Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte

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Z serii: gelbe Buchreihe #156
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Das Allgemeine, das im Staate sich hervortut und gewusst wird, die Form, unter welche alles, was ist, gebracht wird, ist dasjenige überhaupt, was die Bildung einer Nation ausmacht. Der bestimmte Inhalt aber, der die Form der Allgemeinheit erhält und in der konkreten Wirklichkeit, welche der Staat ist, liegt, ist der Geist des Volkes selbst. Der wirkliche Staat ist beseelt von diesem Geist in allen seinen besonderen Angelegenheiten, Kriegen, Institutionen usf. Aber der Mensch muss auch wissen von diesem seinen Geist und Wesen selbst und sich das Bewusstsein der Einheit mit demselben, die ursprünglich ist, geben. Denn wir haben gesagt, dass das Sittliche die Einheit ist des subjektiven und allgemeinen Willens. Der Geist aber hat sich ein ausdrückliches Bewusstsein davon zu geben, und der Mittelpunkt dieses Wissens ist die Religion. Kunst und Wissenschaft sind nur verschiedene Seiten und Formen ebendesselben Inhalts. – Bei Betrachtung der Religion kommt es darauf an, ob sich das Wahre, die Idee nur in ihrer Trennung oder sie in ihrer wahren Einheit kenne, – in ihrer Trennung: wenn Gott als abstrakt höchstes Wesen, Herr des Himmels und der Erde, der drüben jenseits ist, und aus dem die menschliche Wirklichkeit ausgeschlossen ist, – in ihrer Einheit: Gott als Einheit des Allgemeinen und Einzelnen, indem in ihm auch das Einzelne positiv angeschaut wird, in der Idee der Menschwerdung. Die Religion ist der Ort, wo ein Volk sich die Definition dessen gibt, was es für das Wahre hält. Definition enthält alles, was zur Wesentlichkeit des Gegenstandes gehört, worin seine Natur auf einfache Grundbestimmtheit zurückgebracht ist als Spiegel für alle Bestimmtheit, die allgemeine Seele alles Besonderen. Die Vorstellung von Gott macht somit die allgemeine Grundlage eines Volkes aus.

Nach dieser Seite steht die Religion im engsten Zusammenhang mit dem Staatsprinzip. Freiheit kann nur da sein, wo die Individualität als positiv im göttlichen Wesen gewusst wird. Der Zusammenhang ist weiter dieser, dass das weltliche Sein als ein zeitliches, in einzelnen Interessen sich bewegendes, hiermit ein relatives und unberechtigtes ist, dass es Berechtigung erhält, nur insofern die allgemeine Seele desselben, das Prinzip absolut berechtigt ist, und dies wird es nur so, dass es als Bestimmtheit und Dasein des Wesens Gottes gewusst wird. Deswegen ist es, dass der Staat auf Religion beruht. Das hören wir in unsern Zeiten oft wiederholen, und es wird meist nichts weiter damit gemeint, als dass die Individuen, als gottesfürchtige, um so geneigter und bereitwilliger seien, ihre Pflicht zu tun, weil Gehorsam gegen Fürst und Gesetz sich so leicht anknüpfen lässt an die Gottesfurcht. Freilich kann die Gottesfurcht, weil sie das Allgemeine über das Besondere erhebt, sich auch gegen das letztere kehren, fanatisch werden und gegen den Staat, seine Gebäulichkeiten und Einrichtungen verbrennend und zerstörend wirken. Die Gottesfurcht soll darum auch, meint man, besonnen sein und in einer gewissen Kühle gehalten werden, dass sie nicht gegen das, was durch sie beschützt und erhalten werden soll, aufstürmt und es wegflutet. Die Möglichkeit dazu hat sie wenigstens in sich.

Indem man nun die richtige Überzeugung gewonnen, dass der Staat auf der Religion beruhe, so gibt man der Religion die Stellung, als ob ein Staat vorhanden sei, und nunmehr, um denselben zu halten, die Religion in ihn hineinzutragen sei, in Eimern und Scheffeln, um sie den Gemütern einzuprägen. Es ist ganz richtig, dass die Menschen zur Religion erzogen werden müssen, aber nicht als zu Etwas, dass noch nicht ist. Denn, wenn zu sagen ist, dass der Staat sich gründet auf die Religion, dass er seine Wurzeln in ihr hat, so heißt das wesentlich, dass er aus ihr hervorgegangen ist und jetzt und immer aus ihr hervorgeht, d. h. die Prinzipien des Staates müssen als an und für sich geltend betrachtet werden, und sie werden dies nur, insofern sie als Bestimmungen der göttlichen Natur selbst gewusst sind. Wie daher die Religion beschaffen ist, so der Staat und seine Verfassung; er ist wirklich aus der Religion hervorgegangen und zwar so, dass der athenische, der römische Staat nur in dem spezifischen Heidentum dieser Völker möglich war, wie eben ein katholischer Staat einen andern Geist und andere Verfassung hat als ein protestantischer.

