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Die Vorzüge waren specifisch dichterisch: das weichste Gefühl war in die härteste Form gegossen. Die Seele dieser Dichtung war eine lyrische Innigkeit, die das Ganze durchdrang und sich in den zahlreichen eingestreuten Kinder-, Volks- und Liebesliedern freiere Bahn brach. Eine romantische Grundstimmung schwebte über der Erzählung. Die Novelle liess sich wie in „Arne“ ohne Disharmonie durch ein Märchen einleiten und war dem herben Realismus einzelner Charaktere zum Trotz so idyllisch, dass kleine eingelegte Geschichten, wo Waldfeen eine Rolle spielten, ohne Bruch mit dem Geiste der Handelnden sich mit der Totalstimmung vermählten. Der Dichter war ein guter Beobachter. Er hatte, wie sein Arne die Gabe, die Vorstellungen und Eindrücke, die Andere entfliehen lassen, festzuhalten, und die Beobachtung versah ihn mit einem ganzen Magazin von kleinen Zügen aus der Wirklichkeit. Uebrigens waren Sage, Volkslied, Volksmärchen die Quellen, durch deren Zusammenströmen seine Kunstform sich krystallisirte. Er schuf sie nicht in einsamer Grösse, er blieb gerade durch sie auf mancherlei Art in Berührung mit dem Volksgeist.

„Synnöve Solbakken“ war die plastische Harmonie innerhalb der Beschränkung des norwegischen Bauernlebens, und die Hauptperson Thorbjörn der Typus des kräftigen, harten Jünglings, der um zu reifen der Milderung und der Besänftigung bedarf. „Arne“ war umgekehrt das Verlangen in die Ferne zu ziehen, weit fort über die hohen Felsen, der lyrische, schwärmerische Hang des Volks, der zur Sehnsucht nach dem Reisen verwandelte Trieb des Vikingerblutes, und der Held der Typus des weichen, schwärmerischen Jünglings, welcher der Stählung bedarf um ein Mann zu werden. „Ein fröhlicher Bursch“ endlich war gleichsam ein befreiendes, all die brütende Schwermuth, welche das norwegische Gemüth bedrückt, hinwegfegendes Lüftchen, die frohe Botschaft der unbefangenen Lebenskraft und Lebenslust, ein frischer, luftreinigender Lachgesang.

III

Dann folgten Dramen und Gedichte. Die grosse Persönlichkeit entwickelte sich nach und nach als Hauptfigur aus der Hülle des Volksgeistes. In „Zwischen den Schlachten“, „Sigurd der Böse“, „Arnljot Gelline“ immer derselbe grosse Typus, der geborene Häuptling, zum Wohlthäter des Volks geschaffen, gleich gewaltsam und edel, dem man sein Recht vorenthält, und der durch das Unrecht, das er erleidet, gezwungen wird, obschon das Beste wollend, ein gut Theil Böses auf dem Wege zum Ziel zu thun. Die Städte stehen in Brand hinter Sverre, wo er dahinfährt. Er erzählt es mit bitterem Schmerz in „Zwischen den Schlachten“. Sigurd hat nur das Glück Norwegens gewollt. Doch er wird gehasst und verfolgt, weil er von dem Throne, der ihm gebührt, ausgeschlossen, „ein König geworden in der Rüstung der Rache, mit dem Auge der Verzweiflung und einem flammenden Schwert“. Arnljot, der im Grunde seiner Seele so gut und so demüthig ist, wird Mordbrenner und Räuber bis zu dem Tage, wo er als Streiter Olafs bei Stiklestad den Tod findet. Diese Gestalten wurzeln tief in Björnsons Gemüth. Er selbst war früh „ein Zeichen des Widerspruchs“ geworden. Mit seinem unbändigen Ehrgeiz, mit dem Gewaltsamen, das seiner Natur, und dem Liebevollen, das seinem Gemüthe angeboren war, fühlte er sich mit jenen Sagengestalten verwandt, und so oft er sich von seinem Volke missverstanden und mit Unrecht verschmäht fühlte, legte er das Gefühl seines Bedürfnisses, dieses Volk zu heben und mit ihm zu verschmelzen, und die Empfindung, dass er sich dennoch von Zeit zu Zeit seinem Volke entfremdete, in diese alten Häuptlinge nieder, in diesen Sigurd z. B., der gereizt „hart wie Stahl“ wird, in seinem Innern aber nichts desto weniger ein Füllhorn voll grosser Wohlfahrtspläne birgt.

