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Claus Störtebecker

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Ja, von dorther schwamm sein Glück; mit rot glitzernden Funken war die Straße gepflastert, über die es langsam einherzog, wenn man auch bis jetzt nichts weiter als eine sich immer vergrößernde Anzahl schwarzer Flaggen unterschied, die scheinbar von unsichtbaren Händen durch die Wolken getragen wurden. Da wartete der Störtebecker nicht länger ab, bis sich auch der Rumpf jener Schiffe zu zeigen begann, er fragte sich in seinem Taumel auch nicht, warum der Leib der Koggen gar so dünn und linienhaft am Horizont haftete, mitten in der lauen Luft wurde die riesige Gestalt dort oben von einem übernatürlichen Sturm geschüttelt, und mit einem ins Unermessene langenden Griff zerrte er die Schwarzflagge von der Wimpelstange und nun schwenkte er sie in langen atemlosen Windungen durch den goldspinnenden Äther, bis das dunkle Tuch selbst von Feuer und Brand erfaßt schien. Er grüßte sein Glück, er grüßte das Heil der Unzähligen, von dem er meinte, daß es ihm jetzt unwiderruflich in die Hände gegeben sei. Da brandete auch unter dem Schiffsvolk der lang gesparte Beifall empor. Linda, die fast unkörperlich zwischen den schreienden, winkenden, durcheinander wimmelnden Männern umherirrte, denn ihr Blick kletterte über alle hinweg dem trunkenen Fahnenschwinger in die Lüfte nach, sie fing dennoch auf, wie der Jude Isaak den kleinen zahnlosen Arnold Frowein an den Katzenpfötchen packte, dazu inbrünstig murmelnd: »Glaubst du nun, Bruder, daß sie da sind?«



»Wer?« miaute der ehemalige Töpfer, der sein gezwungenes Grinsen nicht lassen konnte.



»Das neue Reich. Der Messias!«



»Mag sein,« zischte der andere, und in seinen Augen entzündete sich ein grünlicher Brand. »Aber die Katzen müssen erwürgt werden, damit Urian sich nicht in dem neuen Reich Kinder zeuge. Und auf das Streckbett soll man spannen, was sich Richter nennt! – Meinst du nicht, Freundlein?«



Der Jude sah ihn starr an, dann ließ er die kratzenden Nägel fahren und grübelte bange in sich hinein: »Laß, dort ist Freundschaft – wo sonst?«



Inzwischen war der Störtebecker geschmeidig an den Wanten herabgeglitten, nun bildete sich eine schweigende, atemlose Menschengasse, durch die er hindurchschritt. Noch immer hing ein Leuchten, ein Jubel an dem Riesen.



»Komm, Licinius,« befahl er, als er den Knaben erreicht hatte, »hilf mich schmücken. Die Spielleute sollen sich bereit halten. Wir wollen dem Wichbold ein Bankett geben, wie sich's Silen und Bacchus nimmer erträumt haben. Tummle dich, Kleiner, daß er uns nicht überrasche!«



Allein der Wichbold kam nicht. Längst schimmerte die Kajüte der »Agile« in ihren satten Farben, wie zum Hohn sandten die Spielleute ihre Weisen in den sinkenden Tag, und in seinem roten Prachtwams saß der Admiral blaß und verstört unter den brennenden Laternen und ließ sich von Licinius einen Becher nach dem anderen füllen. Der Erwartete stellte sich nicht ein!



Durch die offenen Luken sah man, wie sich über die Flut grauer Schaum wälzte, allmählich liefen die Mondkäfer über die tanzenden Hügel hinweg, das Gesumme der Nacht meldete sich.



