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Ausser dem Anstössigen und dem Burlesken im Stoffe gibt es noch ein Drittes, was Tegnér umgeht und vermeidet. Das ist die Schuld.

Es gehört zu dem poetischen System Tegnér's der scharf ausgesprochenen Schuld, nicht weniger als dem ausgeprägt Hässlichen oder Barocken aus dem Wege zu gehen. Sein Held ist zu grundgut, um sich zum Aeussersten von Leidenschaft, Zorn, Rachsucht oder Wildheit hinreissen zu lassen. Er macht einen Anlauf und beherrscht sich gleich wieder. Er rächt sich nicht, wie in der Sage, für die Kränkung, welche ihm die Könige zugefügt haben; er bohrt nicht bei seiner Heimkehr ihre Schiffe an, um sie für das ihm angethane Unrecht zu strafen; sein Waffenbruder versenkt viel später die Schiffe, um Frithiof's Flucht zu erleichtern. Wir sahen ferner, dass Frithiof in seinem Verhältniss zu Ingeborg bei Tegnér keine wirkliche Entweihung begeht. Aber am schlagendsten offenbart sich doch die Sorgfalt des Dichters, nicht bis zur tiefen Schuld zu gehen, wo das Verhältniss Frithiof's zum Tempelbrand geschildert wird. In der Sage zeigt Frithiof immer gegen Balder Uebermuth. Er erklärt, weniger nach Balder's, als nach Ingeborg's Gunst zu fragen. Als die Rückkehr der Könige ihn zwingt, mit den nächtlichen Gastereien im Baldershage aufzuhören, sagt er mit einer gewissen Ironie über Balder zu Ingeborg: „Wohl und lieblich habt ihr uns aufgenommen und bewirthet, und der Bauer Balder hat sich gegen uns nicht ereifert“. Und endlich wirft er, als durch seine Unachtsamkeit Feuer im Baldertempel entstanden ist, in seiner Vernichtungswuth Feuerbrände in die Dachlatten. Bei Tegnér ist dieses ganz anders: Frithiof's Gesinnung Balder gegenüber ist fromm; er kniet an Ingeborg's Seite vor ihm nieder und befiehlt ihre gegenseitige Liebe seinem Schutz; er macht energische Versuche den Tempelbrand zu löschen, und als es dennoch misslingt, geht er traurig und weinend fort.

So verwandelt ist der ganze Charakter menschlicher und edler, aber unleugbar weniger primitiv, und es konnte nicht anders sein, als dass durch diesen idealisirenden und modernisirenden Process ein gewisser Streit entstand zwischen dem Charakter, wie er vom Dichter dargestellt wurde und mehreren der thatkräftigen Züge, die ihm von der Sage beigelegt waren und die unverändert in's Gedicht übergingen. Während der Vollendung des Werkes konnte der Dichter dann manchmal nicht unterlassen, sich selbst zu fragen, ob es denn überhaupt sich lohne, einen alterthümlichen Stoff zu behandeln, wenn das Antiquarische und das Poetische sich nicht ohne unaufhörliche und unnütze Compromisse vereinigen liessen? Seine Briefe sind voll von Zeugnissen dieser Zweifel; als das Werk nach einem Kampf mit dem Stoffe, der volle fünf Jahre dauert, endlich fertig vorliegt, beurtheilt er „Frithiof“ auf's strengste; er erinnert die Bewunderer des Gedichts daran, dass die Poesie „wachsendes Obst nicht Eingemachtes“ sein solle; seine Briefe variiren das Thema, dass „Frithiof“ zu viel Sage sei, um ein modernes Gedicht zu sein und in zu hohem Grade moderne Poesie für eine altnordische Sage; sie sprechen es aus, dass alle Poesie modern sein müsse „im selben Sinn, wie die Blumen es im Frühling sind“, und verurtheilen all' das Archäologische im Gedichte als neuerbaute Ruinen. Trotzdem hat die allgemeine kritische Stimmung sich gewiss nicht geirrt, wenn sie eher an den allzu modernen als an den allzu alterthümlichen Elementen des Gedichts Anstoss nahm. Ein strenger Stilist hätte nicht Frithiof in seinem „Vikingerbalk“ die Anwesenheit der Weiber an Bord verbieten lassen mit einem sentimentalen Wortspiel wie diesem:

Denn das Grübchen der Wang' ist die falscheste Grub', und ein Netz ist die fliegende Lock'.

