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II

Halten wir also den Faden fest, so verstehen wir, wie das Kindliche im Vortrage und Vorstellungskreise der Märchen, die treuherzige Weise mit der sie das Unwahrscheinlichste berichten, ihnen gerade dichterischen Werth verleiht. Denn was ein Schriftwerk bedeutungsvoll macht, was ihm Ausbreitung im Raume und dauernde Bedeutung in der Zeit verleiht, das ist die Macht, mit welcher es das im Raume Verbreitete und in der Zeit Dauernde darzustellen vermag. Es erhält sich durch die Kraft, mit welcher es auf eine deutliche und formvollendete Art das Konstante veranschaulicht. Die Schriften, welche die in der Zeit oder im Raume eng begrenzten Stimmungen oder Gefühle festhalten, diejenigen, welche sich um rein lokale Verhältnisse bewegen, oder von einem Modegeschmack getragen werden, der sein Erzeugniss und sein Bild in ihnen findet, verschwinden mit der Mode, welche sie hervorrief. Ein Gassenhauer, ein Zeitungsartikel, eine Festrede halten eine Stimmung fest, welche die Stadt oberflächlich acht Tage lang erfüllte, und leben daher selbst ungefähr eben so lange. Oder, um höher hinauf zu steigen: in einem Lande entsteht plötzlich ein gewisser untergeordneter Hang, z. B. die Lust Privatkomödie zu spielen, wie sie zur Zeit „Wilhelm Meister's“ in Deutschland oder zwischen 1820 und 1830 in Dänemark epidemisch war. Eine solche Stimmung ist zwar an und für sich nicht bedeutungslos, aber psychologisch betrachtet ist sie durchaus oberflächlich und berührt nicht das tiefere Leben der Seele. Macht man sie nun also zum Gegenstand der Satire, wie es in Dänemark in Rosenkilde's „Der dramatische Schneider“ oder in Henrik Hertz's „Herr Burchardt und seine Familie“ geschah, so werden diese Werke, welche, ohne die Epidemie unter einen höheren Gesichtspunkt zu stellen, sie nur schildern und lächerlich machen, eben so kurzlebig wie jene sein.

