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Esaias Tegnér.
(1878.)

Der litterarische Ruhm ist in den scandinavischen Ländern meistens ein rein lokaler. Werke, die in Sprachen geschrieben sind, welche nur von wenigen Millionen gesprochen und nirgends in der Welt als Cultursprache gelernt oder gelesen werden, haben selbstverständlich alle Chancen europäischer und amerikanischer Berühmtheit gegen sich. Die wenigsten poetischen Erzeugnisse werden überhaupt übersetzt, und für ein Werk, das sich an den Schönheitssinn wendet, für ein metrisches vor allem, ist die äussere Sprachform, was der Email dem Zahn ist; sie giebt ihm gleichzeitig Dauer und Glanz.

Trotzdem gelang es bekanntlich einzelnen nordischen Schriftstellern, mehr Anerkennung im Auslande als daheim zu finden; sie vertreten so zu sagen der ganzen Lesewelt gegenüber das geistige Leben ihres Vaterlandes, und ihr Name schmilzt im allgemeinen Bewusstsein mit demjenigen ihres Landes zusammen. Einen solchen Ruhm hat unter den Dichtern Schwedens nur ein einziger, Esaias Tegnér erlangt.

Er ist nicht der grösste, der in schwedischer Sprache gedichtet hat; vor ihm und nach ihm hat ein anderer, grösserer Dichter in dieser Sprache Gestalten geformt, welche die seinigen durch Anschaulichkeit und wirkliches Leben übertreffen. Aber mit Bellman und Runeberg muss er zusammengestellt und genannt werden; und während er ihnen in dichterischer Phantasie nachsteht, übertrifft er als geistvolle Persönlichkeit beide.

Drei Mal im Laufe der Geschichte ist es dem schwedischen Volke gelungen, das Classische und das Volksthümliche in seiner Poesie zu verschmelzen. Das erste Mal geschah es, als Bellman unter Gustav III. seine Typen aus dem Volks- und Wirthshausleben Stockholms griff und „Die Lieder Fredman's“ mit mimischer Meisterschaft zur Zither sang. Zum zweiten Male, als Tegnér, fünfzig Jahre später, zum Heldenleben des alten Nordens zurückkehrte, den Stoff zu einem Romanzencyclus in einer alten Sage fand, und Schweden ein Bild von Vikingsleben und Vikingsliebe im Norden gab, wie sich die Zeitgenossen dies vorstellten. Zuletzt geschah es endlich vor einem Menschenalter, als – vierzig Jahre, nachdem Finnland von seinem alten Mutterlande losgerissen wurde – der grösste von Finnlands Söhnen, von seinen Kindheitserinnerungen inspirirt, den ehrenvollen Kampf seines Vaterlandes gegen russische Uebermacht, und dadurch den Nationalcharakter des finnischen Volkes, realistischer malte als man es zu jener Zeit noch gewagt hatte. Runeberg drängte in einer seelenvollen Bivouacpoesie Kriegsidyllen und Schlachtfeldtragödien auf den knappsten Raum zusammen.

Weder in einem Drama, noch in einem Epos hat also irgend einer der drei schwedischen Dichter die Möglichkeit gefunden, sein Bestes zu geben. Alle drei, so verschieden sie auch sind, haben in derselben Kunstgattung triumphirt, einem der Form nach lyrischen, dem Inhalte nach epischen Cyclus kurzer Gedichte. Der erste hat burleske Dithyramben, der zweite altnordische Heldenlieder, der dritte moderne Kriegsanekdoten geschrieben; aber alle haben sie diese ihre vorzüglichsten Poesien in eine zusammenhängende Reihenfolge gebracht, und nichts als diese drei Liedergruppen gibt der Dichtung Schwedens weltbürgerlichen Rang.

