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Sie klagt sich nicht ohne Grund der Feigheit an; sie hat den Damen-Schrecken der Wohlerzogenen vor allem, was Skandal werden kann. Sie ist in so erbärmlicher Weise machtbegierig, dass sie den vorher verfallenen Eilert Lövborg aufs Neue zum Trinken verleitet, nur um ihre Herrschaft über eine Menschenseele zu empfinden, und sie ist in ebenso elender Weise eifersüchtig genug, um das von ihm während eines Freundschaftsverhältnisses mit einer anderen Frau geschriebene Werk zu vernichten, da doch die einzige wirkliche Bedeutung dieser guten Frauenseele für ihn die war, ihn von der Flasche abzuhalten.

Hedda ist ein wahrer Degenerationstypus, ohne Tüchtigkeit, ohne wirkliche Begabung, ohne Fähigkeit geistiger oder sinnlicher Hingebung; sie kann nicht einmal für Augenblicke in einem Anderen aufgehen – hat gerade Stolz genug, um vor ihrem Jürgen Ekel zu haben und es scheusslich zu finden, ihm ein Kind zu gebären. Wenn sie zuletzt durchaus nicht die Maitresse Bracks werden will, so ist zwar Liebe zur Unabhängigkeit einer ihrer Beweggründe, der andere aber ist die Scheu, gegen die Korrektheit zu verstossen, die ihr (sonderbar; genug) so theuer ist. Und die Leidenschaft für Schönheit, schönes Betragen u. s. w., die sie mit dem wackeren Spiessbürger Helmer in „Nora“ gemein hat, ist bei ihr fast nicht ansprechender als bei ihm.

Wenn aber dem so ist, welchen tieferen Eindruck kann es dann auf uns machen, dass diese Frau von der Lebenstafel aufbricht! Und doch ist der Eindruck kein kaltes Bedauern. Ibsen hat trotz alledem verstanden uns für Hedda zu interessiren, sie uns irgendwie sympathisch zu machen. Sie war nämlich trotz alledem eine Kraft.

Am interessantesten bei dieser Gestalt ist es, dass das Böse in ihr mit so viel Stärke dargestellt ist. In einer ziemlich langen Periode seines Schaffens war Ibsen in die Manier verfallen, die Frauen systematisch auf Kosten der Männer zu heben. Hier hat er eine Frau gezeichnet, die insofern männlicher als mancher Mann ist, als sie das feinste Gefühl für die ekelhafte Süsse des gewöhnlichen Ideals der Güte hat, die aber nichtsdestoweniger ein Wesen ohne seelische Fruchtbarkeit ist und in ihrer verzweifelten Lage nichts anderes vermag, als zu verderben, zu vernichten, und zu sterben.

Das Drama stellt ausser Hedda ein Genie und einen Dummkopf dar. Das Genie ist Eilert Lövborg, der Dummkopf Jürgen Tesman.

Dass Jürgen ein Einfaltspinsel ist, darüber ist der Leser bald klar; weniger sicher wird er darüber sein, ob Eilert auch wirklich ein Genie ist. Ibsen ist Dichter, ein sehr grosser Dichter, und es ist ganz natürlich, dass er auch die Wissenschaft als Poet betrachtet und beurtheilt. Es liegt dem Dichter nahe, das Kennzeichen des Genialen auch in der Wissenschaft darin zu sehen, dass der Autor die Wege der Erfahrung verlässt und prophetisch in das Kommende hineinschwebt. Ibsen will uns den Eindruck der seltenen Begabung Lövborgs dadurch erwecken, dass er ihn über die Kulturmächte und Kulturziele der Zukunft schreiben lässt. Uns anderen prosaischen Seelen kommt es jedoch vor, als sei das vernünftigste Wort, was darüber zu sagen wäre, das, welches von dem Dummkopf des Stückes gesagt wird: „Aber du lieber Gott! darüber wissen wir ja ganz und gar nichts!“ Der Kulturgang der Zukunft – das ist ja der reine Bellamy!

