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Henrik Ibsen.
(1883.)

I

Als Henrik Ibsen in die Verbannung ging, aus welcher er bis heute nicht zurückgekehrt ist, zählte er 36 Jahre. Er verliess Norwegen mit düsterem, verbitterten Sinn nach einer an der Schattenseite des Lebens verbrachten Jugend. Er wurde am 20. März 1828 in der kleinen norwegischen Stadt Skien geboren, wo seine Eltern sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits den angesehensten Familien der Stadt angehörten. Der Vater befand sich als Kaufmann in einer verschiedenartigen und ausgebreiteten Wirksamkeit und liebte es, unbeschränkte Gastfreiheit in seinem Hause zu zeigen, aber 1836 musste er seine Zahlungen einstellen und es blieb der Familie nichts übrig, als ein Landhaus in der Nähe der Stadt. Dort hinaus zogen sie und wurden dadurch des Verkehrs verlustig mit den Kreisen, denen sie früher angehört hatten. In „Peer Gynt“ hat Ibsen seine eigenen Kindheitsverhältnisse und Erinnerungen als eine Art Modell für die Schilderung des Lebens in dem Hause des reichen Jon Gynt gebraucht.

Henrik Ibsen kam als Jüngling zu einem Apotheker in die Lehre, arbeitete sich unter manchen Schwierigkeiten durch, um, 22 Jahre alt geworden, die Universität zu beziehen. Er hatte als Student weder die Neigung noch die Mittel zu einem Brodstudium, musste er sich doch längere Zeit sogar das regelmässige Mittagessen versagen. So gestaltete sich seine Jugendzeit hart und streng, zu einem Kampf mit dem täglichen Leben; sein Vaterhaus bot ihm, wie es schien, keinen Hort dar.

Nun bedeuten zwar solche Verhältnisse in einer so armen und demokratischen Gesellschaft, wie die norwegische ist, weniger als anderswo, und Ibsen entbehrte weder die Fähigkeit des Jünglings, sich durch Begeisterung für Ideen, noch die des Dichters, sich durch ein Leben in der Einbildungskraft über die Misshelligkeiten der Wirklichkeit hinwegzuschwingen. Immerhin aber prägt frühzeitig empfundene Armuth dem Gemüth einen Stempel auf. Sie kann Demuth erzeugen, und sie kann zur Opposition aufreizen, sie kann den Geist unsicher oder selbständig oder hart für's ganze Leben machen.

Auf Ibsens in sich gekehrtes streitbares und satyrisches Naturell, das mehr dazu angelegt war, die Umgebung zu beschäftigen, als sie zu gewinnen, muss die Armuth wie eine Herausforderung gewirkt haben. Daher vielleicht eine gewisse gesellschaftliche Unsicherheit, ein gewisses Verlangen nach jenen äusseren Auszeichnungen, die ihm ein Recht der Gleichheit gaben mit den Gesellschaftsklassen, von welchen er als Jüngling ausgeschlossen war, daher aber auch ein mächtiges Gefühl, nur auf sich selbst und seine inneren Hilfsmittel gestellt zu sein.

