Za darmo

Lenz

Tekst
0
Recenzje
Oznacz jako przeczytane
Lenz
Lenz
Audiobook
Czyta Wolfgang Gerber
12,91 
Szczegóły
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Ober­lin blick­te ihn un­wil­lig an und woll­te ge­hen. Lenz husch­te ihm nach, und in­dem er ihn mit un­heim­li­chen Au­gen an­sah: »Sehn Sie, jetzt kommt mir doch was ein, wenn ich nur un­ter­schei­den könn­te, ob ich träu­me oder wa­che; sehn Sie, das ist sehr wich­tig, wir wol­len es un­ter­su­chen«- er husch­te dann wie­der ins Bett.

Den Nach­mit­tag woll­te Ober­lin in der Nähe einen Be­such ma­chen; sei­ne Frau war schon fort. Er war im Be­griff weg­zu­ge­hen, als es an sei­ne Tür klopf­te und Lenz her­ein­trat mit vor­wärts ge­bo­ge­nem Leib, nie­der­wärts hän­gen­dem Haupt, das Ge­sicht über und über und das Kleid hie und da mit Asche be­streut, mit der rech­ten Hand den lin­ken Arm hal­tend. Er bat Ober­lin, ihm den Arm zu zie­hen: er hät­te ihn ver­renkt, er hät­te sich zum Fens­ter her­un­ter­ge­stürzt; weil es aber nie­mand ge­se­hen, wol­le er es auch nie­mand sa­gen. Ober­lin er­schrak hef­tig, doch sag­te er nichts; er tat, was Lenz be­gehr­te. Zu­gleich schrieb er an den Schul­meis­ter Se­bas­ti­an Schei­de­cker von Bel­le­fos­se, er möge her­un­ter­kom­men, und gab ihm In­struk­tio­nen. Dann ritt er weg.

Der Mann kam. Lenz hat­te ihn schon oft ge­se­hen und hat­te sich an ihn at­ta­chiert. Er tat, als hät­te er mit Ober­lin et­was re­den wol­len, woll­te dann wie­der weg. Lenz bat ihn zu blei­ben, und so blie­ben sie bei­sam­men. Lenz schlug noch einen Spa­zier­gang nach Fou­day vor. Er be­such­te das Grab des Kin­des, das er hat­te er­we­cken wol­len, knie­te zu ver­schie­de­nen Ma­len nie­der, küss­te die Erde des Gra­bes, schi­en be­tend, doch mit großer Ver­wir­rung, riss et­was von der auf dem Grab ste­hen­den Kro­ne ab, als ein An­den­ken, ging wie­der zu­rück nach Wald­bach, kehr­te wie­der um, und Se­bas­ti­an mit. Bald ging er lang­sam und klag­te über große Schwä­che in den Glie­dern, dann ging er mit ver­zwei­feln­der Schnel­lig­keit; die Land­schaft be­ängs­tig­te ihn, sie war so eng, dass er an al­les zu sto­ßen fürch­te­te. Ein un­be­schreib­li­ches Ge­fühl des Miss­be­ha­gens be­fiel ihn; sein Beglei­ter ward ihm end­lich läs­tig, auch moch­te er sei­ne Ab­sicht er­ra­ten und such­te Mit­tel, ihn zu ent­fer­nen. Se­bas­ti­an schi­en ihm nach­zu­ge­ben, fand aber heim­lich Mit­tel, sei­nen Bru­der von der Ge­fahr zu be­nach­rich­ti­gen, und nun hat­te Lenz zwei Auf­se­her, statt einen. Er zog sie wa­cker her­um; end­lich ging er nach Wald­bach zu­rück, und da sie nahe am Dor­fe wa­ren, kehr­te er wie ein Blitz wie­der um und sprang wie ein Hirsch gen Fou­day zu­rück. Die Män­ner setz­ten ihm nach. In­dem sie ihn in Fou­day such­ten, ka­men zwei Krä­mer und er­zähl­ten ih­nen, man hät­te in ei­nem Hau­se einen Frem­den ge­bun­den, der sich für einen Mör­der aus­gä­be, der aber ge­wiss kein Mör­der sein kön­ne. Sie lie­fen in dies Haus und fan­den es so. Ein jun­ger Mensch hat­te ihn, auf sein un­ge­stü­mes Drin­gen, in der Angst ge­bun­den. Sie ban­den ihn los und brach­ten ihn glück­lich nach Wald­bach, wo­hin Ober­lin in­des­sen mit sei­ner Frau zu­rück­ge­kom­men war. Er sah ver­wirrt aus. Da er aber merk­te, dass er lieb­reich und freund­lich emp­fan­gen wur­de, be­kam er wie­der Mut; sein Ge­sicht ver­än­der­te sich vor­teil­haft, er dank­te sei­nen bei­den Beglei­tern freund­lich und zärt­lich, und der Abend ging ru­hig her­um. Ober­lin bat ihn in­stän­dig, nicht mehr zu ba­den, die Nacht ru­hig im Bet­te zu blei­ben, und wenn er nicht schla­fen kön­ne, sich mit Gott zu un­ter­hal­ten. Er ver­sprach’s und tat es so die fol­gen­de Nacht; die Mäg­de hör­ten ihn fast die gan­ze Nacht hin­durch be­ten.

