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VI

Diese Höhe erreichte Björnson früh. Nur dreissig und einige Jahre alt hatte er all' die besten Werke seiner ersten Periode verfasst, und man fing schon an, sie als ein geschlossenes Ganzes zu betrachten. Niemand konnte die mächtige Begabung übersehen; es berührte aber schmerzlich, dass man keine rechte Entwickelung derselben entdecken konnte. Die schöpferische Kraft hielt sich eine Zeit lang auf demselben Punkt aber die Lebensansicht erweiterte sich nicht, verblieb kindlich und eng. Er konnte bisweilen trivial werden. Er schrieb ab und zu Gedichte, welche einen fast seminaristischen Anstrich hatten. Er konnte zuweilen einem in seinem Ausdruck geradezu kindischen Optimismus huldigen, wie in dem Gedichte „Einst und jetzt“, das glücklicherweise in die zweite Auflage seiner Gedichte nicht mit überging. Keine Hochzeit, kein Begräbniss, wobei nicht Gott citirt wurde. Er liess ihn in dem Gedichte an Munch mit doppelt gesperrten Lettern sprechen, führte ihn ein und nannte seinen Namen in jeder Strophe eitel, der er einen feierlichen Charakter geben wollte. In seinem Gedichte „An meinen Vater“, das mit dem etwas übertriebenen Satz beginnt, „Unser Geschlecht, das erste einst des Landes“, hob er hervor, man müsste seine Eltern kennen, um „die ruhige Grösse des Glaubens“ in seinen Dichtungen zu verstehen. Er berief sich darauf, dass das Weib bei ihm „im Sonnenglanz des Glaubens einherschreite“, er freute sich, dass für die alten Leute „das Leben in der Fülle des Glaubens“ seinen Brennpunkt fände. Er besang „das Kind in unserer Seele“, verherrlichte als Grösstes und Höchstes Kinder und kindliche Seelen, erklärte (in dem Gedichte an Sverdrup) „auf dem Boden des Kinderglaubens“ zu stehen und von diesem aus, Gleichheit und Volksfreiheit zu verlangen. Von ihm aus war es denn auch wohl, dass er in dem Gedichte über Frederik den Siebenten, diesen König als das wärmste, grösste Herz Dänemarks, als dessen beste Schutzwehr u. s. w. bezeichnete. Er hielt sich, wie beinahe die ganze damalige nordische Litteratur, ängstlich in gehöriger Distanz von dem Leben und den Ideen der aufgeklärten Zeitgenossen. Oder richtiger, wenn er zeitgenössische Ideen und Menschen zur Darstellung brachte, so war es unfreiwillig; sie traten in altnordischen oder mittelalterlich schottischen Theatercostümen auf. In „Sigurd der Böse“ erörtern im Jahre 1127 Helga und Frakark das Verhältniss zwischen der Unsterblichkeit des Einzelnen und des Geschlechts in Ausdrücken, die allzu stark an das Jahr 1862 erinnern; und dieselben Häuptlinge, die sich hier in fast modernen politischen Erwägungen bewegen, Ausdrücke gebrauchen wie Beruf, Grundgesetz, die Ordnung auf ungesetzlichen Grund bauen u. s. w., lassen aus Rachsucht den gefangenen Sigurd Glied für Glied rädern, d. h. sie begehen eine Handlung, die ein weit barbarischeres inneres Leben voraussetzt. Wenn man sich so gebildet ausdrückt, rädert man seinen Feind nicht; man verläumdet ihn.

Zu diesem Mangel an Einheitlichkeit der Leidenschaften und Gedanken kam das unselige Bedürfniss des Dichters, seine grossen dramatischen Gestalten so zu gruppiren und zusammen zu fassen, dass der Mantel des orthodoxen Kirchenglaubens in dem Augenblick, wo das Drama schloss, um sie geschlagen werden konnte. In „Maria Stuart“ steht z. B. die Gestalt des John Knox nicht unter der dramatischen Ironie, welche die andern Personen beherrscht; Björnson behält sich die poetische Ueberlegenheit über ihn nicht vor: denn Knox ist dazu bestimmt, mit dem Pathos des Dichters auf seinen Lippen zum Schluss aus dem Rahmen heraus zu treten und die politische Erbschaft Maria's zu übernehmen. Sowohl die gewaltigen Kämpfe in „Sigurd“, wie die leidenschaftlichen Empfindungen in „Maria Stuart“ münden in eine Psalmenstrophe aus. Die Handlung ist in beiden Dramen so zugespitzt, dass sie dort in das Kreuzfahrerlied des frommen dänischen Dichters Ingemann, hier in den nebelhaft-mystischen Psalm der Puritaner ausläuft.

