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VI

Tegnér ist Docent an der Universität zu Lund, 22 Jahre alt, und er verbringt seine Sommerferien auf dem Gute Rämen bei der Familie Myhrmann, mit deren jüngster Tochter Anna er verlobt ist. Hierhin kommt eines Tages im September zum Besuch der gleichaltrige, später so berühmte Geschichtsschreiber und Dichter Erik Gustav Geijer; beladen mit der neuesten Weisheit des Tages und überströmend von jugendlichem Drang, sich mitzutheilen und Ideen zu erörtern, macht er einen Versuch nach dem anderen sich Tegnér zu nähern. Aber er kann nicht recht den gemeinsamen Boden finden. Der schlanke und blonde Schwiegersohn des Hauses ist unstät und voller Launen, ein verliebter Träumer, ein lachlustiger Spötter. Es glimmt in seinen Augen und es blitzt aus seinen Worten. Man kennt so wenig den Gang seiner Gedanken, wie den Weg des Sonnenstrahls durch das Laub. Die zwei jungen Leute gehen zusammen spazieren und discutiren unterwegs. Wir können sie sprechen hören. Der, welcher das Wort führt, ist Geijer:

„Was Tegnér wohl über die Volksbildung in dieser Gegend meine? ob er nicht auch glaube, dass alle sogenannte Volksaufklärung vom Uebel sei? Er, Geijer, sehe die ‚gesunde Vernunft‘ der Massen für das unglücklichste Blendwerk an, das zu verehren Jemanden einfallen könnte. Nur die Auserwählten der Menschheit hätten den höheren Sinn, der die Wissenschaft in ihrer Wahrheit aufzufassen vermöge. Ob das nicht auch die Meinung des Herrn Docenten sei?“

„Nein, das meine er nicht, das nenne er Mystik“.

„Mystik! was verstehe er unter Mystik“.

„Nun, sich auf den Rücken zu legen, ein Schläfchen zu machen und sich von der Kraft des Höchsten beschatten zu lassen“.

„Ernst gesprochen – nehme er keine intellectuelle Anschauung an?“

„Nein, er sei nicht für Deutschthümelei – desto mehr aber für Blaubeeren“; und gerade hier wuchsen einige ausgezeichnete, in deren Genuss er sich gründlich vertiefte. Er zweifle übrigens nicht, dass Geijer all' das besser verstehe, habe ihn auch immer ein Genie nennen hören, und dergleichen Leute könnten sich schon mit der Philosophie einlassen. Er dagegen, welcher von sich selbst wisse, dass nicht mehr Vernunft als er unumgänglich bedürfe, um durch die Welt zu kommen, in sein Loos gefallen sei, spiele nicht gern anders Blindekuh als mit jungen hübschen Mädchen, höchst ungern mit so gelehrten Herren wie Kant oder Schelling.

„Aber ohne Mysterium und ohne Mystik keine Religion“.

„Ob Geijer die Facultät in Lund anerkenne oder nicht? Diese ehrwürdige Pedantengesellschaft habe ihm, Tegnér, das wohlverdiente Zeugniss ausgestellt, dass er ein stilles und ‚gottesfürchtiges‘ Leben geführt, etwas, das in diesen letzten Zeiten selten genug sei. Was dagegen das zur Seligkeit so höchst nothwendige Dogma von der Dreieinigkeit angehe, so liege das völlig über seinem intellectuellen Horizont“.

„Trotzdem lasse es sich doch sehr gut erklären. Es liege kein Widerspruch im Begriffe der Dreieinigkeit; denn der Gegensatz setze schon die Einheit voraus. Gott als das absolute Wesen werde nicht, sondern sei von Ewigkeit her, und sei doch im Werden begriffen, denn er schaffe Alles und sei in Allem. Dieser Widerspruch werde einfach dadurch aufgelöst, dass die, welche sich gegenseitig voraussetzen, in Wirklichkeit Eins seien; der Versöhner und der Vater seien, speculativ aufgefasst, Eins obwohl nicht Einer … sei das nicht jedem edelgeborenen Gemüthe klar?“

Tegnér, der ganz verloren im Anblick einer hüpfenden Bachstelze dastand, antwortete zerstreut, dass er angeborene Adelsprivilegien nicht anerkenne.

„In welchem Sinne nicht? Im Staate sei Geijer im höchsten Grade für erblichen Adel“.

„Und ich“, antwortete sein Gegner, den Mund voll Blaubeeren, „ich war von Kind auf ein Stück von einem Jacobiner“.

