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II.
(1900.)

1896 erschien „John Gabriel Borkman.“ Die Hauptperson ist der Bergmannssohn, dem in Ibsen's bekanntem Jugendgedicht der reiche Schatz aus den Tiefen der Bergesnacht winkte und der hinab zur Herzkammer des Verborgenen stieg. Er hat als Kind das Erz in den Gruben, in denen es losgebrochen wurde, singen hören. Es sang vor Freude, an das Tageslicht zu kommen, und frühe war es der Traum des Jünglings, der zu sein, der all das freimachte, was der Boden und die Berge und die Wälder und das Meer an Reichthümern fassten. Er wollte sie alle wecken, die schlummernden Geister des Goldes. Er fühlte unbezwingbar den Beruf in sich, alle die gebundenen Millionen, die rings im ganzen Lande, in den Tiefen der Berge umherlagen und nach Umsatz schrieen, zu befreien. Er hatte das Gefühl, allein den Ruf zu vernehmen. Und er liebte alle diese Werthe, die Leben von ihm heischten, liebte sie mit ihrem glänzenden Gefolge von Macht und Ehre.

Denn nicht minder stark als von den Werthen ward er von jener Macht gefesselt, gebannt. Alle Machtquellen seines Vaterlandes wollte er sich unterthan machen, und während er sein Grubenleben führte, bemüht, alle Erzadern aushämmern, alles schimmernde Gold ausmünzen zu lassen, strebte er, sich selber die Gewalt zuzueignen und dadurch Wohlstand zu schaffen für viele, viele tausend Andere.

Das ist die Erklärung, die er selbst von seinem Wesen gibt. In Wirklichkeit war Machtgier und Thatendrang der erste Beweger. Die Rücksicht auf die Wohlfahrt vieler Tausende kam erst in zweiter Linie hinzu.

Den Anfang machte er damit, das Glück seiner Jugendgeliebten zu opfern, um sich den Weg zur Macht zu bahnen. Er hat versucht, sie einem Manne, den er brauchte, abzutreten. Seine Ziele zu erreichen, setzte er hierauf Alles, worüber seine Stellung als Bank-Direktor ihm zu gebieten ermöglichte, die Gelder der Bank, das Vermögen von Verwandten und Freunden, fremder Leute Sparpfennige, ja selbst anvertraute Verwahrgüter, aufs Spiel. Als ein vermeintlicher Freund das von ihm getriebene Hazardspiel verrieth, da hatte er Alles vergeudet und musste seine rücksichtslose Kühnheit mit einer achtjährigen Haft büssen, auf die eine freiwillige Einschliessung von noch weiteren acht Jahren folgte.

Ursprünglich war er eine Art Dichternatur. Während der langen Isolirung hat er sich zum Phantasten entwickelt. Er lebt nicht mehr in der wirklichen Welt, sondern in Träumen und Hoffnungen. Er bildet sich ein, der Tag der Rehabilitirung sei nahe. Man habe ihn allmälig würdigen gelernt, vermisse ihn, könne ohne ihn nicht zurechtkommen, und er stellt sich, wenn es einmal an seine Thür klopft, in Positur, um erscheinende Deputationen zu empfangen.

Borkman ist ein Solness, den das Glück verlassen hat; er ist ein Bernick ohne Niedrigkeit und Heuchelei, der jedoch gleich Jenem das Glück der einen Schwester opfert, um aus Geldrücksichten und Rücksichten der Macht sich mit der andern zu verbinden. (Beiläufig bemerkt, es ist sonderbar, wie häufig das Verhältniss eines Mannes zu zwei Schwestern in Ibsen's Schauspielen vorkommt. In „Catilina“ schon, in „Frau Inger auf Oestraat“, in „Stützen der Gesellschaft“ und nun hier.) Ja sogar an die „Wildente“ wird man hie und da schwach gemahnt. Die Phantasterei, die in der oberen Etage des Rentheim'schen Hauses wuchert, erinnert einigermassen an jene, die auf dem Dachboden im Schwange war, und Borkman selbst vergleicht sich mit einem grossen, flügellahmen Jagdvogel.

