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Claus Störtebecker

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Eine brennende Wange schmiegte sich an eine kalt durchfröstelte, und Linda duldete es, so körperlos hing sie hier in dem Gedränge. Ihr innerstes Selbst aber, ihr hingebungsbereites, blutig gequältes Sehnen, es hatte sich längst von ihr gelöst und schritt nun über die vielen Köpfe hinweg den hellen Tönen entgegen, die unter dem gerippten Portal des Bischofspalastes sich hell und markig aufschwangen.

Alles andere ging für sie unter. Linda sah nur das edle, herrschgewohnte Antlitz, überhaucht von einem im tiefsten glühenden Feuer. Seine Worte verstand sie nicht. Wozu auch? Sie begriff dennoch jede Biegung, jede neue Begründung dieses noch nie vor Menschenohren entwickelten Bekenntnisses. Unten ging ein ingrimmiges Stöhnen durch die Masse. Der fürstliche Verkünder dort auf den Stufen mußte seinem Volk wohl die Verfolgung und die Schmach seiner bisherigen Lage geschildert haben. Nun aber hoben sich die Häupter begieriger, man drängte sich näher, denn der Admiral warf den Arm vor, als deutete er seinen Schiffern eine bisher noch nie gesegelte Fahrt. Der Blonden stockte der Atem. Sie wußte es ja. Nun tauchte vor den Geschundenen und Gequälten, vor dem Auswurf alles Lebens das gelobte Land auf, nun wurden sie von einer Riesenfaust aus dem stinkenden Schlamm gezogen, und vor ihnen breitete sich eine saubere Erde, damit sie fortan in unangefochtener, unschuldiger Gemeinschaft auf ihr wohnen sollten. Ruhe – Ruhe, Linda preßte die Hände auf das hämmernde Herz. Hier öffnete sich die steile ungewohnte Straße! Würde das verdammte Geschlecht noch jung und hoffnungsstark genug sein, um sie überzeugt wandeln zu können? Oder hielt seine Verderbnis es bereits bei dem unheiligen Rachegeschäft fest?

Noch regte sich nichts. Keine Welle lief über den Menschensee. Und so tief sich auch Linda beugte, ihre brennenden Augen nahmen weder Hohn noch Widerwillen, aber auch keine jauchzende Zustimmung wahr. In erstarrtem Schweigen stand die Flut, nur auf ihren Gründen wälzte es sich zuweilen, wie ein langes, banges Wühlen.

»Horch,« sagte die schwarze Dirne neben Licinius, »was faselt der Störtebecker? Will er Gold unter uns werfen?«

Aufgeregt nestelte sich die Flötenbläserin los, verließ den Knaben ohne weiteres, und bald hockte sie ganz vorn in der Höhlung, wo sie die nackten Beine frech herabschlenkern ließ.

Siehe, unter dem altersgrauen Portal des Bischofspalastes geriet ein merkwürdiges Wachsen in die ohnehin schon ragende Gestalt des Einsamen. Über sich selbst hinaus reckten sich seine Glieder, eine menschliche Pappel, die kein Ende für ihr Aufwärtsstreben finden wollte, und seine letzten Worte schleuderte er hinaus, selbstbewußt, gewappnet, fordernd, gleich steigenden Lerchen, die sich trotzig jedem Pfeil aussetzen.

Und jetzt? Was geschah jetzt? In der gewalttätigen Überzeugung seiner Natur ballte der Gereizte weit vorgeworfen seine Faust und schüttelte sie, nicht nur gegen die starre Masse, die sich nicht wecken lassen wollte, sondern am meisten gegen den untersetzten Mann in der ledernen Schiffertracht, der kalt und unbeweglich eine Stufe unter ihm harrte. Gödeke Michael.

Das letzte aber, was man vom Störtebecker vernahm, war ein ungeheures, vermessenes, ihn wahrhaft schüttelndes Gelächter.

Die Menge stand verbissen in Taubheit. Ungewiß brütete sie vor sich hin. Träge verfolgte sie allein aus tausend Augen die geballte Faust ihres Führers, denn jene Rechte wurde eben vom Sonnenlicht gefärbt, so daß aus dem Siegelring des Admirals ein schmales rotes Blitzen aufstieg. Ein Feuerstrudel tanzte auf seiner Hand.

Die Menge rührte sich nicht.