Allmählig schien es, als sei die einst so reiche Ader Björnsons nahe daran zu vertrocknen. Die späteren Novellen („Die Eisenbahn und der Kirchhof“, „Das Brautlied“) bezeichneten keinen Fortschritt gegen die früher gedichteten. Eine der letzten „Ein Lebensräthsel“ war die reine Manier. Trotz schönen Einzelheiten hielt das Drama „Sigurd der Grabespilger“ keinen Vergleich mit den älteren norwegischen Dramen des Dichters aus; endlich standen die letzten nach den übrigen geschriebenen Gesänge von „Arnljot Gelline“ mehrere Jahre hinter den in dem ersten Feuer der Inspiration verfassten zurück. Es keimten scheinbar in Björnson's Gemüth keine neuen Ideen. Man frug sich, ob es mit diesem Dichter wie mit so vielen dänischen Dichtern gehen würde, die im kräftigsten Mannesalter verstummten, weil ihrer Begabung die Fähigkeit fehlte, sich zu häuten. Sein ursprüngliches geistiges Capital hatte Björnson augenscheinlich ausgemünzt. Man frug sich, ob er, wie jene Dichter keine neuen Reichthümer erwerben könne? Er hatte seiner Zeit, gleich dem jungen Viking, von dem er eins seiner schönsten Gedichte geschrieben, nach dem Siege über die alte Zeit und ihrem Häuptling, am Steuer stehend, den Männern, die erschreckt dastanden über die Weise, wie er es lenkte, zugerufen: „Werde ich nun dürfen?“ Nun durfte er und wusste selbst nicht, wohin er steuern sollte.

Ich erinnere mich sehr genau jener Jahre. Die Jugend fühlte etwas wie Qual, wenn sie den litterarischen Zustand in Europa mit demjenigen im Norden verglich. Man hatte die Empfindung, von dem Kulturleben Europa's ausgesperrt zu sein. Man sass wie hinter geschlossener Thüre und vergebens zerbrachen sich Einige den Kopf über das Problem, wie sie die Thüre aufkriegen sollten. Es schien aussichtslos. Das Jahr 1864 hatte mit seinem ehernen Knöchel daran gehämmert, und sie ging nicht auf. 1866 hatte vergebens daran gepocht, ja selbst 1870, mit seiner Hand von Erz, hatte sie nur fester zugeschlagen. – Sie öffnete sich nach aussen hin. Es musste von innen aufgemacht werden.

In Dänemark hatte man sich die Jahre her der Kunst befleissigt, die europäische Litteratur derart zu lesen, dass alles in den europäischen Büchern, was mit den nationalen Anschauungen über das darin enthaltene im Widerstreite stand, einfach übersehen wurde. Ganze Gruppen der ausländischen Litteratur waren dem Bewusstsein der Gebildeten völlig fremd geblieben, und da man schliesslich in seinem politischen Unwillen gegen alles Deutsche die geistige Verbindung mit Deutschland abgebrochen hatte, war der Canal, durch welchen auch Norwegen lange Zeit hindurch viel von seiner Zufuhr an europäischer Kultur erhalten hatte, verstopft. Gleichzeitig fürchtete man die französische Bildung als frivol, und von englischer Sprache, englischem Geiste verstand man nur blutwenig. In Dänemark blickte man nach Norwegen hin, als zu dem Lande der litterarischen Erneuerung; in Norwegen richtete man seine Augen auf Dänemark, als auf das ältere Kulturland, mit seiner altbewährten, prüfenden Kritik.

Man sprach in den herrschenden bürgerlichen Kreisen von David Strauss und Feuerbach, wie nur die spiessbürgerlichsten Kreise Deutschlands in den vierziger Jahren von ihnen gesprochen hatten; man kannte kaum dem Namen nach Stuart Mill, Darwin, Herbert Spencer. Positivismus und Entwicklungslehre waren Mächte, die Skandinavien nicht anerkannte. Man hatte keine Ahnung von der Entwicklung der englischen Poesie von Shelley bis Swinburne. In der französischen Litteratur war man über die Verurtheilung Victor Hugo's und der romantischen Schule, die Heiberg, der Dictator des Geschmacks, als eine einzige grosse Räuberbande bezeichnet hatte, noch immer nicht hinausgekommen. Des Verständnisses völlig bar war man besonders für die Bedeutung der Thatsache, dass Schauspiel und Roman in Frankreich längst die geschichtlichen und sagenartigen Stoffe verlassen und Stoffe aus der Gegenwart ergriffen hatten, aus dem Leben, das den Dichter umgibt, dem einzigen, das er mit seinen zwei Augen beobachten, das er in der Regel auch leichter und besser als das entschwundener Zeiten in seinem eigenen Inneren studiren kann. Selbst wagte man nur selten einen Zipfel des Vorhangs zu heben, der die zeitgenössische Welt den Blicken verbarg; lange Zeit hatte es den Anschein, als ob keine der grossen wissenschaftlichen Eroberungen des Jahrhunderts der Poesie des Nordens zu Gute kommen sollte.

