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Georg Büchner

Lenz

Eine Erzählung

Georg Büchner

Lenz

Eine Erzählung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

2. Auflage, ISBN 978-3-954188-94-9

null-papier.de/423


null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Lenz

Dan­ke

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Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Georg Büchner bei Null Papier

Die er­folg­rei­che di­gi­ta­le Werk­samm­lung zu Ge­org Büch­ner


Dan­tons Tod, Lenz, Leon­ce und Lena, Woy­zeck, Lu­cre­tia Bor­gia, Ma­ria Tu­dor u.a.

978-3-95418-365-4 (Kind­le

978-3-95418-366-1 (Epub)

978-3-95418-367-8 (PDF)

0,99 €

null-pa­pier.de/buech­ner

Lenz

Den 20. Jän­ner ging Lenz durchs Ge­birg. Die Gip­fel und ho­hen Berg­flä­chen im Schnee, die Tä­ler hin­un­ter grau­es Ge­stein, grü­ne Flä­chen, Fel­sen und Tan­nen.

Es war nass­kalt; das Was­ser rie­sel­te die Fel­sen hin­un­ter und sprang über den Weg. Die Äste der Tan­nen hin­gen schwer her­ab in die feuch­te Luft. Am Him­mel zo­gen graue Wol­ken, aber al­les so dicht – und dann dampf­te der Ne­bel her­auf und strich schwer und feucht durch das Ge­sträuch, so träg, so plump.

Er ging gleich­gül­tig wei­ter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald ab­wärts. Mü­dig­keit spür­te er kei­ne, nur war es ihm manch­mal un­an­ge­nehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konn­te.

An­fangs dräng­te es ihm in der Brust, wenn das Ge­stein so weg­s­prang, der graue Wald sich un­ter ihm schüt­tel­te und der Ne­bel die For­men bald ver­schlang, bald die ge­wal­ti­gen Glie­der halb ent­hüll­te; es dräng­te in ihm, er such­te nach et­was, wie nach ver­lor­nen Träu­men, aber er fand nichts. Es war ihm al­les so klein, so nahe, so nass, er hät­te die Erde hin­ter den Ofen set­zen mö­gen. Er be­griff nicht, dass er so viel Zeit brauch­te, um einen Ab­hang hin­un­ter zu klim­men, einen fer­nen Punkt zu er­rei­chen; er mein­te, er müs­se al­les mit ein paar Schrit­ten aus­mes­sen kön­nen. Nur manch­mal, wenn der Sturm das Ge­wölk in die Tä­ler warf und es den Wald her­auf dampf­te, und die Stim­men an den Fel­sen wach wur­den, bald wie fern ver­hal­len­de Don­ner und dann ge­wal­tig her­an­braus­ten, in Tö­nen, als woll­ten sie in ih­rem wil­den Ju­bel die Erde be­sin­gen, und die Wol­ken wie wil­de, wie­hern­de Ros­se her­an­spreng­ten, und der Son­nen­schein da­zwi­schen durch­ging und kam und sein blit­zen­des Schwert an den Schnee­flä­chen zog, so­dass ein hel­les, blen­den­des Licht über die Gip­fel in die Tä­ler schnitt; oder wenn der Sturm das Ge­wölk ab­wärts trieb und einen licht­blau­en See hin­ein­riss und dann der Wind ver­hall­te und tief un­ten aus den Schluch­ten, aus den Wip­feln der Tan­nen wie ein Wie­gen­lied und Glo­cken­ge­läu­te her­auf­summ­te, und am tie­fen Blau ein lei­ses Rot hin­auf­klomm und klei­ne Wölk­chen auf sil­ber­nen Flü­geln durch­zo­gen, und alle Berg­gip­fel, scharf und fest, weit über das Land hin glänz­ten und blitz­ten – riss es ihm in der Brust, er stand, keu­chend, den Leib vor­wärts ge­bo­gen, Au­gen und Mund weit of­fen, er mein­te, er müs­se den Sturm in sich zie­hen, al­les in sich fas­sen, er dehn­te sich aus und lag über der Erde, er wühl­te sich in das All hin­ein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und leg­te das Haupt ins Moos und schloss die Au­gen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich un­ter ihm, sie wur­de klein wie ein wan­deln­der Stern und tauch­te sich in einen brau­sen­den Strom, der sei­ne kla­re Flut un­ter ihm zog. Aber es wa­ren nur Au­gen­bli­cke; und dann er­hob er sich nüch­tern, fest, ru­hig, als wäre ein Schat­ten­spiel vor ihm vor­über­ge­zo­gen – er wuss­te von nichts mehr.

