die man zusammen in der chinesischen, eleatischen, spinozistischen Philosophie findet, und der Unterschied, ob jene Einheit abstrakt oder konkret, und zwar konkret bis zur Einheit in sich, die Geist ist, gefasst wird. Jenes Gleichstellen aber beweist eben, dass es nur so die abstrakte Einheit kennt, und indem es über Philosophie urteilt, in demjenigen unwissend ist, was das Interesse der Philosophie ausmacht.

Es gibt aber auch Kreise, welche, in aller Verschiedenheit des substantiellen Inhalts einer Bildung, dieselben bleiben. Die genannte Verschiedenheit betrifft die denkende Vernunft und die Freiheit, deren Selbstbewusstsein diese ist, und welche dieselbe eine Wurzel mit dem Denken hat. Wie nicht das Tier, sondern nur der Mensch denkt, so hat auch nur er und nur, weil er denkend ist, Freiheit. Sein Bewusstsein enthält dies, dass das Individuum sich als Person, das ist, in seiner Einzelheit sich als in sich Allgemeines, der Abstraktion, des Aufgebens von allem besonderen Fähiges, sich somit als in sich Unendliches erfasst. Kreise somit, die außerhalb dieser Erfassung liegen, sind ein Gemeinschaftliches jener substantiellen Unterschiede. Selbst die Moral, welche mit dem Freiheitsbewusstsein so nahe zusammenhängt, kann bei dem noch vorhandenen Mangel desselben sehr rein sein, insofern sie nämlich nur die allgemeinen Pflichten und Rechte als objektive Gebote ausspricht, oder auch insofern sie bei der formellen Erhebung, dem Aufgeben des Sinnlichen und aller sinnlichen Motive, als einem bloß Negativen stehen bleibt. Die chinesische Moral hat, seitdem die Europäer mit derselben und den Schriften des Confuzius bekannt wurden, das größte Lob und ruhmwürdige Anerkennung ihrer Vortrefflichkeit von denen, die mit der christlichen Moral vertraut sind, erlangt. Ebenso ist die Erhabenheit anerkannt, mit welcher die indische Religion und Poesie (wozu man jedoch beisetzen muss, die höhere) und insbesondere ihre Philosophie die Entfernung und Aufopferung des Sinnlichen aussprechen und fordern. Diese beiden Nationen ermangeln jedoch, man muss sagen gänzlich, des wesentlichen Bewusstseins des Freiheitsbegriffes. Den Chinesen sind ihre moralischen Gesetze wie Naturgesetze, äußerliche positive Gebote, Zwangsrechte und Zwangspflichten oder Regeln der Höflichkeit gegeneinander. Die Freiheit, durch welche die substantiellen Vernunftsbestimmungen erst zu sittlicher Gesinnung werden, fehlt; die Moral ist Staatssache und wird durch Regierungsbeamte und die Gerichte gehandhabt. Ihre Werke darüber, welche nicht Staatsgesetzbücher sind, sondern allerdings an den subjektiven Willen und die Gesinnung gerichtet werden, lesen sich, wie die moralischen Schriften der Stoiker, als eine Reihe von Geboten, welche zum Ziele der Glückseligkeit notwendig seien, so dass die Willkür ihnen gegenüberstehend erscheint, welche sich zu solchen Geboten entschließen, sie befolgen kann oder auch nicht; wie denn die Vorstellung eines abstrakten Subjekts, des Weisen, bei den chinesischen wie bei den stoischen Moralisten die Spitze solcher Lehren ausmacht. Auch in der indischen Lehre des Aufgebens der Sinnlichkeit, der Begierden und irdischen Interessen ist nicht die affirmative, sittliche Freiheit das Ziel und Ende, sondern das Nichts des Bewusstseins, die geistige und selbst physische Leblosigkeit.

Der konkrete Geist eines Volkes ist es, den wir bestimmt zu erkennen haben, und weil er Geist ist, lässt er sich nur geistig durch den Gedanken erfassen. Er allein ist es, der in allen Taten und Richtungen des Volkes sich hervortreibt, der sich zu seiner Verwirklichung, zum Selbstgenuss und Selbsterfassen bringt; denn es ist ihm um die Produktion seiner selbst zu tun. Das Höchste aber für den Geist ist, sich zu wissen, sich zur Anschauung nicht nur, sondern zum Gedanken seiner selbst zu bringen. Dies muss und wird er auch vollbringen, aber diese Vollbringung ist zugleich sein Untergang und das Hervortreten eines andern Geistes, eines andern welthistorischen Volkes, einer andern Epoche der Weltgeschichte. Dieser Übergang und Zusammenhang führt uns zum Zusammenhange des Ganzen, zum Begriff der Weltgeschichte als solcher, den wir nun näher zu betrachten, von dem wir eine Vorstellung zu geben haben.

