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Claus Störtebecker

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»Ei, sieh da, du heilloses Weib,« so sprang der junge Folkmar Allena wütend auf die Estrade, um der Hausherrin beinahe die Faust unter die Nase zu setzen, »auf welchen Schleichwegen bist du wieder betroffen? Hat dein Gespons noch nicht genug Raub heimgebracht? Oder meinst du, wir anderen errieten deine Pfiffe und Schliche nicht?«

Die Quade aber blieb stockgerade sitzen; verächtlich schlug sie nur mit der Hand nach dem Erhitzten, wie wenn sie eine aufdringliche Fliege scheuchen müßte.

»Spare deinen Witz, Folkmar Allena,« riet sie starr und bissig. »Verschleudere ihn nicht, mein Bürschlein, so töricht wie dein Hausgut. Du wirst ihn heute noch brauchen.«

Es mußte eine treffsichere Bosheit in dieser Abwehr enthalten sein, denn der schlanke Junker stotterte plötzlich vor Verlegenheit, während seine Genossen ein helles Gelächter aufschlugen. Wußte man doch allgemein, daß Folkmar Allena zu jenem Schwarm berückter und zu jeder Torheit entschlossener Männer gehörte, die hinter der goldblonden jungverheirateten Occa herpirschten wie hinter einem flüchtigen Wild.

Bestürzt, mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Schöne, die heute von ihm nicht viel zu merken schien, drängte sich der Allena in die Schar der laut verhandelnden Edelinge zurück. Statt seiner aber löste sich jetzt eine andere Gestalt aus ihrem Kreis. Ein starker, schwerfälliger Mann im ledernen Jägerwams, über das er jedoch merkwürdigerweise ein zerdrücktes Bischofsmäntelchen geworfen hatte. Ein pfiffiges Lachen auf den braungesonnten, bartlosen Landwirtszügen, hinkte er heran, da er auf der Sauhatz soeben erst einen schmerzhaften Sturz getan, und legte nun dem Störtebecker vertraulich die Hand auf die Schulter. Wie nebenher versuchte er sodann mit der anderen das Zeichen des Segens zu spenden. Allein, da der Seefahrer ablehnend auswich, beschwichtigte Propst Hisko van Emden die Abneigung des Fremden ganz gemütlich, indem er selbst eine wegwerfende Geste ausführte.

»Salve Care,« begann er mit einem belegten Trinkerbaß, denn dieser emsige Landwirt liebte es, gleich bei der ersten Bekanntschaft die wenigen lateinischen Brocken, die er irgendwo aufgelesen, wieder zu verausgaben. »Willkommen, Claus Störtebecker. Bist ein toller Christ. Gib mir deine Hand. Hab mich immer über deine Streiche gefreut. Bei der heiligen Dreifaltigkeit, es tut wohl, daß endlich eine starke Seemacht in unsere Häfen einläuft.«

»Hütet euch,« schnarrte der steife hochmütige Enno von Norden dazwischen, der seine Umgebung durch eine beschränkte Frömmigkeit peinigte, und er pfiff seine Worte beinahe durch eine dummgerade Nase: »Denkt an die Suppe, die er den Bergenern angebrüht! Wie wollt ihr euch schützen, wenn euch von dem Seedieb das gleiche widerführe?«

»Vermaledeit, das wäre uns ein sauberer Gast,« stimmten ein paar der kleinen Burgherren zu, denn die kriegsgeübten Scharen des Schuimers erregten in ihnen ein Grauen. »Wer bürgt für den Brandstifter?« eiferten sie, stampften mit ihren schweren Holzschuhen auf den Estrich und spien breitbeinig vor sich nieder auf den Holzboden. »Wer hat hier heimliche Verträge mit ihm geschlossen?«

Da warf der Propst die fleischigen Hände in die Höhe.

»Ihr boves malefici,« sprudelte er, indem ihm vor Aufregung der Bauch über den Gürtel quoll, und dabei schüttelte der wuchtige Jäger den Wulst seines ihm über die Stirn fallenden ungekämmten Haares erbost hin und her. »Störtebecker, mein edler Freund,« warf er über seine schmatzenden Genießerlippen, »du siehst, tot homines, tot sententiae – soviel Menschen, soviel Meinungen. Halte dich daher an mich. Ich sehe dich an mit den Augen der verstehenden Weltkirche. Jawohl, hol mich der Teufel, das tue ich. Und meine kluge Freundin, die Fölke, denkt gerade so. Hast den Bergenern eingeheizt? Habeat sibi – meinetwegen – vielleicht warst du ein Werkzeug der Gerechtigkeit. Was wissen wir von so fernen Dingen? Hierher, nach Friesland, kommst du dagegen mit wohlgefüllten Truhen – wir werden schon auf dich aufpassen – kommst um commercium et connubium. Eröffne mir daher, mein lieber Sohn, was bietest du uns? Denn die Freundschaft der Menschen will erworben werden?«

