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Claus Störtebecker

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Nimmer konnte der Drost seine Aufmerksamkeit ablenken von der hohen geschmeidigen Gestalt des Wirtes. Wie der etwa dreißigjährige, von schwellender Gesundheit durchflutete Mann ihm in dem rotseidenen Prachtwams gegenüberlehnte, die linke Hand spielerisch auf einen winzigen Dolch gestützt, während die rechte in malender Bewegung von Zeit zu Zeit seine meist leidenschaftlich hervorgestoßenen Sätze begleitete, da mußte sich der abschätzende Beobachter gestehen, daß Sage und Gerücht die Anmut, ja, den Zauber dieses gefährlichen Seelenfängers eher unterschätzt hätten. Die flammend schwarzen Augen sprühten jedem Genossen eine heitere unbekümmerte Wärme ins Herz, auf der hohen Stirn wechselte bald ein unnahbarer Stolz mit blitzender Gedankenarbeit, und das braune Lockenhaar zitterte oft, wenn die eigene Bewegung den Admiral fortriß.

»Ob dieser strahlende, selbstbewußte Condottiere, dem die Natur bereits einen unsichtbaren Fürstenhut auf das Haupt gedrückt, nicht doch ein gar zu überlegener Gegner für das leicht entzündete Weib in dem Schloß da droben ist?« dachte der Drost, mit sich kämpfend. Und wieder schob er den Becher unberührt von sich und machte Miene, das schon zu lang fortgesetzte Gelage zu endigen. Sein Gastgeber aber fing jene Gebärde ungläubig auf und winkte lebhaft abwehrend mit beiden Händen.

»Nichts da, hochedler Herr,« widerstrebte er mit einer leichten Verneigung, und seine Stimme lachte und lockte, als ob er zu einem schönen Weibe oder mindestens zu einem geschätzten und verehrten Lehrer spräche. »Ihr tatet meinem Weine bisher wenig Ehre an. Mustert ihn besser. Gesteht, glitzert er nicht in seinem silbernen Grund, als ob wir ein Stück Sonne aus Eurem Meere aufgefischt hätten? Es ist Ingelheimer, Herr Drost, und man sagt, Carolus Magnus habe die ersten Reben gepflanzt. Kommt, der Geist des großen deutschen Mannes ist mir nicht zu schade, das Wohl Eurer königlichen Frau zu feiern.«

»Recht – nicht zu schade – wollte auch geraten haben!« schluckte der Kriegsoberst Konrad von Moltke und rieb sich emsig seine glühende Hakennase, da er in ihr bereits ein verdächtiges Jucken spürte. Er war von dem Kanzler mitgebracht worden, um dem Störtebecker bei dessen berüchtigten Trinkgelagen Widerpart zu leisten. »Gebt her, Schelme! – Ingelheimer – Carolus Magnus soll leben.«

»Wir danken,« fiel hier der Kanzler, erschreckt über die Grobheit des Kriegsmannes ein und rückte sich mit einem leisen Seufzer zurecht, um an dem Becher mit dem vielgepriesenen Wein zu nippen. Innerlich jedoch war ihm jede Zecherei ein Greuel, da sie sein Gallenleiden bissig aufregte. Daher sammelte er sich und sprach überlegt und zu seinem Zwecke weiter: »Unsere erhabene Majestät von Dänemark schätzt die Herren sehr.«

Bei dieser Stelle lächelte der junge Admiral in dem roten Wams überaus höflich. Zugleich aber fuhr sein dunkles Auge blitzschnell und Einverständnis heischend über die wettergebräunten Gesichter seiner Genossen, bis es haften blieb an dem schmalen, feinen Jungfrauenantlitz des Hauptmanns Wichmann. Der hatte sein Kinn auf einen langen Hieber gestützt, und der Schimmer der Laternen glättete ihm weich die seidigen Blondhaare. Allein, wer genauer zusah, der merkte, wie dem Zwerglein inzwischen die Schläfen ergraut waren und wie ihm auch in die Stirn eine Silberlocke hing, gerade über der breiten Narbe. Niederträchtig zuckte es ihm in den zwiefarbigen Augen, als er auf die sanfte Einleitung des Kanzlers ebenso friedfertig, und ohne seine Lage im geringsten zu wechseln, gleich einem artigen Kinde erwiderte:

»Sapienti sat, Herr Reichshofmeister. Wir sind überzeugt, daß Frau Margareta uns sehr gewogen sein muß. Wie ja ein groß Gemüt stets dem gefährlichen Gegner huldigt. Man denke nur an die Troer und Griechen, die sich auch liebreich bei Gesandtschaften bewirteten. Nicht wahr? Zudem,« schloß der Kleine milde, »wandelt Frau Margareta vor aller Augen in den Spuren des Christus und deshalb bietet sie auch die linke Wange zum Backenstreich, obschon die rechte bereits geschlagen wurde.«

»Nun, Ihr irrt Euch,« wollte der alte Hofmann seinen gerechten Unwillen über die Frechheit dieses ausgerissenen Magisters bezwingen, da mischte sich zum offenen Entsetzen des Kanzlers eine grelle, kreischende Stimme in den bereits unterirdisch zischenden Disput, und der Kriegsoberst Moltke bellte durch seinen grünen Weinnebel hindurch, gleich einem bissigen Dorfköter:

»Wer redet hier von Backenstreich? Will jemand Margretlein an den holdseligen Leib? Er melde sich. – Ich sage, er melde sich.« Da jedoch niemand der Aufforderung Folge leistete, so schlug sich der Betrunkene völlig verworren auf sein hellrot feuerndes Beindach und brodelte halb klagend: »Ihr Hundesöhne, ihr Spitzbuben – ich wollte euch ja lieber – «

»Die Schädel einschlagen,« ergänzte Hauptmann Wichmann sanft.

Hier folgte das ruhige überlegene Lachen eines einzelnen Mannes, und es wurde doppelt wirksam, weil die anderen halb gespannt und halb verlegen die Unterhaltung eingestellt hatten, während dem Kanzler der helle Angstschweiß aus der verschrumpften Greisenstirn perlte. Der Mann aber, der so gelassen sein Verständnis für die geheime Sehnsucht des dänischen Kriegsobersten bekundete, er saß dem Trunkenen auf einem derben Schemel gerade gegenüber und hieß Gottfried Michaelis oder im Volksmund Gödeke Michael. Wie er der einzige war von seinen Gefährten, der zum Empfang der vornehmen Gäste kein Prachtgewand angelegt, sondern gleichgültig das braune Lederwams seines Berufes trug, so hatte er auch bis jetzt in einem kargen, beobachtenden Schweigen verharrt. Keine Bewegung störte die Ruhe seiner breitbrüstigen Gestalt, und in seinem ehernen, düsterblond umrahmten Antlitz zeigte sich weder Teilnahme noch Abwesenheit. Etwas streng Abgeschlossenes beherrschte diesen Menschen, und der Kanzler erriet sofort, daß der Schweigsame nur seinen eigenen Gestirnen zu folgen gewohnt sei. Nun löste der Kräftige die Verlegenheit auf eine ungekünstelte und natürliche Art. Ohne Mühe hob er die gewaltige Silberkanne, seinem Gegenüber neuen Trunk einzugießen.

»Ihr habt recht, Herr,« stimmte er dabei im Ton eines redlichen Zeugen zu. »Welcher Fisch lernt auf sein Alter noch in Milch schwimmen? Als wir bei Wisby aufeinander stießen, da haben wir uns besser verstanden.«

»Ecco,« erwiderte der Totenschädel, riß seine Fischaugen auf, und eine schwefelnde Erinnerung überkam ihn, »diavolo barbuto, damals, Herr, hab ich Euch eine Fracht Bier und zwei Last Weizen genommen. Gut – gut – Herr, freut mich, daß Ihr endlich das Maul auseinander bringt. Wann treffen wir uns wieder, Herr?«

Schwankend streckte er dem Ledernen die Rechte über den Tisch. Der schüttelte sie ihm derb.

»Wartet,« versicherte er kaltblütig. »Die stillen Tage gehen vorüber. Friede ist ein flüchtig Wort.«

»Wahr – wahr,« jammerte es vom unteren Ende der Tafel aus einer dumpfen, zerknirschten Kehle, und ein paar fleischige Hände begannen die Perlen eines Rosenkranzes krampfhaft gegeneinander zu werfen. »Friede halten nur die unschuldigen Engelein. Oh, du wonnige Jungfrau, oh, Ihr gebenedeiten Nothelfer, warum mußte ich den frommen Bischof Tordo von Strangnäs nackt in den Schnee jagen? Oh, die Kreatur ist böse von Grund aus.«

