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Claus Störtebecker

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Dies war die glücklichste Stunde des Gewaltmenschen. Traum und Erfüllung hielt er zu gleichen Teilen in seiner Rechten wie in seiner Linken. Mit einem Ruck zügelte er sein Roß, und sich weit zurückwerfend, so daß alle Gestirne ihm standhalten mußten, hob er die Faust gegen den brennenden Wirbel, und heiser vor Inbrunst schrie er in die ewig sich vertiefende Gasse hinein:

»Lauert nur, schielt aus tausend zornigen Augen, ihr könnt mir die Saat nicht mehr aus der Brust reißen. Sie soll aufgehen, trotz euch, wider euch!«

Gegen Morgen erst zog er sein Tier hinter sich her auf die Warfe der Brokeburg. Auf einer Steinbank im Hofe hockte die Fölke in ihrem grauen Fältelkleid, und ihre Spinnenfinger verfolgten eifrig die breiten Zeilen des Hamburger Manifestes. Kaum wurde sie jedoch des abgetriebenen Reiters ansichtig, da strich ein giftigsüßer Schein über das blutlose Antlitz der Quade, und sie stopfte das Pergament in ihre Tasche, als ob sie einen köstlichen Schatz vergraben müßte.

»Nun,« fragte sie mit ihrer harten Stimme, »bringst du mir Grüße von Occa, Mann?«

Der Störtebecker aber antwortete nicht. Sein Blick hatte von der Anhöhe den Hafen getroffen, und siehe da – dort unten in der schmalen Fahrtrinne lag Schiff an Schiff, eine Gasse von Masten hatte sich gebildet, und überall flatterten die schwarzen Wimpel in den frühen Morgen.

»Wohl,« sagte die Fölke ohne sich zu rühren, »die Deinen sind gekommen. Und hier auf der Burg harrt dein Diener, – dein Bube,« setzte sie spürend hinzu.

Noch immer stand der Riese sprachlos neben ihr. Nur seine Brust dehnte sich weiter, höher – bis zum Zerspringen. Dort unten – sein Schwert, sein Pflug, sein Werkzeug. Hier oben, die Schale, in die sein Gedanke gegossen war, und weit umher unter dem Frührot die zukunftsdampfende Erde.

Mächtig breitete er die Arme, und trunken vor Glück, im Ton des Bräutigams, der endlich die Entschleierte umfängt, jauchzte er:

»Mein – mein.«

III

Weit war schon der Herbst in den Oktober vorgerückt. Aber das Meer trug mit der Flut einen südlichen Wind gegen die Marschen, der duftete den neuen Ansiedlern seltsam nach fremden Blumen und würzigen Kräutern, und tief unter dem hellen Himmel strich Milde und Wärme dahin.

Hungrig öffneten sich die Schollen zur Aufnahme.

Eine Viertelmeile etwa von der Brokeburg entfernt pochte emsiger Hammerschlag. Dort hatte sich der Ire Patrick O'Shallo auf einer Wiesenschwellung und hinter ein paar einsamen Pappeln ein flüchtig Bretterhaus errichtet. Nur leicht und obenhin mit Moos und Schindeln gedeckt. Denn der streifende Geselle kannte noch nicht die Gewalt des Schneesturms, wenn er über die schutzlose Ebene fegt. Nun hämmerte der sangesfreudige Bursche rasch und ungeduldig an einem Holzzaun, damit er sein künftig Gärtlein schützen möge. Waren doch Hühner und Ziegen seines Nachbarn, des Hebräers Isaak, bereits häufig in die abgesteckten Beete eingebrochen, und das wollte der leicht erhitzte Ire nicht leiden. Auch sehnte sich der Blonde Tag und Nacht nach Weib und Ehschaft, kurz nach Wesen, die seines Winks gewärtig ihm billig einen Teil der Arbeit abnehmen sollten. Dazu gehörte aber auch, daß sein Anwesen, das ihm auf unbegreifliche Weise von der Güte dieses mächtigen Anführers zugeteilt war, nicht dem Fußtritt jedes Störers offen stehe. Und daher gedachte sich Patrick O'Shallo keineswegs mit dem Gartenzaun allein zu begnügen, sondern allmählich sollte die ganze Liegenschaft durch Busch und Hackelwerk abgegrenzt werden. Was er mit seinem sauren Schweiß bestellte, dahin brauchte ihm nicht stets der arbeitstolle Jude hineinzutappen, der unheimliche schweigsame Christusmörder, der besessen und wie verfolgt bis in die Nacht hinein pflügte, streute und wühlte, wenn er nicht gleich einem Wurm durch die Erde kroch.

