Lebenszeiten

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

II

8

„Wenn ich an meine Kindheit denke, dann denke ich an Seeberg“, begann Paul, „obwohl meine Eltern ja in Schwabing wohnten und ich dort viel mehr Zeit als in Seeberg bei meinen Grosseltern verbrachte. Woran mag dies liegen?“

Wir sassen uns in bequemen Ledersesseln gegenüber, jeder ein Glas Mineralwasser vor sich.

Ich blickte auf Paul und vergegenwärtigte mir, wie ich ihn, beide waren wir vielleicht 4 oder 5-jährig, das erste Mal sah. Meine Eltern und seine Grosseltern waren Nachbarn.

Es war im Frühling, ich glaube es war April. Wir hatten Föhn. Auf den Bergen, deren Spitzen sich gelegentlich in flache sich weit in den Horizont hinziehende Wolken auflösten, war der Schnee im Rückzug, was trotz der Klarsicht im einzelnen nur deutbar, nicht ausdrücklich ersichtlich war. Das Singen der Frühlingsvögel, das, Wunder der Natur, völlig unabgestimmt ein melodisches Konzert ergibt, wurde immer wieder kontrastiert durch fernes Flugzeugmotorengeräusch, gelegentliches Klingen der tiefen Glocke der Kirche von Seeberg und manchem, eher fernen Motorenlärm, der daran erinnerte, dass Arbeitstag war. Die Magnolien des Baumes vor dem Haus waren im Aufspringen für die Jahreszeit Mitte April eher spät und damit dokumentierend, dass der Winter sich nur zäh verabschiedet hatte. Die Tulpen in rot, gelb, lila blühten wild aus der schon grünen, dank der Gänseblümchen weiss eingesprenkelten, gelegentlich durch Anemonen blau dekorierten Wiese und gezähmt und geordnet im Beet. Auch die goldgelben Narzissen präsentierten ihre trompetenförmigen Blüten inmitten ihrer straffen, linealen Blätter. Den Apfelbäumen sah man an, dass sie es alsbald den rosefarbenen wilden Kirschblüten nachtun wollten. Manch fliegendes Getier wurde von dem nach den vergangenen kalten jetzt überraschend warmen Tag erweckt.

Wir begegneten uns am Gartenzaun.

Das Flirtverhalten von Erwachsenen lässt sich schon bei Kindern beobachten: Ein flüchtiger Blick, die Feststellung, dass auch der Gegenüber einen Blick riskiert hat, ein aufmunterndes Kopfnicken, dann ein Hallo, ein paar unverbindliche Worte, der Abschied. Das nächste Mal : ein schon verbindlicheres Hallo, man kennt sich ja schon, dann die ersten Markierungen, man signalisiert Interesse, aber der Gegenüber solle ja nicht meinen, dass dies bedeute, man folge ihm nun bedingungslos, im Gegenteil man zeigt bald, dass man auch ohne ihn gut weiterleben könne, aber man kann es ja mal versuchen.

Wir trafen uns wiederholt am Zaun, nannten uns unsere Namen.Es wurde bald klar, dass Paul den riesigen Besitz seiner Grosseltern eher herunterspielen, es war ihm peinlich, während ich – im Gegenteil – das durchaus nicht bescheidene, aber gewiss nicht so in sich schlüssige und stilsichere Haus meiner Eltern, deren Garten zudem deutlich kleiner war, herausstreichen wollte. Beide Besitztümer signalisierten doch einen Klassenunterschied etwa zwischen Adel, im Falle von Paul Geld - und Stiladel und Bürgertum in meinem Falle inkarniert in ein Anfang des Jahrhunderts erbautes Landhaus, das meine Eltern bevor sie Anfang der fünfziger Jahre einzogen von einem durchaus fundierten Architekten im damaligen zeitgemässen Stil, gewiss schlüssig, aber eben eigentlich nicht zum äusseren Gesicht des Landhauses passend , innen neu gestalten hatten lassen.