Steigen wir jetzt eine Stufe höher, so erreichen wir die Werke, welche den psychologischen Zustand eines ganzen Geschlechts, eines ganzen Menschenalters wiederspiegeln. Solche Erzeugnisse sind die gutmüthige Trinkliederpoesie des vorigen Jahrhunderts, die politische Gelegenheitsdichtung des jetzigen. Sie sind historische Urkunden, aber ihr Leben und ihr poetischer Werth stehen, in direktem Verhältnisse zu der Tiefe, mit welcher sie sich dem allgemein Menschlichen, dem in der geschichtlichen Strömung Konstanten nähern. Mit grosser und entschiedener Bedeutung treten sodann in dieser Stufenfolge die Werke hervor, in denen ein Volk ein halbes oder ganzes Jahrhundert lang oder während einer ganzen geschichtlichen Periode sich porträtirt gesehen und die Aehnlichkeit anerkannt hat. Solche Werke müssen nothwendigerweise einen Seelenzustand von beträchtlicher Dauer schildern, welcher, eben weil er so dauernd ist, seinen geologischen Platz in den tieferen Schichten der Seele haben muss, da sonst der Wellenschlag der Zeit ihn weit eher fortspülen würde. Diese Werke verkörpern nämlich die ideale Persönlichkeit einer Zeit, d. h. die Persönlichkeit, welche den Menschen jener Zeit als ihr Spiegel- und Musterbild vorschwebt. Es ist diese Persönlichkeit, welche Künstler und Dichter in Stein hauen, malen und schildern, und für welche Musiker und Dichter schaffen. Im griechischen Alterthume waren es der geschmeidige Athlet und der wissbegierige, fraglustige Jüngling, im Mittelalter der Ritter und Mönch, unter Ludwig XIV. der Hofmann, im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts war es Faust. Die Werke, welche solche Gestalten darstellen, drücken also den geistigen Zustand eines ganzen Zeitalters aus, allein die bedeutendsten derselben stellen noch mehr dar, sie spiegeln und verkörpern zugleich den Charakter eines ganzen Volkes, eines ganzen Stammes, einer ganzen Kultur, indem sie die allertiefste elementarste Schicht der einzelnen Menschenseele und der Gesellschaft erreichen, welche jene in seiner kleinen Welt concentrirt und vertritt. Man könnte solchergestalt die Geschichte einer ganzen Litteratur mittelst weniger Namen schreiben, indem man die Geschichte ihrer idealen Persönlichkeiten schriebe. Die dänische Litteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts liegt z. B. zwischen den beiden Typen: Oehlenschläger's Aladdin und Frater Taciturnus in Kierkegaard's „Stadien auf dem Lebenswege“. Der Erstere ist ihr Ausgangspunkt, der Letztere ihre Vollendung und ihr Abschluss. Da nun der poetische Werth dieser Persönlichkeiten, wie gesagt, auf der Tiefe beruht, mit welcher sie im Volkscharakter oder in der Menschennatur begründet sind, so wird man leicht erkennen, dass z. B. eine Persönlichkeit wie Aladdin, um in ihrer eigenthümlichen Schönheit verstanden zu werden, mit der idealen Persönlichkeit verglichen werden muss, welche uns vom Anbeginn der Zeiten her in der Phantasie des dänischen Volkes entgegen leuchtet. Man findet diese Persönlichkeit, indem man eine grosse Anzahl der ältesten mythischen und heroischen Gestalten des Volkes neben einander hält. Sollte ich einen einzelnen Namen angeben, so würde ich Uffe den Schüchternen nennen34. An Tugenden wie an Fehlern ist er ein Koloss von einem dänischen Heros. Man sieht leicht, in welchem Grade alle die besten Gestalten Oehlenschläger's, sein ruhiger Thor, sein sorgloser Helge und sein unthätiger Aladdin dem Helden nacharten, und man sieht bei dieser Betrachtung, wie tief Aladdin im Volkscharakter wurzelt, während er gleichzeitig ein Zeitideal von ungefähr fünfzigjähriger Dauer ausdrückt. Wie Frater Taciturnus eine Variante des Fausttypus ist, würde ebenfalls leicht zu veranschaulichen sein. Bisweilen ist es also möglich, nachzuweisen, wie die ideale Persönlichkeit ein Zeitalter hindurch sich über die verschiedensten Länder und Völker, über einen ganzen Welttheil erstreckt, und ihren Stempel in einer ganzen Gruppe von Litteraturwerken hinterlässt, welche einander wie Abdrücke einer und derselben Geistesform, Abdrücke eines und desselben riesigen Petschafts in den verschiedenartigst gefärbten Oblaten gleichen. So leitet die Persönlichkeit, welche in der dänischen Litteratur als „der Verführer Johannes“ (in Kierkegaard's „Entweder – Oder“) hervortritt, sich von Byron's Helden, von Jean Paul's Roquairol, von Chateaubriand's René, von Goethe's Werther ab, und wird ganz gleichzeitig in Lermontow's Petschorin („Ein Held unserer Zeit“) dargestellt. Um eine solche Persönlichkeit zu stürzen, genügen nicht die gewöhnlichen Wellenschläge und Stürme der Zeit, erst die Revolution von 1848 hat sie beseitigt.

Gegensätze berühren sich. Auf dieselbe Weise, wie eine tief eingreifende, allgemein menschliche Seelenkrankheit sich gleichzeitig über ganz Europa erstreckt und durch ihre Tiefe bewirkt, dass die Werke, welche zuerst als ihre Portraits erschaffen wurden, als ihre Denkmäler stehen bleiben, eben so werden aus demselben Grunde auch diejenigen Werke allgemein europäisch und langlebig, welche das Elementarste in der gesunden Menschennatur, die kindliche Phantasie und das kindliche Gefühl abspiegeln, und sich folglich auf Thatsachen berufen, die Alle erlebt haben (alle Kinder schliessen Königreiche mit einem Schlüssel zu); sie stellen das Leben dar, welches in der ersten Periode der Menschenseele stattfand, und erreichen also eine Geistesschicht, die bei allen Völkern und in allen Ländern am tiefsten liegt. Das ist die einfache Erklärung der Thatsache, dass Andersen allein unter allen dänischen Dichtern eine europäische, ja mehr als europäische Verbreitung gefunden hat. Mir ist keine andere Erklärung zu Ohren gekommen, es wäre denn die, welche seine Berühmtheit daraus ableiten will, dass er selbst umher gereist sei und für seinen Ruhm gesorgt habe. Ach, wenn Reisen es thäten, so müssten die Reisestipendien für Künstler jeglicher Art, die alljährlich vertheilt werden müssen, Dänemark allmählig einen ganzen Flor europäischer Berühmtheiten schaffen, wie sie ihm bereits Dichter auf Dichter schaffen. Die Dichter sind freilich danach. Aber selbst die übrigen, minder boshaften Erklärungsgründe, welche man anführen könnte, z. B. dass fast er allein unter den grösseren dänischen Dichtern in Prosa geschrieben hat und sich desshalb allein ohne Zwang übersetzen lässt, dass sein Genre so populär oder dass er ein grosses Genie ist, besagen entweder zu wenig oder zu viel. Es giebt in der dänischen Litteratur mehr als einen Genius, der grösser als Andersen ist, Viele, die betreffs ihrer Begabung durchaus nicht hinter ihm zurückstehen. Aber es gibt keinen, dessen Schöpfungen so elementar sind. Besass Heiberg, so gut wie er, den Muth, sich eine Kunstart (das Vaudeville) nach seiner Eigenthümlichkeit umzuformen, so hat er doch nicht, wie Jener, das Glück gehabt, eine einzelne Kunstart zu finden, in welcher er sein ganzes Talent offenbaren, all' seine Gaben kombiniren konnte, wie es Andersen im Märchen vermochte, noch Stoffe zu finden, bei welchen die Zeit- und Lokalverhältnisse von so verschwindender Bedeutung sind. Sein bestes Vaudeville, „Die Unzertrennlichen“, würde nur in den wenigen Ländern verstanden werden, wo man, wie in den skandinavischen Ländern, den „Mässigkeitsverein der Seligkeit“ (Ibsens Ausdruck für die lange Verlobung) kennt, mit welchem das Vaudeville seinen Spott treibt. Aber wie Muth dazu gehört, Talent zu haben, so gehört Glück dazu, Genie zu besitzen, und Andersen hat es weder an dem Glücke noch an dem Muthe gefehlt.