Sollte jenes Aufrufen, jenes Treiben und Drängen danach, die Religion einzupflanzen, ein Angst- und Notgeschrei sein, wie es oft so aussieht, worin sich die Gefahr ausdrückt, dass die Religion bereits aus dem Staate verschwunden oder vollends zu verschwinden im Begriff stehe, so wäre das schlimm, und schlimmer selbst, als jener Angstruf meint: denn dieser glaubt noch an seinem Einpflanzen und Inkulkieren ein Mittel gegen das Übel zu haben; aber ein so zu Machendes ist die Religion überhaupt nicht; ihr sich Machen steckt viel tiefer.

Eine andere und entgegengesetzte Torheit, der wir in unsrer Zeit begegnen, ist die, Staatsverfassungen unabhängig von der Religion erfinden und ausführen zu wollen. Die katholische Konfession, obgleich mit der protestantischen gemeinschaftlich innerhalb der christlichen Religion, lässt die innere Gerechtigkeit und Sittlichkeit des Staates nicht zu, die in der Innigkeit des protestantischen Prinzips liegt. Jenes Losreißen des Staatsrechtlichen, der Verfassung, ist um der Eigentümlichkeit jener Religion willen, die das Recht und die Sittlichkeit nicht als an sich seiend, als substantiell anerkennt, notwendig, aber so losgerissen von der Innerlichkeit, von dem letzten Heiligtum des Gewissens, von dem stillen Ort, wo die Religion ihren Sitz hat, kommen die staatsrechtlichen Prinzipien und Einrichtungen ebenso wohl nicht zu einem wirklichen Mittelpunkte, als sie in der Abstraktion und Unbestimmtheit bleiben.

Fassen wir das bisher über den Staat Gesagte im Resultat zusammen, so ist die Lebendigkeit des Staates in den Individuen die Sittlichkeit genannt worden. Der Staat, seine Gesetze, seine Einrichtungen sind der Staatsindividuen Rechte; seine Natur, sein Boden, seine Berge, Luft und Gewässer sind ihr Land, ihr Vaterland, ihr äußerliches Eigentum; die Geschichte dieses Staates, ihre Taten, und das, was ihre Vorfahren hervorbrachten, gehört ihnen und lebt in ihrer Erinnerung. Alles ist ihr Besitz ebenso, wie sie von ihm besessen werden, denn es macht ihre Substanz, ihr Sein aus.

Ihre Vorstellung ist damit erfüllt, und ihr Wille ist das Wollen dieser Gesetze und dieses Vaterlandes. Es ist diese zeitige Gesamtheit, welche ein Wesen, der Geist eines Volkes ist. Ihm gehören die Individuen an; jeder einzelne ist der Sohn seines Volkes und zugleich, insofern sein Staat in Entwicklung begriffen ist, der Sohn seiner Zeit; keiner bleibt hinter derselben zurück, noch weniger überspringt er dieselbe. Dies geistige Wesen ist das seinige, er ist ein Repräsentant desselben; es ist das, woraus er hervorgeht, und worin er steht. Bei den Athenern hatte Athen eine doppelte Bedeutung; zuerst bezeichnete sie die Gesamtheit der Einrichtungen, dann aber die Göttin, welche den Geist des Volkes, die Einheit darstellte.

Dieser Geist eines Volkes ist ein bestimmter Geist, und, wie soeben gesagt, auch nach der geschichtlichen Stufe seiner Entwicklung bestimmt. Dieser Geist macht dann die Grundlage und den Inhalt in den andern Formen des Bewusstseins seiner aus, die angeführt worden sind. Denn der Geist in seinem Bewusstsein von sich muss sich gegenständlich sein, und die Objektivität enthält unmittelbar das Hervortreten von Unterschieden, die als Totalität der unterschiedenen Sphären des objektiven Geistes überhaupt sind, so wie die Seele nur ist, insofern sie als System ihrer Glieder ist, welche in ihre einfache Einheit sich zusammennehmend die Seele produzieren. Es ist so eine Individualität, die in ihrer Wesentlichkeit, als der Gott, vorgestellt, verehrt und genossen wird, in der Religion, – als Bild und Anschauung dargestellt wird, in der Kunst, – erkannt und als Gedanken begriffen wird, in der Philosophie. Um der ursprünglichen Dieselbigkeit ihrer Substanz, ihres Inhalts und Gegenstandes willen sind die Gestaltungen in unzertrennlicher Einheit mit dem Geiste des Staates; nur mit dieser Religion kann diese Staatsform vorhanden sein, sowie in diesem Staate nur diese Philosophie und diese Kunst.