Endlich ertrug der Störtebecker die getäuschte Erwartung nicht länger. Geräuschvoll sprang er auf, und so sprechend war die Gebärde, mit der seine Rechte in die leere Luft griff, daß ihm Licinius ohne weitere Frage den schwarzen Mantel um die Schultern hing. Achtlos nickte der Admiral, dann stieg er schweren Trittes die Treppe hinauf, und kaum hatte er auf Deck die Bordschwelle erreicht, so schrillte jener Pfeifentriller über See, der eine der begleitenden Snyken herbeirief. Gleich darauf schwang sich die hohe Gestalt unter die Ruderknechte des Bootes. Bevor er jedoch die Weisung zum Aufbruch erteilte, warf er noch einmal das Haupt herum, denn er vermißte etwas. Oben an der Bordschwelle lehnte Licinius, um schweigend der Abfahrt beizuwohnen. Da hatte der Riese gefunden, was ihm fehlte.



»Spring herab,« hieß er den Knaben. Und als dieser zögerte, noch einmal ungeduldiger: »Springe, dir widerfährt nichts.«



Da erstarb das Widerstreben in dem Erblaßten, folgsam schloß er die Augen, und ohne einen Laut von sich zu geben, ließ er sich durch die Bordlücke in die Schwärze fallen. Allein er berührte den Boden nicht, denn in heftigem Anprall stürzte er dem Störtebecker in die geöffneten Arme.



»Recht,« murmelte der und setzte seinen Gefährten sorgsam neben sich auf die Ruderbank. »Nun zum Wichbold.«



Rauschend verlor sich das Boot im Dunklen.



Am Nachthimmel hing bereits der Mond, als die Snyke in die Linie der Wichboldschen Schiffe einfuhr. Diesmal aber mußte es auch dem Unbefangensten auffallen, wie tief und schwer beladen die Fahrzeuge im Wasser lagen, augenscheinlich hatten die Ungeheuer über jedes Begreifen hinaus von dem Hab und Gut, um das aller Streit in dieser Welt geht, in sich eingewürgt. Besonders war es die »goldene Biene«, die Führerkogge des Wichbold, die unbeweglich herabgedrückt in den schwarzen Wassern lag, und als ihre Besatzung von den Bootsleuten angerufen wurde, da antwortete zunächst ein dumpfes, bleiernes Schweigen. Leblos, oder von dickem Schlaf umhüllt, ruhte die »Biene« auf der Flut. Jetzt stieß das Boot an die Wandung, und zu gleicher Zeit richtete sich der Störtebecker sonderbar schwerfällig unter seiner Schar auf und führte mit dem Ruder einen harten Schlag gegen die Planken.



»Wichbold,« schrie er. Es klang beinahe ängstlich.



Auf der Kogge gab sich noch immer kein Laut kund, doch an den Masten glitten wenigstens ein paar Laternen in die Höhe, und eine Strickleiter fiel mit Gepolter über Bord. Wortlos schwang sich der Störtebecker hinauf, ungeheißen kletterte Licinius ihm nach.



Auf dem Deck der »Biene« stand die Mannschaft Kopf an Kopf, eine dunkle, nicht unterscheidbare Masse. Aber merkwürdig, kein Ruf hieß den sonst so gefürchteten Führer willkommen, schweigend, verlegen wich die Menge vor dem einzelnen Mann auseinander, bis ganz hinten am Mast eine aufgeschwemmte, unförmige Gestalt sichtbar wurde. Die sank, wie ein baufällig Weinfaß, vor dem noch Fernen zusammen, und man konnte fast annehmen, sie wolle zur Begrüßung in die Knie brechen.



»Alle Heiligen,« gurgelte es tonlos aus dem Zober. »Du, mein gesegneter Freund.« Irre fuchtelten ein paar fleischige Hände dazu in der Luft.