Unter diesen ist die „Frithiofs-Saga“ der berühmteste Cyclus, und wenn Tegnér ausserhalb Schwedens genannt wird, so ist es ausschliesslich als Autor dieser Sage; das Werk ist die Nationaldichtung des schwedischen Volkes geworden, und Uebersetzungen in allen europäischen Sprachen, darunter achtzehn verschiedene deutsche und achtzehn verschiedene englische, haben es über die Erde verbreitet. Schweden hat sich nicht undankbar gegen den Mann gezeigt, dem es so Vieles schuldet. In Schweden ist zur Ehre Tegnér's so hübsch und warm geredet, geschrieben und gesungen worden, dass es unmöglich ist, hierin die Kinder des Landes zu übertreffen. Schweden hat die verklärte Gestalt des Dichters in übernatürlicher Grösse auf ein mächtiges Fussgestell gehoben, das, näher betrachtet, ein ganz kleiner Berg von massiven Lobreden, Lebensbeschreibungen und Festliedern ist, und man hat Weihrauch über Weihrauch am Fusse der Statue verbrannt. Was ist da noch für einen Kritiker zu thun? Vielleicht nichts anderes als, mit schonender Hand das schöne Gesicht ein wenig von dem Russe des Räucherpulvers zu säubern, damit die Züge menschlicher und lebhafter hervortreten. Vielleicht auch noch, die Statue sorgfältig mit dem Originale zu vergleichen und auf eigene Hand eine Federzeichnung desselben zu entwerfen, wo die Bildsäule sich ungenau oder abstract zeigt. Jedenfalls bringe ich die angeborne Sympathie des Scandinaven, die Unparteilichkeit des Nichtschweden, und den ehrlichen Vorsatz des Kritikers mit, die Gestalt im scharfen Sonnenlichte der Wahrheit darstellen zu wollen.

I

Esaias Tegnér stammt, wenige Generationen zurück, sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits von schwedischen Bauern ab. Wie so viele andere hervorragende Talente des Nordens, leitet er seinen Ursprung vom Bauern durch den Pfarrer her. Dies geschieht gewöhnlich in folgender Weise: der Grossvater pflügt mit eigener Hand seinen Acker, der Sohn zeigt Leselust und wird durch Entbehrungen der Eltern und Unterstützung guter Leute so weit gebracht, dass er Theologie studiren kann; denn der Pfarrer war Jahrhunderte lang dem Bauern unbedingt der Vertreter des gelehrten Standes. In diesem Sohne wird die kräftige, uncultivirte Bauernnatur der ersten groben Behauung unterworfen; der Prediger pflügt nicht mehr selbst seinen Acker, obwohl er den Anbau noch beaufsichtigt; der Prediger denkt schon, obwohl er seine letzten Resultate nicht durch den Gedanken erhält. Im Enkel oder Urenkel ist endlich der ursprüngliche Naturgrund so verfeinert, dass daraus das wissenschaftliche, technische oder poetische Talent hervorgeht. Ebenso hier. Der Vater Tegnér's war Pfarrer und seine Mutter Pfarrerstochter, und die beiden Geistlichen, von denen er stammt, waren Bauernkinder. Der vornehm klingende Name wurde gebildet, als der Vater Esaias Lucasson vom kleinen Dorfe Tegnaby in's lateinische Protokoll des Gymnasiums als Esaias Tegnerus eingeschrieben wurde.

Dem Predigerhause erwuchsen bald Söhne und Töchter, und den 13. November 1782 wurde in Kyrkerud als fünfter Sohn des Hauses der später so berühmte Esaias geboren. Er war nur neun Jahre alt, als das Haus durch den Tod des Vaters aufgelöst wurde. Dieser hinterliess nichts, und die Wittwe, der die Zukunft ihrer sechs vaterlosen Kinder Sorgen genug verursachte, ergriff mit Freuden die sich ihr bietende Gelegenheit, ihren Jüngsten als Schreiber zu einem in der Nähe wohnenden angesehenen Beamten zu geben. Der Knabe lernte in dem Bureau des Hardevoigts Branting ausdauernden Fleiss im Schreiben und Rechnen, und was noch mehr werth war, der kleine Schreiber, der immer auf den langen Reisen mitgenommen wurde, die sein wackerer Principal als Steuereinnehmer in die Kreuz und Quer durch Wermland unternahm, lernte vom Wagen aus die malerische Naturschönheit der heimathlichen Gegend schon in dem frühen Alter kennen, wo alle Eindrücke am tiefsten sind. Obschon lebhaft und fleissig bei seiner Arbeit, war er häufig vergesslich und zerstreut in sein Buch oder in wache Träumereien verloren, oder er murmelte Monologe auf einsamen Wegen. Er las Poesien, Geschichtsbücher, vor allem Sagen, fand eine Sammlung solcher, die „Kämpadater“ Björner's, und in dieser die Sage von Frithiof, dem Kühnen, welche gegen fünfundzwanzig Jahre in seiner Phantasie ruhte, ehe sie zu keimen begann.