Merkwürdig, der lustige Bursche wußte auch nicht, wie es kam, jedoch er konnte dies unablässige Mühen seines Nachbarn nicht ohne Murren und Zorn mit ansehen. Und seine Vorliebe zu Lust, Spiel oder Feiertag fühlte sich durch das rastlose Wirken des nur auf Zunahme und Erfolg Bedachten zuerst beschämt und dann beleidigt.

So hielt er auch jetzt verärgert mit dem Einrammen der Pfähle inne, wischte sich die rotblonden Haare und stützte sein Kinn ausruhend auf eines der Hölzer. Wahrhaftig, abermals packte ihn der Unmut. Denn nicht weit von seinem Platz sah er den alten Isaak eifrig an einer Rinne graben, die das von ihm bereits umgeworfene Feld entwässern sollte.

Da begann Patrick O'Shallo leise Verwünschungen zu murmeln.

Natürlich, nun würde der niederträchtige Schleicher wieder einen Vorsprung erhalten, denn der Ire hatte an solche Hilfsmittel noch keineswegs gedacht, da er zuerst für einen reichen Tisch und ein recht wohliges Lager sorgen zu müssen glaubte. Zum Henker, er wollte doch ein junges Weib darauf betten? Und nun? Ha, ha, um den alten eisengrauen Maulwurf dort drüben schnupperten noch obendrein ein paar kleine Ferkel herum? Wie kam der Kerl schon wieder zu dem neuen Erwerb? Da sollte doch das böseste Wetter dreinschlagen! Was nützten schließlich das gleich abgesteckte Land oder die gleich abgezählten Gulden, wenn der verfluchte Mauschel dort drüben keinen Schlaf kannte? Keine Weiber, keinen Trunk, kein Spiel und keinen Feiertag? Womöglich würde er, der kräftige, weibverbrannte Geselle, von den Mägden noch verachtet werden, weil er sein Gut nicht ebenso gründlich zu bestellen vermochte wie das graue Schindluder von jenseits!?

Dem Iren hing eine rote Wolke vor den Augen.

»He – du – hilf mir,« schrie er zu dem Spatenschwinger hinüber, denn sein Zorn gab ihm ein, daß den Ansiedlern von dem Admiral gegenseitige Hilfeleistung in allen Fällen und bei jeder Gelegenheit befohlen war. Nur nahm es sich Patrick nicht weiter übel, daß er zwar jene Unterstützung unausgesetzt von dem Alten beanspruchte, hingegen es regelmäßig versäumte, dem Nachbar etwas Ähnliches zu erweisen. Wozu auch? Der Sprenkelbart entstammte dem verstoßenen Volk, und die Mahnung des Störtebeckers von der Bruderschaft aller Sterblichen, sie konnte unmöglich auf den Fremden gemünzt sein.

»He – du – hilf mir,« schrie er noch lauter als zuvor.

Auf den Anruf hob sich über der Rinne ein eisengraues Haupt, folgsam wandelte die breite, untersetzte Gestalt des Hebräers heran. Er stützte sich auf den Spaten, als er den Zaun erreicht hatte.

»Wo fehlt's?« fragte er bereitwillig. »Brauchst du Nägel, Freund?«

Der andere schüttelte heftig den Kopf. Seit sie von dem Schiff herunter waren, störte ihn die Vertraulichkeit der Anrede.

»Sollst mir die Querbalken halten,« forderte er ungebärdig, »das Gebastel geht mir zu langsam.«

Verstehend nickte der Alte, und während er bereits die lange Leiste ergriff, damit sein Gefährte die spitzen Stäbe an ihr festschlagen könnte, da huschte ein dunkles Lächeln unter seinem angeschneiten Bart hervor.

»Kannst es auch nicht mehr erwarten, hier Weib und Kind zu sehen?« murmelte er gepreßt.

Aber dem Burschen entfiel fast der Hammer. Die Vorstellung, auch der gebückte Fünfziger könnte denselben Träumen nachhängen als er selbst, versetzte ihn in eine namenlose Wut.

»Willst etwa auch du, Isaak –?« erkundigte er sich stammelnd.

Sein Helfer jedoch merkte nichts. Mit aller Wucht umklammerte er sein Brett, und tiefgebückt raunte der Jude sein Geständnis in die Erde hinein.

»Doch, doch – einmal wurden sie mir schon genommen – der schwarze Tod und Gewalt. Aber man will doch wissen, für wen man baut. Namentlich wir,« flüsterte er glühenden Auges, »namentlich wir.«

Da schleuderte Patrick seinen Hammer gegen das Brett und stieß auch noch mit dem Fuße dagegen. Der Jude erwachte, er wankte.