Doch – Eilert Lövborg mag weit begabter sein, als er scheint, er mag das Grösste sein, was ein Schriftsteller sein kann: ein gediegenes, epochemachendes Genie. Wenn er das ist, wie ist es dann möglich, dass er seine Arbeit einem Quasi-Kollegen, den er so gering schätzt wie diesen Tesman, laut vorlesen will! Mit welchem Tonfall wirft er nicht Hedda vor, dass sie sich an diesen Mann weggeworfen! Und ihm bringt er, bei seinem ersten Besuch, das theuere Kind seines Geistes, um die Ansichten des armen Pedanten darüber zu erfahren; ja so erpicht ist er auf Lob von diesen Lippen, dass er das Manuscript sogar in das Trinkgelage mitschleppt, um dort sich eine Ecke auszusuchen, wo er sein Innerstes und Bestes dem tief verachteten Jürgen ausschütten könne.

Ich weiss freilich, dass er das Manuscript mit haben muss, damit er es verlieren und Hedda es verbrennen kann, aber gleichwohl! – dass er von Jürgen geschätzt sein will, ist fast noch hässlicher, als dass er sich an Hedda hat vergreifen wollen, oder dass er verloren ist, sobald er ein einziges Glas Punsch an den Mund führt. You are no gentleman, Mr. Lövborg.

Armer Bursch! Die Strafe kommt über ihn, sobald er entseelt ist. Der geringgeschätzte Collega erbt zuerst die Reste seines Manuscripts, die noch erhalten sind, dann die Reste seiner Freundin, die übrig geblieben ist.

Es finden sich in diesem Drama mehrere kleine Unwahrscheinlichkeiten. Es ist z. B. wenig wahrscheinlich, dass Frau Elvsted das Concept zu dem grossen Werk bei sich trägt; damit wird uns zu absichtlich die Zukunftsperspektive – sie und Jürgen – eröffnet.

Man muss indessen gegenüber einem Dichter von dem Range Henrik Ibsens sich sehr hüten, irgend einen wichtigen Zug a priori als unwahrscheinlich oder sogar unmöglich zu stempeln. Als das Stück erschien, wurden von verschiedenen Seiten besonders zwei Züge so bezeichnet. Erstens, dass Lövborg das Manuscript verliert. Das thut man nicht, hiess es. Zweitens, dass Hedda das Manuscript verbrennt. Das thut man noch weniger, wurde gesagt. Ich kenne persönlich einen Fall, wo die Frau eines Componisten in einem Anfall eifersüchtigen Hasses eine eben zu Ende componirte Symphonie ihres Mannes verbrannte, und einen andern Fall, wo ein Dichter in wüster Betrunkenheit das Manuscript zu einem eben vollendeten Roman verlor. Ich füge hinzu, dass sowohl der Musiker wie der Dichter Künstler von ungewöhnlicher Begabung sind.

An der Menschenkenntniss Ibsens ist hier wie überall wenig auszusetzen. Er kennt die Menschen so gut, dass er die möglichen Fälle nicht selten da erräth, wo er sie nicht erlebt hat. Gegen seine Kunst ist noch weniger einzuwenden. Sie ist erstaunlich, in „Hedda Gabler“ wie vorher.

Auf die realistische „Hedda“ folgt zwei Jahre nachher (1892) die tief symbolische Dichtung „Baumeister Solness“.

Noch lange, nachdem wir es gelesen, hallt dieses Stück in unserem Innern nach. Und haben wir es gelesen, so lesen wir es wieder – mit steigender Bewunderung. Makellos in seiner Kunst, tief und reich in seiner sinnbildlichen Sprache, das sind die Worte, die sich Einem zu allererst auf die Lippen drängen, und ergriffen, ohne gerührt oder in weiche Stimmung versetzt zu sein, versinkt man in ein Sinnen und Grübeln über den empfangenen Eindruck.

„Baumeister Solness“ wirkt zugleich fesselnd und befreiend.