»Beim Schinder,« sprang der wilde Folkmar Allena mit geballten Fäusten wieder hervor, »möchten die Fetthälse wieder alles allein in ihren Schlund schütten? Der Schuimer soll endlich das Maul auftun! Was glotzt er uns an, als wären wir seine Schalksnarren?«

»Gebt Ruhe,« tönte hier plötzlich die grobe Männerstimme der Fölke.

Der verworrene Tumult legte sich, allen war dieser kratzende Ton in die Glieder gefahren. Zusammengeduckt, grau und unscheinbar hockte die Kröte bewegungslos auf ihrem Regentensitz, nur ihre brandigroten Augen liefen befriedigt von einem zum anderen, da es schließlich mehr Genuß versprach, wenn man von dem riesigen Menschen erst jeden Vorteil erpreßte, bevor man ihn aushöhlte und niederstürzte.

»Tritt näher, Störtebecker,« befahl sie deshalb unbewegt und legte die Hand hinter das rechte Ohr, das wächsern unter dem Ausschnitt der gelben Kappe hervorstach. »Tritt näher, damit ich dich jetzt vernünftig und vor aller Welt nach deinen Absichten befrage.«

»Recte,« rieb sich Propst Hisko eifrig die Hände und humpelte, um den anderen ein Beispiel zu geben, unverzüglich auf die lange Bank zurück. »Folgt der Quade, ihr edlen Herren, sie ist eine kluge Frau.«

Geräuschvoll, mit ihren Holzschuhen stampfend zogen die Junker auf ihre Sitze, rekelten sich, jeder nach seiner Weise, auf das glatt gescheuerte Brett, die einen rittlings, die anderen, indem sie beide Beine weit in den Saal streckten, bis von allen Seiten ein Rufen durch ihre Reihen ging:

»Macht ein Ende, damit wir zum Nachtimbiß kommen.«

Giftigsüß greinte die Quade. Sie wußte, wie schmal es bei ihr zuging. Auch war es ein entzückendes Vergnügen, wie spöttisch und hochmütig der Mensch in dem blauen Wappenrock bisher ihre lieben Nachbarn behandelt hatte. Nur durch eines wurde sie selbst in Verlegenheit gesetzt. Warum mochte wohl der Fremde seine großen schwarzen Augen so begehrlich über das Haupt der Fölke hinweg auf die hintersten Deckenbohlen des Saales richten? Flammend, schwärmerisch züngelte es dann aus den unheimlichen branderfüllten Sternen, und so zwingend war die Kraft dieses Blickes, daß sich die Hausherrin nach vergeblichem Widerstand selbst umwenden mußte, um verständnislos die geborstenen Balken am Saalende zu mustern.

Nichts!

Nur ein paar lange Spinnweben schaukelten dort, getrieben von der Flamme der Fackeln. Seltsam, was suchte der mächtige Geselle dort, warum vergaffte er sich nicht lieber in ihre lüsterne Tochter?

Dort hinten aber in Dämmer und Dunkelheit tanzten die ungestümen Wünsche des herumgetriebenen Mannes. Wuchtig fühlte er seine Pulse hämmern, schmerzhaft fast dehnte sich die breite Brust, denn er stand nur noch einen Schritt vom Ziel. Dort oben drängte sich ein Getümmel unwesenhafter, gebückter, gestriemter Leiber, schwielige Fäuste streckten sich nach ihm aus, heisere, gequälte Stimmen riefen ihm zu, lauter und lauter, ohne sich übertönen zu lassen:

»Gib uns – gib uns, was uns gebührt.«

Unwillig warf der Riese die Hand gegen den Raum, denn selbst von seinen Hirngespinsten war der Herrschsüchtige nicht gewohnt, sich drängen zu lassen. Dann aber schüttelte er aufatmend die Schatten von sich und trat dicht vor den Stuhl der Fölke hin.

»Was willst du wissen?« rief er ohne Rücksicht. »Denn beim Henker, es fehlt nur noch, daß ihr mir ein Armsünderbänklein hinsetzt.«

»Friede, Friede, mein Sohn,« murmelte der Propst besorgt und kreiselte auf seinem schmerzenden Knie herum.

