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Wir wollen einige Beispiele der Sünden gegen das Unbewusste betrachten. So blickt in dem schönen Märchen „Die Schneekönigin“ auf das störendste die unglückliche Absicht hindurch, wo die Schneekönigin fordert, dass Kay mit dem Eisspiele des Verstandes Figuren legen soll, und er nicht im Stande ist, mit diesem Spiel das Wort „Ewigkeit“ zu legen. So herrscht eine grobe und unpoetische Deutlichkeit in „Die Nachbarfamilien“, so oft die Rosen von der Sperlingsfamilie mit dem abstrakten, für eine Sperlingszunge unaussprechlichen Worte „Das Schöne“ benannt werden; man hätte schon ohne diesen Fingerzeig verstanden, dass die Rosen in der Erzählung die Vertreter des Schönen sind, und indem man im Märchen auf dies abstrakte Wort stösst, fährt man zurück, als hätte man einen schleimigen Frosch berührt. – Dies Allegorisiren tritt, wie es in Erzählungen für Kinder zu erwarten stand, am häufigsten in der Form des Docirens und Moralisirens auf; in einzelnen Märchen wie „Der Buchweizen“ spielt das pädagogische Element eine übergrosse Rolle. In anderen wie „Der Flachs“, fühlt man am Schlusse allzu stark – wie bei Jean Paul – den Hang, zur Zeit und zur Unzeit die Unsterblichkeitslehre anzubringen. Hier werden besonders in dieser Absicht zuletzt ein paar kleine, ziemlich abgeschmackte „unsichtbare Wesen“ erschaffen, welche versichern, dass das Lied niemals aus sei. In einigen Fällen ist die Tendenz mehr persönlich. Eine ganze Reihe von Märchen (Das Entlein, Die Nachtigall, Die Nachbarfamilien, Das Gänseblümchen, Die Schnecke und der Rosenstock, Feder und Dintenfass, Die alte Strassenlaterne) spielen auf Dichterleben und Dichterloos an, und in einzelnen Fällen spürt man – was bei Andersen eine seltene Ausnahme ist, – dass die Erfindung an den Haaren herbeigezogen ward, um die Tendenz hervorzukehren. Welcher Sinn und welche Natur liegt z. B. darin, dass die Strassenlaterne, nur, wenn sie mit einem Wachslicht, nicht wenn sie mit einem gewöhnlicheren Lichte, versehen ist, die schönen und bilderreichen Gesichte sehen lassen kann, welche ihr erscheinen? Das ist ganz unverständlich, bis man es als Allegorie auf das vermeintliche Bedürfniss des Dichters nach Wohlstand auffasst, um etwas Rechtes zu werden. („Also das Genie soll dem Schürzenstipendium nachlaufen!“ schrieb bereits Kierkegaard bei Gelegenheit von „Nur ein Geiger“.) Unglücklicher noch ist es, dass die Strassenlaterne in umgeschmolzenem Zustande, in ihrem anderen Leben, zu einem Dichter kommt und so ihre Bestimmung erreicht. So stark hat die Tendenz sich selten verrathen.

Die erste Pflicht des Märchens ist, poetisch zu sein; seine zweite ist, märchenhaft zu erscheinen. Darin liegt zum ersten, dass die Ordnung der Märchenwelt ihm heilig sein muss. Was in der Märchensprache als feste Regel gilt, das muss das Märchen respectiren, so gleichgültig es sich übrigens den Gesetzen und Regeln der wirklichen Welt gegenüber verhalten mag. So geht es nicht an, dass ein Märchen wie „Die Dryade“ seine Heldin von ihrem Baume trennt, sie symbolische Reisen nach Paris machen, auf den „bal Mabille“ gehen lässt u. s. w.; denn es ist nicht unmöglicher für alle Könige der Erde, das kleinste Blatt an eine Nessel zu setzen, als es für das Märchen ist, eine Dryade von ihrem Baume los zu reissen. Aber in der Märchenform liegt zum zweiten, dass der Rahmen nichts in sich aufnehmen kann, was, um poetisch zu seinem Rechte zu gelangen, eine tiefe psychologische Schilderung, eine ernste dramatische oder romanmässige Entwickelung erfordern würde. Eine Frau wie jene Maria Grubbe, von deren interessantem Leben Andersen uns in der Geschichte vom „Hühner-Gretchen“ eine Skizze gibt, ist zu sehr ein Charakter, als dass es einem Märchendichter möglich sein sollte, ihr Wesen zu schildern oder zu erklären; versucht er es, so empfindet man ein Missverhältniss zwischen dem Gegenstande und der Form38. Man darf sich indess weniger über diese einzelnen Flecken wundern, als vielmehr darüber, dass sie so äusserst selten vorkommen. Ich habe sie auch nur hervorgehoben, weil es interessant ist, durch die Ueberschreitung der Grenze letztere selbst kennen zu lernen, und weil es mir wichtig schien, zu ermitteln, wie das Flügelross des Märchens, bei all seiner Freiheit, den ganzen Kreis zu durchlaufen und zu durchfliegen, doch seinen festen Spannpflock im Centrum hat.