Und während das geistige Leben dahinsiechte, wie eine Pflanze in einem dunkeln Raume kränkelt, war man selbstgefällig, – nicht etwa voll froher, lärmender Selbstgefälligkeit, hatte doch die Gemüther, nach dem nationalen grossen Unglück tiefe Wehmuth, tiefe Niedergeschlagenheit ergriffen, wenngleich man dieses Unglück als ein durchaus unverschuldetes erachtete, als die blosse Folge eines blutigen himmelschreienden Unrechts. Wohl aber hatte man sich in eine stille, dumpfe Selbstgefälligkeit hinein verrannt. Man wiegte sich in der Hoffnung einer baldigen äussern Genugthuung, man freute sich der Sympathien, welche der tapfere Widerstand dem Volke in Europa errungen hatte; man ruhte auf seinen Lorbeeren und versank in einen tiefen Schlaf.

Und in dem Schlaf kamen Träume. Die gebildete und besonders die halbgebildete Welt Dänemarks und Norwegens träumte, sie wäre das Salz Europa's. Man träumte die fremden Völker durch seinen Idealismus, seine Grundtvig'schen, Kierkegaard'schen Ideale, durch seinen wachen Geist zu verjüngen. Man träumte, dass man die Kraft sei, welche die Welt beherrschen konnte, es aber aus räthselhaften unbegreiflichen Gründen die Jahre hervorgezogen habe, sich mit den Brocken von fremdem Tische zu begnügen. Man träumte, das freie mächtige Norden zu sein, das die Sache der Völker zum Siege führte – und erwachte unfrei, ohnmächtig, unwissend. Diese Träume enthält, Wort für Wort so ausgedrückt, das skandinavische, immer gesungene Volkslied von C. Ploug.

VII

Hierauf fing zu Beginn der 70er Jahre in Dänemark eine moderne geistige und litterarische Bewegung an, aus der in dem vergangenen Decennium eine neue poetische und kritische Schule erstanden ist. Das in Dänemark erregte geistige Leben verpflanzte sich schnell nach Norwegen, wo geniale Männer der Wissenschaft den aus England und Frankreich erhaltenen Impulsen folgend, in den Gemüthern der Jugend eine verwandte Bewegung hervorriefen, und bald offenbarte die Dichtung Björnson's, dass, wie er es selbst ausgedrückt hat, sich nach seinem vierzigsten Jahr neue und reiche Quellen in seinem Innern aufgethan hatten. Plötzlich zeigte es sich, dass seine Productivität neuen Flug und Schwung erhalten hatte. Die moderne Welt lag offen vor seinen Augen. Er hatte, wie er in einem Privatbrief einmal schrieb, „die Augen, welche sahen, die Ohren, welche hörten“, bekommen. Die Ideen des Jahrhunderts hatten, ihm selbst lange halb unbewusst, seinen empfänglichen Geist befruchtet. Denn er las in jenen Jahren sehr viel, Bücher in allen Sprachen und jeglicher Art. Die historische Kritik Norwegens mochte wohl zuerst Einfluss auf ihn gewonnen haben. Einen tiefen Eindruck erhielt er von der ruhigen Grösse und dem erhabenen Freisinn Stuart Mill's; Darwin's mächtige Hypothese erweiterte seinen Gesichtskreis, die philologische Kritik eines Steinthal's oder Max Müller's lehrte ihn die Religionen, die litterarische Kritik bei Männern wie Taine die Litteraturen mit neuen Augen zu sehen. Die Bedeutung des achtzehnten, die Aufgaben des neunzehnten Jahrhunderts gingen ihm auf. Er hat sich einmal in einem reizenden Privatbrief über die Verhältnisse, die seine Jugend bestimmten, und besonders über seine Umwandlung geäussert:

 