»So sage mir zuerst,« begann die Fölke, sich auf ihr übergeschlagenes Bein stützend, »warum liefst du allein und ungeleitet in unseren Hafen? Wo blieben deine Genossen? Der Wichmann, der Michael und der Wichbold? Und wo liegen deine übrigen Schiffe?«

Da lachte der Störtebecker und schlug sich auf die Brust. »Alte,« gab er getrost zur Antwort, »der Fuchs ist dir zu schlau. Die Meinen werden kommen, sobald ihr mir diesen Fetzen mit Eid und Siegel behängt habt.«

»Bene optime,« lobte der Propst voller Bewunderung und blickte sich, Beifall heischend, im Kreise um. Allein unter den Hörern entstand von neuem drohendes Gezänk.

»Still,« verwies die Fölke, die sich nicht rührte, »dies verstehe ich, Störtebecker. Doch nun das Wichtigste. Du willst Land von uns erwerben. Gesetzt, wir wollten dir willfährig sein, was gedenkst du mit den Gütern zu beginnen?«

Jetzt sprangen die Edelinge wieder von ihren Sitzen, denn der Kern der Verhandlungen schälte sich bloß.

»Er soll gleichmäßig von uns kaufen,« schrien sie.

»Darauf kommt es nicht an,« sprach die Fölke in den Lärm hinein.

»Doch – doch.«

»Achtet auf die Quade,« schimpfte der wilde Allena, »die Hexe betrügt uns.«

»Was willst du mit den vielen Jochen anfangen?« wiederholte die Hausherrin kaltblütig.

Mit einem Satz sprang der Störtebecker zu ihr in die Höhe, und während er heftig an der Lehne ihres Sitzes rüttelte, da quollen hinten aus dem Pechqualm abermals die ungezählten Scharen hervor, Kopf an Kopf, Hand in Hand, tausend unglückliche Augen starrten ihn an, und aus dem Geistersturm schallte es: »Du Menschensohn, du Sohn armer Leute, jetzt gib uns Brot und Kleider und ein Menschenlos.«

Ungestüme, ihn schüttelnde Wut packte den Besessenen, jener nicht zu bändigende Zorn gegen die Unterdrücker und Mächtigen, die nach seiner Meinung das Elend in der Welt festhielten, damit es ihnen Vorteil brächte. Da stürzte fast gegen seinen Willen die Schranke vor seinen mißtrauisch behüteten Schätzen zusammen, zu Streit und Angriff streckte sich der Riese, und als wirbelnde Wurfgeschosse schleuderte er seine geistigen Kleinodien wütend, hohnlachend unter seine betroffenen Zuhörer. Freiheit mußte wohl sein schäumender Mund gebrüllt haben, gleiche Landteilung, aus der Mitte der Gemeinschaft geborenes, allen erlangbares Recht, »und vor allem, ihr Schinder, ihr Landjäger, ihr Händler mit Menschenfleisch, die Glückseligkeit einer beruhigten Brüderschar.« Blind rasten Traum und Wirklichkeit um sein Haupt, er schrie und tobte gegen die von der Decke stierenden Hungergesichter sowie gegen jene breitbeinig ihn umdrängenden Zwingherren. Doch nur zwei Frauen empfanden in dieser Versammlung erdgebundener, habsüchtiger Menschen die Schönheit, die aus der Vermischung von streitbarer Tatkraft und wilder Schwärmerei über den Einsamen ausgegossen wurde. Die eine im Knabengewand faltete krampfhaft ihre Hände um den Goldhelm, den sie für ihren Gebieter bewahrte, und preßte ihre Brust gegen das Metall, als müsse sie ihr glühend Herz für immer in die unempfindliche Härte einschmelzen. Die andere, die gesündere und blühendere, lehnte genießend ihr Haupt unter dem roten Haarnetz zurück, ein glühend Schlänglein, lief ihre Zunge zwischen den Lippen, und ihr schlanker, ungekühlter Leib hob sich ahnungsvoll und gewiß dem Glänzenden entgegen. Auch sie hungerte nach Besitz und Gewinn, doch sie wollte dabei unendlich viel mehr einhandeln als selbst ihre geizige Mutter, sie wollte die heimliche unbekannte Lust der Hingebung und dafür die Macht über den ganzen Mann. Wie aber wirkte das tolle herausfordernde Gestammel, der nie vorher vernommene Schrei nach Selbstbescheiden und Einordnung auf die besitzstolzen Häuptlinge? Zuerst suchten die Grundherren, die eben drauf und dran waren, jene tölpelhafte Freiheit ihrer eigenen ortsangesessenen Bauern durch allerlei listige Künste, wie Borg, Auskauf und Pfändung, in straffe Gefolgschaft zu verwandeln, zuerst suchten sie ihre eigene vollständige Begriffsarmut auch den anderen von den offenen Mäulern abzulesen.

