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Dieses ist das Pathos des Stückes, und dieses Pathos erschreckte das grosse Philisterium noch mehr als „Nora“. Diesmal war es, als ob Ibsen sogar die Sterne ausgelöscht habe. „Nicht ein Lichtpunkt!“

Das Verhältniss zwischen Mann und Frau ist in „Gespenster“ von einem neuen Gesichtspunkt dargestellt: die Verantwortung dem Kinde gegenüber bildet gleichsam den Maasstab dafür. Das Drama behandelt in dichterischer Form den Gedanken der Vererbung; es stellt auf Grund jenes Determinismus, der nun einmal das letzte Wort der modernen Wissenschaft in der Sache ist, die durchgehende Bestimmtheit des Kindes durch die Eltern dar, und gibt dieser Thatsache einen stimmungsvollen, gedankenerregenden Hintergrund, indem es auf die allgemeine Thatsache hinweist, die schon der Titel andeutet (Gengangere, Gespenster im Sinne des französischen revenants), nämlich: auf die durch Vererbung bedingte Bewahrung von Gefühlen – und dadurch von Dogmen – deren ursprüngliche Lebensbedingungen ausgestorben und andern gewichen sind, mit denen diese Gefühle im Streite liegen.

Es knüpft sich in Bezug auf Ibsens Entwickelung ein Hauptinteresse an diesen Griff, diese Wahl des Stoffes, weil wir den Dichter hier zum ersten Male den Ring durchbrechen sehen, welchen sein Individualismus sonst um den Einzelnen als solchen zu ziehen pflegt. In einem Briefe von 1871 schrieb Ibsen folgende Worte, welche für Vieles bei ihm bezeichnend sind:

„… Für das Solidarische hab' ich eigentlich niemals ein starkes Gefühl gehabt; ich nahm es nur so mit als überlieferte Glaubenssatzung – und hätte man Muth, es ganz und gar ausser Betrachtung zu lassen, so würde man vielleicht des Ballastes los, welcher am schwersten auf die Persönlichkeit drückt …“

Jetzt, zehn Jahre darnach sind ihm für die Bedeutung des Solidarischen die Augen aufgegangen; jetzt hat er gründlich eingesehen, dass „Muth“ nichts nützt, um sich darüber hinwegzusetzen, und dass wir Alle schon von Geburt an solidarisch mit Personen und mit Verhältnissen verbunden sind, über die wir nicht Herr werden. Ibsen ist augenscheinlich im Verlauf der Jahre in immer innigere Beziehung zu den Grundideen der Zeit getreten.

So sehen wir ihn, der, wie fast alle jetztlebenden älteren Schriftsteller, von Anfang an bis zum Gürtel in dem romantischen Zeitalter stand, sich aus demselben heraus- und emporarbeiten und allmälig immer moderner, zuletzt der Modernste unter den Modernen werden. Dies ist nach meiner Ueberzeugung Ibsens unvergänglicher Ruhm und wird seinen Werken einen bleibenden Werth verleihen. Denn das Moderne ist nicht das Ephemere, sondern die Flamme des Lebens selbst, der Lebensfunke, die Ideenseele eines Zeitalters.

Es ist zu hoffen, dass die Missstimmung, welche Ibsens letztgenanntes Werk in manchen Kreisen erweckte, und die plumpe Kritik, der es zum Gegenstand diente, nicht hemmend auf seine Schaffenslust einwirken wird. Im ersten Augenblick freilich mochte diese Aufnahme niederschlagend auf ihn wirken. Er schrieb darüber:

„… Wenn ich denke, wie träg und schwer und stumpf das Verständniss daheim in Norwegen ist; wenn ich Acht darauf gebe, als wie seicht die ganze Betrachtungsweise sich erweist, so überkommt mich ein tiefer Missmuth, und manches Mal will mir scheinen, ich könnte meine litterarische Wirksamkeit auf der Stelle beschliessen. Bei uns daheim braucht man eigentlich gar keine Dichterwerke; man behilft sich mit der Storthings-Zeitung und der „Lutherischen Wochenschrift“. Und ausserdem hat man ja die Parteiblätter. Ich habe kein Talent zum Staatsbürger und auch keines zum Orthodoxen; und wenn ich für etwas kein Talent besitze, so befass' ich mich nicht damit. Für mich ist Freiheit die erste und höchste Lebensbedingung. In der Heimath bekümmern sie sich nicht sonderlich um die Freiheit, sondern bloss um Freiheiten, einige mehr oder einige weniger, je nach dem Parteistandpunkt. Höchst peinlich fühle ich mich auch berührt von all' diesem Unfertigen, diesem für's gemeine Volk Berechneten, in unserer öffentlichen Diskussion. Unter den sehr rühmlichen Bestrebungen, unser Volk zu einer demokratischen Gesellschaft umzubilden, gelangte man ein gut Stück Weges dahin, uns zu einer Plebejer-Gesellschaft zu machen. Die Vornehmheit der Gesinnung scheint daheim im Abnehmen …“