Diese zwei Eindrücke, von Schwedens Natur und von den alten nordischen Mythen und Sagen, waren nicht getrennt; sie schmolzen zusammen, glitten in seiner jungen Seele in einander über. Oft war's ihm, wenn er auf dem Rücksitze von Branting's Wagen zwischen waldbedeckten Bergen, durch tiefe Thalstrecken, längs der grossen Gewässer fuhr, die das Land durchströmen, als ob die Natur mit ihm um die Wette phantasirte. Romantische Landschaften gab's in den langen Sommertagen, wo Abend- und Morgenröthe in Eins zusammenflossen und der rosige Schimmer niemals vom Horizonte verschwand; altnordische Landschaften zur Winterzeit, wenn der Schnee hoch lag, wenn die Bächlein in langen Zapfen von den Felsen herunterhingen, und es dem Knaben vorkam, als sähe er im Mondlichte, das auf dem Schnee spielte, den Winter selbst in Person als eine ungeheuere Göttergestalt mit Schneegestöber im Bart und einem Kranz von Tannen auf dem Haupte.

„Die schwedische Poesie“, sagt Tegnér irgendwo, „ist und bleibt eine Naturpoesie im eigentlichen Sinne des Wortes; denn sie liegt in unserer herrlichen Natur, in unseren Seen, Felsen und Wasserfällen“; und als er, kurz nach der Vollendung des Frithiof's den Ursprung des Gedichts erklären will, führt er selbst, ausser seiner frühen vertrauten Bekanntschaft mit den altnordischen Sagen, den Umstand an, dass er in einem entlegenen Bergbezirk geboren und erzogen war, „wo die Natur selbst in grossen, aber wilden Formen dichtet, und wo die alten Götter noch leibhaftig in den Winternächten umherwandeln“. – „In solcher Umgebung“, fährt er fort, „völlig mir selbst überlassen, war es nicht sonderbar, dass ich eine gewisse Vorliebe für das Ungebändigte und Colossale fasste, welche mich nie vollständig verlassen hat“.

Und nicht nur den Inhalt, sondern zugleich die Grundform seiner wie aller schwedischen Poesie hat Tegnér in reiferen Jahren auf Eindrücke der eigenartigen schwedischen Natur zurückzuführen gesucht. Er erstaunt über die ausschliessliche Vorliebe für das Lyrische bei seinem Volke, über dessen Neigung, die ganze poetische Welt in wenige Strophen zusammenzudrängen, und er fragt nach dem Grunde dieses Charakterzuges. „Liegt er nicht zum grossen Theile in der Natur selbst, die uns umgibt? Sind nicht die Gebirge mit ihren Thälern und Strömen die Lyrik der Natur, wie die mildere Ebene mit ihren ruhigen Flüssen ihr Epos ist? Viele unserer Berggegenden sind wirkliche Natur-Dithyramben, und der Mensch dichtet gern in derselben Tonart wie die Natur um ihn her“. Und, indem er mit Kühnheit die letzten Folgen seines Gedankens zu ziehen versucht, bricht er in die Fragen aus: „Geht nicht durch die ganze schwedische Geschichte ein lyrischer Zug? Sind nicht die hervorragendsten Vertreter unserer Nationaleigenthümlichkeit sowohl in älterer wie in neuerer Zeit eher lyrische als epische Charaktere? Er hat augenscheinlich an solche Geister wie Schwedens grösste Könige und grösste Feldherren und wohl nicht am wenigsten an sich selbst gedacht.