„Mit jenen Voraussetzungen musste ich die Beute Grundtvig's werden. Aber nichts in der Welt besticht mich, obwohl ich nur zu leicht verführt werden kann. Desshalb war ich aus diesen Kreisen heraus an dem Tage, wo ich sah. Mein ärgster Feind kann die Wahrheit in Händen haben; ich bin dumm und stark: aber sehe ich, wenn auch durch einen Zufall, die Wahrheit, so zieht sie mich unwiderstehlich an. Sagen Sie nun: ist eine solche Natur nicht leicht zu verstehen? Sollte man nicht glauben, dass es besonders den Norwegern nahe liege, sie zu begreifen? Ich bin Norweger. Ich bin Mensch. Ich möchte in der letzten Zeit mich fast unterzeichnen: Der Mensch. Denn es kommt mir vor, dass dieses Wort hier bei uns in diesem Augenblick gleichsam neue Vorstellungen erweckt“.

VIII

Die erste grössere Arbeit, mit welcher Björnson nach mehrjährigem Schweigen vor das Publikum trat, war das Schauspiel „Ein Fallissement“. Es war ein Sprung in's moderne Leben hinein. Die Dichterhand, welche die Schlachtschwerter der Sigurd's geschwungen hatte, hielt sich nicht für zu gut, die Gelder Tjälde's zu zählen und seine Schulden zu summiren. Björnson war der erste skandinavische Dichter, der sich im vollen Ernst mit der Tragikomödie des Geldes einliess, und dieser erste Versuch war von entschiedenem Erfolg gekrönt. Gleichzeitig mit dem „Fallissement“ gab er das Schauspiel „Der Redacteur“, eine blutige Satyre der norwegischen Pressverhältnisse heraus. Und nun erschienen in rascher Folge „Der König“, „Magnhild“, „Kapitän Mansana“, „Das neue System“, „Leonarda“, neue Gedichte, republikanische Vorträge, endlich die tiefsinnige, feine Novelle „Staub“.

Man hat in conservativen norwegischen Kreisen die Poesie Björnsons in dieser Phase, so gut wie die Ibsens, dadurch herabzusetzen gesucht, dass man sie als Tendenzdichtung bezeichnete. Wo diese Beschuldigung berechtigt ist, fällt sie allerdings einigermassen in die Wagschale. Die Tendenz bezieht sich immer auf Interessen und Bestrebungen des Augenblicks, veraltet verhältnissmässig schnell und kann daher für das Fortbestehen des Werkes von Nachtheil sein. Allein theils ist in einem Werke noch manches Andere dem ausgesetzt, in der Zukunft veraltet zu erscheinen – Form, Ideen, Ausdrucksweise können veralten – theils thut mitunter auch die Tendenz, wie in „Don Quijote“, der Lebensfähigkeit eines Werkes nicht den geringsten Abbruch. Endlich – und dies ist die Hauptsache – darf man nicht vergessen, dass das Wort Tendenz das Schreckbild ist, durch welches es nur allzu lange glückte, die Dichter von den winkenden Früchten des modernen Baumes der Erkenntniss zu verscheuchen. Die Warnungen vor der Tendenzdichtung, die Geringschätzung derselben entstammt der Kantischen Lehre von der Kunst, die sich Selbstzweck sei, was in Frankreich als die Losung l'art pour l'art! formulirt wurde. Diese Lehre, welche man – merkwürdigerweise – stets auf dem einzigen Gebiet bekämpft hat, wo sie Sinn und Gültigkeit hat, nämlich als Protest gegen die Einschnürung der Kunst in der Zwangsjacke einer conventionellen Moral, hat man im Norden lange dazu gebraucht, alle Ideen der Zeit unter dem Vorwande fernzuhalten, dass sie Tendenzen, d. h. Bestrebungen nach einem Ziele hin seien – und die Poesie hatte kein anderes Ziel als sich selbst.

Einerseits also sagte man: „Die Poesie ist sich nicht Selbstzweck, sie soll und muss die Moral respectiren“, und die Moral war bekanntlich der gute Ton.

Andererseits sagte man, sobald ein Werk zum Vorschein kam, das nach den Gedanken der neuen Zeit schmeckte: „Tendenzpoesie, Tendenzschauspiele! meine Herren und Damen! Die wahre Poesie hat keinen anderen Zweck als sich selbst“.