Der Sturm über die „Gespenster“, das Werk, in welchem Ibsen seinen düstersten Gedanken, seinen hoffnungslosesten Stimmungen Ausdruck gegeben hat, legte sich bald und hat dem Dichter keinen Schaden gebracht, ja der schlechte Empfang, der jenem Trauerspiel zu Theil wurde, ist ihm sogar insofern förderlich gewesen, als er das Motiv zu seiner letzten Arbeit „Ein Volksfeind“ abgab, einem Schauspiel, das allegorisch jene Vorgänge auf die Bühne bringt. Eben ist auch jene verrufene Tragödie – die vor kaum zwei Jahren von den königlichen Bühnen in Kopenhagen und Stockholm zurückgewiesen, ja selbst von der Theater-Direction in Christiania verworfen wurde – von schwedischen Schauspielern in Kopenhagen mit stürmischem Erfolg aufgeführt worden, und hierauf hat das Stück auch in Stockholm das Publikum erobert. Nur das Vaterland des Dichters weigert sich noch, sein merkwürdigstes und kühnstes Drama spielen zu lassen.

Ein gutes Omen für Ibsens künftige Werke ist der Umstand, dass in dem Maasse wie er mehr modern geworden, er ein immer grösserer Künstler geworden ist. Die Ideen der neuen Zeit haben bei ihm nicht die Gestalt von Symbolen angenommen, sich nicht in Typen verkörpert. In jüngern Jahren hatte er einen Hang zu grossen Gedankenbildern: Brand, Peer Gynt u. s. w.; doch merkwürdigerweise wurden seine Gedanken, je mehr er deren hatte, desto klarer und seine Gestalten immer individueller. Ibsens technische Meisterschaft ist in den letzten Werken von Jahr zu Jahr gestiegen. In „Nora“ übertraf er die Technik der berühmtesten französischen Dramatiker, und in „Gespenster“ legte er (trotz des Unbefriedigenden im Motiv des Asylbrandes) im Dramatischen eine Sicherheit, Einfachheit und Feinheit an den Tag, welche an die antike Tragödie unter Sophokles (Oedipus rex) erinnert.

Dieser stetige Fortschritt beruht auf Ibsens künstlerischem Ernst, seinem gewissenhaften Fleiss. Er arbeitet äusserst langsam, schreibt sein Werk wieder und wieder um, bis es in Reinschrift ohne jedwede Correctur vorliegt, jede Seite glatt und fest wie eine Marmorplatte, an welcher der Zahn der Zeit nicht nagen kann. Dies stetige Steigen in Vollkommenheit beruht aber genau besehen wieder darauf, dass Ibsen einzig Dichter ist, nie etwas anderes sein wollte. Wohl mag es den Eindruck von Kälte und Verschlossenheit machen, wenn ein Schriftsteller sich durch keinen äusseren Anlass jemals hinreissen lässt, sein Wort mit in die Erörterung zu geben; wenn nichts, was geschieht, ihn zu einer Meinungsäusserung aufreizen oder begeistern kann. Die einzigen Zeitungsartikel, welche Ibsen in den letzten Jahren geschrieben, waren solche, die sich auf seine Rechte gegenüber den Verlegern oder auf seine Rechtlosigkeit im Verhältniss zu seinen Uebersetzern bezogen; aber man darf nicht vergessen, dass diese kalte Zurückhaltung ihm gestattet hat, die Meisterschaft in seiner Kunst unverwandt vor Augen zu haben gleichwie seine fixe Idee, sein nie aus den Augen verlorenes Ideal – und er hat dies Ideal erreicht. Man kann sich schwerlich einen grösseren Unterschied denken, als zwischen diesem Dichter, der einsam, nach allen Seiten gegen die Aussenwelt abgeschlossen, drunten im Süden wohnt und, ohne sich durch irgend etwas von seinem Beruf abziehen zu lassen, künstlerische Meisterwerke formt und zufeilt – und seinem grossen Geistesbruder im Norden, der aus vollen, allzuvollen Händen grosse und kleine Artikel über politische, soziale und religiöse Fragen in die Presse hinausstreut, der mit seinem Namen überall voran ist, niemals Rücksicht nimmt auf die Klugheitsregel, die vorschreibt, sich selten zu machen, sich vermissen zu lassen; welcher Lieder schreibt, Reden hält, agitirt, von Volksversammlung zu Volksversammlung reist und sich am wohlsten befindet, wenn er auf dem Rednerstuhle unter tausend Freunden und hundert Gegnern steht und die ganze Schaar durch seine Kühnheit und durch seine Kunst in Athem hält.