Was Ibsen hier in der Geschichte wirklicher Gestalten und doch in halb allegorischer Form zur Darstellung bringen wollte, es ist die Tragödie eines hervorragenden, aber alternden Künstlers. Ein eigentliches Genie ist Solness nicht, und sollte er als solches gedacht sein, so fehlen einige Züge. Vom Genie hat er die Anziehungskraft auf die Frauen, sowie in reichem Masse die Laster, die bei so manchen Persönlichkeiten Folgen jener Eigenliebe sind, ohne welche eine gewisse Form von Genialität undenkbar ist. Den Werth seiner Arbeiten, den wir nicht zu beurtheilen vermögen, müssen wir auf Treu' und Glauben hinnehmen. Vielleicht ist es ein Mangel des Stückes, dass Solness, dessen moralische Schwächen so stark in die Augen fallen, nicht ein rein künstlerisches Streben und eine rein intellectuelle Begeisterung, die dafür entschädigten, beigelegt sind. Wenn er etwa einen neuen Baustil in der Kunst begründet hätte. Nun aber sagt er uns weiter nichts Geistreiches über seine Kunst, als das eine, übrigens tiefe Wort, dass er nicht Häuser für Leute zu bauen vermöge, die er nicht kenne. Wenn wir demnach in Solness die grosse Persönlichkeit erblicken, so geschieht es zum Theil, weil wir dem mit so knappen Mitteln arbeitenden Dramatiker auf halbem Wege entgegenkommen, auf die Voraussetzungen eingehen, deren er bedarf.

Das Hauptgebrechen, an dem Solness krankt, ist die ihm eigene Mischung von Brutalität, die ihn die älteren Concurrenten niederschlagen lässt, und von Angst, von den Jüngeren überstrahlt zu werden, etwas, wovor selbst das Genie nicht immer bewahrt. Er besitzt von vornherein jenen Künstler-Egoismus, dessen es bedarf, um die angeborenen Gaben zur Entfaltung zu bringen. Sein Verhältniss zu dem alten Brovik erinnert ein wenig an das des Grosshändlers Werle zu dem alten Ekdal; er hat ihn zu Grunde gerichtet und nachher auf seinem Comptoir untergebracht. Sein Verhältniss zu Ragnar erinnert ein wenig an das Thorwaldsen's zu Freund. Freund war „ein Märtyrer der Alles für sich heischenden künstlerischen Ueberlegenheit Thorwaldsen's“. Thorwaldsen liess seinem jungen Mitarbeiter nicht Luft noch Licht, behielt alle Bestellungen, selbst wenn er sie gar nicht zu bewältigen vermochte, für sich und gestaltete unter der Maske väterlicher Freundschaft das Leben Freund's an seiner Seite zu einer Leidensgeschichte. Allein Thorwaldsen's Schuld war weit geringer als die des Baumeisters Solness. Denn Thorwaldsen nahm mit dem Rechte des Grösseren und Stärkeren, wie ja auch das junge Weib, das Solness bewundert, keinen Augenblick daran zweifelt, dass er der Grössere sei. Ihm wird aber sein Verhalten gegen Ragnar in unwürdiger Weise von der Ueberzeugung dictirt, der junge Architekt gebiete über höhere Anlagen als er. In Solness liegt zugleich etwas Wildes und Heimtückisches, das der Schaffensdrang unbezähmbar gemacht hat.

In starkem Gegensatze zu dieser Brutalität seiner Natur (und doch auch wieder im Zusammenhange mit derselben) steht seine bis ins Krankhafte gehende, ja allmälig sich geradezu zur Sucht entwickelnde moralische Selbstkritik, eine Scrupulosität, die sich schon die blossen eigensüchtigen Wünsche und unbestimmten Hoffnungen als Schuld anrechnet. Er ist gleichzeitig die verkörperte Rücksichtslosigkeit im Kampfe um die Behauptung seiner Stellung als Künstler und die verkörperte Selbstquälerei in seinem Kummer über die Opfer, die seine Entwicklung gefordert, besonders in seinem Leide über das Unrecht, das er unfreiwillig seiner Gattin zugefügt habe.

