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Die Mittagessen in München waren oft geschäftlich veranlasst, sei es mit Kunden, Lieferanten oder Handelsvertretern, aber auch regelmässig mit dem Geschäftsführer des Vereins deutscher Kunsthändler, dessen Vorsitzender mein Grossvater lange Jahre war .Mit Frau Gabler wurde dann sorgfältig das jeweilige Restaurant ausgesucht, das danach variierte , ob die Geschäftsfreunde dem Bereich der Möbelindustrie, dann war man Gast in Restaurants wie dem Bayerischen Hof oder den Vier Jahreszeiten, oder dem Kunsthandel, dann wurden individuellere Restaurants präferiert, wie der >Humpelmayr<, zuzurechnen waren . Mein Grossvater traf Onkel Fritz zusammen mit einem Kreis von Kunstfreunden und Gelehrten, die sich seit den Tagen des gemeinsamen Studiums ziemlich regelmässig, allerdings durch die Kriegszeit unterbrochen und dezimiert, sahen, monatlich einmal im Franziskaner.

Es gab noch einen weiteren, allerdings heikleren festen Monatstermin zum Essen, auch dieser arrangiert von Frau Gabler: Das Treffen mit seiner alten, ehemaligen Liebe und Mutter seines ausserehelichen Sohnes: Martha Glauer. Von deren Existenz wussten wir als Kinder nichts, wenn auch in der Familie gemunkelt wurde, dass wohl ein paar Bankerts meines Grossvaters nicht auszuschliessen seien. Bekannt war der folgenreiche Seitensprung aber meiner Grossmutter, die gewiss darunter litt – aber eher wegen der angetanen Schmach, als wegen der verlorenen Liebe, sofern sie diese überhaupt jemals besessen hatte. Sie liess sich die Schmerzen nicht nur in Form von Schmuckstücken aller Art vergolden, sondern auch durch Machtgewinn dahingehend, dass sie, nachdem sie die Alltagsentscheidungen, bis auf wenige Ausnahmen, wie die Einrichtung des Hauses (was ihr aber nicht viel bedeutete, sofern diese nur repräsentativ genug war), übernommen hatte auch zunehmend geschäftliche Belange jedenfalls im Bereich der Personalpolitik beeinflusste.

Mit Martha Glauer traf sich mein Grossvater im Böttner, dem kleinen intimen Restaurant Ecke Maffei / Theatinerstrasse, das nur wenige Tische hatte und heute an einem anderen Standort in der Innenstadt seine Dienste anbietet.

Meine Grossmutter war bei gegschäftlichen Essen nur dabei, wenn Geschäftsfreunde ihre Frauen mitgenommen hatten, die meist von weiter her kamen und in München Einkäufe tätigten, manche sogar die Kunstsammlungen besuchten. Bei solch einer Gelegenheit liess mein Grossvater es sich nicht nehmen, selbst eine Führung durch aktuelle Ausstellungen zu machen.Vor allem aber führte er die Damen durch die alte Pinakothek, während meine Grossmutter sich eiligst nach Seeberg zurück chauffieren liess.“

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„Wenn ich bei derartigen Gelegenheiten in Seeberg war, musste ich mit der Grossmutter nach München fahren und nach dem Mittagessen wurde ich noch meist in die Alte Pinakothek mitgenommen. Mein Grossvater meinte, dass je früher man schöne Dinge sehe um so besser, dass dadurch der Geschmack gebildet werde, auch wenn man seine Erklärungen noch nicht alle verstand. Daher erlebte ich mehrere solcher Exkursionen und stellte bald fest, dass mein Grossvater bei den verschiedenen Gästen immer sehr variationsreich vorging und niemals dieselbe Tour führte. Er hatte jedoch einige Konstanten, die sich naturgemäss bei mir einprägten. Die eine waren seine Ausführungen zum Manierismus, da er dank seiner Promotion über dies Thema gängige Vorurteile auch aufgeklärter, >kunstsinniger < Menschen kompetent korrigieren zu können glaubte.“

„ Welches Bild ist Dir da vor allem in Erinnerung geblieben und warum“,fragte ich .