Allein trotz dieses demütigen Empfanges rührte sich der Ankömmling nicht, starr aufgerichtet verharrte er in der Menschengasse, und nur die vom Laternenschein grünlich getroffenen Augen des Admirals wanderten ungläubig, ja, wie von aufsteigendem Irrsinn entzündet, über die merkwürdige Beute der »Biene«. Da lagen freilich Kostbarkeiten aufgestapelt, die man sonst nicht oft beieinander findet. Truhen waren über Truhen geschichtet, die meisten halboffen, so daß Gold- und Silbergeschirr, kupferne Ampeln, eiserne Lichtreifen, Holzschnitzereien, bunt bemalte Wappen und Gildenschilder, riesige Deckelkrüge sowie Fetzen unordentlich hineingepreßter Teppiche aus ihnen hervorlugten. Etwas weiter türmten sich verschimmelte Wein- und Bierfässer übereinander, ungeheure Ballen unverarbeiteter Tuch- und Leinenstoffe hoben sich bis zur halben Höhe der Masten, da standen Pferde und Kühe angebunden, dort verschlangen sich Betten, seidene Frauenkleider, Schuhzeug und allerlei Gewaffen zu einem unerkennbaren Haufen, und ganz hinten auf dem Aufbau beugte sich inmitten eines wüsten Reigens von Weihrauchkesseln, Messegewändern und Stolastickereien, Opferschalen und Prozessionsfahnen eine überlebensgroße Mutter Gottes wehklagend zur Erde nieder, obwohl nichts anderes vor ihr lag als ein Stoß scharf duftender Lederhäute. Erst allmählich schwamm dieses tolle Durcheinander aus dem undeutlichen Laternenlicht hervor, und je brütender der Störtebecker auf jedes einzelne Stück hinstierte, desto qualvoller breitete sich unter der Mannschaft diese unbeschreibliche Strafe des Schweigens aus. Einzelne wischten sich mit groben Fäusten den Schweiß von der Stirn.



»Herr, Herr,« jammerte von seinem Mast aus der dicke Wichbold und schlug, während er ein paar Schritte vorwärts wankte, schallend die Hände zusammen. »Dies ist nicht mein Werk. Beileibe nicht. Wie es wohlgetan ist, den Ungerechten von ihrem Überfluß zu helfen, damit er unter die Armen verteilt werde, so ist dies hier eine Versuchung vom Herrn der Finsternis – nicht ich – nicht ich – so wahr ich will selig werden.«



Noch immer tasteten die Blicke des Störtebecker umher, taub und unempfindlich schien er, und so faßte der schwammige Buschklepper den Mut, wieder einen Schritt näher zu rücken. Verzeihung heischend beugte er sein graulockiges Haupt, wobei er sich selbst voller Anklagen die Brust schlug.



»Ach, du mein gesegneter Freund,« bettelte er, »sprich zu mir. Wolle dich überwinden! Ich weiß, du denkst ungnädig, aber was sind wir armen Sterblichen anderes als Läuse am Leib eines Hitzigen! Ein Schlag, und hin! Wie habe ich deinen Befehl befolgt – ich lernte ihn auswendig, ich konnte ihn auf dem Nägelein

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  Luther sagt: »Die heilige Schrift auswendig und auf dem Nägelein können.«



 gleich einem Paternoster, ich sprach ihn voll Ehrfurcht aus, nicht anders als den gebenedeiten Namen unserer lieben Frau. Und siehe, ihr Segen ruhte über mir Unglücklichen, denn alles war schon in guter Ordnung. Das Abkommen mit den frommen Bürgern von Bergen, der Tribut auf dem Tisch des Rathauses, auch dein Siegel hing bereits unter dem Pergament – da – oh über die Tücke des Schwarzen – da warf eine Hure im Zank ein brennendes Scheit gegen eines meiner Kinder – und – und – deine Klugheit errät – die hölzernen Häuser – kein Lüftchen – ach und weh, die Hitze – «



Er raffte seinen Rosenkranz empor und warf die Holzperlen in jäher Flucht gegeneinander.

 