Den fol­gen­den Mor­gen kam er mit ver­gnüg­ter Mie­ne auf Ober­lins Zim­mer. Nach­dem sie Ver­schie­de­nes ge­spro­chen hat­ten, sag­te er mit aus­neh­men­der Freund­lich­keit: »Liebs­ter Herr Pfar­rer, das Frau­en­zim­mer, wo­von ich Ih­nen sag­te, ist ge­stor­ben, ja, ge­stor­ben – der En­gel!«

»Wo­her wis­sen Sie das?«

»Hie­ro­gly­phen, Hie­ro­gly­phen!« und dann zum Him­mel ge­schaut und wie­der: »Ja, ge­stor­ben – Hie­ro­gly­phen!« Es war dann nichts wei­ter aus ihm zu brin­gen. Er setz­te sich und schrieb ei­ni­ge Brie­fe, gab sie so­dann Ober­lin mit der Bit­te, ei­ni­ge Zei­len dazu zu set­zen.

Sein Zu­stand war in­des­sen im­mer trost­lo­ser ge­wor­den. Al­les, was er an Ruhe aus der Nahe Ober­lins und aus der Stil­le des Tals ge­schöpft hat­te, war weg; die Welt, die er hat­te nut­zen wol­len, hat­te einen un­ge­heu­ern Riss; er hat­te kei­nen Hass, kei­ne Lie­be, kei­ne Hoff­nung – eine schreck­li­che Lee­re, und doch eine fol­tern­de Un­ru­he, sie aus­zu­fül­len. Er hat­te nichts. Was er tat, tat er nicht mit Be­wusst­sein, und doch zwang ihn ein in­ner­li­cher In­stinkt. Wenn er al­lein war, war es ihm so ent­setz­lich ein­sam, dass er be­stän­dig laut mit sich re­de­te, rief, und dann er­schrak er wie­der, und es war ihm, als hät­te eine frem­de Stim­me mit ihm ge­spro­chen. Im Ge­spräch stock­te er oft, eine un­be­schreib­li­che Angst be­fiel ihn, er hat­te das Ende sei­nes Sat­zes ver­lo­ren; dann mein­te er, er müs­se das zu­letzt ge­spro­che­ne Wort be­hal­ten und im­mer spre­chen, nur mit großer An­stren­gung un­ter­drück­te er die­se Ge­lüs­te. Es be­küm­mer­te die gu­ten Leu­te tief, wenn er manch­mal in ru­hi­gen Au­gen­bli­cken bei ih­nen saß und un­be­fan­gen sprach, und er dann stock­te und eine un­aus­sprech­li­che Angst sich in sei­nen Zü­gen mal­te, er die Per­so­nen, die ihm zu­nächst sa­ßen, krampf­haft am Arm fass­te und erst nach und nach wie­der zu sich kam. War er al­lein oder las er, war’s noch är­ger; all’ sei­ne geis­ti­ge Tä­tig­keit blieb manch­mal in ei­nem Ge­dan­ken hän­gen. Dach­te er an eine frem­de Per­son, oder stell­te er sie sich leb­haft vor, so war es ihm, als wür­de er sie selbst; er ver­wirr­te sich ganz, und da­bei hat­te er einen un­end­li­chen Trieb, mit al­lem um ihn im Geis­te will­kür­lich um­zu­ge­hen – die Na­tur, Men­schen, nur Ober­lin