»Nun, Gott verdamme dich,« entfesselte sich der Ire dunkelrot und spie aus. »Warum mußt du Beschnittener es hier treiben wie die Kaninchen? Sind nicht genug von euch Krummnasen auf der Welt? Aber du verübst wohl nur die Schachermachei, weil du deinen Nebenmenschen keinen leichten Gewinn gönnst?« Und hohnlachend brach er aus: »Mir scheint, du hast nicht vergessen, wie der Störtebecker solche durch Tod erledigten Gleichestücke zu neuer Austeilung bestimmt hat?«

»Eben – eben,« ereiferte sich Isaak, der die wahren Beweggründe des anderen durchaus nicht enträtselte, »liebe die Erde, die dir gehört. Ein eigen Stück Land – Patrick – o, ein eigen Stück Land, das muß man vererben auf Kind und Kindeskind. Hier, hier, aus diesen Schollen allein seh' ich es wachsen, mein Recht, meine Gleichheit, meine Bruderschaft. Und deshalb« – er richtete seine schwarzen Augen anbetend gegen die ferne Brokeburg, ähnlich wie seine Vorfahren wohl einst ihre Blicke gen Zion erhoben hatten – »deshalb ist der dort oben aus dem Blut des Messias.«

»Ein Quark ist er,« tobte jetzt der Ire, dessen Vernunft völlig in Gift und Galle ertrank, weil er sich zu endlosen Mühen verurteilt fand, die er nicht bewältigen mochte. »Wozu hält der Schelm noch eine Menge der Beute in den Schiffen aufgestapelt, anstatt sie so gleich bis zum letzten Heller unter uns zu verteilen? He, ich will Herr sein gleich anderen Herren! He, verstehst du mich?«

»Bruder,« stotterte der alte Jude betroffen und hob bekümmert die Hände, »bist du denn nicht Herr auf deinem Boden?«

Allein der Streitsüchtige hatte nur noch den einen Wunsch, diesen unbequemen Mahner sowie namentlich den von jenem angebeteten Menschengott niederzuringen und zu besudeln. Vielleicht weil er das Streben und die Andacht der beiden noch nicht begriff. Selbstgefällig steckte er die Hände in die Taschen, und während er seinem Genossen jäh den Rücken wandte, schimpfte er unflätig:

»Meinetwegen friß den geliebten Kot, du demütiger Knecht. Ha, ich sollte nur erst wieder auf den Schiffen stehen, dann wollte ich euch zeigen, wie rasch ich zu Dirnen und Würfelgeld kommen wollt'. Der Gehörnte soll euch Hirneitrige holen.«

 

Damit stürzte er wütig in sein Bretterhaus, und bald verriet ein unsinniges Sägen und Klopfen, wie der Wahnwitzige es abermals versuchte, in rasendem, zwecklos verdampftem Bemühen den Hausrat für das ersehnte Weib zusammenzuschlagen.

Der alte Isaak jedoch umspannte seinen Spaten gewaltsamer, und ihn beschwörend gegen die Burg ausreckend, stammelte er fanatisch:

»Bleib fest, du Sohn Davids, bleib fest.«

In einem der gewölbten Spitzbogenzimmer der Brokefeste durchmaß derweil der Störtebecker mit seinen weiten, beschwingten Tritten den teppichbehängten Raum, und jedesmal, wenn er den derben Eichentisch erreichte, dann fegte er mit der Faust über allerlei Feldabmessungen, die auf der Platte mit Kohle verzeichnet standen. Bis er endlich aufatmend zu seinem Gast, dem Propst Hisko van Emden, hinüberrief:

»Die Erde ist verteilt, genug mein heiliger Freund, laß uns jetzt den Schmutz des Feldes abwaschen! Mir wenigstens stehen Torf und Moor bereits bis an den Hals. Dafür soll uns aber auch gleich ein Wunder von einem Frankenwein erquicken. Munter, wir wollen dem Bacchus eine Messe zelebrieren.«

Aufgeräumt eilte er bis zur Tür, um einen Befehl herauszurufen.

