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Claus Störtebecker

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Der Kleine lehnte am Tisch und stützte sich auf seinen Hieber. In dem faltenlosen, glatten Kindergesicht stand dunkler Ernst.

»Daß die Krämer mit einer solchen Übermacht erscheinen,« sagte er bestimmt, »beweist mir, daß der Michael geliefert ist.«

»Möchten dich doch die Furien erwürgen,« unterbrach der Störtebecker hier dunkelrot, denn seit seiner Kindheit hatte sich der Unbändige stets in beleidigter Auflehnung dagegen gesträubt, ohnmächtig gegen ein schwarzes Wetter zu starren. »Der Gödeke lebt. Meinen Kopf dafür. Ich sehe ihn, ich höre ihn sprechen. Meinst du, der Satan würde mir sonst Dietrich und Brecheisen ins Wappen setzen, wenn's nicht der guten Kumpanei wegen geschähe?«

Wütend schlug er gegen die Schiffswand. Unter den Führern erhob sich ein widerstreitendes Gemurmel. Unbeirrt jedoch und kühl streichelte sich der Magister das Kinn.

»Wie dem auch sei,« beharrte er, »ist jetzt nicht an der Zeit, Claus, sich in den römischen Triumphmantel zu hüllen. Hab' all mein Tag auf die Ehre gepfiffen. Ha, ha, ohne Ehre kann man leben, aber ohne Kopf nimmer. Ich stimme dafür, wir wollen entwischen, solange es noch Zeit ist.«

Die anderen schwiegen.

Auch der Admiral stand wortlos am Ende der Kajüte, dort, wo sie sich sanft verjüngte. Ohne Absicht hatte er einen dicken Folianten von der Truhe emporgerissen und nagte emsig an der Unterlippe. Jetzt aber warf er den Wälzer polternd zur Erde und richtete sich jäh zur Höhe.

»Habt ihr euch,« rief er mit seiner durchdringenden Stimme, die jedem einzelnen einen Messerstoß in die Brust versetzte, »während ich euch Wohnsitz und Unschuld geben wollte, nach Blut und Beute gesehnt?«

»Ja,« sprachen die Männer gemeinsam.

»Und ist's nicht euer einziger Freibrief, daß ihr mit Beelzebub Karten zu spielen wagt, ganz gleich, ob der Gehörnte die Bilder in der Klaue hält und ihr die Nieten?«

»Ja,« schrien die Freibeuter überzeugt. Fuhren aber gleich darauf wild durcheinander. »Haben selbst einen Trumpf im Spiel, heißt Claus Störtebecker.«

Da glitt ein stolz zerrissener Schein über das dunkle Antlitz des Riesen, den man früher nicht an ihm gekannt.

»Habt mir nur die Helmzier abgebrochen, ihr wetterwendisch unbelehrbar Volk,« grollte er mehr zu sich selbst, »aber gleichviel« – er trennte die Seekarte von der Wand und schleuderte sie auf den Tisch – »will das Kunststück ausführen, um des Kunststücks selbst willen. Wohlan, Heino, gib dich, wir schlagen morgen. Und jetzt habt mir acht auf ein gar sauber Stücklein von einem Plan.«

Es war tief in der Nacht, als der Admiral in seine Kajüte zurückkehrte. Bis dahin hatte er bei Laternenschein jeden Winkel seines Schiffes gemustert, er hatte die Rüstkammer besucht, die Winde der drehbaren Geschütze geprüft, Leinen und Segel zur Probe gezogen und überall die verwegenen Gesellen, die ihm an ihren Rollen ihre Künste weisen mußten, durch ein wildes zündendes Scherzwort in jene bis zum Reißen straffe Spannung versetzt, die auf der »Agile« bisher immer die letzte, unwiderstehlichste Waffe gebildet. Jetzt hatten die Schiffe, schon außerhalb der Inseln, Anker geworfen, Ruhe war vor dem roten Erntetag befohlen, und der Störtebecker selbst betrat müde und in sich gekehrt seine Wohnstätte. Er hatte noch nicht sein Haupt entblößt, als der Heimgekehrte mitten auf einem der dicken Teppiche des Fußbodens seinen Knaben hingelagert fand, den wohl beim Warten auf seinen Herrn der Schlaf übermannt haben mochte. Gedankenvoll blieb der Störtebecker vor dem friedlichen Bilde stehen, denn die scharfen Lichter aus den venezianischen Gläsern enthüllten ihm deutlicher als je zuvor, wie hager und abgezehrt die Wangen seines folgsamsten Gesellen eingesunken waren, ja, wie tief die ganze schwärmerische Bildung seiner Züge in Leid eingebettet ruhte. Wahrlich, der Sturz, den diese ihm hingegebene Seele aus einem versprochenen Himmel getan haben mußte, er hatte der Ärmsten gewiß für immer jene Inbrunst geraubt, in der sie wie eine steile Flamme aufstieg und ohne die ihr Dasein zu Asche sank. Die Menschheit hieß der große Tempel, in dem der Gläubigen ein Hüterinnenamt zugesichert war. Wohin würde sie sich nun flüchten, nachdem offenbar geworden, daß die Fratze des Wahnwitzes vor der Tür des angeblichen Heiligtumes grinste? Leise berührte der Hinabschauende die Weiche des Schläfers mit dem Fuß, um sich von der ungestörten Fortdauer des Schlummers zu überzeugen, dann aber verdüsterte sich seine Miene, und er sprach dumpf vor sich hin:

»Zerbrochener Scherben! Deinetwegen könnte ich Reue lernen. Kein morgenrotes Eiland mehr in der Ferne, mein Büblein, nur die Fahrt in den Pfuhl, darüber das Fieber tanzt. Dir wäre besser, du blasser Traum, du gingest gänzlich in Schlaf über.«

Vorsichtig beugte er sich, nahm den schlaff herabhängenden Körper in seine Arme und las eine Weile angestrengt in den gelösten Zügen, die ohne das Licht der Augen nur den Ausdruck versenkter Ruhe wiesen. Aber gerade diese unbeteiligte Ferne schien den Späher zu trösten. Leise ließ er seine Last wieder auf die Kissen sinken, blickte noch einmal mit vollem Verlangen auf die Pracht des kostbaren Raumes, dann löschte er selbst das Licht, und bald verkündeten kräftige Atemzüge von seiner Lagerstatt, daß auch dieses unruhige Hirn der Betäubung unterlegen sei. Drückendes Schweigen webte in dem weiten Gemach, und nur das regelmäßige Gewoge der See zählte in der Finsternis seinen eigenen Herzschlag.

Und doch – es gab hier noch ein ander Hammerwerk, das in einer menschlichen Brust aufgestört fieberhaft seine enge Kammer zu sprengen drohte.

Linda schlief nicht.

In den Armen ihres Gebieters war sie aus ihrer schweren Verstrickung erwacht, sie hatte seine dunkle Prophezeiung vernommen, und nun lag sie angehaltenen Atems und suchte kältegeschüttelt zu ergründen, ob sie wirklich das mit sich selbst bekannte und einige Wesen sei, in dessen Brust vom Schicksal Urteil und Vollstreckung zugleich gelegt wären.

Draußen schlugen die Wellen unabänderlich an die Planken: »Du mußt – du mußt,« und während der Hingestreckten vor dieser Bedrängnis die Zähne gegeneinander bebten, da warf ihr schäumendes Hirn allerlei Fetzen jener Verhaltungsmaßregeln durcheinander, die ihr von dem scheusäligsten aller Verbrecher, dem dicken Wichbold, überkommen.

»Sieh, du mußt erst das tun – mein schlaues Büblein, und dann mußt du jenes – aber vorsichtig, damit er dir nicht deine Sprünge ablauert.«

Er – er, das war der Mann, der ohnehin schon den Glanz, den Strahl, das Gold seines Ichs eingebüßt und nur noch dahinraste, um hinter wilden Lastern seine Niederlage zu verstecken. Kein Messias mehr, sondern ein frecher, sich selbst verspottender Judas! Keine Labe in den Händen für die Schmachtenden und Niedergebrochenen, nein, nein, vielmehr ein Gurgelschneider, der in Selbstverzweiflung seinen Opfern wohlzutun glaubte, weil er sie abschlachtete.

Der Morgenstern in einen Kothaufen verloren.

Nimmer!

Linda erhob sich. In ihrer Blässe stand wieder jene unerbittliche Treue zu ihrem Entschluß, die in dem langen Zusammenwirken mit dem Gewaltmenschen ihr Erbteil geworden. Jetzt lauschte sie nicht mehr, keine spitzfindigen Fragen legte sie sich weiter vor, getrieben von einer finsteren Notwendigkeit, furchtlos und überzeugt schlich sie unhörbar die Treppe der Kajüte hinauf.

Wie hatte es doch der dicke Wichbold gemeint?