„Das ist Tintorettos: Vulkan überrascht Venus und Mars. Was kein Wunder ist. Für ein Kind und beginnenden Jugendlichen ist es schon interessant, zu bemerken, für was sich Vulkan da so sehr interessiert. Mein Grossvater liebte dieses Bild. Er erklärte daran die Elemente des Manierismus: die gelängten Körper, die Diagonalen und den Spiegel im Hintergrund als Zeichen der Reflexion, wohl von Parmigianino eingeführt. Der Manierismus reflektiert die Renaissance, der Spiegel reflektiert und bricht das Gesehene. Aber er machte sich auch über den Alten lustig, der die zu junge Frau ertappt hat, deren erotischen Ansprüchen er offenbar nicht genügte. Leicht süffisant regte er dann gegenüber den weiblichen Begleiterinnen an, Ihren Gatten zu berichten, dass schon Homer wusste und es Tintoretto nur ins Bild rückte, dass alte Männer mit zu jungen Frauen grosse Gefahr laufen, nur allzu schnell der Häme ausgesetzt zu werden. Diese Bemerkung unterliess er allerdings, wenn es sich bei der Gattin seines Geschäftspartners, was durchaus vorkam, um eben eine solche Venus handelte.

Regelmässig führte mein Grossvater bei seinen Führungen auch in den Bau der Alten Pinakothek ein als erstes führendes Kunstmuseum, als grösster und modernster Museumsbau seiner Zeit, der die Entwicklung des europäischem Museumsbaues zusammenfasste und damit des gesellschaftlichen Novums, dem Museum als Demokratisierung der Kunst, und machte Ausführungen über das München Leo von Klenzes. Wie sehr doch ein kühner Auftraggeber, Ludwig der I., und ein genialer Architekt Lebensräume und damit aber auch den Geist der dort Lebenden über Jahre hinweg formen könnten.

Im übrigen finde ich, dass die Idee des Klassizismus eigentlich recht gut zur Persönlichkeit meines Grossvaters passte. Der Klassizismus ist ein Gegner der Parvenüs, der Neureichen, aber in gewisser Weise auch ein Gegner der Innovation des Neuen, er bewahrt das Bewährte, das zu gestalten ihm sinnvoller erscheint als der Beifall für kreativ Neues, das doch Altes zerstören muss, immer auch das Suchende ist und als solches vor Geschmacksverirrungen nicht gefeit sein kann. Die Welt des Klassizismus ist die Welt von Mass und Stil, die Welt, die sich Bewährtem bewusst bleibt. Der Klassizismus ist die Kunstform der gesättigten, gebildeten Oberschicht, in denen die Alten das Sagen haben, die wissen, dass die proklamierten Siege im Lebenskampf meist ausgeblieben sind und denen gemässs Erfahrung Gesichertes lieber ist als die vernichtende Kraft neuer Heilsversprechen. Der Klassizismus gibt aber auch dem Sicherheit, der ihrer bedarf, die aber Illusion ist und immer war.

Nebenbei bemerkt zeigt der Unterschied von Alter zu Neuer Pinakothek, die mein Grossvater nicht mehr erleben konnte, obwohl der Architekt der Neuen Pinakothek sicher ein Herr und Weltmann war, dass in der Kunst, und Architektur ist ja sicher auch eine Kunstform, Stillstand Rückschritt ist, dass das Wissen des Betrachters um die Entstehungszeit und das Umfeld des Gebäudes die ästhetische Beurteilung beeinflusst, dass handwerkliches Geschick noch lang keine künstlerische Essenz ist.“

„ Das stimmt“, warf ich ein, „beweist aber auch, dass das politische Umfeld nicht mit dem künstlerischen Resultat korreliert. Die Zeit der Entstehung der alten Pinakothek war unstreitig politisch reaktionär und hat doch ein architektonisches Kunstwerk geboren, einen Bau, der zeitlos eine Souveränität und Selbstbewusstsein ausdrückt, das dem Zeitgeist, der doch eher verzagt war, fehlte, während die 70er Jahre, in deren Mitte der Entwurf der Neuen Pinakothek verabschiedet wurde, in vieler Hinsicht politische Umbrüche im Entstehen sah, Wegbrechen alter Zöpfe und gesellschaftlicher Tabus, wie die Strafbarkeit der Homosexualität, des berühmten Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, neue Ostpolitik, schliesslich die Vorbereitung zur Gründung der Grünen in den frühen Achtzigern, in Rom den polnischen Papst und in Polen die Gewerkschaft Solidarnos. Und dann ein solcher Bau, der sich in seiner Formensprache an Elemente hält, die rückwärtsgewandt eine Scheinsicherheit verheissen. Aber wir wollen fortfahren, konnte uns doch die Pinakothek der Moderne ein wenig entschädigen. Was war die dritte Konstante in den Führungen Deines Grossvaters?“