War er jemals wirklich gross? Es scheint, dass Ibsen ihn als ursprünglich sehr gross angelegt gedacht habe. Ist dem so, dann hätte uns wohl noch etwas wuchtigere Gewähr dafür geboten werden sollen, als in Borkman's eigenen Worten und dessen eigenem ausserordentlichen Selbstvertrauen liegt. Keine der anderen Personen des Stückes verbürgt sich uns für seine Genialität. Die einzigen Anhaltspunkte, die wir haben, sind seine eigenen Aussprüche, und die Aufgabe des Schauspielers wird es sein, sie mit dem Vollgewichte auszustatten, die eine verständnissvolle Darstellung verleiht. Was mich betrifft, so vermögen seine Aeusserungen mir nicht die Ueberzeugung beizubringen, dass er jemals echte Genialität besessen habe. Er selbst nennt sich freilich einen Ausnahmsmenschen, dem das Ungewöhnliche erlaubt ist. Er spricht von dem Fluch, der auf „uns Auserwählten“ lastet, von den Durchschnittsmenschen nicht verstanden zu werden. Er ist ferner durchdrungen von der Ueberzeugung, wie unendlich viel er hätte ausrichten können, im Falle u. s. w., und was er noch ausrichten könnte, „wenn nur“ u. s. w.

Genau so sprechen alle die Unseligen, die sich selbst mit den Genialen verwechseln, die ungeheure Schaar der missglückten Halbtalente, in deren Seelenleben nichts wahrhaft gross ist, ausgenommen die Eitelkeit. Vielleicht haben Andere ein minder scharfes Ohr für den hohlen Klang, den die Ausbrüche des Selbstgefühles bei Borkman haben. Allein ein Kritiker, das heisst so viel wie ein Doctor am grossen Hospital für sieche und wunde Eitelkeiten, der sein ganzes Leben darin umherwatete, unter ihnen wandelte, ihre Klagen, ihre Prahlereien, alle die Ausbrüche des Erfülltseins von sich selbst mit anhörte, ist nicht geneigt, Jemanden wirklich genial zu finden, der, ohne auch nur Eine Schöpfung des Genies aufweisen zu können, sich nur die Lieblosigkeit, die Rücksichtslosigkeit, die Gleichgiltigkeit gegen die höchsten Lebensgüter anderer Menschen angeeignet hat, welche man dem Genie in der Regel beilegt, die diesem zuweilen vergeben, bei ihm übersehen werden können, die jedenfalls der am leichtesten sich anzueignende Theil der Genialität sind, von denen das wirkliche Genie aber häufig frei ist. Nicht wenige von den genialsten Männern waren zugleich die besten Männer, bei denen die Intelligenz keineswegs das Gemüth ausschloss.

Es mag dahingestellt bleiben, welches Mass von Genialität Henrik Ibsen seinem Helden beilegen wollte. Es kommen Stellen vor, wo der Dichter sich ziemlich deutlich gegen die Ueberschätzung von Borkman's Gaben verwahrt. Geniale Geschäftsmänner pflegen nicht naiv ihre Geheimnisse einem unverlässlichen Freunde auszuliefern, sind im Stande, ohne sich am anvertrauten Gut zu vergreifen, wirken zu können. Ein Schimmer von wehmüthiger Satire fällt auf Borkman, wo er äussert, es sei ihm zu Muthe wie einem Napoleon, der zum Krüppel geschossen worden in seiner ersten Feldschlacht, und wo der arme, missglückte Poet und Extraschreiber antwortet, die Empfindung kenne er auch. Nur der Gegensatz ist zwischen ihnen, dass der arme Teufel sich zuweilen des „grausigen Zweifels“, ob er nicht sein Leben einer Einbildung wegen verpfuscht habe, nicht erwehren kann, während Borkman zwar in alten Tagen mitunter an seinem Glücke zweifelte, nie aber an seiner Begabung, so wenig wie an seinem Rechte. Er, der zum mindesten Einen Seelenmord begangen hat, versteigt sich zu dem Satze: „Ich thue niemals einem Menschen Unrecht.“ Doch hat er Unrecht begangen, so hat er auch aufs äusserste dafür gebüsst.

Man sollte meinen, in dem Leben dieser gefallenen finanziellen Grösse könnte gar keine Begebenheit mehr eintreten. Und dennoch schildert uns Ibsen's Drama eine ganze Reihe von Katastrophen, die seinem Tode vorangehen.