Das Wort hatte, wie schon angedeutet, eine weniger Schrecken einjagende Bedeutung in Schweden als in Frankreich, abgesehen davon, dass es in Tegnér's Mund halb Scherz war. Aber im Scherz lag der Ernst, dass er zu den aufrichtigen Freunden der Freiheit im Staatsleben und im Denken gehört, welche die Blutthaten der Revolution nicht eingeschüchtert hatten. Mit wirklichem Abscheu verspürte er am Anfang des Jahrhunderts den Einmarsch der politisch-religiösen Reaction in Schweden vom Süden her, und es war ein noch nicht einberufener Soldat vom Heere der Aufklärungscivilisation, der hier auf einen der ersten und am weitesten vorgeschobenen Vorposten des romantischen Feudalismus stiess.

Tegnér kam früh genug zur Welt, um (gleich all' den hervorragenden Männern Europa's, deren Jugend in das Ende des achtzehnten Jahrhunderts fällt) in's Leben hinauszusteuern, die Segel geschwellt von dem grossen kosmopolitischen Freiheitswind, der damals über die Erde ging. Seine früheste Lectüre waren natürlicherweise die Gustavianischen Classiker Schwedens, welche in philosophischer Hinsicht auf Locke, in allgemein litterarischer auf Voltaire fussten. Sowohl Kellgren wie Leopold waren Voltairianer, und beide waren politisch freisinnige Männer, die auch nicht bei Hofe ihre Ueberzeugung verleugneten. Sie hüteten sich, die religiösen Gefühle der Menge durch Spöttereien zu verletzen; aber sie bewahrten und verfochten mit Glanz die Traditionen des Jahrhunderts. Das satirische Gedicht „Die Feinde des Lichts“ von Kellgren war eine Fahne. In derselben Richtung wie die Poesien dieser Männer, nur mehr dichterisch befruchtend, hat Schiller auf den jungen Tegnér gewirkt. An der Grenze der Jünglingsjahre besingt er, wie Schiller, die Aufklärung in einem Gedichte über Rousseau, und schreibt reflectirende Verse über Gegenstände wie die Religion, die Cultur, die Toleranz, im Geiste der Zeit.

Weder Familienüberlieferung noch Erziehung leitete den Pfarrerssohn zur Opposition gegen den christlichen Dogmatismus. Er empfing wie all' seine aufgeweckten Altersgenossen schon fast als Knabe die kalte Douche Voltaire's. Sechzehn Jahre alt schreibt er: „Ich lese jetzt Voltaire; aber sehe nicht, wie ich auch nur das Wichtigste und Nothwendigste zu Ende lesen kann. Alles ist vortrefflich, und es ist schwierig, unter so vielem Schönen zu wählen“. Die meisten seiner Zeitgenossen liessen sich aber mit ähnlichen Voraussetzungen schnell vom veränderten Zeitgeiste zum äussersten religiösen Conservatismus führen. Dazu war Tegnér zu ehrlich und zu gross. Was ihn in religiöser Hinsicht dagegen sicherte, seine Selbständigkeit zu verlieren, war das kräftige, von ihm selbst so genannte heidnische Element seiner Natur, das durch den soliden Bau und die gediegene Festigkeit seines Wesens bedingt war. Von doppelter Art waren die Männer rings um ihn her, welche die Reaction gegen das achtzehnte Jahrhundert so stark mit sich fortriss, dass sie dadurch zur Orthodoxie und zum Feudalismus geführt wurden. Theils waren es Schriftsteller, deren Naturen darauf angelegt waren, in Stimmungen die mittelalterliche Gefühlsscala zu durchlaufen, das heisst: – mehr in der Phantasie als in Wirklichkeit – in Zerknirschung und Selbstverachtung zusammenzubrechen, um sich durch den übernatürlichen Beistand der Gnade zur Seligkeit zu erheben; diese zeichneten sich in der Poesie durch nervöse Ueberreizung in allen Formen aus: durch mystisch-platonische Andacht, schluchzende Melancholie, intensiv-sinnlichen Erotismus, abschreckenden Dünkel; sie bildeten die eigentlich romantische (in Schweden sogenannte „phosphoristische“) Phalanx; die angegebenen Merkmale sind in ungleichem Grade bei Atterbom, Stagnelius, Hammerskjöld u. s. w. hervortretend, finden sich aber bei Allen. Die zweite Classe von Männern hatte breitere Schultern und gesundere Seelen; es waren historische Schwärmer, welche das Nationalgefühl, die Liebe zum Glauben und zu den Institutionen der Vorzeit blind gemacht hatten für all das Berechtigte und Grosse in der Kritik des vorhergehenden Jahrhunderts – Geijer und der um ihn sich bildende gothische Bund in Upsala, an dessen nationale Bestrebungen Tegnér sich anschloss, ohne weder auf die religiösen noch auf die politischen Sympathien und Lehren des Bundes einzugehen.