“Es war Tiepolos Anbetung der Könige.“

„Warum das ?“

„ Mir hat sich das erst im Laufe der Zeit erschlossen. Das Altarbild der neubarocken Kirche von Seeberg ist eine Kopie des Bildes von Tiepolo.“

„Stimmt, ich kenne das Bild. Als Kind schaut man in der Kirche doch vor allem die Bilder an, da die Sprüche der Priester zu abstrakt sind. Mir ist immer der rechte Arm des dritten, hochaufgerichteten schwarzen Königs, also wohl Balthasars, aufgefallen, dessen Kleid wie ein Zebra gestreift ist.“

„Siehst Du, mit dieser Beobachtung setzt Du meinen Grossvater ins Recht, der meinte, der entscheidende Vorteil des Katholizismus gegenüber dem Protestantismus seien die Ausschmückungen in den Kirchen, die, und insofern war er stets dafür, dass ich, wenn ich sonntags in Seeberg war, mit in die Kirche ging, da Kindern, die mit der Eucharistiefeier nichts anfangen konnten, durch das zwangläufige Studium der vorhandenen Malerei, ein gewisses Stilgefühl mitgeben würde. Im übrigen hat mein Grossvater immer wieder anhand dieses Meisterwerkes von Tiepolo, das in Würzburg entstanden ist und dank der Säkularisation, nämlich der Aufhebung des Klosters Schwarzach, für das es geschaffen wurde, in die alte Pinakothek kam, darauf hingewiesen, wie doch das Barock die Errungenschaften des Manierismus, etwa die Diagonale, übernommen hat.

Ich selbst kann mich auch an das Bild erinnern. Als Kind gefiel mir vor allem die wunderschöne junge Madonna. Es ist, neben den Tönen der Glocken, deren dunkler, satter Klang Seeberg als Wohnort allein schon auszeichnet, das Einzige, das diese Kirche wirklich schmückt: Macht und Geld beugen sich vor einem Baby und dessen stolzer Mutter.“

„Es spricht auch für den Architekten der Kirche von Seeberg, oder wer immer es entschieden hat, dass er die Kopie eines Meisterwerkes irgendeinem drittklassigem Original, von denen es aber in der Kirche genug gibt, vorgezogen hat.“

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„Aber kommen wir zum weiteren Tagesablauf meines Grossvater zurück. Ich erzähle Dir das, weil sein Tagesablauf auch meinen als Kind bestimmte und weil sein Leben ein Lebensmuster war, das, wenn wir nun schon zurückschauen und resümieren, vielleicht ein mögliches gewesen wäre oder auch nicht und wenn nicht warum. Liegt es an den Umständen, die diese Art von Leben nicht mehr zugelassen haben oder an dem Leben selbst, das nicht als das richtige erscheint. Aber gibt es das? Oder gibt es ohnehin kein richtiges Leben, da wir im

 

falschen leben. Können wir uns überhaupt bewusst für Arten des Lebens entscheiden oder werden wir von den Umständen, unseren Leidenschaften und Bedürfnissen getrieben? Dennoch leben wir ein bestimmtes Leben und offenbar nicht jeder das gleiche. Andererseits gibt es gewisse Muster, die gleichartig sind und es lassen sich Typen von gelebtem Leben feststellen. Ich möchte mir mit Deiner Hilfe bewusst werden, welchen Lebenstyp ich gelebt habe. Dazu ist aber die Spiegelung in anderen, zumal wenn sie in tatsächlicher Korrelation zu meinem Leben standen, wichtig. Also kehren wir zum Rhythmus des Tages meines Grossvaters zurück.