Tegnér selbst parallelisirt seine Arbeit mit Werken wie Goethe's „Iphigenia“ und Walter Scott's „The lady of the lake“. Die letztere Parallele hat mehr Wahrheit als die erstere, obwohl Tegnér selbst sagt, dass „der schottische Particularismus bei Scott, wie der jüdische im alten Testament, alles beschränkt und niederdrückt, was sonst bei ihm sich freier und höher erheben könnte“. Tegnér befindet sich auf einer litterarhistorischen Station, die halbwegs zwischen den zwei Punkten, Walter Scott und Byron, liegt. Ein halbes Jahrhundert seines Lebens fällt mit den Lebzeiten Goethe's zusammen und er erlebte Byron ganz. Von dem ersteren, den zu verstehen ihm schwer wurde, lernte er wenig; am empfänglichsten zeigte er sich dem Goetheschen Einfluss, wenn derselbe ihm durch Oehlenschläger zukam; für Byron'sche Eindrücke hatte er ein offeneres Gemüth, hielt sich jedoch tapfer von jeglicher Ansteckung frei, was ihm in hohem Grad durch die romantisch-idealistische Vaccine, die ihm früh eingeimpft worden, erleichtert ward. Er war als Dichter zu erfüllt von seinem Ich, um das Unpersönliche in der schöpferischen Begabung Goethe's zu verstehen, andererseits war sein Ich nicht tief genug, um Byron auf seinen Entdeckungsreisen innerhalb des Ichs zu folgen. Er ist wie Scott und Oehlenschläger national, genau an sein Land, sein Volk und dessen heroische Vorzeit gebunden; aber es liegt in seinem Wesen eine Tendenz zum ausgeprägt Persönlichen; er nähert sich dem Byronschen Typus in einer gewissen Entfernung.

Sobald im Jahre 1820 der 16. bis 19. Gesang von „Frithiof“ erschienen waren, ging eine Stimme der Bewunderung durch Schweden. Selbst die Romantiker streckten gerührt die Hand zur Versöhnung aus. Noch bevor das ganze Werk (1825) fertig vorlag, hatte sich Tegnér's Ruhm in die Nachbarländer verbreitet, namentlich nach Deutschland, wo Tegnér's erste Uebersetzerin, die als Goethe's Freundin bekannte Frau Amalia v. Helvig, den alten Dichter mit Fragmenten von Frithiof bekannt gemacht und ihn dafür gewonnen hatte. Er leitete die Aufmerksamkeit der Deutschen darauf hin, und obwohl das, was er in seinem zopfigen Altersstil über Tegnér geschrieben hat, kaum ein Dutzend Zeilen ausmacht, begreift man, zu welcher Begebenheit eine Anerkennung von Goethe's Seite in einem kleinen Lande wie Schweden heranwuchs. Goethe's Worte lauten: „Wie vorzüglich diese Gedichte seien, dürfen wir unsern, mit dem Norden befreundeten, Lesern nicht erst umständlich vorrechnen. Möge der Verfasser aufs eiligste das ganze Werk vollenden und die werthe Uebersetzerin auch in ihrer Arbeit sich gefallen, damit wir dieses See-Epos in gleichem Sinn und Ton vollständig erhalten. Nur das Wenige fügen wir hinzu, dass die alte, kräftige gigantisch-barbarische Dichtart, ohne dass wir recht wissen wie es zugeht, uns auf eine neue sinnigzarte Weise und doch unentstellt, höchst angenehm entgegen kommt“. Noch heute werden die Schweden nicht müde, davon zu sprechen. Die Bewunderung für Tegnér stieg in seinem Vaterland mit der steigenden Popularität des Gedichts, ja stieg nach seinem Tode so stark, dass sie ungefähr alle Kritik ertränkte und zuletzt in solchen Uebertreibungen gipfelte, wie derjenigen Mellin's, Tegnér als „grössten Dichter der germanischen Menschenrace“ zu proclamiren. Die Huldigung des Mannes aber ist und bleibt die beste, die zugleich eine Huldigung der Wahrheit ist.