 

Die Weltgeschichte, wissen wir, ist also überhaupt die Auslegung des Geistes in der Zeit, wie die Idee als Natur sich im Raume auslegt.

Wenn wir nun einen Blick auf die Weltgeschichte überhaupt werfen, so sehen wir ein ungeheures Gemälde von Veränderungen und Taten, von unendlich mannigfaltigen Gestaltungen von Völkern, Staaten, Individuen, in rastloser Aufeinanderfolge. Alles, was in das Gemüt des Menschen eintreten und ihn interessieren kann, alle Empfindung des Guten, Schönen, Großen wird in Anspruch genommen, allenthalben werden Zwecke gefasst, betrieben, die wir anerkennen, deren Ausführung wir wünschen; wir hoffen und fürchten für sie. In allen diesen Begebenheiten und Zufällen sehen wir menschliches Tun und Leiden obenauf, überall Unsriges und darum überall Neigung unsres Interesses dafür und dawider. Bald zieht es durch Schönheit, Freiheit und Reichtum an, bald durch Energie, wodurch selbst das Laster sich bedeutend zu machen weiß. Bald sehen wir die umfassendere Masse eines allgemeinen Interesses sich schwerer fortbewegen und einer unendlichen Komplexion kleiner Verhältnisse preisgegeben und zerstäuben, dann aus ungeheurem Aufgebot von Kräften Kleines hervorgebracht werden, aus unbedeutend Scheinendem Ungeheures hervorgehen, – überall das bunteste Gedränge, das uns in sein Interesse hineinzieht, und wenn das eine entflieht, tritt das andere sogleich an seine Stelle.

Der allgemeine Gedanke, die Kategorie, die sich bei diesem ruhelosen Wechsel der Individuen und Völker, die eine Zeitlang sind und dann verschwinden, zunächst darbietet, ist die Veränderung überhaupt. Diese Veränderung von ihrer negativen Seite aufzufassen, dazu führt näher der Anblick von den Ruinen einer vormaligen Herrlichkeit. Welcher Reisende ist nicht unter den Ruinen von Karthago, Palmyra, Persepolis, Rom zu Betrachtungen über die Vergänglichkeit der Reiche und Menschen, zur Trauer über ein ehemaliges, kraftvolles und reiches Leben veranlasst worden? – eine Trauer, die nicht bei persönlichen Verlusten und der Vergänglichkeit der eignen Zwecke verweilt, sondern uninteressierte Trauer über den Untergang glänzenden und gebildeten Menschenlebens ist. – Die nächste Bestimmung aber, welche sich an die Veränderung anknüpft, ist, dass die Veränderung, welche Untergang ist, zugleich Hervorgehen eines neuen Lebens ist, dass aus dem Leben Tod, aber aus dem Tod Leben hervorgeht. Es ist dies ein großer Gedanke, den die Orientalen erfasst haben, und wohl der höchste ihrer Metaphysik. In der Vorstellung von der Seelenwanderung ist er in Beziehung auf das Individuelle enthalten; allgemeiner bekannt ist aber das Bild des Phönix, von dem Naturleben, das ewig sich selbst seinen Scheiterhaufen bereitet und sich darauf verzehrt, so dass aus seiner Asche ewig das neue, verjüngte, frische Leben hervorgeht. Dies Bild ist aber nur asiatisch, morgenländisch, nicht abendländisch. Der Geist, die Hülle seiner Existenz verzehrend, wandert nicht bloß in eine andere Hülle über, noch steht er nur verjüngt aus der Asche seiner Gestaltung auf, sondern er geht erhoben, verklärt, ein reinerer Geist aus derselben hervor. Er tritt allerdings gegen sich auf, verzehrt sein Dasein, aber indem er es verzehrt, verarbeitet er dasselbe, und was seine Bildung ist, wird zum Material, an dem seine Arbeit ihn zu neuer Bildung erhebt.

