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Claus Störtebecker

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V

»Kapaunen – Kapaunen mit süßem Kuchen gefüllt – bringt mir mehr davon! Und du, Stadtwaibel, vergiß nicht den öligen roten Wein,« so schmatzte und schnaufte in einer der braungeräucherten Kammern des Hamburger Rathauses an einem der letzten Septembertage des Heilsjahres 1402 der dicke Wichbold, und in der Wonne über die ausgewählten Leckerbissen, die gebraten und gesotten dicht um ihn herum den Tisch bevölkerten, knöpfte er sich ein paar Seitenknöpfe seines verschossenen grünen Schifferkittels auf und schuf Raum für weitere Genüsse. Neugierig verschlang er bereits mit den Augen einen der roten Hummern, der auf silberner Schüssel liebevoll seine Scheren nach ihm breitete.

»Gut, gut,« belobte er kurzatmig den ihn bedienenden gebückten Stadtwaibel, der während dieses ganzen Imbisses ein eigenartiges Grinsen in dem weiten schwarzen Kragen seines Wamses verschwinden ließ. »Ihr guten Bürger von Hamburg wißt, was ihr einem frommen Seefahrer schuldig seid. Bei Sankt Paul, soll euer Schade nimmer sein. Will euch redlich vergelten. He,« erinnerte er sich, nachdem er wieder einen vollen Guß des dicken Italerweines in sich hineingeschüttet, »weißt du schon, mein Lieber, wo euer Gast heute nacht hausen wird? Wäre mir wohlgefällig, wenn ich einen Gebetschemel vorfinden würde, denn ich habe der heiligen Anna bei gefährlicher Fahrt eine Nachtwache gelobt.«

Auf diese Frage des alten Helden versank das Kinn des Waibels abermals tief in die Schwärze seines Kragens, und es dauerte geraume Zeit, bevor er sich auf eine würdige Antwort besinnen konnte.

»Ich hörte,« bückte er sich, »der Rat rüste ein eigen Haus für euch.«

Verwundert quollen dem Schmausenden die Augen aus dem Kopf. Auf so viel Ehre war er nicht gefaßt, und betroffen berechnete sein listiger Verstand eine Weile, ob seine Geheimnisse wirklich für die geizigen Krämer so hoch im Preise stehen könnten. Allein die Köstlichkeit des Mahles, sowie die ganze achtungsvolle Art seiner Aufnahme zerstreuten dem Dicken die aufsteigenden Zweifel bald wieder, so daß er sich eben mit gesteigerter Aufnahmefähigkeit an die Vertilgung des Hummers begeben wollte, als ein Gewappneter eintrat. Der stieß seine Hellebarde auf den Estrich und meldete:

»Anjetzo ladet euch der würdige Bürgermeister Tschokke zum Verhör.«

»Nun, nun,« zwängte sich der Wichbold, von neuem gestört, hinter dem Tisch hervor. »Was faselst du, Freund? Um ein Verhör handelt es sich nicht, da ich dem Rat gegen freies Geleit eine Unterredung angetragen.«

»Weiß nicht,« versetzte die Wache barsch.

Hinter der Tür schlossen sich dem Zuge noch einige der schwarzen Hellebardiere an, und während der Wanderung durch dunkle Gänge und über windschiefe Treppen, da begannen dem grauhaarigen Sünder die alten Kopfwunden zu pochen, und das Herz krampfte sich ihm in feiger Ohnmacht, ob sein Rachegelüst ihm nicht doch einen allzu närrischen Streich gespielt. Allein kaum hatte er den weiten niedrigen Ratssaal betreten, da schöpfte er neues Vertrauen, denn an einem grün verhängten Tisch an der Fensterseite saß ein einzelner Mann, der die Stadtknechte durch eine müde Handbewegung abtreten hieß.

Sie blieben allein.

In dem einsamen Raum summte eine Schar Fliegen unter der Decke umher, und durch die vergitterten Fenster drang zuweilen Wagenrollen und das Geräusch einer handeltreibenden Gemeine. Alles schien friedlich, besonders aber der Mensch hinter dem Tisch. Über dem karmoisinfarbigen Kragen seiner schwarzen Ratsgewandung hob sich ein ehemals volles, jetzt faltig gewordenes Haupt, und seltsam, auf die harte Stirn fielen dem noch Unbetagten grauweiße Haare. Der Mann mußte frühzeitig gealtert sein.

Mit einemmal richtete der Würdenträger ein paar stahlblaue Augen auf den Freibeuter, und in diesem Blick wohnte etwas so Kaltes, Abschätzendes, daß den Fettwanst zu frösteln anfing. Auch behagte es ihm wenig, daß man ihn nicht zum Sitzen einlud, obwohl man einen mächtigen Lederstuhl hinter ihn geschoben hatte.