 

In den Augen der Welt ist er glücklich, insofern er auf seinem Wege zum Ruhme in seltenem Masse vom Schicksal begünstigt worden. Er aber verweilt in ewigen Gewissensbissen bei den Opfern, die sein Glück gekostet, bei dem Preise, der Tag für Tag dafür gezahlt wird. Dass er so rasch in die Höhe kam, das dankt er – in etwas sonderbarer Weise – dem Brande, der das Elternhaus seiner Gattin zerstörte. Nur dadurch wurde er „in den Stand gesetzt, Heimstätten für Menschen zu bauen“. Dass häusliches Glück zu finden genialen Persönlichkeiten schon aus dem Grunde selten bescheert ist, weil ihre Entwicklung und die der Erwählten ihrer Jugend schwer Schritt halten, ist eine Erfahrung, die aus den Worten des Baumeisters uns entgegentritt: „Um dazu zu kommen, Heimstätten zu bauen für Andere, musste ich verzichten, für alle Zeiten darauf verzichten, selber ein Heim zu haben“. Und mit einer anderen Wendung: „Alles, was mir vergönnt wurde zu wirken, zu bauen, zu schaffen, Schönes, Trauliches – Erhabenes auch … Alles das muss ich unaufhörlich aufwägen. Dafür bezahlen. Nicht mit Geld. Aber mit Menschenglück. Und nicht mit meinem Glück allein. Mit dem Glücke Anderer auch … Den Preis hat mein Künstlerplatz gekostet“. Indem er nun den Sachverhalt völlig umkehrt, dünkt ihm, gerade weil er seinen Platz im Leben so theuer bezahlte, müsse ihm allein das Recht zustehen, zu bauen, das Recht also, auch alle Anderen niederzuhalten.

Nicht jedesmal hat er indess neue Anstrengungen machen müssen, um vorwärts zu kommen. Er hat, wie Alle, die etwas ausgerichtet haben, es nicht allein bewirkt. Umstände – Helfer und Diener, wie er sie in seiner Sprache nennt – sind ihm förderlich gewesen. Ihm wohnte die Macht, die den Schlemihls fehlt, die Macht, welche die Hilfe herbeiruft, inne, ihm, wie in den „Kronprätendenten“ dem Könige Hakon. Je mehr sich jedoch sein Seelenleben in krankhafter Richtung entwickelt, umsomehr fühlt er sich überzeugt, er besitze eine geheimnissvolle Macht, so zu wünschen, dass das Gewünschte geschieht, Frauen gegenüber dermassen, dass schon der Wunsch, der Gedanke schon, der ihm durch den Sinn fährt, für sie zur Wirklichkeit wird, kurz eine Art hypnotisirende Macht ohne alle Hypnose. Mittelst dieser Macht hat er Kaja und durch sie Ragnar, den er fürchtet, an sich gefesselt. Ibsen lässt es dahingestellt sein, ob ein ähnliches Verhältniss nicht sogar gegenüber der weiblichen Hauptperson des Stückes stattgehabt. Es bleibt unentschieden, ob Solness sie in ihrer Kindheit wirklich geküsst habe. In Folge des ewigen Grübelns über diese geheimnissvollen Gaben und Kräfte hat sich allmälig in dem Gemüthe des Baumeisters eine krankhafte Furcht ausgebildet, von seiner Umgebung für wahnsinnig gehalten zu werden. Und es liegt auch in dieser Furcht bereits der Keim zu wirklicher Gemüthskrankheit, die schliesslich als Exaltation ausbricht.