Dabei schwebte man, naiv genug, in dem Irrthume, dass die älteren Werke, die man pries, tendenzlos seien, weil sie die entgegengesetzte Tendenz der neuern vertraten. Oder lag etwa in den älteren keine Tendenz? Man betrachte nur „Arnljot Gelline“, mit seiner in der ganzen neunordischen Litteratur pflichtschuldigen Vikinger-Bekehrung. Kaum hatte Oehlenschläger, Grundtvig und Hauch diese alten Vikinger entdeckt und sich ihrer unverbrauchten Kraft zu freuen begonnen, als sie auch schon mit grösster Beschleunigung daran gingen, sie zu bekehren und zu taufen. Es war, als wüssten sie gar nichts anderes mit ihnen anzufangen, so einförmig traten die Bekehrungen ein, und Björnson (wie Richardt) folgte ihren Spuren.

In den Bauernnovellen hatte sich gleichfalls eine ausgesprochene kirchliche Tendenz geltend gemacht. Das zweite Capitel von „Synnöve Solbakken“, das von einer Hymne an die Kirche eingeleitet den kirchlichen Ton anschlug, bürgte bereits dafür, dass dieser Ton in allen folgenden Schilderungen des Bauernlebens vorwalten würde.

Was man später bekämpfte, war also nicht die Tendenz an sich, von der man früher nie der Ansicht gewesen, dass sie der Poesie irgendwelchen Abbruch thäte. An die älteren Tendenzen hatte man sich ja so vollständig gewöhnt, wie man sich an die Luft in einem Zimmer gewöhnt, das man nie verlässt. Was man unter dem Namen der Tendenz zu bannen strebte, das war der Geist, waren die Ideen des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Ideen sind aber für die epische und dramatische Poesie dasselbe, was der Blutumlauf durch die Adern für den menschlichen Körper ist. Was man im eigenen Interesse der Poesie fordern muss, ist nur, dass diese Adern, die man gern unter der Haut bläulich schimmern sieht, nicht gespannt und schwarz wie an einem Verbitterten oder Kranken hervortreten.

Höchst selten, ganz ausnahmsweise nur, trat die Tendenz bei Björnson in solcher Gestalt hervor. Und selbstverständlich ist eine im Kunstwerke nicht verkörperte Tendenz, die unpoetisch aus dem Rahmen tritt, bei ihm um nichts unschuldiger oder besser als bei Andern. Mir sind z. B. die Angriffe auf die Staatskirche, die stehenden Heere, die ganze staatliche Ordnung des Königthums, die Björnson in seinem Drama „Der König“ der Hauptperson unmittelbar vor ihrem Selbstmord in den Mund legt, wenig sympathisch. Man fühlt, das ist etwas, wovon der Dichter will, dass es gesagt werde. Die Absicht tritt grell und nackt hervor. So ist auch das anmuthige Gedicht „Staub“ zu sehr ein Lehrgedicht. Ergriffen, wie sich Björnson von der Wahrheit fühlt, lässt er sich ab und zu hinreissen, ihr einen grellen, allzu direkten Ausdruck zu geben und übersieht, dass er die poetische Wirkung, die er zu erhöhen geglaubt, gerade hierdurch vermindert.

Sieht man jedoch von solchen Einzelnheiten ab, kann niemand, der dichterischen Sinn hat, unempfindlich gegen den Born einer neuen und eigenthümlichen Poesie sein, der die Werke aus Björnsons zweiter Periode, zweiter Jugend möchte man sagen, durchströmt. Eine brennende Wahrheitsliebe hat diesen Büchern ihren Stempel aufgedrückt. Welch' eine energische Aufforderung darin zur Wahrhaftigkeit gegen sich und Andere! Welcher Reichthum an neuen Gedanken auf allen Gebieten, über Staat und Gesellschaft, Ehe und Haus! Endlich welche Milde, welche Sympathie mit den Menschen, die als Vertreter der vom Dichter verurtheilten Mächte dastehen, wie mit dem Könige oder mit dem Bischofe in „Leonarda“, während alle Angriffe auf die Institutionen als solche gerichtet sind. Nirgends macht sich dies so stark fühlbar, wie in dem Drama „Der König“, welches den einfachen, an und für sich wenig neuen Grundgedanken vertritt, dass das constitutionelle Königthum die Uebergangsform zur Republik bilde, dessen Originalität jedoch darin besteht, das Problem von der inneren Linie her zu fassen, die Institution von der Person des Königs aus, kraft des Schadens anzugreifen, den er durch die Natur dieser Institution nothwendig an seiner Seele leiden muss. Der König selbst ist im übrigen mit einer Liebe, einer Innigkeit dargestellt, die ihn im eigentlichsten Sinne des Wortes zum Helden des Stückes macht.