»Laudabiliter15 schmunzelte der Dicke, der enggezwängt in seinem Armstuhl hing und sich nun erwartungsvoll über die wulstigen Lippen strich. »Du hast recht, schöner Jüngling. Sine Cere et libero friget Venus16.« Allein, plötzlich besann er sich, denn der zweite Gast am Tisch des Admirals, ein käsig gelber, langaufgeschossener Mensch, dem als einziges Zeichen des Lebens nur eine glühende Trinkernase aus dem Gesicht funkelte, er hatte sich eben verstohlen geräuspert, so daß Probst Hisko aufmerksam wurde. Schwerfällig und ermüdet streckte der Dicke beide Beine von sich. »Verzeih noch ein Weilchen, Herrlicher,« forderte er den rückkehrenden Störtebecker auf, »aber da du vor allem ein Vater der Deinen bist, so mußt du vor eigener Letzung, so beschwerlich es ist, mit anhören, was dir mein Converse,17 der Jonkher van Sissinga, über die Roggensaat anzuvertrauen hat.«

»Schon wieder?«

Unmutig verzog der Freibeuter die Brauen. Seine heitere, nach Lebenslust und Freude langende Natur vertrug nur ungern den ewigen Ansturm dieser kleinen zermürbenden Sorgen. Ja, wenn es galt, das große, strahlende Gesetz in die Luft zu zeichnen, oder sobald es nötig wurde, hinauszureiten, um der fronenden Menge ein hinreißend Beispiel zu geben, dann schlug aus dem Lodernden die Flamme himmelwärts. Das sorgsame Vormerken hingegen, das Gegeneinanderabwiegen und Berechnen alltäglich sich wiederholender Wirtschaftsforderungen, das dünkte den Weitausschweifenden kleinlich, und er fluchte oft, warum er sich dazu nicht eine Herde Krämer oder Handelsdiener eingefangen hätte.

»Heraus damit,« fuhr er daher den käsigen Jonkher nicht gerade liebreich an. »Soll ich aus der Kammer des Herrn Propst etwa noch mehr Roggensaat kaufen? Mich dünkt, ich könnte mit dem vorhandenen bereits das ganze heilige römische Reich in einen Mehlbrei wandeln.«

»Langt nicht,« sagte der Sissinga, ohne sich zu rühren, allein er holte den Satz aus solch dunklen Kellertiefen, daß kein Fremder diese dröhnende Totenglocke in dem wackligen Gebäude vermutet hätte. Der Störtebecker schüttelte heftig das Haupt, halb über den unerwarteten Ton, halb im aufspringenden Zorn über die stets erneute Quälerei der beiden.

»Langt nicht,« fiel in diesem Augenblick auch der Emdener Wanst ein, der die Zeit für gekommen erachtete, die Veranstaltungen seines Conversen zu unterstützen. Der Riese jedoch, der sich eingeengt sah, riß an seiner rotseidenen Schecke, daß alle Nähte krachten und schlug ein böses Gelächter auf. Dann stellte er sich unter das Bogenfenster, von wo er die abgetakelten Schiffe im Hafen überschauen konnte, bis er endlich verächtlich über die Schulter schleuderte:

»Macht's kurz! Der römische Wolf frißt am liebsten aus anderer Taschen. Aber bei den dreißig Silberlingen des Judas, ihr Herren, ich schlage ihm auf die Schnauze, sobald er mir gar zu gefräßig schnuppert.«

Die beiden anderen am Tisch verständigten sich hinter seinem Rücken durch einen raschen Blick. Gleich darauf begann die Totenglocke abermals zu jammern:

»Du tust uns unrecht, Herrlicher, da du dich vielmehr selbst anklagen solltest. Muß ich dir sagen, die Deinen verstehen nichts von Landwirtschaft?«

»Recte«, bestätigte Hisko, da in ihm die Hitze sowie die Überlegenheit des kundigen Ackermannes erwachte, »die Buschklepper – verzeihe – ich meine die Ansiedler, wissen nicht mit der Wurfschaufel umzugehen. Dadurch streuen sie die Körner nur obenhin in die Furchen, so daß es ein Jammer ist.«

»Und der rauhe Wind und die Feldmäuse vollenden das übrige,« ergänzte der Sissinga.

Verbissen wandte sich der Störtebecker wieder an den Tisch. Allein kaum hatte er ihn erreicht, so stieß er mit dem Fuß gegen die Querleisten, daß das Holz zitterte und stöhnte.