Herr Kuglmüller chauffierte meinen Grossvater von der Briennerstrasse nach Schwabing in die Möbelfabik. Dort begrüsste mein Grossvater die dortige Sekretärin, Frau Seifert, die oft schon mit meiner Grossmutter, die ungefähr eine Stunde nach meinen Grossvater mit ihrem Chauffeur und einem etwas kleineren amerikanischen Wagen, vielleicht ein Chevrolet, von Seeberg nach München gefahren war, die neuesten Familiennachrichten ausgetauscht hatte. Frau Seifert war nämlich die eigentliche Vertraute meiner Grossmutter. Meine Grossmutter bevorzugte das Ambiente der Möbelfabrik in Schwabing desjenigen der Kunsthandlung in der Briennerstrasse gegenüber. Das lag vor allem an den Personen, die ihr hier oder dort begegneten. Die Mitarbeiter der Möbelfabrik hatten, auch wenn sie zu leitenden Angestellten aufgestiegen waren, etwas Bodenständiges. Sie sahen meine Grossmutter als die Ihre, die es – durch Heirat – zu etwas gebracht hatte, während die Angestellten der Kunsthandlung gerade dies verachteten wie den – aus ihrer Sicht zu offensichtlichen – Prunk der Kleidung, überhaupt des Stils meiner Grossmutter, des Stils, der sich durch Stillosigkeit auszeichnete. Am meisten störten sie sich an der Krokodillederhandtasche meiner Grossmutter als Ausdruck modischer Dekadenz. Sie fragten sich, wie ein so kultivierter und stilsicherer Herr, wie ihr Chef, der Herr Dr.Poth, diese Frau sich hatte antun können. Solche Vorurteile teilten sich meiner Grossmutter unbewusst mit .So mied sie weitgehend die Briennerstrasse.

Du musst wissen, dass meine Grosseltern ein sehr unterschiedliches Paar waren. Meine Grossmutter kam aus der fränkischen Provinz und war Tochter eines Apothekers.Wie damals die meisten Mädchen wurde sie nicht gebildet und hatte weder für Kunst noch besserer Musik, ausgenommen eine ganz naive Liebe zu Mozart, den sie durch ihre Klavierlehrein kennengelernt hatte, noch gar Geist oder Literatur das geringste Interesse. Sie interessierte nur der gesellschaftliche Aufstieg, der gesellschaftliche Tratsch, ihr Aussehen, das sie dank Frisör, Kleidung, Maniküre und Pediküre zumindest nach ihren Masstäben und dank des Geldes ihres Mannes zu optimieren verstand. Du kanntest sie ja und musst zugeben, dass sie nach landläufiger Ansicht hübsch war, voller Temperament und Lebensfreude.

Um gesellschaftlich zu reüssieren, war sie schon bald aus der Provinz nach München gegangen und lebte dort bei ihrer älteren Schwester, der Frau Majorin. Das Schlachtfeld waren die wohlsituierten Junggesellen, zu denen auch mein Grossvater gehörte. Weiblicher Charme und körperliche Vorzüge waren die bewährten Kampfinstrumente. Meine Grossmutter fing schliesslich den Grossvater mit meinem Vater, wenn auch nach damaligen Verhältnisse wohl schon fast im Schlachtgetümmel untergegangen, sprich dank des fortgeschrittenen Alters von Ende 20 in die Gefahr gekommen, als >Jungfer< zu enden oder die Ansprüche an den künftigen Lebensstandard allzu weit herabstufen zu müssen. Diese Kampfzeit bewirkte bei ihr ein, sicher schon von Geburt an angelegten Misstrauen allen gegenüber und ein Vertrautsein nur zu Untergegebenen wie Frau Seifert oder der Köchin Anni oder Enkelkindern wie mir, die ihr nicht wirklich schaden oder ihr Vertrauen missbrauchen konnten.

Mein Grossvater begab sich nach der Begrüssung der Sekretärin und gegebenenfalls meiner Grossmutter, der er gleichzeitig mitteilte, wie sich das Mittagessen letztendlich gestalten sollte, ein Restaurantbesuch allein, mit meiner Grossmutter oder zu Hause, was Frau Seifert unverzüglich nach Seeberg zu vermelden hatte, in die Kantine. Dort befand sich ein kleines Zimmer, das als Frühstücksraum für meinen Grossvater diente. Er wurde von der Kantinenchefin bedient, einer älteren Cousine meines Grossvaters, die nicht verheiratet war und die ein Unterkommen gesucht hatte: Tante Irma. Dieses zweite Frühstück fand gegen elf Uhr statt. Da die Arbeit in der Fabrik um sechs Uhr morgen begann, hatte die Belegschaft schon die Frühstückspause in der Kantine hinter sich. Anlässlich der ersten Pause informierte sich Tante Irma bei einigen Vertrauten über das Betriebsgeschehen. Diese Informationen übermittelte sie meinem Grossvater, während er sein Ei und die Honigsemmel ass und nebenbei die Münchener Lokalzeitung, die Abendzeitung durchblätterte.