»Wer bist du?« hob der Bürgermeister ruhig an.

»Ich?«

Der Dicke gab sich ein Ansehen. »Ich bin der Hauptmann Wichbold,« pustete er sich auf, faltete aber zugleich demütig die Hände über dem Leib, »ein Knecht Gottes, der mit Freibriefen von Rostock und Wismar die gute Stadt Stockholm entsetzte. Zuletzt führte ich zu Nutzen des gemeinen Mannes die ‘goldene Biene’.«

Das unbewegte Antlitz des Hamburger Gebietenden veränderte sich nicht im geringsten bei dieser harmlosen Schilderung; gleichgültig in ein paar Pergamenten stöbernd, erwiderte er:

»Ich kenne deine Taten. Du kommst vom Störtebecker.«

»Den Gott verdamme,« schaltete hier der Hauptmann ein, indem die roten Narben zwischen seinem grauen Haarwulst aufzuglühen schienen. »Möge dieser Leuteverderber ein unrühmlich Ende finden.«

»Was weiter?« drängte der Bürgermeister, eine große Schwanenfeder putzend.

Jetzt sah der Dicke ein, daß er seine Karte spielen müsse, wenn er nicht jede Bedeutung oder Wichtigkeit verlieren wollte. In heiliger Entrüstung wiegte er deshalb sein plumpes Haupt, und seine aufgeworfenen Lippen zuckten vor innerer Bedrängnis, als er zerknirscht anhob:

»Euer Würden, nicht jedem sieht man an, welchem Herrn er dient. Der meine – gelobt sei sein Name in Ewigkeit – hat mich nicht umsonst durch Undank und Schmach gewälzt, durch Eiter und Schwären, so daß meine Seele bereit ist zu Besserung und Einkehr.«

»Mann, verkünde jetzt kurzfertig, was du uns zu hinterbringen gedenkst, sonst – «

»Herr,« ereiferte sich nun der Wanst gereizt, wobei alles Salbungsvolle ungewollt von ihm abfiel, »ich bringe Euch, was mehr ist als Euer Bier, Leder, Erz oder Getreide. Und Ihr werdet es mir gern nach Gebühr lohnen – «

»Des sei gewiß,« lehnte sich der Aldermann bestimmt zurück.

»Gut, gut – so liefere ich Euch den Erzfeind Eures Handels und friedlicher Schiffahrt in die Hände, damit diese Plage des Menschengeschlechts, nachdem ich sie bußfertig als solche erkannt, nicht fürder durch Prunk, Laster und Hurerei allen Gesetzen Hohn spreche.«

Als der unselige Lebenswandel des Störtebecker erwähnt wurde, da verfielen die Züge des Mannes hinter dem Tisch zum erstenmal zu einer seltsamen Starrheit. Eine wächserne Leblosigkeit ließ sie für den Augenblick fast durchsichtig erscheinen, und er verdeckte die Augen mit der Rechten, bevor er dem Freibeuter ein Zeichen gab fortzufahren.

Dieser ergötzte sich an dem sichtlichen Eindruck, und rasch und kollernd folgte nun sein Vorschlag.

»Herr,« grunzte seine Säuferheiserkeit, und die verschwollenen Äuglein glitzerten dazu, »in spätestens vier Tagen macht der Störtebecker in Marienhaven klar, um sich zum Gödeke Michael durchzuschlagen. Aber seine Flotte ist bemoost, zudem nur halb bestückt, seine Mannschaft schwierig, auch die Friesen in seinem Rücken grollen dem wahnwitzigen Schwärmer, da sie sich die verkauften Ländereien gern wieder aneignen möchten. Wenn Ihr die Zeit nützt, dann könnt Ihr ihn noch zwischen den Inseln abfangen. – Ich selbst will – getrieben von meinem Gewissen – Euch Führerdienste leisten – und dann mögt Ihr den Verkünder eines gotteslästerlichen Zeitalters, mögt den Verbreiter aller stinkenden Lüste foltern, pfählen und schmerzhaft zum Tode bringen.«

Er atmete schwer und befriedigt.