Jahrelang haben die beiden Schwestern, seine Jugendgeliebte Ella Rentheim und seine Gattin Gunhild, einander nicht gesehen. Jahrelang hat er Ella Rentheim nicht gesehen. Jahrelang sah er auch seine Gattin nicht, die, obgleich sie in Einem Hause mit ihm wohnt, ihn um der Schande willen, die er über den Namen, über sie und ihren Sohn gebracht, meidet und hasst. Im ersten Acte kommt das Wiedersehen zwischen den beiden Schwestern, im zweiten das zwischen Ella und Borkman vor, im dritten Acte findet das erste Gespräch zwischen ihm und seiner Gattin statt; und die drei von der Natur des Stoffes vorgeschriebenen Hauptscenen sind mit gleich vollendeter Meisterschaft ausgeführt. Von Arild's Zeiten her hat es wenige Situationen gegeben, die auf der Bühne so wirksam wären wie Wiedersehensscenen. Und hier folgen ihrer ganze drei mit innerer Nothwendigkeit aufeinander.

Im Grunde noch eine vierte. Nämlich die Ella's mit Borkman's Sohn Erhart, den sie in der unglücklichsten Zeit der Familie zu sich genommen und als ihren Pflegesohn erzogen hatte, den aber die Mutter, als sein vierzehntes Jahr vollendet war, zurückforderte. Er ist jetzt dreiundzwanzig Jahre alt und bildet den Mittelpunkt des Stückes. Um ihn werben die beiden Schwestern mit eifersüchtiger Liebe. Die harte Mutter treibt Abgötterei mit ihm und hat ihn eigenmächtig dazu ersehen, ein Geist zu werden, der so hoch und weit über die Lande leuchten soll, dass des Vaters Schande hiedurch in Vergessenheit geräth. Seine Pflegemutter, die seltene, stolze Frau, kommt, eine Todtkranke, zu ihm, um ihre letzte Lebenszeit in seiner Nähe zu verbringen, im Uebrigen nur auf sein Glück bedacht.

Beide Schwestern stehen im harten Kampfe um des Jünglings Liebe einander gegenüber. Zu diesen tritt gegen Ende des Stückes der Vater mit seinem Appell an den Sohn. Er träumt davon, nach der verlorenen Zeit der Unthätigkeit sich neuerdings in die Höhe zu arbeiten, und ersehnt hierbei die Mitwirkung des Sohnes. Das Verhältniss zwischen Eltern und Kindern, insbesondere das zwischen Vater und Sohn, hat Ibsen frühe und stark beschäftigt. In den „Stützen der Gesellschaft“ sieht Bernick, als er den Sohn verloren glaubt, ein, dass er ihn, seinen Olaf, „nie besessen“ habe. In „Klein Eyolf“ gibt Allmers mit eben den Worten der Erkenntniss Ausdruck, im Grunde habe er sein eigen Kind „nie besessen“. Die Eltern gewannen es nicht. Genau so zeigt es sich auch hier, dass weder die Mutter, noch die Pflegemutter, noch auch der Vater den Sohn besitzen. Allein während dies in den früheren Schauspielen ausschliesslich als der Fehler der Eltern dargestellt wurde, ist das Verhältniss hier ganz anders und tiefer gefasst. Allerdings will die Mutter hier, wie Allmers dort, den Sohn für die eigenen Zwecke gebrauchen, ohne nach den doch am schwersten ins Gewicht fallenden Forderungen seiner eigenen Natur zu fragen. Allein hier sind die Eltern, die Pflegemutter besonders, ernstere, weit grösser angelegte Naturen als der Sohn. Jeder Anspruch, der von Seite der älteren Verwandten an ihn gestellt wird, prallt an seiner Unbedeutendheit, an seinem jugendlichen, genusssüchtigen Sinne ab. Er mag weder ein Genie werden, wie die Mutter es von ihm erwartet, noch arbeiten, wie es der Vater hofft. Nicht einmal seiner todtkranken Wohlthäterin will er in den letzten Monaten ihres Lebens seine Gesellschaft schenken. Er hat seine Wahl getroffen. Er will hinaus in die weite Welt, mit der schönen Frau Wilton, welche die nicht allzu hochfliegende Lebensfreude in Person ist.

 

Wie meisterhaft ist nicht diese Frau gezeichnet, und zwar mit ganz wenigen Pinselstrichen, sie, die „schon so manches liebe Mal zugesagt und abgesagt im eigenen Namen“. Und wie fein der kleine Zug, dass sie von Ibsen als eine Dame in den Dreissigen, d. h. also über die Dreissig, präsentirt wird. Als sie jedoch an einer Stelle selbst von ihrem Alter spricht, da erklärt sie der Mutter Erhart's: „Immer wieder habe ich ihn daran erinnert, dass ich volle sieben Jahre älter bin als er“, d. h. als der dreiundzwanzigjährige Erhart. Sie vergisst einige Jahre. Ihre ganze praktische Weisheit fasst sich in der Replik zusammen, in der sie, nur halb im Scherz, der Mutter erklärt, dass sie zur Vorsorge das kleine junge Fräulein Foldal mitnehme. „Wenn Erhart mit mir fertig ist – und ich mit ihm – dann wird es für uns Beide gut sein, dass der arme Mensch Jemanden in der Hinterhand hat … ich finde mich schon zurecht“. Es ist unmöglich, eine Gestalt in einem ganzen Roman voller zu zeichnen, als es hier in einem Dutzend kurzer Repliken geschah.