»Kommt zum Geschäft, ihr Edlen,« meinte er äußerlich gelassen, im Innern aber bereits wütend, weil die beiden Berufsmenschen es wagen durften, ihn ungestraft schrauben und übervorteilen zu wollen. »Wo bleibt der Handel? Wie verhält es sich mit dem Gewinnst? Was wollt ihr in euren Beutel streichen?«

Vorwurfsvoll schluckte der Jonkher noch ein paarmal, bevor er endlich in seinem ehrbarsten Baß auseinandersetzte, er wüßte an der holländischen Küste einen Platz, wo der Störtebecker drei Schiffslasten Roggensaat, und zwar viel wohlfeiler als im Brokmerland einhandeln könnte. »Und ich rate aus ehrlichem Gemüt – «

»Einverstanden,« winkte der Admiral ungeduldig mit beiden Händen, der sich inzwischen auf einen Stuhl geworfen hatte und voll Erleichterung den Ausweg aus diesem zerklüfteten Gebiet sich öffnen sah. »Wozu das lange Geplärre? Könntest schon längst beim Wichmann im Hafen sein. Soll sogleich mit drei Schiffen absegeln. Und das Geld – « er schleuderte das Unwillkommenste wie einen Stein von sich – »laß dir von Licinius zahlen.«

»Deine Weisheit trifft immer das Rechte,« verabschiedete sich der Converse unter einer tiefen Neigung und ging.

Der Wirt blieb mit seinem geistlichen Freunde allein. Bald ging das dumpfe Scharren der Weinhumpen über den Tisch, ja, der Freibeuter, in einem Anfall unbegründeter und deshalb um so grellerer Heiterkeit, schlug während des Zechens einen hellen Singsang an. Doch merkwürdig, es war das alte, tumultuarische und sinnenfreudige Schuimerlied, das die freiesten und sonnigsten Tage des Seehelden begleitet hatte.

»Vom Mast die schwarzen Flaggen wehn –

Der Störtebecker ist Kapitän.«

Warm und voll füllte die Stimme des Admirals den gewölbten Raum, das Lied schien ihn auf das Meer zurückzuführen, scharf zeichnete sich in dem schmalen Antlitz die Wollust des Befehlens ab, allein allmählich verebbten die Strophen immer klangloser, und während sie völlig erstarben, ließ der Freibeuter die Faust mit dem Becher bis auf die Erde sinken. Ein unsicheres Lächeln irrte um den gebieterischen Mund.

»Wundersam,« sann er gedankenvoll, und in den schwarzen Augen spielte noch die Freude an alten Abenteuern, Ruhm und Waffenklirren. »Ich singe, und am Kiel der ‘Agile’ nisten allmählich Muscheln und anderes Schalgetier.« Er rüttelte an dem Tisch, als wollte er sich erwecken. »Ein Leben lang bin ich auf diese Küste zugesegelt,« sprach er hart und fest, »und jetzt bin ich hier.«

Eine Weile stockte die Unterhaltung der beiden und ging völlig in Stille unter. Friedlich kringelten die Sonnenstrahlen über die Zeichnungen auf dem Tische.

Der geistliche Landwirt aber wußte, was dies alles bedeutete. Zu oft hatte er schon Gutsherren beobachtet, die heil und fröhlich von Jagd und Kriegszügen gekommen waren, aber Pflug und Sense hatten ihnen die Adern zerschnitten.

Bedachtsam strich er sich über das lederne Jägerwams, drückte die verschwollenen Äuglein zu, da er seine Kenntnis nicht vorzeitig zu verraten strebte, und indem er sich noch behaglicher ausstreckte, tastete er vorsichtig weiter:

»Höre, mein Söhnlein, auf dem Wege hierher traf ich die schöne Occa. Mag sie nicht mitsamt ihrer rosigen Haut. Ist ein ungestillt Eichkätzlein, das gern ein groß Tier in seinem Gezweig ergattern möchte. Gib acht.«

Auf diese Warnung jedoch warf der Admiral hoffärtig den Kopf zur Seite und schlug mit der Hand durch die Luft wie jemand, der ein gespenstisch aus dem Boden wachsendes Schattenbild zerstören möchte.

»Was ist mit ihr?« drängte er abgeneigt und mit solch widerwilliger Gegenwehr, daß der schlaue Hisko sogleich merkte, wie oft die Goldblonde schon als ein Alp an den Tagen des Riesen gezehrt haben müsse.

»O, sie läßt dich nur in aller Ehrbarkeit befragen,« murmelte der Dicke in seinen Krug hinein, »wie lange es noch währen möchte, bis du endlich Fortuna für dich und die Deinen am Schopf gepackt hieltest?«

Selbst in der Wiedergabe des Dicken klang die Bestellung boshaft genug. Und trotz aller Vorsicht konnte es der Propst nicht vermeiden, daß aus seinen verschwollenen Äuglein gleichfalls ein Strahl mitleidigen Spottes schielte. Allein der Störtebecker war nicht zu täuschen. Längst hatte sein heller Verstand durchschaut, wie der Unglaube seiner Umgebung ihm am liebsten täglich, stündlich vergiftete Stacheln ins warme Herz gedrückt hätte. Dafür freilich spie der Riese nichts so voller Ekel aus wie den lauen Tag- und Nachttrunk dieser Ewignüchternen. Krachend warf sich der Seefahrer in seinem Sessel zurück, und nun schwang er seinen Humpen so übertrieben gegen den Gefährten, daß man hätte meinen mögen, er wolle das Gerät an der nächsten Wand zerschmettern.