Auch Herr Nikolaus Tschokke stützte sich auf den Tisch und hielt sein ergrautes Haupt eine Weile verdeckt über seinen Pergamenten. Dann erst äußerte er wie nebenbei:

»Deine Angaben treffen nur halb zu. Der Störtebecker wird nicht zum Gödeke segeln.«

»Mit Verlaub, warum nicht?«

»Weil man die Toten nicht besucht. Das Haupt des Michael verwest schon zwischen den Vierpfählen auf unserem Grasbrook20

»Aller Himmel Gerechtigkeit,« stammelte der Freibeuter. Offenen Mundes, grüne Fahlheit auf dem schwammigen Fleisch, sank er ohne Einladung in dem großen Lederstuhl zusammen, denn eine düstere Befürchtung für sich selbst ließ ihm die Brust still stehen. Welche Verdienste würden diese Krämer wohl noch achten, wenn sie es wagten, den mächtigsten Seeherrscher der damaligen Zeit, den Verbündeten von Königen und reichen Städten gleich einem gemeinen Straßenräuber der Schmach und dem Schwerte preiszugeben? »Sankt Peter gewähre mir bei der Urständ ein leichtes Erwachen,« stöhnte er geistesabwesend, und seine Angst ließ den Verwirrten nach Rechtsgründen suchen, »gelten denn keine Freibriefe mehr? Der Michael lag mit Euch in ehrlicher Fehde!«

Als hätte der andere keinerlei Einwand erhoben, so stutzte der Bürgermeister kaltblütig weiter an seiner Feder herum, bis er endlich, ohne den Versuch einer Rechtfertigung, den Schwanenkiel fortwarf, um von neuem zu beginnen:

»Tu mir jetzt kund, wer bürgt mir dafür, daß deine Angaben der Wahrheit entsprechen? Hast du ein Zeugnis, wie weit man dir und deinesgleichen trauen darf?«

O, der allerheiligsten Jungfrau sei Dank, jetzt nahte die Rettung. Befreit atmete der Dicke auf, wischte sich die runden Schweißtropfen von der Stirn, und während er hastig und doch unendlich erleichtert ein dünnes Goldkettlein aus seinem Kittel nestelte, raffte er seinen gebrochenen Körper wieder zuversichtlicher empor.

»Hier, Euer Würden,« versuchte er vertraulich zu lächeln, obwohl es immer noch eine angestrengte Grimasse blieb, »dies gab mir eine gar zarte Dirn für Euch mit, damit Ihr erkennt, daß all meine Worte aus ihrem Munde stammen. Schon lange haust sie bei dem Störtebecker, dieweil er ihr schändlich Gewalt angetan und sie auch jetzt sonder Zucht noch Scham in Mannskleidern mit sich schleppt. Ist gar ein Elend, dies fein Ding zu sehn. – Hier – hier – überzeugt Euch.«

 

Mit zitternden Fingern legte er das Kleinod dicht vor den Würdenträger auf den Tisch.

Herr Nikolaus Tschokke aber rührte sich nicht. Nur von der Seite schickte er einen fast furchtsamen Blick nach dem Schmuckstück aus, um zu prüfen, ob wirklich die Schaumünze an dem Kettlein hing, die Linda einst als Kind aus den Händen seines Vaters empfangen. Und als er die Echtheit des Stückes festgestellt, blieb er unbeweglich sitzen und schloß von neuem die Augen. Nur einmal zuckte seine schon geöffnete Hand von dem Schmuck zurück, als ob Befleckung und Krankheit an ihm hafte.

Dem Wichbold aber entging die eigenartige Schwäche des Mannes nicht.

»Nun,« forschte er selbstbewußt, »traut Ihr dem Ding da?«

Das blasse Antlitz mit den geschlossenen Augen nickte.

»Dann lohnt mir nach Gebühr,« heischte der Wichbold jetzt frech, denn die Habsucht verführte ihn, und er schlug mit der Faust auf das grüne Tuch. »Wie wollt Ihr mich bezahlen?«

»Wie du's verdienst,« drang plötzlich eine Stimme durch den stillen Raum, die aus dem Himmel zu fallen schien, so wenig traute man dem beherrschten Stadtgebieter eine derartig stählerne Leidenschaft zu.

Was bedeutete das?

Stier, mit einem eigentümlichen Schlottern in den Knien schaute sich der Freibeuter um. Ehe er sich noch auf sich selbst besinnen konnte, auf den Ort, wo er weilte, an den hartgeschnitzten Bürger, mit dem er einen solch gefährlichen Streit ausfocht, da war ein bis ins Hirn reichender Blitz durch ihn gefahren, der schleuderte den schwammigen Leib des Schuimers widerstandslos in den Sessel. Er wollte die Hände ausstrecken, er vermochte es nicht. Er wollte irgend etwas vorbringen, am liebsten ein Flehen um Gnade, statt dessen zwang ihn seine grausige Willenlosigkeit nur zu einem mühsamen Lallen.