Da plötzlich – ungewiß aus welchem Grunde – schrillte ein Kreischen über den Markt. Ungebärdig – vielleicht vor Langerweile, hatte die Dirne in der Fensterhöhlung des »silbernen Bischofs« ihr Brusttuch von sich gerissen, dadurch entblößten sich ihre Schultern vollends, und nun schwenkte sie den Lappen unter Geschrei und Gelächter ungestüm in der stillen Luft. Als hätte es nur auf dieses Zeichen gewartet, brach endlich das lang gestaute Gewitter über dem Menschensee los. Ein Donnerschlag antwortete, ein Brausen warf die schweren Wogen gegeneinander, ein Orkan von Stimmen wütete, tausend schwielige Hände griffen in die Morgenröte, als wäre es jetzt möglich, die vorüberrollende Sonne festzuhalten, und durchzuckt von krampfigen Erschütterungen schwoll die brüllende Menge dem Portal entgegen.

Wollte sie den Einzelnen dort oben, der in tiefes Staunen versenkt war, küssen? Wollte sie ihn ermorden? Keiner Bewegung mächtig, mit geschlossenen Augen saß Licinius und horchte. All die verworrenen Stimmen, die unter Heulen und Toben etwas zu ersticken suchten, das den feinen Ohren des Knaben ein Völkerschluchzen deuchte, das blasse reglose Menschenkind beherbergte seit Wochen all jenes Sieden, Überquillen und Staunen in seiner eigenen Brust. Aber jetzt, da das Unbegreifliche, in trüben Stunden häufig Angezweifelte sich der Erfüllung entgegenneigte, da Ausgestoßene und Verworfene sich für fähig hielten, ihre Verdammnis durch Arbeit und Brudersinn zu lösen, da sie die Macht spürten, das ursprüngliche Gute in sich anzubeten, um es weiter und weiter in Menschenfurchen zu streuen, da schauerte Licinius, denn er fühlte sich von unbarmherzigen Fäusten emporgerissen, und ein herrischer Mund küßte wie schon oft seinen Scheitel. Erlösung durch Menschenhilfe, ein Neuanfang, eine Wiedergeburt schon auf Erden, Gesegneter, oh Gesegneter, der diese Quelle des Heils unter dem untätigen, pesthauchenden Himmel erschlossen. O du, Geliebter – Gesegneter – Einziger!

Aufschluchzend preßte der Knabe beide Hände vor sein Antlitz, und während unten des Jauchzens kein Ende war, rieselten ihm Schmerz- und Danktränen reichlich über die Wangen.

»Kuck, wie der Dummkopf heult,« spottete die Flötenbläserin und stieß ihn während des Vorüberschreitens mit dem Fuß in die Seite.

Auf dem Markt hörte man jetzt eine andere Stimme. An der Stelle, wo bisher der Störtebecker sich gezeigt, stand nun der Mann in der ledernen Schiffertracht. Kurze, fortschleudernde Handbewegungen deuteten an, daß er mit hartem Wirklichkeitssinn das einriß, was eben in die Luft gebaut war. Allein der Triumph des anderen überheulte ihn. Das Volk kehrte jauchzend der nüchternen Vernunft den Rücken, um jenem nachzuströmen, der ihm soeben das Herrlichste, nie mehr Erwartete versprochen, die Rückkunft in Sorglosigkeit, Bürgertum und Menschenachtung.

Immer huldigender prallten die Haufen gegen den aufgerichtet Schreitenden an, sie küßten ihm den Mantel, sie warfen sich vor ihm nieder, sie schrien verzückt seinen Namen, und dennoch blieb stets ein Raum zwischen dem im blauen Wappenrock und den Namenlosen gewahrt, denn die unsichtbare Mauer zwischen dem Schöpfer und den Empfangenden ließ sich auch hier nicht überklettern.

Vor der Tür des »silbernen Bischofs« wandte sich der Gefeierte noch einmal zurück.

»Tut euch gütlich,« warf er hin, »in allen Schänken fließt heute roter und weißer Freiwein, an jeder Straßenecke lasse ich einen Mastochsen für euch braten. So nehmen wir von dem Raubgut Abschied.«

Gebrüll stieg zum Himmel, dann knarrten die Treppenstufen, und der wohlbekannte federnde Tritt verkündete sich. Aber wie anders kehrte Claus Störtebecker zurück, als der hochgestimmte Licinius ihn erwartet hatte! Erhitzt, mit funkelnden Augen, an jeder Hand eine Dirne mit sich schleppend, so stürmte der prächtig Geschmückte herein. Als er seines Begleiters ansichtig wurde, da stieß er die beiden Weiber von sich, und trunken von seinem Erfolg, schloß er den Knaben in die Arme und hob die zarte Gestalt spielend empor.