Henrik Ibsen hat keine Aehnlichkeit mit irgend einem andern jetzt lebenden Dichter und ist von keinem beeinflusst worden. Unter den Deutschen müsste man ihn am nächsten mit ernsten und tiefkritischen Darstellern, wie Otto Ludwig oder Friedrich Hebbel zusammenstellen, wenn man ihn absolut einer europäischen Gruppe einreihen wollte. Er ist jedoch weit moderner und ein weit grösserer Dichter als sie beide. Mit Björnson, dessen Name Einem beständig in die Feder kommt, so oft man sich mit Ibsen beschäftigt, hat er die Gemeinschaft, welche gleiches Vaterland, gleiche Lebenszeit, Wettstreit in der Stoffbehandlung und Gleichartigkeit der Entwickelung mit sich führen. „Der Bund der Jugend“, den Ibsen verfasst hatte, gab Björnson den Impuls, bürgerliche Schauspiele zu dichten. Als Björnson „Ein Fallissement“ geschrieben, bekam Ibsen Lust, den Stoff in „Stützen der Gesellschaft“ zu variiren. Björnson hat mir erzählt, dass er in seiner Handschrift zu „Staub“ einen Satz ausstreichen musste, weil derselbe sich fast wortwörtlich in Ibsen's „Gespenster“ fand, welches Drama während des Druckes der Novelle erschien. Die Ursache ist, dass beide Dichter einen ganz parallelen Entwicklungsgang zurückgelegt haben. Henrik Ibsen hat etwas früher als Björnson sich aus den althistorischen, sagenhaften und phantastischen Stoffen herauszuarbeiten vermocht; denn freier gestellt, wie er war, losgerissen von der Heimath und mitten in der Brandung der Ideen der Gegenwart stehend, hatte er weniger Hemmungen, die ihn davon zurückhielten, dem Ruf seines Zeitalters zu folgen, weniger Naivetät und weniger Pietät. Aber der Unterschied bezüglich der Zeit, in welcher beide Dichter von einer überwiegend romantischen zu einer überwiegend realistischen Betrachtungsweise ihrer Stoffe gelangten, beschränkt sich auf ein paar Jahre und ist ein verschwindender gegen die merkwürdige Uebereinstimmung in der Periodeneintheilung ihrer Dichterlaufbahn. Man kann, scheint mir, Björnson und Ibsen in dieser Hinsicht mit den beiden altnordischen Königen Sigurd und Eystein vergleichen, die in dem berühmten Gespräche, welches die Sage überliefert, und das u. A. Björnson in seinem „Sigurd der Kreuzfahrer“ benützt hat, ihre Verdienste gegen einander aufstellen: Der Eine ist daheim geblieben und hat von hier aus sein Vaterland civilisirt; der Andere hat sich von der Heimath losgerissen, ist weit umher gezogen und hat auf seinen kühnen mühsamen Fahrten dem Vaterlande Ehre gemacht. Jeder hat seine Bewunderer, Jeder sein streitbares Heergefolge, welches den Einen auf Kosten des Andern erhebt. Aber sie sind Brüder, wenn sie auch eine Zeit lang feindliche Brüder gewesen, und das einzig Richtige ist, wie es auch am Schlusse des Stückes geschieht: dass das Reich friedlich unter ihnen getheilt wird.

 

NACHTRAG.
I.
(1896.)