 

Unzweifelhaft ist es, dass die Natur, die er um sich sah, ihn als Dichter weit mehr durch ihr phantastisches als durch ihr utilitarisches Element reizte. Ich sage mit Fleiss „als Dichter“; denn als Mensch hatte er ein gesundes, praktisches Interesse für die Nahrungsquellen und den Erwerb seines Volkes. Er hat aber nie das Volk in seinem Arbeiten mit der Natur als Stoff gemalt. Es kommt in seinen Werken kein Auftritt vor, der eine Vorstellung von der grossen Grubenarbeit gäbe, wodurch das schwedische Eisen an den Tag gebracht wird; er hat nie von dem abgehärteten Bergmann oder dem starken Schmied, nie von dem rauchenden, funkensprühenden Ofen in dem Schnee ein Bild gegeben; diese realistischen Eindrücke prallten von seiner romantischen (d. h. abstrahirenden und symbolisirenden) Phantasie zurück. Er sah nicht Schweden vor sich als die grosse Werkstatt der Nation; er sah Svea als Schildjungfrau, und das Eisen war ihm weniger die natürliche Reichthumsquelle des Landes als der breite Gürtel um ihr Mieder und das einst so starke Schwert in ihrer Hand.

II

Sehr bald entdeckte man, dass der begabte Knabe Anlagen besass, die es als wünschenswerth erscheinen liessen, ihm eine höhere Bildung zu verschaffen als die, wozu das Bureau des Voigtes Gelegenheit bot. Ein Gespräch während einer der Wagenfahrten bei Abend, worüber der alte Mann in Erstaunen gerieth, gab, eigenthümlich genug, den ersten Stoss dazu, dass Schritte gethan wurden, Esaias in die gelehrte Laufbahn zu bringen. Der junge Esse, wie er genannt wurde, hatte die religiösen Betrachtungen seines frommen Chefs über die Spuren von Gottes Allmacht im klaren Sternenhimmel mit einer Erklärung der Bewegungsgesetze beantwortet, die er aus einer populärphilosophischen Schrift geschöpft hatte. Ein Instinct, der sich nie bei dem späteren Bischof verleugnete, liess ihn die rationelle Erklärung mit beiden Händen ergreifen und die theologische in all' den Fällen verwerfen, wo sie ihm überflüssig vorkam.

Unter der Anleitung seines älteren Bruders wurde er jetzt in Latein, Griechisch und Französisch eingeweiht, und brachte sich selbst so viel Englisch bei, dass er den gerade damals auf der Höhe seines Ruhmes stehenden Ossian lesen konnte. Wie das Füllen dem Pferde folgt, so begleitete er den Bruder nach dessen verschiedenen Hauslehrerstellen, und in der letzten Familie, in welche dieser als Lehrer einzog, fand Esaias, vierzehn Jahre alt, in der jüngsten Tochter des Hauses seine zukünftige Gattin. Gleich so manchem andern aufgeweckten Knaben vermied er die lärmenden Spiele seiner Kameraden, sass am liebsten in seiner Kammer im Homer vertieft und musste mit Gewalt zu Schlittenpartien und zum Schlittschuhlaufen geholt werden, obwohl er durchaus kein ungeschickter Läufer war. Im Jahre 1799 bezog er die Universität in Lund, beschäftigte sich mit alten Sprachen, Philosophie und Aesthetik und wurde 1802 nach der pathetischen Sitte des Landes als Magister der Philosophie mit Lorbeeren bekränzt. Von 1802 – 1810 lebte er in Lund als wohlrenommirter junger Docent, 1810 – 25 hielt er stark besuchte Vorlesungen über die griechische Litteratur. Im Jahre 1812 wurde er nach schlechter schwedischer Sitte gleichzeitig Professor und Pfarrer einiger Kirchspiele in der Nähe Lunds; 1826 endlich verliess er die kleine Universitätsstadt, um als Bischof in die ländliche Einsamkeit hinaus nach Vexiö zu ziehen.