Viel muss Björnson schon in jungen Jahren erfahren haben, um den Monolog Sigurds in der vorletzten Scene des Werks zu dichten, der mit den Worten beginnt: „Die Dänen verlassen mich, die Schlacht ist verloren? Bis hierher – und nicht weiter?“, wo Pläne, ein Heer zu sammeln, hinaus zu segeln, Kaufmann, Kreuzritter zu werden, mit reissender Schnelle entstehen und verworfen werden, bis die Empfindung der nahen Vernichtung sich wieder aufdringt und das Wort „Bis hierher – und nicht weiter!“ nicht mehr als Frage, sondern als Antwort refrainartig wiederkehrt. Doch noch aus der Verzweiflung redet bei Sigurd die Liebe zum Vaterlande, nach dem er sich in der Ferne sehnte, wie Kinder, die sich nach Weihnachten sehnen und dem er dennoch Wunde auf Wunde schlug. Die grosse Persönlichkeit ist bei Björnson nicht in einsamem Michelangelo-artigen Stolz verschlossen; sie entwickelt sich aus dem Volksgeiste nur um sich zu demselben zurückzusehnen, sie will sich mit ihm vereinigen, und erleidet ihre Tragödie, wenn diese Vereinigung verhindert wird.

Ibsen ist seinem Wesen nach einsam, bleibt „allein, in weiter Ferne“. Er geht in die Tiefe wie sein Bergmann:

 
Brich den Weg mir, schwerer Hammer
Zu der Tiefe Herzenskammer!
 

Björnson's Wesen strebt nicht in die Tiefe, sondern in's Weite. Sein Genius hat offene Arme.

Ein anderer Gegensatz zwischen den zwei Dichtern lässt sich schon aus den nordischen Dramen, die sie beide in ihrer ersten Periode verfassten, heraus empfinden. Als geborener Dramatiker hat Ibsen keinen Hang und keine Neigung zur Naturbeschreibung; sein einsames Gemüth schliesst sich wie von den Menschen, so auch von der Natur ab. Seine Hauptgestalten waren in seiner Jugend häufig Personificationen eines Gedankens und als solche fast naturlos. Selbst wo Ibsen die Natur einführt und wo sie mächtig ergreift, wie die Eiskirche in „Brand“, ist sie mehr Symbol als Wirklichkeit. Der schrankenloser sich ausdehnende Geist Björnson's verweilt bei den norwegischen Naturumgebungen und theilt den Eindruck von ihnen auch im Drama mit. Die Scene zwischen Sigurd und dem Finnenmädchen, eine der schönsten, die Björnson geschrieben hat, ist ein Beispiel. Wenn das Mädchen mit ihren Hunden auf die Bühne stürmt, zieht es die ganze Natur der Nordlande nach sich wie eine Schleppe. Die Tochter des Finnenhäuptlings offenbart sich in einem Glanz von Nordlicht, ihre Worte haben den hellen Zauber der Mitternachtssonne, ihre glückliche Liebe zum Leben, zur Sonne, zum Sommer, ihre unerwiderte Liebe zu Sigurd, der feine und flüchtige Charakter ihrer Trauer – das Alles ist ein Stück lebendiger Naturpoesie, das Sigurd empfindet.