»Blondkopf,« löste es sich aus der mächtigen Brust, »hast du's gehört? – Was sträubst du dich? Was starrst du mich so an? Ja, es macht heiß, wenn der Atem der Zwiebelfresser übel um einen duftet! Gib Achtung, ich hab' etwas für dich. Lauf zum Michael, er wohnt in der Kurie, und lad' ihn für heute nacht auf die Agile. Spring, Kleiner, ich muß ihn haben! Schnell, dies taugt nicht für dich.«

Damit griff er wieder nach den beiden Weibern, und während er sich die Flötenspielerin über die Schulter warf, da erreichte es den davonstürmenden Licinius noch, wie die helle, sieggewohnte Stimme sich in unmäßigem Lärmen überschlug:

»Heda, ihr Venus-Täubchen, jetzt ins Bad! Wollen uns kühlen! Seid gerade der richtige Teufelsschnee dazu. Hurtig!«

Und als ob er vom Bösen verfolgt würde, stürzte der Knabe durch die Straßen.

III

Böses Wetter herrschte über der »Agile«. Nicht, als ob Wind und Wogen den Segler zum Streit herausgefordert hätten, denn der Himmel lachte im hellsten Gold und die Flut breitete sich als ein blauer Acker vor dem Meerwanderer aus. Nein, es war die schlechte Laune des Admirals, die immer schwer auf dem Schiffsvolk lastete, sobald das Unvermögen besonnenen Wartens die Herrschaft über den Lebhaften erlangt hatte. Die Tat, auch die aussichtsloseste, schloß er jauchzend in seine Arme, das Hinbrüten jedoch, das Minute an Minute Reihen ertrug er nicht, und mitten aus der erzwungenen Ruhe schoß er manchmal empor, entschlossen, durch irgendeinen heftigen Wurf den Zaun, von dem er sich eingeengt wähnte, zu zerschmettern. In solcher Lage aber befand sich der Sieger von Wisby nach seiner Meinung gerade jetzt. Die Tage wollten sich für ihn nimmermehr vom Firmament lösen, und keine noch so drohend emporgereckte Faust beschleunigte ihre Fahrt.

Unerträglich, nicht wert zu leben!

An der Galerie, die ganz hinten am Heck zu Füßen des gewaltigen Aufbaues den Abschluß des Schiffes bildete, schritt der Störtebecker eines Morgens rastlos auf und nieder. Das Haar flatterte ihm um die Stirn, und seine schwarzen Augen spähten über die eingefurchte Kiellinie zurück auf den Weg, den er gekommen. Hinter ihm war die tote Stadt längst versunken, das letzte Goldkreuz ihrer Kirchen hatte sich in Dunst aufgelöst, und das einzige, was sich auf der Fläche abzeichnete, waren die zwerghaften Umrisse von zehn schwarzen Freibeuterschiffen, die im weiten Umkreis dem Kurs der »Agile« folgten. Nur zehn? Wohin hatte sich der übrige Teil, der noch vor kurzem so stattlichen Flotte verloren? Und weshalb befand sich Gödeke Michael nicht in der Gesellschaft seines Freundes? Wo blieben der Magister und der fromme Saufbruder Wichbold? Und noch eins! Den Kundigen war es schon seit geraumer Zeit aufgefallen, daß man die dänischen Gewässer verlassen und auf der Höhe der deutschen Küste kreuzte. Spürte der Admiral plötzlich Sehnsucht nach Heimat und Sippe, die er stets hoffärtig verleugnet? Niemand erfuhr es, und unentwegt hielten sich die Schwarzflaggen auf derselben Meerstraße. An klaren Tagen konnte man aus den Mastkörben bereits die blauen Linien von Rügen dämmern sehen, allein kein Näherrücken gab es, sondern man harrte.

 

Enttäuscht lehnte sich Claus Störtebecker an die Wand des Aufbaus, kreuzte die Arme über der Brust und schickte noch einmal einen hoffnungslos finsteren Blick über die lachende Ferne. Nichts! Das, was er erwartete, die roten Segel, die in der Nacht seine Träume teilten, sie wollten sich nicht zeigen.

»Ich möchte lieber,« sprach er endlich höhnisch zu dem Knaben Licinius herunter, der mit einer Schreibarbeit beschäftigt zu den Füßen des Admirals hockte, »der dicke Wichbold schwömme als ein unförmig Bauchgebirge an uns vorüber, als daß mich der wüste Saufaus noch länger narrte. Acht Tage! Könnte ich doch mit dem Wind dem widrigen Kerl meinen Namen in die Ohren heulen, ich – «

Mitten im Satz schleuderte er jedoch alles weitere von sich, um sich unvermutet zu seinem Gefährten herabzubeugen, denn das Schweigen des Knaben verdroß den Heftigen.