Der Bürgermeister hatte sich erhoben, seine kalten blauen Augen schnitten prüfend in die Qual seines Gegners, er winkte, die Scharwache quoll zur Tür herein, und auf ein neues Zeichen des Graukopfes hob sie den Stuhl samt seiner Last in die Höhe und trug die gelähmte, zur Schweigsamkeit verdammte Masse mit sich fort.

Eine Weile blickte ihnen der Bürgermeister regungslos nach, dann ließ er sich nieder, schob das Kettlein weit von sich und führte seinen Schwanenkiel kritzelnd über das Pergament.

Auf den Schiffen zu Marienhaven klopften inzwischen die Hämmer, Sägen knirschten, fauliges Holz wurde ausgewechselt, die Seiler lieferten neue Taue, und die Weber halfen, die rötlichen Segel auszuflicken. In überraschend kurzer Zeit bekleideten sich die abgetakelten Gerippe mit jener Haut und allen Nerven, welche die toten Meervögel wieder zum Flug befähigten, ja, die springend fieberhafte Ungeduld ihres Führers konnte man förmlich in den gewaltigen Holzleibern pochen und schwingen hören. Den Mächtigen aber, dessen Wink sich all diese unbotmäßigen, nach fesselloser Freiheit trachtenden Gesellen von neuem verschrieben hatten, der Wilde, Zügellose, von dem sie meinten, er allein könne ihre Sehnsucht nach Raub, Vergeltung und schrankenloser Besitznahme aller Güter der Erde gewährleisten, ihn trieb es in diesen Tagen der Vorbereitung ungestümer und wüster denn je umher. Oftmals mußte sich Licinius, der aus der Ferne jeden seiner Schritte überwachte, unter zehrenden Tränen bekennen, daß die Schmach verflatterter Hoffnungen oder die Scham, vor der Menge unterlegen zu sein, in dem Gebieter nichts anderes ausgelöst hätte als die Gier, all jenes Strahlende in sich auszulöschen, das ihn bisher von den Verderbten unterschied. Nächtelang praßte er mit allerlei verkommenem Frauenvolk in den Tavernen des kleinen Fleckens, ja, er veranstaltete sich zur Lust Einbrüche und Diebstahl in den Werkstätten und Läden der Eingeborenen, um freilich die davon Betroffenen gleich darauf in irrsinniger Freigebigkeit wieder zu entschädigen. Das Fürstliche des ehemals so Gottgesegneten äußerte sich nur noch in Verschwendung oder in der Sucht, die Verderbnis der Herrschenden zu übertreffen.

Kam er dann abgezehrt, mit tiefliegenden, flackernden Augen auf die »Agile« zurück, dann erfrischte er seinen Geist nicht etwa, wie früher, an dem Studium der Dichter und Philosophen, die er einstens so fröhlich durchstöbert, sondern er strich, gleich einem gefräßigen Wolf, auf Deck umher, um schimpfend und wetternd Fehler und Unterlassungen aufzuspüren.

»Fertig – fertig,« das war das einzige Wort, das er von den fieberhaft Beschäftigen erpressen wollte. Dazu schlug und mißhandelte er die ergrimmten Matrosen, wozu der Vornehme sonst nimmer seine Hand mißbraucht, oder er zwang seine Unterführer, daneben aber auch gemeines Volk, zu Zechereien und waghalsigem Kartenspiel, bis die minder Ausdauernden, von seinem Hohngelächter verfolgt, unter den Tisch der prunkhaften Kajüte fielen.

Es war klar, der Wein dieses Lebens wurde schal und ging in Zersetzung über.

Einmal fragte ihn der kleine Wichmann, der selbst diesen Verfall seines Zöglings mit der Aufmerksamkeit eines messenden und vergleichenden Gelehrten beobachtete:

»Wohlan, Cläuslein, zu welch letztem Ziel voll Purpurglut und betörender Klänge willst du uns nunmehr steuern?«

Das Ende eines jener übermäßigen Gelage war gerade herangenaht, so daß der Riese mit dem ehemaligen Magister nur noch allein hinter der weinbesudelten Tafel lehnte. Aus seinen Grübeleien aufgeschreckt, hob der Störtebecker das Haupt und strich sich die wirren Locken aus der Stirn. Offenbar mußte die Frage des Zwerges in einer sehr ähnlichen Bahn laufen wie seine eigenen Gedanken, denn der benommene Mensch griff nach der winzigen Hand seines Gefährten, als wolle er sich überzeugen, ob Fleisch und Bein jene Auskunft von ihm verlange. Dann sprach er, den Kopf gestützt, mit einem zerrissenen, nach innen dringenden Lächeln:

»Heino, hast du jemals an das Aufhören dieses ganzen Gewimmels gedacht? Welche Ruhe muß kommen, wenn das Erdherz seinen letzten Schlag tut.« Er riß sich die rote Schecke über der Brust auf, um an sein eigenes Schlagwerk zu greifen. Das hämmerte laut und stürmisch. »In den Eismärchen unserer Vorfahren, so man auch hierzulande noch erzählt,« fuhr er dann in sich gekehrt fort, »läuft ein Wolf herum, der die Sonne verschlingt und nicht satt wird, bis er alles Leben gefressen. Ich kenn' nunmehr das Untier, Heino. Es ist dein und mein Geschlecht und heißt Mensch. Es stürmt nach der Vernichtung. Welch ein Helfer würde der sein, der ihm den Weg dazu erleuchtet! Bruder,« und dabei zerquetschte er fast den Becher in seiner Faust, »ich möchte das von Teufeln bewohnte Reich an allen vier Ecken anzünden und dann, wie jener Sardanapal, mit Weibern, Suff und Spiel zur Asche fahren.«

Hinter ihm folgte diesem wütigen Begehren ein unbewachter Seufzer. Der Zecher fuhr herum und begegnete dem übernächtigten Antlitz seines Knaben. Allein der trauervolle Blick verschlimmerte des Seefahrers üble Laune noch um ein Bedeutendes.

»Dummer Bube,« herrschte er ihn an, »was starren deine Augen gleich zwei offenen Gräbern? Bete den Tag an, schlemme und füge deiner Natur keine Gewalt zu. Willst du, daß dich einst die Würmer verachten, die den Schluß machen? Heißa, vergeude, womit du jetzt sparst, und singe Schelmenlieder.«

So trieb es der Zertrümmerte seinen Nächsten zum Ärgernis, und je näher der Tag der Abfahrt rückte, desto gieriger fahndete seine Lüsternheit danach, dem Lande, das er preisgeben mußte, allerlei letzte Genüsse zu entlocken.

Was fehlte ihm noch?

An einem Spätnachmittag bemerkte man von den Schiffen im Hafen, wie der Reisewagen der Häuptlingsfrau van Neß langsam die Höhe der Brokeburg hinaufknarrte. Da fuhr der Admiral wie gestochen mitten aus dringenden Anordnungen empor und winkte heftig einen der Schiffsjungen zu sich. Jähe Röte flackerte in seinen Zügen, denn er schämte sich fast, daß er gerade dasjenige unvernichtet zurücklassen sollte, was seine Flamme schon so nah umzüngelt.

»Geh,« befahl er ohne Rücksicht auf die Umstehenden, zu denen auch Licinius gehörte, »melde dem Häuptlingsweib, ihr Wunsch sei erfüllt. Die Flotte laufe aus. Darum lade sie der Admiral zu einem Abschiedstrunk auf die »Agile«. Sage, es solle ein ihr würdiges Fest werden.«

Ungeduldig warf er dem Boten ein Silberstück zu, dann schrie er dem Davonspringenden noch über Bord nach:

»Schone deine Lunge nicht, Bursche. Lobe und rühme mich. Es hat Eile.«

Schweigsam hatte die schöne Occa die Botschaft angehört. Jetzt saß sie an dem Ausguck ihrer Kammer, von wo sie die Lichter der Flotte durch die Dämmerung zucken und blinken sah, und ihr eitler Sinn überlegte, welchen Entschluß sie fassen sollte.

Die Einsamkeit tat ihr nicht wohl. Voller Dunkelheit hing der Raum, in dem sie weilte, und nur aus ihrer offenstehenden Schlafkammer schwamm der trübe Schein eines Öllämpchens herüber. Allein die spärlichen Strahlen trugen ihr noch etwas Besonderes herzu. Jetzt, da der Augenblick herannahte, wo der glänzende Freibeuter, der Mann des Zufalls und des Abenteuers in das Ungewisse seiner gefährlichen Laufbahn hinausgerissen wurde, jetzt, wo man den Sagenumwobenen leicht für immer verlieren konnte, mit dem ihre Einbildungskraft nicht allein oft gespielt, sondern dessen schicksalsgestaltende Mannheit sie sich bereits durch ihre Künste gefügig gemacht zu haben glaubte, da kam ein bitteres Erinnern, ein Vergleichen über die Verkaufte, und ihr bisheriges Dasein erschien ihr nicht mehr so spielerisch und harmlos wie früher.