Seine Schönheit, seine Stärke, seine Flugkraft und Anmuth sieht man nicht, indem man auf seine Schranke achtet, sondern indem man seinen mannigfachen und kühnen Bewegungen innerhalb seines Kreises folgt. Hierauf wollen wir zum Schlusse einen Blick werfen. Die Märchen liegen vor uns wie eine grosse, reiche, blumenbesäte Flur. Lasst uns frei auf derselben umher schweifen, sie nach kreuz und quer durchwandern, bald hier, bald da ein Blümchen pflückend, uns erfreuend an seiner Farbe, seiner Schönheit, an dem Ganzen. Diese kleinen kurzen Dichtungen stehen ja wirklich in demselben Verhältnisse zu den umfangreicheren Poesien, wie die kleinen Blumen zu den Bäumen des Waldes. Wer an einem schönen Tage zur Frühlingszeit nach einem seeländischen Walde hinaus spaziert, um die Buche in ihrer jungen Pracht mit den braunen Sammtknöpfen in der hellgrünen Seide zu sehen, der wendet, wenn er eine Zeit lang in die Höhe geblickt hat, seine Augen zur Erde hinab, und da zeigt sich, dass der Waldgrund eben so schön wie das Wipfeldach des Waldes ist. Hier wachsen in geringem Abstande buntfarbige Anemonen, weisse und dunkelrothe Maiblumen, gelbe Sternblümchen, rothe und blaue Nelkenwurz, Butterblumen und Steinbrech, Sternkraut, Dotterblumen und Löwenzahn. Nahe bei einander stehen die Knospe, die entfaltete Blume und die, welche schon Samen trägt, die jungfräuliche und die befruchtete Pflanze, die duftlosen und die wohlriechenden Blumen, die giftigen und die nützlichen, die heilsamen Kräuter. Häufig ist die Pflanze, welche im Systeme den niedrigsten Platz einnimmt, wie das blüthenlose Farnkraut, für das Auge die schönste. Blumen, welche zusammengesetzt erscheinen, bestehen bei näherer Betrachtung aus ganz wenigen Blättern, und Pflanzen, deren Blüthe eine einzelne scheint, tragen auf ihrer Spitze einen ganzen Flor nur durch den Stengel vereinigter Blumen. So ist's auch mit den Märchen. Die, welche betreffs ihrer Würde am niedrigsten stehen, wie „Die Springer“, enthalten oft eine ganze Lebensphilosophie in kurzem Auszuge, und die, welche als einzeln erscheinen, wie die „Galoschen des Glücks“, bestehen aus einer lose verbundenen Blüthendolde. Einige stehen in der Knospe, wie „Der Wassertropfen“, andere schiessen in Samen, wie „Das Judenmädchen“ oder der „Stein der Weisen“. Einige bestehen nur aus einem einzigen Punkte, wie „Die Prinzessin auf der Erbse“, andere haben grosse, edle Formen, wie die in Indien besonders beliebte „Geschichte einer Mutter“, welche einer fremden, südländischen Blume, der Kala, gleicht, die in ihrer erhabenen Einfalt nur aus einem einzigen Blatte besteht.