Ein aufgeschwemmter, stiernackiger Graukopf war es, der so gewohnheitsmäßig seine angebliche Qual herleierte. Gemeinheit wohnte in seinen plumpen, verschwollenen Zügen, und seine leeren blauen Augen zwinkerten unter den struppig herabhängenden Haaren oft in scheuer Hochachtung zu seinen Genossen hinüber, als wenn er nicht verstünde, wie er bei seiner Unbildung und Bäuerlichkeit unter die glänzenden Anführer geraten sei. Dies war auch schwer zu begreifen, denn Hauptmann Wichbold stellte nichts anderes vor als einen gewöhnlichen Buschklepper, einen Strauchdieb, dem kein Verbrechen zu abschreckend, kein Diebstahl zu gering galt, vorausgesetzt, daß er hinterher seine jammervolle Seele durch ein paar hundert Paternoster beruhigen konnte. Kunstgerecht schnitt er jede Kehle ab, indem er dabei seinem Schutzpatron gebührenden Anteil gelobte. Darum wurde der wehleidige und zugleich heimtückische Patron von seinen Gefährten und namentlich von den beiden Admiralen auch nur mit äußerstem Widerstreben geduldet; allein der wüste Mensch war ihnen nun einmal von dem großen Haufen gestellt worden, halb als Beobachter, weil die dunkle Masse den politischen Plänen ihrer Befehlshaber nicht völlig traute, und halb als Hemmnis und Bleigewicht, um die hochfliegenden Pläne der Führer immer wieder auf sein eigenes erbärmliches Raubgelüst zu erniedrigen. Schon seine Gegenwart gereichte den anderen, gerade wenn sie sich am hochgestimmtesten als Bildner einer neuen Weltordnung fühlen wollten, zur düsteren Mahnung, auf welchen Grundsteinen sie die Halle ihres Gerichts zu erbauen strebten.

»Oh, des Elends,« heulte der aufgeschwemmte Wichbold noch einmal in seinen Becher hinein, »die wir nicht Ruhe noch Gesetz halten können.«

Seine Kranzkugeln klapperten wie knirschende Zähne aufeinander.

Bei alledem wurde dem Reichshofmeister himmelangst. Er hatte wohl die Einladung seiner Herrin überbracht und in allerlei seinen Andeutungen durchschimmern lassen, wie die Fürstin namentlich an dem Besuch des Störtebecker Gefallen finden würde. Allein bis jetzt hatte er weder von den anderen, noch von dem jungen Admiral irgendeine bindende Zusage erhalten, und allmählich gewann der feinfühlige Alte den Eindruck, als ob sich die Befehlshaber dieser gewaltigen Seemacht von dem eben geschlossenen Frieden durchaus keinen besonderen Vorteil versprächen. Auch darüber hinaus witterte er einen ihm noch verborgenen Widerstand gegen die Verhandlungspläne seiner Königin. Hier galt es, den Zaudernden rasch und reizvoll glühende Zauberfrüchte vor die Augen zu malen. Schmatzend, als ob er etwas Köstliches auf der Zunge spüre, begann er von neuem zu schmeicheln:

 

»Die Königin hat mit Wohlgefallen die große Flotte der freien Beherrscher des Meeres betrachtet.«

»Margretlein,« lallte hier Kriegsoberst von Moltke bestätigend dazwischen, der nach Art der Trunkenen sich zu strengster Deutlichkeit verpflichtet wähnte.

Als Antwort strich Gödeke Michael an seinem Lederwams herunter.

»Das freut uns,« erwiderte er mit seiner undurchdringlichen Miene. »Wir haben ihr zu Ehren ein Geschütz gelöst. Sonst kommen wir, um Euren Gefangenen, den König Albrecht, abzuholen.«

Das war nun wieder ein anstößig Kapitel. Gar zu leicht konnte die Erinnerung an den eben erst abgeschlossenen Waffengang aufleben, auch sonst schätzte der Kanzler keineswegs das Gedächtnis der sieben mageren Jahre im Turm zu Lindholm, deshalb zuckte er kaum merklich die Achsel und sprach mitleidig weiter:

»Wie gönne ich ihm seinen Ruhesitz in Mecklenburg. Der arme, schwache, redselige Mann. Ihn hat das schmerzlichste Los getroffen. Nicht einmal Euch, seine treuesten Freunde, konnte er belohnen.«

»Wir brauchen ihn nicht,« rief hier Claus Störtebecker fröhlich, der bis dahin leicht zurückgelehnt all die vergeblichen Bemühungen des alten Fuchses mit seinem feinen, erkennenden Lächeln begleitet hatte. »Bemüht Euch auf das Verdeck der ‘Agile’, hochedler Herr, und Eure Erlaucht können leicht meine Mannschaft singen hören.«