Diesen Natursinn haben alle Norweger Björnson's aus der Vorzeit. Man lese z. B. den Gesang „Arnljot's Sehnsucht nach dem Meere“, in dessen Rhythmus man das Meer gleichförmig steigen und sinken fühlt:

 
Der Mond zieht's an, der Orkan erhebt es
Doch ist kein Halten, es rinnt hernieder.
 

Andere haben das Meer in seiner Unbändigkeit und Unerbittlichkeit dargestellt. Björnson malt seine kalte Stirne, welche die Sonne glättet, sein eisiges Phlegma, seine tiefe Melancholie. Aus seinem Brausen und Plätschern lässt er uns des Todes Wiegenlied vernehmen. Und Arnljots Worte, wie die Woge, wenn er nicht mehr ist, „in erhabenen mondhellen Nächten seinen Namen an den Strand hinrollt“, sind so wundersam gefügt, dass sie dem Dichter selbst den Nachruf bilden können. Nach hundert Jahren noch wird ein liebend Paar, wenn es am Strande steht, und das fluthende Meer unter der Mondscheinbrücke seine Wasser ihm entgegenrollt, bei diesem Anblick des Namens Björnson eingedenk sein.

IV

Björnson ist zwei Mal Theaterdirektor gewesen, 1857 bis 1859 in Bergen, 1865 bis 1867 in Christiania. Im Herbst 1857 übernahm er, einer Aufforderung Ole Bull's zufolge, die Bühnenleitung in der lebhaften, politisch und geistig bewegten Provinzialstadt und brachte das ganz heruntergekommene Theater in die Höhe, während er mit Ole Bull, dem er später „Arne“ zueignete, glückliche Jugendtage verlebte. Als Direktor der Bühne in Christiania wirkte er erfolgreich, nur allzu kurz. Er hat selbst so viele von den Eigenschaften eines grossen Schauspielers, dass er einen vortrefflichen Regisseur abgibt. Hatte er das Seine dazu beigetragen, die dänische Schauspielkunst aus Norwegen zu verdrängen, so that er dafür auch wieder das Seine, um eine norwegische National-Bühne zu gründen. Sehr schade ist es, dass ihm nicht vergönnt war, auf dieser Grundlage weiter zu bauen. Ungemein schade, um des norwegischen Theaters wie um seiner selbst willen. Seine Erfahrungen als Bühnenleiter sind ihm natürlicherweise als Schauspieldichter zu statten gekommen; doch hat er in dieser Eigenschaft nie das technisch Vollendete erreicht; vermuthlich weil zwischen ihm und dem Theater keine stete Wechselwirkung stattgefunden. Seine grosse, schöne Trilogie „Sigurd der Böse“ ist nicht für die Bühne bestimmt, wurde viele Jahre nur von den Meiningern gespielt und erst spät in Norwegen aufgeführt. Sie bietet manche Scene von mächtigem theatralischem Effect, wie z. B. die dem Königsmorde folgende, ist aber als Ganzes genommen, doch ein Lesedrama. Sein kräftiges und wildleidenschaftliches Jugendwerk „Hulda“ gewinnt durch die Aufführung wenig oder nichts. Doch haben zwei Schauspiele seiner ersten Periode einen durchschlagenden Bühnenerfolg gehabt: „Maria Stuart“ (1864) und „Die Neuvermählten“ (1865).