»Was bedeutet dein ewiges Gekritzel?« rief er hastig. »Was treibst du, Bursche?«

Folgsam schloß der Angeredete seine Wachstafel, allein seine Augen suchten fortgesetzt den Boden, als er still erwiderte: »Ich tue, was du mich geheißen.«

»Ich?«

Plötzlich lachte der Riese und fuhr dem Blonden versöhnt über die Locken. Er besann sich. Damals, als er zur Nacht von Wisby auf sein Schiff zurückkehrte, war ihm zum erstenmal der Einfall aufgestiegen, es sei ratsam, vor Mit- und Nachwelt jene Begebenheiten aufzuzeichnen, die sein seltsam Vorhaben gefördert oder gehindert hätten. Denn ohne daß sich der Sorglose ganz klar darüber wurde, hatte ihn ein drängendes Verantwortungsgefühl gegenüber seinen eigenen Plänen erfaßt, so daß er meinte, sie müßten in ihrer Ursprünglichkeit erhalten werden, auch wenn er nicht mehr atme.

»Geh, Bübchen,« hatte er sofort seinen Gefährten angepackt, da Licinius in jener Nacht auffallend wortlos und sonder Teilnahme neben dem innerlich Berauschten einherging. »Du hast ein rein Herz. Zeichne auf, was du hier erspähst. Mag dein sanft Gemüt einst für mich zeugen wider Trug und Mißgunst.«

Und so hatte der Knabe in all seiner bedingungslosen Schwärmerei und heimlichen Trauer zur Schreibtafel gegriffen.

Heute entdeckte nun der Seefahrer ganz unvermittelt, nachdem er endlich seinem verbitterten Warten entrissen war, was sich längst in seiner Gegenwart entwickelt, und sofort entwendete er dem Knaben die Tafel vom Schoß, um sie in starker Spannung zu überfliegen. Er lehnte noch immer am Aufbau, aber bevor er zu blättern begann, warf er dem Blonden erst noch einen merkwürdig fragenden Blick zu. Der hielt das blitzende Augenpaar gefaßt aus, wie jemand, der mit sich und seinem Urteil im reinen ist.

Da schlug der Störtebecker das Buch auf. »Nun gut, Licinius,« meinte er neugierig, »laß sehen, was ein sauberer Spiegel zu melden weiß?«

Klangvoll fing er an zu lesen:

»Dies schreibe ich der Wahrheit zuliebe, und auf daß mir selbst einst vergeben werde –

Der Störtebecker hat auf dem Markt zu Wisby alles Volk zu sich bekehrt. Bis auf die wenigen um Gödeke Michael. Dies ist ein Schade, denn es sind gar wackere Schiffer und in guter Zucht. Die anderen aber streckten die Hände zu ihm wie zu einem Gott aus der Höhe, sie küßten ihm den Mantel, einige ließen ihn über sich wegschreiten, und ich habe etliche Narbengesichter weinen gesehen gleich den Kindern. Niemals zuvor wurde aber auch Verlassenen dergleichen verheißen, und unser Herz quoll über vor Dank und Sehnsucht. Am Abend kehrte der Störtebecker heim auf die ‘Agile’. Seinem blauen Prunkrock war böse mitgespielt, und er selbst gebärdete sich hitzig und voll Unrast, so daß man hätte fürchten können, er habe seinen Stern in übler Gesellschaft verloren! – «

Bei dieser Stelle fuhr der Lesende erstaunt herum, strich sich über die Stirn und schlug dann auf die Wachstafel.

»Was hast du hier geschrieben, Fant?« rief er nicht ganz sicher. Dann aber faßte er sich. »Töricht Kind, weißt du nicht, daß des Menschen Gebein aus Ton und Erde gemacht wurde? Es kann den Funken nicht immer vertragen!«

»Ich will den Satz tilgen,« versetzte der Knabe sanft.

»Nein, mag er bleiben,« bestimmte der Admiral nach einer Weile und versuchte zu lachen. »Er meint es redlich. Gehen wir weiter.«

– »Zur Nacht kam der Gödeke Michael an Bord. Mein Herr hatte ihn durch mich bescheiden lassen. Wir saßen zu dritt in der Kajüte. Der Michael hatte ein ernst und undurchdringlich Gesicht, und verschlossen war sein ganz Wesen. Es schien mir aber dennoch, daß seine Augen voll Trauer und Teilnahme an dem Störtebecker hingen. Da griff ihn mein Herr gleich scharf an und sprach: ‘Gödeke, warum hast du dich heute wider mich gewendet?’