X

 
Ich stand auf meines Lebens kühnsten Höhen,
Wo sich die Wasserzüge theilen, wo
Nach beiden Seiten ihre Ströme gehen.
Dort war es schön, die Welt so reich und froh,
 
 
Da stieg ein finstrer Dämon auf, und schnöde
Biss mir am Herzen sich der Schwarze ein.
Und siehe, wüst war Alles nun und öde;
Der Mond erlosch, es schwand der Sterne Schein.
Von meinem Eden wich die Morgenröthe,
Die Blume starb, es welkte jeder Hain,
Des Lebens Mark verdorrte mir im Herzen,
Und Muth und Freude kehrten sich in Schmerzen.
 

Noch während Tegnér beschäftigt war, die letzte Hand an seinen „Frithiof“ zu legen, brachen die Furien, die an seiner Schwelle gekauert hatten, hinein, schüttelten vor seinen Augen ihre Schlangenlocken und griffen nach ihm mit ihren mageren. Armen Es waren die Furien der Krankheit, der Leidenschaft, des Lebensüberdrusses und des beginnenden Wahnsinnes, und sie gaben einander die Hand und tanzten um ihn einen Reigen.

Das Jahr 1825, dasselbe, in welchem „Frithiof“ erschien und durch alle Winde seinen Ruhm verkündete, ward das grosse Jahr der Krisis in seinem Leben. Sowohl körperlich wie geistig war die Krise; sie hat gewiss eine rein physische Seite; aber selbst davon abgesehen, dass diese auch einem Arzte dunkel sein würde, ist es doch nur die seelische, die der Kritiker studiren kann, und diese scheint ausserdem unzweifelhaft die erste Ursache gewesen zu sein. Diese seelische Katastrophe ist indessen fast ebenso dunkel, wie die körperliche. Sie ist besonders deshalb bisher unbeachtet gewesen, weil die Ausgaben der Tegnér'schen Poesien von seinen überlebenden Verwandten in usum delphini gemacht sind. Die Periodeneintheilung ist völlig verwirrend, die Gedichte sind sparsam datirt, ja, wie ich entdeckt habe, sind mehrere Liebesgedichte gegen fünfundzwanzig Jahre vordatirt worden, um bei dem Leser den Glauben hervorzubringen, sie wären an Tegnér's Frau als seine Braut gerichtet. „Die Melancholie“, das Gedicht, von welchem eben anderthalb Strophen angeführt wurden, ist noch in der letzten Ausgabe undatirt zwischen einem Gedicht von 1812 und einem anderen von 1813 eingeschoben worden. Es lässt sich durch Tegnér's Briefe beweisen, dass es aus 1825 stammt.

Dieses Jahr beginnt für Tegnér mit heftiger Krankheit; am Neujahrstag selbst wird er so krank, dass er glaubt, sterben zu müssen. Im März schreibt er, dass sein Gemüth mit jedem Tage düsterer wird. „Gott bewahre mich vor Melancholie und Menschenhass“, heisst es. Im Juli: „Blindheit kommt mir als das schrecklichste irdische Unglück vor – nächst einem, das ich selbst erfahren habe“. Alles, was ihn früher erfreute, ist ihm jetzt verhasst. Die Krankheit dauert als innere Unruhe, doch ohne eigentliche, körperliche Schmerzen, fort. „Meine Phantasie, die schon im voraus leicht beweglich war, ist jetzt wie ein Strudel, der alles, was er ergreift, umdreht und zermalmt“.

 