Nach dem Frühstück machte mein Grossvater seinen Betriebsrundgang.

Er empfing danach in der immer gleichen Reihenfolge den Personalleiter, den Produktionsleiter, den Verkaufsleiter und zuletzt den Leiter der Buchhaltung. Gegebenenfalls gab es anschliessend noch eine gemeinsame Runde, in welcher mein Grossvater seine Beschlüsse kundtat.

Dank der Informationen von Tante Irma war er schon immer erstaunlich gut unterrichtet, was er durch gezielte Fragen an seine leitenden Angestellten offenbarte, die das auf den Betriebsrundgang zurückführten und darauf, dass er einen so guten Blick für das Wesentliche hatte. Diese Methode hatte im übrigen den Vorteil, dass die Leitenden die Probleme gleich von sich aus bei Beginn der Besprechung auf den Tisch brachten, um nicht durch Fragen meines Grossvaters unangenehm überrascht zu werden. So hatte er, mit relativ wenig Aufwand, ein vorzügliches betriebliches Informationssystem. Er konnte es sich leisten gegen 13 Uhr entweder in die Stadt zum Essen oder, im Regelfall, nach Seeberg zurückzufahren. Dort traf er gegen 14 Uhr ein, was der Chauffeur durch lautes Hupen kundtat und somit der Küche das Signal gab, sich auf das Servieren der Mahlzeit vorzubereiten.

Das Essen wurde im Esszimmer serviert. Der Esstisch war rund und aus Mahagonni Holz. Er war extra angefertigt worden und konnte weit ausgezogen werden. Je nach Bedarf bot er für sechs bis achtzehn Gästen Platz. Es war immer vornehm gedeckt mit Tischdecke, Stoffservietten, Silberbesteck, Silberplatzteller, Messerbänke, an jedem Platz eine goldene kleine Schüssel mit Wasser zum Reinigen der Hände und verschiedenen wertvollen Gläsern. Das Besteck und die Teller waren mit den Initialen AP graviert nach der Mutter meines Grossvaters. Vor dem Essen und nach dem Essen, wurde jeweils im Stehen gebetet – wie mir später Dr.Müller erzählt hat, auf ausdrücklichen Wunsch meiner Grossmutter.

Meine Grosseltern, die sich wenig unterhielten, hatten sich, um Streit zu vermeiden, eine klare Aufteilung gegeben, wer was zu entscheiden hatte. Es folgte dem einfachen Grundsatz: Alles was in auch weiterer Verbindung zur Kunst stand, entschied mein Grossvater, den Rest meine Grossmutter. So wurden architektonische Fragen, sei es des Hauses oder des Gartens, aber auch die Einrichtung und das Geschirr, also jedenfalls Fragen des Kunsthandwerks und eines gewissen dauerhaften Stils von meinem Grossvater entschieden. Dinge, die der Mode unterworfen waren, wie Kleidung, Autos, Speisen, sowie Einladungen, sowohl was die Gäste wie die Abläufe betraf, wie gewisse Rituale, zum Beispiel das Mittagessensgebet, oder das Zimmer zum Frühstücken, die Uhrzeit und der Ort – eine Zweifelsfrage nur im Sommer, nämlich, ob die Essensterrasse das Essenszimmer substituierte - des Mittagessens, wurde von meiner Grossmutter bestimmt, auch wenn es meinen Grossvater betraf, wie seine Kleidung. Meine Grossmutter fand, dass mein Grossvater nun Bayer sei und er daher dies in seiner Kleidung zum Ausdruck bringen sollte. Daher kaufte sie für ihn bei Lodenfrey Trachtenanzüge und Lodenmäntel ein, die ihn jedenfalls an Sonn – und Feiertagen und nicht nur dann auch bekleideten.