Seltsame Gestalten tauchten aus dem matten Schimmer zu ihren Füßen. Zuerst glaubte die Verlassene, die flüchtigen Lichtflecke formten sich zu einem menschlichen Klumpen, und obwohl ihre Sinne unerschrocken und grobkörnig waren wie die der meisten Frauen ihrer Zeit, so rückte sie doch belästigt zur Seite, als sie der Täuschung unterlag, das Ferkel kröche auf sie zu, um sein Borstenhaupt tierisch an ihrem Knie zu reiben. Die dunstige Wärme wurde ihr zuwider.

»Mach fort,« scheuchte sie das allzunahe Phantom und – erwachte. Offenen Auges sann sie dann weiter in die Nebelluft des versunkenen Tages. Dort drüben zwischen den dämmernden Lichtern harrte ihrer jetzt gewiß der Riese, denn hinter seiner Einladung – das wußte sie – lauerte sicherlich der Wunsch, sie endlich in seine Arme zu schließen, um sie zu unterjochen. Niemals hatte er ein Hehl aus seinem brennenden Verlangen gemacht, ebenso wie sie selbst kaum aufgehört, durch ein lässiges Versagen sein Gelüst zu schüren.

Versonnen lächelte die Goldblonde und stützte ihren Arm auf die Mauerplatte. Ein unendliches Wohlgefühl verursachte es ihr, sich dies alles vorzustellen. Ungebrochen war sie noch, und gerade ihre Freiheit sowie die Geschicklichkeit, mit der sie ihr höchstes Gut verteidigte, sie erfüllten sie mit einem herben Stolz. Aber während ihr jetzt die feuchte Seeluft die Wangen kühlte, da begann in ihren Gedanken jener heimlich nagende Ehrgeiz zu schmerzen, den sie von ihrem tollen Vater geerbt, und allerlei weitmaschige Pläne von möglicher Größe und künftiger Herrschaft knüpften das Netz zwischen ihr und dem Entfernten enger. Wenigstens versuchte die Schwankende, sich jenes unerklärliche Treiben und Drängen in ihrem Blut so auszudeuten. Warum sollte sie nicht die Kräfte jenes Unbändigen sich dienstbar machen, der mit Schätzen, Fürstentümern und Kronen so unbesorgt spielte wie sie mit den Huldigungen vernarrter Männer? Warum sollte sie nicht den Fuß auf jene Hand setzen, die sie hoch ins Licht heben wollte? Unermeßlich hoch vielleicht. Draußen in der Welt war man gerade dabei, einen König zwischen Schloß und Mauern verhungern zu lassen. Wohin konnte ein Kühner, den die Goldfäden des Volksliedes schon umspannen, nicht kecken Fußes gelangen? Namentlich wenn ein begehrtes Weib ihm List und Tollheit ins Ohr wisperte? Vielleicht war sie überdies schlau genug, selbst jenen Gewalttätigen noch einmal zu mäßigen. Gerade dieses letzte, dieses ungewisse, gefährliche Spiel reizte, wie sie meinte, ihre Unternehmungslust aufs äußerste.

Ja, sie war entschlossen, und während sie hastig in ihre Schlafkammer eilte, um sich heimlich und einsam anzukleiden, da überfiel sie der ganze, von ihr kaum gekannte Rausch, den ein Weib zu erregen und mitzuteilen vermag. Eine Metallscheibe zeigte ihr ihre Gestalt, und sie genoß dabei die Wonne, ein unsichtbares Schwert um ihre Hüften gegürtet zu tragen, das auf ihren leisesten Wunsch blutige Gesetze schreiben würde.

In diesem Augenblick umfing sie den Fernen und lehnte ihr Haupt an seine Wange.

Sorgsam wählte Occa ihr schönstes rotes Fältelkleid aus Leyden, und als sie es mit geschwinder Hand angelegt, da empfand sie selbst voll Befriedigung, wie der starre Goldschmuck des Gewandes, der sich über ihrer Brust zu einer Art Sonne verdichtete, den Strahlenkranz des Reichtums um sie schloß. Noch einmal spähte sie vorsichtig aus dem offenen Fenster, allein auf dem dunkelfeuchten Burghof war keine Seele zu erspähen, sie hörte nur, wie die Windsbraut von der Linde Wolken dürrer Blätter abtrieb, um darauf mit dem Kehricht tief unten auf den Steinen umherzukichern. Nun galt's!