»Nicht mein Werk,« stammelte er, »nicht mein Werk.«



Woran aber hafteten die Blicke des Störtebecker während dieser langen Rede so fest, daß sie sich von dem seltsamen Ding nicht mehr trennen mochten? Mitten aus dem Wust hing an dem kupfernen Reifen eines Torringes ein hölzerner Amselkäfig herab, und ein schwarzes Tierchen sprang ängstlich und ungefüttert zwischen den Stäben hin und wider, wobei es häufig einen schrillen Pfiff ausstieß. Gott allein mochte wissen, aus welch behüteter Ruhe das zahme Geschöpf herausgerissen war? Schützend, ungewiß, streckte der Admiral die Hand gegen diesen winzigen Zeugen ungeheuerlicher Greuel aus, allein plötzlich wandelte sich der anfänglich so harmlose Griff, die Finger des verstummten Riesen spreizten sich, ein Aufrecken, und er hatte die schwere eiserne Laterne von der nächsten Mastleine gerissen, und dann – ehe sich noch die betäubte Mannschaft dazwischen zu werfen wagte, da schmetterte das unförmige Gerät auf den Schädel des versteinerten Wichbold nieder, Flammen und Blut spritzten gemeinsam herum, und wie ein abgesägter Baum rollte der Wanst dem Angreifer vor die Füße.



Doch der Gestürzte war nicht getötet. Obwohl ihm rotes Gerinsel dick und schwammig über die Stirn rann, so behielt der Gezeichnete dennoch die Kraft, in jämmerlicher Unterwürfigkeit auf seinen Bändiger zuzukriechen, um ganz nahe die Knie des noch immer Schweigenden zu umschlingen.



»Wehe mir,« röchelte er kaum noch verständlich. »Warum befleckst du dich an mir Unseligen? Nackt im Schnee der fromme Bischof von Strängnäs, im Feuer die Mütter und holdseligen Mägdelein von Bergen, im Schutt die Hostien – überall Todsünde rings um mich Gutwilligen, wehe, wehe, vor wem soll ich fürder noch bestehen?«



Sein aufgedunsenes Pockengesicht verzerrte sich und wurde bleich, mit aufgesperrtem Mund schlug er zu Boden. Da lief ein böser Zug über das schmale Antlitz des Admirals, einen Fußtritt versetzte er dem schwammigen Körper in die Seite, und während er sich tiefer in seinen Mantel wickelte, als ob ihn fröstele, da hob er das Haupt gegen die unmutig anrückenden Freibeuter. Aber vor dem wilden Blick des Gebieters stockte der Schwarm. Starr, geduckt standen die Männer um den Befehlshaber, wie immer bereit, sich der Gewalt dieses Mächtigen, Unbegreiflichen zu überliefern.



Noch einmal stieß der Störtebecker voll Verachtung gegen den aufgetriebenen Leib des Liegenden, dann sprach er mit seiner schneidenden Stimme:



»Wahrlich, ich tat groß Unrecht, weil ich dies Faß nicht völlig leck schlug. Er hat euren Anfang mit Unflat beschmiert, so daß man unser neues Haus einen Schweinekoben schelten wird. Nun wohl, so wollen wir dennoch auf Schmutz und Morast bauen, denn auf Erden, merk' ich, ist kein anderer Grund zu finden.«



Er wandte sich und nickte kurz.



»Zieht euch nah an die »Agile«. Wenn der Wichmann von seiner Kundschaft heim ist, so gebe ich euch meinen Willen kund! Und nun leuchtet!«



Damit stieg er als erster über Bord, und sofort vermischte sich die riesige Gestalt mit der Nacht.



IV

»Höret weiter, Herr Nikolaus Tschokke,« erinnerte Königin Margareta von Dänemark, und es schien der Erhitzten in ihrer Hingenommenheit nicht aufzufallen, wie der Gast in seiner schwarzen Ratsherrntracht unbewegt ihr gegenüber in dem Armstuhl lehnte, ohne auch nur durch ein eingestreutes Wort seinen Abscheu vor der so ausdrucksvoll beschriebenen Brandstiftung zu bekunden. Die Fürstin aber hatte sich völlig vergessen, sie hielt das Haupt in beide Hände gestützt, und ihre blitzenden Augen verfolgten das Buchstabengewimmel auf dem Pergament, als starre sie leibhaftig von einem hohen Turm in die brennende Holzstadt hinunter, auf die verqualmten Gassen, auf lichterloh flammende Menschenbündel und auf den Zusammenbruch altehrwürdiger Gotteshäuser. Deutlich, erregend, grauenhaft schlug der Herabgebeugten das Gellen der Verzweiflung entgegen, und ihr leidenschaftliches Herz wand sich vor Zorn und Ingrimm, da sie das höhnische Gelächter der Beutejäger zu vernehmen glaubte. Je wesenhafter sie selbst in der verkohlenden Stadt umherzuirren wähnte, desto unverkennbarer begegnete ihr an jeder Stätte sinnloser Zerstörung jener überlebensgroße Geselle, der der rechtmäßigen Besitzerin höhnisch ins Gesicht wieherte, und mit kaltem Entsetzen mußte sie beobachten, wie dem Übeltäter das Blut rauchend vom blauen Fürstenrock troff, wobei er voll beißenden Spottes auf sie, die Machtlose, deutete, als würde all der Mord und Graus nur ihr zur Schande und Entwürdigung verübt.