Mein Grossvater hätte sicher als sein Auto einen Mercedes vorgezogen, doch er fügte sich dem Wunsch meiner Grossmutter und fuhr einen Cadillac. Während mein Grossvater den Geschäftspartnern aus der Möbelindustrie, die einen Cadillac zu fahren neben der Demonstration finanzieller Potenz für Ausdruck einer fortschrittlichen Gesinnung hielten, der die modernen amerikanischen Unternehmensmethoden auch sonst bewusst waren, und denen mein Grossvater, da er sie insgeheim, was sie im Regelfall auch waren, für hochgekommene Primitivlinge ansah, wegen des Cadillacs keinerlei Rechenschaft zu schulden glaubte, meinte er gegenüber den Partnern aus dem Kunsthandel, auch wenn sie beim Zuordnen des Cadillacs zu meinem Grossvater kein süffisantes Lächeln aufsetzten, doch seinem Ruf eine Erklärung zu schulden wie die: > Ich weiss, dass es lächerlich erscheint, so einen Cadillac zu fahren und doch demonstriere ich damit zweierlei: Ich lasse in meiner Ehe auch Entscheidungen meine Frau treffen, was sicher sehr modern ist, und es ist mir egal in welchem Wagen ich kutschiert werde. Ist es nicht viel abgeschmackter, wenn man durch die Wahl seines Autos meint, seine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen zu müssen.?<

Zeigte aber nicht gerade so eine Erklärung, dass es ihm nicht gleichgültig war? Gegenüber Dr.Müller rechtfertigte er sich manchmal ironisch damit, dass er als Deutscher den Amerikanern, denen man immerhin die Weisungsunabhängigkeit der Bundesbank, das Kartellverbot und die Währungsreform von 1948, die ja ein alliiertes Oktroi gewesen sei, verdanke, durch die Wahl eines amerikanischen Strassenkreuzers, seine Reverenz erweise. Seiner Meinung nach sei ein Auto ein Gebrauchsgegenstand. Er erkenne durchaus den ästhetischen Reiz des Porsches, den sein Sohn sich mit seinem ersten Geld, das doch eigentlich das des Vaters war, gekauft habe – es war ein cremefarbene Cabriolet 356, das erste Serienmodell von Porsche mit roten Ledersitzen, der durchgehenden Sitzbank für Fahrer und Beifahrer und einer Windschutzscheibe mit Knick. Ihm sei das durchgängige Design und die fein abgestimmten Details, wie das dünne Lenkrad, die runden Armaturenanzeigegeräte, die Fensterkurbeln, also das ganze Arsenal des progressiven Autodesigns der fünfziger Jahre bewusst. Obwohl er Stil und Geschmack schätze und Wert darauf lege, so fände er, dass sich dieser nicht in der Gebrauchsästhetik erweisen müsse. Stil und Geschmack zeige sich in einer Haltung, in Lebensart und sprachlichen Ausdrucksformen, in Bildung, nicht darin, dass, wie sein ältester Sohn, mein Vater, nach Gründung seiner Familie, den Porsche durch den BMW V 8 zu ersetzen, der immerhin zwanzigtausend Mark gekostet hätte, und seiner Frau einen MG als Zweitwagen, einen sportlichen Zweisitzer, zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig hätten sie das von Ihnen erworbene Haus mit ihrer ersten Massnahme, dem modischen Einbau eines Blumenfensters nachhaltig verschandelt. Leider gebärde sich sein Sohn, obwohl er es eigentlich nicht notwendig hätte, wie ein Parvenü. Das sei aber möglicherweise Folge der Kriegs – und Nachkriegszeit, die den jungen Leuten doch allzu viel Entbehrungen abverlangt hätten. Nein, wenn der Autokauf nach ihm ginge, - aber das sei zu unbedeutend, daher überlasse er es seiner Frau - so hätte er sich für ein zweckmässiges Auto entschieden, das schon Konfortansprüchen genügt, aber auch ein gewisses Understatement ausgestrahlt hätte, also nicht etwa einen Opel Kapitän, den Cadillac der kleinen Leute. Sein Auto wäre ein Mercedes gewesen.

Man kann sich fragen, ob zu einem Leben mit Stil und Geschmack, wie es mein Grosvater prätendierte, auch der Bereich Kleidung und Autodesign beziehungsweise Design generell gehört. Die Einrichtung, die Möbel waren ihm offenbar wichtig. Nicht jedoch modernes Gebrauchsdesign oder Kleidung. Aber sind Möbel kein Gebrauchsdesign oder gar Architektur? Die Verfeinerung der Bedürfnisse als Ausbildung des Geschmacks, die Ästhetisierung, sind doch Audruck einer höheren Zivilisationsform, gesteigerter Unterscheidung zur Barbarei und zum Tierreich. Warum dann nicht Autodesign? Warum nur Kunst und die Verachtung für den Alltag? Liegt darin etwas typisch Deutsches, wie die Unterscheidung zwischen U – und E – Musik? Bringt man durch demonstrative Gleichgültigkeit gegen sogenannte Äusserlichkeiten zum Ausdruck, dass man auf die inneren – welche sind das? – Werte setzt auf das >eigentlich< Wichtige.