Das Heidnische, das Tegnér in seiner Natur vorfand, sog aus seinen frühesten Studien doppelte Nahrung, erst aus dem Verhältniss zum nordischen Alterthum, dann aus der Beschäftigung mit der antiken Poesie. In einem Briefe von 1825 schreibt er: „Eine gewisse Seelenverwandtschaft mit unseren barbarischen Voreltern, welche keine Cultur ausmerzen kann, trieb mich immer zu ihren grotesken aber grossartigen Formen zurück“. Das, woran er mit dieser Seelenverwandtschaft dachte, war jener Eigenwille des alten Skandinaven, der sich bei ihm in herausforderndem Wesen verrieth, und jener bei den Alten hervortretende Hang zur Schwermuth, die sich bei ihm nicht in romantischem Lamentiren, sondern in der ernsten und bisweilen düsteren Grundstimmung offenbarte, die nach seinem vierzigsten Jahre so reichliche Nahrung fand, dass sie, zum Lebensüberdruss und zur Menschenverachtung ausgeartet, sich immer gewaltsamer äusserte. Er hat sich dichterische Symbole für dies Titantische in seinem Wesen, für riesenstarke Naturmacht, für innere Unruhe unter dem Drucke riesiger Schwere bald bei den Skandinaven, bald bei den Griechen gesucht, und die altnordische und altgriechische Mythologie sind dabei in seiner Phantasie in einander übergegangen. Der altnordische Riese spricht bei ihm ganz wie Goethe's Prometheus:

 
Ich hasse weisse Asen
Und Askur's Söhne,
Sich beugend vor den Göttern,
Die ich verachte.
 

und seine Klage „Die Asenzeit“ ist mit Schiller's „Die Götter Griechenlands“ so verwandt, dass der Dichter unzweifelhaft das Motiv aus diesem Gedichte entnommen haben muss:

 
Du hohe Zeit, noch stehst im Gedächtniss du
Als leerer Harnisch; wer füllt ihn noch heut zu Tage?
Die schlaffe Zeit tritt scheu und mit Angst hinzu,
Das Heldenleben im Norden ist nur noch Sage.
 
 
Schlaf ruhig, Vorzeit! Umsonst Iduna bringt
Dich noch an's Licht, wie aus Gräbern die rostige Wehre;
Ein ander Geschlecht zu anderen Göttern singt,
Des Sanges Sehne zerbrach mit der Thaten Speere.
 

Auch hier ist nordisches und griechisches Heidenthum in seiner Erinnerung zusammengeschmolzen.

 

In Wirklichkeit bekam das Heidnische in Tegnér's Wesen erst eine höhere Weihe, als er die althellenische Litteratur kennen lernte. Hier traf er eine vorchristliche Cultur, die nicht in trotzigem, persönlichem Kampfe, sondern in versöhnter Schönheit gipfelte. Er sah hier das Humane auf einmal dichterisch und religiös sich in sich selbst abrunden. Vom Gesichtspunkt dieser Schönheitswelt gesehen, gab jenes Uebernatürliche, gegen welches das vorige Jahrhundert so leidenschaftlich Krieg geführt hatte, nicht mehr dem Gemüthe Aergerniss, sondern fiel als überflüssig fort. Tegnér's Deismus sonderte sein polemisches Element aus und nahm eine hellenische Vernunfts- und Schönheitsanbetung in sich auf. Das rein Humane, das in der griechischen Poesie die Quelle der Schönheit gewesen, wurde ihm bald das wesentlich poetische Element überhaupt, und hierin liegt es, dass er sein Leben hindurch sich weigerte, die Erbauungspoesie als wahre Dichtung anzuerkennen. Dies zeigte sich bei zahlreichen Gelegenheiten, z. B. den Dichtungen des alten Franzén gegenüber. Ueber Franzén schreibt er 1823 an Brinkman: „Das Schöne ruht doch zuletzt auf dem Vernünftigen, wie das Gewölbe, wie hoch es sich auch erhebt, seine unsichtbaren Stützpunkte in den Tempelwänden hat. Aber die Tempelwände unseres lieben Franzén sind etwas zu sehr mit Crucifixen geschmückt, welche – den Eindruck verfinstern“. Ueber den „Columbus“ desselben Dichters schreibt er neun Jahre später, also als Bischof: „Wie nahe lag nicht eine frischere und kräftigere Romantik ohne Legenden und Bekehrungsversuche und Missionäre. Ich hasse, Gott verzeihe mir, den gottesfürchtigen Ton sowohl im Leben wie in der Poesie“, und mit einer verwandten Wendung, drückt er in seinen letzten Jahren (1840) denselben Gedanken bei Anlass eines Bändchens Gedichte aus: „die viele Gottesfurcht kommt mir armen Heiden immer ein bisschen krankhaft und trübe vor“. Desshalb protestirte er auch, ganz gegen die Gewohnheit geistlicher Männer, Adlersparre gegenüber leidenschaftlich dagegen, die unchristlichen Züge in den grossen modernen Geisteshelden, wie Goethe oder Byron, verwischen zu lassen. Die offene, grundehrliche Natur war gleich auf seiner Hut gegen den frommen Betrug.