Und wie sie ist jede der auftretenden Personen für alle Zeiten mit monumentaler Sicherheit hingestellt.

Der Bau des Dramas ist sicher und kernig. Es erhebt sich mit seinen vier Stockwerken, wie aus Eisen auf einer Grundmauer von Granit erbaut, fest und stark, klar und leicht überschaulich. Es ist vom Anfange bis zu Ende durchdrungen von Stimmung. Stimmung herrscht in dem Reiche gedemüthigter Selbstgerechtigkeit in dem untersten Stockwerke und Stimmung in dem Schattenreiche ober demselben. Zuletzt waltet die Freiluftstimmung, in welcher der so lange Gefangene den Geist aushaucht. Und der dramatische Sturmhauch durchsaust das Stück. Sein Pulsschlag geht so rasch, als schlüge er mit dem Pulse eines ganz jungen Dichters im Tact. Nur Minuten liegen zwischen den vier Acten, ja eine Minute nur. So jugendlich ist das Tempo des Schauspieles. Dessen Geist aber verräth zur Genüge, dass sein Dichter kein junger Mann mehr ist. Es ist der Geist der strengen Weisheit und der verklärten Milde. Es mündet in der erhabenen Nachsicht mit dem menschlichen Fehlen, die harmonisch mit dem strengen Urtheil über die Härte der Herzen zusammenklingt, – einem tiefen Mitleid, das nicht eine einzige Forderung aufgegeben hat.

Das 1899 erschienene Schauspiel Henrik Ibsens mit dem sonderbaren Titel „Wenn wir Todten erwachen“ gibt uns in der mehrdeutigen Sprache des Dramatikers die Gedanken des Dichters über das Lebensglück, genauer über das Verhältniss zwischen Kunst und Leben, zwischen Künstler und Modell, zwischen dem, was Mensch und was Künstler ist in dem künstlerisch hervorbringenden Mann.

Nicht aus einer optimistischen Ansicht der Kunst ist diese Arbeit hervorgegangen, sie so wenig wie „L'oeuvre“ von Zola, dessen Gegenstand sie streift. Mit melancholischer Bitterkeit wird hier wie in „Solness“ dabei verweilt, was die Kunst und die Meisterschaft in ihr dem Künstler selbst und besonders anderen Menschen kostet. Die Befriedigung, die es schenkt, etwas hervorzubringen, das dem Künstler als werthvoll erscheint, die tiefe Freude, die es macht, sein Inneres in künstlerische That auszuformen, ist kaum berührt. Es wird gesprochen, als arbeitete der Künstler sich ab, um den Mob zu befriedigen und leeren Ruhm zu gewinnen. Mit anderen Worten: es wird so gesprochen, wie jeder Künstler, selbst der grosse, in den Stunden des Missmuths und der Bitterkeit spricht. Man möchte es fast ein wenig undankbar nennen, diese Stimmung als Grundgefühl in einem Werk sich behaupten zu lassen, wenn man wie Ibsen zu den vom Genius der Kunst wie von den Verhältnissen reich Begnadeten gehört.

Die Vorgeschichte des Dramas ist diese:

Der jetzt weitberühmte und reiche Bildhauer Rubek war noch vor wenigen Jahren arm und unberühmt. Er verdankt einem einzigen Werk, einer grossen Gruppe „Der Tag der Auferstehung“, Ruhm und Reichthum. Anfangs war es seine Absicht gewesen, sich mit einer einzelnen Gestalt zu begnügen, die seine Idee völlig ausdrücken sollte: das edelste, reinste Weib der Erde erwacht, nicht eben über Ungeahntes sich wundernd, sondern hoch erfreut, sich selbst unverwandelt in höheren, reineren Gegenden nach dem Todesschlaf zu finden. Dazu brauchte er ein Modell, und er fand es in einem jungen Mädchen, das um seinetwillen auf Verwandte und Heimath verzichtete und in die weite Welt ihm zu dienen folgte, in dem sie ihren Herrn und Herrscher sah. Sie scheinen – denn der Name wird nicht genannt – in München gelebt und einen Sommer in einem kleinen Bauernhaus am Starnberger See (Taunitzer See) verbracht zu haben. Die Zeit ging ihnen in scheinbarem Glück hin. Sie arbeiteten miteinander und phantasirten in ihren Mussestunden wie Kinder miteinander in der schönen Natur, während das Werk allmählich vorwärtsschritt. Das Glück war gleichwohl nicht bei ihnen zu Hause. Denn Irene, die einmal auf Rubeks Aufforderung, ihn in die Ferne zu begleiten, drei Finger gehoben und ihm zugeschworen hatte, dass sie ihm bis zum Ende der Welt und des Lebens folgen und ihm in allen Dingen dienen würde, war tief unglücklich darüber, dass der Bildhauer in ihr nur das Modell für sein Kunstwerk sah. Zwar war er manch einen Tag wie berauscht von ihrer Schönheit, aber er fürchtete in künstlerischem Aberglauben (ein bisschen unnatürlich), dass, wenn er sie sinnlich berührte, sein Werk geschändet werde und er es nicht seinem Traum gemäss vollenden könne. Als Künstler beherrschte er sich; sie litt darunter und hasste ihn dafür, hasste ihn, weil er nicht Mann war. Da die Arbeit endlich fertig erschien, war er, der Bildhauer, gleichzeitig mit seinem Modell fertig und dankte ihr für ihren Beistand mit den Worten: Dies ist in meinem Leben eine gesegnete Episode gewesen.

Dies Wort Episode bewirkte, dass sie ihn verliess, sich aus seinem Gesichtskreis spurlos entfernte. Er verstand ihr Weggehen nicht, begriff nicht, dass sie es empfand, als hätte er ihr die Seele aus dem Leib gerissen; er dachte, sie hätte einen andern lieb gewonnen, während das, was sie tödtete, demnach nur war, dass er nicht länger Gebrauch für sie, ihre Liebe und ihr Leben hatte. Dann liess sie sich sinken, stand auf der Drehscheibe in Variétés und als nackte Statue in lebenden Bildern, nackt vor hunderten von Männern. Und sie verheirathete sich mit einem Mann, den sie zum Selbstmord brachte, und nach seinem Tode mit einem anderen, den sie halbwegs zum Wahnsinn trieb, so dass er in Verzweiflung sie verliess. Selbst ist sie dann, wie sie es ausdrückt, „in manchen Jahren todt gewesen“, war geisteskrank in die Zwangsjacke geschnürt in einer Kammer mit eisernem Gitter vor dem Fenster. Soweit ist sie geheilt worden, dass sie frei herumreisen kann mit einer Diakonissin als Hüterin und Schatten, doch hat sie die fixe Idee, dass sie todt sei und als lebende Leiche herumwandere. An ihrem eigentlichen Geistesleben ist nur noch übrig der Hass zum Künstler, der sie verschmähte, und zu seiner Kunst, die Liebe zum einzelnen Kunstwerk, das er im Verein mit ihr hervorbrachte und worin sie sein und ihr gemeinsames Kind sehen will.

Doch dies Kunstwerk selbst ist nicht mehr dasselbe. Nach dem Verschwinden Irenes hat Rubek es umgearbeitet und erweitert, andere carikirte Figuren hinzugefügt. Die Statue, die ihre Züge trägt, ist jetzt nur eine Zwischenzweckfigur, die nicht einmal dominirt. In die Gruppe führte aber Rubek seine eigene Physiognomie hinein als die eines schuldbeschwerten Mannes, dessen Bezeichnung in der Erklärung des Werkes die folgende ist: Die Reue über ein verlorenes Leben.

Als das Werk wirklich vollendet war und seinem Urheber alle nur erdenkliche Ehre eingetragen hatte, ging er eine leidenschaftslose Gewohnheitsehe mit einem jungen Mädchen ein, mit dem ihn keine tiefere Gemeinschaft verband, und die ihn nur wegen der Herrlichkeit, die er ihr in Aussicht stellte, und wegen des Wohllebens, das er ihr sicherte, trotz alledem ein bisschen widerstrebend, zum Gatten nahm. Doch die Krisis hat sich in dieser Ehe eingefunden. Rubek ist von Maja müde, wie sie von ihm. Sie langweilt ihn und ist selbst mit ihm völlig fertig; er stagnirt seit der Vollendung seines Hauptwerkes in seiner Kunstthätigkeit, führt nur ab und zu auf Bestellung Porträtbüsten aus, in denen es ihn amüsirt, heimlich das Thier zu charakterisieren, das in jedem Menschen verborgen lebt.