„Maria Stuart“ ist eine reiche, kraftvolle Arbeit, voll dramatischen Lebens, allein lärmend theatralisch wie ein Melodrama. Die Actschlüsse sind wahre Katastrophen. Die den zweiten und dritten Act schliessenden Scenen haben eine Gewalt und hinterlassen eine Spannung, die von ächt dramatischer Art ist; dagegen ist der Schluss des Stückes schwach, oder richtiger, es schliesst nicht. Alle Einzelheiten der Handlung, Rizzio's Ermordung, Darnley's Tod, Maria's Entführung durch Bothwell, verketten sich vorzüglich und treten als logische Consequenzen hervor. Ein jugendlich stürmischer Hauch durchweht das Ganze. Ich glaube, dass das Werk dem Dichter besonders desshalb so gut gelang, weil er sich auf dem schottischen Boden noch in norwegischer Atmosphäre befand. Bothwell sagt: „Seit der Stunde, wo mein Wille in die Begebenheiten Wurzel schlug, ist er als ein Baum mit blutrothem Stamm und starken Zweigen gewachsen. Das norwegische Vikinggeschlecht, von dem wir stammen, war auch ein solcher Willensbaum, der sich in den Felsen hinein mit seinen Wurzeln festbiss; unter dem Obdach dieses Baumes baut jetzt das Volk“. In dieser norwegisch-schottischen Welt fühlt sich der Dichter vollständig zu Hause und die Charaktere, die er schafft, haben ohne Bruch mit der Localfarbe Züge, welche sie den Gestalten aus dem norwegischen Mittelalter, die er zu schildern gewohnt war, nah' verwandt machen. Auch die Schilderung des Puritanimus glückte ihm. Zu dessen Zeiten zwar war eine entsprechende Erscheinung in Norwegen nicht zu finden, allein Björnson hatte Gelegenheit, Puritaner aus nächster Nähe zu studiren. Denn wurde das Christenthum auch offiziell vor neunhundert Jahren von Olaf Trygveson in Norwegen eingeführt, so geschah dies thatsächlich doch erst durch Hans Nilsen Hauge Anfangs des neunzehnten Jahrhunderts. Durch den Haugianismus und den Pietismus verstand Björnson John Knox. Ausser Knox gelangen ihm auch Bothwell und Darnley vorzüglich. Der erstere ist eine ächte Renaissance-Persönlichkeit, der andere in seiner knabenhaften Rachsucht und unwürdigen Demuth beinahe modern. Maria selbst ist nicht so vollständig gelungen. Man wird aus ihrem Wesen nicht recht klug. Sie ist als ein Geschöpf gedichtet, dessen geheimnissvoller Naturgrund sich in zwei entgegengesetzte Pole, als die ganze Schwäche und die ganze Stärke des Weiblichen offenbart. Ihr Schicksal hängt insofern von ihrem Wesen ab, als jene Schwäche ihre Macht über die Männer bedingt und jene Stärke unter den gegebenen Verhältnissen in einer so gewaltthätigen Zeit ganz ohnmächtig ist. Es ist jedoch allzuviel nordischer Idealismus in der Charakterzeichnung. Ich möchte nicht geradezu behaupten, dass Maria Stuart zu unsinnlich ist, wiewohl ich es glaube. Solch eine Sphinx an Sinnlichkeit, Grausamkeit und Kälte wie die Maria in Swinburne's „Chastelard“ war die historische Maria Stuart vielleicht nicht, gleichwohl ist Swinburne der Geschichte nicht wenig näher gekommen als Björnson. In Björnsons Maria ist nichts Dämonisches und wenig, das an die Zeit der Renaissance erinnert. Sie ist weniger durch das geschildert, was sie sagt oder thut, als durch begeisterte oder herabsetzende Erwähnung und durch die Wirkungen, die sie unmittelbar durch ihre Persönlichkeit ausübt, obwohl der Zuschauer nie recht begreift, durch welche Zaubermittel. Sie steht wie in einer Wolke adjectivischer Bestimmungen, welche die übrigen Persönlichkeiten des Stücks massenhaft gegen sie heranschleudern. „Maria Stuart“ entstammt einem Zeitraum in dem Entwicklungsgang Björnson's, wo er (vielleicht durch Kierkegaard beeinflusst) eine Neigung hatte, seine Charaktere psychologisch zu beschreiben, anstatt sie ihr Wesen ohne Commentar entfalten zu lassen. Alle Personen in diesem Drama sind Psychologen, studiren einander, erörtern ihr Naturell und experimentiren mit einander. Sogar der Page William Taylor kennt und beschreibt den seelischen Zustand Darnley's, wie ein Arzt eine Krankheit kennt und beschreibt, Murray und Darnley schildern sich selbst, Lethington schildert Bothwell und Murray, Maria fragt nach dem Schlüssel zu Rizzio's, Knox nach dem zu Darnley's Charakter, ja die Ermordung Rizzio's ist im Grunde ein psychologischer Versuch, den Darnley mit Maria macht, um sie durch Schrecken zurückzuerobern, da es ihm nicht gelingen will, sie durch Liebe zu gewinnen. Während aber alle Personen wie Psychologen denken, sprechen sie alle wie Dichter, und diese dichterische Shakespeare-artige Pracht der Diction, die insofern wahr ist, als die Menschen der Renaissancenzeit durchgängig dichterisch empfanden und sich einer blühend bilderreichen Sprache bedienten, erhöht den Reiz, den die Originalität der Hauptcharaktere dem Drama verleiht.