Nachdem er einige Monate hindurch als Herausgeber eines Wochenblattes ohne Abonnenten thätig gewesen, wirkte er (1851 – 57) als Dramaturg an dem kleinen Theater zu Bergen und stand danach als Director dem Theater zu Christiania vor, das 1862 Bankerott machte. Ibsen, der mit den Jahren so gesetzt wurde und dessen Tage nun so regelmässig ablaufen wie ein Uhrwerk, soll als junger Mann ein ziemlich ungebundenes Leben geführt haben und blieb deshalb von der üblen Nachrede nicht verschont, die in kleinstädtischen Klatschnestern, wo Jedermanns Thun und Treiben vor Aller Augen offen liegt, sogar eine geringe Unordnung, geschweige denn die Zügellosigkeit der Genialität zu verfolgen pflegt. Ich denke mir Ibsen zu Beginn der Mannesjahre von Gläubigern geplagt und von der Kaffeeschwestern-Moral täglich in effigie hingerichtet. Er hatte eine nicht geringe Anzahl schöner Gedichte geschrieben und eine Reihe seiner nun so berühmten Dramen veröffentlicht, darunter einige der am meisten bewunderten; aber sie wurden nicht, wie jetzt seine Werke und diejenigen der übrigen norwegischen Dichter, in Kopenhagen veröffentlicht; sie erschienen in Norwegen in hässlichen, auf schlechtem Papier gedruckten Ausgaben, und sie brachten dem Dichter, selbst seitens der Freunde, nur eine ziemlich kühle Anerkennung seines Talentes ein, zugleich aber das vernichtende Urtheil, dass ihm „idealer Glaube und ideale Ueberzeugung fehle“. Norwegen wurde ihm verleidet. 1862 hatte er, polemisch und sarkastisch angelegt, wie er war, die „Comödie der Liebe“ herausgegeben, die mit schneidendem Hohn gegen die Erotik der Philistrosität ein tiefgehendes Misstrauen zu der Tragkraft der Liebe durch die Wechselfälle eines Lebens verband. Unumwunden hatte er seine Zweifel an die Fähigkeit der Liebe ausgesprochen, ihr ideales und schwärmerisches Wesen unbeschadet und unverändert in der Ehe zu bewahren! Es konnte ihm nicht unbekannt sein, dass die Gesellschaft mit der ganzen Zähigkeit des Selbsterhaltungstriebes das Vertrauen in die Unveränderlichkeit der normalen und gesunden Liebe als eine Pflicht festhalte; aber er war jung und trotzig genug, um durch die Verbindung Schwanhilds mit dem alten reichen Spiessbürger Guldstadt lieber der trivialsten Auffassung der Ehe ein relatives Recht zu geben, als dass er sein Misstrauen auf die Dogmatik der Liebe verborgen hätte. Das Schauspiel rief ein Geschrei der Erbitterung hervor. Man gerieth ausser sich über diesen Angriff auf die ganz erotische Gesellschaftsordnung, die Verlobungen, die Ehen u. s. w. Anstatt dass man sich getroffen fühlte, geschah, was in solchen Fällen zu geschehen pflegt; man begann das Privatleben des Dichters auszuforschen, die Beschaffenheit seiner eigenen Ehe zu untersuchen, und hätte er, wie Ibsen mir einmal andeutete, die gedruckten Recensionen des Stückes sich allenfalls gefallen lassen, so war das mündliche und private Kritisiren geradezu unerträglich. Selbst ein so vortreffliches Werk wie „Die Kronprätendenten“, welches 1864 folgte, vermochte nicht, den Namen des Dichters zu reinigen und zu heben. Das Stück wurde, soviel ich weiss, von der Kritik nicht gerade abfällig behandelt, aber auch nicht nach Verdienst gewürdigt, und erregte keinerlei Aufsehen. Ich glaube nicht, dass 20 Exemplare davon nach Dänemark kamen. Jedenfalls machte erst „Brand“ den Namen des Dichters ausserhalb Norwegens bekannt.

Zu diesen persönlichen Gründen, welche Ibsen's Missmuth erregten, kam ein Gefühl tiefer Unzufriedenheit wegen der Haltung Norwegens während des dänisch-deutschen Krieges. Als im Jahre 1864 Schweden und Norwegen trotz der bei den skandinavischen Studentenversammlungen und in der skandinavisch gesinnten Presse abgegebenen Versicherungen, welche Ibsen für bindend oder doch für verpflichtend angesehen hatte, es unterliessen, Dänemark gegen Preussen und Oesterreich beizustehen, da ward ihm die Heimath, welche ihm als Inbegriff der Unbedeutendheit, Schlaffheit und Muthlosigkeit erschien, dermassen verhasst, dass er sie verliess.

Seitdem lebte er abwechselnd in Rom, in Dresden, in München und dann wieder in Rom, in jeder der genannten deutschen Städte 5 – 6 Jahre. Doch eine bleibende Stätte hat er nirgends gehabt. Er führte ein stilles regelmässiges Familienleben, oder vielmehr: er hat innerhalb des Rahmens eines Familienlebens sein eigentliches Leben in seiner Arbeit gehabt. Er verkehrte an öffentlichen Orten zwar mit den hervorragenden Männern der fremden Städte, empfing eine Anzahl durchreisender Skandinaven in seinem Haus; aber er lebte wie in einem Zelt zwischen gemietheten Möbeln, die am Tage der Abreise wieder zurückgeschickt werden konnten; seit neunzehn Jahren hat er nie seinen Fuss unter den eigenen Tisch gestellt, noch in eigenem Bette geschlafen. Zur Ruhe gesetzt in strengerem Sinne hat er sich niemals; er hat sich daran gewöhnt, sich in der Heimathlosigkeit heimisch zu fühlen. Als ich ihn zuletzt besuchte und die Frage an ihn stellte, ob in der Wohnung, die er inne hatte, denn Nichts ihm gehöre, deutete er auf eine Reihe von Gemälden an der Wand; dies war Alles, was darin sein Eigen war. Selbst jetzt als wohlhabender Mann fühlt er nicht den Drang, Haus und Heim zu besitzen, noch weniger, gleich Björnson, Grund und Boden. Er ist ausgeschieden aus seinem Volk, ohne irgend eine Thätigkeit, die ihn mit einer Institution, einer Partei, ja selbst nur mit einer Zeitschrift oder einem Blatt daheim oder draussen verbände – ein einsamer Mann. Und in seiner Isolirtheit schreibt er:

 
„Dir, meinem Volke, das in tiefer Schale
Den heilsam bittern Stärkungstrank mir gab,
Der Kraft zum Kampf im Abendsonnenstrahle
Dem Dichter eingeflösst, schon nah dem Grab;
Dir, meinem Volk, das mit der Angst Sandale,
Der Sorge Bündel, der Verbannung Stab
Mich ausgerüstet, mit dem Ernst zum Streite —
Dir send' ich meinen Gruss nun aus der Weite!“
 

Er sandte viele und gewichtige Grüsse. Doch alle seine Productionen, sowohl vor dem Exil als während desselben, zeigen eine und dieselbe Stimmung, diejenige seines Naturells: die Stimmung des Unheimlichen und der Ungebundenheit. Dieser Grundzug, so natürlich bei dem Heimathlosen, schlägt überall durch, wo Ibsen am stärksten wirkt. Man entsinne sich nur einiger seiner eigenartigsten und dabei von einander durchaus verschiedenen Productionen, wie des Gedichtes „Auf Bergeshöhen“, in welchem der Erzählende vom Hochgebirg aus die Hütte seiner Mutter in Flammen aufgehen und sammt der Bewohnerin niederbrennen sieht, während er selbst, willenlos und verzweifelt, die effectvolle Nachtbeleuchtung beobachtet, oder „Aus meinem häuslichen Leben“, wo die Phantasiegebilde des Dichters, seine beflügelten Kinder, die Flucht ergreifen, sobald er sich selbst mit den bleigrauen Augen, der zugeknöpften Weste und den Filzschuhen im Spiegel erblickt; man denke an die Poesie der ergreifenden Unheimlichkeit, wo Brand seiner Frau die Kleider des verstorbenen Kindes entreisst; man erinnere sich der Stelle, wo Brand seine Mutter zur Hölle fahren lässt und der in ihrer tiefen Originalität bewunderungswürdigen Scene, wo Peer Gynt die seinige in den Himmel hineinlügt; man vergegenwärtige sich den peinlich überwältigenden Eindruck von „Nora“ – diesem Schmetterling, der drei Acte hindurch mit einer Nadel gestupft und zuletzt durchbohrt wird – und man wird daraus deutlich fühlen, dass die Hauptstimmung, welche dem landschaftlichen Hintergrund bei Gemälden entspricht, in allen pathetischen Partieen die der wilden Unheimlichkeit ist. Sie kann sich zum Entsetzlichen, zur Tragik steigern, aber sie beruht nicht darin, dass der Dichter schlichtweg ein Tragiker ist. Schiller's Tragödien oder diejenigen Oehlenschläger's sind nur momentan unheimlich; und selbst der Dichter von „König Lear“ und „Macbeth“ hat so harmonisch schmelzende Dinge geschrieben wie „Ein Sommernachtstraum“ und „Der Sturm“. Bei Ibsen aber ist jene Stimmung die ursprüngliche überall. Sie musste natürlich entstehen bei dem geborenen Idealisten, der von Haus aus nach der Schönheit in ihren höchsten Formen als ideeller seelischer Schönheit dürstete; sie war unvermeidlich bei dem geborenen Rigoristen, der, grundgermanisch, bestimmter norwegisch von Natur und Temperament, von seiner orthodoxen Umgebung dahin beeinflusst war, das Sinnenleben hässlich und sündhaft zu finden, und in Wirklichkeit keine andere Schönheit anzuerkennen, als die moralische. Im Grunde seines Wesens war Ibsen scheu; einige wenige Täuschungen schon genügten, ihn in sich selbst zurückzuscheuchen mit dem Argwohn gegen die Aussenwelt im Herzen. Wie frühzeitig muss er verwundet, zurückgestossen, gleichsam gedemüthigt worden sein in seinem ursprünglichen Hang zu glauben und zu bewundern! Ich denke mir, der erste tiefe Eindruck, den seine geistige Individualität empfing, war der von der Seltenheit des moralischen Werthes – oder von dessen „Nieheit“, wie er in bitteren Augenblicken hinzufügte – ; und getäuscht in seinem Suchen nach seelischem Adel mag er eine Art von Linderung darin gefunden haben, überall die traurige Wahrheit ihres Scheines zu entkleiden. Die Luft um ihn war angefüllt mit schönen Worten, man sprach von ewiger Liebe, von tiefem Ernst, von Glaubensmuth, Charakterfestigkeit, norwegischer Gesinnung („das kleine, doch felsenfeste Klippenvolk“); er sah sich um, er spähte, suchte – und fand Nichts in der wirklichen Welt, das solchen Worten entsprochen hätte. So entwickelte sich denn eben aus der Vorliebe für das Ideale eine eigenthümliche Fähigkeit in ihm, überall die Unzuverlässigkeit zu entdecken. Es wurde sein Trieb, das scheinbar Echte zu prüfen, um sich ohne viel Verwunderung von der Unechtheit zu überzeugen. Es wurde seine Leidenschaft, mit dem Finger an Alles zu pochen, was wie Erz aussah, und seine schmerzliche Befriedigung, den Klang des Hohlen zu hören, der zugleich sein Ohr verletzte und seine Vermuthung bestätigte. Ueberall, wo das sogenannte Grosse ihm entgegentrat, hatte er die Gewohnheit, ja den Drang zu fragen, wie in seiner poetischen „Epistel an eine schwedische Dame“: „Ist es wirklich gross, das Grosse“? Er hatte einen geschärften Blick für die Selbstsucht und die Unwahrheit, welche dem Phantasieleben häufig innewohnen („Peer Gynt“), für die Stümperei, die sich mit der politischen Freiheits- und Fortschrittsphrase decken will („Der Bund der Jugend“) und allmälig ward ein grossartiges, ideales oder moralisches Misstrauen seine Muse. Es inspirirte ihm immer kühnere Untersuchungen. Nichts imponirte ihm oder schreckte ihn, weder was im Familienleben den Anschein idyllischen Glückes hatte, noch was im Gesellschaftsleben dogmatischer Sicherheit glich. Und in dem Masse wie seine Forschungen eindringlicher wurden, nahm die Unerschrockenheit zu, womit er das Resultat derselben mittheilte, verkündete, laut ausrief. Es wurde seine Hauptfreude als Geist, alle Diejenigen zu beunruhigen, die ein Interesse daran hatten, die Schäden mit beschönigenden Umschreibungen zu verkleistern. So wie er stets gefunden, dass man viel zu viel rede von Idealen, denen man niemals im Leben begegne, so fühlte er mit immer grösserer Sicherheit und Entrüstung, dass die Menschen wie auf Verabredung Schweigen beobachteten über die tiefsten, unheilbarsten Brüche mit dem Ideale, über die eigentlichen, wirklichen Schrecknisse. In der guten Gesellschaft wurden dieselben als unwahrscheinlich oder als unerwähnbar stillschweigend übergangen; in der Poesie überging man sie als unheimlich; denn das allzu Schneidende, Peinliche oder Unversöhnte war ja von der Aesthetik nun einmal aus der schönen Litteratur verbannt. So ungefähr ist es gekommen, dass Ibsen der Dichter des Unheimlichen wurde, und daher sein ursprünglicher Trieb, in schneidenden, bitteren Aeusserungen seine Stellung der Menge gegenüber zu behaupten.