Dieser Mann, den wir zu der Zeit, in welcher das Stück spielt, keineswegs auf der Höhe seines Wesens sehen, hat sich einst einem jungen Mädchen dergestalt gezeigt. Hilde hat als zwölf- bis dreizehnjähriges Kind ihn stolz und frei, auf den Kirchthurm der Stadt, in der Wangels wohnen, den Kranz setzen sehen. Dieser Eindruck und die darauf von seiner Seite erfolgte Annäherung an sie haben zwischen ihr und ihm ein geheimnissvolles Band gewoben. Während all der zehn Jahre, die seitdem verstrichen, hat sie der Erinnerung daran gelebt. Es zieht sie hin zu ihm, sie will das Königreich, das er am Tage des Abschiedsschmauses ihr nach zehn Jahren zu bieten verhiess, von ihm fordern, und zu ihm, der voll Furcht vor einer feindseligen Jugend dasitzt, tritt sie ins Gemach, wie die Jugend, die voller Glauben an ihn ist, und welche helle Begeisterung für ihn erfüllt. Sie scheint hierin ihrer Stiefmutter Ellida verwandt, die gleich ihr zehn Jahre lang des fremden Mannes harrt. Und wiederum ähnelt sie darin dem fremden Manne, dass sie sich keinen Augenblick davon beirren lässt, dass Solness vermählt ist. Wir kannten sie in „Der Frau vom Meere“ als Eine, die in angeborenem Drange nach starken Gemüthsbewegungen, nach Spannung, nach all dem schmachtet, was das Vollgefühl des Lebens erweckt. Hier lernen wir sie als diejenige kennen, die sich ihren Glauben an den grossen Baumeister nicht rauben lässt, ihn auf der Höhe seines Wesens allein, frei, zum zweiten Male zu sehen begehrt. Dies symbolisirt das Stück damit, dass sie ihn aufs neue sehen will, auf die Thurmspitze den Kranz aufsetzen. Es wird ihm nunmehr leicht schwindlig, wie auch seinem Gewissen schwindelt. Mit ihrem Erscheinen jedoch soll und muss dieser Schwindel weichen. Sie erträgt es nicht, dass man mit Recht von ihrem Baumeister sollte sagen können, er getraue sich nicht, er könne so hoch nicht steigen, als er selbst gebaut!

Dieser Satz ist der centrale des Stückes. Um ihn recht zu verstehen, setze man einen Augenblick andere Werthe, so zum Beispiel; „es soll nicht mit Recht gesagt werden können, mein Dichter hätte nicht vermocht, in seinem Leben sich zu der Höhe der Ideale zu erheben, die er in seinen Büchern aufgestellt habe“.

Stünde es dort so, das Stück wäre ein ganz anderes. Es wäre massiver, hielte sich der Erde näher. Wie nun der Ausspruch lautet, ist es poetischer, durch seinen Doppelsinn dunkler, fesselnder geworden. Es bedarf nämlich einer grossen Kunst, uns durchwegs in dem Glauben an das Symbol zu erhalten, so zwar, dass es nie blos als ein solches wirkt. Ibsen musste, um den Leser in der Atmosphäre des Stückes festzubannen, mit wundersamer Vorsorglichkeit alle Fenster und Thüren des Dramas verkitten, auf dass auch nicht ein Hauch von gesundem Menschenverstande aus dem Alltagsleben hineindringe. Denn geschähe dies, der Zauber wäre gebrochen. Würde auch nur Eine Person im Stücke ein einzigesmal betonen, dass es ja doch für die Grösse eines Baumeisters durchaus keinen Maasstab abgebe, ob ihm auf dem Wege zur Spitze eines Kirchthurms schwindle oder nicht, die Stimmung, die Symbolik wäre gesprengt. Doch alles Derartige ist beiseite gelassen.

Hingegen sehen wir Hilde thatsächlich Solness seiner niederen Denkweise entreissen, ehe wir sie in der körperlichen Welt ihn antreiben sehen, allein und frei hoch oben zu stehen. Denn sie entsetzt sich, als sie endlich seine Niedrigkeit Ragnar gegenüber erkennt. Sie erschrickt über die Reden, die er führt. „Wollen Sie mir das Leben nehmen? Mir das nehmen, was mir mehr ist, als das Leben?“ – „Und was ist denn das?“, fragt er. – „Sie gross zu sehen mit einem Kranz in der Hand. Hoch, hoch oben auf einem Kirchthurm“. Sie drückt ihm den Bleistift zwischen die Finger und zwingt ihn, seinem Schüler eine warme Empfehlung zu schreiben. So hoch steht er im Alltagsleben nicht. Allein sie ist die Macht, die ihn hinaustreibt über das, was er im Alltag ist.