Die Poesie an und für sich kam ihm als eine Macht religiöser Natur vor, oder genauer: er nennt die Poesie den höchsten, reinsten, menschlichsten Ausdruck der Menschheit und bezeichnet alles, was wir sonst als hoch und edel verehren, nur als Modifikationen der Poesie. Die Religion selbst ist ihm „eine praktische Poesie, ein auf den Baum des Lebens geimpfter Zweig des grossen Dichtungsstammes“. Mit anderen Worten lässt sich dies so ausdrücken, dass die Religion eine Poesie ist, woran geglaubt wird, dass also ihr dogmatischer Theil ein grosses metaphysisches Gedicht bildet, dessen Werth auf dem Werth der praktischen Lehren beruht, die man aus demselben herleiten kann – eine Folgerung, die Tegnér zwar nie ganz ohne Vorbehalt zieht, die man aber immer zwischen den Zeilen bei ihm herausliest.

Mit um so grösserer Rückhaltslosigkeit hat er seinen vorurtheilsfreien Humanismus in Aeusserungen der Sympathie für die rein menschliche Grösse und für jene heidnischen Tugenden, die von den Kirchenvätern als Laster verurtheilt wurden, zu Worte kommen lassen. An Geijer, der zwar nicht strikte orthodox, aber doch unbedingt offenbarungsgläubig war, schreibt er im Jahre 1821: „Was deine Ansicht betrifft, dass eine besondere Offenbarung, z. B. das Christenthum, für das menschliche Gemüth theoretisch nothwendig sein solle, so lässt sich darüber wohl ein Zweifel hegen … Es wird schwer zu erklären sein, wesshalb die höchste menschliche Entwickelung, die eigentlichen Jubeljahre des Geschlechts sowohl im Süden wie im Norden eintreffen, bevor der Name des Christenthums genannt ist. Lasst uns Gott für unsern reineren Glauben danken, aber vergessen wir nicht, dass das Adelsverzeichniss der Menschheit voll heidnischer Namen ist“. Wenn Tegnér einen Charakter recht verherrlichen wollte, so rastete er nicht, bis er ihm eine Seite abgewonnen hatte, von welcher derselbe griechisch oder römisch schien. Um dies unbewusste, rein instinktive Streben in's schärfste Licht zu stellen, wähle ich zwei Beispiele, wo er christliche Glaubenshelden als antike Grössen geschildert hat – um später zu dem Resultate zu kommen, dass er wegen vorausgefasster Symphatien sich in seinem Humanisiren geirrt habe. Er hatte, in seiner Reformationsrede, in Luther's Person alles verkörpert, was die damaligen Ritter der classischen Bildung, ein Ulrich von Hutten, ein Franz von Sickingen gewirkt und erkämpft hatten. Sieben Jahre später, als er durch seine amtliche Stellung zu nachdrücklicheren historisch-theologischen Studien gezwungen war, schreibt er tief niedergeschlagen: „Die hohen Vorstellungen, die ich mir vormals von Luther und den Reformatoren gemacht hatte, sind mir herabgestimmt worden. Wie manchen Luther brauchten wir noch!“ In seiner Festrede von 1832 hatte er von Gustav Adolf gesagt, er sei „eine Heldennatur von dem grossen und rein menschlichen Schlage, von welchem Griechenland und Rom so viele Vorbilder gezeigt haben“, und diese Worte waren, wie eine ganze Reihe Briefstellen beweist, in polemischer Absicht gewählt, weil er wusste, dass die anderen Redner den König wesentlich als geharnischten Theologen und „Märtyrer des Concordienbuches“ darstellen wollten. Fünf Jahre später schreibt er aber selbst über Gustav Adolf: „Zu den jetzt geltenden kosmopolitischen Ideen hat er sich wohl schwerlich emporgehoben; als Vorläufer eines neuen Zeitalters betrachtete er sich kaum. Die Denkfreiheit, für die er kämpfte, war nichts anderes als Gewissensfreiheit, und es ist sehr zweifelhaft, ob sich ihm jemals der Protestantismus von anderer Seite als der rein theologischen gezeigt hat“. Tiefere Forschung hat hier wieder den ehrlichen Dichter dazu gebracht, die eingenommene Position aufzugeben. Aber dieses wiederholte Zurückweichen von einem gewagten und doch mit Leidenschaft behaupteten Versuche, das Reinmenschliche, Heidnischgrosse, aus einem Gusse Geformte in allen Helden zu finden, selbst bei denen, um deren Stirn die Orthodoxie ihren Ring so fest geschlagen hatte, dass kein Platz für Tegnér's freien griechischen Lorbeerkranz übrig blieb, verräth hinlänglich, wie kräftig ein freier classischer Humanismus durch alle Poren in die Seele des Dichters gedrungen war.