 

Wie? Was? Faselei! – Was wollte der Hundsfott, der fahrende Sonnenbruder, der gestern noch den Leuten die Taschen abschnitt, wo er nur konnte? Gleichen Besitz? Der ungewaschene Haufe sollte keine Edelinge mehr über sich tragen? Hast du's gehört, Allena? Welche Büberei versteckt der Galgenvogel wohl dahinter? Meint die Schwarzflagge etwa, hier Schindluder mit uns treiben zu können?

Und die erste Verblüffung löste sich in ein schallendes Gelächter. Sie schlugen sich die Seiten, stießen einander in die Rippen, blinzelten sich aus sonnengebräunten Bauerngesichtern verschmitzt ihr Einverständnis zu, trampelten mit den Holzschuhen, ja selbst Hisko, der Propst, der in den Marschen ein Muster der Wirtschaft abgab, er humpelte schluckend hinter den verrückten Gleichebeuter und hieb ihm dort auf die Schulter, daß es krachte.

»Geliebter Freund,« platzte es über die dicken Lippen, »welch ein windiges Schiffermärchen hast du uns hier soeben aufgetischt? Nicht wahr, Fölke, was meinst du? Ja, wir sind einfältig, animae stultae, piaeque, aber man darf uns doch nicht gar zu sehr unter dem Preis einschätzen! Du willst für dich selbst nichts? Alles für die Deinen? – «

Unten die Junker wieherten vor Vergnügen und Besserwissen.

»Nun gut, gut,« keuchte Hisko kurzatmig weiter, zog das Bischofsmäntelchen vor und schneuzte sich damit die Nase, »du kennst die Gauklerkniffe, hast den steifen Böcken, den Hamburgern, manch Faß und manchen Ballen damit abgejagt. Aber jetzt sprich, mein Söhnlein, was du etwa noch im Ernste für deine Sache anführen magst?«

»Ha – ha – im Ernst?« So lange hatte der im blauen Wappenrock, erwacht, ernüchtert mit unheimlich rollenden Augen auf die blonden Männer herabgeschaut, die sich vor Heiterkeit und hochmütig geliebkostem Unverstand förmlich blähten. Jetzt aber überwand der Seefahrer jenes innerliche, ihn fast zerschneidende Gelächter, das nicht zum Ausbruch kommen wollte, mit einem Griff riß er die große Hornpfeife an den Mund, und schrill, spitz, gellend fuhr das vibrierende Signal durch die Halle. Aufgescheucht schlugen die Friesen ihre langen Röcke zurück und griffen verdutzt an ihre kurzen Schwerter, selbst die Fölke rückte ungemütlich auf ihrem Sitz. Doch es war auf keinen tollkühnen Überfall abgesehen. Nur die Saaltür öffnete sich, und schallenden Schrittes trugen sechs Gleichebeuter eine gewölbte Truhe herein.

Da löste sich die Spannung der Edelinge in einem lauten Freudenschrei, ihre Augen begannen plötzlich verständnisinnig zu blitzen. Keiner nahm es dem fremden Seefahrer, der so unermeßliche Schätze mit sich führte, im geringsten mehr übel, als der Riese sich plötzlich unter Püffen und Stößen eine Gasse durch ihr Gedränge bahnte. Ob auch einer von ihnen rechts taumelte, der andere zur Linken flog, wer von ihnen scherte sich noch um die ungemessene Verachtung, den fast wahnwitzigen Hohn, mit dem der Störtebecker jetzt den Deckel der Kiste zurückschlug.

»Frisch, tummelt euch,« schrie er in einer gräßlichen Vertraulichkeit, die zu jeder anderen Stunde den Hörern hätte das Blut in den Adern gefrieren lassen. »Munter, ihr Edelen, ihr werdet mich gleich besser verstehen. Hier liegen meine Gründe, meine Pläne, meine Aufzeichnungen! Flandrisches Laken! Wie? Was? Mit der Elle? Torheit, ich messe meine Absichten mit dem Spieß! Sind gar klar und vollwichtig!«

Und der Tolle riß einem der Knechte die Lanze aus der Hand und begann in langen schwebenden Wendungen die weißen Wolken auf den Estrich zu schleudern.