Und so gipfelt denn das Drama, indem das Verhältniss zwischen ihr und ihm sich mehr und mehr steigert an Innigkeit und Aussichtslosigkeit, bis er ihr auf die einzige Weise angehört, die ihm erübrigt, wollte er sich nicht blos in den Nebelreichen und Luftschlössern der Phantasie mit ihr begegnen, nämlich im Tode.

Er begann damit, Kirchen zu bauen, weil er, einem frommen Hause auf dem Lande entsprossen, den Bau von Kirchen für das Würdigste erachtete. Als er sodann seine Kinder verloren, beschloss er, keine Kirchen mehr, nur Heimstätten für Menschen zu bauen. Es kam hierauf der Zeitpunkt, da er einsah, Heimstätten für Menschen zu bauen sei auch keinen rothen Heller werth. Die Menschen, hätten die Heimstätten gar nicht nöthig, um glücklich zu sein. Er selbst würde auch solch eines Heims nicht bedürfen. Nun glaubt er nicht mehr, dass es ein Glück auf Erden gebe, er will zum Schluss das einzige bauen, von dem er glaubt, dass Menschenglück darin wohnen kann – das Luftschloss, das Hilde von ihm begehrt.

„Ich fürchte, es würde Ihnen schwindlig werden, ehe wir halbwegs kämen“. – „Nicht, wenn ich mit Ihnen Hand in Hand gehe, Hilde“. – „So lassen Sie sich wieder oben sehen, hoch und frei“.

Was bedarf es hier noch einer Deutung? Es steht ja Alles mit klaren Worten da, und Alles so sinnreich, dass es rein buchstäblich genommen werden, auf jedes Kind spannend wirken kann, und gleichwohl ist Alles durchsichtig, doppeldeutig in Solness' und Hilde's doppelter Exaltation.

Er bot ihr anfangs die höchste Thurmkammer in seinem neuen Hause. Nachdem sie jedoch seine Gattin persönlich kennen gelernt, zeigt sich ihr „robustes“ Gewissen ebenso angegriffen, wie das seine. Sie kann nicht greifen nach ihrem Glück, weil zwischen ihr und diesem ein Wesen steht, mit dem sie Mitleid hat. So bleibt denn nur noch das Glück im Luftschlosse.

Solness' Gattin, Aline, ist die einzige der Nebenpersonen, die Ibsen einigermassen zu vertiefen für nöthig fand. Sie ist der einfältige Pflichtmensch, die eifersüchtige Ehefrau, das demüthige, religiöse Wesen, das Solness ausweicht, wie er ihr. Sie kennzeichnet der grelle Zug, dass nicht der Tod der Kinder sie gebrochen – die, weiss sie, haben es ja so gut im Himmel – nein, was ihr am wehesten thut, das ist der Verlust aller der Puppen aus ihrer Kindheit, die mitverbrannten. Ihre Einfalt, ihr ewiges Fehlgreifen in ihrem Urtheile wird von Ibsen vortrefflich durch den ihr in den Mund gelegten stupiden Ausruf über die arme, sich in Hingebung verzehrende Kaja gestempelt: „Gott, hat die tückische Augen!“

Ihre Rolle besteht denn auch nur darin, ein Hinderniss zu sein, und in der That spinnt sich das ganze Drama zwischen Solness und Hilde ab. Das Licht geht von Hilde aus, und diese Frauengestalt überstrahlt in ihrer Eigenthümlichkeit, ihrer Frische und ihrem Glanze sämmtliche Frauengestalten der zeitgenössischen Litteratur.