In „Ein Fallissement“ erscheint die Forderung der Wahrhaftigkeit in der niedersten Sphäre. Björnson stellt hier, innerhalb des schlichten bürgerlichen Alltagslebens, als Wahrheitsideal die einfache Redlichkeit auf. Allein sein Dichterauge sieht, dass Redlichkeit nicht etwas so ganz Einfaches ist, wie es den Anschein hat. So ist beim Kaufmann das Tadelnswerthe das, Anderer Geld zu wagen. Dies ist jedoch bis zu einem gewissen Grade bei ihm unvermeidlich. Das Moralproblem dreht sich hier um feine Grenzbestimmungen, um den Punkt, wo das Wagen nicht mehr zulässig ist. „Der Redacteur“ spielt die Forderung der Wahrhaftigkeit auf ein höheres Gebiet hinüber, wo es gebieterische Pflicht, sich sie vor Augen zu halten, und noch schwieriger ist, sie zu erfüllen. Wie in der Kaufmannswelt die Gefahr darin liegt, durch Selbstbetrug Andere zu betrügen und zu Grunde zu richten, so besteht in der Journalistik die Versuchung darin, die Wahrheit zu verschweigen oder zu verleugnen. Auch dies ist bis zu einem gewissen Grade unausweichlich. Ein Politiker kann nicht alles sagen oder zugestehen. Es dürfte ein Fehler sein, dass in Björnson's „Der Redacteur“, der Vertreter der Journalistik allzuwenig die Dialektik seines Faches, den steten, unvermeidlichen Pflichtenstreit vergegenwärtigt, in den er sich versetzt sieht. Dazu ist er ein zu grosser Schlingel. Andererseits ist sein Gegner und Opfer Halvdan zu passiv und leidend, um so recht zu interessiren. Björnson greift in seinem Stück ausdrücklich das Ideal von Unangefochtenheit an, das wir uns heutigen Tags aus harter Nothwendigkeit gebildet und aufgestellt haben. Er protestirt – um des Kindes willen in unserem Innern – gegen die Lehre, dass wir uns „abhärten“ müssen und hat zwar in diesem Proteste nicht ganz Unrecht, allein es ist nun einmal so, dass wir heutigen Tags nur eine bedingte Sympathie für solche, der Oeffentlichkeit angehörige Personen hegen, die sich von Presseverfolgungen über den Haufen werfen lassen. Das christliche Ideal des duldenden Märtyrers hat in diesem Falle, der Lesewelt und dem Theaterpublikum gegenüber, faktisch seine Kraft verloren. Man verlangt Männer zu sehen, an denen das gesprochene und geschriebene Wort der Widersacher machtlos abprallt, die kein Wortschwall, nicht einmal ein stürmischer Seegang von Wortschwall, zum Wanken zu bringen vermag. Ich will nicht behaupten, dass diese Auffassung der Sache natürlich ist, aber sie hat viel für sich.

„Der König“ behandelt politische Fragen, wie „Ein Fallissement“ und „Der Redacteur“ sociale. Das Problem ist seelisch. Der Dichter kämpft mit dem Könige den inneren Kampf durch und lässt dessen Versuch scheitern, die Forderungen seines Wesens und die seiner Stellung miteinander zu versöhnen. Ist die Aufgabe in befriedigender Weise gelöst? Ist das schlechte Resultat nicht in allzu hohem Grad von der traurigen Jugend und dem schwachen Charakter des Königs bedingt? Nicht hierauf beruht der Werth des Stückes. Er liegt in den Tiefen, in die es eingedrungen, in der frischen Anmuth, die das Liebesverhältniss umweht – man denke an die Stelle, wo Alles vor dem Blick des Königs zittert – und in dem reichen, sprudelnden Witz, der den Dialog erfüllt. In „Magnhild“ wie in „Leonarda“ ist ein neues modernes Problem dem Bewusstsein des Dichters aufgegangen: Das Verhältniss zwischen der Moral als Sittlichkeit und der Moral als Institution, als Gebot des Herzens und als Gebot der Gesellschaft. Die Lehre, die in „Magnhild“ verkündet wird, ist in der bescheidenen Form einer Frage mitgetheilt: „Giebt es nicht unsittliche Ehen, deren Bande zu zerreissen, höchste Pflicht ist?“ Das von „Leonarda“ ausgehende Gebot ist das mildeste und das für den Augenblick im Norden nothwendigste, das der socialen und religiösen Toleranz, deren Idee der Dichter selbst sich erst in reiferen Jahren anzueignen vermochte. Binnen eines kurzen Zeitraums hat Björnson seiner Poesie einen ganz neuen Boden erobert.