 

Henrik Ibsen's Aeusseres deutet auf die Eigenschaften, welche er in seiner Poesie an den Tag gelegt. Die Gestalt ist untersetzt und schwer. Strenger, sarkastischer Ernst ist der Hauptausdruck des Gesichts. Der Kopf ist gross, umwallt von einer Mähne ergrauenden Haares, das er ziemlich lang trägt. Die Stirne, welche das Gesicht beherrscht, ist ungewöhnlich, trägt, steil wie sie ist, hoch, weit, aber durchgeformt, den Stempel von Grösse und Gedankenreichthum. Der Mund ist, wenn er schweigt, zusammengekniffen und fast ohne Lippen; man merkt ihm an, dass Ibsen wenig spricht. In der That sitzt er, wenn er sich in Gesellschaft von Mehreren befindet, wortkarg als stummer, zuweilen barscher Thorwächter vor dem Heiligthum seines Geistes. Unter vier Augen oder in ganz kleinem Kreise kann er sprechen, aber selbst da ist er nichts weniger als mittheilsam. Ein Franzose, den ich einmal in Rom vor Ibsens Büste von Runeberg führte, bemerkte: „Der Ausdruck ist mehr spirituell als poetisch“. Man sieht Ibsen an, dass er ein satyrischer Dichter, ein Grübler, aber kein Schwärmer ist. Doch seine schönsten Gedichte wie „Fort“ und einige andere beweisen, dass einmal im Kampf des Lebens ein lyrisches Flügelross unter ihm getödtet wurde.