Seit dem „Puppenheim“ und den „Gespenstern“ hatte Ibsen nichts so mächtig Wirkendes geschaffen wie sie, überhaupt kein Werk von so hohem Range, zugleich so natürlich und so übernatürlich.

Seit Ibsen die Stoffwahl und Darstellungsweise seiner Jugend aufgab, hat man ihn als sogenannten „Naturalisten“ gefeiert und angegriffen gesehen. In unseren Tagen haben sogenannte „Symbolisten“ eine Fehde gegen den „Naturalismus“ eröffnet. Derlei Schlagworte haben nie viel Werth, auf Ibsen passen sie jedenfalls am allerwenigsten. Bei ihm haben sich nun volle zwei Decennien und darüber Naturalismus und Symbolismus gut mit einander vertragen. Die Gegensätze in seiner Natur treiben ihn zur Wirklichkeitstreue und Mystik.

Weil sein Wesen und seine Poesie reich an Räthseln und Geheimnissen sind, sieht er sich, um verständlich zu werden, zu dem Gebrauche starker Betonungen, zur Wiederholung bezeichnender Lieblingsredensarten, kurz gesagt, zu einer fast groben Deutlichkeit gezwungen. Und obgleich sein Wesen wie sein Schaffen wirklichkeitsliebend sind, ist er doch zu sehr Dichter und Grübler, um der Wirklichkeit, die er darstellt, nicht fort und fort einen tieferen Sinn unterzulegen. Jeder Grundzug wirkt sinnbildlich; man fühlt Ibsen's untergrabende Skepsis gegenüber dem Bestehenden und Anerkannten, die Kühnheit seiner Kritik dahinter, und freut sich, dass, so tief sein Zweifel gräbt, so hoch und sicher baut seine Phantasie.

Auf „Solness“, der vielleicht einen Höhepunkt bezeichnet, ist bisher nur „Klein Eyolf“ gefolgt. Das Stück, welches das Verhältniss der Eltern zu einem Kinde behandelt, gehört zu den düstersten, die Ibsen geschrieben hat. Das Stück gehört nicht zu meinen Lieblingen. Der erste Akt ist zwar vorzüglich gebaut; dessen dramatische Wirkung kann aber nicht in den folgenden erreicht werden, da er mit dem Tode des Kindes endigt.

Ueber dem Stück könnten als Motto die folgenden Worte stehen:

Rita:

Wir sind wohl dennoch Erdenmenschen.

Allmers:

Wir sind auch ein wenig mit Meer und Himmel verwandt, Rita.

Ibsens Auffassung der Menschennatur ist in den beiden Repliken niedergelegt.

Er hat in diesem Schauspiel mit gewöhnlichem Nachdruck seiner Lebensbetrachtung einen neuen, gedankenerregenden Ausdruck gegeben: Das Gesetz der Verwandlung. Alle menschlichen Verhältnisse stehen unter diesem Gesetz. Die Dichter des Alterthums schrieben „Metamorphosen“. „Eyolf“ ist eine Dichtung über nicht-mythische Verwandlungen. Man pflegt zu sagen, alles Lebendige stehe unter dem Gesetz der Entwickelung. Aber der Ausdruck Verwandlung ist tiefer und wahrer; denn Verwandlung enthält Fortschritt und Rückschritt, das sich Entwickeln und das sich Zusammenfalten, in einem einzelnen umfassenden Wort. Und wir sehen in diesem Schauspiel menschliche Gefühle geformt, umgeformt werden, erloschen, und aufs Neue in veränderter Gestalt erwachen.

 

Jeder Begebenheit gegenüber, die in unser Leben als plötzliches Unglück eingreift, erhebt sich eine doppelte Frage. Erst die Frage nach der Ursache, oder theologisch ausgedrückt nach der Schuld, oder moralisch-juristisch ausgedrückt nach der Verantwortung. Dann die Frage nach der Bedeutung des Geschehenen, theologisch ausgedrückt nach dem Sinn desselben, moralisch ausgedrückt die Frage, welcher Gebrauch von dem Unglück gemacht werden solle, wenn es sonst anders als zur blossen Trauer verwendet werden kann.