Stil und Geschmack, ein historisch gewordener Begriff, der sich, wie ein bedeutender Publizist meinte, erst sinnvoll mit der frühen Mitte des 19.Jahrhunderts zu verwenden ist, lassen sich nicht erlernen, aber auch nicht vererben. Sie müssen sich bilden, aktiv und passiv. Aktiv durch die intellektuelle Beschäftigung mit den stilbildenden Elementen also dem Design, der Architektur, der Kunst. Passiv dadurch, dass man in einem entsprechendem Umfeld aufgewachsen ist, also in einer Atmosphäre, in denen die Einrichtung, die Essgewohnheiten, der Umgang, die Kleidung, kurz die sogenannten Äusserlichkeiten, das Umfeld, das Ambiente stilvoll ist, in der die Frage des Stils und des Geschmacks Wichtigkeit haben und auch diskutiert werden. Wer nicht so aufgewachsen ist und später, aus welchen Gründen auch immer, danach strebt, Stil und Geschmack zu demonstrieren, dessen Stil und Geschmack erscheint nur allzu oft aufgesetzt, von Dritten, manchmal auch durchaus guten Beratern, geprägt. Er hat es eben nicht im Blut. Umgekehrt ist derjenige, der stilvoll aufgewachsen ist und dies später vernachlässigt, sei es dass er schlechte Erinnerungen an den Geschmack der Eltern hat, der oft mit offenbaren menschlichen Stillosigkeiten korrespondiert, oder sei es einfach aus Bequemlichkeit oder wegen anderer Lebensprioritäten, wenn er dann gefordert wird, oftmals nicht in der Lage ist, sich mit Stil und Geschmack einzurichten oder zu kleiden.

Der Klassenunterschied unserer Eltern wurde uns Kindern jedoch eher bewusst durch Bemerkungen unserer Eltern über die jeweiligen Nachbarn und durch eigene Beobachtungen über deren Verhalten auf Einladungen.

9

Pauls Grossvater war Kunsthändler in dritter Generation, er hatte nebenbei eine Möbelfabrik aufgebaut, entsprechend dem Wunsche seines Vaters Kunstgeschichte studiert und mit einer Arbeit über Bronzino promoviert. Er war in dem Stadthaus in der Briennerstrasse und nach der Scheidung seiner Eltern in der Landvilla in Seeberg, bald im Internat in Ettal aufgewachsen.Seine Mutter war schon Ende dreissig als er geboren wurde. Beide Eltern starben als er kaum zwanzig war und seine siebzehn Jahre ältere Schwester, die unverheiratet geblieben war, bemühte sich ,ihn auf den ihrer erzkatholischen Ansichten nach rechten Weg zu bringen. Dank seiner Herkunft, seiner Ausbildung, seines Berufes, aber auch persönlicher Interessen und seines Intellektes war er prädestiniert über Stil und Geschmack Werturteile abzugeben und tat es auch. Er hatte ererbtes Vermögen, beruflichen Erfolg und sah gut aus. Er nutzte diese Eigenschaften auch aus, um sich die erotischen Genüsse zu verschaffen, die er meinte, sich zubilligen zu sollen, gleichwohl eine stets wiederholte Erkenntnis seinerseits war , dass das Leben mehr sei als uns Artur Schnitzler in seinem „Reigen “ suggerieren wolle, mehr als das immerwährende Streben nach sexueller Befriedigung, die dann doch nur kurzfristig eine wäre und sich in der immerwährenden Wiederholung des Immergleichen am scheinbar nur unterschiedlichen Objekt erfülle. Konsul Poth bekundete damit die Kenntnis von Schnitzlers Theaterstück, obwohl er ansonsten der Theaterkunst nichts abgewinnen konnte. Von den Künsten liebte Poth einzig die darstellende Kunst wirklich, Musik lediglich eingeschränkt, mehr die intelligenten Libretti wie „Cosi fan tutte“, vielleicht auch weil das da Ponte Libretto dem Rationalismus, der Aufklärung zumindest äusserlich verpflichtet ist: Eine Hypothese soll durch ein Experiment verifiziert werden,obwohl diese dann radikal in Frage gestellt, da das Ende allgemeine Ratlosigkeit ist und Mozart keinen Kommentar gibt, vielmehr höhnisch dem Publikum abschliessend empfiehlt, sich vernünftig zu verhalten - ganz dialektisch das achtzehnte Jahrhundert zusammengefasst und aufgehoben.

Literarisch bevorzugte er Fontane und in der Philosophie Seneca und Montaigne, also Philosophen, die die Schulphilosophie als solche nicht anerkennt. Er begründete seine Vorliebe für Seneca und Montaigne damit, dass deren Philosophie Anweisungen zum richtigen Leben gäben. Die Philosophie müsse einen praktischen Bezug haben, sonst wäre sie l´art pour l´art, was allenfalls in der Kunst akzeptabel sei. Seneca wie Montaigne genügten diesem Anspruch, so dass normal gebildete Akademiker sie auch verständen.