Immer seine listig heisere Einflüsterung im Ohr, strich der Schatten über Deck, dann wand er sich wieder zwei enge steile Treppen hinab, bis dahin, wo tief im Bauch des Fahrzeuges der rote Schein der Schiffsschmiede glimmte. Vorsichtig öffnete Licinius die rußige Höhle, allein die halbnackte Zyklopenschar, die noch vor wenigen Stunden hier an ihren Amboßen Pfeil- und Lanzenspitzen geglüht und gehärtet hatte, sie lag jetzt irgendwo in der Schwärze verborgen, und mit der rasselnden Wucht arbeitender Blasebälge entströmte ihr Atem. Halblaut, prüfend rief sie der Schatten an:

»He, Detlev – Olav – Henneke!«

Als sich jedoch nirgendwo ein Zeichen des Verständnisses kundgab, da wandte sich der Knabe gegen den verlassenen Herd und schob einen der Schmelztiegel in die noch lebende Glut. Dann bückte er sich und blies seinen eigenen ängstlichen Odem in die müde Asche.

Und wieder und wieder versuchte der nächtliche Gast während seines Tuns die hingestreckten Schmiede: »He, Detlev – Olav – Henneke.«

Umsonst. Keiner von ihnen bemerkte das zitternde Menschenkind, wie es rötlich angestrahlt und doch mit geschlossenen Augen die Nägel zu dem gemeinsamen Sarge goß.

Kurz darauf wurde über die Hintergalerie der »Agile« eine Strickleiter geworfen, derselbe geschmeidige Schatten glitt hinüber und an dem ungeheuren Steuer tauchte er hinab von Rippe zu Rippe. Immer tiefer.

Dazu pfiff der Wind sein einförmig Lied, und die Wache im Mastkorb sang sich zum Zeitvertreib eine Weise von Heimkehr und Magdtreu.

Es war bestimmt, daß man durch eine vorgetäuschte Flucht gen West die Übermacht der Hansen erst auseinander zerren solle, um dann nach einiger Zeit gewendet, die ungefügeren Koggen der Krämer einzeln überfallen und niedersegeln zu können.

Auf dem Fischmarkt zu Hamburg erzählte man sich später vielerlei über den glückhaften Hergang.

Ein regenfeuchter Oktobermorgen war angebrochen. Die Schwarzflaggen unter Führung von Wichmanns »Goldener Biene« waren längst nach West ausgeschwärmt, nur die »Agile« lag noch verhaftet an ihren Ketten, ein riesiger Adler, der den Abzug seiner Küchlein decken wollte. Oder reizte es den Störtebecker nur, Schußsicherheit für eine Ladung seiner Steinkugeln zu gewinnen? In Lederwams und Kappe stand er breitbeinig auf dem Bugaufbau, nicht mehr jenes goldene Leuchten im Antlitz, dafür aber von einem verbissenen, fürchterlichen Grimm durchwettert, der sich allen mitteilte, die auf diesen Mittelpunkt ihres Schicksals hinstarrten.

 

Jetzt kam der erste Befehl.

»Schießt,« forderte er nach einem scharfen Ausspähen, von den ihn umdrängenden Bombardieren. Er sprach ganz ruhig. Die Lunten senkten sich, ein Rollen, und dort drüben in der langen hölzernen Zeile begann es Takelwerk und Leinen zu regnen.

»Gut, meine Kindlein,« lobte der Admiral, und das unheimlich niedergehaltene Feuer in seinen Augen stäubte etwas höher. »Es war nur, um ihnen den Morgenbrei zu wärmen.« Er riß sich die Kappe vom Haupt und schwenkte sie höhnisch nach der Gegenseite. »Grüß Gott, ihr Herren. Die Diebe mit dem Brecheisen grüßen die Spitzbuben vom Gänsekiel! Gibt's was zu schachern? Haben nur unsere Freiheit, und die ist ein teuer Ding!«

Damit setzte er die Sprachdrommete an die Lippen: »Anker auf.«

Die Ketten rasselten, die Brust des Schiffes hob und senkte sich, wie ein Schwimmer, der sich die erste Glut kühlen will.

»Schüttet Segel aus. Ruhe – kalt Blut, meine Kinder. Bevor die Krämer drüben ihr Leinen mit der Elle gemessen, sind wir davon. Nun die Pinne hart an Steuerbord; lebe wohl, Hamburg!«

Allein die »Agile« vollführte die gewünschte Schwenkung nicht. Wie von unsichtbaren Geisterfäusten gepeitscht, sauste der Renner dem Halbkreis seiner Häscher entgegen.

»Plagt dich der Böse, Wulf Wulflam?« brüllte der Störtebecker von seinem erhöhten Stand halbtoll über Deck und schob sich vor ratlosem Erstaunen die Kappe aus der Stirn. »Hundsfott, dreh augenblicks gegen den Wind ab, sonst lade ich deinen Kopf in die nächste Lederschlange. Hölle und Graus, was geschieht hier?«

Inzwischen war der Freibeuter Lüdeke Roloff neben den stiernackigen Wulf und seine Gesellen gesprungen, beide Männer schoben sich gegen den Baum, daß ihnen das Blut aus den Wangen spritzte. Doch unverändert tobte die »Agile« ihre böse Fahrt weiter. Vom Land aus einen steifen Südwest in den Segeln, so schnitt das Schiff durch die spitzen Wellen, als müsse es in wenigen Sprüngen sein Ziel erreichen.