Vor 13 Jahren war es noch natürlich, eine Charakteristik Henrik Ibsen's mit einem Nebeneinanderstellen von Björnson und ihm abzuschliessen. Heutzutage ist die Parallele nicht mehr möglich; Ibsen hat in der zwischenliegenden Zeit sich so kühn und stetig entwickelt und einen so hohen Flug genommen, dass er alle nordischen und fremden Nebenbuhler weit überflügelt hat. Sein Ruhm ist im buchstäblichen Sinne Weltruhm geworden; aus seinem Namen sind in der französischen und englischen Sprache, vielleicht in noch mehreren, Worte gebildet. Kein anderer nordischer Dichter beschäftigt wie er die Zeitgenossen; an der Schwelle des Greisenalters ist er noch derartig der geistigen Vorhut angehörig, dass seine Werke wie sonst nur die Werke eines ganz jungen Mannes angefeindet, bekämpft, verspottet, geliebt und vergöttert werden.

Wesentlich hat seine geistige Physiognomie sich in dieser Zeitdauer nicht ändern können; dazu waren die Züge schon zu eigenthümlich geprägt; neue Züge sind indessen hinzugekommen, und der Ausdruck ist noch geistvoller geworden als er war.

Der gehässige Empfang des merkwürdigen und tiefen Schauspiels „Gespenster“ machte auf Henrik Ibsen, der Ursache hatte, sein Ansehen endlich als gesichert zu betrachten, einen ungewöhnlichen Eindruck. Fast alle nach Norwegen aus Kopenhagen geschickten Exemplare kamen unverkauft zurück – noch heute ist dieses Drama das einzige von Ibsen, das keine zweite Auflage erlebt hat – und die liberale Presse Norwegens wetteiferte mit der conservativen in Angriffen auf das Stück und dessen Verfasser. In welche Aufregung diese Haltung seiner Landsleute Ibsen versetzte, beweist schon der Umstand, dass der Dichter, der sonst nur jedes zweite Jahr ein Schauspiel herauszugeben pflegte – und auch jetzt wieder pflegt – dies eine Mal schon nach Einem Jahre eins fertig hatte, den „Volksfeind“, in welchem, wie schon berührt, eben jener gehässige Empfang der „Gespenster“ dargestellt wird. „Ein Volksfeind“ schildert ja die schlechte Behandlung, die einem ehrenhaften und begabten Manne, Badearzt in einer kleinen norwegischen Stadt zu Theil wird, als er entdeckt und mittheilt, dass das Wasser des Bades verpestet ist. In seiner Naivetät hat der Arzt gehofft, diese Entdeckung und die Anweisung zur Umgestaltung der Verhältnisse solle ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger einbringen. Es scheint zuerst auch so; es sieht einen Augenblick aus, als wolle die Opposition ihn unterstützen, um ihn gegen die Machthaber zu verwenden. Aber die Stadt will sich nicht dafür aussetzen, auch nur vorübergehend einen schlechten Ruf als Badeort zu bekommen; man fürchtet die Kurgäste wegzuscheuchen; man will sich den grossen Unkosten, die eine umfassende Reparatur erfordern würde, nicht unterziehen, und man zieht statt dessen vor, den Arzt, der sich nicht beschwichtigen lässt, einstimmig aufzugeben, dann anzufahren, und mit Schimpfworten, ja Steinwürfen heimzusuchen.

Man muss gewissen Norwegern für ihre Dummheit und ihre Heuchelei „Gespenster“ gegenüber dankbar sein, da sie durch ihr Auftreten „Ein Volksfeind“ veranlasst haben. Das Stück gehört zu den schärfsten und witzigsten, die Ibsen geschrieben hat, und er hat es vorzüglich verstanden, die Hauptperson von sich fern zu halten und ihr selbständiges Leben mitzutheilen, wenn der Dichter auch in der grossen Rede des vierten Akts recht deutlich selbst durch den Mund des Arztes spricht.

In diesem Schauspiel kommt zum ersten Mal die grundaristokratische und doch volksfreundliche, volkserzieherische Lebensansicht des Dichters direct ans Licht. Nie vorher hatte er mit solcher Stärke die Lehre von dem stetigen Unrecht der Mehrzahl gepredigt; das Stück schliesst sogar mit dem geistvollen an Kierkegaard anklingenden Paradoxon: Der stärkste Mann in der Welt ist der, welcher allein steht.46 Ueberhaupt ist Ibsen, seit den Tagen wo er Brand schrieb, nicht so in den Spuren Kierkegaards gegangen wie hier. Was aber bei dem ein Menschenalter früher gestorbenen Denker eine abstracte Lehre war, das erscheint im „Volksfeind“ in lebenswahren Gestalten, mit einer hinter Kierkegaard nicht zurückstehenden Fülle von Witz und bitterer Satire ausgeführt.