‘Darum,’ sprach er, ‘weil du über die Wolken fliegst, und der Armen Sach' auf Erden ausgefochten wird.’

Der Störtebecker hielt an sich und erwiderte: ‘Weißt du denn nicht, daß ich darauf bin, ihnen ein Asyl zu öffnen?’

Der andere zuckte die Achseln und sprach: ‘Wie willst du wohl dazu kommen? Auf den Schiffen sind wir stark, aber zu Land ein verloren Häuflein. Mit so geringer Macht wird nicht einmal ein Acker gewonnen.’

Da lachte der Störtebecker hell auf und sagte: ‘Potz Marter, du denkst nur immer an Schädelspalten. Ich aber will mein Land in gutem Frieden mit Gold und Silber einhandeln.’

Darauf schwieg der Gödeke Michael eine Weile und bedachte sich, dann fragte er, wer solch ein Land wohl freiwillig verkaufen würde? Als er nun hörte, daß mein Herr schon den Hauptmann Heino Wichmann auf Kundschaft zu den Friesen gesendet hätte, da die Großen dieser Stämme aus Geldgier sogar ihre eigenen Weiber preisgäben, da schüttelte er den Kopf und fragte zum Schluß:

‘Und woher willst du eine solche Menge Goldes nehmen, wie sie gewißlich von dir fordern werden?’

Da zögerte der Störtebecker ein weniges, und es war, als ob er sich schäme, dann aber schüttelte er es ab und meinte kecklich: ‘Ich weiß eine Stadt in Norwegen. Die hat sich seit alters her gemästet, so daß sie schier erstickt vor Wohlleben und Überfluß. Auch die Hansischen halten dort ihre Kontore und nagen gleich den Ratten am Speck der Eingeborenen. Dorthin will ich den dicken Wichbold mit zwanzig Koggen senden, damit er den feisten Wanst mit Tribut und Steuer zur Ader lasse.’

Kaum hatte der Michael dies vernommen, da sprang er auf, stieß den Tisch von sich und schrie, während die Zornader ihm schwoll: ‘Ist der Wichbold schon fort?’

Und als mein Herr bestätigt hatte, die Koggen wären schon seit Mondaufgang unter Segel, da geriet der Michael außer sich, hieb auf die Tischplatte und verschwor und vermaß sich; ganz rot war er im Gesicht, als er hervortobte:

‘Wehe, du hast unsere Sache erwürgt und ins Grab geworfen.’

‘Gödeke,’ unterbrach der Störtebecker, und ich glaubte, er ersticke, ‘nimm dich in acht! Mich hat noch niemand beschimpfen dürfen.’

Bevor aber noch ein Unglück geschehen, da hatte der Michael sich selbst an der Brust gepackt und nun würgte und rang er gar erschrecklich, bis er endlich in seiner gewohnten Weise hervorbringen konnte: ‘Ich kenn' deine Stadt. Heißt sie nicht Bergen?’

‘Du sagst es,’ erwiderte mein Herr.

‘Und ich kenne auch den dicken Wichbold,’ entfuhr es dem anderen, ‘diesen Wegelagerer und stinkenden Weihrauchkessel. Gib acht, in der Linken sein Gebetbuch und in der Rechten ein Bund brennenden Wergs wird er die Bergener rösten, nachdem er ihnen zuvor das letzte Kissen aus dem Bett gezogen. Weißt du auch, was daraus entsteht? Die Dänischen und die Hansen werden gemeinsam über uns kommen und um so lieber, als die Schiffe des preußischen Ordens jetzt schon gen Wisby unterwegs sind. Zweifle nicht, dies muß die Schwarzflaggen zu Fetzen zerreißen.’

Als mein Herr so die nahe Gefahr verkündet hörte, da wuchs er in die Höhe, gerade wie damals, da die Steinkugeln des »Connetable« unser Deck zertrümmerten; schweigend schritt er in eine Ecke, holte von dort seinen langen Hieber hervor und streckte die Waffe gerade vor sich hin.

‘Höre, Gödeke,’ sagte er, und es konnte ihm keiner von uns in die Augen schauen, so grimmig flackerten sie, ‘so wenig ich über dies Eisen springen kann, während ich es in meiner Faust halte, so wenig wird dies alles geschehen. Meint der Wichbold etwa, ich wäre ein Hündchen, das im Schoß einer Dame schmeichelt? Er weiß, so auch nur einem Bergener ein Haar gekrümmt wird, so will ich ihn selbst schänden, daß kein Weihwasser mehr das Mal von seinem Pockenfraß abwäscht. Sei sicher, die Furcht wird ihm raten!’