Das andere und weitre ist, dass der bestimmte Volksgeist selbst nur ein Individuum ist im Gange der Weltgeschichte. Denn die Weltgeschichte ist die Darstellung des göttlichen, absoluten Prozesses des Geistes in seinen höchsten Gestalten, dieses Stufenganges, wodurch er seine Wahrheit, das Selbstbewusstsein über sich erlangt. Die Gestaltungen dieser Stufen sind die welthistorischen Volksgeister, die Bestimmtheit ihres sittlichen Lebens, ihrer Verfassung, ihrer Kunst, Religion und Wissenschaft. Diese Stufen zu realisieren, ist der unendliche Trieb des Weltgeistes, sein unwiderstehlicher Drang, denn diese Gliederung, sowie ihre Verwirklichung ist sein Begriff. – Die Weltgeschichte zeigt nur, wie der Geist allmählich zum Bewusstsein und zum Wollen der Wahrheit kommt; es dämmert in ihm, er findet Hauptpunkte, am Ende gelangt er zum vollen Bewusstsein.

Nachdem wir also die abstrakten Bestimmungen der Natur des Geistes, die Mittel, welche der Geist braucht, um seine Idee zu realisieren, und die Gestalt kennen gelernt haben, welche die vollständige Realisierung des Geistes im Dasein ist, nämlich den Staat, bleibt uns nur für diese Einleitung übrig,

III. den Gang der Weltgeschichte zu betrachten.

a) Die abstrakte Veränderung überhaupt, welche in der Geschichte vorgeht, ist längst in einer allgemeinen Weise gefasst worden, so dass sie zugleich einen Fortgang zum Besseren, Vollkommneren enthalte. Die Veränderungen in der Natur, so unendlich mannigfach sie sind, zeigen nur einen Kreislauf, der sich immer wiederholt; in der Natur geschieht nichts Neues unter der Sonne, und insofern führt das vielförmige Spiel ihrer Gestaltungen eine Langeweile mit sich. Nur in den Veränderungen, die auf dem geistigen Boden vorgehen, kommt Neues hervor. Diese Erscheinung am Geistigen ließ in dem Menschen eine andere Bestimmung überhaupt sehen als in den bloß natürlichen Dingen, – in welchen sich immer ein und derselbe stabile Charakter kundgibt, in den alle Veränderung zurückgeht, – nämlich eine wirkliche Veränderungsfähigkeit und zwar zum Bessern –, ein Trieb der Perfektibilität. Dieses Prinzip, welches die Veränderung selbst zu einer gesetzlichen macht, ist von Religionen, wie von der katholischen, ingleichen von Staaten, als welche statarisch oder wenigstens stabil zu sein als ihr wahrhaftes Recht behaupten, übel aufgenommen worden. Wenn im allgemeinen die Veränderlichkeit weltlicher Dinge, wie der Staaten, zugegeben wird, so wird teils die Religion als die Religion der Wahrheit davon ausgenommen, teils bleibt es offen, Veränderungen, Umwälzungen und Zerstörungen berechtigter Zustände den Zufälligkeiten, Ungeschicklichkeiten, vornehmlich aber dem Leichtsinn und den bösen Leidenschaften der Menschen zuzuschreiben. In der Tat ist die Perfektibilität beinahe etwas so Bestimmungsloses als die Veränderlichkeit überhaupt; sie ist ohne Zweck und Ziel wie ohne Maßstab für die Veränderung: das Bessere, das Vollkommnere, worauf sie gehen soll, ist ein ganz Unbestimmtes.