Er hatte damit angefangen für das Ritterlich-Abenteuerliche, das Trotzige zu schwärmen, für die Ehre nur als solche, selbst mit ihrem Flitter. In dieser Schwärmerei, welche sich nie bei ihm verlor, fühlte er als Naturkind und als Kind seines Volkes. „Denn“, heisst es im Gedichte Tegnér's an Karl Johann, „allem voran steht im schwedischen Gemüthe die Ehre, wahr oder falsch, gleichviel, sie lebt doch in der Erinnerung“. Er war aber nicht nur Kind der Natur, sondern auch der Geschichte, und die Geschichte stellte ihn zwischen die Aufklärung des achtzehnten und die religiöse Reaction des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts. Er folgt keiner von beiden. Mit kräftiger Eigenthümlichkeit wählt er unter den Bildungselementen, die sich ihm darbieten, bis eine selbständige Anschauung des Menschenlebens, besonders des Verhältnisses zwischen Religion und Poesie, sich in seinem Gemüthe formt; und wir sehen ihn mit seinem warmen Dichtergefühl unwillkürliche und bisweilen vergebliche Anstrengungen machen, um die Wirklichkeit mit dem grossen humanistischen Ideale, das aus jener Anschauung entsteht, in Uebereinstimmung zu bringen. Wie viel Unrecht that Runeberg Tegnér, als er im Jahre 1832 über ihn schrieb: „Bei ihm sieht man kaum den Schimmer von einem Ideale, ja nicht einmal einen inneren Kampf, der seine Ahnung spüren liesse, dass es ein solches gebe“. Der grosse finnische Rival Tegnér's hat, vierundvierzig Jahre später, in einer Note angedeutet, dass diese Behauptung ihm jetzt zu gewagt vorkomme; aber er hätte mehr thun sollen; es wäre eine That der Gerechtigkeit gewesen, wenn er sie selbst widerlegt hätte.

VII

Aus Tegnér's humanistischer Weltanschauung folgte mit innerer Consequenz der politische Standpunkt, den er in den ersten fünfzig Jahren seines Lebens einnahm, und aus seiner religiösen und politischen Ansicht im Verein folgte mit Nothwendigkeit sein litterarischer Parteistandpunkt.

Er war nicht, wie die Mehrzahl der damaligen poetischen Geister in Deutschland und Dänemark (ein Tieck, ein A. W. Schlegel, ein Oehlenschläger, ein Heiberg), politisch indifferent. Während z. B. eine Erscheinung, wie die heilige Allianz den genannten Dichtern kaum eine Stunde ihres Lebens verbittert hat, strömen die Briefe Tegnér's von einer Entrüstung und einem Hohn gegen diesen Fürstenbund über, welche sich nur dadurch von den gleichen Empfindungen Byron's unterscheiden, dass der stolze und selbständige Engländer seinen Zorn öffentlich in grossen Dichterwerken ausdrückte, deren offene Sprache die Gewaltherrscher Europa's mit Skorpionen peitschte, während der Beamte und Professor in Lund sich meistens darauf beschränken musste, seiner Entrüstung privatim zwischen Mann und Mann freien Lauf zu lassen. Doch nicht immer. Sein politisches Gefühl kommt seine ganze Jugend hindurch in zerstreuten Gedichten zu Wort, und selbst wenn es sich in seinen Poesien nicht breit macht, kann man die Bedeutung desselben kaum zu hoch anschlagen, denn dies Gefühl war das gährende Element seiner Seele, das sie erweiterte und ihn daran hinderte, durch die kleinlichen Verhältnisse, in welche hinein ihn das Schicksal gestellt hatte, kleinlich zu werden. Hätten nicht Schwedens und Europa's Politik sein Gemüth in stete Schwingungen zwischen Entrüstung und Begeisterung versetzt, so hätten seine Gedichte niemals die Grösse des Stils erreicht, welche ihre Verbreitung über die Grenzen des Landes hinaus bedingte.