Er hatte eine ausführliche humanistisch klassiche Bildung in der Klosterschule Ettal gemeinsam mit seinem Schulkamerad Dr.Müller genossen, die ihm zeit seines Lebens präsent geblieben ist. Ihm waren somit nicht nur die Götter und Dramen der Griechen bekannt, sondern auch die wesentlichen Aussagen der klassischen deutschen Philosophen wie der Dichter und Romanciers, deren Kenntnis ein bürgerlicher Bildungskanon im besten Sinne des Wortes verlangte. Durch den regelmäsigem Umgang mit seinem Freunde Dr.Müller erweiterete er auch sein Wissen um Autoren, die zu seiner Schulzeit noch keine Klassiker waren, wie Thomas Mann.

Für mich als Kind, noch vor meiner Bekanntschaft und späteren Freundschaft mit Paul, galten die Poths als eine mit Ehrfurcht, aber auch Vorsicht zu behandelnde Familie.Gefürchtet war Konsul Poth wegen seiner offen zu Tage getragenen Arroganz.

10

Für Paul war die Arroganz seines Grossvaters, die sich sowohl auf die intellektuellen Defizite anderer, aber auch deren lächerliche Bemühungen durch gekaufte Architekturleistungen oder angelesene Bemerkungen Eindruck zu machen, bezog, eher unangenehm.

Konsul Poth hatte wenig Hemmung sein Wissen, das eigentlich nur ein Halbwissen war, was den gänzlich Nichtwissenden seiner Umgebung jedoch verborgen blieb, im Gespräch herauszukehren. So benutzte er gewisse Lebensweisheiten durchaus der jeweiligen Situation angepasst, meist in latein wie: longa est vita, si plena est, wenn seine Frau wieder einmal sich ein möglichst langes Leben wünschte oder wies einen allzu forschen Neureichen sanft zurecht mit dem Spruch: Maiore tormento pecunia possidetur quam quaeritur. War Dr.Müller bei einem derartigen Gespräch anwesend, konnte es durchaus vorkommen, dass er den lateinisch Zurechtgewiesenen noch weiter demütigte, was diesem aber ebensowenig bewusst wurde wie seine Zurechtweisung, die er nicht verstanden hatte, indem er an Dr.Müller gerichtet sagte. „ Lieber Jakob, ich werde immer wieder an unseren guten alten Fontane erinnert, der über seinen Pastor Lorenzen im Gespräch mit Melusine die Weisheit von dem Schlossherrn und dem Leineweber uns nahegebracht hat.“ Dr. Müller lächelte ebenso wie der parvenühafte Gesprächspartner, der sich nicht nachzufragen getraute, um nicht vermeintliche Bildungslücken zu offenbaren und natürlich nicht im entferntesten ahnen konnte, dass im Stechlin davon die Rede war, dass man früher dreihundert Jahre Schlossherr oder Leineweber gewesen, während heutzutage jeder Leineweber eines Tages Schlossherr sei. Poth liebte es den Snobs zu erklären, woher der Begriff Snobismus kam: „ Es ist schon interessant, wie sich Begriffe im Sprachgebrauch durchsetzen. Welcher Snob weiss heute noch, dass der ihn bezeichnende Begriff von sine nobilitas, also ohne Adel, stammt, in englischen Privatschulen für Schüler verwendet, die nicht wegen ihrer Vorfahren aufgenommen wurden, sondern weil sie begabt, meist aus bescheideneren Verhältnissen kamen und ihre Ausbildung an teuren Eliteschulen Stipendien verdankten. Diese Snobs ahmten in Stil, Sprache und Umgangsweisen ihren privilegierten Kameraden besonders nach. „Aber trösten sie sich “ - der Angesprochene fühlte sich eigentlich gar nicht als Snob und insofern gar nicht angesprochen - „der Snobismus ist insofern heute “ und er wendete sich mit einem verschmitzten Lächeln an Dr.Müller, bevor er den Snobverdächtigen weiter belehrte,

 

„gesellschaftlich gefordert, wenn auch zuzugeben ist, dass man kaum mehr die Privilegierten findet, denen nachzuahmen wäre, darum wird das imitiert, was man sich vorstellt, dass die vermeintlich Privilegierten vormachen könnten.“

Konsul Poth zitierte ungeniert einem formellen, langweiligen Gesprächspartner, einer angesehenen aber hässlichen älteren Dame oder einem gesellschaftlichen Schwätzer gegenüber die Lebensmaxime Montaignes, der bevorzugte, zur Tischgemeinschaft lieber den Witzigen als den Bedächtigen, zu Bett lieber die Schönheit als die Tugend, und zur Gesprächsrunde lieber den Sachverstand, selbst wenn es ihm an Redlichkeit fehlen sollte, zu laden.