 

Das Prinzip der Entwicklung enthält das weitere, dass eine innere Bestimmung, eine an sich vorhandene Voraussetzung zugrunde liege, die sich zur Existenz bringe. Diese formelle Bestimmung ist wesentlich der Geist, welcher die Weltgeschichte zu seinem Schauplatze, Eigentum und Felde seiner Verwirklichung hat. Er ist nicht ein solcher, der sich in dem äußerlichen Spiel von Zufälligkeiten herumtriebe, sondern er ist vielmehr das absolut Bestimmende und schlechthin fest gegen die Zufälligkeiten, die er zu seinem Gebrauch verwendet und beherrscht. Den organischen Naturdingen kommt aber gleichfalls die Entwicklung zu: Ihre Existenz stellt sich nicht als eine nur mittelbare, von außen veränderliche dar, sondern als eine, die aus sich von einem inneren unveränderlichen Prinzip ausgeht, aus einer einfachen Wesenheit, deren Existenz als Keim zunächst einfach ist, dann aber Unterschiede aus sich zum Dasein bringt, welche sich mit andern Dingen einlassen und damit einen fortdauernden Prozess von Veränderungen leben, welcher aber ebenso in das Gegenteil verkehrt und vielmehr in die Erhaltung des organischen Prinzips und seiner Gestaltung umgewandelt wird. So produziert das organische Individuum sich selbst: es macht sich zu dem, was es an sich ist. (Ebenso ist der Geist nur das, zu was er sich selbst macht, und er macht sich zu dem, was er an sich ist.) Diese Entwicklung macht sich auf eine unmittelbare, gegensatzlose, ungehinderte Weise; zwischen den Begriff und dessen Realisierung, die an sich bestimmte Natur des Keimes und die Angemessenheit der Existenz zu derselben kann sich nichts eindrängen. Im Geiste aber ist es anders. Der Übergang seiner Bestimmung in ihre Verwirklichung ist vermittelt durch Bewusstsein und Willen: Diese selbst sind zunächst in ihr unmittelbares natürliches Leben versenkt, Gegenstand und Zweck ist ihnen zunächst selbst die natürliche Bestimmung als solche, die dadurch, dass es der Geist ist, der sie beseelt, selbst von unendlichem Anspruche, Stärke und Reichtum ist. So ist der Geist in ihm selbst sich entgegen; er hat sich selbst als das wahre feindselige Hindernis seiner selbst zu überwinden; die Entwicklung, die in der Natur ein ruhiges Hervorgehen ist, ist im Geist ein harter unendlicher Kampf gegen sich selbst. Was der Geist will, ist, seinen eignen Begriff zu erreichen, aber er selbst verdeckt sich denselben, ist stolz und voll von Genuss in dieser Entfremdung seiner selbst.

Die Entwicklung ist auf diese Weise nicht das harm- und kampflose bloße Hervorgehen, wie die des organischen Lebens, sondern die harte unwillige Arbeit gegen sich selbst, und ferner ist sie nicht bloß das Formelle des Sichentwickelns überhaupt, sondern das Hervorbringen eines Zwecks von bestimmtem Inhalte. Diesen Zweck haben wir von Anfang an festgestellt: es ist der Geist, und zwar nach seinem Wesen, dem Begriff der Freiheit. Dies ist der Grundgegenstand und darum auch das leitende Prinzip der Entwicklung, das, wodurch diese ihren Sinn und ihre Bedeutung erhält (sowie in der römischen Geschichte Rom der Gegenstand und damit das die Betrachtung des Geschehenen Leitende ist); wie umgekehrt das Geschehene nur aus diesem Gegenstande hervorgegangen ist und nur in der Beziehung auf denselben einen Sinn und an ihm seinen Gehalt hat. Es gibt in der Weltgeschichte mehrere große Perioden, die vorübergegangen sind, ohne dass die Entwicklung sich fortgesetzt zu haben scheint, in welchen vielmehr der ganze ungeheure Gewinn der Bildung vernichtet worden, und nach welchen unglücklicherweise wieder von vorne angefangen werden musste, um mit einiger Beihilfe, etwa von geretteten Trümmern jener Schätze, mit erneuertem unermesslichen Aufwand von Kräften und Zeit, von Verbrechen und von Leiden, wieder eine der längst gewonnenen Regionen jener Bildung zu erreichen. Ebenso gibt es fortbestehende Entwicklungen, reiche, nach allen Seiten hin ausgebaute Gebäude und Systeme von Bildung in eigentümlichen Elementen. Die bloß formelle Ansicht von Entwicklung überhaupt kann weder der einen Weise einen Vorzug vor der andern zusprechen noch den Zweck jenes Unterganges älterer Entwicklungsperioden begreiflich machen, sondern muss solche Vorgänge oder insbesondere darin die Rückgänge als äußerliche Zufälligkeiten betrachten und kann die Vorzüge nur nach unbestimmten Gesichtspunkten beurteilen, welche eben damit, dass die Entwicklung als solche das einzige sein soll, worauf es ankomme, relative und nicht absolute Zwecke sind.