Und der Admiral sang selbst:

 
»Die Schwarzflaggen laufen in Wind und Wettern,
Sie stehen in keines Menschen Sold,
Sie fahren aus auf Pech und Brettern
Und kehren heim auf eitel Gold.«
 

»Vortrefflich, auf eitel Gold – freilich – «

Das dürre Gerippe stutzte. Es befremdete ihn höchlich, auch diesen jungen, von fürstlichem Anstand geleiteten Seehelden so obenhin über Raub und Brandschatzung urteilen zu hören. Denn seine nicht geringe Menschenkenntnis suchte hinter jener hohen, wetterleuchtenden Stirn noch eine andere, eine höhere Weltauffassung. Trotzdem ging er auf den leichtsinnigen Ton ein.

»Freilich,« grinste er aus dem Gewirr seiner Furchen heraus, während er seinen Blick all die auffallende Pracht noch einmal kosten ließ, »man sieht's. Es verbirgt sich nicht. Nur schade,« schnellte er einen bösen Pfeil möglichst harmlos hinterdrein, »Eure Freibriefe erlöschen mit dem geschlossenen Frieden.«

»Unser Recht beruht nicht auf Schreibwerk,« beharrte Gödeke Michael fest.

»Auf was sonst, wenn es Euch beliebt?« griff der Drost diesmal schnell nach.

Da loderte es auch in den schwarzen Augen des Störtebecker grell auf. Ein Windstoß von Wildheit fuhr über das eben noch so strahlende Antlitz. Es war, als ob ein Blitz in einen Garten geschlagen hätte.

»Auf dem Unrecht der anderen,« rief er hell.

Wem gehörte die Stimme, die jedem Lauscher das Innerste erwühlte? Die Drommete eines fernen, hellseherisch verkündeten Gerichts schmetterte aus dieser Inbrunst. Und siehe da, die wenigen Worte klammerten sich wie ein Ring um den kleinen Kreis. Selbst der Trunkene horchte auf. Dem Kanzler aber wurde unheimlich. Das beängstigende Vorgefühl, in eine rätselhafte, noch nicht entschleierte Entwickelung geworfen zu sein, ergriff den Alten plötzlich, ja, seine aufgejagten Greisensinne wurden unvermutet durch die Vorstellung gepeinigt, er sei dazu verurteilt, wider seinen Willen das Brodeln des ehernen, von grauen Mächten gehüteten Kessels zu belauschen, in dem Weltwenden und Völkerschicksale gleich platzenden Blasen durcheinander tanzten. Nein, dazu war er schon zu alt, dergleichen mochten seine triefenden Augen nicht mehr schauen. Fröstelnd schüttelte sich das Gerippe und dankte Gott im stillen, als es zu bemerken glaubte, wie die Züge des jungen Admirals gleich darauf wieder von der alten Heiterkeit erhellt wurden. Seufzend und mit einem letzten Versuch zog der unermüdliche Hofmann eine neue Saite auf seine vieltönige Geige.

»Ich will die Herren weder überreden noch bestimmen,« sagte er, ganz als ehrlicher Freund und Berater, »da sei Gott vor. Aber mein Herz bedrückt es gleichwohl, wenn ich ermesse, zu welch wertvollen Leistungen ein solch herrliches Werkzeug erkoren sein könnte, sobald es einem sicheren Gesetz oder einer anerkannten Macht dienstbar wäre.«

»Erspart Euch das,« weigerte sich hier Gödeke Michael streng, und aus seinen eisenblauen Augen traf den Alten ein finsterer Blick. »Wir folgen trotz alledem einem Gesetz. Einem so unerbittlichen, daß Ihr die einzelnen Artikel nicht ertragen würdet.«

Der Drost nickte wehleidig. »Mag sein,« redete er halb in Angst und doch von seiner Aufgabe beherrscht weiter, »allein die Umwelt und die gewordenen Verhältnisse, auf denen allein ein gutes Gewissen sorgenlos ruhen kann – «

»Alter Herr, sang Euch die Amme dies spaßige Märchen?« schoß das blonde Zwerglein bissig dazwischen.

Mühsam überhörte der Drost auch diesen Einwurf, um unter immer stärkerem Unbehagen fortzufahren:

»Ihr werdet nicht leugnen, das Bestehende kann sich in Eure Sitten nicht recht hineindenken. Dazu hängt es zu fest an erprobten alten Geboten, die ihm allerlei Unersetzliches verbürgen.«

Der junge Admiral schnitt mit der Hand durch die Luft.