Dies die Vorgeschichte, also nach der Art und Weise Ibsens der grösste Theil der ganzen Geschichte. Das Drama zieht nur deren Consequenzen. Auf einer Sommerreise, die Rubek und seine Frau nach mehrjähriger Abwesenheit in Norwegen unternehmen, sieht Rubek aufs neue Irene, von der Geisteskrankheit kaum geheilt, weiss und erloschen wie eine wandernde Statue mit der schwarzen Diakonissin in ihrem Gefolge. Und überdrüssig, wie er ist, seiner todten Ehe, seines leeren Ruhms, seines glücklosen Wohlseins; gepeinigt, wie er ist, von seiner hartnäckigen Unfruchtbarkeit als Künstler, seit Irene aus seinem Leben entschwand, lebt er durch das Wiedersehen aufs neue auf. Unter dem Eindruck ihrer Vorwürfe sieht er seine Vorzeit und Gegenwart in einem neuen Licht, bereut, dass er sich nicht ihrer bemächtigte, als es Zeit war, begreift kaum selbst, dass er sie habe fahren lassen. Sie ist mit einem Messer bewaffnet, mit welchem sie in ihrem Hass ihn tödten will; sie gibt erst die Ermordung auf, als sie einsieht, dass er wie sie „todt“, wie sie gebrochen und vernichtet ist. Doch es ist nicht nur sein Unglück, das sie entwaffnet. Sein erstorbenes Begehren, das wieder erwacht ist, steckt sie an und gewinnt sie zuletzt. Sie wollen endlich beide (nach der vieljährigen Trennung in der Nähe und in der Ferne) sich umarmen und vereinigen, als ein Schneesturz von den Felsenhöhen sie wegwirbelt.

Während nun Rubek und Irene dergestalt ihr Schicksal vollbringen, hat Maja, die recht lebhaft ihren müden, nervösen Bildhauer und seine Kunst geringschätzt, den gefunden, welcher der Mann für sie ist, den rohen lebensgierigen Jäger Wolfheim, der nach allem, was Vollblut ist, auf die Jagd geht, nach Weibern, wie nach Bären und Wölfen. Ihr Jubel über ihre Befreiung aus der Ehe mit Rubek überlebt den Sturz der beiden mit dem Todesmal Gezeichneten. Maja und Wolfheim die zwei supplirenden Gestalten, sind mit der sichersten Meisterschaft gezeichnet; aber ihr Wesen ist zu einfach und klar, um eines Commentars zu bedürfen.

Das Verhältniss zwischen Irene und Rubek ist es, das Probleme enthält und zum Grübeln einladet.

Es ist das Verhältniss zwischen einem Künstler und seinem Modell. Dies Verhältniss kann vielerart sein. Das einfachste, alltäglichste Verhältniss in der bildenden Kunst ist wohl, dass das Weib in seiner Stellung als Modell einen Erwerb und der Künstler in ihr die mehr oder weniger untergeordnete Beihilfe sieht, die er zu seinem Werke nöthig hat, und zwar so, dass diese Auffassung für sie nichts Verletzendes enthält. Zusammengesetzter wird das Verhältniss, wo das Weib entweder als Modell Geliebte, oder als Freundin, Geliebte, Hausfrau Modell geworden ist. Besonders in dem letzteren Fall entsteht nicht selten die Eifersucht des Weibes auf die geistige Arbeit und auf die Selbstvertiefung des Künstlers, die Entrüstung über die Sachlichkeit des Mannes, die trotz aller Frauensache das dem Wesen der Frauen Fremdeste ist. Dann kann, auch wenn der Mann die Frau begehrt und ihre Gunst genossen hat, ein förmlicher Hass bei ihr entbrennen zu der künstlerischen Wirksamkeit an sich, die eine Zurücksetzung ihrer, ein Vergessen ihrer, ein Verschmähen ihrer Person enthält, und der Hass zur Kunst als der rivalisirenden Macht wird dann leicht auch Hass zum Künstler im Manne. Wer hat mit Künstlern und ihren Frauen verkehrt und hat nicht in unbewachten oder leidenschaftlichen Augenblicken den Weiberhass gegen den „Steinhauer“, „Schmierer“ oder „Scribenten“ ausbrechen gehört! Noch zusammengesetzter wird jedoch die Sache in dem von Ibsen gedichteten seltenen Fall, wo der Mann aus principiellen Gründen das erotische Verhältniss zum Modell vermeidet oder gescheut hat, ja die kostbare, stillschweigend dargebotene Gabe nicht einmal hat empfangen wollen. Hier ist selbstverständlich die Frauennatur am tiefsten gekränkt worden. Kommt dann dazu die Entrüstung, als episodische Gestalt in dem Leben des Mannes, als blosse Hintergrundfigur in einem Kunstwerk behandelt worden zu sein, das sie Grund hatte als von ihr allein inspirirt zu vermuthen, so wird sowohl der Untergang Irenes wie die Gefühle, die sie nach ihrem Erwachen erfüllen, verständlich genug.