Die Weltgeschichte stellt nun den Stufengang der Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das Bewusstsein der Freiheit ist, dar. Die nähere Bestimmung dieser Stufen ist in ihrer allgemeinen Natur logisch, in ihrer konkreten aber in der Philosophie des Geistes anzugeben. Es ist hier nur anzuführen, dass die erste Stufe das schon vorhin angegebene Versenktsein des Geistes in die Natürlichkeit, die zweite das Heraustreten desselben in das Bewusstsein seiner Freiheit ist. Dieses erste Losreißen ist aber unvollkommen und partiell, indem es von der unmittelbaren Natürlichkeit herkommt, hiermit auf sie bezogen und mit ihr, als einem Momente, noch behaftet ist. Die dritte Stufe ist die Erhebung aus dieser noch besonderen Freiheit in die reine Allgemeinheit derselben, in das Selbstbewusstsein und Selbstgefühl des Wesens der Geistigkeit. Diese Stufen sind die Grundprinzipien des allgemeinen Prozesses; wie aber jede innerhalb ihrer selbst wieder ein Prozess ihres Gestaltens und die Dialektik ihres Überganges ist, dies Nähere ist in der Ausführung vorzubehalten.

Hier ist nur anzudeuten, dass der Geist von seiner unendlichen Möglichkeit, aber nur Möglichkeit anfängt, die seinen absoluten Gehalt als Ansich enthält, als den Zweck und das Ziel, das er nur erst in seinem Resultate erreicht, welches dann erst seine Wirklichkeit ist. So erscheint in der Existenz der Fortgang als ein Fortschreiten von dem Unvollkommenen zum Vollkommneren, wobei jenes nicht in der Abstraktion nur als das Unvollkommene zu fassen ist, sondern als ein solches, das zugleich das Gegenteil seiner selbst, das sogenannte Vollkommene als Keim, als Trieb in sich hat. Ebenso weist wenigstens reflektierterweise die Möglichkeit auf ein solches hin, das wirklich werden soll, und näher ist die aristotelische dynamis auch potentia, Kraft und Macht. Das Unvollkommene so als das Gegenteil seiner in ihm selbst ist der Widerspruch, der wohl existiert, aber ebenso sehr aufgehoben und gelöst wird, der Trieb, der Impuls des geistigen Lebens in sich selbst, die Rinde der Natürlichkeit, Sinnlichkeit und Fremdheit seiner selbst zu durchbrechen und zum Lichte des Bewusstseins, d. i. zu sich selbst, zu kommen.

b) Im allgemeinen ist die Bemerkung, wie der Anfang der Geschichte des Geistes dem Begriffe nach aufgefasst werden müsse, bereits in Beziehung auf die Vorstellung eines Naturzustandes gemacht worden, in welchem Freiheit und Recht in vollkommener Weise vorhanden sei oder gewesen sei. Jedoch war dies nur eine im Dämmerlicht der hypothesierenden Reflexion gemachte Annahme einer geschichtlichen Existenz. Eine Prätension ganz anderer Art, nämlich nicht eines aus Gedanken hervorgehenden Annehmens, sondern eines geschichtlichen Faktums und zugleich einer höheren Beglaubigung desselben, macht eine andere, von einer gewissen Seite her heutzutage viel in Umlauf gesetzte Vorstellung. Es ist in derselben der erste paradiesische Zustand des Menschen, der schon früher von den Theologen in ihrer Weise, z. B. dass Gott mit Adam hebräisch gesprochen habe, ausgebildet wurde, wieder aufgenommen, aber andern Bedürfnissen entsprechend gestaltet wurden. Die hohe Autorität, welche hierbei zunächst in Anspruch genommen wird, ist die biblische Erzählung. Diese aber stellt den primitiven Zustand, teils nur in den wenigen bekannten Zügen, teils aber denselben entweder in dem Menschen überhaupt, – dies wäre die allgemein menschliche Natur –, oder, insofern Adam als individuelle und damit als eine Person zu nehmen ist, in diesem Einen oder nur in einem Menschenpaare vorhanden und vollendet dar. Weder liegt darin die Berechtigung zur Vorstellung eines Volkes und eines geschichtlichen Zustandes desselben, welcher in jener primitiven Gestalt existiert habe, noch weniger der Ausbildung einer reinen Erkenntnis Gottes und der Natur. Die Natur, wird erdichtet, habe anfangs wie ein heller Spiegel der Schöpfung Gottes offen und durchsichtig vor dem klaren Auge des Menschen gestanden, Fr. v. Schlegels Philosophie der Geschichte, I., S. 44. [1. Ausg.]und die göttliche Wahrheit sei ihm ebenso offen gewesen; es wird zwar darauf hingedeutet, aber doch zugleich in einem unbestimmten Dunkel gelassen, dass dieser erste Zustand sich im Besitze einer unbestimmten in sich schon ausgedehnten Erkenntnis religiöser, und zwar von Gott unmittelbar geoffenbarter Wahrheiten befunden habe. Von diesem Zustande aus seien nun ebenso im geschichtlichen Sinne alle Religionen ausgegangen, so aber, dass sie zugleich jene erste Wahrheit mit Ausgeburten des Irrtums und der Verkehrtheit verunreinigt und verdeckt haben. In allen den Mythologien des Irrtums aber seien Spuren jenes Ursprungs und jener ersten Religionslehren der Wahrheit vorhanden und zu erkennen. Der Erforschung der alten Völkergeschichte wird daher wesentlich dies Interesse gegeben, in ihnen so weit aufzusteigen, um bis zu einem Punkte zu gelangen, wo solche Fragmente der ersten geoffenbarten Erkenntnis noch in größerer Reinheit anzutreffen seien. Wir haben diesem Interesse viel Schätzenswertes an Entdeckungen über orientalische Literatur und ein erneuertes Studium der früher schon aufgezeichneten Schätze über altasiatische Zustände, Mythologie, Religionen und Geschichte zu danken. Die Regierung hat sich in gebildeten katholischen Ländern den Anforderungen des Gedankens nicht länger entschlagen und das Bedürfnis gefühlt, sich in einen Bund mit Gelehrsamkeit und Philosophie zu setzen. Beredt und imposant hat der