 

Wollte sich mein Grossvater von den Dandys unterscheiden, die schick gekleidet in gestylter Umgebung und mit den neuesten Autos ausgestatter selbst Teil dieser doch dann sterilen Einheitswelt sind, die Geist, Bildung, Individualität und Intellektualität vermissen lassen?“

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„Manchesmal schlossen meine Grosseltern auch eigenartige Kompromisse. So war es für meine Grossmutter wichtig, sonntags in die Kirche zu gehen. Mein Grossvater durfte im Gegenzug jeden zweiten Sonntag die Kirche auswählen. Die anderen Sonntage wurde die Messe in Seeberg besucht. Beides hatte seinen Grund. Für meine Grossmutter war neben dem Kirchgang als solchen ebenso wichtig, dass den anderen Kirchgängern Seebergs und insbesondere dem Pfarrer diese Tatsache auch bewusst war. Sie wollte nicht in den Verdacht geraten, unregelmässige Kirchenbesucherin zu sein. Daher erzählte sie jedem nach der Kirche, in welcher Kirche sie letzten Sonntag waren, wie die Predigt war und dass es ausdrücklicher Wunsch des Grossvaters sei, regelmässig die Kirchen zu wechseln. Dem Pfarrer erschien dies zwar alles andere als der eigentlich von meinen Grosseltern angesichts ihrer gesellschaftlichen Stellung zukommenden Vorbildfunktion angemessen. Er fügte sich aber, da meine Grosseltern nicht nur gute Kirchensteuerzahler waren, was er vermutete, aber angesichts des Steuergeheimnisses nicht verifizieren konnte, sondern auch bei irgendwelchen Spendenaktionen für die Caritas, eine neue Orgel, neue Glocke oder eine Kirchenheizung immer die nach dem gegebenen Geldbetrag gereihte Liste – diese Methode sollte die Spendierfreude erhöhen, was auch gelang - regelmässig anführten. Im übrigen war ihm durchaus klar, dass er es nur meiner Grossmutter zu verdanken hatte, dass der Vorbildfunktion immerhin teilweise nachgekommen wurde.

Mein Grossvater meinte, wenn er schon das immergleiche hören und tun solle, so wäre das, vor allem angesichts der Güte der Predigten des Pfarrers von Seeberg, der, nicht anders als die Mehrzahl seiner Kollegen, vorwiegend Tautologien wie >Gott ist der Allmächtige< und nicht nachvollziebare Erkenntnisse wie >Wenn wir dich schauen, sind wir erlöst < oder Schmähungen über diejenigen, die nicht in die Kirche gingen und daher die daraus resultierenden Konsequenzen sich gar nicht bewusst machen konnten, in einer Rhetorik vorbrachte, die völlig unvermittelt mal ganz leise und dann wieder laut brüllend die Sätze intonierte und unmotiviert einzelne Silben betonte, doch eher zu ertragen, wenn er als Ausgleich die Architektur, Skulptur oder Malerei des Raumes studieren könnte, in welchem sich das Ganze zutrug.

So kam es, dass ich mit der Zeit ziemlich alle sehenswerten Kirchen der Umgebung besuchte, sei es die auf der Grundlage einer gotischen Hallenkirche im Stile des Rokoko von Johann Baptist Zimmerman neu konzipierte Kirche des Kloster Andechs, die seinem und seines Bruders Dominikus Meisterwerk, der Wieskirche, kaum nachstand, sei es die Kirche in Schäftlarn mit dem Stuck und Fresken desselben Meisters oder die Barockkirche auf romanischen Fundamenten von Fischer in Diessen, bis zu den weniger bekannten St.Ulrich in Eresing, St.Rasso in Grafrath oder der Pollinger Stiftskirche St.Salvator. In Polling, übrigens wie du sicher weißt, dem Pfeiffering inThomas Manns Dr.Faustus, machte mich mein Grossvater jedes Mal auf die Schrift am Portalbau der Stiftskirche aufmerksam: >Liberalitas Bavarica<. Bei der Heimfahrt erläuterte mein Grossvater, der ansonsten auch beim Autofahren wenig sprach, was es mit diesem Spruch auf sich habe: Als Bayern und wir wären nun einmal Bayern müssten wir uns dessen immer bewusst sein, wir lebten gut und liessen leben, wir seien tolerant, was nicht verhindere, dass wir unsere Grundsätze hätten und diese auch zum Ausdruck brächten. Doch wir wissen eben , dass Grundsätze Grundsätze seien und, wie schon Hippokrates sagte, gelte ansonsten: ars longa, vita brevis. Dieses kurze Leben müsse gelebt werden und darüber würden einige Grundsätze vernachlässigt.