»Komm, laß dich noch einmal auffüllen, du mein gesegneter Bauch,« so überbot er sogar die an ihm gewohnte Wildheit und lachte und dröhnte dazu, daß dem erschreckten Hörer die Ohren gellten. »Eile, du verdienst dir ein Botengeld, Würdigster, wenn du noch heute der schönen Occa samt ihren Freunden bestellst, in welch vortrefflichem Zustand du mich bei Trunk und Gesang getroffen. An den Wänden der Brokeburg niste bereits der Weinschwamm. Hörst du? Es wird sie freuen, die Liebreichen, ich kenne sie. Und sage ihnen auch, welch merkwürdige Art von Augen mir im Kopfe steckten. Ha – ha, die vermöchten Wachstum und Blüte zu schauen, selbst wenn der Schaft noch tief in der Erde schlummere. Begreifst du, Bruderherz, ist solch ein Schalksnarrenstück, wie es die Gaukler auf den Märkten preisen!? Und zum Schluß, ganz ledern und nebenbei gesprochen – jed' gut Ding will Weile haben. Und dein Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Du verstehst, Freund, der gewöhnliche Hafer, wie ihn die Mähren an den Krippen kauen.«

Mit einem dumpfen Schlag, als habe der Freibeuter schon zu lange an sich gehalten, sauste der Humpen jetzt wirklich gegen die Wand, Scherben polterten an der Mauer nieder und ein wüster Regen edlen Weines klatschte auf die beiden herab.

Da entsetzte sich der Propst und duckte sich tief.

»War nicht bös gemeint,« wollte er sich schütteln. Allein auch diese kümmerliche Entschuldigung gedieh nicht zu Ende, denn die Tür ward aufgerissen und auf der Schwelle zeigte sich der Knabe des Admirals. Bleicher noch als sonst stach das vergeistigte, jetzt ganz von einer zehrenden Leidenschaft erfüllte Antlitz von der schwarzen Dänentracht ab.

»Licinius,« fuhr der Störtebecker empor, denn die Gegenwart dieses Wesens rief ihn stets und wie durch Zwang zu seinen reineren Eingebungen zurück, »was bringst du?«

Auf den Anruf stillte der Jüngling das rasche Wallen seiner Brust, nur ganz wenig stützte er sich an dem Pfosten des Eingangs, bevor er zwischen Empörung und Hilferuf hervorstieß:

»Herr, es ist Übles geschehen. Als ich, wie du befahlst, die Lebensmittel zu den Ansiedlern fuhr, da fand ich, daß zwei unserer Seeleute, der schmächtige Arnold Frowein und der Stotterer Lubbert Onderdonk, ihr Gleichestück dem Bootsmann Wulf Wulflam verschrieben hatten. Sie sagen, sie wollten lieber eines kundigen Mannes Knecht sein, als noch länger hungrig und ziellos auf Eigenem sitzen. Herr, Herr, wie ist das zu verstehen?«

 

»Ei der Tausend,« wiegte der alte Propst in behaglicher Anteilnahme das Haupt. »Non omnia possumus omnes.«18

Langsam schritt die aufgerichtete Gestalt des Freibeuters an die Seite des Pfaffen. Geraume Zeit sprach er kein Wort. Auch täuschten sich die beiden Zeugen, wenn sie erwarteten, eine Sturmflut von Zorn und Wildheit würde nun die letzten Reste der Selbstbeherrschung von dem Zügellosen fortreißen. Nein, es war nur jenes bittere, eisigkalte Erbarmen mit menschlicher Verkehrtheit, das sein Antlitz in fahle Blässe tauchte, obwohl er solche Verirrten seit seiner Jugend überall gefunden und mit ihnen gerechnet hatte.

Jetzt aber bäumten sie sich vor seinem letzten Ziel, vor dem Zweck seiner Sendung.