Ge­gen Abend kam er auf die Höhe des Ge­birgs, auf das Schnee­feld, von wo man wie­der hin­ab­stieg in die Ebe­ne nach Wes­ten. Er setz­te sich oben nie­der. Es war ge­gen Abend ru­hi­ger ge­wor­den; das Ge­wölk lag fest und un­be­weg­lich am Him­mel; so­weit der Blick reich­te, nichts als Gip­fel, von de­nen sich brei­te Flä­chen hin­ab­zo­gen, und al­les so still, grau, däm­mernd. Es wur­de ihm ent­setz­lich ein­sam; er war al­lein, ganz al­lein. Er woll­te mit sich spre­chen, aber er konn­te nicht, er wag­te kaum zu at­men; das Bie­gen sei­nes Fu­ßes tön­te wie Don­ner un­ter ihm, er muss­te sich nie­der­set­zen. Es fass­te ihn eine na­men­lo­se Angst in die­sem Nichts: er war im Lee­ren! Er riss sich auf und flog den Ab­hang hin­un­ter.

Es war fins­ter ge­wor­den, Him­mel und Erde ver­schmol­zen in eins. Es war, als gin­ge ihm was nach und als müs­se ihn was Ent­setz­li­ches er­rei­chen, et­was, das Men­schen nicht er­tra­gen kön­nen, als jage der Wahn­sinn auf Ros­sen hin­ter ihm.

End­lich hör­te er Stim­men; er sah Lich­ter, es wur­de ihm leich­ter. Man sag­te ihm, er hät­te noch eine hal­be Stun­de nach Wald­bach.

Er ging durch das Dorf. Die Lich­ter schie­nen durch die Fens­ter, er sah hin­ein im Vor­bei­ge­hen: Kin­der am Ti­sche, alte Wei­ber, Mäd­chen, al­les ru­hi­ge, stil­le Ge­sich­ter. Es war ihm, als müs­se das Licht von ih­nen aus­strah­len; es ward ihm leicht, er war bald in Wald­bach im Pfarr­hau­se.

Man saß am Ti­sche, er hin­ein; die blon­den Lo­cken hin­gen ihm um das blei­che Ge­sicht, es zuck­te ihm in den Au­gen und um den Mund, sei­ne Klei­der wa­ren zer­ris­sen.

O­ber­lin hieß ihn will­kom­men, er hielt ihn für einen Hand­wer­ker: »Sein Sie mir will­kom­men, ob­schon Sie mir un­be­kannt.«

»Ich bin ein Freund von Kauf­mann und brin­ge Ih­nen Grü­ße von ihm.«

»Der Name, wenn’s be­liebt?«

»Lenz

»Ha, ha, ha, ist er nicht ge­druckt? Habe ich nicht ei­ni­ge Dra­men ge­le­sen, die ei­nem Herrn die­ses Na­mens zu­ge­schrie­ben wer­den?«