»Erbe und Besitz, Truhenschatz und Pergamentvorrechte, adlige Bettpaarung und Gotteswort für die Armen,« half er mit seiner verwirrenden Liebenswürdigkeit ein. »Davon wollt Ihr sprechen, nicht wahr?« Es klang beinahe gutmütig.

»Das auch – gewiß – das ist für den Bürger der Ausgangspunkt vieles Guten. Allein ich dachte auch an etwas Höheres. Verzeiht mir – aber wie schwer muß auf euch allein des heiligen Vaters Fluch und Bann drücken!?«

Noch war das Bedenken nicht ganz erhoben, als der Kanzler sich auch schon völlig verständnislos umblicken mußte. Ein schallendes Gelächter wälzte sich um die Tafel, und nur der dicke Wichbold schlug weinend vor Gram und Trunk seine fleischigen Hände zusammen, dazu stöhnend:

»Oh, ihr vermaledeites, heilloses Volk – lacht nicht, lacht nicht über Pein und Fegefeuer! Warum mußte ich den Bischof Tordo von Strangnäs an den Seen von Stockholm niederwerfen? Bis aufs Hemd hab' ich den heiligen Mann ausgezogen. Ein kostbar seiden Hemd, wie es die Frauen tragen! Und jetzt, alter Mann, jetzt verzehrt der Frost meine eigene Seele. Ich klappere mitten im Sonnenschein, denn ich allein bin schuld, daß sich uns keine Kirchentür mehr öffnet. Ach, ich verirrte, armselige Kreatur, ich!«

Sein dickes Heulen und Schmatzen verlor sich in dem Schlund des Bechers.

Voller Abscheu, verächtlich sprang der junge Admiral zur Höhe. Aber noch immer wetterte ein Abglanz des wilden Lachens um seinen feinen Mund.

»Habt Nachsicht,« entschuldigte er sich endlich vor seinem verblüfften Gast und schlang den Arm gefällig um eine der Fackelstandarten. »Ich weiß, ich hätte mir eher die Zunge abbeißen müssen, als solch einen verehrten Gönner durch unziemliches Lachen zu verletzen. Doch Ihr konntet nicht wissen, daß für uns gerade der römische Baalspfaffe zu jenen betrüglichen Gauklern gehört, in deren dunklen, die Welt verängstigenden Nebel wir unser rotes Fackellicht stoßen wollen. Alter Mann, sei ehrlich – meinst du wirklich, Völlerei, Lakenspäße, Mord, Ämterschacher und das durch Seelenverängstigung erlistete Scherflein der Witwe berechtigten zu dem schwindelnden Anspruch auf Priestervergottung? He, da seid Ihr gerade unter die Henker solch alter Lügen geraten.«

Er rüttelte an dem Schaft der Laterne, und seine breite Brust dehnte sich unter der rotseidenen Hülle, als er heftig hervorstieß:

»Ist's noch nicht genug, an der müden Schwächlingslehre selbst? Unsere Schuld und Fehle, das Eigenste, Heimlichste der Kreatur, einem anderen aufbürden, nicht wahr, so gefällt's Euch? Das nenne ich mir gar eine tapfere Kunst. Geht, seid Ihr fromm, warum sucht Ihr nicht Euren noch immer unbekannten Gott? Vielleicht, daß er Euch eines Tages begegne. Mitten in einer Sauferei oder im Bett einer Hure. Aber was tut Ihr? Ihr schlagt mit Keulen nach dem Geist, der von ihm strömt, weil er sich überall gegen Euch auflehnt. Geht – geht, faulende Gräber, geschminkte Heuchler.«