»Herr,« keuchte es jetzt zweistimmig vom Heck, »geliefert sind wir – es ist Blei in die Angeln gegossen.«23

Einen Atemzug lang blieb alles still, das Entsetzen wohnte an Bord. Dann aber wirbelte eine riesige Gestalt vor aller Augen die zwei Stockwerk aus der Luft herab, schoß durch die heulende, kreischende Mannschaft hindurch und warf sich gleich darauf mit ihrer ungeheuren, durch Verzweiflung und Grimm verzehnfachten Körperwucht gegen die Pinne. Das Holz ächzte und krachte, das Steuer bewegte sich nicht.

Jetzt lösten sich die Bande des Gehorsams. Die Schwarzbrüder verließen ihre Posten, die meisten warfen ihre Waffen fort, sie irrten durcheinander gleich den Ameisen, und der Wahnwitz fächelte sie mit seinen Mohnflügeln. Das Unsinnige gewann die Oberhand.

»Reißt die Segel herab.«

Als ob das verlangsamte Fahrzeug weniger verloren gewesen wäre!

»Flieht – flieht – in die Boote!«

Als ob angesichts des Gegners und bei der rasenden Fahrt die aufgepeitschte Menge in den winzigen Kähnen Platz gefunden!

Immer hurtiger hetzte der Springer über die Wogenhügel. Aber gerade in dem Augenblick, da er das ihn bändigende Halfter völlig zerknirschen wollte, da fühlte sich das Roß noch einmal von jener stählernen Faust gepackt, die es bisher noch immer bezwungen und beruhigt. Hoch auf dem Heckaufbau zeichnete sich in seinem verwitterten Lederkoller der Schwarzflaggenfürst gegen den wolkigen Dunst ab. Um kein Haar anders stand er da als sonst, da er die letzten Befehle zum siegreichen Angriff zu geben gewohnt war. Nur der bösartige Grimm war aus seinen Zügen entwichen, ja, er lächelte jetzt sogar, ein helles, gereinigtes Lächeln, wie es nur die von sich selbst befreiten Sterblichen kennen.

Die Gefahr, die drängende Sorge um andere hatte unvermerkt das Beste in diesem Menschen geweckt.

»Hört ihr mich, meine Kinder?«

»Ja, Claus,« schrien sie hoffnungsvoll. Sie sammelten sich um diesen Klang wie um einen schützenden Turm.

»Das Spiel fängt erst an, ihr Schuimer. Schüttet Segel aus, bindet Leinen auf, der letzte Fetzen muß fliegen.«

»Segel?« Sie glaubten, er rede im Fieber.

»Ich sage, knüpft eure Hemden an die Rahen, ihr Burschen, und fegt durch die Luft. Unter dem Bug gibt's gleich ein Schädelknirschen. Schießt – schießt!«

Was weiter geschah, das sauste von der Spule, ruckartig, unpersönlich, gedankenlos, denn all die von Tod und Untergang angegrinsten Menschen, sie hatten ihre eigene Überlegung, ihre Glieder, ihr Handeln und Aufhören diesem einen überliefert, und der riß nun an ihren Fäden und lenkte seine Figuren, willkürlich, gnadenlos, nur zu dem einen Zweck des Lebens.

Alle eigneten sie ihm, bis auf die schwächste und hilfsbedürftigste. Die lehnte an der Bordschwelle, hatte ihre Hände krampfig über der Brust ineinander geschoben, aber ihr ungesprochenes Gebet war zum erstenmal nicht mit dem Herrn ihres irdischen Loses, sondern sie rief und flehte zu dem Schicksal, auf daß es größer und auch barmherziger walten sollte als jener lebend Tote, der jetzt dort oben den letzten gespenstischen Kampf focht. Sie bereute nichts, sie widerrief nichts, sie fühlte, daß Mitleid und Gnade einzig bei ihr wären, die mit ihrer schwachen Hand das Tor des Gemeinen und Verworfenen vor dem sterbenden Messias abschloß.

Vor ihren umflorten Augen wandelte sich das flutüberströmte Schiff in eine langhingestreckte, menschenwimmelnde Kirche. Schwärzlicher Himmel wölkte sich über dem Dom als tiefe unergründliche Decke, und die Musik des Meeres pfiff und stürmte in fernen Orgelweisen einen silbernen Engelsgruß.