Die Aerzte glauben, dass seine Leber angegriffen sei. „Die Thoren! die Seele ist angegriffen und für sie gibt es kein anderes Heilmittel, als das, welches von der grossen Universalapotheke jenseits des Grabes geholt wird“. Er erklärt, seinen Freunden nicht die Ursache seiner Leiden mittheilen zu können. Im November fängt die Heftigkeit an, einer gewissen Ruhe zu weichen. Er macht, heisst es, täglich gute Fortschritte in der Gleichgiltigkeit, in welcher das Glück und die Weisheit des Lebens bestehe. Die Bestimmung des Weisen sei, immer mehr Schildkröte zu werden. So lange er einen einzigen entblössten Gefühlsnerv habe, sei sein Wesen das Eigenthum der Qualen. Er fühlt „wie ein Bodensatz von Verachtung des zweibeinigen Geschlechts sich am Boden seines Herzens absetze“. „Ach“, ruft er aus, „das rechte innere Leid, das starke Seelen angreift, ernährt sich selbst, wie der Krieg, wenn er richtig organisirt ist, oder wie ein wildes Thier, wenn es ausgewachsen ist, es thut“. An seinem Geburtstage, dem 13. November, versinkt er in die tiefste Melancholie: man solle wie die Aegypter den Todestag feiern. Was ihn besonders verstimmt, ist, dass dieser Geburtstag der letzte sei, den er in Lund verbringe, wo er 26 Jahre verbracht habe; er solle jetzt zum Bischof ernannt, mit Fremden, die ihn nicht verstehen werden, verkehren; er werde als Bischof ein desorganisirtes Stift bekommen und werde als Despot verschrieen werden. In früherer Zeit sei ihm dies gleichgiltig gewesen; damals kümmerte er sich nicht um den Mob; jetzt sei er aber nervenschwach, hypochonder und verstimmt und beginne die Menschenfurcht zu verstehen. „Und doch ist dies nicht meine einzige, nicht einmal meine grösste Sorge. Doch die Nacht schweigt und das Grab ist stumm; ihrer Schwester, der Trauer, gebührt's ebenso zu schweigen“. Als er endlich, am letzten Tage des Jahres die Bilanz zieht von dem, was er darin gelernt und gewonnen hat, schreibt er: „Ach! das alte Jahr, was ich in ihm gelitten habe, weiss Niemand, wenn nicht vielleicht der Protokollist dort oben über den Wolken. Aber ich bin dem Jahre verpflichtet. Es ist finsterer, aber auch ernster gewesen als all' die andern zusammen. Ich habe auf eigene Kosten gelernt, was ein Menschenherz aushalten kann ohne zu brechen, und welche Kraft Gott unter die linke Brustwarze eines Mannes niedergelegt hat. Wie schon gesagt, ich bin dem Jahre verpflichtet; denn es hat mich reich gemacht an dem, was die Grundsumme menschlicher Weisheit und Selbständigkeit ist, einer kräftigen, tief wurzelnden Menschenverachtung“. Die Reizbarkeit des Nervensystems lässt ihm keine Ruhe weder am Tage noch in der Nacht: „Mein Gemüth ist unchristlich, denn es hat keinen Sabbath … Mineralwasser kann ich in dem kommenden Sommer nicht trinken. Aber gibt es nicht ein Mineralwasser, das ‚Lethe‘ heisst?“

Was ist geschehen? Dass körperliches Leiden und Kränklichkeit selbst in sehr hohem Grade sich hier finden, ist unzweifelhaft. Esaias Tegnér hatte einen älteren Bruder, Johannes, gehabt, der geisteskrank war und neununddreissig Jahre alt im Wahnsinn starb; der jüngere Bruder brütete immer über dem Gedanken, dass der Wahnsinn ein Familienerbe sei. Thomander, der spätere Bischof, der im März 1825 Tegnér besuchte, schreibt über ihn: „Er hat jetzt mehr dunkle Stunden als vorher; manch' Einer, aber Niemand so sehr wie er selbst, fürchtet für seinen Verstand; es ist seine fixe Idee, dass er geisteskrank werden wird, weil sein Bruder und andere Verwandten es geworden sind“. Niemand kann aber in Zweifel sein, dass die Melancholie, die sich so plötzlich über Tegnér's heiteres und frisches Gemüth warf, andere Ursachen als Krankheit hatte; allzuviele Aeusserungen deuten auf ein bestimmtes, concretes Factum hin, zwar ein Factum, das er nicht mittheilen will, aber dessen Beschaffenheit er doch bezeichnet. Es ist „das Herz“, das getroffen worden. Es ist Menschenverachtung, die ihn überwältigt hat. Es ist Verachtung vor „dem Charakter“ eines anderen Menschen, welche die erste Ursache seines Lebensüberdrusses ist, und dieser Mensch ist ihm lieb oder „lieb gewesen“. Man braucht nicht Tegnér tief studirt zu haben, um zu schliessen, dass hinter diesem eine Frau steht, und dass alle jene Ausbrüche sich auf eine unglückliche oder unbefriedigte erotische Leidenschaft oder auf eine erotische Enttäuschung zurückführen lassen.