Damit warf mein Herr den Hieber von sich, holte tief Atem und seufzte. Nachher sprach er mit einer treuherzigen und traurigen Stimme: ‘Aber dies ist nicht das schlimme. Das schlimme ist etwas anderes.’ Er legte dem anderen die Hand auf die Schulter. ‘Ist es wahr, Gödeke, daß du von mir gehen willst?’

‘Ja,’ rang sich der Michael langsam ab. ‘Meine Zeit ist gekommen.’

‘Gödeke,’ rief nun mein Herr, ‘bist du des Raubens und Stehlens noch nicht satt?’

Über das Gesicht des Michael lief eine Röte. ‘Ich habe mein' Tag nichts für mich genommen,’ rechtfertigte er sich rasch. ‘Aber es muß einer da sein, der für die Geknechteten und Geschundenen als ein Racheengel daherfährt. Was würde, wenn die Mächtigen nicht mehr vor dem Würger schauderten?’

Der Störtebecker nickte und sah vor sich nieder. ‘Und von dem Wiederanfang hältst du nichts?’ fragte er.

‘Ich bin ein Kriegsmann,’ zuckte der Michael die Achsel. ‘Wir haben am Kreuz gestanden und den Herrn vergeblich verröcheln gesehen. Seitdem weiß ich, daß Blut um Blut gefordert werden muß.’

‘So gehe,’ fuhr der Störtebecker heftig auf, ‘und wir wollen warten, wer unserer Sache besser nützt?’

‘Dies geschehe,’ sprach der andere kalt und wandte sich.

So wären die beiden alten Genossen schier unversöhnt voneinander geschieden, wenn nicht der Störtebecker dem Michael mit einem Sprung nachgesetzt wäre, gerade, als jener die Treppe erreichte. Aber auch der Michael kehrte zu gleicher Zeit um und streckte meinem Herrn beide Hände entgegen.

‘Bruder,’ rief der Störtebecker in einem Ton, wie ich es bis dahin noch nie von ihm gehört. Auch dem anderen schien das Wort durch und durch zu gehen, denn er führte die Hände des Freundes gegen seine Brust und sah ihn lange an. Dann sprach er:

‘Claus, seit du als Halbflügger zu mir kamst, hast du ein reiner Licht über mein Handwerk fallen lassen als je vorher. Das will ich dir nimmer vergessen. Darum kann ich auch in der Ferne nicht aufhören, auf dich zu achten. Geht es dir aber übel, so sende mir unsere Schwarzflagge und hänge deinen Siegelring daran. Daraufhin will ich meinen Kopf für dich wagen, wie bis auf diesen Tag. Und nun frisch, Claus, tue, was dein Herz dich lehrt und was ich nicht mit dir tun kann.’

Darauf umarmten sich die beiden Männer und gingen auseinander. – «

Hier schloß der Admiral das Buch, löste sich ein wenig von der Wand des Aufbaus, und sein Blick glitt abgekehrt zu der Kielfurche hinunter, die sich wirbelnd in der Weite verlor. Die Bilder aber, die sein Schreiber entrollt, gaben ihn noch nicht frei, sie fingen ihn vielmehr in einen dichtbevölkerten Käfig ein, aus dem es kein Entspringen gab.

Nein, das nicht! Was sollte der Verkehr mit Schatten? Gewaltsam schüttelte sich der Entrückte, um, wie zur Rettung, abermals nach der Tafel zu greifen. Siehe da! Waren da nicht in kleinerer Schrift ein paar Zeilen eines Nachtrags hingesetzt? Claus beugte sich, um sie zu entziffern. Und während des Ausdeutens kam dem Lesenden der Argwohn, als habe der Schreiber absichtlich seine Zeichen krauser und undeutlicher gehalten als bisher. Da stand:

»Dies schreibe ich für mich allein!