Die am weitest entferte Kirche war St.Benedikt in Benediktbeuern. Gerechtfertigt wurde der Besuch damit, den Enkel, also mich zu bilden, was nicht auslangte, den wohl berechtigten Protest meiner Grossmutter zu verhindern, die meinte, das könne doch auch unter der Woche geschehen, es sei dann doch etwas übertrieben sonntags insgesamt mehr als eine Stunde Autofahrt in Kauf zu nehmen, nur um Bildungsbedürfnissen gerecht zu werden. Ich lernte, dass neben Monte Cassino und St.Benoit sur Loire die Kirche in Benediktbeuern zum wichtigsten Kultort des abendländischen Mönchsvaters St.Benedikt geworden war und ausserhalb Münchens als die früheste bedeutende Barockkirche Oberbayerns gilt.

Mein Grossvater genoss während der Messe den dekorativen Stuck mit den Blumen, Früchten, Obst - und Gemüsemotiven und den Plastiken mit den Symbolfiguren für Stärke (fortitudo ) und Schönheit (decor), die Illusionsmalerei der Deckenbilder von Georg Asam, den Vater der berühmten Asambrüder oder die Altarwand mit ihrer dreifachen Vertikal – und Horizontalgliederung in der Art der Stirnfassade der Andreaskirche in Mantua von Alberti. Mir selbst fiel schon als Kind die Uhr über dem Hochaltar auf. Mein Grossvater erklärte mir die spirituelle Bedeutung als Botschaft der Barockzeit: Trotz allen Glanzes, aller Darstellungslust zeigt die Uhr die Vergänglichkeit des Lebens an. Daran habe ich mich bei der Salzburger Inszenierung der La Traviata mit Anna Netrebko und Villazon erinnert, die auf die Bühne eine überdimensionale Uhr, offenbar mit derselben Intention stellte.

Wenn wir in Benediktbeuern waren, es war ganz selten der Fall, ich war vielleicht dreimal dabei, besuchten wir immer die lichtvolle, wohlproportionierte Anastasiakapelle von Johann Michael Fischer mit den leicht dahinfliessenden, eleganten Stukkaturen der Innendekoration von J.M.Feichmayr. Mein Grossvater wies in der Kapelle auf die Seitenaltäre hin. >Man sollte als gebildeter Bayer den Namen Ignaz Günther kennen, der die hiesigen Seitenaltäre gestaltet und die dortigen Putti und Engelsgestalten geschnitzt hat. Denn Ignaz Günther ist der Vollender der altbayerischen Rokokoplastik, die wiederum der Höhepunkt bayerischer Plastik überhaupt ist.<

An einem Freitag, als mich mein Grossvater für ein Wochenende nach Seebarg mitnahm, liess er Kuglmüller in Starnberg vor dem Heimatmuseum, dem Würmgaumuseum halten und zeigte mir dort eine Plastik von Ignaz Günther: Eine weibliche Heilige von 1755 aus der Dorfkirche zu Haunsfeld bei Starnberg, eine der schönsten, anmutigsten gelöstesten Frauengestalten der Plastik im 18.Jahrhunderts, wie er mir erkklärte, überaus schlank, halb knieend, halb hingegossen, in der Hüfte sanft gebogen und gedreht, auf dem schlanken Hals das träumerisch geneigte Mädchenhaupt mit den gesenkten Lidern, die Ärmel mit flatternden, spitzenbesetzten Volants lang herabfallend, allerdings ohne Hände.

Ein andermal besuchten wir in Starnberg die ehemalige Pfarrkirche St.Josef, in der zum Leidwesen meines Grossvaters kaum mehr Gottesdienste gehalten wurden. Er wies darauf hin, dass dieselbe Künstlergruppe wie in der Benedikbeurer Anastasiakapelle dort gewirkt hatte mit dem Roncaillestuck von Franz Xaver Feichtmayr und dem Hochaltar von Ignaz Günther.

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