Abbé Lamenais unter den Kriterien der wahrhaften Religion aufgezählt, dass sie die allgemeine, das heißt katholische, und die älteste sein müsse, und die Kongregation hat in Frankreich eifrig und fleißig dahin gearbeitet, dass dergleichen Behauptungen nicht mehr, wie es wohl sonst genügte, für Kanzeltiraden und Autoritätsversicherungen gelten sollten. Insbesondere hat die so ungeheuer ausgebreitete Religion des Buddha, eines Gottmenschen, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der indische Trimûrtis, wie die chinesische Abstraktion der Dreiheit, war ihrem Inhalte nach für sich klarer. Die Gelehrten, Herr Abel Remusat und Herr Saint Martin, haben in der chinesischen und von dieser aus dann in der mongolischen, und wenn es sein könnte, in der tibetanischen Literatur ihrerseits die verdienstvollsten Untersuchungen angestellt, wie Baron von Eckstein, seinerseits auf seine Weise, das ist mit oberflächlichen aus Deutschland geschöpften naturphilosophischen Vorstellungen und Manieren in Art und Nachahmung


Friedrich von Schlegels, doch geistreicher als dieser, in seinem Journal le Catholique jenem primitiven Katholizismus Vorschub tat, insbesondere aber die Unterstützung der Regierung auch auf die gelehrte Seite der Kongregation hinleitete, dass sie sogar Reisen in den Orient veranstaltete, um daselbst noch verborgene Schätze aufzufinden, aus welchen man sich über die tieferen Lehren, insbesondere das höhere Altertum und die Quellen des Buddhismus weitere Aufschlüsse versprach, und die Sache des Katholizismus durch diesen weiten, aber für die Gelehrten interessanten Umweg zu befördern. [1. Ausg. geringfügig verändert. Wir haben dem Interesse dieser Forschungen sehr viel Schätzenswertes zu danken, aber dieses Forschen zeugt unmittelbar gegen sich selbst, denn es geht darauf, dasjenige erst geschichtlich zu bewähren, was von ihm als ein Geschichtliches vorausgesetzt wird. Sowohl jener Zustand der Gotteserkenntnis, auch sonstiger wissenschaftlicher, z. B. astronomischer Kenntnisse (wie sie den Indern angefabelt worden sind), als auch, dass ein solcher Zustand an der Spitze der Weltgeschichte gestanden habe, oder dass von einem solchen die Religionen der Völker einen traditionellen Ausgangspunkt genommen hätten und durch Ausartung und Verschlechterung (wie in dem roh aufgefassten sogenannten Emanationssystem vorgestellt wird) in der Ausbildung fortgeschritten sein, – alles dieses sind Voraussetzungen, die weder eine historische Begründung haben, noch, indem wir ihrem beliebigen, aus dem subjektiven Meinen hervorgegangenen Ursprung den Begriff entgegenstellen dürfen, je eine solche erlangen können.