 

Das kleine Schauspiel „Die Neuvermählten“ behandelt ein überaus einfaches, aber ursprüngliches und allgemein gültiges, menschliches Grundverhältniss, die Loslösung der jungen Frau vom Elternhaus, den Zusammenstoss in der Seele des jungen Weibes zwischen der angeborenen und gewohnheitsmässigen Liebe zu den Eltern und der noch neuen und schwachen Liebe zum Gatten – eine Revolution oder Evolution, die mit der Naturnothwendigkeit und den Qualen einer geistigen Geburt vor sich geht. Unter gewöhnlichen, normalen Verhältnissen wird die Bedeutung dieses Bruchs nicht scharf hervortreten, weil er als etwas aufgefasst wird, das so sein muss, und häufig eher das Gepräge der Befreiung als der Losreissung hat.

Werden aber die Verhältnisse nur ein bischen weniger normal gedichtet, ist die Liebe der Eltern ungemein egoistisch oder zärtlich, und ist die Gattenliebe des guten und gehorsamen Kindes weit weniger entwickelt als das anerzogene Pietätsgefühl gegen Vater und Mutter, so liegt hier eine Aufgabe, ein dramatischer Zusammenstoss, und ein Kampf mit ungewissem Ausgang vor. Die Idee ist, wie man sieht vortrefflich, allgemein menschlich wie sie ist.