 

In der Dichtkunst nun, woran im Innersten dieses Schauspieles vielleicht reichlich soviel gedacht ist, wie an die bildende Kunst, ist das Verhältniss des Künstlers zum Modell freilich ein wesentlich verschiedenes. Aber auch hier kann es sehr gut vorkommen, dass eine Frau durch das Gefühl verbittert wird, als Modell gedient zu haben, in einer Erzählung oder einem Drama verewigt oder verherrlicht sein, um kurz darauf selbst vergessen, verstossen oder verdrängt zu werden. Am häufigsten aber wird vielleicht die Erbitterung hier durch die Empfindung oder den Eindruck entstehen, sich missverstanden, missgezeichnet oder carikirt zu sehen. Doch selbst wo von verkennender oder misshandelnder Darstellung keine Rede ist, kann die Frau ja eine untrügliche und berechtigte Empfindung haben, missbraucht zu sein. Goethe hat ein reizendes Bild von Friederike geliefert. Die arme Friederike würde vorgezogen haben, Goethe zu behalten, anstatt von ihm verewigt zu sein, und das, obschon er sicherlich in ihr kein Modell suchte. Am besten ist es, wenn modellsuchende Poeten aufeinander stossen; dann geschieht in der Regel weniger Schaden als sonst; und doch ging es bekanntlich sehr übel zu, als Alfred de Musset und George Sand jedes das Wesen des anderen in dessen Nacktheit studirten, und zwar obwohl sie die Erotik durchaus nicht versäumten.

In Ibsens Schauspiel ist es die weibliche Hauptperson, die Recht behält, indem der Bildhauer zu ihrem Standpunkte übergeht, ganz wie sie „das Leben“ und die Kunst einander entgegenstellt, und wie sie bedauert, „das todte thönerne Bild über das Glück des Lebens – der Liebe gestellt zu haben“. Hier gibt's, wie durchgehend bei Ibsen, hinter all dem Pessimismus einen fast naiven Optimismus, der in Erstaunen versetzt. Wer in aller Welt kann glauben, dass ein Glück der Liebe eingetreten wäre, falls der Künstler zu jener Zeit über Irene die Rücksicht auf sein Werk vergessen hätte! Er selbst sah ja damals gar nicht das Glück in dem Besitz Irenes, vermisste sie nicht einmal menschlich, als sie verschwand. Nach der eigenen Lehre des Stückes würde das Ganze damals zu lauter Enttäuschung geworden sein: „Anfangs ist nichts schlimm. Aber dann kann man in eine Enge hineingerathen, woraus man weder vorwärts, noch rückwärts zu kommen weiss.“ Soll wirkliches und dauerhaftes Glück zwischen Mann und Weib erblühen, so müssen die Naturen anders beschaffen sein, als Ibsen sie hier gebildet hat. Er hat selbst alles so zurechtgelegt, dass das Verhältniss nothwendig zur Disharmonie werden musste. Die einfache, volle Harmonie zwischen Mann und Weib hat er ja in seinen Werken überhaupt nur als unmittelbar dem Tode vorhergehend geschildert. Ja sogar um den kurzen Augenblick des Besitzes werden Rubek und Irene, wie Solness und Hilde, wie Rosmer und Rebekka, betrogen. Der Tod sammelt oder trennt sie in der Minute, da sie ganz für einander fühlen und einander endlich vollständig verstehen.