Damit also begann die neue, die so viel gepriesene Weltordnung, deren inbrünstige Verkündung sie doch manchmal den Schlaf kostete? Die Finger der Verletzten krümmten sich, Rat heischend sah sie auf ihre beiden Vasallen, die eine Stufe unter ihr zu ihrer Rechten Platz genommen. Aber das Gerippe von Reichskanzler zitterte frierend in der Höhlung des Stuhls, nur ab und zu über die Goldmünzen seines Prunkgewandes putzend. Der Kriegsoberste von Moltke dagegen drehte seinen Totenschädel häufig nach einer herumsummenden Fliege, denn es reizte ihn, das schwarze Geschmeiß unbemerkt zerquetschen zu dürfen. Margareta richtete ihren wandernden Blick wieder auf den Bürger. Warum nahm dies kantige Händlergesicht an ihrem gemeinsamen Leid so wenig Anteil?



»Herr Nikolaus Tschokke,« beugte sie sich über den Tisch, entschlossen den anderen zu versuchen, »es ist mit euch bergischen Hansebrüdern zu Ende. Der Störtebecker hat euch Kontorsche ausgeräuchert gleich den Heringen im Schütting. Es ist zu Ende.«



Allein wie enttäuscht zuckte sie zurück, als ihr Gast ohne sonderliche Erregung erwiderte:



»Königin, es wird Euch gewiß freuen, besseres zu erfahren. Von unseren zweiundzwanzig Giebeln ist nur einer der Feuersbrunst erlegen. Die anderen wurden hinter den Holzmauern von unseren Kaufmannsgesellen verteidigt.«



»Ah, und nun meint ihr Kontorschen, ihr brauchtet euch nicht fürder an dem Giftstreuen gegen den tollen Hund zu beteiligen?«



Der Bürgermeister schwieg. Rauschend erhob sie sich. Geschmeidig stieg sie von dem Podest herab, und siehe da, es war nicht mehr die Fürstin, die zwischen sich und anderen Schranken zog, nein, ganz unvermutet entzauberte sie sich, so daß jetzt nur noch zu aller Bestürzung ein bösartig gereiztes Weib durch die Zelle strich, das nach nichts anderem züngelte, als dem Gegner auf eine niederträchtige Art das Herz aus dem Busen zu reißen. Mit einer merkwürdig ungezügelten Wiegebewegung glitt sie bis dicht vor ihn hin, um ihm ganz nah ins Gesicht zu schleudern:



»Meint Ihr, Herr Nikolaus Tschokke, der Störtebecker habe sich solange besonnen, bevor er auf Burg Ingerlyst einstieg? Ihr wißt doch, der Mordbrenner mißt sieben Fuß und zieht erst die Weiber aus dem Bett, ehe er sich die Taschen vollstopft? Wie ist mir denn? Der Conaer Abt erzählte doch, der Galgenvogel habe auch Euer künftig Nest beschmutzt?«



Es war die nackteste Absicht, den Vorsichtigen zu kränken oder ihn vielleicht gar zu sinnlosen Geständnissen zu reizen. Selbst die beiden dänischen Großen, obwohl ihnen die Vorliebe der Frau für unbegreifliche Zoten bekannt war, schüttelten erstaunt die Köpfe. Dem Hamburger jedoch hatte es zuerst das Haupt auf die Brust gepreßt. Jetzt aber richtete er es entschlossen auf, und aus seinen blauen Augen wie aus der festen Stimme des Mannes schlug der Regentin eine unbeirrbare Geradheit entgegen.