»Hier Erklärungen für den Herrn Propst, hier ein anmutig Geheimverträglein für die Frau Fölke – sachte, sachte, der Allena und der Rüstringen werden nicht vergessen!«

Eine Weile rieselte das feine Gewebe, knisterte und rauschte, gleich großen Schlangen hüpfte es aus dem Nest. Bald freilich ward dem Schuimer sein Maßwerk überdrüssig. In hohem Bogen warf er den ganzen Ballen unter die Edelinge, und gleich darauf sauste die Lanze hinterdrein. Die Junker aber balgten sich um den kostbaren Stoff. Jeder stieß halb im Scherz, halb im Ernst seinen Nachbarn beiseite, um möglichst früh an die Reichtum sprudelnde Quelle zu gelangen, und man ertrug es nur mit Ungeduld, als Propst Hisko auf den unschuldigen Einfall geriet, sich wie ein Kreisel in dem Gewebe einwickeln zu lassen. Gewandter drehte sich der dicke Landwirt, als es sein verletztes Knie irgendwie vermuten ließ. Der Riese jedoch hatte sich, angetrieben von der höllischen Flamme der Versuchung, von neuem über die Truhe gestürzt, und nun schleuderte er besinnungslos Gold, Silber, Brokate, Ringe, Armbänder, Seiden- und Meßgewänder unter die geblendeten fassungsberaubten Friesen.

»Mir – mir,« kreischte die Fölke, die ihre Habgier nicht mehr länger bezwang und plötzlich mit ausgebreiteten Fängen, wie ein Habicht, von ihrem Sitz herabschoß. »Sollen Hiskos feiste Mägde etwa gleich uns Edelfrauen Ringe und Ketten tragen?«

Damit krallte sie ihre spitzen Finger in die Wand der Truhe, beugte sich hinüber und schickte sich eben an, rabenlüstern auf das Geschmeide hinabzustoßen. Allein sie gelangte nicht mehr dazu. Es geschah etwas, was selbst den rohen unbesinnlichen Häuptlingen in seiner grausigen Verrücktheit den Atem benahm. Mit beiden Armen nämlich wurde das graue Gerippe von dem Seefahrer eingefangen. Und geschüttelt von dem unheimlichen Spaß, diese zitternde Habgier dicht vor dem Ziel verdursten zu lassen, drückte der Störtebecker seine Wange zärtlich verliebt an das steife Pergament der Quade, und dann küßte er sie schallend auf das blutige Krötenmaul und die furchige Stirn.

Da entsetzte sich selbst Propst Hisko van Emden, der doch in mancher Wein- und Männerschlacht seinen Mann gestanden, stolperte über die Leinwand und fiel mitten in den Saal.

Der Störtebecker aber lärmte und tobte während dieser erzwungenen Liebkosungen immer wüster und wahnwitziger.

»O du wonniges Weib, o, du Weinberg mit quillenden Beeren, was könnte ich dir nicht alles zuliebe tun. O, du Gebenedeite unter den Frauen, laß mich dir selbst das Hemdlein von Seide oder Brokat anmessen.«

Und obwohl die Fölke zischend und fauchend mit ihren mageren Armen und Beinen um sich schlug, der Besessene herzte und liebkoste das abscheuliche Gespenst nur um so wolfshungriger.

»O, du fruchtreicher Regen,« schrie er ihr ins Gesicht, »o, du Wunder des Brokmerlandes, wie preise ich mich selig, weil ich einen festen Bund mit dir schloß. Du sollst sehen, niemals gehe ich von dir, niemals verlasse ich dich!«

So raste und wütete der unbezähmbare Mensch, und um ihn her quirlte Grauen, Abscheu und roher Beifall brodelnd durcheinander. Bis sich endlich die wüste Geistesstörung auch auf die Zuschauer übertrug. Mit einemmal hatten sich die blonden Männer an den Händen gefaßt, und nun tanzten sie im Kreis um das wunderliche Paar inmitten der Ballen flandrischen Lakens und der offenen Truhe herum, dazu jauchzend:

»Wohl – wohl, der Störtebecker soll bleiben. Die Verträge gelten. Soll der Quade Fölke einen Sohn zeugen. Heißa – hussa – horrido!«

Und auf dem Estrich hockte noch immer der Propst, und während er sich verwirrt den Reigen zu erklären suchte, murmelte er von Zeit zu Zeit:

»Absolvo te.«

Doch er wußte nicht mehr, was dies bedeute.