Demjenigen jedoch, der des öfteren an gesellschaftlichen Konversationen von Konsul Poth teilgenommen hätte, was allerdings, auch weil Poth solche Veranstaltungen, gleichgültig ob privater oder öffentlicher Natur möglichst meidete, eher selten vorkam, hätten solche Aussprüche da allzu oft präsentiert, was wiederum daran gelegen haben könnte, dass die gesellschaftlichen Gesprächspartner von Poth oft neureich waren, dann doch ein wenig abgeschmackt und allzu dünkelhaft erscheinen müssen. Offenbar hatte Poth die Gesellschaft, die er verachtete doch notwendig, um sich selbst seiner Überlegenheit gewiss zu sein. Konsul Poth wirkte jedenfalls sehr gebildet und galt als solcher, was er relativ gesehen auch war.

Er erschien arrogant, unnahbar, aber, für die gehörnten Männer, gefährlich charmant,wenn es darauf ankam. Zumal er seinen Wahlspruch: „Nicht weil es schwer ist, wagen wirs nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwer“ an mancher Frau der weiteren Bekanntschaft jedenfalls in der ersten Hälfte seines Manneslebens verifizierte.

Die Arroganz Konsul Poths fühlte Paul daran, dass Herr Dr.Poth ersthaft eigentlich nur mit dem Jesuitenpater Dr.Müller sprach, mit seiner Frau, Pauls Grossmutter, nur ein wenig Banalitäten austauschte, und an den meist abschätzigen Bemerkungen, die er über die Gästeliste seiner Frau bei von dieser so geschätzten Einladungen machte. Bei derartigen Veranstaltungen, die er so gering wie möglich zu halten gedachte und die sich im Laufe der Zeit verflüchtigten, und bei den folgenden Gegeneinladungen, zu denen er seine Frau nur allzu oft mit der Ausrede unaufschiebbarer beruflicher Verpflichtungen alleine gehen liess, unterhielt er sich in der Regel nur mit dem Jesuitenpater über Themen, die den sonstigen Gästen wenig vertraut waren.

Paul, der öfter bei solchen Empfängen, die häufig Mittagseinladungen waren und sich in den Nachmittag hinzogen, dabei war, meistens von der Grossmutter, stolz den weiblichen Gästen präsentiert, an der Hand gehalten und auf deren Sitz gezogen, nahm zwar nicht bewusst die Worte wahr, wenn sich sein Grossvater darüber erregte, dass der von Dr.Müller, nicht nur wegen des Naphta im Zauberberg Thomas Manns, und trotz des konträren materialistischen Ansatzes, durchaus geschätzte und als solcher zitierte Georg Lukacs die Dichotomie von Natur und Geschmack in Fontanes Werk zu erkennen glaubte. Für Paul waren es unverständliche Worte, wenn sein Grossvater äusserte, dass derartige Germanistik geradezu lächerlich sei, zu nichts gut als sich um selbstgestellte Probleme, die gar keine sind, zu drehen, wie die offenbar Attitüde von Lukacs, alles nach ideologisch vorgegebenem Raster zu beurteilen gleich dem Dr.Müller, dem Jesuiten, nur aus anderer Sicht. Paul hörte seinen Grossvater von Mozarts Zauberflöte als Beweis dafür schwärmen, dass Kunst und Aufklärung keine Antipoden seien, was doch auch gerade Kant dargetan habe, wie Dr.Müller ergänzte und Konsul Poth in seiner Attitüde bestärkte, indem er den Königsberger für seinen Satz rühmte, Geschmack sei das Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen. Poth konnte konstatieren, dass Geschmack eben nicht nur l´art pour l´art sei. Stil sei die Haltung, die Geschmack in Taten manifestiere, in der Malerei mit am eindrucksvollsten von dem Florentiner Bronzino verwirklicht.