Es folgte „Die Wildente“, ein Meisterwerk, wohl das am meisten pessimistische Stück, das Ibsen noch geschrieben hatte, und worin doch sogar eine so niedrig stehende Gestalt wie die frühere Freundin des Grosshändlers Werle und jetzige Frau des faulenzenden und affectirten Photographen Hjalmar Ekdal, Frau Gina, mit Wohlwollen, fast mit Liebe gezeichnet ist, während alles Licht sich um den Kopf des rührend liebenswürdigen und hochherzigen Kindes, der Hedwig, sammelt. Auch in dieser reichen und düsteren Arbeit spürt man eine Nachwirkung der besprochenen, schlechten Behandlung des Dichters nach dem Erscheinen der „Gespenster“, in der Persönlichkeit des Gregers Werle nämlich, jener Karikatur eines Wahrheitsapostels. Augenscheinlich hat der Dichter, nachdem er sich in dem „Volksfeind“ ausgetobt hatte, sich zum ersten Mal ernstlich gefragt, ob es denn wirklich die Mühe lohne, wirklich Pflicht sei, Durchschnittsmenschen wie seinem Publikum die Wahrheit zu verkünden, ob ihnen nicht die Lüge zu ihrer Lebensführung unbedingt nothwendig sei. Der überlegene Humor, mit welchem die Antwort auf diese Frage gegeben worden, hat zu der Schöpfung von Gregers Werle geführt, der überall überflüssigen und störenden Persönlichkeit, der die ideale Forderung in allen Kätnerhütten präsentirt, da er erst durch den cynisch gutmüthigen Relling – eine andere Incarnation des Dichters – am Schluss des Stückes die Weisheit lernt, dass „wenn man einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge nimmt, so nimmt man ihm zugleich das Glück“.

Wie hoch „Die Wildente“ steht, welch ein Fortschritt das Stück in der Production des Dichters bezeichnet, das empfindet man am besten, wenn man es mit den „Stützen der Gesellschaft“ vergleicht. Dort der melodramatische Schluss, die Bekehrung der Hauptperson, die conventionelle Verhinderung alles Uebels, die Rettung des Schiffes und sogar des entlaufenen Kindes, hier der schöne und bittere Ernst des Lebens und die volle Strenge und Milde der Kunst.

Wer weiss, ob nicht in dem jetzt folgenden „Rosmersholm“ noch eine Erinnerung an jenen Wendepunkt im litterarischen Leben Ibsen's, den Sturmangriff auf „Gespenster“, verkappt ist? Rosmer beginnt da, wo Dr. Stockmann schliesst. Er will von Anfang an, wie der Doctor zuletzt es wollte, freie, stolze „Adelsmenschen“ aus seinen Umgebungen machen. Man hält ihn zuerst für entschieden conservativ – wie man in Norwegen seit dem „Bund der Jugend“ viele Jahre hindurch Ibsen dafür hielt – und so lange diese Ansicht verbreitet ist, wird er bewundert, anerkannt und Alles, was ihn betrifft in dem besten Sinn ausgelegt. Sobald man aber die durchgeführte geistige Emancipation Rosmer's entdeckt, sobald er selbst kein Hehl aus seiner freien Gesinnung macht, wendet sich die öffentliche Meinung gegen ihn; die Conservativen fangen an ihn zu verfolgen, die Liberalen bieten ihm Schweigen, da sie für Männer mit seinen freidenkerischen Ansichten keinen Gebrauch haben, und das Verhältniss zu Rebekka, das vorher zu keinem ungünstigen Gerücht Anlass gab, ja das als geweiht betrachtet wurde, wird jetzt auf jegliche Weise verlästert. Gerade so vogelfrei war der Dichter eine Zeit lang geworden, nachdem er der Ansicht der Conservativen zufolge mit „Gespenster“ sich zum Radicalismus bekehrt hätte.

In dem Jahre bevor „Rosmersholm“ erschien, hatte Ibsen nach elfjähriger Abwesenheit sein Vaterland einige Wochen wieder besucht, und einer Rede zufolge, die er in Drontheim hielt, als der Arbeiterverein ihn mit einem Fahnenzug begrüsste, unermessliche Fortschritte auf vielen Gebieten gefunden, doch auch Enttäuschungen erlebt, insofern er „die unentbehrlichsten, individuellen Rechte ungesichert, weder Glaubensfreiheit noch Aeusserungsfreiheit ausserhalb einer willkürlich festgestellten Grenze vorfand“. Er hatte in dieser Rede gesagt: „Hier ist viel zu thun, ehe man von uns sagen kann, wir hätten wirkliche Freiheit erreicht. Aber ich fürchte, dass unsere jetzige Demokratie diese Aufgaben nicht zu lösen vermag. Es muss ein adliges Element in unser Staatsleben, in unsere Vertretung und unsere Presse hineingeführt werden. Ich denke natürlicherweise nicht an den Adel der Geburt, auch nicht an den des Geldes oder der Einsicht, nicht einmal an den Adel der Begabung. Aber ich denke an den Adel des Charakters, des Willens und der Gesinnung“.