Richten wir einen Blick auf den jungen Magister zu Lund. Er sieht gut aus, blauäugig, rothwangig, mit hellen, krausen Haaren, kräftig gebaut, mit Anlage zum Starkwerden. Als Junggeselle ist er noch ein zurückgezogener, einsam lebender Grübler und Träumer; doch sobald er den Fuss unter eigenen Tisch gesetzt hat, erschliesst sich sein Geist und er zeigt sich als eine lebensfrohe, sprudelnde, im höchsten Grade gesellige Natur. Ein Kind der Welt, das einen guten Tisch und einen edlen Wein zu würdigen versteht, ein leicht zündender und keineswegs seraphischer Apollino, Verehrer aller weiblichen Schönheit; ein nicht brennender, sondern funkelnder Geist mit überlegenem und übermüthigem Witze, um seine conventionelle Würde ziemlich unbesorgt, aber darum nicht weniger verstehend, das Souveräne in seiner Persönlichkeit stolz zu behaupten: dies ist die Seite, die er der Aussenwelt zukehrt. Hinter dieser Aeusserlichkeit verbergen sich seine tieferen Anlagen. Diese sind theils dichterischer, theils oratorischer Natur: eine eigenthümliche lyrische Begeisterung und eine eigenthümliche stilistische Begabung.

III

Die lyrische Begeisterung Tegnér's offenbart sich früh als ein angeborener Hang zum Enthusiasmus für alles, was sich stark vom grauen und prosaischen Hintergrund des Alltagslebens abhebt; alle persönlichen Grossthaten, alle leuchtende Ehre, möge sie wie auch immer gewonnen sein: er wird von ihrem Strahlenglanz angezogen und schwärmt selbst für ihren Flitter. Eine starke Verehrung vor den grossen Namen der Geschichte, eine entschiedene Unlust, herabsetzende Verstandeskritik an einmal erworbenen Ruhm anzulegen, bildet einen der tiefsten und unveränderlichsten Züge seines Charakters. Es ist die ungewöhnliche Steigerung dieser Grundneigung, die ihn zum Dichten bringt; ja, sie ist es, die ihn zum Dichter macht. Um aber diese Neigung besser zu verstehen, müssen wir zu den Quellen seiner Begeisterung zurückgehen, prüfen, welche Ideale er sucht, vorfindet oder formt, sehen, in welcher Art von inneren Spiegelbildern er die Natureigenthümlichkeiten oder geistigen Eigenschaften darstellt, die dem Besten in ihm selbst entsprechen. Er träumt nicht wie Oehlenschläger von einer Aladdinsgestalt; dazu ist er weder naiv noch verwegen genug. Eben so wenig spiegelt er sich in einem Hamlet oder Faust; die Helden des Zweifels und des Gedankens sind viel zu abstract für seine kräftige Knabenphantasie; sie träumt von handfesteren Idealen. Noch weniger sammeln sich seine Vorstellungen um einen Manfredtypus; die Schuld lockt ihn nicht, und das Geheimnissvolle hat für seine offene Natur keinen Reiz. In idyllischen Verhältnissen und unter allgemeinem Wohlwollen in der kleinen Stadt, die er selbst „ein akademisches Dorf“ genannt hat, erzogen und entwickelt, konnte er schliesslich in dem weltbürgerlichen Posa-Pathos des lange unterdrückten Schiller's unmöglich sich ergehen. Das Ideal, das sich langsam in seinem Gemüthe bildet, ist ein nationales und nordisch-romantisches Ideal.

Es ist ein lichtes Bild offener, vorwärts stürmender und umformender Kraft, halb kriegerischer, halb civilisatorischer Art. Es nimmt alle die Gestalten an, die Tegnér im Laufe der Jahre mit Vorliebe gezeichnet hat.