Paul verstand die einzelnen Worte nicht, aber er verstand die Gesten, den Duktus und hörte immer wieder Geschmack, Stil und er sah die Blicke von Dr.Müller und seinem Grossvater, wenn einzelne Gäste es wagten, in deren Konversation einzugreifen, Allgemeinbildung demonstrieren wollten und etwa meinten: „Fontane, ah ja ein weites Feld“ oder von Mozarts Zauberflöte „ ja, ja die habe ich bei den Salzburger Festspielen irgendwann in den 30er Jahren gehört, ich mag ja Opern eigentlich nicht, aber die war wirklich niedlich.Hiess nicht ein Paar Papa irgendetwas?“ oder bei Kant in Erinnerung an ihren Schulunterricht etwas von „meinem gestirnten Himmel über mir und das Sittengesetz in mir“ murmelten.

Paul nahm auch wahr, wie sich die Gäste dann doch etwas pikiert abwandten, immerhin aber die Lektion gelernt hatten, künftig die Gespräche mit Pauls Grossvater auf belanglose Begrüssungs - und Verabschiedungsfloskeln zu reduzieren und bei Gegeneinladungen Ihren Gattinnen äusserst beflissentlich versichern zu lassen, dass es ganz und gar nichts ausmache, wenn Frau Poth allein käme, da diese wieder einmal darauf hingewiesen hatte, für ihren Mann wegen dessen doch so sprunghaften Geschäftsterminen nicht verbindlich zusagen zu können.

Der Lehrmeister war, durchaus in der Tradition seines Ordens, Dr.Müller, der völlig mit Pauls Grossvater für alle deutlich hörbar darüber übereinstimmte, dass die schlimmsten die Halbgebildeten seien, - „schrecklich wie ein Katarr“ unterbrach der Konsul augenzwinkernd Fontane zitierend - die überall mitredeten , ohne zu wissen, wovon sie sprachen, die mit ihrer Kartenspielerintelligenz, die durchaus dafür ausreichte, sich genügend Mittel für eine gutbürgerliche Existenz zu verschaffen, meinten, alles sei käuflich und es reiche, Schlagworte zu repetieren, was in der Regel in Ihren Kreisen auch genügte, da ohnehin sich das Wissen auf Zeitungsüberschriften beschränkte und schon derjenige als gebildet galt, der wusste, dass Fontane mit Vornahme Theodor hiess, Mozart, obwohl manche Opern in italienisch gesungen wurden, Österreicher war oder Kant Ende des 18.Jahrhunderts in Königsberg lebte.

„Wenn Sie sich wenigstens die Weisheit des Wiener Philosophen, von dem sie sicher noch nichts gehört haben und dessen tieferen Sinn sie sicher nicht verstehen würden, wörtlich nehmen würden: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Nebenbei bemerkt möchte ich Dir aber sagen, dass ich wohl weiss, dass dieses Dictum auf den genannten Sachverhalt nicht passt, sondern was ganz anderes meint. „Du lehnst “ fuhr er an Dr.Müller gewandt fort, „diesen Leitsatz des Positivismus als gänzlich unphilosophisch gewiss ab, da, wie ein bekannter gegenwärtiger Philosoph meint, Philosophie mit dem zu tun hat, was nicht in einer vorgegebenen Ordnung von Gedanken und Gegenständen seinen Ort hat. Du nennst es Theologie. Ich ziehe praktische Philosophie, die für das konkrete Leben verwendbar ist, vor und so halte ich es mit Witgenstein, dessen Aufforderung man durchaus auch als Motto für Einladungen ausgeben sollte. Die Folge wäre, dass sich das Gespräch reduzierte auf vorsichtig formulierten Klatsch, der Wiederholung offenbarer Gewissheiten wie: heute regnet es schon wieder oder der Formulierung von Tautologien wie: in den Stosszeiten am späten Nachmittag sind die Strassen fürchterlich verstopft und es ist kein Fortkommen. Aber lieber Banalitäten als aufgeblasene Pseudoerkenntnisse.“