Gegen die Ausführung lassen sich verschiedene Einwendungen erheben, unter denen die folgende die wichtigste ist: Wie kann Axel, wenn er schon durch eine Kraftanstrengung Laura von dem Elternhaus losreisst, schwach und dumm genug sein, um das Elternhaus in der Gestalt Mathildens Laura auf der Reise begleiten zu lassen. Ohne sie würde ja alles viel leichter und glatter gegangen sein. Es heisst zwar am Schluss des Stücks, ohne sie hätten die zwei sich nie gefunden; das ist aber wenig einleuchtend und jedenfalls unglücklich. Die eigentliche, dichterische Aufgabe würde eben gewesen sein, zu zeigen, wie die Beiden ohne fremde Hülfe wahre Eheleute wurden; es ist ein schlechter Ausweg, eine dea ex machina einen anonymen Roman schreiben zu lassen, der durch die Behandlung ihrer Lage sie erschrickt und sie einander in die Arme treibt. Ich sehe hierin ein Merkmal der Epoche, in der diese kleine Dichtung entstand. Die Kierkegaard'schen Ideen lagen in der Luft. Die Methode der Naturwissenschaften (Beobachtung und Versuch) auf den Verkehr zwischen Mensch und Mensch angelegt, das psychologische Experiment, das bei Kierkegaard eine so grosse Rolle spielt und das schon in „Maria Stuart“ sich so breit machte, ist in den „Neuvermählten“ von der Hausfreundin Mathilde vertreten. Doch die ganze Weise, wie Liebe und Leidenschaft hier behandelt werden, ist für jene Periode in dem geistigen Leben Björnson's und der norwegisch-dänischen Litteratur überhaupt eigenthümlich. Man interessirte sich damals im Norden sehr wenig für Neigung oder Leidenschaft an und für sich, man studirte und schilderte die Gefühle in ihrem Verhältniss zur Moral und Religion. Man betrachtete die Darstellung der Liebe vor und ausserhalb der Ehe als trivial oder frivol, und forderte von dem Dichter die Poesie der ehelichen Liebe, die Kierkegaard in „Entweder – Oder“ als die weit höhere gepriesen hatte. Bei dem Streben des Dichters, dem allgemein um sich greifenden moralischen Bedürfniss entgegenzukommen, geschah es zuweilen, dass die Leidenschaft, die aus der Taufe gehoben werden sollte, sich ihm unter den Händen verflüchtigte, wie der Zucker in den Pfoten des Waschbären verschwindet. Die Liebe, die in „Die Neuvermählten“ grossgezogen wird, ist ein so schwaches, saftloses Reis, dass sie der verschwenderischen Sorgfalt, mit der sie gehegt und gepflegt wird, kaum werth erscheint. Sie ist beständig als die Schuldigkeit der Frau gegen ihren Mann geschildert und wird ihr von allen Seiten als Aufgabe und Forderung vor Augen geführt. Sie ist keine frei und wild wachsende Pflanze; sie entfaltet sich im Treibhaus der Pflicht, von der Zärtlichkeit Axel's umhegt, von der Eifersucht, der Unruhe, der Furcht vor dem Verlieren, mit welcher Mathilde das Treibhaus heizt, künstlich in die Höhe getrieben. Es heisst in einem kleinen französischen Volkslied:

 
Ah! si l'amour prenait racine,
J'en planterais dans mon jardin,
J'en planterais, j'en semerais
Aux quatre coins,
J'en donnerais aux amoureux
Qui n'en ont point.
 

Diese Verse sind mir eingefallen, so oft ich „Die Neuvermählten“ sah oder las. Doch der Fehler liegt vielleicht an meiner Einseitigkeit; ich liebe den schönen, grossen Eros, ich mag nicht sehen, wie man kleine bleiche Eroten mit der Flasche mühsam ernährt. Das Publikum hat meine Ansicht nicht getheilt, denn wenige Schauspiele haben einen solchen Bühnenerfolg gehabt und in Buchform so viele Auflagen erlebt.

V

Ein speculativer dänischer Buchhändler gab in den Sechziger Jahren einen Kalender heraus, für welchen er sich von den anerkannten Dichtern kleine Vignet-Gedichte ausbat, Jeder sollte sich einen Monat auswählen. Als der Mann an Björnson kam, schrieb dieser:

 
Ich wähl' mir den April,
Wo Altes bricht zusammen,
Und Neues Wurzeln, feste,
Bekommt, bei Krach und Flammen,
Nicht Frieden ist das Beste,
Nein – dass man etwas will!
 

Eine Selbstcharakteristik seines Auftretens in jener ersten Periode war hier gegeben. Ein heftiger Drang nach allen Richtungen hin als Erneuerer aufzutreten, beseelte ihn. Er ward dies auf manchem Felde, obwohl er sich nicht gerade immer so ganz klar bewusst war, was er eigentlich wollte. Auf wenigen Gebieten hat er so Eigenthümliches, Unvergessliches, Unvergängliches geleistet, als auf dem der Lyrik und dies, obwohl er durchaus kein correcter Versificator ist. Seine volksthümlichen Lieder sind von gediegener Echtheit. Seine vaterländischen Gedichte sind Nationalgesänge geworden, und seine wenigen altnordischen Schilderungen oder Monologe haben jenen Stil des alten Nordens getroffen, den Oehlenschläger und Tegnér nie erreichten. Man lese unter den Volksliedern die Ballade von Niels Finn. Es ist die einfache Erzählung von einem kleinen Jungen, der seine Schneeschuhe verliert und von den Mächten der Tiefe hinuntergezogen, in den Schnee versinkt. Lobedanz hat mit feinem Gefühl diese Ballade neben Goethes „Erlkönig“ gestellt. Sie ist kaum minder werthvoll, wenn auch ganz anderer Art, nicht pathetisch, sondern burlesk bei ihrer grauenvollen Stimmung. Sie hat eine Art Humor, wie er dem Pförtner in Shakespeares „Macbeth“ eigen, und eine machtvolle Phantasie waltet in dieser Bagatelle. Der scherzhafte Schluss, der an die Art und Weise erinnert, mit der Volks- und Kindermärchen traurige Katastrophen mittheilen, mildert den unheimlichen Eindruck der Begebenheit:

 
Zwei Schneeschuh schauten im Schneemeer umher,
Viel konnt' man nicht seh'n und es gab auch nichts mehr.
„Wo ist Niels?“ sprach es drunten.
 

Man braucht nur ein Paar Zeilen von Björnsons vaterländischen Gedichten genau zu studiren, um zu begreifen, wesshalb sie Nationalgesänge geworden sind. Ich wähle die Anfangszeilen des beim Volke beliebtesten. Sie lauten in der metrischen Uebersetzung von Lobedanz:

 
Ja, wir lieben diese Fluren,
Wie sie aus dem Meer
Steigen auf mit Wetterspuren!
Hütten rings umher!
 

Wort für Wort heisst es: „Ja wir lieben dies Land, wie es gefurcht, verwettert, mit den tausend Feuerherden aus dem Meer steigt“. Es ist unmöglich, genauer, genialer den Eindruck wiederzugeben, den die Küste Norwegens auf den Sohn des Landes macht, wenn er sich ihr von dem Meer aus nähert. Ein völlig makelloses, vollendetes Gedicht, von einer Gattung, die Björnson sonst wenig cultivirte, durchgehends streng componirt, mit festem, zusammengesetztem Strophenbau, ist das „Gruss der norwegischen Studenten an Welhaven“ betitelte. Es zeichnet sich besonders dadurch aus, dass die schwierige, sich dreimal wiederholende Strophe, bei jeder neuen Wiederkehr gleich frisch und melodiös ist. Man weiss, wie selten, besonders bei Naturdichtern, dies vorkommt. Bei Wergeland wird man vergebens dergleichen suchen.

Unter den grösseren, lyrischen Compositionen Björnson's ist unstreitig „Bergliot“ die merkwürdigste. Es ist dies die Klage einer Häuptlingsfrau um ihren meuchlings ermordeten Gemahl Einar Tambarskelve und ihren einzigen Sohn, der neben ihm erschlagen liegt. Wie schlicht ist hier die folgende Klage, wie fern liegt ihr der Tragödienstil:

 
Die grossen Stuben will ich sperren
Weg will ich das Gesinde geben,
Vieh und Pferde will ich verkaufen,
Ziehe fort und leb' für mich.
 

Weder Oehlenschläger noch Hertz hätten gewagt, ein heroisches Weib in den Ausbruch ihres Jammers den Verkauf von Kühen und Pferden einflechten zu lassen.

Ich kenne auch nichts, das in moderner Reproduction altnordischer Poesie den Eindruck auf mich gemacht hat, wie das refrainartige Wiederkehren der Worte, mit welchen Bergliot den Kutscher ihres Wagens anspricht, auf welchen sie die Leichen hat heben lassen:

 
 
Fahre langsam; denn so fuhr Einar immer
– und wir kommen früh genug nach Hause.
 

Die erste Zeile stellt mit merkwürdiger Einfachheit die ruhige und stolze Würde des erschlagenen Häuptlings dar; die zweite enthält in den wenigsten Worten die tiefe Bitterkeit des vereinsamten Lebens, das bevorsteht.