 

Das Elementare in Andersen's Poesie sicherte ihm einen Leserkreis unter den Gebildeten aller Länder. Es sicherte ihm einen noch erheblicheren unter den Ungebildeten. Das Kindliche ist in seinem Wesen selbst volksthümlich, und der Verbreitung nach aussen entspricht eine Verbreitung nach unten. Wegen der tiefen und betrübenden, aber natürlichen Spaltung der Gesellschaft in verschiedene Bildungsschichten wirkt die gute Litteratur fast nur auf eine einzige Klasse. Wenn in Dänemark eine Reihe Litteraturerzeugnisse, wie Ingemann's Romane, eine Ausnahme machen, so geschieht es zumeist durch Eigenschaften, welche sie von den Gebildeten entfernen: durch Unwahrheit der Charakterschilderung und der historischen Farbe. Es verhält sich mit Ingemann's Romanen wie mit Grundtvig's Theorien; will man sie vertheidigen, so kann das nicht geschehen, indem man ihre Wahrheit beweist, sondern indem man rein praktisch, den äusseren Nutzen, den sie gestiftet, den Vortheil betont, den sie der dänischen Sache, der Volksaufklärung, der Frömmigkeit etc. gebracht haben. Ingemann's Romane stehen übrigens in einem bemerkenswerthen Verhältnisse zu Andersen's Märchen. Letztere werden von den jüngeren Kindern, erstere von den älteren gelesen. Die Märchen entsprechen der üppigen Einbildungskraft und dem warmen Mitgefühle des Kindes und des etwas älteren Mädchens, die Romane dem phantastischen Thatendrange des Kindes und besonders des etwas älteren Knaben, dem erwachenden Ritterlichkeitsgefühle, der Eitelkeit, Gefallsucht und Keckheit. Letztere sind für erwachsene Menschen geschrieben; allein der gesunde Sinn der Nation hat sie langsam fallen lassen, bis sie ihr natürliches Publikum bei dem Alter zwischen zehn und zwölf Jahren fanden. Wahrheit ist etwas Relatives. Für den Zwölfjährigen sind diese Bücher eben so voll von Wahrheit, wie für den Zwanzigjährigen von unschuldiger Lüge. Und man muss sie bis zu zwölf Jahren lesen; denn bei zwölf und ein halb ist es schon zu spät, wenn man ein bisschen fortgeschritten in der geistigen Entwicklung ist. Mit den Märchen verhält es sich umgekehrt. Von Anfang an für Kinder geschrieben und beständig von diesen gelesen, sind sie rasch zu den Erwachsenen empor gestiegen und von ihnen für echte Kinder des Genius erklärt worden.

Es war also ein glücklicher Griff, der Dichter der Kinder zu werden. Nach langem Umhertasten, nach misslungenen Versuchen, die nothwendigerweise ein falsches und ironisches Licht auf das Selbstgefühl eines Dichters werfen mussten, dessen Stolz seine Berechtigung hauptsächlich in der Anwartschaft auf eine Zukunft trug, die er in sich schlummern fühlte, nach vieljährigem Umherschweifen verirrte sich Andersen, ein echter Spross Oehlenschläger's, auf Oehlenschläger's Spuren und fand sich eines Abends vor einer kleinen unansehnlichen, aber geheimnissvollen Thür stehen, vor der Thür des Märchens. Er berührte sie, sie gab nach, und er sah in der Dunkelheit drinnen das kleine „Feuerzeug“ brennen, das seine Aladdinslampe ward. Er schlug Feuer damit, und die Geister der Lampe, – die Hunde mit Augen, so gross wie Theetassen, wie Mühlräder, wie der Runde-Thurm in Kopenhagen – standen vor ihm und brachten ihm die drei riesigen Kisten mit allen Kupfer-, Silber- und Goldschätzen des Märchens. Das erste Märchen war da, und das „Feuerzeug“ zog alle anderen nach sich. Wohl dem, der sein „Feuerzeug“ findet!