Sie sah nur den einen, dessen bleiches, lockenumflattertes Antlitz schon jetzt hoch droben dem Irdischen entrückt war.

Ein Krach! Ein herzumwühlender Stoß. Die Hamburger hatten dem unter stärkstem Druck daherfliegenden Admiralsschiff einen alten unbrauchbaren Kasten mit der Breitseite entgegengeworfen – die »Agile« schnitt ihn mit ihrem Rammsporn auseinander, wie dünnes Glas.

»Triumph,« schrien die berauschten, vom Wunder bereits in eine andere Welt geschleuderten Gleichebeuter, und jeder packte seinen Spieß oder die Armbrust nerviger. Ein wildes, tumultuarisches Gebrüll stieg zum Himmel.

Da schwang schon wieder der schrille, gellende Pfeifentriller des Admirals, die Schwarzflaggentrommel wurde gerührt – der alte fortreißende Wirbel zuckte durch die Herzen.

»Entert,« schrie der Störtebecker von seiner Höhe.

Er befahl es mehr mit seinen blutig leuchtenden Augen, mit dem hoch erhobenen Hieber, mit der weit ausgestreckten Linken.

»Aller Welt Feind,« antworteten die Vitalianer mit ihrem fanatischen Schlachtruf.

Die Brücken rasselten, ein splitterndes Reiben und Knirschen meldete, daß sich jetzt zwei der ungeheuren Rümpfe eng nebeneinander geschoben hatten. Die »Agile« biß in die Wange der »Bunten Kuh«.

Und mitten in diesem Knäuel von Lanzenspitzen, zischenden Bolzen, Pulverdampf, herunterbrechenden Spieren und dem Gekreisch Getroffener lehnte Linda noch immer wie unbeteiligt neben dem hohen Bord. An ihr vorüber heulten Steinkugeln und rissen das Deck auf, so daß der entsetzte Blick in das Eingeweide des Holzleibes irren konnte, dicht neben ihr bauschten sich die unheimlichen, riesenhaften Malereien, mit denen die Hamburger ihre Segel geschmückt hatten. Ein titanischer Schwan blähte sein Gefieder und starrte die Einsame mit roten Augen gefräßig an. Dahinter flatterte ein steiler Turm und schleuderte ihr seine Ziegel gegen das Haupt. Doch all das Grauen zog wesenlos über sie fort, weil sie in den Greuelgestalten nur ihre Helfer erkannte, die sie herbeigerufen hatte, um den verirrten Heiland in sein Grab zu betten.

Ein Goldgefunkel blendete ihr die Augen, und sie wußte, daß dort auf der Enterbrücke die Klinge des Gewaltigen ihre sausenden Kreise zog, sie hörte eine menschliche Fanfare in dem dicken Haufen jedes Ohr wecken:

»Meine Schuimer, meine Kinder, drauf, drauf, schlagt, spießt, stecht, – melkt die Gold-Kuh!«

Und sie lächelte nur matt über jenen habsüchtigen Aberwitz.

Aber dann kam der Augenblick, wo auch ihr Geist aufgerissen wurde. Ihr Gebet war erhört.

Dumpfe Stöße erschütterten kurz nacheinander die »Agile«. Von zwei Seiten war das überflügelte Schwarzschiff in die Mitte genommen. Fremde Scharen quollen über Deck. Blutende Männer sprangen zu Hunderten in die See. Und von der Enterbrücke, wo eben noch der Goldkreis gesummt und gesungen hatte, stürzte ein höllisch kreischender Haufe zurück. An seiner Spitze ein Wahnwitziger, der noch immer retten wollte.

»Licinius,« schrie er aus tiefster Brust. »Licinius.« In seiner Notstunde erinnerte sich der Riese an sein eigenstes Besitztum. Da leuchtete der Knabe beseeligt auf.

Ja, der Himmel öffnete sich, ein goldener Lichtweg strahlte gegen das Sterbliche, und eine Heiligenschar trug einen Sarg hinunter.

Das gotterfüllte Ende war da.

Als sich der wirre Knäuel gelöst hatte, sah man einen blutüberströmten Mann mit dem linken Arm an den Hauptmast gebunden, die Rechte aber führte immer noch das Schwert, fegte und bahnte um sich her, und dazu schrie eine in Jammer erstickte Stimme:

»Wer – wer hat mir das getan?«

Sein rollendes, in Irrsinn und Auflehnung brechendes Auge erfaßte den Getreuesten, heftete sich an ihn und wollte ihn nimmer lassen.

Da sank der schöne bleiche Knabe mitleidig vor dem Gerichteten in die Knie.