Lastend ließ er seine Hand auf die Schulter des Dicken sinken, so daß der Propst noch tiefer in den Sessel einbrach, bevor er kurz, abgehackt und voll vernichtender Anklage sprach:

»Ihr habt redlich gewaltet auf Erden. Meinst du, es ginge noch viel tiefer bergab mit den Ebenbildern Gottes? Jahrhundertelang habt ihr ihnen die Knechtschaft eingelöffelt, bis sich jetzt ihr Magen an der Freiheit erbricht. Darum Schande über euch, weil nun sogar der Arzt jene Gequälten zu ihrer Heilung schlagen und züchtigen muß. Weh euch aber, wehe, sobald der Tag erscheint, an dem ihr selbst den Trank schlingen müßt, den ihr gebraut. Ihr werdet daran sterben.«

Finster winkte er dem Knaben, und Hisko, der sich benommen auf die Fensterbank stützte, sah mit an, wie Herr und Diener kopfüber die Warfe hinabjagten.

Die Zeit verstrich, Schneeflocken wirbelten über das flache Land, pralle, gemästete Leiber, die wie weiße Vögel über Felder und Dächer herfielen.

»Ich wollte, man könnte euch schlachten,« sprach der Steuermann Lüdeke Roloff, der frierend und beschäftigungslos unter den Pfosten seiner baufälligen Schindelhütte lehnte, und er drehte seine verkehrten Augensterne grimmig gegen das Gewimmel. Seit man ihn in seiner mecklenburgischen Heimat zum Ergötzen der Edelfrau zu abscheulichem Tanz gezwungen, mochte der Mann keinerlei Reigen mehr dulden. »Kreiselt nicht,« dampfte er in die Kälte hinaus. »Fliegt lieber in meinen Topf und werdet Hühner. Seit zwei Tagen ist der Bube des Admirals – seine Buhldirne – wieder nicht mit dem Futter für Vieh und Mensch dagewesen. Und die friesischen Schwarzröhren in der Nachbarschaft wollen nichts mehr verkaufen. Fürchtet zu verhungern, das hartherzige Pack.« Er griff sich an die Kehle, denn der Schauder wollte ihm die Zunge lähmen. »Wozu hat uns der Störtebecker hierher geschleppt?« bohrte er in sich hinein. »Was nützt mir der Haufe Sand, wenn er mich ausmergelt und doch nichts hergeben wird? Tod und Teufel, der Rotseidene auf der Brokeburg ist auch weiter nichts als solch ein Zwingherr. Frißt und säuft und läßt uns tanzen. Überall stecken sie. Aber bei allen Nothelfern, man wird's wenden müssen, wenden – wenden!«

Längst waren die Schiffe im Hafen vereist, das Brokmerland erstarrte allmählich unter der schneidenden Kälte, und die dürftigen Häuschen der Ansiedler verkrochen sich im Schnee, wie Bettelbuben unter einem Schaffell. Tagelang kräuselte sich aus den versunkenen Essen kein Rauch, denn es wurde schwer und schwerer, den Kolonisten Kost und Unterhalt zuzuführen.

Aus der Stille, aus der oft schmerzhaften Todesruhe der Ebene, die zu dem heimlich rauschenden Fieber in seinen Adern einen unerträglichen Gegensatz bildete, rettete sich der Störtebecker an solchen Tagen häufig zu seinen Schiffen im Hafen. Zu der großen hölzernen Herde, zu den geflügelten Rossen, die sich sonst auf seinen Wink munter um ihn getummelt hatten. Nun lagen sie festgefroren, gefangen, beinahe wie er selbst.

Dann suchte der Rastlose, jetzt stets von einer bohrenden Sorge Umhergetriebene, in seinen friesischen Schafpelz vermummt, das Admiralschiff auf, wo seit langem der kleine Wichmann über die spärlichen Wachmannschaften das Kommando führte. Seltsam, dieser zurückgelassene Rest seiner alten Schuimer war der einzig zuverlässige Stamm der einst gefürchteten Freibeutermacht geblieben, und er wurde von dem Zwerg ohne große Worte und wie von selbst in scharfer Manneszucht gehalten. Über den Störtebecker kam während solcher Wahrnehmung häufig ein bitteres Wundern. Was geschah hier? Das gewohnte Handwerk, das nachdenkenlose Unterwerfen unter ein eisernes Gesetz, das keine Gnade kannte und den Willen der einzelnen ausschaltete, es schmiedete diese Menschen zu einem brauchbaren Werkzeug, es erfüllte sie sogar mit einem ausgeprägten Stolz auf ihren Beruf, während die anderen, die Befreiten, die Glücklichen –?

Unmutig, verängstigt schüttelte sich der Riese. Er stäubte sich natürlich nur die Schneeflocken ab, und doch blickte er sich, während er über die breite Schiffstreppe stieg, mißtrauisch um, ob auch kein Späher beobachtete, was er sonst noch etwa von sich abzuschleudern strebte.