Man spürt in Rosmer sowohl den eben gewonnenen, frischen und überlegenen Blick des Dichters auf die Parteiverhältnisse Norwegens, wie jenes Vermissen eines adeligen Elements in den politischen Verhältnissen des Vaterlandes. Die zwei ausgezeichneten Gestalten Kroll und Mortensgaard personificiren die verbissene fanatische Reaction wie die plebejische Demokratie. Ueber beiden erhebt sich Rosmers feine, etwas blasse Gestalt, der vornehme, jedoch impotente Charakter, dem alle Eigenschaften abgehen, die den Führer machen, der aber selbst den Adel inne hat, den er nicht der Masse, nur dem einen Weib, das ihn liebt, mitzutheilen vermag.

Dies Weib, Rebekka, ist die Hauptfigur des Dramas und eine der vorzüglichsten und grössten Gestalten Henrik Ibsens. Nie zuvor hatte er die erhabene Ruhe, die sichere Humanität entwickelt, mit welcher dies weibliche Wesen dargestellt, erklärt und indirect beurtheilt ist. Er, dessen Eigenthümlichkeit es eine Zeit lang gewesen war, die Unechtheit des scheinbar Echten zu beweisen, den Klang des Hohlen durch Pochen an das scheinbar Solide herauszuhören, er, der überall die schwachen Seiten herausfand – er hat hier sein altes Misstrauen überwunden und hat an die Läuterung des Mädchens mit der besudelten Vorzeit geglaubt, und in der Verbrecherin, Lügnerin, Mörderin den guten Kern, die Reinheit und zuletzt die Grösse nachgewiesen und dargestellt. Er hat das so überzeugend gethan, dass selbst der, welcher nie im Leben einer Rebekka begegnet ist – und sie ist wohl unter Ibsen's Norwegerinnen am meisten Ausnahme – selbst der keinen Augenblick des Zweifels an ihre Möglichkeit hat. Sie ist nur mehr allgemein menschlich als eben norwegisch; gewissermassen macht sie einen russischen Eindruck.

Nur mit zwei Worten sei schliesslich daran erinnert, mit welcher Kunst Ibsen Ulrik Brendels phantastische Persönlichkeit gegen das Ende hin dazu verwendet hat, die ganze Stimmung zu brechen und zu verstärken.

Rebekka in „Rosmersholm“ war wie eine Personification des Nordlandes, dem sie entstammte, des Landes des stetigen Dunkels und ununterbrochenen Lichts in jähem Wechsel, des Landes der gewaltsamen, unbeherrschten Temperamente; all die Gleichnisse, mit denen sie die eigene Natur zu bezeichnen versuchte, entnahm sie den stürmischen Umgebungen, in denen sie ihre erste Jugend verlebt hatte. Ihre Leidenschaft für Rosmer verglich sie einem Sturme im Nordland zur Winterszeit: keine Möglichkeit des Widerstehens. Die Heldin in Ibsens nächstfolgendem Schauspiel „Die Frau vom Meere“, Ellida, entspricht dem heftigen, wandelbaren Meere an der westlichen Küste Norwegens, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Sie sehnt sich immer nach dem Meere, und sie ist geheimnissvoll wie das Meer. Naturgebunden, nervenkrank, wie hypnotisirt, an dem Rande des Wahnsinns, strebt sie unbewusst nach Freiheit und Verantwortlichkeit empor.