II

Über die braunrote Heide trabte ein Reiter auf seinem prächtig geschirrten Schimmel. Schwer schlugen die Hufe des Rosses auf den unübersehbaren, farbenfrohen Teppich. Wie von einem leichtsinnigen Weib war das lustige Tuch zwischen dem grauen Schlick der Marschen und der schwarzen Erde älteren Ackerlandes hingeworfen. Eine helle Herbstsonne leuchtete gläsern vom Himmel, und der erste Frühwind sprühte zuweilen bunte Tropfen von den Kräutern.

Dem Tier aber ward keine leichte Bürde, denn sein Lenker hatte einen Knaben vor sich auf den Sattel genommen. Den hielt er fest mit der Linken umfangen, und während er den Gaul allein mit den Schenkeln steuerte, zeigte die Rechte unaufhörlich auf Nähe und Weite. Jeder Tümpel mit Torf oder Moorgrund, jede einschießende Wiese wurde mit hellem Jubel, mit freudeerfülltem Stolz begrüßt.

»Sperr deine blauen Augen ja weit auf, mein Büblein,« lud der Störtebecker triumphierend ein und dabei drückte er seinen Gefährten ohne weiteres an seine weit geschwellte Brust, ja, er herzte sogar stürmisch das vor ihm flatternde blonde Haar, weil er in diesem Augenblick nichts neben sich dulden konnte, was nicht bedingungslos seiner Macht unterworfen war. »Sieh, da und dort, vor uns, neben uns, alles mein, dein, uns allen.«

Und berauscht von dem ungeheuerlichsten Erfolge, trunken von der Vorstellung, daß auf diesem morgenfrischen Boden Menschheitswende wachsen sollte, so grundsprengend, so segenschwer, so planvoll, wie es vorher auf deutscher Erde weder von Carolus Magnus, dem Ordnungsstifter, noch später von Priestern oder Laien geahnt war, da ließ der von Schöpferlust Beseligte seinen Begleiter zur Seite sinken, warf sich über ihn und preßte seine Lippen durstig auf den Frauenmund. Was er hier liebkoste, das verschwamm ihm. Er küßte seinen eigenen Gedanken, der in der Frauenbrust wie in einem Tempel für ihn bewahrt lag, er umfing in jenem Leib, der sich zu ihm bekannte, gewissermaßen die Erfüllung und Vollendung seines Traums. Und diesmal widerstrebte ihm Linda nicht. Selbstvergessen, verklärt, ganz und gar eins mit dem Willensmächtigen, blickte sie mit großen, grüßenden Augen zu ihm empor, und in ihrem Kinderlächeln prägte sich die Überzeugung, daß alle Schmach, alle Schande in dem Feueratem, in dem brausenden Wehen des Werkes geläutert und von ihr genommen sei. Ein segenspendender Gott hatte sie befruchtet, und sie diente ihm dafür und empfing zum Lohn die Gnade des Schauens. Eine Entzückung durchrieselte sie, und aufgehoben von einem Wirbel unvorstellbaren Empfindens, unterfing sie sich dessen, was sie nie vorher gewagt, schüchtern schlang sie beide Arme um den zu ihr geneigten Männernacken und hielt ihn fest. Selbst den wilden Mann beschlich ein fernes Verständnis für die opfervolle Gabe, die ihm hier gereicht wurde.

»O, du blondes Gold,« entlud er sich in frohem Übermut, »wie freue ich mich deiner! An dir klebt kein Unrat, bist nicht durch der Krämer Hände gewandert, und man kann sich leicht die Seligkeit um dich kaufen.«

Noch einmal vernahm die käferdurchsummte Heide neben dem regelmäßigen Hufschlag das helle Jauchzen befriedigten Siegerglückes, und die Heideeinsamkeit legte sich tröstend um ein aufgestörtes Frauenherz.

So zogen sie fürbaß, an dunklen Torfmooren und weiten Strecken gelben Flugsandes vorüber, und so lange die silberne Morgenstille mit ihnen wanderte, waren die Einsamen nicht nur eng aneinander gebunden durch das gemeinsame Drängen nach einem frommen, kindlichen Zeitalter, sondern auch das geheimnisvolle Weben zwischen Mann und Weib spann seine heißen Fäden um sie. Immer wieder, wenn das Hochgefühl seiner Sendung dem Reiter die Brust sprengen wollte, dann warf er sich gegen die schlanken Frauenglieder, und mit Herzklopfen und entzückter Duldung vernahm Linda all die Tollheiten und unbändigen Neckereien, die er ihr zuflüsterte.

 

Wo war ihre Nonnensehnsucht geblieben?