»Claus Störtebecker,« sprach er verklärt, »diese Hände haben dein Steuer angehalten, mit weißen Segeln wirst du in die Ewigkeit fahren.«

Heftig wurde er emporgerissen, und mit hocherhobenen Armen warf sich der Blonde in den Busch zögernder, halbgesenkter Lanzen.

Der am Mast ließ sein Schwert fallen. Ohne Verständnis kehrte er seine Augen gen Himmel, ohne Begreifen spiegelte er die verstummte, blutige Menschenschar. Tief stöhnte er, und sein Haupt sank ihm auf die Brust.

Um ein weniges glich er jenem Anderen, der gleichfalls an ein Holz geheftet, gesprochen hatte:

»Herr, Herr, warum hast du mich verlassen?«

Am Abend des 19. Oktober 1402 nach Feliciani sprang ein Gaukler durch die winddurchpusteten, regenfeuchten Gassen von Hamburg, und der buntscheckige Narr schlug Purzelbäume zum Ergötzen des Haufens, ließ seinen Dudelsack ausströmen und quäkte dazu:

 
»Hei – hei!
Morgen verschwemmt die gefährlichste Klippe der Nordsee,
Daran gestrandet manch stolzes Schiff,
hei – hei!«24
 

Blieb dann stehen und deutete mit seiner Klapper auf die ungefüge Haube des Katharinenturmes, von wo die ganze Nacht Lobweisen geblasen wurden.

»Horcht,« krähte er, und er schüttelte vor Kälte und fröhlichem Grusel seine abgezehrten Glieder, »pfeifen dem Störtebecker das Schlummerlied. He, Dörthe, möchst jetzt bei ihm liegen?«

Allein der Gefangene, zu dessen letztem Gang die Stadt sich so festlich rüstete, er bedurfte weder Gesellschaft noch Aufheiterung. Denn ruhte er zwar auf Stroh in einem lichtlosen Kellerloch unter der Kanzlei, so hockte doch sein Lehrer Wichmann bei ihm auf einem Schemel, und beide zechten bald aus der riesigen Weinkanne, die ihnen der Rat gespendet, bald grölten sie Zoten und Schelmenlieder, daß sich die Wache vor dem Gitterfenster ehrlich entsetzte.

Ein alter graudurchfurchter Stadtknecht schob deshalb seinen Kopf gegen die engen Eisenstangen, damit er die beiden Gerichteten zu ehrsamerem Wandel anhielte.

»Bedenkt, ihr Bösewichter,« riet er wohlmeinend, »wem ihr bald Auskunft erteilen müßt. Sollen eure Schandmäuler dort droben etwan noch vor Unflat überfließen?«

Da nahte sich dem Gitter die riesige Gestalt des Störtebecker, und im Licht einer Laterne erschien das hochmütige, wenn auch jetzt totblasse und verwüstete Antlitz. Unwillkürlich fröstelte es den Stadtsoldaten vor diesem noch immer schrecklichen Bild gestürzter Größe.

»Du irrst, grauer Rostfleck,« antwortete der Seefahrer heiser. »Weißt du nicht, daß wir an der Tafel des Schwarzen obenan sitzen werden? Dort unten ist ewige Freude, Trunk, Hurerei, Fraß, Diebesglück und erzielte Übervorteilung. Alles, was hier nur halb gelingt. Wer die Welt verständig umzukehren weiß, der gewinnt's! Geh, küß deinem Pfaffen den Hintern, vielleicht findest du's.«

 

»Gott erbarm' es sich,« stöhnte der Alte.

Darauf juchheiten die beiden und pokulierten weiter.

Allein je schläfriger es auf dem Gange wurde, je eiliger die Nacht vorrückte, desto mehr verstummte auch der grelle Singsang der Schuimer, und allmählich erkannte der schildernde Hellebardier nur noch aus dem Rascheln des Strohs, daß dort drinnen ein Schlafgemiedener seinen Weg suche.

Schon spät war's, als der Störtebecker, nur kümmerlich von dem hereinzitternden Strahl getroffen, vor dem blonden Zwerglein Halt machte. Das pfiff leise vor sich hin und schierte sich um nichts.

»Heino,« schickte der Admiral stockend in die Dunkelheit hinab und holte etwas Versenktes aus sich hervor. »Mein Freund, mein Bruder, sprich, wie denkst du dir unsere nächste Reise? Nicht als ob es mir leid wäre, aber es plagt mich, ob man Ufer spürt oder nur Fahrt – Fahrt? Ob man nur Schiff ist, oder auch Steuerer?«

Aus der Finsternis kicherte es belustigt heraus, dann schlugen ein paar sanfte Finger leicht gegen die Hand des Freundes.