Bei diesen gelegentlichen Einladungen waren auch meine Eltern anwesend. Da sie Nachbarn waren, hatte sich Paul auch schon ein Bild über meine Eltern gemacht .Denn der einzige Genuss von Pauls Grossvater an diesen Einladungen war es, nach dem Ende, während die Dienstboten abräumten, sich mit Dr.Müller in die Bibliothek zurückzuziehen und dort die einzelnen Personen zu charakterisieren. Paul durfte die silberne Zigarrenkiste holen und während er, was er liebte, die Zigarrenspitzen abschnitt, hörte er bald im wohligen Rauch der Zigarren, die - im Gegensatz zu den hektischen Zigaretten - ihm vielleicht deshalb immer Kultur , Lebensstil bedeuteten, seinen Grossvater von meinen Eltern, den Nachbarn reden. „Die deutschen Juristen könnten, im Gegensatz zu ihren anglikanischen Kollegen, die doch nur Präzedenzfälle nachbeten, dank des BGB auch etwas von Logik verstehen, würde der Verdacht, sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Regeln nur eingepaukt, was allemal reicht, die Examina zu bestehen, sich nicht allzu oft bestätigen. Dies vermute ich auch bei unserem Herrn Nachbar, der geschäftstüchtig, wie er ist, das Haus der Witwe Stiegler, abgehandelt hat, um es sofort modern um – und auszubauen. Er ist einer dieser Anwälte, die es nicht verwinden, dass unsereins zu deutlich zu verstehen gibt, dass man nicht Jurist ist, sondern sich Juristen hält und sich dadurch rächen, dass sie überhöhte Rechnungen stellen, die ohnehin keiner nachprüfen kann. Schlimmer finde ich aber dieses neureiche Gehabe, wenn man schon ein Landhaus der Jahrhundertwende einer alten Frau günstigst abschwatzt, es dann protzig mit Marmortreppen,-toiletten und -bädern,verziert mit albernen barbusigen Skulpturen, extra angefertigten Leuchten, die im einzelnen durchaus ihren Reiz haben, von einem Architekten aushöhlen zu lassen, der durchaus Stil im Detail hat, dessen Werk in der Summe jedoch grotesk ist. Möglicherweise, was aber keinesfalls eine Entschuldigung ist, denn blosse Duldung exkulpiert nicht – das hören wir doch ständig angedenk unseres grossen ehemaligen Führers – hat er aber einfach seine Frau machen lassen und der Architekt hat sich verwirklicht. Unser Nachbar hat seine Kanzlei von seinem Vater übernommen, der vor kurzem gestorben ist. Er war einer der überzeugten nationalsozialistischen Juristen, die sich nach 1945 an nichts mehr erinnern konnten, den juristischen Sachverstand und damit ihre Pfründe nahtlos ins demokratische Nachkriegsdeutschland tradierten. Der Sohn hat sich ins gemachte Nest, sprich Kanzlei gesetzt.

Ich hatte 33 ja auch Hitler gewählt und dies meiner Mischpoke auch vorgegeben: Jetzt wählen wir mal den Kerl, vielleicht wird es besser .Und es wurde ja auch besser. Aber mir war immer unverständlich, wie intelligente Leute an den Unsinn glauben und dem Gebrülle irgendeinen Sinn abgewinnen konnten.Und dann die Geschichte mit den Juden .“

„Du mussst aber zugeben, dass Du geschäftlich durchaus davon profitiert hattest“ fiel Dr.Müller ein.

„Klar, aber ich habe meinen jüdischen Kollegen frühzeitig geraten, ins Ausland zu gehen und ihnen immer Marktpreise gezahlt. Schliesslich war ein allerdings konvertierter Jude Taufpate meines Sohnes. Heute mache ich mit Ihnen im Ausland wieder beste Geschäfte. Nun kommt mir meine damalige korrekte Haltung zugute. Die Schlauen sind ja auch rechtzeitig abgehauen. Die dümmsten waren eigentlich die Deutschnationalen, die dachten, so was tun doch die Deutschen nicht. Auch Nachbars Vater, ein frühes Mitglied der SS, war geschockt als er des Massakers an seinen SA Kollegen gewahr wurde. Im übrigen hat sich die katholische Kirche auch nicht mit Ruhm bekleckert.“

11

Mein Eindruck von den Poths kam ganz anders zustande. Meine Eltern waren nach dem Erwerb und den Umbau des Hauses neu nach Seeberg gezogen. Es war die Aufgabe meiner Mutter in dem gemeinsamen Bestreben, möglichst bald in den besseren Kreisen Seebergs aufgenommen zu werden, diese einerseits zu identifizieren und andererseits die entsprechenden Kontakte zielgerichtet herzustellen. Der jeweilige Fortschritt wurde sonntags am Frühstückstisch besprochen. Dabei wurde die Nachbarschaft mit den Poths als in doppelter Hinsicht bedeutungsvoll erkannt. Die Poths hatten das grösste Anwesen in Seeberg. Sie gehörten daher per se zu den sogenannten Besseren und die Kontaktaufnahme war durch die Tatsache der Nachbarschaft erleichtert. Denn sowohl anlässlich des Hauskaufes stellten sich meine Eltern bei den Poths vor, wie sie es angemessen fanden, diese über den umfangreichen Um – und Ausbau zu informieren, zumal es dazu auch der Nachbarschaftsunterschrift, die ohne irgendein Zögern problemlos geleistet wurde, bedurfte.