»Ja, aber be­lie­ben Sie, mich nicht da­nach zu be­ur­tei­len.«

Man sprach wei­ter, er such­te nach Wor­ten und er­zähl­te rasch, aber auf der Fol­ter; nach und nach wur­de er ru­hig – das heim­li­che Zim­mer und die stil­len Ge­sich­ter, die aus dem Schat­ten her­vor­tra­ten: das hel­le Kin­der­ge­sicht, auf dem al­les Licht zu ru­hen schi­en und das neu­gie­rig, ver­trau­lich auf­schau­te, bis zur Mut­ter, die hin­ten im Schat­ten en­gel­gleich stil­le saß. Er fing an zu er­zäh­len, von sei­ner Hei­mat; er zeich­ne­te al­ler­hand Trach­ten, man dräng­te sich teil­neh­mend um ihn, er war gleich zu Haus. Sein blas­ses Kin­der­ge­sicht, das jetzt lä­chel­te, sein le­ben­di­ges Er­zäh­len! Er wur­de ru­hig; es war ihm, als trä­ten alte Ge­stal­ten, ver­ges­se­ne Ge­sich­ter wie­der aus dem Dun­keln, alte Lie­der wach­ten auf, er war weg, weit weg.

End­lich war es Zeit zum Ge­hen. Man führ­te ihn über die Stra­ße: das Pfarr­haus war zu eng, man gab ihm ein Zim­mer im Schul­hau­se. Er ging hin­auf. Es war kalt oben, eine wei­te Stu­be, leer, ein ho­hes Bett im Hin­ter­grund. Er stell­te das Licht auf den Tisch und ging auf und ab. Er be­sann sich wie­der auf den Tag, wie er her­ge­kom­men, wo er war. Das Zim­mer im Pfarr­hau­se mit sei­nen Lich­tern und lie­ben Ge­sich­tern, es war ihm wie ein Schat­ten, ein Traum, und es wur­de ihm leer, wie­der wie auf dem Berg; aber er konn­te es mit nichts mehr aus­fül­len, das Licht war er­lo­schen, die Fins­ter­nis ver­schlang al­les. Eine un­nenn­ba­re Angst er­fass­te ihn. Er sprang auf, er lief durchs Zim­mer, die Trep­pe hin­un­ter, vors Haus; aber um­sonst, al­les fins­ter, nichts – er war sich selbst ein Traum. Ein­zel­ne Ge­dan­ken husch­ten auf, er hielt sie fest; es war ihm, als müs­se er im­mer »Va­ter un­ser« sa­gen. Er konn­te sich nicht mehr fin­den; ein dunk­ler In­stinkt trieb ihn, sich zu ret­ten. Er stieß an die Stei­ne, er riss sich mit den Nä­geln; der Schmerz fing an, ihm das Be­wusst­sein wie­der­zu­ge­ben. Er stürz­te sich in den Brun­nen­stein, aber das Was­ser war nicht tief, er patsch­te dar­in.

Da ka­men Leu­te; man hat­te es ge­hört, man rief ihm zu. Ober­lin kam ge­lau­fen. Lenz war wie­der zu sich ge­kom­men, das gan­ze Be­wusst­sein sei­ner Lage stand vor ihm, es war ihm wie­der leicht. Jetzt schäm­te er sich und war be­trübt, dass er den gu­ten Leu­ten Angst ge­macht; er sag­te ih­nen, dass er ge­wohnt sei, kalt zu ba­den, und ging wie­der hin­auf; die Er­schöp­fung ließ ihn end­lich ru­hen.

Den an­de­ren Tag ging es gut. Mit Ober­lin zu Pfer­de durch das Tal: brei­te Berg­flä­chen, die aus großer Höhe sich in ein schma­les, ge­wund­nes Tal zu­sam­men­zo­gen, das in man­nig­fa­chen Rich­tun­gen sich hoch an den Ber­gen hin­auf­zog; große Fel­sen­mas­sen, die sich nach un­ten aus­brei­te­ten; we­nig Wald, aber al­les im grau­en, erns­ten An­flug; eine Aus­sicht nach Wes­ten in das Land hin­ein und auf die Berg­ket­te, die sich grad hin­un­ter nach Sü­den und Nor­den zog und de­ren Gip­fel ge­wal­tig, ernst­haft oder schwei­gend still, wie ein däm­mern­der Traum, stan­den. Ge­wal­ti­ge Licht­mas­sen, die manch­mal aus den Tä­lern, wie ein gold­ner Strom, schwol­len, dann wie­der Ge­wölk, das an dem höchs­ten Gip­fel lag und dann lang­sam den Wald her­ab in das Tal klomm oder in den Son­nen­blit­zen sich wie ein flie­gen­des, sil­ber­nes Ge­s­penst her­ab­senk­te und hob; kein Lärm, kei­ne Be­we­gung, kein Vo­gel, nichts als das bald nahe, bald fer­ne Wehn des Win­des. Auch er­schie­nen Punk­te, Ge­rip­pe von Hüt­ten, Bret­ter mit Stroh ge­deckt, von schwar­zer, erns­ter Far­be. Die Leu­te, schwei­gend und ernst, als wag­ten sie die Ruhe ih­res Ta­les nicht zu stö­ren, grüß­ten ru­hig, wie sie vor­bei­rit­ten.