Ich schlage das Buch aufs geradewohl auf, und mein Auge fällt auf „Erlenhügel“. Welches Leben und welche Laune: „In der Küche waren vollauf Frösche am Spiesse, Natterhäute mit Kinderfingerchen darin, und Salate von Pilzsamen, feuchten Mäuseschnauzen und Schierling, … verrostete Nägel und Kirchenfensterglas gehörten zum Naschwerk“. Glaubt man, die Kinder seien hier vergessen? Keineswegs. „Der alte Erlenkönig liess seine Goldkrone mit gestossenem Schiefer poliren; es war Bank-Erster-Schiefer, und es ist für den Erlenkönig sehr schwer, Bank-Erster-Schiefer zu erhalten!“ Glaubt man, hier sei nichts für die Erwachsenen? Noch mehr gefehlt! „O, wie sehne ich mich nach dem alten, norwegischen Kobold! Die Knaben, sagt man, sollen etwas unartige, naseweise Jungen sein … Sie gehen mit blassem Halse und ohne Tragbänder, denn sie sind Kraftmänner“. Welch ein Festgelag! Das Todtenpferd ist unter den Eingeladenen. Glaubt man, Andersen vergässe beim Gelage den Charakter des Gastes? „Nun mussten die Erlenmädchen tanzen, und zwar sowohl einfach wie mit Stampfen, und das stand ihnen gut … Der Tausend! wie sie die Beine ausstrecken konnten, man wusste nicht, was Ende und was Anfang, man wusste nicht, was Arme und was Beine waren; das ging alles durch einander wie Sägespäne; und dann schnurrten sie herum, dass dem Todtenpferde unwohl wurde und es vom Tische gehen musste“. Andersen kennt das Nervensystem des Todtenpferdes und gedenkt dessen schwachen Magens.

Er hat die echte Gabe, übernatürliche Wesen zu erschaffen, welche in der modernen Zeit so selten ist. Wie tief symbolisch und wie natürlich ist es z. B., dass die kleine Seejungfer, als ihr Schwanz zu „zwei niedlichen Beinen“ eingeschrumpft ist, bei jedem Schritte, den sie macht, das Gefühl hat, als ob sie auf scharfe Messer und spitze Nadeln träte. Wie viele arme Frauen treten nicht bei jedem Schritt, den sie thun, auf scharfe Messer um demjenigen nahe zu sein, den sie lieben, und wie weit sind doch diese davon, die unglücklichsten zu sein! – Eine herrlich gezeichnete Bande ist ferner jene Koboldschaar in der „Schneekönigin“, ein treffliches Sinnbild ist der Hexenspiegel, und eine tief empfundene Gestalt diese Königin selbst, die, mitten auf dem öden Schneefelde sitzend, alle kalte Schönheit desselben in sich eingesogen hat. Dies Weib ist gewissermassen verwandt mit der Nacht, einer der eigenthümlichsten Gestalten Andersen's. Es ist nicht Thorwaldsen's milde, schlafbringende Nacht, nicht Carstens' ehrwürdige mütterliche Nacht, sondern die schwarze, unheimliche, schlaflose und grausenvolle: „Draussen mitten im Schnee sass eine Frau in langen, schwarzen Gewändern, und sie sprach: ‚Der Tod ist bei Dir in Deiner Stube gewesen, ich sah ihn mit Deinem kleinen Kinde davon eilen, er schreitet schneller als der Wind und bringt niemals zurück, was er genommen hat‘. ‚Sag mir blos, welchen Weg er gegangen ist!‘ sagte die Mutter; ‚sag mir den Weg, und ich werde ihn finden‘. ‚Ich kenne ihn‘, sagte die Frau in den schwarzen Gewändern; ‚aber bevor ich ihn Dir sage, musst Du mir erst alle die Lieder vorsingen, die Du Deinem Kinde vorgesungen hast. Ich liebe diese Lieder, ich habe sie früher gehört; ich bin die Nacht und sah Deine Thränen, als Du sie sangst‘. ‚Ich will sie alle, alle singen!‘ sagte die Mutter; ‚aber halte mich nicht auf, damit ich ihn einholen, damit ich mein Kind wiederfinden kann!‘ Aber die Nacht sass stumm und still. Da rang die Mutter ihre Hände, sang und weinte, und es gab viele Lieder, aber noch mehr Thränen“. Die Mutter geht weiter, weint sich die Augen aus, um für diesen Preis über den See zu gelangen, und gibt, um in das Treibhaus des Todes zu kommen, dem „alten Grabweib“ ihr langes schwarzes Haar und erhält deren weisses dafür.