Mit „Rosmersholm“ ist Ibsen zu der symbolischen Richtung zurückgekehrt, die er in seiner Jugend mit „Brand“ und „Peer Gynt“ einschlug. Man fühlt hier zum ersten Male entschieden, dass die polemische Periode in Ibsens Dichterleben zu Ende ist. Das Stück wirkt wie ein mit grosser Kunst durchgeführtes psychologisch-phantastisches Experiment. Es spielt nicht im hellen Tageslicht, sondern in einer Rembrandtschen Beleuchtung, wo aus dem Dunkel des Hintergrundes „der fremde Mann“, der mystische Gegenstand des weiblichen Sehnens nach dem Ungebundenen und der weiblichen Furcht vor dem Unbekannten, einige Augenblicke hervortritt, um ebenso plötzlich für immer zu verschwinden. Die geheimnissvolle Macht, die der fremde Seemann über Ellida hat, ist gebrochen in dem Augenblick, da Wangel ihr die freie Entscheidung überlässt.

 

Mit Ibsens ganzer dichterischer Meisterschaft sind in diesem Stück die beiden jungen Töchter des Hauses, Bolette und Hilde, gedichtet. Hilde ist hier noch nur der übersprudelnde, recht grausame und doch so liebesbedürftige Backfisch; sie wird bekanntlich später die wundervolle Heldin in „Baumeister Solness“. Bolette ist das junge Mädchen, das sich gezwungen fühlt, all die goldigen Jugendträume fahren zu lassen um die Ehe mit einem braven, viel älteren, nicht geliebten Mann einzugehen. Ergreifend wirkt es, dass die Tragödie der Eltern (hier die Missheirath Ellidas mit dem ältlichen Wangel) sich in dem Leben der Kinder genau wiederholt. Man sieht gleichsam in eine endlose Perspektive der irdischen Täuschungen hinein.

Mit „Hedda Gabler“ betrat Henrik Ibsen aufs Neue den Boden der Wirklichkeitsdichtung. Hier ist kein Sinnbild, nur eine mit der schärfsten Genauigkeit durchgeführte Analyse und Synthese eines gross angelegten und kleinlich entwickelten jungen Weibes, das zugleich stark und feige, begeistert und conventionell, hochstrebend und platt, herrschsüchtig und boshaft, alterthümlich und modern decadent ist; wie ein englischer Kritiker schrieb: kurz die junge Miss, die wir in fünf Fällen von zehn in Gesellschaft zu Tisch führen.

„Hedda Gabler“ eröffnet uns den Einblick in eine Gesellschaft, wo die Formlosigkeit, als Geradheit aufgefasst, die einzige Form ist, und wo eine gewisse Roheit in Denkweise und Art der Rede bis in die höheren Schichten hinaufreicht. Selbst wo der Conversationston in einem Freimaurerjargon besteht, der nicht ohne Witz ist, entbehrt er jeder Feinheit: die Geständnisse, die – sogar bei einer ersten Begegnung – gemacht werden, sind derartig, dass man innerhalb einer civilisirten Gesellschaft sie so lange wie möglich zurückhalten würde. Es finden sich in diesem Drama zum Beispiel zwei junge Frauen, die fast sogleich bekennen, dass sie ihren Gemahl nicht lieben, ja dass er ihnen zuwider ist. Die Laster, von denen hier die Rede ist, sind dem entsprechend von der am wenigsten verfeinerten Art, z. B. die Neigung zum Alkohol so entwickelt, dass sie ihr Opfer zur besinnungslosen Trunkenheit, ja zu einer permanenten Erniedrigung führt, aus der sich zu erheben der Mann nicht die geringste Hoffnung hat.

Die norwegische Gesellschaft kennt nicht allein nicht ererbten Adel, sondern, was wichtiger ist, auch keine aristokratische Tradition; fast die gesammte Geistesaristokratie (die grössten Capacitäten auf den Gebieten der Dichtkunst, der Malerei, der Bildhauerkunst und der Musik) hat während einer langen Reihe von Jahren ausserhalb des Landes gelebt. Die äussere Geschichte Norwegens ist ausserdem in diesem Jahrhundert so friedlich und so nichtssagend gewesen, dass es Ibsen kaum gelungen ist, seiner Hauptperson eine Art Relief dadurch zu geben, dass er sie zur Tochter eines norwegischen Generals machte. Denn der Leser weiss, dass ein norwegischer General ein Kavallerist ist, der nie das Pulver gerochen hat, und dessen Pistolen an einem Blutvergiessen nie den entferntesten Antheil gehabt haben.