Ich kenne zweierlei Ausdrücke in seinem Gesicht. Der erste ist jener, wo das Lächeln, sein gutes feines Lächeln die Gesichtsmaske durchbricht und beweglich macht, wo all' das Herzliche, Innige, das zutiefst in Ibsen's Seele liegt, Einem entgegentritt. Ibsen ist bis zu einem gewissen Grade verlegen, wie es bei schwerfälligen ernsten Naturen häufig der Fall. Aber er hat ein so hübsches Lächeln, und durch Blick und Händedruck sagt er Vieles, was er nicht in Worte kleiden möchte oder kann. Und dann hat er eine Art, während des Gesprächs schmunzelnd, mit einer gewissen gutmüthigen Schelmerei, eine abweichende, nichts weniger als gutmüthige Bemerkung hinzuwerfen – eine Art, in welcher die liebenswürdigste Seite seiner Natur zum Vorschein kommt; das Lächeln mildert die Schärfe des Worts.

Doch kenne ich auch einen anderen Ausdruck in seinem Gesicht, den, welchen Ungeduld, Zorn, gerechter Unwille, beissender Hohn darin hervorbringen, ein Ausdruck von fast grausamer Strenge, welcher an die Worte in seinem alten, schönen Gedicht „Terje Vigen“ erinnert:

 
Unheimlich nur hat's um sein Aug' oft gezückt,
Zumal, wenn ein Wetter nah —
Dann hat fast Jeder sich scheu gedrückt,
Wenn er Terje Vigen sah.
 

Dies ist der Ausdruck, den seine Dichterseele der Welt gegenüber am häufigsten annahm.

Ibsen ist der geborene Polemiker, und seine erste dichterische Kundgebung („Catilina“) war seine erste Kriegserklärung. Er hat, seit er in die Jahre der Reife kam – was übrigens nicht frühzeitig war – eigentlich niemals daran gezweifelt; er, der Einzelne, auf der einen Wagschale, und das, was man die Gesellschaft nennt – für Ibsen ungefähr der Inbegriff all' Derer, welche die Wahrheit scheuen und die Schäden mit Redensarten überpflastern – auf der anderen Wagschale, das ergebe mindestens ein Gleichgewicht. Er pflegt unter manchen komischen Paradoxen zu behaupten, dass es zu jeder Zeit nur eine bestimmte Summe von Intelligenz gebe, die zur Vertheilung gelange: würden einige Wenige, wie z. B. in Deutschland Goethe und Schiller ihrerzeit, besonders reich ausgestattet, so blieben ihre Zeitgenossen desto dümmer. Ibsen sollt' ich meinen, ist der Ansicht zugänglich, dass er seine Fähigkeiten zu einem Zeitpunkte empfing, wo sehr Wenige da waren, die Summe zu theilen.

Darum fühlt er sich nicht als Kind eines Volkes, als Theil eines Ganzen, als Führer einer Gruppe, als Glied einer Gesellschaft; er fühlt sich ausschliesslich als geniales Individuum, und das Einzige, woran er eigentlich glaubt und was er verehrt, ist die Persönlichkeit. In diesem Abgelöstsein von jedem Zusammenhang, in diesem Behaupten des eigenen Ichs als Geist ist Etwas, das lebhaft an jenes Zeitalter der nordischen Geschichte erinnert, in welchem er seine Bildung empfing. Besonders ist der überwiegende Einfluss Kierkegaard's auffallend43. Bei Ibsen hat jedoch die Isolirtheit ein verschiedenartiges Gepräge, zu dessen Vertiefung wahrscheinlich Björnson's ganz entgegengesetztes Wesen nicht wenig beigetragen hat. Es ist immer von Bedeutung für eine Persönlichkeit, historisch so gestellt zu sein, dass ihr vom Schicksal selbst der Contrast an die Seite gegeben wurde. Nicht selten ist es ein Unglück für einen hervorragenden Mann, wenn er seinen Namen beständig mit einem andern zusammengekoppelt sehen muss, sei es nun zur Verherrlichung oder zum Tadel, so doch stets zum Vergleich; das unfreiwillige Zwillingsverhältniss, das sich nicht abschütteln lässt, kann aufreizen und schaden. Ibsen hat es vielleicht dazu verholfen, die Eigenthümlichkeit seines Wesens bis in's äusserste Extrem zu treiben, das heisst in diesem Falle: dessen Innigkeit und Verborgenheit zu potenziren.