Durch die hohen Fensterluken der »Agile« träumte ein weißer Widerschein der umlagernden Schneemassen. Dadurch empfingen auch die Wirkereien an den Wänden ein geisterhaft schwebendes Leben. Mitten in dem Prunk dieses fürstlichen Raumes lag der kleine Wichmann auf einem Ruhepolster und ließ bei dem bekannten federnden Tritt seines Zöglings ein paar mächtig geschnitzte Holzdeckel sinken. Es war eine Abschrift des Seneka, auch ein Beutestück aus der Reisebibliothek des Bischofs von Strängnäs. Eine Weile musterte der Zwerg den hochgewachsenen Besuch, sich langsam aufrichtend, mit seinen zwiefarbigen Augen, denn der andere schaute sich in dem wohlbekannten Saale so heimgekehrt, so besitztrunken um, als ob diese farbenfrohe Schöpfung ihm eben erst aus Wunsch und Willen entsprungen wäre.

»Nun, alle neun Musen küssen dich, Magister,« so grüßte der Riese, durch den Anblick erwärmt, seinen ehemaligen Lehrer und schleuderte während des Auf- und Niederschreitens den unbequemen Schafpelz auf den Laternentisch. »He, sag an, du auserwählter Genießer, wie nistet sich's in meinem Nest, unter meinen Büchern und bei meinem Wein?«

Der Kleine dehnte sich behaglich und verschränkte die Hände über dem leicht ergrauten Haar.

»Ich bin es gewohnt, auf anderer Kosten zu leben,« versetzte er, indem er seelenruhig die Täfelung der Decke studierte, »nur fehlt mir hier, was auch die Nächte zum Kampf und die Tage vergnüglich und eilfertig macht.«

Es war die alte leichtblütige Weise, die sonst aus dem Lebenssturm des Störtebeckers gewiß Bündel von Blitz und Funken geweckt hätte. Heute aber zuckte er hoffärtig die Achseln. Und da er gerade vor der Pfanne mit brennendem Torf hielt, durch die der Raum erwärmt wurde, so streckte er die Hände über die Glut und murmelte in sich hinein:

»Speist du noch immer in den Brand und meinst, du wirst ihn löschen? Tor, segne du wenigstens meine Flamme, solange sie noch brennt.«

Noch nie hatte der Kleine von dem fortreitenden Menschen, über dem stets Erfüllung und Vollendung schwebten, einen Zweifel oder gar eine Klage vernommen. Deshalb wurde der Zwerg durch das unvermutet offenbarte Schwanken des selbstsicheren Führers so von Grund aus überrascht, daß er katzenhaft aufschnellte, um nun den Abgewandten in hoher Neugier zu durchdringen. Aber es war nicht die besorgte Teilnahme eines Freundes als weit eher die Spannung eines Alchimisten, der gefesselt und angelockt die Entwicklung seiner eigenen Künste abwartet.

»Ehernes Gefäß des Weltwillens,« sammelte er sich endlich, und seine hohe Knabenstimme tönte so sanft wie je zuvor, »verleugne nicht die wonnigste der Lehren deines Meisters. Was raunst du von Tropfen, wo doch nur ein schwellend Bad die Geister des Homo supra hominem19 erquicken kann? Mich dünkt, ich hätte läuten hören, die schöne Occa wolle dir dies edelste aller Elixiere reichen!?«

Jetzt rückte der Störtebecker die Glutpfanne geräuschvoll hin und her. Verdüstert, mit weit aufgerissenen Augen starrte er dabei in den Brand.

»Bleib mir mit den Kindereien vom Leibe, Heino,« forderte er heftig, »die Zeit kennt Höheres. Und doch – will's nicht verschwören, schaff mir den kecken Spatz ins Nest, und er soll eine weiche Daunenstatt finden.«

Geringschätzig bewegte er die Hand, man sah ihm an, daß er nicht zum Scherzen aufgelegt war. Der Magister verzog den weichen Mund:

»So zahm ist mein Büblein worden?« sank er verwundert und ein bißchen höhnisch zurück. »Wo mangelt's noch? Wollen sich die neuen Erdklöße von den Prometheushänden nicht formen lassen?«

15Lobenswert.
16Ohne Speise und Trank friert die Liebe.
17Conversen waren in Friesland Hofmeier und landwirschaftliche Berater der kolonisierenden Klöster, ein halbmönchischer Laienstand.
18Nicht jeder kann alles.
19Des Übermenschen. Ein Ausdruck des Seneca.