»Bleibst doch der tolle Bacchantenschütz, der du warst, du stolzer Herkules! Meinst, du müßtest überall dabei sein. Schade, daß ich dir morgen mittag nicht weisen kann, wie wir einen Strich passieren, wo Bewegung und Stillstand dasselbe sind, wo du verhundertfacht auf weißen Lichtschimmeln in die Windrose schießest, während doch dein eigentlich Selbst nach deinem Seneka ganz friedlich dort schlummert, wo alle ruhen, die noch ihrer Geburt harren.«

Der Störtebecker regte sich nicht.

»Nichts?« forschte er nach einer Weile rauh.

»Nun freilich,« gab die feine Knabenstimme bissig zurück: »Willst du ewig Umgetriebener etwa die große Wohltat verketzern? Den Hamburger Pfefferkrämern könnt' es womöglich leid um uns werden. Nur eines!« Und der Kleine scharrte mit seinem Hüker und schien näher zu rücken. »Man muß freilich schon hierorts mit dem Nichts seinen Pakt geschlossen haben. Nicht glauben, daß von uns etwas zurückbleibt, Unerfülltes, Lebenswertes oder gar was von Segen. Törichter Nimmersatt, hier oben redet das Nichts, dort drüben schweigt's. Sonst kein Unterschied.«

Eine Weile verstummte alles, der Störtebecker schob nur an seinem Wams hin und her, als ob es ihm zu eng würde. Dann aber drückte er dem Kleinen die Hand auf die Schulter und lachte grell auf:

»So können wir denn ohne Sorgen abfahren, Geliebter. Nehmen nichts mit und lassen keine Erben zurück. Wahrlich, ist kein geringer Trost.«

Damit ließ er von dem Kleinen ab, der ruhig weiter zechte und streckte sich der Länge nach auf seinem Strohlager aus.

Um ihn herum drückte die Dunkelheit wie ein Sargdeckel, und der Riese warf ein paarmal die Faust vor, als könnte er den Verschluß lüften. Merkwürdig, wie rasch sein Herz ging und wie angestrengt er auf das winzigste Geräusch achtete, das jetzt noch zu ihm drang. Gierig hörte er eine Ratte an der Mauer entlang wischen, und bald zählte er die Schritte der Wache draußen auf dem Gang. Unvermerkt labte sich dieser Gestalter an dem Getön der Erde. Auch konnte er sich nimmermehr von dem müden Lichtschimmer trennen, der fahl und schmutzig um das Eisengitter sickerte. Er wartete, er wartete ungeduldig, als ob die Welt ihm noch eine Antwort schuldig sei.

Und siehe da, die Antwort kam ihm.

Geraume Frist mochte er so gelegen haben, er wußte genau, daß seine Seele nicht vom Schlaf umwölkt sei, da er den heißen Blick seiner Augen spürte, die angespannt die schwarzen Striche des Gitters einsaugten. Eben noch war der Schatten des Stadtsoldaten über sie hinweggeglitten – da – der Riese runzelte die Stirn und hielt den Atem an. Da drängte sich ein hustendes grünbleiches Haupt gegen die Stangen, und ein rotgrauer Wirrbart quoll hindurch.

»Was willst du?« murmelte der Wache, ohne sich seiner Lähmung entreißen zu können. »Geh, du Hauch, mich schreckst du nicht.«

Jedoch das Haupt des alten Claus Beckera wich nicht, es fing vielmehr an, gehüstelte Worte zu speien, ganz so, wie er es im Leben gepflegt.

»Armes Kind,« brummte er in seinem hohlen Baß, »war dein Unglück, daß du zu uns gehörtest, ohne unser zu sein. Seidene Kleider, Ringe, Ketten in der Fischerhütte, Rache am Glanz, Gier nach dem Glanz – wehe!«

Das Gesicht nickte und verging. Aber vor dem Gitter war es lebendig geworden, lautlose Scharen wehten vorüber, bis sich abermals zwei Hände in die Stangen einhakten. Funkensprühend flimmerten die Haare der Becke hindurch.

»Liegst du endlich auf dem Mist, mein Schöner? Bin auch dort verfault. Hat kein Hund mit mir Mitleid gespürt, sondern haben in mir gewühlt und geschunden, damit meine Armut das einzige hergeben sollte, was ich besaß. Ist so im Leben. Gelt? Lust und Vergnügen kümmern sich nicht um das Erbarmen! – Wehe!«

Draußen erlosch das Geflimmer, als wäre es von dem Laternenschein eingeschluckt, und der Zug der Schatten stob weiter.