aus­ge­nom­men, al­les traumar­tig, kalt. Er amü­sier­te sich, die Häu­ser auf die Dä­cher zu stel­len, die Men­schen an- und aus­zu­klei­den, die wahn­wit­zigs­ten Pos­sen aus­zu­sin­nen. Manch­mal fühl­te er einen un­wi­der­steh­li­chen Drang, das Ding, das er ge­ra­de im Sin­ne hat­te, aus­zu­füh­ren, und dann schnitt er ent­setz­li­che Frat­zen. Einst saß er ne­ben Ober­lin, die Kat­ze lag ge­gen­über auf ei­nem Stuhl. Plötz­lich wur­den sei­ne Au­gen starr, er hielt sie un­ver­rückt auf das Tier ge­rich­tet; dann glitt er lang­sam den Stuhl her­un­ter, die Kat­ze eben­falls: sie war wie be­zau­bert von sei­nem Blick, sie ge­riet in un­ge­heu­re Angst, sie sträub­te sich scheu; Lenz mit den näm­li­chen Tö­nen, mit fürch­ter­lich ent­stell­tem Ge­sicht; wie in Verzweif­lung stürz­ten bei­de auf­ein­an­der los – da end­lich er­hob sich Ma­da­me Ober­lin, um sie zu tren­nen. Dann war er wie­der tief be­schämt. Die Zu­fäl­le des Nachts stei­ger­ten sich aufs Schreck­lichs­te. Nur mit der größ­ten Mühe schlief er ein, wäh­rend er zu­vor noch die schreck­li­che Lee­re zu fül­len ver­sucht hat­te. Dann ge­riet er zwi­schen Schlaf und Wa­chen in einen ent­setz­li­chen Zu­stand: er stieß an et­was Grau­en­haf­tes, Ent­setz­li­ches, der Wahn­sinn pack­te ihn; er fuhr mit fürch­ter­li­chem Schrei­en, in Schweiß ge­ba­det, auf, und erst nach und nach fand er sich wie­der. Er muss­te dann mit den ein­fachs­ten Din­gen an­fan­gen, um wie­der zu sich zu kom­men. Ei­gent­lich nicht er selbst tat es, son­dern ein mäch­ti­ger Er­hal­tungs­trieb: es war, als sei er dop­pelt, und der eine Teil su­che den an­de­ren zu ret­ten und rie­fe sich selbst zu; er er­zähl­te, er sag­te in der hef­tigs­ten Angst Ge­dich­te her, bis er wie­der zu sich kam.

Auch bei Tage be­kam er die­se Zu­fäl­le, sie wa­ren dann noch schreck­li­cher; denn sonst hat­te ihn die Hel­le da­vor be­wahrt. Es war ihm dann, als exis­tie­re er al­lein, als be­stün­de die Welt nur in sei­ner Ein­bil­dung, als sei nichts als er; er sei das ewig Ver­damm­te, der Sa­tan, al­lein mit sei­nen fol­tern­den Vor­stel­lun­gen. Er jag­te mit ra­sen­der Schnel­lig­keit sein Le­ben durch, und dann sag­te er: »Kon­se­quent, kon­se­quent«; wenn je­mand was sprach: »In­kon­se­quent, in­kon­se­quent«; – es war die Kluft un­rett­ba­ren Wahn­sinns, ei­nes Wahn­sinns durch die Ewig­keit.