 

In den Hüt­ten war es le­ben­dig: man dräng­te sich um Ober­lin, er wies zu­recht, gab Rat, trös­te­te; über­all zu­trau­ens­vol­le Bli­cke, Ge­bet. Die Leu­te er­zähl­ten Träu­me, Ah­nun­gen. Dann rasch ins prak­ti­sche Le­ben: Wege an­ge­legt, Kanä­le ge­gra­ben, die Schu­le be­sucht.

Ober­lin war un­er­müd­lich, Lenz fort­wäh­rend sein Beglei­ter, bald in Ge­spräch, bald tä­tig am Ge­schäft, bald in die Na­tur ver­sun­ken. Es wirk­te al­les wohl­tä­tig und be­ru­hi­gend auf ihn. Er muss­te Ober­lin oft in die Au­gen se­hen, und die mäch­ti­ge Ruhe, die uns über der ru­hen­den Na­tur, im tie­fen Wald, in mond­hel­len, schmel­zen­den Som­mer­näch­ten über­fällt, schi­en ihm noch nä­her in die­sem ru­hi­gen Auge, die­sem ehr­wür­di­gen erns­ten Ge­sicht. Er war schüch­tern; aber er mach­te Be­mer­kun­gen, er sprach. Ober­lin war sein Ge­spräch sehr an­ge­nehm, und das an­mu­ti­ge Kin­der­ge­sicht Len­zens mach­te ihm große Freu­de.

Aber nur so­lan­ge das Licht im Tale lag, war es ihm er­träg­lich; ge­gen Abend be­fiel ihn eine son­der­ba­re Angst, er hät­te der Son­ne nach­lau­fen mö­gen. Wie die Ge­gen­stän­de nach und nach schat­ti­ger wur­den, kam ihm al­les so traumar­tig, so zu­wi­der vor: es kam ihm die Angst an wie Kin­dern, die im Dun­keln schla­fen; es war ihm, als sei er blind. Jetzt wuchs sie, der Alp des Wahn­sinns setz­te sich zu sei­nen Fü­ßen: der ret­tungs­lo­se Ge­dan­ke, als sei al­les nur sein Traum, öff­ne­te sich vor ihm; er klam­mer­te sich an alle Ge­gen­stän­de. Ge­stal­ten zo­gen rasch an ihm vor­bei, er dräng­te sich an sie; es wa­ren Schat­ten, das Le­ben wich aus ihm, und sei­ne Glie­der wa­ren ganz starr. Er sprach, er sang, er re­zi­tier­te Stel­len aus Sha­ke­s­pea­re, er griff nach al­lem, was sein Blut sonst hat­te ra­scher flie­ßen ma­chen, er ver­such­te al­les, aber – kalt, kalt! Er muss­te dann hin­aus ins Freie. Das we­ni­ge, durch die Nacht zer­streu­te Licht, wenn sei­ne Au­gen an die Dun­kel­heit ge­wöhnt wa­ren, mach­te ihm bes­ser; er stürz­te sich in den Brun­nen, die grel­le Wir­kung des Was­sers mach­te ihm bes­ser; auch hat­te er eine ge­hei­me Hoff­nung auf eine Krank­heit – er ver­rich­te­te sein Bad jetzt mit we­ni­ger Geräusch.