Unter den Briefen des Bischofs Thomander finde ich einen von 1827, worin erzählt wird, dass Tegnér, als er noch in Lund war, für die schöne Frau eines seiner Freunde warme Gefühle hegte. Von deren Clavier ging er nie fort, wenn sie sang. „Holde Rose!“ von Atterbom war sein Lieblingsstück. Thomander schreibt, er habe in einem Hause, in welchem er mit Tegnér zusammentraf, die ältere Tochter gewarnt, „Holde Rose!“ zu singen, weil er wusste, „dass dann der böse Geist über Saul käme“; durch ein Missverständniss sei aber das Verbotene geschehen, und von dem Augenblick ab sei die gute Stimmung Tegnér's auf ganze Tage verschwunden41. In einem Briefe Tegnér's vom Mai 1826 heisst er in Uebereinstimmung hiermit: „Gesang zu hören, daran hatte ich mich besonders in den letzten Jahren in Lund gewöhnt, wo ich täglich Gelegenheit hatte, eine Frauenstimme zu hören, die noch immer in meinem Herzen widerhallt“. An die Dame, von welcher hier die Rede ist, hatte Tegnér schon 1816 für seinen Freund eine Art versificirten Freierbrief geschrieben, in welchem ihre Schönheit, ihre Herzensgüte und ihr Gesang verherrlicht wird. Er spricht hier von der Gefahr, in ihre Augen zu sehen. Es scheint, dass, was damals im Scherz eine Gefahr genannt wurde, mehrere Jahre später eine wirkliche Gefahr für Tegnér geworden ist. Es scheint, dass seine Bewunderung für das Wesen und die Talente der schönen Dame langsam zur Leidenschaft gestiegen, und dass diese Leidenschaft erwiedert worden ist. Die locale Tradition weiss über dieses Verhältniss, welches überdies sein häusliches Glück nicht unberührt gelassen haben kann, nicht wenig zu erzählen. Es hat ihm jedenfalls die Trennung von Lund sehr erschwert. Noch lebende Zeitgenossen Tegnér's haben mir ausserdem eine Begebenheit mitgetheilt, die zu seiner Menschenverachtung, besonders seiner Verachtung des Weibes einen wesentlichen Beweggrund abgab. Er hatte lange einer vornehmen und begabten schwedischen Dame gehuldigt, deren Name oft in seinen Schriften vorkommt. 1824 hörten der Verkehr und der Briefwechsel plötzlich auf. Das einzige Lebenszeichen, das Tegnér ihr gegenüber gab, war, dass er ihr „Frithiof“ schickte, jedoch mit einer so vorwurfsvollen Zueignung, dass sie das Blatt aus dem Buche ausschnitt. Es scheint, als habe Tegnér erfahren, dass diese Dame, die er so hoch schätzte und der er so nahe stand, sich einem völlig rohen und ungeschlachten Menschen hingegeben hatte. War er so empört, thierische Leidenschaft dort zu treffen, wo er die Krone der weiblichen Bildung und Schönheit verehrt hatte, dass in seinem krankhaften Zustand diese Entrüstung über ein einzelnes Wesen zum allgemeinen Ekel an den Frauen und am Leben heranwuchs? Ich kann die Frage nicht entscheiden. Ich sehe nur, dass die bittere Schwermuth in das vormals so gute Schiff seines Schicksals das Loch bohrte, durch welches die schwarzen Gewässer der Misanthropie und des Wahnsinnes hineinströmten und Alles überspülten. Während des Schiffbruches schrieb er dann die melancholischen Verse:

 
Dich, mein Geschlecht, fürwahr, dich muss ich preisen.
Dich, Gottes Abbild, strebend himmelan.
Zwei Lügen hast du dennoch aufzuweisen:
Weib heisst die eine, und die andre Mann.
 
 
Von Treu' und Ehre singen alte Weisen,
Am besten singt sie, wer betrügen kann.
Du Himmelskind, das Wahre, was dir eigen,
Das ist auf deiner Stirn das Kainszeichen.
 
 
Ein deutlich Merkmal, dir von Gott gegeben!
Wie hatt' ich früher auf das Schild nicht Acht!
Ein Moderduft durchzieht das Erdenleben,
Den Lenz vergiftend und des Sommers Pracht.
Nur aus der Gruft kann dieser Hauch sich heben,
Zwar an den Gräbern hält der Marmor Wacht —
Doch ach! Verwesung heisst des Lebens Seele,
Durch keine Macht gebannt in ihre Höhle.
 