Seine ersten politischen Gedichte sind durch Schwedens Erniedrigung unter Gustav IV. veranlasst worden; so jenes „Svea“, in welchem es heisst:

 
O Finland, Heim der Treu! O Burg, die Ehrnswärd schmückt,
Jüngst wie ein blut'ger Schild vom Herzen uns entrückt!
Ein Thron steht da im Sumpf, dess' Namen kaum wir kannten,
Und Kön'ge knieen dort, wohin wir Heerden sandten.
 

Doch früh hat sich des Dichters Blick von den besonderen Angelegenheiten des Vaterlandes zu der grossen Weltpolitik gewandt. Der fanatische Hass Gustav's IV. gegen Napoleon hatte in des Jünglings Seele nur Bewunderung für den Gehassten hervorgerufen; die Alliance Bernadotte's mit den gegen Napoleon verbündeten Heeren vermochte nicht die Sympathie des Dichters zu brechen, und während die Romantiker sich schon seit 1813 zu so servilen Freudenausbrüchen über die Thaten des Kronprinzen hinreissen liessen, wie: „In Karl Johann's Spuren geht Schwedens Engel“ oder diese thörichte Panegyrik über den französisch sprechenden Gascogner: „An der Spitze des Heeres blitzt Thor mit dem grossen und leuchtenden Hammer, und Karl Johann wird der Donnergott genannt“, vertheidigte Tegnér in einer Reihe von Gedichten das revolutionäre Element in der Mission Napoleon's und schrieb bei seinem endlichen Fall das von Verzweiflung über den Triumph der Reaction inspirirte, bittere und scharfe Gedicht „Das Neujahr 1816“. Man höre das energische Finale desselben:

 
Juchhe! Religion heisst Jesuit,
Jacobiner das Menschenrecht.
Frei ist die Welt, und der Rabe ist weiss,
Es lebe der Papst und der – sein Knecht!
Zu dir, Germanien, zieh' ich, o lehre
Sonette mich dichten, der Zeit zur Ehre.
 
 
Willkommen, o Jahr mit Mystik und Mord,
Mit Lügen und Dummheit und Tand!
Du arkebusirst wohl die Welt noch – nur fort!
Einer Kugel ist werth sie erkannt.
Unruhig ist sie, voll Gluth im Gehirne;
Doch alles wird still mit dem Schuss vor die Stirne.
 

Diesen öffentlichen Aeusserungen entsprechen auf's Genaueste die Briefe Tegnér's aus demselben Zeitraum. 1813 schreibt er: „Wer sich einbildet, dass Europa von Russen und Consorten befreit werden könne oder dass der Erfolg der Kosaken ein Vortheil für Schweden sei, hat vielleicht Recht, er und ich denken aber höchst ungleich. In Hass gegen die Barbaren bin ich geboren und aufgewachsen und hoffe auch, unbeirrt von modernen Sophismen, darin zu sterben“. 1814 ist er noch missmuthiger: „Wer kann an der Wiederaufrichtung des europäischen Gleichgewichts glauben oder sich über den Sieg der absoluten Erbärmlichkeit über die Kraft und das Genie erfreuen!“ 1817 gibt er endlich mit bewunderungswürdiger Richtigkeit die Charakteristik der geistigen Reaction in folgenden Worten: „Die Hauptsache ist das Politische; die innere Umwälzung der Denkweise ist im Ganzen politisch; die religiöse und die wissenschaftliche Wandlung, die wir erleben, sind alle beide mehr oder weniger zufällige Folgen und Reactionsprocesse, deshalb ohne Bedeutung und Dauer. Wenn das Haus aufgemauert ist, fällt das Gerüst. Es ist wahr, dass diese Folgen beim ersten Blick ernst genug scheinen; aber verräth nicht eben das Uebertriebene und Karikaturartige der geistigen Bewegungen, das Haarfeine in der Wissenschaft und das Mönchische in der Religion hinlänglich ihre Natur als blosse Reaction gegen den früheren praktischen und freidenkerischen Geist? Scheint es nicht, als sei man jetzt sowohl gründlich wie gottesfürchtig par dépit, und weil beides vor zwanzig Jahren für bäuerisch galt … Am wichtigsten würde ohne Zweifel eine Veränderung im Religiösen sein, da die Religiosität immer, wenn ächt, auch praktisch ist, aber woher schliesst man, dass eine solche Veränderung sich bei der Mehrzahl anders findet denn als Mode und Grimasse, und bei Vielen vielleicht aus noch schlimmeren Beweggründen?“