 

Hurtig warf sich Occa ihren grünen, gleichfalls über und über mit Goldblechen besäten Mantel um, zog ihn nach der Sitte der Friesinnen über das Haupt und huschte leichten Fußes die Steintreppen hinab. Wie ungewohnt ihr dabei das Herz hämmerte, wie angestrengt ihre Brust atmete, und doch erinnerte sie sich nicht, jemals eine ähnliche Lust gekostet zu haben. Weiter, weiter, damit ihr jenes fremdartig beglückende Sehnen nicht etwa noch zuletzt durch irgendein Hindernis gehemmt würde. Jetzt schlich die dunkle Gestalt bereits über den Hof, nun drückte sie gegen das Pförtlein der Mauer. Gottlob, es war offen. Von der Anhöhe überschaute die Broketochter noch einmal das nächtige Gefilde. Der Meerwind, der über das Flachland pfiff, blähte ihren Mantel, die bunten Lichter der Flotte stiegen auf und ab wie ungeheure gebändigte Leuchtkäfer. Dies war die Sprache, in der der Störtebecker zu den Seinen redete. Aber plötzlich zog ein eigenartig überlegenes Lächeln um den Mund der Flüchtigen, genau so, wie durch die Signale dort unten die Nacht erhellt wurde; wie, wenn der unbeherrschte Mensch, den sie zu versuchen gedachte, sie nicht mehr aus seiner Gewalt entließe, wenn er sie mit sich schleppte? – O Schmach, ihr Stolz litt es nicht, sich solch einen Niederbruch vorzustellen, und der goldene Stirnreif, den ihr das Abenteuer noch eben entgegengereicht, er erblindete sacht in dem feuchten Nebel der Finsternis.

Eben wollte sie ihre Gewandung schürzen, um desto ungestörter wieder den Fahrweg hinaufeilen zu können, da stutzte sie, und im ersten Schrecken stürzte ihr der Mantel vom Haupt. Hilf Himmel, dicht unter ihr knarrte etwas Ungefüges aus der Schwärze hervor, das durchdringende Quietschen trockener Räder meldete sich, und ehe Occa noch den Entschluß fassen konnte, wieder durch das Tor zurückzuschlüpfen, wurde ihr Antlitz von dem Flackerschein einer Fackel übermalt. Ein Knecht trat hinter dem Wagen hervor. Der hielt ebenfalls inne, als er seine geschmückte Herrin gewahrte. Unter dem Leinendach aber grunzte wie in Spuk und Traum jene viehische Stimme, vor der ihre Jugend eben noch voll Widerwillen geschaudert hatte. Stumm, unbeweglich mußte das schöne, fackelbeleuchtete Bild mit ansehen, wie zwei Wäppner die gemästete Rundung des Ferkels von dem Gestell herabhoben, watschelnd kroch das Ungeheuer auf sie zu, dann weidete es sich lange an der Pracht und dem Schmuck der Wegbereiten, während die schmalen Schweinsäuglein fast hämisch dazu glitzerten. Endlich schnaufte der Klumpen so sanft er vermochte:

»Wohin, mein Trautchen?«

»Zum Störtebecker,« brach Occa zornig aus, da sie es verschmähte, vor ihrem Gatten Geheimnisse zu bergen.

»Recht,« nickte der Sternendeuter beifällig, als wenn nicht das geringste an dem Betragen seines Weibes auszusetzen wäre, »dacht ich mir doch, daß ich dich warnen müßte.«

Dabei griff seine schwammige Rechte nach dem Arm der Schönen, schob sich selbst dicht unter ihren Mantel und drängte die noch immer Widerstrebende auf diese Weise mit sich in den Hof. Erst unter dem Hauseingang löste sich der Fettwulst von seiner Begleiterin, um schnaufend gegen den bedeckten Himmel zu weisen.

»Was schaust du dort oben an dem Bogen des Wechsels?« stöhnte er bedeutungsvoll, und es sah beinahe grausig aus, wie die fette Ungestalt mit der Sicherheit des Besitzers die Hand gegen das finstere Gewölbe reckte, als wollte er dort droben einen Schrein voll Kostbarkeiten aufschließen.

Doch Occa brachte seiner Wissenschaft nicht die von dem Ferkel gewünschte Verehrung entgegen.

»Ich sehe nur, daß es regnen wird,« erwiderte sie spottend und wollte sich abkehren.

Der Klumpen aber hielt sie zurück.

»Leichtfertig Kind,« grunzte er, »und ich hab' deinetwillen die schmerzhafte Fahrt angetreten. Siehst du nicht, wie das Siebengestirn drohend nah gen Luna rückt? Und wie von der anderen Seite das Gewimmel der Plejaden gegen die Sichel drängt? Das bedeutet Abnahme und Tod eines Mächtigen. Übermacht rottet sich zusammen. Mit vierzig Koggen segeln die Hamburger schon in Sicht der Inseln, so daß es kein Entrinnen mehr gibt. Wer in Marienhaven morgen Wäsche spült, wird sie rotgefärbt herausziehen.«

Da lehnte sich Occa sprachlos gegen den Torpfosten, aber wunderlich, ihre heiße Regung verflüchtigte sich überraschend schnell vor dem Heranziehen des Ungemachs oder des Zusammenbruchs, so daß es fast nur noch der Schreck über ihre eigene Verbindung mit dem Gezeichneten war, der ihr ein Zittern einflößte.