Die Missstimmung, in welche Tegnér's Seele in der letzten Zeit, während „Frithiof“ in Arbeit war, verfiel, hat selbst in diesem heiteren und harmonischen Gedichte Spuren hinterlassen. Einer der zuletzt verfassten Abschnitte ist der, welcher den Titel „Frithiof's Rückkehr“ führt. Sein Inhalt ist ausnahmsweise der altnordischen Sage nicht nachgebildet: Frithiof kehrt heim, erfährt, dass Ingeborg sich zur Hochzeit mit König Ring habe überreden lassen und erschöpft sich in seiner ersten Erbitterung in einem Strom von Zorn über die Treulosigkeit der Geliebten. Kein kritischer Leser kann übersehen, wie nahe dieser Ausbruch mit den obenangeführten Strophen der „Melancholie“ verwandt ist:

 
„O Weiber, Weiber“, nun Frithiof sagte,
„Das Erste, welches bei Loke tagte,
War eine Lüg', und in Weibsgestalt
Trat hin die Falsche zum Mann alsbald.
Mit blauen Augen, die stets berücken,
Mit falschen Thränen, die stets entzücken,
Die Wangen rosig, der Busen weiss,
Mit Treue schwindend wie Frühlingseis.
Es flüstern Falschheit und Trug im Herzen,
Meineide stets auf den Lippen scherzen,
Und theuer war mir die Falsche doch!
Wie theuer war sie! wie ist sie's noch!
 
 
In Menschenbrust ist die Falschheit nur —
Seit Ingborg's Stimme den Meineid schwur,
 
 
Ich treff' auch wohl in der Streiter Schwarm
Ein Bürschchen an mit verliebtem Harm;
Auf Treu' und Ehr' will der Narr noch bauen?
Aus Mitleid will ich ihn niederhauen;
Ich will ihm sparen, dereinst zu stehn
Beschimpft, verrathen, wie mir geschehn.“
 

Wir gewahren hier in Frithiof's Innerem denselben geistigen Process, welchen wir eben im Gemüthe Tegnér's beobachteten. Er verurtheilt nicht das einzelne Weib allein für ihre Untreue gegen ihn, sondern dehnt sein Verdammungsurtheil auf das ganze Geschlecht aus. „Das Weib ist eine Lüge,“ sagt er wie der Dichter in der „Melancholie“. Ein Narr ist der, welcher auf „Treu' und Ehre“ baut, das sind seine Worte hier wie dort. Die einzelne bittere Erfahrung dehnt sich bei Frithiof wie bei seinem Dichter aus zur Menschenverachtung und zum Lebensüberdruss. Kein Wunder, da sie noch näher als Vater und Sohn mit einander verwandt waren.