 

„Magnhild“ ist eine Arbeit, die durch ihr Streben nach Wirklichkeitstreue einen Wendepunkt in Björnsons Novellendichtung bezeichnet. In der Zeichnung der Charaktere sind hier Partien von einer Feinheit und Kraft, wie er sie früher nicht erreicht hat. Gestalten, wie den jungen Musiker Tande, wie die schöne Frau Bang und ihren Mann, hätte man Björnson kaum zugetraut. Und Magnhild's Verhältniss zu diesen Hauptfiguren ist ebenso trefflich gegeben, als richtig empfunden und gedacht. Gleichwohl fühlt man, dass sich der Verfasser hier auf einem ihm noch einigermassen fremden Boden, auf dem des höheren Gesellschaftslebens, bewegt. Es ist eigenthümlich, dass Tande's feiges Verleugnen seiner Geliebten, als diese von einem Pöbelhaufen verhöhnt wird, vonwegen „der Moral“ die Sympathie des Dichters findet.

Die Novelle leidet an einem doppelten Grundmangel. Der eine ist eine Undeutlichkeit in der Charakterschilderung einer der Hauptpersonen, Skarlie. Er soll auf den Leser den Eindruck machen, eine Art Ungeheuer zu sein, und man ist jeden Augenblick versucht, ihm seinem langen, idealen Weibe gegenüber Recht zu geben. Auf die furchtsamste Weise von der Welt wird angedeutet, dass Skarlie ein in geschlechtlicher Beziehung höchst verworfener Mensch sei, und nichtsdestoweniger verwirklicht dieses Ungeheuer an gemeiner Sittlichkeit im Verhältniss zu seinem eigenen Weibe, in deren Besitz er durch eine nicht eben sonderlich hinterlistige Intrigue gelangt ist, das altromantische Mondschein-Ideal von Platonismus zwischen Ehegatten, in seiner Bescheidenheit und Genügsamkeit schon froh, wenn er die Gemahlin nähren und kleiden darf. Der zweite Mangel steckt tief in der Philosophie der Novelle. Es ist ein gut Theil veralteter Mystik in der Erörterung jener Lehre von der „Bestimmung“ von Mann und Frau, um welche die Erzählung sich dreht, und, (wie stets bei Björnson und Ibsen) ist die Mystik seltsam mit Rationalismus verquickt. Björnson scheint, als Facit seiner Erzählung den Grundsatz aufstellen zu wollen, dass es für das Weib noch andere Wege zu Glück und wohlthätigem Wirken gibt, als das Verhältniss zu einem Mann, den es liebt. Das ist eine Ansicht, die sich hören lässt. Doch es lassen sich aus Magnhild noch mancherlei andere und widersprechende Resultate ziehen. Die Idee ist nicht klar. Im Gegensatze zu dem in den „Neuvermählten“ herrschenden Verhältnisse, steht die Ausführung der wichtigsten Partien an Klarheit und Leben hoch über dem Grundgedanken.

„Leonarda“, das als dramatische Arbeit nicht hervorragend ist, gehört zu den poesiereichsten Werken des Dichters. Es hätte wahrlich in Dänemark eine bessere Aufnahme verdient, als die burleske, von der nationalen Bühne zurückgewiesen und unter einfältigen Missfallens-Aeusserungen auf einem Theater zweiten Ranges aufgeführt zu werden. Die Zukunft wird Mühe haben eine Beschränktheit zu begreifen, wie sie ein Theil der dänisch-norwegischen Presse durch die Besudelung dieses unschuldigen, reinen Kunstwerks an den Tag gelegt. In „Leonarda“ hat Björnson mit bewundernswerther Geistesüberlegenheit eine ganze Reihenfolge von Generationen der norwegischen Gesellschaft vorgeführt, ihre Repräsentanten mit Meisterschaft geschildert, und die Urgrossmutter, welche (nach Art der alten Grossmutter in George Sand's interessantem Drama „L'autre“) die während der langen Zeit der nordischen Reaction so geringgeschätzte Kultur des achtzehnten Jahrhunderts vertritt, das feierliche Amen des Stückes aussprechen lassen. Es konnte einen Augenblick aussehen, als sei mit „Leonarda“ nicht nur die Zeit der tiefen Gefühle, auch die der kühnen Gedanken wiedergekehrt.