 

Indessen war diese Reaction mit Nachdruck auf Schwedens eigenem Grunde aufgetreten. Gegen die alte französisch-schwedische Richtung in der Litteratur, die durch die schwedische Akademie repräsentirt wurde, proclamirten die „Phosphoristen“ in allem Wesentlichen die Principien der deutschen romantischen Schule; man lieferte metaphysische Beweise für die Mysterien des Christenthums, verhöhnte die Aufklärung, behandelte die Akademie wie eine Sammlung alter gepuderter Perrückenstöcke und verfolgte die Alexandriner mit Sonetten. Im Uebrigen Madonna- und Calderon-Cultus, Weihrauch vor den Schlegeln und Tieck, Schwärmerei für das Königthum von Gottes Gnaden.

Als Karl Johann die Regierung antrat, konnte er, „der Republikaner auf dem Throne“, wie er sich anfangs nannte, der Marschall Napoleon's mit all' den Ueberlieferungen der Revolution im Rücken, sich unmöglich veranlasst fühlen, in nähere Berührung mit den Männern der neuen Schule zu treten. Sie zeigten trop de zèle; sie erkannten die Volkssouveränität nicht an, auf welche er selbst sich und seine Dynastie stützen musste; sie hatten ihre auswärtigen Freunde in dem Lager, in welchem man für die Wiedereinsetzung der alten legitimen Königsfamilien auf die europäischen Throne arbeitete. Aber die jungen Romantiker wünschten natürlich nichts sehnlicher, als den König zu überzeugen, dass seine Zweifel über ihre Loyalität völlig grundlos waren. Graf Fleming übersetzte dem König, um die Gefahrlosigkeit der jungen Schule zu beweisen, einen Aufsatz von Geijer in's Französische. Der König erklärte, dass er sie nicht verstehe. „Was heisst eigentlich die neue Schule“? Ein Hofmann antwortete: „Nichts anderes, Majestät, als dies: wenn man Einen aus der alten Schule fragt, was ist zwei und zwei, dann antwortet er: vier; fragt man aber Einen aus der neuen Schule, so lautet die Antwort: das ist die Quadratwurzel von sechzehn oder ein Zehntel von vierzig oder anderes, worüber man nachdenken muss“. – „Das ist's eben, was ich mir dachte“, sagte Karl Johann. Atterbom wurde zum Lehrer des Prinzen Oskar in deutscher Litteratur ernannt, Geijer wurde für Karl Johann genau dasselbe, was Chateaubriand eine Zeitlang für Napoleon I. gewesen war. Bald zeigte sich der unglückliche Einfluss der doctrinär conservativen Jugend; ihre Doctrinen wurden von den reaktionären Elementen der Gesellschaft ausgenutzt und bald erhob in Schweden eine zuversichtliche und mächtige Reaction den Kopf, die am Hofe wohl gesehen Karl Johann von Reformen abschreckte und ihn in eine Spur hinübertrieb, die mit seiner früheren Laufbahn schlecht stimmte. Er war z. B. anfangs gegen erblichen Adel höchst ungünstig gesinnt, um so mehr weil die früheste parlamentarische Opposition gegen seine Regierung vom Adel ausgegangen war; nach dem Bund mit Geijer und seinen Genossen wollte er sogar Norwegen, in welchem der Adel abgeschafft war, einen erblichen Adel aufdrängen.