Aus einer moorigen Senkung waren sie eben aufgetaucht, als ein Wiehern ihres Schimmels die Versunkenen weckte. Heftig schleuderte das Tier den Kopf. Ein weiter offener Wiesenplan dehnte sich vor ihnen, verschiedene Wege schlängelten sich über die Grasebene, und an einer Kreuzung dampfte eine Staubwolke.

»Holla,« rief der Störtebecker, froh, den ihm bereits eintönigen Schleckereien entzogen zu sein, und bettete die Hand über die Augen. »Schau, ein Trupp von Reisigen. Laß uns sehen, wen sie schon so früh geleiten?«

Und sofort setzte er dem müden Gaul die Sporen ein, keuchend und schnaufend trabte der Schimmel dem Kreuzweg entgegen.

Vor ein paar Balken, die roh und kunstlos über eine Binsenniederung gelegt waren, hielt ein Zug berittener Spießknechte. Sie trugen sämtlich den blauen Brokmerpfeil an ihren schwarzen Filzröhren und warteten nur darauf, daß der elende zweirädrige Reisekarren, wie er zu jenen Zeiten von vornehmen Frauen benutzt wurde, ungefährdet über das Balkengestell hinüberknarre. Die Dame selbst jedoch, anstatt geduldig auf dem harten Sitzbrett ihres Käfigs auszuharren, hatte längst den Braunen eines der Knechte bestiegen, denn es war Occa, des tollen Occo Tochter, die, kaum der Aufsicht ihrer Mutter entzogen, ihrer Neigung zu ausgelassenen Streichen verfiel. Rittlings wiegte sie sich im Sattel, und da sie heute das kniefreie rote Friesenröckchen angelegt hatte, so sah der sich nähernde Freibeuter mit Behagen, wie die eng verschnürten Beine der Reiterin geschmeidig und wohlgefügt den Leib ihres Rosses umfingen.

Da sprang dem stets erhitzten Weiberjäger sofort das Blut in den Adern. Das ungewöhnliche Bild junger, zu jeder Verschwendung bereiter Lebenslust berückte ihn, und plötzlich sah er sie weißgliedrig auf dem dunklen Fell reiten, Meerwasser träufelte ihr über Brust und Nacken, und das aufgelöste Gold der Haare flatterte ihr feucht um die Schultern.

Kein Zweifel, der begehrliche Mann atmete schneller – er hatte die Schöne bei seiner Einfahrt schon so geschaut, wie er sich alle Weiber am liebsten vorstellte.

Mit einem Stoß schob der Störtebecker seinen Gefährten zur Seite, um frei und ungehindert den Anblick genießen zu können. Und in der eigensüchtigen Meinung, daß seine Gedanken auch unausgesprochen von jedem verstanden werden müßten, schwenkte er heftig seine Kappe zum Gruß und schrie hinüber:

»Courte et bonne, bist du der Wasserteufel oder nicht?«

Die schöne Occa jedoch verstand. Auch sie wirbelte ihre gelblederne Kopfbedeckung durch die Morgenluft und rief mit heller Stimme zur Antwort:

»Und du, Schuimer, was bist du für ein vierbeiniger Reiter?«

Da beugte sich der Seefahrer noch weiter vor und klopfte, nahe genug herangerückt, Occas Braunem die Halsung.

»Laß gut sein,« erwiderte er hastig und nur darauf erpicht, das kurze Reitergewand der Blonden zu berühren, »dies hier ist mein Diener. Ich gönne dem Zarten gern jede Schonung. Doch nun, du Fisch und seltener Vogel, sage mir, wohin geht die Reise?«

Langsam löste die Broke-Tochter ihre braunen Augen von dem Knaben, der noch immer durch die Linke seines Herrn vor dem Sturz bewahrt wurde, und da sie mit dem Scharfblick der Frauen wohl gleich das wahre Geschlecht dieses Dieners erraten haben mochte, so glitt ein spitzbübischer Zug über ihr feines Antlitz und der Zwang überkam sie, den frechen Reiter sogleich bestrafen und peinigen zu müssen.