»Der Conaer Abt, Herrin,« entgegnete er ohne jedes Zaudern, »wird Euch auch gemeldet haben, daß eine höhere Hand meine Rechnung durchstrich. Gräfin Linda ist tot und verschollen, Königin.«



»Ihr irrt, mein Freund.«



Die braunen ausdrucksvollen Augen des Weibes überschatteten sich so mitleidig, wie wenn es ihr wirklich ernst wäre, dem Tod ein schon gezeichnetes Opfer zu entreißen. Um ihren Besuch aber krachte die Erde. Jetzt verlor er jede Vorsicht.



»Was wißt Ihr von ihr?«



Da sprudelte es in Margaretas ausführlich malender Schilderungskunst hervor, wie sich der Seeräuber die Ohnmächtige über die Schulter geworfen, um sie in schlimmer Absicht von dannen zu tragen. Und in der unehrlichen Vornahme, zu trösten oder zu entschuldigen, setzte sie hinzu:



»Sie konnte sich nicht wehren. Er mißt sieben Fuß.«



In dem Antlitz des Bürgermeisters stritt sich die grünliche Blässe des Todes mit der eigenen unrächbaren Entwürdigung. Ein Paar kreisrunde Blutkugeln erschienen auf seinen Backenknochen, bevor er heiser hervorstieß:



»Aber seitdem hat die Unglückliche, wie nicht anders zu erwarten, die Erde verlassen. Am jüngsten Tag wird auch ihr Gerechtigkeit widerfahren.«



Die Königin schüttelte das Haupt.



»Herr Nikolaus Tschokke, hier täuscht Ihr Euch abermals.«



Spürend hielt sie das Antlitz ein wenig geneigt und zuckte jetzt fast feindselig die Achsel. Sie begriff im Grunde den Reiz nicht, den das frömmelnde Nonnengesicht ihrer früheren Hofdame auf den nüchternen Stadtbürger ausübte. Noch weniger freilich vermochte sie zu ermessen, welch' verdorbene Lust den Heiland aller Mordbrenner gerade zu jener Himmelsbraut geführt haben mochte. Und in dieser Stimmung verkündete sie rücksichtslos, was ihr selbst von den Flüchtlingen des »Connetable« über den Aufenthalt des Mädchens auf dem Seeräuberschiff zugetragen worden war.



»Ihr sollt alles erfahren. In Männerkleidern, in engen Beinlingen und in der gepreßten Schecke geht sie dort unter den Vitalianern herum. Sie wartet dem Unhold bei Tisch auf, und er herzt und streichelt sie dafür. Was weiß ich, was er ihr sonst noch erweist?«



So wenig vermochte die Königin bei den letzten Worten eine Art ferner, sie quälender Eifersucht zu unterdrücken, daß sogar ihr hindämmernder Kanzler vieldeutig die Lippen spitzte. Der Mann aber, auf den die niederträchtige Schilderung allein wirken sollte, er blieb zuvörderst ganz still.



Endlich brach es aus Herrn Nikolaus Tschokke starr, trotzig, überzeugt hervor:



»Dies ist nicht Gräfin Linda.«



»Wer sonst?«



»Kenn' ich alle Dirnen auf der ‘Agile’? Aber Linda ist es nicht. Könnt Ihr meinen, Königin, eine nur dem Himmelslicht sich öffnende Seele, sie könnte plötzlich zu einem Pfuhl zerfließen?«



»Doch, doch.«



Margareta sprach diesmal mehr zu sich selbst. Sie hatte die Hände auf dem Rücken gebettet und schritt, nur mit sich beschäftigt, im Zimmer auf und nieder. Deshalb klang auch wahrer, was sie in die Tiefe ihrer eigenen Brust hinabsandte.