Von jetzt ab ist das Capitel von der Treulosigkeit des Weibes als Weib das stehende Capitel bei Tegnér. Seine Briefe variiren dieses Thema. Es ist ihm z. B. unmöglich eine gute oder schlechte Uebersetzung zu nennen ohne entweder zu bemerken, dass schöne Uebersetzungen wie schöne Frauen nicht immer die treuesten, oder dass Treue und Schönheit selten gute Freunde seien. Er kann nicht von dem Geschenk einer Frau sprechen ohne ihr Herz die schlimmste, die gefährlichste Gabe zu nennen, die sie geben könne. Die Frauen im allgemeinen betrachtet er jetzt wie eine Art „Geselligkeitsmaschinen oder Spieldosen, die recht artig klingen, wenn sie gehörig aufgezogen werden“. Was die Liebe betrifft, so sei sie eine solche Selbstmörderin, dass sie, sobald sie nicht vergeblich seufze, durch sich selber sterbe. Ueber Ingeborg schreibt er: „Ihre Treulosigkeit gegen ihren Liebhaber ist zwar schon durch die Natur des weiblichen Herzens motivirt, musste aber doch von einem Poeten, der sich gegen das schöne Geschlecht gern artig benimmt, auf irgend eine Weise vergoldet werden“. Ja so hartnäckig wurde nach und nach bei Tegnér diese Gewohnheit, das Weib als unzuverlässig und unstet zu schildern, dass er noch viele Jahre später, wenn er als Bischof seine Schulreden hielt, ausser Stande war, die Schuljungen mit seiner Theorie zu verschonen. In einer Rede von 1839 preist er die Knaben glücklich wegen des Reichthums an Hoffnungen, der ihrer Jugend gehört. Dann heisst es: „Die Hoffnung ist in allen mir bekannten Sprachen weiblichen Geschlechts und verleugnet auch nicht ihr Geschlecht. Es ist wahr, dass sie betrügt … aber glaubt gern, glaubt lange an die schöne Betrügerin und drückt sie an Euer Herz“. Tegnér muss unleugbar von seiner Bitterkeit gegen die Frauen sehr erfüllt gewesen sein, um ihr bei einer so wenig schicklichen Gelegenheit, einem so wenig passenden Publikum gegenüber, Luft zu machen. Aber nicht diese einzelne leidenschaftliche Verstimmung allein kann von der Krise im Leben des Dichters datirt werden; von diesem Zeitpunkt ab beginnt überhaupt ein heftigerer, leidenschaftlicherer Ton in seinen Briefen und Poesien hervorzutreten. Es findet sich eine Shakespeareartig tragische Leidenschaft darin. Die Welt ist aus den Fugen, und wie soll sie durch Hamlet's Arm wieder in's Geleise gebracht werden können! Auf Ophelia verlässt er sich nicht mehr, sie gehe in ein Nonnenkloster, wenn sie sich rein bewahren will. Denn Schwachheit, dein Name ist Weib! Was ist das Leben? „Galgenfrist“. Und was ist die Weltgeschichte? „Hundetanz“. Ein widerliches Komödienspiel ist alles, was Hamlet rings um sich sieht und die Welt „eine gemalte Theaterdecoration mit papiernen Rosen und Opersonnenschein“. Er könnte wahnsinnig darüber werden, und er wird möglicherweise zuletzt darüber wahnsinnig; aber erst soll die Lüge und Jämmerlichkeit des Lebens ohne Gnade und ohne Schonung entlarvt werden.

 

Es liegt eine wilde Rücksichtslosigkeit über Tegnér's Briefen von 1825, die nie früher bei ihm gespürt wurde. Man frage ihn z. B. nach seinen Berufsgenossen, den Theologen? Sie sind „Hesekiel's Cherube mit Ochsenköpfen, doch ohne Flügel“. Und die Bischöfe? „Geborene oder gewordene Hinfällige“. Und der Apostel Paulus selbst? „Griechische Sophistik auf jüdische Rohheit geimpft“. Was sagt er über das Königthum? „Die Macht ist ebenso lächerlich wie abscheulich, wenn sie in die Hände der Trivialität, der Hilfslosigkeit, der Dummheit fällt – siehe den Staatskalender über Europa“. Und über die Vorsehung? „Die Vorsehung ist ein Begriff ohne jeglichen Halt. Ich weiss recht wohl, was Lessing und die anderen Deutschen behauptet haben, dass die Weltgeschichte das Staatsrathsprotokoll der Vorsehung sei; das ist ein hübsches Gedicht und ich könnte es wohl auch in Versen ausführen; aber nicht glaub' ich in Ernst daran“.

Mir ist es, als ob ich unter allen diesen verzweifelten Reden über Menschenwerth und Weibertreue, über Könige und Bischöfe, Christenthum und Geschichte einen Unterstrom rieseln hörte von dem ergreifenden Klagegesang der „Melancholie“:

 
Du, Wächter, sprich: Wie spät ist denn die Stunde?
Wird diese Nacht denn nie zu Ende gehn?
Es weicht und kehrt der Mond mit blut'ger Wunde,
Thränenden Aug's die Sterne niedersehn.
 
 
Wie mit der alten Jugendkraft im Bunde
Schlägt stark mein Puls und spottet meinem Flehn.
Wie unermesslich jedes Pulsschlags Schmerzen!
Weh meinem blutigen, zerrissnen Herzen!
 
41„Holde Rose!“ ein glühendes Liebeslied, dreht sich um die Qual des Schmetterlings, in der Nacht von der Rose entfernt zu sein und nur bei Tage sie liebkosen zu dürfen.