Er hat z. B. in einer Universitätsrede Luther zu charakterisiren. Um dies zu thun, stellt er ihn unter den Gesichtspunkt, von welchem aus er die Männer der That zu betrachten pflegt. Zuerst hebt er hervor, dass Luther Allem, was er sprach und ausführte, den Stempel „übersprudelnder Kraft“ aufdrückte:

„Es lag etwas Ritterliches, ja ich kann fast sagen Abenteuerliches in seinem Wesen, in seinem ganzen Unternehmen … Seine That war wie eine ganze, sein Wort wie eine angefangene Feldschlacht. Er war eine der gewaltigen Seelen, die wie gewisse Bäume nur im Sturme blühen. Sein grosses, wunderreiches Leben kam mir immer vor wie ein Heldengedicht mit seinen Kämpfen und seinem endlichen Sieg“.

Man fühlt um so stärker die Natur des Redners aus dieser so einseitigen Charakteristik des vielseitigen Gegenstandes heraus, wenn man bemerkt, dass Tegnér hier Grundbestimmungen gegeben hat, die er einige Jahre später mit leicht veränderten Eigenschaften fast Wort für Wort auf eine von Luther so verschiedene Persönlichkeit wie König Gustav III. von Schweden anwenden kann. Es bedarf kaum eines Beweises, dass es zwischen dem derben sächsischen Reformator und dem theatralischen, gallisirten und ungläubigen Monarchen kein anderes Band gab, als das, welches Tegnér's Bewunderung für beide schuf. Tegnér sagt von Gustav: „Er hatte in seinem Wesen nicht nur etwas Grosses, sondern zugleich etwas Ritterliches; die hohe Heldenkraft zeigte sich bei ihm nicht mit Schild und Schwert, sondern im leichtesten Gewande der Anmuth. Er war ein grosses romantisches Heldengedicht mit dessen Abenteuern und Verzauberungen, aber zugleich mit den zärtlichsten Ergüssen des Herzens und den üppigsten Spielen der Freude“.

Grösse, Kraft und abenteuerliche Romantik sind also die gemeinsamen Grundbestimmungen für Luther und Gustav; beide sind sie Ritter, und beider Leben kommt Tegnér wie ein romantisches Heldengedicht vor. Was konnte er anderes und mehr über Frithiof sagen; was hat er anderes in Wirklichkeit darüber gesagt, als er in seiner Selbstcharakteristik auf das Lebensfrische, Trotzige, Uebermüthige dieses Helden und dieses Heldengedichtes hinwies!

Hier haben wir also die tiefste, festeste Grundlage, auf welcher seine Vorstellungen vom heroischen Ideale sich allmälig ablagern.

Es finden sich einige jugendlich unschuldige Oden aus dem sechzehnten Jahre Tegnér's, bei Gelegenheit des Gerüchtes von Bonaparte's Tod in Aegypten verfasst. Er verherrlicht in ihnen Bonaparte als den Helden der Freiheit, dessen Ehre nicht durch Blut und Thränen erkauft ist, der aber Aufklärung und Glückseligkeit der ganzen Welt bringen wird. Es ist ein Echo der Refrains der Humanitätsperiode, das von diesen Kinderlippen klingt. Sie rufen Napoleon ein kategorisches: „Lebe für die Menschheit oder falle!“ zu. Der erwachsene Mann denkt darüber anders. In der grossen religiös-politisch-litterarischen Reaction gegen das Aufklärungszeitalter war die anti-gallische Hauptströmung, die Walter Scott und Oehlenschläger gewann, Tegnér völlig zuwider. Die Reaction schlug aber eine ästhetische Saite an, die mit seinem Naturell übereinstimmte. Das war ihre Geringschätzung des Nutzens als Massstab für den Werth der That. Die auf die Spitze getriebene Nützlichkeitslehre und die damit verbundene Menschenliebe hatte sich ja gegen den Begriff des Ritterlichen und Abenteuerlichen gewandt.