Eine solche epochemachende Begebenheit für das Leben und das Zusammenleben zweier Menschen ist im Schauspiel der Tod Eyolfs.

In dem Grübeln über die Ursache, die Schuld, die Verantwortung, bleibt das Drama bei dem folgenden Punkte stehen: der Umarmung, während deren das einige Augenblicke vergessene Kind durch einen unglücklichen Fall zum Krüppel wurde, und es begegnet hier dem Leser bei Ibsen ein fast an Tolstoj erinnernder Unwille gegen den „Erdenmensch“ und dessen Natur durch den gehässigen Schimmer, der hier über das gesunde Liebesverhältniss der Gatten geworfen wird. Es war immer bei Ibsen ein gewisser Dualismus da: Er spricht der Natur das Wort, und er züchtigt die Natur mit mystischer Moral; nur dass bald die Natur die erste Stimme hat, die Moral die zweite, bald umgekehrt. In „Solness“ wie in „Gespenster“ war der Naturanbeter in Ibsen dominirend; hier wie in „Brand“ und in der „Wildente“ ist es der Zuchtmeister.

Die zweite Achse des Stückes war die Frage nach der Bedeutung, dem Sinn des Geschehenen. Der Tod des kleinen Eyolfs scheint so sinnlos: ein Unglücksfall, der unmöglich andere Frucht setzen könne als Qualen, Anklagen und Selbstvorwürfe, also die Eltern, nur aufs Aeusserste gegen einander verhärten und verbittern könne. Aber die Begebenheiten haben nun einmal nur den Sinn, den wir selbst ihnen geben, durch die Auffassung, die wir uns von ihnen bilden, und durch den Gebrauch, den wir danach von ihnen machen. Und auf eine eben so geistvolle wie überraschende Weise gibt Ibsen am Ende des Stückes durch den Entschluss Rita's der Begebenheit eine Auslegung und dem Unglück einen Sinn. Der kleine Eyolf hat nicht vergeblich gelebt und ist nicht vergeblich gestorben, da sein Tod die Ursache wird, dass Rita und Alfred sich eine grosse menschenfreundliche Arbeit mit den Kindern anderer Menschen auferlegen.

Unter den Gestalten ist Rita am wahrsten und ungewöhnlichsten, der Typus eifersüchtiger, weiblicher Begehrlichkeit. Allmers interessirt weniger. Er ist feiner als Rita, aber auch schwächer in seiner geistigen Unfruchtbarkeit, überdies unedelmüthiger als sie, unbeherrscht in seiner Trauer, unwürdig und spitzfindig in seinen Angriffen auf das gebrochene Weib. Unter den übrigen Personen hebt sich, der Tod in der phantastischen Gestalt der Rattenjungfer unvergesslich hervor. Sie ist die Sagenfigur aus Hameln in der Person einer alten Frau.

„Solness“ und „Eyolf“ sind seit fast einem Menschenalter die ersten Stücke, die Ibsen auf vaterländischem Grund geschrieben hat. 1891 ist der Dichter nach Norwegen zurückgekehrt und hat die Heimat seither nicht wieder verlassen. In seiner Jugend dort kaum für voll genommen, ist er in seinem Alter von den Norwegern als Träger ihres Weltruhms bewundert und vergöttert. Er fühlt sich wohl zu Hause und hat es bei mehreren Gelegenheiten öffentlich ausgesprochen. Während des Zeitraums seines Lebens, der hier nachträglich geschildert worden ist, ist in seinem Vaterlande und ebenso sehr in Dänemark und Schweden eine junge Litteratur aufgeblüht, reich an grossen und frischen Talenten. Trotzdem erleidet es keinen Zweifel, dass die Litteratur der drei nordischen Reiche in seinen Dramen gipfelt. An seinen Arbeiten kann Europa am besten die Höhe ermessen, zu welcher die skandinavische Kultur sich emporhebt, wo ihre Zinnen am höchsten ragen.