 

Wir treffen eine unzählbare Menge von Phantasiegeschöpfen, kleine elfenhafte Gottheiten wie Ole Luköje (der Sandmann) oder die Kobolde mit den rothen Mützen, und die nordische Dryade, Fliedermütterchen. Man fühlt hier recht Andersen's Stärke, wenn man sie mit der Ohnmacht der zeitgenössischen dänischen Dichter in dieser Hinsicht vergleicht. Was für blasse Gestalten sind nicht Heiberg's Pomona, Asträa oder Fata Morgana! Andersen gibt selbst dem Schatten einen Körper. Was sagt der Schatten? Was sagt er zu seinem Herrn? „Ich bin von Kindesbeinen an in Ihre Fusstapfen getreten“. Das ist wahr. „Wir sind ja von Kind an mit einander aufgewachsen“. Das ist nicht minder wahr. Und als er sich nach einem Besuche empfiehlt: „Adieu! Hier ist meine Karte, ich wohne auf der Sonnenseite und bin bei Regenwetter stets zu Hause“.39 Andersen kennt die Sehnsuchts-Qualen des Schattens, seine Gewohnheiten und seine Wollust: „Ich lief im Mondscheine auf der Strasse umher, ich reckte mich lang an der Mauer hinauf, das kitzelt so angenehm auf dem Rücken“. Dies Märchen vom Schatten, das keineswegs an Chamisso erinnert, ist eine kleine Welt für sich. Ich nehme keinen Anstand, es eins der grössten Meisterwerke in der dänischen Litteratur zu nennen. Es ist die Epopöe aller Schatten, aller Menschen aus zweiter Hand, aller unoriginellen, unursprünglichen Geister, aller derjenigen, welche wähnen, dass sie durch die blosse Losreissung von ihrem Originale Persönlichkeit, Selbständigkeit und wirkliches, echtes Menschendasein erlangen. Es ist auch eins der wenigen, wo der Dichter trotz seines weichherzigen Optimismus gewagt hat, die hässliche Wahrheit in ihrer ganzen Nacktheit hervor treten zu lassen. Der Schatten beschliesst, um sich vor allen Enthüllungen betreffs seiner Vergangenheit zu sichern, dem Menschen das Leben zu nehmen: „‚Der arme Schatten!‘ (d. h. der Mensch) sagte die Prinzessin; ‚er ist sehr unglücklich, es wäre eine wahre Wohlthat, ihn von dem bisschen Leben zu befreien, und wenn ich recht darüber nachdenke, so scheint es mir nöthig zu sein, dass man ihn in aller Stille bei Seite schaffe‘. ‚Das ist allerdings hart, denn er war ein treuer Diener‘, sagte der Schatten, und er that, als wenn er seufzte. ‚Du bist ein edler Charakter!‘ sagte die Königstochter“. – Dies Märchen ist endlich eins von denen, in welchen man am leichtesten den Uebergang vom Natürlichen zum Uebernatürlichen beobachten kann: der Schatten reckt und streckt sich solange, „um zu Kräften zu kommen“, bis es ganz natürlich ist, dass er sich zuletzt losreisst.

Wir schlagen das Buch zu und öffnen es an einer anderen Stelle. Da stossen wir auf „Die Springer“. Eine kurze und bündige Belehrung über das Leben. Die Hauptpersonen sind der Floh, der Heuschreck und der Hüpfauf aus dem Gänsebrustknochen; die Königstochter ist der Preis für den besten Sprung. „Merkt's euch Alle“, sagt die Muse des Märchens, „Springt mit Verstand! Es frommt nicht, so hoch zu springen, dass Niemand euch sehen kann; dann behauptet der Pöbel, es sei so gut, als wäret ihr gar nicht gesprungen. Seht nur auf all' die grössten Geister, Denker, Dichter und Männer der Wissenschaft. Für die Menge ist es, als hätten sie gar keinen Sprung gethan, sie ernteten keinen Lohn, Körper gehört dazu! Es frommt auch nicht, hoch und gut zu springen, wenn man den Machthabern in's Gesicht springt. Auf die Art macht man fürwahr keine Karriere. Nein, nehmt den Hüpfauf zum Vorbild! Der ist fast apoplektisch, zuerst hat es den Anschein, als könne er gar nicht springen, und viele Bewegungen kann er gewiss auch nicht machen; aber dennoch macht er – mit dem Instinkte der Dummheit, mit der Geschicklichkeit der Trägheit – einen kleinen schiefen Sprung gerade in den Schoss der Prinzessin. Nehmt euch ein Exempel dran, er hat gezeigt, dass er Kopf hat!“