»Doch, doch, lehrt mich die stirnkühlen, schoßheißen Weiber kennen?! Die da stehen sind andere, als da auf weichem Pfühl liegen. Tag und Nacht wechseln schnell unter unseren Zöpfen.«



»Seht,« murmelte der Bürgermeister verworren. Eine geraume Zeit verstrich in tiefem Schweigen. Dann tat der Hamburger einen schmerzlichen Atemzug und griff sich an den kurzen Dolch seines Wehrgehänges. »Gebt mir ein Dokument des Vertrages mit,« wandte er sich rauh an den Kanzler, der sich vor Überraschung nicht zu erheben vermochte. »Und sollte ich auch von dem mir lieb gewordenen Amt scheiden müssen, ich will durchsetzen, was Ihr von mir verlangt. Im Frühjahr seht Ihr mich wieder! Gewappnet. Versäumt nichts, meidet lieber den Schlaf und die Kost, als daß Ihr in diesem Ding lässig seid. Und nun laßt mich an mein Werk gehen, Königin.«



Er beugte sich über die ihm dargereichte Hand, schlug den Vorhang zurück und schied. Die drei anderen blickten ihm nach, als ob sich ein gewöhnlicher Mensch in eine Traumgestalt verlöre.



Mit brennenden Augen spähten die Freibeuter durch Luft und Erde, ob ihr Kundschafter nicht endlich heimkehre.



»Wie lange wartete wohl Josua auf die Boten aus dem gelobten Lande?« fragte der Störtebecker seinen Knaben, mit dem er lang ausgestreckt unter dem Sonnensegel des Bugaufbaues lag. Sie spielten Würfel, allein ihre Gedanken fanden in dem ledernen Becher keine Herberge.



Seit dem Streit mit dem Wichbold war der Riese wortkarg geworden. Sein Stolz schien eine eiternde Wunde empfangen zu haben. Nur der Wein, wenn er Gewalt über den schwer zu Brechenden erlangte, schrie manchmal mit fremden, prahlerischen und drohenden Zungen aus dem Entfesselten heraus. Aber selbst dann entdeckte Licinius in den glühenden Augen des Wilden noch das ernste Bild der Gottheit, das durch ihn über die Erde rufen wollte.



Um die beiden Lagernden herum hingen aus wolkenlosem Himmel jene kaum wahrnehmbaren Silbergespinste herab, mit denen Uranos das Meer an sich zu knüpfen und zu sänftigen sucht.



Es war Herbst geworden.



Die See rollte rote Wogen gegen die fernen weißen Kreidefelsen, und über ihnen auf den Erhebungen der Insel meinte das Auge des Seefahrers das Sausen und Wiegen der schwarzgrünen Wipfel zu spüren, so oft uralter Runenzauber in ihrem Schoße wühlt.



Wohl ließ der Störtebecker ab und zu die beinernen Ritter springen, aber er wandte keinen Blick nach ihnen, seine Seele war an etwas Früheres geknüpft.

 



»Wie lange warten wir nun auf den Wichmann?« fragte er zurücksinkend.



»Es geht bald in den zweiten Mond, Herr,« zögerte der Knabe.



Der Störtebecker streckte sich lang aus und preßte die geballte Faust schwer auf seine Brust. Dann sprach er langsam:



»Ich sage dir, Licin, wenn der jüdische General so lange hätte lauern müssen, wer weiß, ob sein Tatwille nicht gebrochen wäre. Das Warten hat zwei eiserne Arme, komm, ich wollte, mich umfinge Weicheres.«



Als sich jedoch neben ihm nichts rührte, schwieg der Riese eine geraume Weile, bis er endlich die Hand des Knaben suchte, um sich die Finger des Gefährten gewaltsam und wie zur Kühlung auf die geschlossenen Wimpern zu betten. Und wieder nach langer Zeit forschte er, als ob ihn ein Traum beschäftige.



»Sage mir, Bursche, was blickst du so aufmerksam auf die Dünen, seitwärts von der Felsenschlucht?« Der Liegende warf den Arm vor und zeigte auf die ferne, strichfeine Küste. »Merkst du dort eine hölzerne Hütte? Und daneben den Stall für die Ziegen?«



»Nichts schaue ich, Herr,« entgegnete der andere verwundert.