 

Ich machte mir so früh eine Vorstellung von Herrn Konsul Poth, ein Bild, wie man sich Bilder von Dichtern macht, deren Bücher man gelesen hat. Manchmal treffen sie zu manchmal ist man enttäuscht, hat sich den Dichter ganz anders vorgestellt. Es passt Verlaines grobschlächtiges Gesicht, das auf dem Gemälde von Valloton abgebildet ist, so gar nicht zu dem Dichter, der den vertrauten Traum (« Mon Reve familier ») von der unbekannten Frau ,nie die gleiche ,die ihn liebt und versteht besingt :

>Je fais souvent ce reve etrange et penetrant

D´une femme inconnue, et que j´aime, et qui m´aime,

Et qui n´est, chaque fois, ni tout a fait la meme

Ni tout a fait une autre, et m´aime et me comprend<.

Andererseits sieht man Marcel Proust seine verklemmte Geschraubtheit und Sensibilität ebenso an wie Thomas Mann dessen Komplexität und Selbstbewusstsein (wo ich bin, ist die deutsche Litaratur), Fontanes Altersweisheit und Milde, wie Musil dessen Bosheit , Flaubert seine Süffisanz., Joyce seine Intellektualität und Philipp Roth seine Altersgeilheit. Oder identifiziert man, weil man die Gesichter kennt, beim Lesen die Gesichter mit gewissen Charakteristika der Bücher und legt so diese in die Gesichter?

Ich jedenfalls hatte von Dr.Poth eine Vorstellung schon lange bevor ich ihn sah. Die Vorstellung wurde von der äusseren Erscheinung durchaus bestätigt. Herr Poth war gross, er hatte kaum mehr Haare, einen kleinen Schnurrbart, eine schöne attische Nase, volle Lippen, starke Augenbrauen, grosse, länglich ausgerichtete Augen und ein markantes Kinn. Auffällig waren mir auch seine grossen, aber weichen Hände. Herr Poth neigte zur Fülligkeit, was seine Körperwucht noch betonte. Er hatte eine tiefe Stimme. Herr Poth war so für mich stets eine Achtung erheischende Persönlichkeit. Paul war das gewiss auch bewusst und er war insofern stolz auf seinen Grossvater.

Meine Eltern wurden jedesmal nur von Frau Poth begrüsst und selbst für einen abendlichen Empfang anlässlich der Einweihung unseres neu gestalteten Hauses liess sich Herr Poth entschuldigen. Allerdings hatte er Interesse an unserem Architekten, Herrn Steichlein, den Herr Poth zu sich bat, um ihm sein Anwesen zu zeigen und der, sozusagen im Gegenzug, unser Haus in Spezialführung Herrn Poth vorstellte. Dabei konnte Herr Poth es nicht unterlassen, trotz der Anwesenheit meiner Mutter, die aber das leichte entschuldigende Schulterheben von Herrn Steichlein nicht bemerkte, bei einigen Unschlüssigkeiten oder Geschmacklosigkeiten, wie einer aus dem Mauerwerk hervorspringenden Halbplastik über dem Kamin, einen flötenspielenden Schäfer mit einigen Schafen darstellend, darauf hinzuweisen, dass wohl das romantische Gemüt der Hausherrin Ursache solcher Darstellung sei. Er fügte hinzu. „Übrigens hörte ich neulich eine wirklich gute Definition von Kitsch: Die Verbindung von Süsslichkeit und Prätention, des Geschraubten mit dem Gewöhnlichen.“

Ansonsten rühmte er die Konsequenz einiger Details des Innenausbaus und meinte, dass ein solch modernes Interieur in Verbindung mit einem Landhaus, das wie zur Jahrhundertwende üblich Elemente der bäuerlichen Umgebung aufgenommen hat, doch ein ziemlich einzigartiger Eklektizimus sei. „Nichts gegen Eklektizismus, sie haben ihn ja in meinem Haus zur Genüge gesehen. Es fragt sich jedoch, ob der durchgezogene Stil eines Architekten, der, gewiss eklektisch, Stilelemente verschiedener Epochen, zu einem neuen Ganzen zusammenstellt , was man ja Klassizismus nennt - der , wie manche kluge Leute meinen, letzte grosse verbindende europäische Stil - nicht dem Dreiklang durchschnittlicher Landarchitektur von Städtern, modernen Interieurs und simplem Spiessbürger Einfällen vorzuziehen ist.“