Der Trieb der geis­ti­gen Er­hal­tung jag­te ihn auf: er stürz­te sich in Ober­lins Arme, er klam­mer­te sich an ihn, als wol­le er sich in ihn drän­gen; er war das ein­zi­ge We­sen, das für ihn leb­te und durch den ihm wie­der das Le­ben of­fen­bart wur­de. All­mäh­lich brach­ten ihn Ober­lins Wor­te dann zu sich; er lag auf den Kni­en vor Ober­lin, sei­ne Hän­de in den Hän­den Ober­lins, sein mit kal­tem Schweiß be­deck­tes Ge­sicht auf des­sen Schoß, am gan­zen Lei­be be­bend und zit­ternd. Ober­lin emp­fand un­end­li­ches Mit­leid, die Fa­mi­lie lag auf den Kni­en und be­te­te für den Un­glück­li­chen, die Mäg­de flo­hen und hiel­ten ihn für einen Be­ses­se­nen. Und wenn er ru­hi­ger wur­de, war es wie der Jam­mer ei­nes Kin­des: er schluchz­te, er emp­fand ein tie­fes, tie­fes Mit­leid mit sich selbst; das wa­ren auch sei­ne se­ligs­ten Au­gen­bli­cke. Ober­lin sprach ihm von Gott. Lenz wand sich ru­hig los und sah ihn mit ei­nem Aus­druck un­end­li­chen Lei­dens an, und sag­te end­lich: »Aber ich wär’ ich all­mäch­tig, se­hen Sie, wenn ich so wäre, ich könn­te das Lei­den nicht er­tra­gen, ich wür­de ret­ten, ret­ten; ich will ja nichts als Ruhe, Ruhe, nur ein we­nig Ruhe, um schla­fen zu kön­nen.« Ober­lin sag­te, dies sei eine Pro­fa­na­ti­on. Lenz schüt­tel­te trost­los mit dem Kop­fe.

Die hal­b­en Ver­su­che zum Ent­lei­ben, die er in­des fort­wäh­rend mach­te, wa­ren nicht ganz ernst. Es war we­ni­ger der Wunsch des To­des – für ihn war ja kei­ne Ruhe und Hoff­nung im Tode –, es war mehr in Au­gen­bli­cken der fürch­ter­lichs­ten Angst oder der dump­fen, ans Nicht­sein gren­zen­den Ruhe ein Ver­such, sich zu sich selbst zu brin­gen durch phy­si­schen Schmerz. Au­gen­bli­cke, worin sein Geist sonst auf ir­gend­ei­ner wahn­wit­zi­gen Idee zu rei­ten schi­en, wa­ren noch die glück­lichs­ten. Es war doch ein we­nig Ruhe, und sein wir­rer Blick war nicht so ent­setz­lich als die nach Ret­tung dürs­ten­de Angst, die ewi­ge Qual der Un­ru­he! Oft schlug er sich den Kopf an die Wand oder ver­ur­sach­te sich sonst einen hef­ti­gen phy­si­schen Schmerz.

 

Den 8. mor­gens blieb er im Bet­te, Ober­lin ging hin­auf; er lag fast nackt auf dem Bet­te und war hef­tig be­wegt. Ober­lin woll­te ihn zu­de­cken, er klag­te aber sehr, wie schwer al­les sei, so schwer! er glau­be gar nicht, dass er ge­hen kön­ne; jetzt end­lich emp­fän­de er die un­ge­heu­re Schwe­re der Luft. Ober­lin sprach ihm Mut zu. Er blieb aber in sei­ner frü­hern Lage und blieb den größ­ten Teil des Ta­ges so, auch nahm er kei­ne Nah­rung zu sich.

Ge­gen Abend wur­de Ober­lin zu ei­nem Kran­ken nach Bel­le­fos­se ge­ru­fen. Es war ge­lin­des Wet­ter und Mond­schein. Auf dem Rück­weg be­geg­ne­te ihm Lenz. Er schi­en ganz ver­nünf­tig und sprach ru­hig und freund­lich mit Ober­lin. Der bat ihn, nicht zu weit zu ge­hen; er ver­sprach’s. Im Weg­ge­hen wand­te er sich plötz­lich um und trat wie­der ganz nahe zu Ober­lin und sag­te rasch: »Sehn Sie, Herr Pfar­rer, wenn ich das nur nicht mehr hö­ren müss­te, mir wäre ge­hol­fen.«

Inne książki tego autora