 

Der philosophischen Betrachtung ist es nur angemessen und würdig, die Geschichte da aufzunehmen, wo die Vernünftigkeit in weltliche Existenz zu treten beginnt, nicht wo sie noch erst eine Möglichkeit nur an sich ist, wo ein Zustand vorhanden, in dem sie in Bewusstsein, Willen und Tat auftritt. Die unorganische Existenz des Geistes, die der Freiheit, das ist des Guten und des Bösen und damit der Gesetze, unbewusste Stumpfheit oder, wenn man will, Vortrefflichkeit, ist selbst nicht Gegenstand der Geschichte. Die natürliche und zugleich religiöse Sittlichkeit ist die Familienpietät. Das Sittliche besteht in dieser Gesellschaft eben darin, dass die Mitglieder nicht als Individuen von freiem Willen gegeneinander, nicht als Personen sich verhalten; eben darum ist die Familie in sich dieser Entwicklung entnommen, aus welcher die Geschichte erst entsteht. Tritt die geistige Einheit aber über diesen Kreis der Empfindung und natürlichen Liebe heraus, und gelangt sie zum Bewusstsein der Persönlichkeit, so ist dieser finstere spröde Mittelpunkt vorhanden, in welchem weder Natur noch Geist offen und durchsichtig ist, und für welchen Natur und Geist nur erst durch die Arbeit fernerer und einer in der Zeit sehr fernen Bildung jenes selbstbewusst gewordenen Willens offen und durchsichtig werden können. Das Bewusstsein allein ist ja das Offene und das, für welches Gott und irgendetwas sich offenbaren kann, und in seiner Wahrheit, in seiner an und für sich seienden Allgemeinheit, kann es sich nur dem kundgewordenen Bewusstsein offenbaren. Die Freiheit ist nur das, solche allgemeine substantielle Gegenstände wie das Recht und das Gesetz zu wissen und zu wollen und eine Wirklichkeit hervorzubringen, die ihnen gemäß ist, – den Staat.

Völker können ohne Staat ein langes Leben fortgeführt haben, ehe sie dazu kommen, diese ihre Bestimmung zu erreichen, und darin selbst eine bedeutende Ausbildung nach gewissen Richtungen hin erlangt haben. Diese Vorgeschichte liegt nach dem Angegebenen ohnehin außer unsrem Zweck; es mag darauf eine wirkliche Geschichte gefolgt oder die Völker gar nicht zu einer Staatsbildung gekommen sein. Es ist eine große Entdeckung, wie einer neuen Welt, in der Geschichte, die seit etlichen und zwanzig Jahren über die Sanskritsprache und den Zusammenhang der europäischen Sprachen mit derselben gemacht worden ist. Diese hat insbesondere eine Ansicht über die Verbindung der germanischen Völkerschaften mit den indischen gegeben, eine Ansicht, die so große Sicherheit mit sich führt, als in solchen Materien nur gefordert werden kann. Noch gegenwärtig wissen wir von Völkerschaften, welche kaum eine Gesellschaft, viel weniger einen Staat bilden, aber schon lange als existierend bekannt sind; von anderen, deren gebildeter Zustand uns vornehmlich interessieren muss, reicht die Tradition über die Stiftungsgeschichte ihres Staates hinaus, und viele Veränderungen sind jenseits dieser Epoche mit ihnen vorgegangen. In dem angeführten Zusammenhange der Sprachen so weit auseinanderliegender Völker haben wir ein Resultat vor uns, welches uns die Verbreitung dieser Nationen von Asien aus und die zugleich so disparate Ausbildung einer uranfänglichen Verwandtschaft als ein unwidersprechliches Faktum zeigt, das nicht aus der beliebten räsonierenden Kombination von Umständen und Umständchen hervorgeht, welche die Geschichte mit so vielen für Fakta ausgegebenen Erdichtungen bereichert hat und immerfort bereichern wird. Jenes in sich so weitläufig scheinende Geschehene aber fällt außerhalb der Geschichte: Es ist derselben vorangegangen.