Nichtsdestoweniger hat Ibsen hier scheinbar das Glück des Besitzes in der Liebe für das einzig wahre Glück erklärt. – Man beobachtete bei Renan, wie die Jahre gingen und das Alter kam, dass der grosse Denker und Poet immer mehr zu einem Verkünder des Evangeliums der irdischen Liebe wurde. Die Franzosen erhielten aus seiner „L'abbesse de Jouarre“ den Eindruck, dass er die versagende Strenge seiner arbeitsamen Jugend gleichsam bereute. Ein ähnliches Bekenntniss tritt einem in der Ibsen-Rubek'schen Klage entgegen, dass es nicht der Mühe werth sei, „sich für den Mob und die Masse abzuhärmen“, diese Masse, welche in dem Kunstwerke noch dazu nur das entzückt, „was nie in dem Gedanken des Künstlers war“. Der gewonnene Ruhm kommt als gewonnen gleichgiltig vor. Der entfliehende Eros erscheint doppelt schön.

Die Glückslehre hier scheint am nächsten eine Stimmungslehre zu sein. Jeder findet eben das Glück in dem, worin er es zu finden glaubt, und es hiesse den Menschen das schwere Leben noch schwerer machen, würde man das Glück allzu stark begrenzen. Ein geistiger Beruf ist doch nicht bloss als ein Hinderniss des Glückes aufzufassen, eher als ein wesentliches, besonderes Glück, eine starke Vermehrung des allgemeinen Menschenglücks, das er vielleicht schwieriger erreichbar macht, aber nicht ausschliesst.

Als Drama ist „Wenn wir Todten erwachen“ reich an ergreifenden und kühnen Gegensätzen: die Verfeinerung Rubeks und die derbe Brutalität bei Wolfheim – die hochfliegende Begierde der bleichen Irene nach einem ganz erfüllenden Glück und die Lebenslust der rothwangigen Maja – die Marmorgestalt Irenens und das schwarze Gewand der Diakonissin, das wie ein Andenken wirkt an das lebendige Beerdigtsein, das Irene ausgestanden hat, und an ihren bald erfolgenden Tod mahnt. Die vollste Kraft hat Ibsen an den ersten Act gewendet, der nicht vollendeter geformt sein könnte. In den zwei folgenden Acten werden ohne irgend ein dramatisch entgegenkämpfendes oder nur retardirendes Element einzig und allein die Folgerungen aus dem zuerst Gegebenen gezogen.

Man kehrt unwillkürlich von dem Stücke sogleich zu dessen grossen Urheber zurück, von dem man glauben sollte, man kenne ihn hinlänglich aus einem paar Dutzend unvergesslichen Werken – der jedoch trotz seines stetigen Variirens derselben Motive neue Seiten darbietet.

Man spürt zuerst den Trieb, ihm, dem immer Widersprechenden, auch zu widersprechen. Bisweilen fordert er das Lebensgefühl bei seinem Leser heraus, wie wenn er in „Brand“ durch den Mund des Helden Opfer nach Opfer, sogar von der unschuldigsten, natürlichsten Liebe zum Leben verlangt. Bisweilen fordert er das Kunstgefühl bei seinem Leser heraus, wenn er wie hier durch den Mund der Heldin und des Helden das künstlerische Hervorbringen und das Kunstwerk selbst herabsetzt, sie ausserhalb des sogenannten „Lebens“ sieht, und das Kunstwerk für werthlos erklärt im Vergleich mit den Opfern, die ihm gebracht werden.

Doch der Trieb oder Drang, den man danach spürt, ist der, ihm unsern Dank zu bringen. In seinen eigenen Werken sind Kunst und Leben nicht einander entgegengestellt; seine Gestalten leben – leben zwar nicht das gewöhnliche Erdenleben, führen aber eine höhere, mehr umfassende, sinnbildliche Existenz. Sie haben um sich herum eine Atmosphäre bewahrt von der Stimmung, in der sie erzeugt wurden, und in dieser Atmosphäre offenbaren sie sich als höhere Wesen, die, was sie auch sagen, immer etwas Unausgesprochenes zurückhalten. Das Kunstwerk, das sie ausmachen, bewahrt desshalb selbst etwas Unausgesprochenes. So wird man nie damit ganz fertig, fühlt häufig das Bedürfniss, wieder darauf zurückzukommen, um sich es völlig anzueignen. In der Regel wird desshalb ein neues Werk von Ibsen erst nach einigen Jahren recht verstanden und geschätzt. Was gleich darüber gesagt wird, ist grösstentheils unzulänglich und wenig erschöpfend. Es kleidet die Schauspiele Ibsens wie gewisse interessante Menschen sehr gut, älter zu werden.