„Der alte, ritterliche Traum“, sagt Tegnér, „von der Ehre der Völker wurde entweder geradeaus für ein Hirngespinnst erklärt, oder Ehre und ökonomischer Wohlstand als identisch betrachtet. In der Geschichte wurde alles wie in einem Geschäftsbureau nach dem, was es eintrug, berechnet, und ein Spinnhaus oder eine Dreschmaschine höher geschätzt, als Alexander's abenteuerlicher Zug nach Indien oder die unnützen Siege Karl's XII.“.

Er übertreibt nicht; der arme Alexander der Grosse war in Schweden von einem begeisterten Aufklärer weit unter jenen Wohlthäter der Menschheit gestellt worden, der die billige und nahrhafte Braunschweiger Mumme erfand. Die jugendliche Vorstellung Tegnér's vom tugendhaften, nützlichen Helden wurde jetzt polemisch geändert und in Uebereinstimmung gebracht mit der Einsprache der ganzen romantischen Geistesrichtung gegen die philiströse Sorge für menschliches Wohl als eine Hauptsache. Die moralische Betrachtung musste der romantisch-metaphysischen Vergötterung des Schicksalshelden weichen. Der Weltgeist allein war verantwortlich.

 
Was doch schmäht ihr mich ohn' Ende,
Ihr, des Augenblickes Scharen,
Willenlos, der Kraft beraubt?
Fangt den Schmetterling behende,
Aber lasst den Adler fahren
Frei um seiner Berge Haupt!
 
 
Fragt der Donner, hergeschicket,
Fragt der Sturmwind, dessen Sausen
Rings die Erde hat gehört,
Ob auch Lilien sind zerknicket,
Ob im grünen Hain das Brausen
Auch ein liebend Paar gestört?
 

So heisst es im Gedicht „Der Held“ (Mohnike's Uebersetzung) 1813. Diese Ansicht ist zwar weit entfernt, die endgültige Tegnér's zu sein. Gewohnt, wie er war, zum Persönlichen wie zur höchsten Form des Daseins emporzusehen, konnte er nur gelegentlich und halbwegs aus Trotz sich pantheistisch ausdrücken wie hier. Und als ein bewusst reflectirender Geist war er eher geneigt, an das Unbewusste nicht zu glauben als es zu überschätzen; so hat er z. B. eine Menge polemischer Ausfälle gegen die Lehre von einer blinden poetischen Inspiration gerichtet; so tiefe Wurzel hatte aber die Vorliebe für ein kriegerisches, sturm- und donnerartiges Vorwärtsstürmen in seinem Gemüth geschlagen, dass er nicht davor zurückscheute, ihr jenen verwegenen Ausdruck zu geben.

 

Noch stärker als in den verschiedenen Gedichten zur Ehre Napoleons spricht sich die Verachtung der materiellen Ausbeute als Resultat der Heldenthaten im Gedichte „Alexander am Hydaspes“ aus. Tegnér hat den Augenblick gewählt, als die erschöpften und ängstlichen Truppen den grossen Alexander anrufen, sie nicht tiefer in Asien hineinzuführen, sondern den Heereszug zurück nach der Heimath zu leiten. Der König antwortet höhnend: „Glaubt Ihr, dass ich als Jüngling von Macedoniens Gebirgen herunterstieg, um Euch Gold und Purpurgewänder zu verschaffen? Ehre such' ich, nur Ehre und weiter nichts!“ – eine Antwort, die an Schärfe und Präcision nichts zu wünschen übrig lässt. Die Geringschätzung von Menschenleben und Menschenglück wird bei dem hochbegabten und unverzagten Gewaltherrscher als unbedingt berechtigt dargestellt.