Geschichte vereinigt in unsrer Sprache die objektive sowohl als subjektive Seite und bedeutet ebenso gut die historiam rerum gestarum als die res gestas selbst; sie ist das Geschehene nicht minder wie die Geschichtserzählung. Diese Vereinigung der beiden Bedeutungen müssen wir für höherer Art als für eine bloß äußerliche Zufälligkeit ansehen: es ist dafür zu halten, dass Geschichtserzählung mit eigentlich geschichtlichen Taten und Begebenheiten gleichzeitig erscheine; es ist eine innerliche gemeinsame Grundlage, welche sie zusammen hervortreibt. Familienandenken, patriarchalische Traditionen haben ein Interesse innerhalb der Familie und des Stammes; der gleichförmige Verlauf ihres Zustandes ist kein Gegenstand für die Erinnerung, aber sich unterscheidende Taten oder Wendungen des Schicksals mögen die Mnemosyne zur Fassung solcher Bilder erregen, wie Liebe und religiöse Empfindungen die Phantasie zum Gestalten solchen gestaltlos beginnenden Dranges auffordern. Aber der Staat erst führt einen Inhalt herbei, der für die Prosa der Geschichte nicht nur geeignet ist, sondern sie selbst mit erzeugt. Statt nur subjektiver, für das Bedürfnis des Augenblicks genügender Befehle des Regierens erfordert ein festwerdendes, zum Staate sich erhebendes Gemeinwesen Gebote, Gesetze, allgemeine und allgemeingültige Bestimmungen und erzeugt damit sowohl einen Vortrag als ein Interesse von verständigen, in sich bestimmten und in ihren Resultaten dauernden Taten und Begebenheiten, welchen die Mnemosyne, zum Behuf des perennierenden Zweckes dieser Gestaltung und Beschaffenheit des Staates, die Dauer des Andenkens hinzuzufügen getrieben ist. Die tiefere Empfindung überhaupt, wie die der Liebe, und dann die religiöse Anschauung und deren Gebilde sind an ihnen selbst ganz gegenwärtig und befriedigend, aber die bei ihren vernünftigen Gesetzen und Sitten zugleich äußerliche Existenz des Staates ist eine unvollständige Gegenwart, deren Verstand zu ihrer Integrierung des Bewusstseins der Vergangenheit bedarf.

Die Zeiträume, wir mögen sie uns von Jahrhunderten oder Jahrtausenden vorstellen, welche den Völkern vor der Geschichtsschreibung verflossen sind und mit Revolutionen, mit Wanderungen, mit den wildesten Veränderungen mögen angefüllt gewesen sein, sind darum ohne objektive Geschichte, weil sie keine subjektive, keine Geschichtserzählung aufweisen. Nicht wäre diese nur zufällig über solche Zeiträume untergegangen, sondern weil sie nicht hat vorhanden sein können, haben wir keine darüber. Erst im Staate mit dem Bewusstsein von Gesetzen sind klare Taten vorhanden und mit ihnen die Klarheit eines Bewusstseins über sie, welche die Fähigkeit und das Bedürfnis gibt, sie so aufzubewahren. Auffallend ist es jedem, der mit den Schätzen der indischen Literatur bekannt zu werden anfängt, dass dieses an geistigen, und zwar in das Tiefste gehenden Produktionen so reiche Land keine Geschichte hat und darin aufs stärkste sogleich gegen China kontrastiert, welches Reich eine so ausgezeichnete, auf die ältesten Zeiten zurückgehende Geschichte besitzt. Indien hat nicht allein alte Religionsbücher und glänzende Werke der Dichtkunst, sondern auch alte Gesetzbücher, was vorhin als eine Bedingung der Geschichtsbildung gefordert wurde, und doch keine Geschichte. Aber in diesem Lande ist die zu Unterschieden der Gesellschaft beginnende Organisation sogleich zu Naturbestimmungen in den Kasten versteinert, so dass die Gesetze zwar die Zivilrechte betreffen, aber diese selbst von den natürlichen Unterschieden abhängig machen und vornehmlich Zuständigkeiten (nicht sowohl Rechte als Unrechte) dieser Stände gegeneinander, d. i. der höheren gegen die niederen, bestimmen. Damit ist aus der Pracht des indischen Lebens und aus seinen Reichen das Element der Sittlichkeit verbannt. Über jener Unfreiheit der naturfesten Ständigkeit von Ordnung ist aller Zusammenhang der Gesellschaft wilde Willkür, vergängliches Treiben oder vielmehr Wüten ohne einen Endzweck des Fortschreitens und der Entwicklung: So ist kein denkendes Andenken, kein Gegenstand für die Mnemosyne vorhanden, und eine, wenn auch tiefere, doch nur wüste Phantasie treibt sich auf dem Boden herum, welcher, um sich der Geschichte fähig zu machen, einen der Wirklichkeit und zugleich der substantiellen Freiheit ungehörigen Zweck hätte haben müssen.