Betrachten wir den Geist nach dieser Seite, dass seine Veränderungen nicht bloß Übergänge als Verjüngungen, d. h. Rückgänge zu derselben Gestalt sind, sondern vielmehr Verarbeitungen seiner selbst, durch welche er den Stoff für seine Versuche vervielfältigt, so sehen wir ihn nach einer Menge von Seiten und Richtungen hin sich versuchen, sich ergehen und genießen, in einer Menge, die unerschöpflich ist, weil jede seiner Schöpfungen, in der er sich befriedigt hat, ihm von neuem als Stoff gegenübertritt und eine neue Anforderung der Verarbeitung ist. Der abstrakte Gedanke bloßer Veränderung verwandelt sich in den Gedanken des seine Kräfte nach allen Seiten seiner Fülle kundgebenden, entwickelnden und ausbildenden Geistes. Welche Kräfte er in sich besitze, erfahren wir aus der Mannigfaltigkeit seiner Produkte und Bildungen. Er hat es in dieser Lust seiner Tätigkeit nur mit sich zu tun. Zwar verwickelt mit der Naturbedingung, der inneren und äußeren, wird er an ihr nicht nur Widerstand und Hindernisse antreffen, sondern durch sie auch seine Versuche oft misslingen sehen und den Verwicklungen, in die er durch sie oder durch sich versetzt wird, oft unterliegen. Aber er geht so in seinem Berufe und in seiner Wirksamkeit unter und gewährt auch so noch das Schauspiel, als geistige Tätigkeit sich bewiesen zu haben.

Der Geist handelt wesentlich, er macht sich zudem, was er an sich ist, zu seiner Tat, zu seinem Werk; so wird er sich Gegenstand, so hat er sich als ein Dasein vor sich. So der Geist eines Volkes: Er ist ein bestimmter Geist, der sich zu einer vorhandenen Welt erbaut, die jetzt steht und besteht, in seiner Religion, in seinem Kultus, in seinen Gebräuchen, seiner Verfassung und seinen politischen Gesetzen, im ganzen Umfang seiner Einrichtungen, in seinen Begebenheiten und Taten. Das ist sein Werk, – das ist dies Volk. Was ihre Taten sind, das sind die Völker. Ein jeder Engländer wird sagen: Wir sind die, welche den Ozean beschiffen und den Welthandel besitzen, denen Ostindien gehört und seine Reichtümer, welche Parlament und Geschworenengerichte haben usf. – Das Verhältnis des Individuums dazu ist, dass es sich dieses substantielle Sein aneigne, dass dieses seine Sinnesart und Geschicklichkeit werde, auf dass es etwas sei. Denn es findet das Sein des Volkes als eine bereits fertige, feste Welt vor sich, der es sich einzuverleiben hat. In diesem seinem Werke, seiner Welt genießt sich nun der Geist des Volkes und ist befriedigt.

Das Volk ist sittlich, tugendhaft, kräftig, indem es das hervorbringt, was es will, und es verteidigt sein Werk gegen äußere Gewalt in der Arbeit seiner Objektivierung. Der Zwiespalt dessen, was es an sich ist, subjektiv, in seinem inneren Zweck und Wesen, und was es wirklich ist, ist gehoben; es ist bei sich, es hat sich gegenständlich vor sich. Aber so ist diese Tätigkeit des Geistes nicht mehr nötig, er hat, was er will. Das Volk kann noch viel tun in Krieg und Frieden, im Innern und Äußern, aber es ist gleichsam die lebendige, substantielle Seele selbst nicht mehr in Tätigkeit. Das gründliche, höchste Interesse hat sich darum aus dem Leben verloren; denn Interesse ist nur vorhanden, wo Gegensatz ist. Das Volk lebt so, wie das vom Manne zum Greisenalter übergehende Individuum, im Genuss seiner selbst, das gerade zu sein, was es wollte und erreichen konnte. Wenn seine Einbildung auch darüber hinausging, so hat es dieselbe als Zweck aufgegeben, wenn die Wirklichkeit sich nicht dazu darbot, und den Zweck nach dieser beschränkt. Diese Gewohnheit (die Uhr ist aufgezogen und geht von selbst fort) ist, was den natürlichen Tod herbeiführt. Die Gewohnheit ist ein gegensatzloses Tun, dem nur die formelle Dauer übrig sein kann, und in dem die Fülle und Tiefe des Zwecks nicht mehr zur Sprache zu kommen braucht, – eine gleichsam äußerliche, sinnliche Existenz, die sich nicht mehr in die Sache vertieft. So sterben Individuen, so sterben Völker eines natürlichen Todes; wenn letztere auch fortdauern, so ist es eine interesselose, unlebendige Existenz, die ohne das Bedürfnis ihrer Institutionen ist, eben weil das Bedürfnis befriedigt ist, – eine politische Nullität und Langeweile. Wenn ein wahrhaft allgemeines Interesse entstehen sollte, so müsste der Geist eines Volkes dazu kommen, etwas Neues zu wollen, – aber woher dieses Neue? Es wäre eine höhere, allgemeinere Vorstellung seiner selbst, ein Hinausgegangensein über sein Prinzip, – aber eben damit ist ein weiter bestimmtes Prinzip, ein neuer Geist vorhanden.