Keiner, der wie Ibsen an das Recht und die Fähigkeit des befreiten Individuums glaubt, Keiner, der so früh wie er sich auf dem Kriegsfuss mit der Umgebung fühlte, hat eine vortheilhafte Meinung von der Menge. Augenscheinlich bildete in Ibsen's beginnendem Mannesalter sich Menschenverachtung in ihm aus. Nicht, als ob er von Anfang an eine übertrieben hohe Meinung von seinen eigenen Anlagen oder seinem eigenen Werthe gehabt hätte. Er ist eine suchende, zweifelnde, fragende Natur:

„Ich frage meist, Antworten ist mein Amt nicht“

und solche Geister neigen nicht zur Einbildung. – Man sieht auch wie lange er braucht, eine ihm angemessene Sprache und Form zu finden, wie unfertig er mit „Catilina“ beginnt; wie er in dem kleinen ungedruckten Drama „Der Hünenhügel“ sich stark von Oehlenschläger beeinflusst zeigt (besonders von „Das gefundene und wieder verschwundene Land“), wie er in „Nordische Heerfahrt“ wirkungsvolle Züge aus Sage und Geschichte in grossem Massstabe benützt, bevor er es wagt, sich völlig auf seinen eigenen Fond und seine persönlich ausgeprägte Form zu verlassen. Ibsen gehörte im Anbeginn weit eher zu den Naturen, die mit viel Ehrfurcht in's Leben hinaustreten, bereit, die Ueberlegenheit Anderer anzuerkennen, bis ihnen Missgeschick das Bewusstsein ihrer eigenen Kraft gibt. Aber von diesem Augenblick an sind solche Naturen in der Regel weit grössere Starrköpfe als die ursprünglich selbstzufriedenen. Sie nehmen die Gewohnheit an, die Andern, die früher ohne weiteres Anerkannten, mit dem Blicke, gleichsam auf einer unsichtbaren Wagschale zu wägen, befinden sie zu leicht und werfen sie beiseite.

Ibsen findet die Durchschnittsmenschen klein, egoistisch, erbärmlich. Seine Anschauungsweise ist nicht die rein naturwissenschaftliche des Beobachters, sondern diejenige des Moralisten; und in seiner Eigenschaft als Moralist verweilt er weit mehr bei der Schlechtigkeit der Menschen als bei ihrer Blindheit und ihrem Unverstand. Für Flaubert ist die Menschheit schlecht, weil sie dumm, für Ibsen umgekehrt ist sie dumm, weil sie schlecht ist. Man denke z. B. an Helmer. Während des ganzen Stückes blickt er dumm, strohdumm auf seine Frau. Als Nora Dr. Rank das letzte Lebewohl sagt, d. h. als der Selbstmordgedanke dem Todesgedanken in's Auge starrt und dieser mit mitleidiger Zärtlichkeit antwortet, steht Helmer wie die berauschte Brunst und breitet die Arme aus. Aber nur sein selbstgerechter Egoismus macht ihn so dumm.

Und eben schlecht findet Ibsen die Menschheit, nicht böse. Es findet sich unter den Aphorismen in Kierkegaard's „Entweder – Oder“ einer, der zu einem Wahlspruch für Ibsen sehr geeignet scheint: „Mögen Andere darüber klagen, dass die Zeit böse sei; ich klage darüber, dass sie erbärmlich ist, denn sie ist ohne Leidenschaft. Die Gedanken der Menschen sind dünn und unhaltbar wie Spitzen, sie selbst elend wie Spitzenklöpplerinnen. Ihre Herzensgedanken sind zu erbärmlich, um sündig zu sein“. Was sagt Brand Anderes, wenn er über den Gott des Geschlechts klagt und seinen eigenen Gott, sein eigenes Ideal demselben gegenüberstellt:

 
 
„Wie das Geschlecht ergraut sein Gott:
Als Greis mit dünnem Silberhaar,
So stellt Ihr den Gottvater dar.
Doch dieser Gott ist nicht der meine —
Meiner ist Sturm, wo Wind der Deine.
Ein Heldenjüngling kühn und stark,
Kein schwacher Alter ohne Mark“.
 

Was Anderes sagt der Knopfgiesser? Er antwortet Peer Gynt ungefähr, wie Mephistopheles in Heiberg's „Eine Seele nach dem Tode“ der „Seele“ antwortet. Peer Gynt soll keineswegs in den Schwefelpfuhl, er soll bloss wieder in den Giesslöffel und umgeschmolzen werden; er war kein Sünder, denn, wie es heisst, „es gehört Kraft und Ernst zu einer Sünde“; er war ein Mittelschlechter:

 
„Drum wirst du als Ausschuss nun umgegossen,
Bis mit der Masse in eins du geflossen“.
 