Sowohl in Norwegen wie in Schweden ist es zwar Sitte, dass Männer und Frauen der guten Gesellschaft, die in keinem Verwandtschaftsverhältniss zu einander stehen, sich gegenseitig duzen. In Schweden aber wird das Du von allen Menschen, die sich nur im Geringsten kennen, aus dem einfachen Grunde gebraucht, weil der Sprache (wie der polnischen) ein Anrede-Wort fehlt. Da ein Gespräch ohne „Du“ hier nur mit ermüdenden Umschreibungen geführt werden könnte, hat das „Du“ in Schweden also fast denselben Charakter wie im alten Rom. – In Norwegen dagegen, wo die Sprache nicht jenes Hinderniss in den Weg legt, bedeutet, das „Du“ nur die Familiarität, in die man in jeder formlosen Gesellschaft verfällt; man kennt keinen Mittelzustand zwischen der steifsten Reservirtheit und der vollständigen Aufgeknöpftheit.

Alles in allem ist dies also eine Gesellschaft ohne einschmeichelnde Formen, aber auch ohne jegliche Uebercivilisation – eine Gesellschaft, die in dem letzten Menschenalter eine überraschende Fähigkeit gezeigt hat, grosse und frische Naturbegabungen, besonders in Poesie, Musik und bildender Kunst zu erzeugen, jedoch einen fast ebenso auffallenden Mangel an Fähigkeit, den grossen Kräften, die sie erzeugt, hinlängliche Entwickelungsbedingungen und hinlängliche Nahrung zu gewähren.

Ibsen, der die norwegische Gesellschaft so oft als hemmend für jede in ihr erstandene Kraft schilderte, hat, scheint es, in „Hedda Gabler“ zeigen wollen, wie eine solche ungewöhnliche weibliche Kraft in dieser Atmosphäre zu Grunde gehen muss.

Gewissermassen ist diese Hedda in ihrem Gegensatz zu ihrer Schulkameradin Thea eine alte und wohlbekannte Ibsensche Gestalt. Seit seiner ersten Jugend hat er es geliebt, einen bedeutenden Mann zwischen zwei Frauen, eine wilde und eine weiche, eine Walküre und eine Pflegerin, zu stellen. So wurde schon Catilina zwischen die fürchterliche Furia und die weiche Aurelia, Gudmund in dem „Feste auf Solhaug“ zwischen Margit und Signe, Sigurd in der „Nordischen Heerfahrt“ zwischen Hjördis und Dagny, der Held in „Brand“ zwischen Gerd und Agnes gestellt.

Seinem Helden gegenüber bringt Ibsen dann immer einen schwachen untergeordneten Mannescharakter an, der zuerst als Herr Bengt in dem „Fest auf Solhaug“ karikirt wurde, später in der „Heerfahrt“ wie in der „Komödie der Liebe“ sich zu der Form des ehrenhaft Menschlichen, prosaisch Achtbaren entwickelte. Diese sekundäre Persönlichkeit verhält sich zum Helden wie die engere, niedrigere Natur sich zum Genie verhält.

Hedda ist also gewissermassen eine der alten romantischen Sagengestalten aus Ibsens erster Periode, als Amazone in moderner Reittracht. Jürgen Tesman ist Bengt oder Gunnar als zeitgenössischer Docent.

Sie stellt sich als jener Ausnahmetypus von Frauen dar, die ihre Mädchenpersönlichkeit nicht aufgeben können, die nicht in der höheren oder niedrigeren Einheit einer Gewohnheitsehe aufzugehen vermögen, ungefähr wie „die Frau vom Meere“ in einem engen bürgerlichen Heim sich nicht „akklimatisiren“ kann.

Sie hat aber von Anfang an rohe und niedrige Instinkte: den rohen Neid, der es bewirkt, dass sie als Kind nicht verträgt, das schöne, üppige Haar eines anderen Mädchens zu sehen; die niedrige Neugierde und Schamlosigkeit, die sie in ihrer frühen Jugend in ein solches Verhältniss widriger Vertrautheit zu ihrem männlichen „Kameraden“ bringt, dass sie sich seine vulgären nächtlichen Abenteuer erzählen lässt. Sie hat endlich das niedrigste Ideal vornehmer Lebensführung: einen Livreediener zu halten.

Sie ist, wie sie sagt, die Balldame, die zu lange getanzt hat und die eine Convenienzehe, um nicht sitzen zu bleiben, eingegangen ist. Sie hat einen Mann gefunden, der sich ausnimmt, als sei er aus einer Moserschen Farce gegriffen, und hat in ihrer Unwissenheit und Einfalt geglaubt, in ihm eine hervorragende Persönlichkeit mit grosser Zukunft zu heirathen.

46Schiller ähnlich in Wilhelm Tell: Der Starke ist am mächtigsten allein.