Welch' eine Perle von Märchen! und welche Gabe, die Thiere menschlich zu benutzen! Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass man zuweilen fast in Zweifel ist, was der ganze Einfall, die Thiere reden zu lassen, im Grunde zu bedeuten hat. Eins ist es ja, ob wir Leser uns getroffen fühlen, ein Anderes, ob auch der Charakter des Thieres wirklich getroffen ist, des Thieres, das nicht eine einzige menschliche Eigenschaft hat. Man wird indess leicht einsehen, dass es unmöglich ist von dem Thiere, selbst rein wissenschaftlich zu reden, ohne ihm Eigenschaften beizulegen, die wir von uns selber her kennen. Wie soll man es z. B. vermeiden, den Wolf grausam zu nennen? Andersen's Geschicklichkeit besteht nun darin, eine poetische, eine schlagende Scheinübereinstimmung zwischen dem Thiere und seiner menschlichen Eigenschaft hervor zu bringen. Ist es nicht richtig, dass die Katze zu Rudy sagt: „Komm' nur mit hinaus auf's Dach, kleiner Rudy! Was die Leute vom Herunterfallen reden, ist eitel Einbildung: man fällt nicht, wenn man sich nicht davor fürchtet. Komm' nur, setze Deine eine Pfote so, die andere so! fühle vor mit den Vorderpfoten! Musst Augen im Kopfe und geschmeidige Glieder haben! Kommt irgend 'ne Kluft, so springe nur und halte Dich fest, so mach ich's!“

Ist es nicht natürlich, dass die alte Schnecke sagt: „Das hat doch auch gar keine Eile. Aber Du eilst immer so sehr, und der Kleine fängt das nun auch schon an. Kriecht er nicht bereits seit drei Tagen an dem Stengel hinauf! Ich bekomme wirklich Kopfweh, wenn ich zu ihm emporblicke“.

Was schildert treffender eine Wochenstube, als die Ausbrütung der jungen Entlein! Was ist wahrscheinlicher, als dass die Sperlinge sagen, wenn sie ihre Nachbarn ausschimpfen wollen: „Die dickköpfigen Rosen!“40

Ein Märchen habe ich mir bis zuletzt aufgespart; jetzt suche ich es hervor, denn es ist gleichsam die Krone des Werkes. Es ist das Märchen von der „Glocke“, in welchem der Dichter der Naivetät und der Natur den Höhepunkt seiner Poesie erreicht hat. Wir sahen sein Talent, das Uebermenschliche und das Untermenschliche natürlich zu schildern. In diesem Märchen steht er der Natur selber von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Es handelt von der unsichtbaren Glocke, welche zu suchen die jungen Confirmanden ausgingen – die Jünglinge, bei welchen die Sehnsucht nach dem unsichtbar Lockenden und Reizenden noch frisch war. Der Kaiser hatte versprochen, „dass der, welcher wirklich ausfindig machen könne, woher der Schall komme, den Titel eines ‚Weltglöckners‘ haben solle, und das selbst dann, wenn es keine Glocke sei. Nun gingen Viele der guten Versorgung halber nach dem Walde; aber der Einzige, der mit einer Art Erklärung zurückkam, war, so wenig, wie die Andern, tief genug eingedrungen; er sagte jedoch, dass der Glockenton von einer sehr grossen Eule in einem hohlen Baume herkomme; es sei eine Art Weisheits-Eule, die ihren Kopf fortwährend gegen den Baum stosse. Und so wurde er als Weltglöckner angestellt und schrieb jedes Jahr eine kleine Abhandlung über die Eule; man ward dadurch eben so klug, wie man vorher gewesen war“. Die Konfirmanden gehen also auch dieses Jahr hinaus, „und sie hielten einander bei den Händen, denn sie hatten ja noch keine Aemter erhalten“. Allein bald ermüden sie, Einer nach dem Andern, und kehren um, dieser aus einem Grunde, jener aus einem Vorwande. Eine ganze Klasse bleibt bei einer kleinen Glocke auf einem idyllischen Häuschen stehen, ohne, wie die wenigen Ausharrenden, zu bedenken, dass eine so kleine Glocke nicht das anziehende Glockenspiel verursachen könne, sondern „dass es ganz andere Töne sein müssten, die ein Menschenherz so rührten“, und sie begeben sich mit ihrer kleinen Hoffnung, ihrer kleinen Sehnsucht zur Ruhe bei dem kleinen Funde, dem kleinen Glücke, der kleinen idyllischen Freude. Ich denke mir, der Leser ist einigen dieser Konfirmanden als Erwachsenen schon begegnet. Zuletzt sind nur noch Zwei übrig, ein Königssohn und ein armer kleiner Knabe in Holzschuhen „und mit einer so kurzen Jacke, dass man recht sehen konnte, wie lange Handgelenke er habe“. Unterwegs trennen sie sich; denn der eine wollte die Glocke zur Rechten, der andere zur Linken suchen. Der Königssohn suchte die Glocke auf dem Wege, der „auf der Seite des Herzens“ lag, der arme Knabe suchte sie in der entgegengesetzten Richtung. Wir folgen dem Königssohne, und wir lesen mit Bewunderung, welche mystische Pracht der Dichter der Gegend zu geben weiss, indem er die natürlichen Farben der Blumen verändert und vertauscht. „Aber er ging unverdrossen tiefer und tiefer in den Wald, wo die wunderbarsten Blumen wuchsen; da standen weisse Sternlilien mit blutrothen Staubfäden, himmelblaue Tulpen, die im Winde funkelten, und Apfelbäume, deren Aepfel wie grosse, glänzende Seifenblasen aussahen; denkt nur, wie die Bäume im Sonnenschein strahlen mussten!“ Die Sonne geht unter, der Königssohn fürchtet schon, von der Nacht überrascht zu werden; er steigt auf die Felsen hinauf, um die Sonne noch einmal zu sehen, ehe sie ganz am Horizonte versinkt. Man höre den Hymnus des Dichters:

„Und er ergriff Ranken und Wurzeln und kletterte an den nassen Steinen empor, wo die Wasserschlangen sich wanden, wo die Kröte ihn gleichsam anbellte; – aber hinauf kam er, bevor die Sonne, von dieser Höhe gesehen, ganz untergegangen war. O, welche Pracht! Das Meer, das grosse, herrliche Meer, das seine langen Wogen gegen die Küste wälzte, streckte sich vor ihm aus, und die Sonne stand wie ein grosser, glänzender Altar da draussen, wo Meer und Himmel sich begegneten; Alles verschmolz in glühenden Farben; der Wald sang und das Meer sang und sein Herz sang mit. Die ganze Natur war eine grosse, heilige Kirche, worin Bäume und schwebende Wolken die Pfeiler, Blumen und Gras die gewebte Sammetdecke, und der Himmel selbst die grosse Kuppel bildeten; dort oben erloschen die rothen Farben, indem die Sonne verschwand; aber Millionen Sterne wurden angezündet, Millionen Diamantlampen erglänzten, und der Königssohn breitete seine Arme aus gegen den Himmel, gegen das Meer und den Wald – und im selben Augenblicke kam, von dem rechten Seitenwege, der arme Konfirmand mit der kurzärmeligen Jacke und den Holzschuhen; er war hier eben so zeitig angelangt, er war auf seinem Wege dahin gekommen. Und sie liefen einander entgegen und fassten einander an der Hand in der grossen Kirche der Natur und der Poesie. Und über ihnen ertönte die unsichtbare, heilige Glocke; selige Geister umschwebten sie im Tanze zu einem heiligen Hallelujah!“

 

Das Genie gleicht dem reichen Königssohne, sein aufmerksamer Zuhörer dem armen Knaben; aber Kunst und Wissenschaft begegnen sich, obschon sie sich unterwegs trennen, in der Begeisterung und der Andacht gegenüber dem göttlichen All der Natur.

38Ihr Leben hat später als historische Grundlage des glänzenden Romans „Frau Maria Grubbe“ von J. P. Jacobsen gedient.
39Hier, wie überall, hat der Dichter seinen treuen Verbündeten in der Sprache, in den Wortspielen, die ihm unter der Feder hervor tanzen, sobald er sie ansetzt. Man sehe z. B., wie es in „Die alte Strassenlaterne“ oder „Der Schneemann“ von Wortspielen wimmelt. Man sehe, wie er die Lautsprache der Thiere benutzt, z. B.: „‚Quak!‘ sagte die kleine Kröte, und es war gerade, als wenn wir Menschen ‚Ach!‘ sagen.“
40Man vergleiche des Gegensatzes halber die Art und Weise, wie Heiberg in „Weihnachtsspässe und Neujahrspossen“ den Handschuh, das Busentuch, die Flasche reden lässt, ferner Alfred de Musset's „Le merle blanc“ und Taine's „Vie et opinions philosophiques d'un chat“ in seinem Werke „Voyage aux Pyrénées“.