Peer Gynt ist in Ibsen's Gedanken der typische Ausdruck für die Nationallaster des norwegischen Volkes. Wie man sieht, flössen sie ihm weniger Schrecken als Geringschätzung ein.

Diese Weise, die Zeitgenossen aufzufassen, erklärt auch solche Jugendwerke Ibsen's, in welchen seine dichterische Ursprünglichkeit noch unentwickelt ist. Margit in „Das Fest zu Solhaug“ ist eine Frauengestalt, die zum Vergleiche mit Ragnhild in Henrik Hertz's älterem Drama „Svend Dyrings Haus“ einladet; dennoch ist die Gestalt aus einem ganz anderen Metall wie bei Hertz, härter, wilder, entschlossener. Ein Mädchen der Gegenwart, das in Verzweiflung liebte, würde sich eher mit Ragnhild verwandt fühlen als mit Margit; denn Margit steht als Wahrzeichen da, dass die Leserin das Kind einer abgeschwächten Zeit ist, ohne den Muth und die Consequenz der Leidenschaft, in Halbheit verloren. Und weshalb greift Ibsen in „Nordische Heerfahrt“ zurück zu der wilden Tragik der Wölsungen-Sage? Um dies Bild der Gegenwart vorzuhalten, um ihr zu imponiren, um das heutige Geschlecht zu beschämen, indem er ihm die Grösse der Vorfahren weist – die Leidenschaft, welche, einmal entfesselt, ohne Rücksicht nach rechts oder links dem Ziele entgegenstürmt, die Stärke und den Stolz, der karg an Worten ist, der schweigt und handelt, schweigt und duldet, schweigt und stirbt, diese Willen von Eisen, diese Herzen von Gold, Thaten, welche Jahrtausende nicht in Vergessen zu bringen vermochten – da, seht Euch im Spiegel!

Nimmt man dies streitbare Pathos in seinem ersten Ausbruch, so ist es Catilina, aufgefasst mit der ganzen Sympathie eines Primaners. Catilina verachtet und hasst die römische Gesellschaft, wo Gewalt und Eigennutz herrschen, wo man durch Ränke und List zur Macht gelangt; er, der Einzelne, lehnt sich dagegen auf. Beobachtet man dies streitbare Pathos in einem von Ibsen's späteren Werken, seinem vielleicht bewunderungswürdigsten Drama „Nora“, so klingt es gedämpft, aber nicht weniger schneidend von Frauenlippen. Wenn Nora, die Lerche, das Eichhörnchen, das Kind, am Schlusse sich sammelt und spricht: „Ich muss sehen dahinterzukommen, wer Recht hat, die Gesellschaft oder ich“; wo dies zarte Geschöpf es wagt, sich auf die eine Seite zu stellen, die ganze Gesellschaft auf die andere – da fühlt man, dass sie Ibsen's Tochter ist. Und man vernehme endlich dies kampflustige Pathos in seinem noch jüngeren Ausbruch: „Gespenster“, in Frau Alwing's Aeusserung über die Lehren der modernen Gesellschaft: „Ich wollte bloss einen einzigen Knoten entwirren, und als ich ihn gelöst ging Alles mit einander auf. Da merkte ich, dass es Maschinennaht war“ – hier klingt, trotz der Entfernung, die den Dichter von dem gedichteten Charakter trennt, durch die Worte ein erleichternder Seufzer durch, einmal, wenn auch nur indirect, das Aeusserste gesagt zu haben.

Bei Catilina und bei Frau Alwing, Ibsen's erstem Helden und seiner letzten grossen Frauengestalt, dasselbe Gefühl der Einsamkeit wie bei den dazwischen liegenden Persönlichkeiten: Falk, Brand und Nora, und dasselbe verzweifelte Rennen mit der Stirn gegen die Wand. In seinem darauf folgenden Schauspiel „Ein Volksfeind“ dreht sich sogar Alles um diesen einen Angelpunkt, die Kraft, die in der Isolirtheit liegt, und das Stück endigt mit dem didaktisch ausgesprochenen Paradoxon: „Der Stärkste ist der, welcher allein steht!“