»Doch, du gibst dir nur keine Mühe. Rauch ringelt aus dem Schlot. Und in dem Riedgras vor der Schwelle steht – «



»Wer?« wagte Licinius zu unterbrechen.



»Ich selbst,« fuhr der Störtebecker plötzlich ungestüm in die Höhe, packte seinen Gefährten an der Brust und schüttelte ihn unter einem rauhen, abwehrenden Gelächter. Ganz nahe brannte das wilde Gesicht des Freibeuters vor den sanften erschreckten Augen des ihm Preisgegebenen.



»Torheit,« rief der Aufgestörte geringschätzig, »es sind Schatten. – Was kümmert es mich, ob man dort drüben frißt oder modert? Will mich nicht durch Weihwasser oder welke Küsse von meinem Weg treiben lassen.«



Hingenommen, verängstigt durch die kaum verständliche Drohung, aber auch bezwungen und aufgelöst von dem schreckhaften Zauber des Menschen, so lag Licinius vor dem Gebieter auf den Knien und schaute zu ihm auf. Jetzt aber flüsterte er ganz leise und doch voll Ergebenheit:



»Wer, Herr, kann dich ablenken oder abziehen? Dein Weg führt über die Wolken.«



Es klang so aus einer zur Gewißheit erhobenen Seele, daß es den gespannt Lauschenden wie ein scharfer Trank durchfuhr. Diesen geistigen Wein bedurfte er, er konnte ihn nicht mehr missen. Einen weithin hallenden Ruf stieß er aus, dann aber beugte sich der Riese stürmisch herab, umfing den Knienden, und indem er den schlanken Leib stützte, zauste er übermütig und in vollem Triumph in den Locken des Knaben herum.



»Recht, Bübchen, findest immer einen guten Spruch! Hab schon den besten Fang an dir getan! Nun aber laß das Heulen um alte Weiber. Wollen lieber sehen, wessen Glück besser gelaunt ist?«



Damit warf sich der Admiral von neuem neben Licinius auf den Teppich und begann mit einer unrastigen Gebärde den Würfelbecher zu stürzen. Hastig riß er dabei seine Gürteltasche auf und schüttete einen Haufen Goldes zwischen sich und den Freund.



»Da, Schelm, dies setz' ich gegen dich. Möcht' dich gern vollends um Hab und Gut bringen.« Und als ihn sein Gefährte kleinlaut bedeutete, daß ihm ja nichts mehr an Gold und Besitz eigne, da schlug der andere eine vieldeutige Lache auf und meinte: »Flunkere nicht, Püppchen, es ließe sich dir wohl noch manch Gutes abgewinnen.«



Da senkte Licinius plötzlich betroffen die Augen, zitterte und bettete unerwartet beide Hände über den Becher.



»Was soll das?« rief sein Herr ärgerlich über die Störung, konnte es aber doch nicht verhindern, daß sein Knabe wie in Angst und Not in das eben verlassene Gespräch zurücklenkte.



»Herr,« brach er mit einmal hilflos ab, »ich verbarg dir etwas. Heute morgen wiesen sich zwei Schiffsleute deine Heimat auf Saßnitz. Und der eine meinte, du suchtest nur deshalb nicht nach den Deinen auf der Insel, weil sie arm und elend wären.«



Jetzt sprang der Riese empor und schob seinen Gefährten heftig mit der flachen Hand von sich.



»Dulde dies nicht,« bat Licinius noch einmal. »Warum sollst du Tröster gerade deine Nächsten verachten?«



Unterdessen war der Störtebecker bis zu dem eingebauten Bugspriet geschritten, dort, wo die Riesenlaterne als erstes Wahrzeichen des Schiffes bei Nacht ins Meer leuchtete. Hier stand er abgewandt, nagte verdrossen die Lippen und schleuderte zuweilen die Rechte von sich, als ob er irgend etwas Verbrauchtes ins W