Als der Michael gegangen war, da stand mein Herr aus Stein gehauen, als wäre er aus der Welt ausgestoßen und verbannt. Aber dem war nicht so! Wer ihn recht betrachtete, der merkte wohl, daß ihm während dieses ganzen Streites ein weißes Licht auf der Stirn geleuchtet, so daß man hätte vor ihm niederknien mögen, um ihn anzurufen: ‘Nimm mich mit dir, wohin du dich auch wendest.’ Deshalb weiß ich, unser Heil ist nur in den Spuren dieses Einen. Denn er sucht das Gute. Und ob es sich auch tief versteckt, es ist nicht aus der Welt. Mögen wir alle es schauen vor unserem Ende!«

 

Tief aufatmend fügte der Störtebecker die Wachsplatten zusammen, schlang die Bänder um die Holzhülle und reichte Licinius, der sich inzwischen erhoben, die Tafeln zurück. Auf dem engen Raum hinter der Galerie standen sie dicht nebeneinander, ein Ausweichen war nicht möglich. Gern hätte der Knabe erfahren, ob der Admiral mit der Schreibarbeit zufrieden sei, allein dieser hatte sich abgekehrt, so daß seine Gesichtszüge dem Blonden verborgen blieben. Da versuchte Licinius dem Seemann die Hand bescheiden auf den Arm zu legen. Kaum aber spürte dieser den Druck, da fuhr er zum Schrecken seines Gefährten mit einem Sprung herum – dann ein Augenblick des Erstarrens, und in den Blonden schlug es ein, daß dies nicht mehr derselbe sei, der noch soeben höhnisch, ungeduldig, verbittert nach seinem Schicksal ausgespäht. Nein, wild, hingerissen, über alle Grenzen geschleudert, so stand der leuchtende Mensch vor dem Fassungslosen, der solch jähen Wechsel nicht gleich begriff, dann ein selbstverständliches Zupacken, in irrem Schwindel fühlte Linda ihre Glieder emporgeworfen, und dann lag sie wie in einer mächtigen Wiege, und das edle und doch so fürchterliche Antlitz ihres Bezwingers beugte sich nah und näher auf die Zitternde nieder.

»Knabe – Weib – was bist du eigentlich?« jauchzte ihr eine heiße, verzehrende Stimme ins Ohr. »Du Stern, der mir vom Himmel herabfiel, was soll die Vermummung?«

Da sprang über der Hingestreckten das blaue Gewölbe auseinander, Entsetzen und Verzückung stürzten zugleich auf sie herab, voll Schauder warf sie die Hand gegen die sündhaften Augen, allein der erhobene Arm brach kraftlos auf halbem Wege zusammen, und nichts als eine lächelnde Starrheit war dem erschreckten Bedränger preisgegeben.

Als ihn dies gänzliche Verstummen erreichte, da kehrte dem Betroffenen die Besinnung zurück. Eine bittere Verachtung verzerrte plötzlich seinen Mund, schützend packte er seine Last fester, und zum erstenmal warf er einen scheuen Blick um sich, ob auch die Mannschaft nichts von seiner Verlegenheit erkundet. Allein, da hinter dem hohen Aufbau keine Überraschung zu besorgen war, so öffnete der Störtebecker entschlossen die schmale Hinterpforte, und gleich einem Einbrecher schlich er tief gebückt in die große dunkle Kammer. Ein Lichtstreif verriet ihm die Lagerstreu seines Gefährten. Nur Stroh und Schilf sowie eine rauhe Decke dienten hier zu Rast und Schlummer, und eine heimliche, nie empfundene Bedrückung belehrten den Eingedrungenen ganz unerwartet, welcher Dürftigkeit das verwöhnte Geschöpf, das er jetzt so behutsam auf den Armen trug, sich hier habe anpassen müssen. Und weshalb? Weil sie, die Gemißhandelte, unverrückbar und felsenfest an seinen Stern glaubte. Ein heißer, dankbarer Blick streifte das totenähnliche Antlitz, und während er den fühllosen Körper sanft auf die Streu gleiten ließ, da regte sich in dem Prachtliebenden, stets zu jeder Verschwendung Bereiten, ein unzähmbarer Haß gegen die Ärmlichkeit dieses Lagers. Wie? Er selbst wühlte im Golde, und seine Nächsten sollten darben? Das konnte ihm nur Schande eintragen, solches berichteten auch die Lieder keineswegs, die man im Volke von ihm sang.

»Wulf Wulflam,« befahl er eine Weile später, als er über Deck schritt, seinem Bootsmann, »wir haben noch die Schlaftruhe des Bischofs von Strängnäs an Bord. Der Pfaffe faulenzte auf seidenen Kissen und unter einer Purpurdecke. Schnell, schaffe den Plunder zu Licinius in die Kammer! Das Büblein braucht sich die Knie nicht wund zu scheuern.«

Vergnüglich wollte der Schiffer Beifall grinsen, allein ein Blick auf das hochmütige Gesicht seines Herrn ließ es ihm doch geraten erscheinen, lieber die Kappe zu lüften, um sich dann wortlos an seine Arbeit zu trollen. Er wußte aus Erfahrung, wie wenig für Einverständnis und Vertraulichkeit von diesem Seetyrannen in gleicher Münze eingewechselt wurde!