Claus Störtebecker wandte sich und schritt hochaufgerichtet durch den weiten Raum, bis dahin, wo an der getäfelten Wandung bereits dunkle Schatten auf und nieder schwebten. Leicht konnte man meinen, daß der Gastgeber hiermit die Tafel aufhöbe. So faßte es wenigstens der dänische Reichshofmeister auf. Der Unterkiefer war ihm herabgesunken, der alte Mann konnte sein Staunen über die empörerische Kühnheit der eben vernommenen Ansichten noch immer nicht mäßigen. Zwar dachten zu jener Zeit viele erleuchtete Köpfe ähnlich, aber der Aufruhr wagte sich gegen die feile Kirche vorerst nur in den Studierstuben hervor. Langsam schob der Drost seinen Stuhl vom Tisch und raffte seine lange Gestalt in die Höhe. Niederdrückend beschlich ihn dabei der Ärger, und er hing ihm förmlich an seinen schlaffen Wangen nieder, weil ihm, auf die ehrende Einladung seiner Fürstin, keine freundlichere Bereitwilligkeit gezeigt worden war. Ja, daß er im Grunde kaum mit halben Worten abgespeist, gleich einem aufdringlichen Zwischenträger wieder ans Land zurückgeschickt würde. Jedoch – um alles – nichts zeigen, nichts merken lassen. Auf seinen Wink hing ihm ein aufwartender Bursche seinen schwarzen Mantel um, und nachdem von dem Buben auch noch der Kriegsoberst Konrad von Moltke seinem Schemel entrissen war, was freilich nicht ohne allerlei Faustschläge ablief, da schickte sich der dürre Drost äußerlich unverändert, zu innerst jedoch verletzt und beleidigt, zum endgültigen Abschied an.

»Habt Dank,« knickte er gegen die schweigende Runde zusammen, obwohl sein Blick noch immer die abgewandte Gestalt des jungen Admirals suchte. »Ihr habt uns aufgenommen, wie es eurer Macht und eurem Wohlstand geziemt. Mein Zweck, euch kennen zu lernen, ihr Herren, ist damit erfüllt. Auch werde ich reinen Mund halten über das, was ihr mir des Fürderen über eure Feindschaften und Widersetzlichkeit enthüllt. Zudem, ich bin ein guter Christ und habe die gefährlichen Schwarmschriften des Oxforder Professors,3 nicht so gründlich studiert wie ihr – «

»He, hochedler Herr, säumt noch, ich zeigte Euch gern lieblichere Schreibereien,« unterbrach aus der fernen Ecke die lachende Stimme des Admirals. Und ohne sich an die Einwilligung seines Gastes zu kehren, schleuderte der schlanke Befehlshaber mutwillig aus einer geräumigen Truhe ein mit Leder und bunten Steinen besetztes Buch nach dem anderen auf den Teppich. »Seht, würzigstes, römisches Gewächs. Ihr müßt wissen, ich ward der Erbe des Bischofs von Strangnäs, den unser lieber Genosse so trostlos beweint, obwohl er ein Wucherer und Leuteschinder war. Und was las die demütige Stola? Ein guter samthäutiger Geschmack, kann ich Euch versichern. Hier, Liebeslieder des Petrarca an Donna Laura. Ein vollbusiges, olivfarbenes Weib, Euer Erlaucht. Etwas für stille, verschwiegene Leute. Und dort noch besser – Geschichten des Boccaccio an Fiametta. Oh, genießt das, da knistern alle Bettpfosten, da fliegen Euch die Frauenzimmer scharenweise in die krachenden Arme, da speien die Ehestuben und Gesindekammern ihre Köstlichkeiten aus. Und die Mönchskutten flattern dazu im Takt. Nehmt, nehmt, Herr – dieser Deckel sei mein Gastgeschenk. Ihr müßt Euch darin unterrichten, denn Ihr seid der Dienstmann einer Frau.«

Versteint, sprachlos stand der Drost, seine triefenden Augen wölbten sich vor Angst und quollen ihm aus den Höhlen, da er die Schrift sich gewaltsam in die Finger gedrückt fühlte.

Der Admiral aber legte ihm sanft die Hand auf die Schulter, blitzte ihn mit seinen schwarzen Augen an und sagte tröstlich:

»Haltet mich nicht für verwirrt, hochedler Herr, ich wollte Euch nur weisen, wie wir schweifenden Leute auch die Strömungen auf dem Lande kennen. So mag ich Euch auch nicht länger ängsten. Meldet mithin Margareta meine Ehrfurcht, und morgen nach der Messe will ich vor ihr erscheinen.« Und bedeutsam und plötzlich in eine andere bisher sorgsam verschleierte Gedankenwelt zurücktauchend, setzte der Admiral geschlossenen Auges hinzu: »Gebe ihr Stern, daß sie mich verstehe.«

Er wachte auf, blickte wie erstaunt auf seine lauernden Gefährten, wechselte den Ton und rief laut:

»Gehabt Euch wohl, hochedler Herr, und sorgt nicht um Euren Abzug. Den Kriegsobersten lasse ich die Treppe hinauftragen.«

3Wiklif, ein Vorläufer von Hus und Luther.