Die Gegner der neueren Richtung Björnson's haben behauptet, dass so lange er sich ausserhalb des Kreises der brennenden Fragen und lebendigen Ideen hielt, sei er als Dichter gross und gut gewesen; seit er sich aber mit modernen Aufgaben und Gedanken eingelassen habe, sei er zurückgegangen, leiste jedenfalls nicht länger künstlerisch Vollendetes. Aehnliche Urtheile sind überall in Europa laut geworden, sobald ein Dichter, der in seiner Jugend durch neutrale, harmlose Arbeiten die Gunst eines Publikums gewann, seinen Zeitgenossen zeigte, dass er sie studire und kenne. Es gibt überall in Europa Leser, welche Byron's „Childe Harold“ über den „Don Juan“ stellen. Es gibt in Russland und anderwärts ein verfeinertes Publikum, das die ersten kleinen Erzählungen Turgenjew's, das „Tagebuch eines Jägers“ den grossen Romanen „Väter und Söhne“ oder „Neuland“ vorziehen; es fanden sich in Deutschland Viele, die in Wehmuth hin sanken, weil Paul Heyse eine Zeit lang die Liebesnovelle verliess um „Kinder der Welt“ zu schreiben. Es ist zwar richtig, dass Björnson in seiner zweiten Periode nicht durchgehends die Durchsichtigkeit und Harmonie der Form erreicht hat, die seine ersten Arbeiten auszeichnen; es ist aber weder gerecht noch verständig, desshalb von einem Rückschritt zu sprechen. Ein neuer, reicher und brausender Ideengehalt findet langsam seine Form, gährt bisweilen über den Rahmen hinaus; starke Gefühle und Gedanken haben ein gewisses Feuer und einen gewissen Schwung, der sie weniger geeignet macht, in gefälliger Gestalt zu erscheinen, als die Gedankenarmuth der Idylle.

Und trotz alledem, wie viele auch technisch vorzügliche Leistungen hat Björnson in den letzten Jahren hervorgebracht! Die Exposition im „Fallissement“ ist vorzüglich, und die Diction im „Redacteur“, besonders die der ersten Akte, die beste, die Björnson überhaupt erreicht hat. Diese beiden Dramen, mit denen Björnson zuerst die Bahn betrat, die Henrik Ibsen mit seinem Schauspiel „Der Bund der Jugend“ gebrochen hatte, schliessen sich gewissermassen an dieses kräftig gebaute und beissend witzige Stück an. Im Grunde enthielt „Der Bund der Jugend“ sowohl ein Fallissement wie einen Redacteur. Das Fallissement war das des leichtsinnigen Erik Brattsberg's, der Redacteur liegt in schwachen Umrissen in Steinhoff's Verhältniss zur Zeitung Aslaksens und in dem Artikel gegen den Kammerherrn, der zuerst gedruckt werden soll und sodann nicht gedruckt werden darf, ganz wie in Björnsons Schauspiel. Ja sein Redacteur ist gewissermassen der gealterte Steinhoff, bei dem die weicheren und geschmeidigeren Elemente unter Anfällen wilder Verachtung seiner selbst und Anderer verknöchert sind, während als Hauptstamm des Charakters die brutale Rücksichtslosigkeit allein übrig geblieben ist, die in der Drohung gegen Aslaksen zum Ausbruch kommt, wenn er sich nicht füge, noch ehe das Jahr um sei, so solle er der Armenkasse zur Last fallen. Und doch ist der „Redacteur“ seinem ganzen Geiste und Ton nach weit milder und weicher als „Der Bund der Jugend“. Es ist sogar hie und da ein Anflug von Sentimentalität darin. Vielleicht fasst man indessen das Stück am richtigsten und tiefsten als eine grosse Allegorie auf. Der ältere Bruder Halvdan, der in dem politischen und litterarischen Streit unterliegt, ist Wergeland, der nach einem in begeisterten Freiheitskämpfen verbrachten Leben so lange auf dem Krankenlager hingestreckt lag – eine noch grössere und noch poetischere Gestalt kurz vor dem Tode, als während der langen Fehde des Lebens. Der jüngste Bruder Harald, der die Erbschaft Halvdans übernimmt, ist Björnson selbst („Es liegt Kraft in Harald“); der dritte Bruder endlich, der Bauer geworden, und die Frau desselben, die ohne aufzutreten, eine so grosse Rolle spielt, vertreten das norwegische Volk. Hier wie in „Leonarda“ hat das Drama eine Perspective durch die Zeiten hin und ein weiter Horizont öffnet sich somit dem Blicke.