Tag und Nacht war verstrichen, und in seiner Kajüte streifte der Störtebecker ruhelos auf und nieder. Zuweilen hörte man auf Deck, wie unten ein harter Faustschlag gegen die Holzwände dröhnte. Zwiefach harrte der Admiral. Auf die roten Segel, die nicht aus dem Horizont brechen wollten – und ein heftiger Zorn peinigte ihn daneben, weil ihm sein Knabe heute zum erstenmal nicht bei Tisch aufgewartet.

Was sollte das? Auflehnung? Der Gereizte blieb stehen, und ein verständnisloser Blick streifte die lederne Peitsche an der Wand. Er wußte nicht, was er wünschte. Gleich darauf zwar brach er in Hohn über sich selbst aus, und er verspottete sich, weil in dieser unerträglichen Spannung Weiberkram seine Gedanken beeinträchtigen konnte. Angestrengt sann er eine Weile nach und horchte, ob sich kein weicher Tritt melde. Als sich jedoch nichts regte, spritzte ihm die Wut verschärft in die Stirn und doppelt besessen stürzte er an die Schiffsluke, um in ohnmächtiger Verzweiflung über die schwanke Ebene zu spähen. Nichts – nichts – bei den fünf Wunden, nicht der Schatten eines Käfers ließ sich entdecken, und mit schmerzenden Augen taumelte der Unbändige zurück und raufte sich stöhnend das Haar. Zwanzig seiner mächtigsten Schiffe, der Kern der gesamten Schwarzflaggen, sie waren verschollen, er hatte sie unter die Hand eines gewissenlosen Henkersknechtes gegeben, und nun bohrte in ihm die immer spitzere Erkenntnis, daß auf diesen Planken alle Hoffnung der Armen und Elenden verladen war, zu deren Wortführer er sich aufgeworfen. Welch ein Hohngelächter würde rings um die Küsten schallen, wenn man erst erfuhr, daß diese gefürchtete Waffe vielleicht von einem seiner eigenen Genossen gestohlen war? Lähmend stieg ihm die Befürchtung des Gödeke Michael auf, und zu stolz und herrschsüchtig, um den geringsten Vorwurf zu erdulden, begann seine Tobsucht nach irgendeinem Opfer Ausschau zu halten. Warum kroch dieser blonde Tröster nicht wie sonst gleich einem demütigen Hündchen zu seinen Füßen? Das durfte der Herr doch verlangen!? Und wieder haftete sein verwirrter Blick an der Lederpeitsche, und seine Rechte streckte sich krampfgeschüttelt nach ihr aus.

Da – mit einemmal, welch ein singender, langgezogener Ruf aus den Himmeln?

Der Störtebecker schnellte in die Höhe, und so sehr hatten sich alle seine Sinne in eine einzige Erwartung verzogen, daß er die Gestalt nicht unterschied, die jetzt in die taghelle Öffnung der Tür drang.

»Herr,« jubelte Licinius, wie immer ein Bote des Glücks, »der Wichbold!«

Da wurde ihm noch einmal der Freispruch von unerträglichen Foltern vergönnt, die Entkettung von irgend etwas Wildem, Bösartigem, das schon Gestalt gewonnen. Beide Arme warf der Störtebecker auseinander und stürzte auf den Ersehnten zu, als wollte er abermals die feinen, schlanken Glieder im Übermaß des Entzückens an sich pressen. Aber der gewaltige Zug, der über ihm war, sprengte ihn weiter. Nur die Hand des Knaben umklammerte er, und ohne sich fürder um ihn zu kümmern, riß er den Blonden widerstandslos hinter sich her auf Deck.

Oben ein glasheller Sommertag und unter ihm das seidige Wallen des blauen Meeres. Jedoch der Besessene blieb blind für die gewohnte Pracht, ihn trieb einzig die lodernde Wut seines Wesens an, sein abergläubisch verehrtes Glück allein und weit über den Häuptern der anderen auskosten und ermessen zu dürfen. Niemals hatte er sich dazu hergegeben, heute stürmte er unempfindlich gegen seine Würde über die Strickleitern empor, und bald entdeckte ihn die erstaunte Mannschaft, wie er hoch oben in der rot gestrichenen Masttonne sich weit über den Bügel warf, um die ungeschützten Augen frech und durstig in die Sonne zu bohren.