»Wer trug dir dies alles zu, Luitet?« fragte sie um vieles vertraulicher.

Der Dicke streichelte sacht ihren Mantel, bevor er zögernd, aber mit einem schlauen Blinzeln in den Schweinsäuglein erwiderte:

»Lasse mir meine Erkenntnis gern nachprüfen, Occa. Bin nicht stolz darauf. Diesmal taten es eine Anzahl von Fischern, die Hisko in Sold hält. Ja, der Pfaffe hat den Hansen sogar schon einen Unterhändler entgegengeschickt.«

Als das geschmückte Weib diesen nackten Bericht über Abfall und nahende Schande überlegte, da überkam es beinahe eine Art Dankbarkeit für den rechtzeitigen Warner. Übermütig, wie sonst, klopfte sie ihm die feiste Wange.

»Bist doch ein klein kluges, nachdenkliches Vieh,« lobte sie ihren Eheherrn und versetzte ihm einen leichten Schlag, der das Ferkel jedoch befriedigt aufbrummen ließ. »Komm, ist kalt hier. Die Mutter soll dir warmen Wein in den Trog schütten.«

Schritt vor Schritt zog sie das schwankende Ungeheuer die unbequemen Treppen hinauf. Aber noch während des schwierigen Hinaufklimmens hing sich der Klumpen fest unter ihren Arm und schnaufte recht aus Herzensgrund, fast wie ein ehrlicher Beichtiger, der seinem Seelenkind zuredet:

»Meinst du nicht, Liebe, daß dieser Gottversucher mit Recht Pein und Block verdient? Gibt es wohl ein boshafter Beginnen, als die frommen Satzungen von reich und arm umzuwühlen, so daß schließlich der Edelingsrock auf deinem schönen Leib nicht mehr gilt als der Bettlerkittel?«

»Komm, komm,« rief Occa schaudernd, »laß uns am warmen Feuer niedersitzen. Und dann wollen wir der Ausgeburt eines Tollwütigen für immer vergessen.«

Die grünen und roten Lichter zogen flußabwärts. Eine langsam gleitende Bewegung war in die hölzernen Massen geraten, und während die Ungetüme im Schein ihrer Laternen, schattenhaft nachgebildet und wie flach über das Land hingeworfen, ihre huschende Wanderung antraten, da schrillte, trillerte und pfiff es von allen Seiten durcheinander, als wenn die großen Vögel nunmehr auch ihre Stimmen wiedergewonnen hätten, damit sie sich gegenseitig warnen könnten. Allein es handelte sich um keinerlei Vorsicht, denn dies war der Gesang des Angriffs, des Stoßes und des Ausbrechens aus dem Käfig. Zur selben Stunde, da Occas Eheherr ihr die dunklen Sprüche des Himmels offenbarte, da standen drei Snykenführer,21 die schon seit Tagen draußen auf offener See Vorpostendienste leisteten, vor ihrem Admiral, und das, was sie meldeten, das war der Ruf des Lebens und des Todes zugleich, das war die ernste unerbittliche Ordnung und das lustige leidenschaftlich wühlende Chaos.

Zwischen ihnen auf den Wellen schwankte die Wage.

Der Feind war da. Auf unbegreifliche Weise erschienen. Wie der Dieb in der Nacht. Vierzig kriegsstarke Koggen. Das ganze hansische Aufgebot, vor allem Hamburger, und an ihrer Spitze ein ungefüges, plumpes, breitstirniges Schiff, das im Topp die Admiralsflagge gesetzt hatte. Die »Bunte Kuh«.22

Es war der Name des Fahrzeuges, der dem Störtebecker zuerst während des Kriegsrates in der Kajüte ein hämisches, nach Hellebarden und Schwertern klirrendes Gelächter entlockte:

»Ho, Brüder,« hieb er sich auf die Brust, »welch gutes Omen! Wir wollen das Hamburger Tier erst melken und dann schlachten. Gönne ich doch meinen Kindlein schon lange solche Milch. Und nun« – er wanderte weiten Schrittes durch den hell erleuchteten Raum und zog dabei ein paar der Lukenbretter zurück, um finstere Blicke auf das vorüberziehende Land zu heften, »nun, Heino, sprich, mein Freund, wie siehst du das Ding sonst an?«

20Die Richtstätte zu Hamburg.
21Befehlshaber leichter Schaluppen.
22Es war aus Utrecht gechartert.