Meine Mutter war so geblendet von der Ehre des Besuches Herrn Poths, dass sie die Gemeinheiten nicht realisierte, während Herr Steichlein, leicht pikiert anmerkte: „Nun die Wirklichkeit zwingt manchmal zu Kompromissen. Oft entsteht, gerade in der Architektur aus äusseren Zwängen, das Neue, das Besondere. Abstrakte Ideen verwirklichen zu wollen, heisst Wirklichkeit zerstören, so oder so ähnlich hat ,glaube ich ein berühmter Denker ,der Ihnen nicht unbekannt sein kann ,es formuliert.“ Herr Steichlein, ein gebildeter Architekt, ärgerte sich offensichtlich über die doppelte Arroganz von Herrn Poth , nämlich die ästhetische, die Meinungen oder Gestaltungen, die dem eigenen ästhetische Werturteil widersprechen per se als geschmacklos, stillos, parvenühaft, spiessig oder kleinbürgerlich denunziert und die bildungsbürgerliche, die dem Gegenüber allzu deutlich zeigt, dass dessen Wissen über kulturelle oder historische Belange allenfalls angelesenes Schul – oder Zeitungswissen ist.

Zwar musste Herr Steichlein Herrn Poth in seinem ästhetischen Urteil eigentlich recht geben, fand jedoch, dass die arrogante Form des Vortrages ihn ins Unrecht setze. Um nicht auf derselben Ebene zu parieren, aber doch Herrn Poth ein wenig zurechtzuweisen, merkte er sinngemäss an: „Wir wissen ja alle, dass das Haus als Lebensraum, als Ausdruck desssen, wie ich das täglich Leben gestalte, eigentlich eine Errungenschaft des Bürgertums im neunzehnten Jahrhundert ist.Von dem Anspruch der Repräsentanz und Selbstverewigung, wie es etwa in der Renaissance sich prototypisch in der Villa Rotonda darstellt, geht man über, das Haus als Ort des Wohlbehagens und privater Gemütlichkeit zu sehen. Wenn dem aber so ist, dann kommt eben die Privatheit oder auch Individualität der Bewohner in der Architektur zu Ihrem Recht und Ausdruck .Der gute Architekt verbindet diese Individualität mit dem künstlerischen Anspruch. Das Haus ist aber sicher kein Museum oder ein abstraktes Kunstwerk, es sei denn man sähe seine Bewohner auch als sterotype, museale oder rein künstlerische Wesen. Was an ästhetischer Gestaltung verloren geht, mag an menschlicher Individualität gewonnen sein.“

Herr Poth replizierte darauf nicht mehr, jedenfalls erinnere ich mich daran nicht.

12

Aber kehren wir in die Briennerstrasse in meine Kanzlei zu unserem ersten Treffen zurück. Paul vergegenwärtigte sich seine Kindheit und wollte wissen, warum ihm dabei vor allem Seeberg in den Sinn kam.

„Ich weiss es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass das Elternhaus der Alltag war und Seeberg das Besondere,“ antwortete ich.

„Ich glaube, Seeberg war auch eine Art von Freiheit für mich. Es wurden keine Ansprüche gestellt, ich wurde akzeptiert wie ich war. Gewiss auch aus einer Art von Gleichgültigkeit heraus. Mein Grossvater nahm Kinder ohnehin nicht wahr und für meine Grossmutter war ich eine Art von Maskottchen, wie ein Schosshund, den man aufpäppelt, gelegentlich herzeigt, Gutes zukommen lässt und den man krault. Meine Eltern stellten doch Anforderungen, sei es als Vorbild für die kleineren Geschwister, sag so Grüss Gott, mache Deine Hausaufgaben und so weiter. Bei den Grosseltern gab es keine Geschwister, keine Hausaufgaben.Wochenlang erlebte ich noch vor der Schulzeit und dann während der Ferien den gleichen Tagesablauf, der lediglich an den Wochenenden variierte. Ich konnte aufstehen, wann ich wollte.War es gegen 8 Uhr traf ich meinen Grossvater am Frühstückstisch, in eine der beiden verfügbaren Zeitungen, die Süddeutsche oder die Frankfurter Allgemeine vertieft. Ich sagte >Guten Morgen, Opa < er blickte kurz auf und meinte >Guten Morgen, mein Lieber<. Ohne weitere Ansprache las er weiter.