Unter diesen Verhältnissen fühlte sich Tegnér wie ein Mitglied der grossen europäischen Opposition. Er meint, dass die heilige „muhamedanische“ Allianz ein todtgeborener Embryo sei, „dessen Begräbniss auf dem Galgenhügel er alle Hoffnung habe noch zu erleben“; er nennt die Politik des Zeitalters „infernalisch“; er schreibt an Franzén: „Ueber die gegenwärtige Politik Europa's kann kein braver Mann, nicht einmal ein Deutscher, sich anders als mit Scham und Abscheu aussprechen. In der Poesie kann sie höchstens der Gegenstand einer Juvenalischen Satire sein. Es ist eine bittere Ironie, die obscurantistische, wahrhaft teuflische Tendenz der Zeit, so oft die Rede von etwas Edlem oder Grossem ist, sei es in Versen oder in Prosa zu nennen“. In der inneren Politik fordert er Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Steuerbewilligungsrecht, parlamentarische Repräsentation, kurz das gewöhnliche Oppositionsprogramm im liberalen Europa. Diese Grundansicht war es, die der Oeffentlichkeit dargeboten wurde in seiner grossen Rede bei der Vermählung des Prinzen Oscar 1823 – ein edler Wein in einem geschliffenen Krystall. In der neuen Zeit standen nach seiner Auffassung zwei Mächte einander gegenüber, das persönliche Verdienst, welches sich nur auf sich selbst stütze, und der von den Vätern angeerbte Rang, ein plebejisches und ein patrizisches Princip; in seiner schärfsten Form erschien dieser Contrast damals als Kampf zwischen der aus der Revolution und der aus der Legitimität entsprungenen Fürstengewalt. Tegnér hebt hervor, wie die junge Fürstenbraut, welche kürzlich in Schweden gelandet ist, durch ihre Geburt die zwei streitenden Elemente vereine und gleichsam die alte und die neue Zeit verbinde. Denn ihr Vater (der Sohn Josephine's, Eugène Beauharnais) sei „gleich so manchem anderen ausgezeichneten Mann ein Sohn seiner eigenen Thaten, dessen Stammbaum aus seinem Schwerte hervorwachse“, und mütterlicherseits stamme sie aus einem der ältesten Fürstenhäuser Europa's ab. (Die Mutter der Braut war Amalie von Bayern, aus dem Hause Wittelsbach.)

Es fällt mir nicht ein, anderes oder mehr in diesem Symbolisiren der Herkunft der hohen Dame zu sehen als eine geschickt ersonnene und gut gesagte Artigkeit. Aber in Tegnér's Mund ist sie interessant; denn für ihn hat die Ehe zwischen dem Sohne des Revolutionsgenerals und der Tochter des alten Königshauses augenscheinlich eine wirkliche Bedeutung gehabt. Zu der Zeit, wo er diese Rede hielt, schrieb er gerade an einem Gedicht, welches darauf angelegt war, mit einer ähnlich versöhnenden Vereinigung zu enden, der lange verhinderten zwischen dem Bauernsohne Frithiof, welcher durch Muth und Thaten sich gleichen Rang mit den berühmtesten Helden erkämpft hat, und der Königstochter Ingeborg, deren Geschlecht seine Herkunft von den Göttern Walhall's ableitet, und deren Brüder in ihrem Fürstenhochmuth Frithiof ihre Hand verweigerten. In der Frithiofssage bildeten dieselben zwei Principien, das persönliche Verdienst und der Adel des Bluts, die zwei Pole, durch welche die Achse des Gedichtes geht. Schon im zweiten Gesang, wo die Freundschaft zwischen dem König Bele und Thorsten Vikingssohn geschildert wird, sagt der alte Bauer:

Gehorch dem König. Einem gebührt die Macht,

und der alte König spricht entgegnend

von Heldenkraft, die mehr ist als Königsblut.

Im letzten Gesange sagt der alte Balderpriester zu Frithiof:

 
Du hassest Beles Söhne. Warum hassest du?
Weil sie dem Sohn des Adelsbauern weigerten
Die Schwester, die entsprungen ist aus Seming's Blut,
Des grossen Odinsohnes; ihrer Ahnen Zahl
Steigt bis zu Walhall's Thronen auf; dess sind sie stolz.
Geburt ist Glück und kein Verdienst“, erwiederst du.
Auf sein Verdienst, o Jüngling, wird der Mensch nicht stolz,
„Glück nur macht stolz die Menschen; denn das Beste ist
„Doch guter Götter Gabe. Bist du selbst nicht stolz
„Auf deine Heldenthaten, deine höh're Kraft?
„Gabst du dir selbst die Kräfte?
 

Die Rede am Oscartage und der Schlussaccord in der Frithiofssage bezeichnen im Leben des Dichters einen Zeitpunkt, da seine politische Weltanschauung in einer mühsam erkämpften, unstäten Harmonie zu Ruhe gekommen war; wenige Jahre früher – und die revolutionäre Gährung siedet mit leidenschaftlicher Ungeduld in seiner Brust; wenige Jahre später – und der Unwille über die eben begonnenen Flegeljahre des schwedischen Liberalismus treibt ihn in's entgegengesetzte Extrem; aber mitten zwischen diesen Strömungen war ihm auf der Wasserscheide, wo sie sich trennten, ein, heller und inspirirter Augenblick vergönnt mit freiem poetischen Horizont nach beiden Seiten hin.