»Nun, du Allwissender,« entgegnete sie mit strahlendem Spott, »da du doch den Umgang mit edlen Frauen zu kennen scheinst, so sage mir, wohin gehört eine ehrbare Hausfrau rechtmäßiger, wenn nicht zu ihrem Eheherrn? Der meinige ist, damit du es weißt, Luitet van Neß, und ich hoffe, daß er meiner alleweil in Sehnsucht gedenkt.«

»Nun, da wollte ich doch – « fiel der Störtebecker aus allen Himmeln, der ganz offen seinen Grimm darüber verriet, weil dieser glatte Vogel aus dem Garn zu hüpfen versuchte, »nun, da wollte ich doch, der unterste Grund der Hölle öffnete sich – «

»Für wen?« lauerte die Goldblonde, innig befriedigt über die Wirkung ihres Geständnisses, indem sie sich blinzelnd nach vorn krümmte und dabei ihre Knie immer höher auf den Rücken des Pferdes zog.

Der Riese aber hatte seine erste Anfechtung überwunden. Und da – juchhe – da höhnte er schon über seine gewissenhafte Bürgerbedenklichkeit. Seit wann machte er denn vor Weihwasser und Sakrament Halt? Bei allen Wonnen des heißen Blutes, und würde diese Occa mitsamt ihrem Hausherrn statt auf dem Karren in ihrem Ehebett durch die Lande rollen, der Wilde schwor sich, er wollte sie dennoch vor den Augen ihres Nutznießers aus den Laken reißen.

So raste die unstillbare Wut nach Alleinbesitz von allem Schönen und Sinnepeitschenden durch denselben Erlöser, der gekommen war, um die Mißgunst und den ewig regen Neid der anderen zu befrieden.

Im Augenblick aber verbeugte er sich geschmeidig im Sattel, schwenkte noch einmal die Kappe und griff ohne weiteres nach den Zügeln von Occas Braunem.

»So werbe ich denn,« sprach der Schalk, »bei der Hausfrau des Häuptlings van Neß um gute Nachbarschaft.« Und ehe noch eine Antwort erteilt werden konnte, warf er die Hand vor. »Geh, heiße deine schwarzen Filzröhren sich beiseite drücken, denn ich will dir selbst das Geleite geben.«

Überrascht, mit jenem schwebenden Lächeln, das mehr verhieß, als es zu halten gesonnen war, und vor allen Dingen brennend vor Neugier, was ihr wohl bei dem Zusammensein mit dem blutigen, sagenumsponnenen Gewaltmenschen bevorstehe, nickte die schöne Occa, schon wandte sie sich mit einer kurzen Bitte an ihre Begleiter, als unvermutet das so vielversprechend eingeleitete Abenteuer gestört wurde.

Besorgt um jedes Wort, das nicht der gemeinsamen – oder noch besser, der ihr allein gehörigen Aufgabe galt, so hatte Linda, noch im Arm ihres Gebieters dem leichtfertigen Geplänkel gelauscht.

Und nun? Diese kaum verhüllten Scherze hier auf heiligem Boden?

Ihr schwindelte, sie wußte nicht mehr, was sie trieb. Ach, sie vergaß sich. Zu ihrem Unheil trat sie aus dem Bann ihres bisherigen bescheidenen Dienens heraus.

»Herr,« kehrte sie sich bebend zurück und legte dem Riesen ihre zitternde Hand auf die Brust, »du wolltest – «

Gestört verzog der Störtebecker die Stirn, sein gekrümmter Arm schob die Andrängende von sich.

»Was wollte ich, Licinius?« warnte er, als ob er seinem Gefährten noch bei rechter Zeit zu Einkehr und Besinnung raten möchte. »Was wollte ich?«

Doch Linda war durch das, was vorausgegangen, durch die wilden Liebkosungen ebenso wie durch die Nähe des ersehnten Zieles zu sehr aus ihrer Bahn geschleudert, als daß sie ihr bescheidenes, unauffälliges Wesen nicht völlig verleugnet hätte.

»Herr,« mahnte sie mit einer dringenden, beschwörenden Gebärde, »wozu willst du hier noch länger säumen? Vergiß nicht, o vergiß nicht, daß deine Flotte und die künftigen Ansiedler deiner harren.«

War es die Zurechtweisung, die ihm hier öffentlich erteilt wurde, oder drückte die Gewißheit dem Herrschsüchtigen ihren Stachel tief ins Blut, daß nun auch andere an seine Pläne tasten durften? Rot vor Unmut schleuderte er sich herum, und die Bewegung war so gewaltsam, so rücksichtslos, daß Licinius ohne weiteres aus dem Sattel geworfen wurde. Kaum vermochte sich der Halbbewußtlose noch vor dem Sturz zu bewahren. Aber auch so taumelte er ein paar Schritte über den Grasboden, bis er endlich an Occas Braunem einen Halt fand. Luftberaubt, an allen Gliedern bebend lehnte er sich hier an den Leib des Tieres.