»He, du Menschensohn,« kreischte plötzlich eine hitzige Stimme, und in der Höhlung dämmerten die blutlosen Züge des Iren Patrick O'Shallo. Ein Strick schlotterte ihm um den Hals, und die Zunge fiel ihm oft aus den Zähnen. »Ist dir nicht der Henker prophezeit? Wer hat sich wie du an der menschlichen Schwäche versündigt? Meinst du, das Elend ließe sich in eine Form pressen von einem Ehrgeizigen? Du Vergewaltiger schlimmster, du Säufer von unserem Schweiß, der Narren oberster fährst du von hinnen. Zu spät. – Wehe!«

Der Störtebecker gedachte sich in seinem Sarge zu rühren, um sich gewaltsam zu erheben, allein er vermochte keinen Finger zu krümmen. Starren Blickes mußte er erkennen, wie sich gewichtig ein ander Haupt vor die Öffnung rückte. Düsterblond rahmte ein Ringelbart die braunen Wangen ein, und die großen Augen schauten ernst und trauervoll.

»Verlorener Bruder,« hob die markige Stimme des Gödeke Michael an, »was hast du für den Treubruch erkauft? Wem hieltest du dafür dein Wort? Hast die gültigen Gesetze der Menschenbrust verrücken wollen. Aus böse gut machen, aus Neid Hingabe. Und errietst nicht, wie auch die Laster Sinn und Zweck kennen. Verirrter im Nebel, wer bist du, da doch nur ein Stärkerer dies alles sondern kann.«

»Wer?« suchte der Liegende zu erfassen.

»Die Zeit – wehe!«

Das Phantom löste sich in Kälte auf.

»Muß ich auch dies noch erdulden?« rief der Eingekerkerte schmerzlich hinter ihm her. »Hat mir all mein Glanz nicht eine einzige Seele erkauft?«

Fahler Morgenschein kroch schon durch das Gitter, aber aus der Blässe formte sich noch einmal ein fast durchsichtig Bild. Dem liefen Tränen über die Wangen.

»Mich,« klang es sanft, »deinen Knaben. Dafür, Claus Störtebecker, hast du mich befleckt und besudelt. Wehe – jetzt weiß ich, daß nur ein Reiner das Unerfüllbare denken darf. – Wehe!«

Da hatte der Ausgeraubte, um sein Letztes Betrogene endlich den Bann von sich gerissen, schäumend sprang er auf, stürzte wie ein Toller auf seinen Genossen zu und entwand ihm die Weinkanne, deren Rest er auf einen Zug in sich hinabschwemmte. Was kümmerte es ihn, ob in diesem Augenblick die Stadtknechte hereindrangen, um den Verurteilten ihre seidenen Prunkgewänder zu bringen, da ihnen der Rat für ihren letzten Gang jene geile Pracht überlassen? Ohne den Schergen auch nur einen Blick zu gönnen, fiel der Losgebundene über den verwunderten Magister her, und nachdem er den Kleinen hoch emporgerafft, herzte er ihm in voller Raserei Mund und Stirne.

»O, du Weiser,« schrie er gellend und preßte den Kopf des Zwerges unlöslich an sich, »wie unsagbar Köstliches hast du verheißen!? Komm, tummle dich, damit wir es um alles nicht versäumen. Diese Wölfe, mit denen wir bisher getrottet, könnten uns am Ende beneiden.« Er packte einen der Knechte an der Gurgel. »Höre, du Wicht, wenn du ein ehrlicher Mann bist, so gehe hinaus und verkünde, das Dunkel meine es besser mit den Sehenden als das Licht, die Verwesung küsse uns heißer als das Leben im Brautbett, und dein Kot dufte lieblicher als alle Rosenbeete von Schiras.«

Sie entsetzten sich vor ihm. Doch meinten sie, die Todesfurcht habe dem Sünder wohltätig Sinn und Verstand gelockert. Selbst der Magister begriff nicht bis zum Grund, wie erst jetzt an den fürstlichen Abenteurer, während man ihn in die alte, prunkhafte Tracht hüllte, jener unerbittlichste Peiniger heranschlich, nachdem er ihn ein ganz Leben gemieden – der Ekel vor sich selbst.

Aus dem niedrigen Rathauspförtlein taumelte der früher so Glanzvolle hinaus, ein landflüchtiger Fürst, der seinen letzten Heller verpraßt hatte, jetzt aber voll Bettlerstolz nur noch den nichtsnutzigsten Schein zu wahren bestrebt war, obwohl er im Herzen die Schmähungen seiner Verfolger billigte.

23Die Sage vermochte sich den Hergang nicht anders zu erklären. Übrigens war die geschilderte Kriegslist zu jener Zeit eine durchaus übliche. Auch der gefeierte Seeheld Paul Beneke von Danzig benutzte sie etwa um das Jahr 1473.
24Nach einem alten niederdeutschen Bänkelsängerlied aus Wächters historischem Nachlaß.