Daher begreift man leicht, dass Karl XII., die zugleich verrückteste und imposanteste Gestalt unter den Königen Schwedens, ein Held ohne Fehl für Tegnér werden konnte. Er legt ihm kaum zur Last, dass er mit all' seinen glänzenden Eigenschaften Schweden so tief von dessen europäischer Grossmachtshöhe hinabstürzte, dass es sich nie wieder zu erheben vermocht hat. Es war kein Zufall, dass Tegnér unter allen schwedischen Dichtern derjenige wurde, welcher das schöne Gedicht über den König schrieb, das, obwohl nur als Gelegenheitsgedicht verfasst, der Nationalgesang Schwedens geblieben ist. Das unnütze Sich-in-Gefahren-stürzen lockte immer seine Phantasie; die Halsstarrigkeit, die, mit dem Blicke auf ein selbstgeschriebenes Gesetzbuch der Ehre geheftet, klug zu handeln verachtet, war in seinen Augen kaum ein Fehler, und die Gleichgültigkeit dafür, ob die That zum Siege oder zum Verderben führe, wenn sie nur leuchtet und lärmt, nach seiner Vorstellung eher eine Tugend:

 
Nordens Kraft ist Trotz, und Fallen
Gilt als Siegesruhm uns allen
 

lässt er in seinem Epos „Gerda“ den Bischof Absalon sagen.

Die Umsicht des Staatsmannes und des Gesetzgebers begeisterte ihn nicht: aber er liebte den königlichen Jüngling „vor dessen Wort des Staatsmanns Netze zerrissen“ (Tegnér's „Karl XII.“); die lange voraus erwogenen Pläne des Feldherrn schienen ihm nicht das rechte Zeugniss des kriegerischen Genies; aber er bewunderte über alle Massen die augenblickliche Eingebung auf dem Schlachtfelde und den ungestümen Muth, der ihr folgt.

Man sieht es, wo Tegnér eine von Karl XII. so verschiedene und ihm so überlegene Grösse wie den Retter des Protestantismus, Gustav Adolf, schildert. Was er an ihm preist, sind nicht so sehr seine Verdienste als Politiker und Heerführer, als vielmehr die Eigenschaften, die ihn so viel wie möglich in Eine Reihe mit einem Soldatengeneral wie Karl XII. stellen. Er verweilt mit Begeisterung bei „den plötzlichen und blitzartigen Einfällen auf dem Schlachtfelde“, die ihn „wie jedes andere kriegerische Genie“ auszeichneten. Er lobt Gustav, dass er die Gefahr um ihrer selbst wegen liebte, und sich freute, mit dem Tode zu spielen. Kurz, er hält den engen altnordischen Massstab der Männlichkeit fest und strebt ihn sogar in den Fällen anzulegen, wo er von der wirklichen Grösse weit überragt wird. Er betrachtet es z. B. halbwegs als schmählich für Wallenstein, dass er (aus guten Gründen) der Schlacht auswich, die Gustav, „sein ritterlicher Gegner“ ihm bei Nürnberg anbot.

Was nun diesem Tegnér'schen Ideale die letzte Retouche gibt, das ist die Offenheit, die er von seinem Helden verlangt. Seine eigene, ehrliche und derbe Natur spiegelt sich darin ab. Von Wallenstein sagt er, dass man ihn einen grossen Mann genannt haben würde, „wenn er edel und offen gewesen wäre“. Edelmuth ist nicht genug, Offenheit wird nicht weniger gefordert. Die alten nordischen Berserker warfen in ihrer kriegerischen Hitze die Schilder auf den Rücken; Tegnér findet an dieser Kampfesweise so viel Gefallen, dass er sie auch auf das geistige Feld gern überführt sieht. Ja, die Offenheit scheint ihm sogar eine Art Bürgschaft für die edle Denkweise und liegt ihm mehr am Herzen als jene; denn in der herabsetzenden Charakteristik, die er von Wallenstein gibt, betont er am stärksten sein düsteres, zugeknöpftes Wesen, ohne ihm eigentlich unedle Züge vorzuwerfen. Ihm gegenüber stellt er dann Gustav Adolf auf als die lichte und freimüthige Natur, mit einer Offenheit ausgestattet, die unzweifelhafter bei Tegnér als bei dem in der Regel verschlossenen und wenig zugänglichen König war.

So empfängt jede Gestalt, die Tegnér besingt oder schildert, einen kleinen Druck, der sie in die Form des ihm vorschwebenden Heldenideals hineinpresst.