Man bezeichnet bekanntlich diese Art, Welt und Menschen zu betrachten, im modernen Europa mit dem Ausdruck „Pessimismus“. Aber der Pessimismus hat viele Arten und Schattirungen. Er kann, wie bei Schopenhauer und E. von Hartmann, die Ueberzeugung bedeuten, dass das Leben selbst ein Uebel ist, dass die Summe von Freuden im Vergleich mit der Summe von Schmerzen und Qualen eine verschwindende ist; er kann darauf ausgehen, die Nichtigkeit der höchsten Güter zu beweisen, zu zeigen wie schwermüthig die Jugend, wie freudlos die Arbeit, wie leer das Vergnügen an sich ist und wie sehr wir durch Wiederholung dafür abgestumpft werden – Alles, um vermöge dieser Einsicht entweder, wie Schopenhauer, die Askese, oder, wie von Hartmann, die Arbeit für den Kulturfortschritt anzupreisen, jedoch mit der Ueberzeugung, dass jeder Fortschritt in der Kultur ein steigendes Gefühl des Unglücklichseins für das Menschengeschlecht mit sich bringt. Dieser Pessimismus ist nicht derjenige Ibsen's. Auch Ibsen findet die Welt schlecht; aber die Frage, ob das Leben ein Gut sei, beschäftigt ihn nicht. Seine ganze Anschauungsweise ist moralisch.

Der pessimistische Philosoph verweilt bei der illusorischen Beschaffenheit der Liebe, weist nach, wie gering das Glück ist, das sie birgt; wie dieses Glück überhaupt nur auf einer Täuschung beruht, da ja nicht die Glückseligkeit des Individuums, sondern die grösstmögliche Vollkommenheit der künftigen Generation ihr Ziel sei. Für Ibsen besteht die Comödie der Liebe nicht in der unvermeidlichen erotischen Illusion – diese allein ist in seinen Augen über die Kritik erhaben und besitzt seine volle Sympathie – sondern in der Erschlaffung der Charaktere und in der aller Poesie baren Philistrosität, welche die ursprünglich aus erotischen Gründen gestifteten bürgerlichen Verbindungen zur Folge haben. Dass der Theologe, der sich zum Missionär ausbildete, durch die Verlobung zum Lehrer an einer Mädchenschule umgewandelt wird, das ist ein Gegenstand für Ibsen's Satyre, darin besteht die Comödie der Liebe für ihn. Nur ein einziges Mal, gleichsam blitzweise, hat er sich hoch über seine gewöhnliche moralische Auffassung der erotischen Sphäre erhoben, ohne desshalb den satyrischen Standpunkt aufzugeben, und zwar in dem von Heine's „Die Launen der Verliebten“ etwas beeinflussten Gedicht „Verwickelungen“ – nicht nur dem witzigsten, sondern auch dem tiefsinnigsten von allen seinen Gedichten.

Der pessimistische Philosoph verweilt gerne bei dem Gedanken, dass das Glück unerreichbar sei, sowohl für den Einzelnen als für die grosse Menge. Er hebt hervor, dass der Genuss uns unter den Händen entschlüpft, dass wir Alles, was wir wünschen, zu spät erreichen, und dass das Erreichte bei weitem nicht jene Wirkung auf das Gemüth ausübt, welche die Sehnsucht uns vorgespiegelt. In einer Aeusserung wie der bekannten Goethe's: dass er während 75 Jahren nicht vier Wochen eigentlichen Behagens gehabt, sondern stets einen Stein gerollt habe, der immer von neuem aufgehoben werden musste – in einer solchen Aeusserung erkennt der pessimistische Philosoph den entscheidenden Beweis für die Unmöglichkeit des Glückes. Denn was ein Goethe, der Liebling von Göttern und Menschen, nicht erreichte, wie sollte das der erste beste Sterbliche erringen können? – Anders Ibsen. So skeptisch er im Uebrigen ist, so zweifelt er doch nicht eigentlich an der Möglichkeit des Glückes. Selbst die von den Verhältnissen so hart beeinträchtigte Frau Alwing meint, dass sie unter anderen Lebensverhältnissen hätte glücklich werden können, ja, sie hält nicht für unmöglich, dass sogar ihr erbärmlicher Mann es hätte sein können. Und augenscheinlich theilt Ibsen diese ihre Meinung. Es ist ihm aus dem Herzen gesprochen, was sie sagt von der halbgrossen Stadt (Christiania), welche keine Freude zu bieten habe, nur Vergnügungen; kein Lebensziel, nur ein Amt; keine wirkliche Arbeit, nur Geschäfte. Das Leben selbst ist also kein Uebel, das Dasein selbst nicht freudlos; nein, wenn ein Leben der Lebensfreude verlustig geht, so gibt es einen Schuldigen, welcher dies zu verantworten hat; und als dieser Schuldige wird die traurige, in ihren Vergnügungen rohe, in ihrer Pflichtforderung bigotte norwegische Gesellschaft bezeichnet.

43Ich erlaube mir auf mein Werk: Sören Kierkegaard (Leipzig 1879) hinzuweisen.