In welchem Sinne ist nun das Kind Andersen's ideale Gestalt? Es kommt in allen Ländern ein gewisser Zeitpunkt, wo die Litteratur plötzlich das gleichsam entdeckt, was lange unbemerkt in der Gesellschaft gelegen hat. So wird in einer Litteratur nach und nach der Bürger (in Dänemark von Holberg), der Student, der Bauer u. s. w. entdeckt. Zu Platon's Zeit war das Weib noch nicht offenbart. Das Kind wird zu verschiedener Zeit in den verschiedenen Litteraturen entdeckt, in England z. B. weit eher, als in Frankreich. Andersen entdeckt das Kind in Dänemark. Doch hier, wie überall, geschieht die Entdeckung nicht ohne Voraussetzungen und Bedingungen, und hier, wie überall, ist in der dänischen Litteratur Oehlenschläger derjenige, dem man den ersten Antrieb, die Grundentdeckung verdankt, welche die fast aller späteren Dichter bedingt. Die Einsetzung des Kindes in seine natürlichen poetischen Rechte ist nur eins der vielen Erscheinungen der Thronbesteigung der Naivetät, deren Urheber in der dänischen Litteratur Oehlenschläger ist.

Das achtzehnte Jahrhundert, das seine Stärke im raisonirenden Verstande hat, seinen Feind in der Einbildungskraft, in welcher es nur den Bundesgenossen und Leibeigenen der veralteten Ueberlieferungen sieht, seine Königin in der Logik, seinen König in Voltaire, den Gegenstand seiner Poesie und seiner Wissenschaft in dem abstrakten, dem aufgeklärten und gesellschaftlichen Menschen findet, schickt das Kind, das weder gesellschaftlich, noch aufgeklärt, noch abstrakt ist, aus der Wohnstube hinaus und weit, weit in die Ammenstube hinüber, wo es Märchen, Sagen und Räubergeschichten hören mag, so viel ihm beliebt, wohlgemerkt, wenn es als erwachsener Mensch Sorge dafür trägt, all' dies Unwürdige wieder vergessen zu haben. In der Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts (ich ziehe die Scheidelinie nicht scharf auf der Grenze) tritt der Rückschlag ein. An die Stelle des gesellschaftlichen Menschen tritt der einzelne, der persönliche Mensch. Man schätzte nur das Bewusstsein, jetzt betet man das Unbewusste an, Schelling's Naturphilosophie löst Fichte's Ich-System ab; man führt Krieg gegen die unfruchtbare Verstandesreflexion, setzt Sage und Märchen wieder in ihre Rechte ein, bringt die Kinderstube und ihre Bewohner wieder zu Ehren, bisweilen sogar allzu sehr. In allen Ländern werden die Volksmärchen gesammelt, und in den meisten Ländern fangen die Dichter an, sie zu bearbeiten. Die sentimentalen deutschen Schriftsteller der Uebergangszeit (Kotzebue und Iffland) bringen die Kinder auf die Bühne, in der Absicht, zu rühren; selbst Oehlenschläger führt Kinder in seine Stücke ein und muss sich dafür von Heiberg durchhecheln lassen. Was die Erziehung betrifft, so hat Rousseau hier das Interesse erregt durch seine pädagogischen Deklamationen und Theorien, es wird dem Kinde und insbesondere der kindlichen Natur eine Aufmerksamkeit geschenkt, wie niemals zuvor, und die Schwärmerei für das pädagogische Züchten (Campe) wird allmählich von der Schwärmerei für den „Naturzustand“ des Kindes verdrängt (man sehe die Rousseau'sche Tendenz schon in dem Gespräche Götz von Berlichingen's mit seinem kleinen Sohne).

Vom Kind ist nur ein Schritt zum Thiere. Das Thier ist ein Kind, das nie etwas Anderes als Kind wird. Derselbe Drang, das Leben im Gesellschaftsleben aufgehen zu lassen, welcher das Kind bei Seite geschoben, hatte auch das Thier verbannt. Derselbe Durst nach Naivetät, nach Natur, nach dem Unschuldigen und Unbewussten, welcher die Poesie zum Kinde hinführte, führt sie zum Thiere, und vom Thiere zur ganzen Natur. Rousseau, der die Sache des Kindes verficht, verficht zugleich die Sache des Thieres, und zuerst und zuvörderst als sein A und O, als sein praeterea censeo die Sache der Natur. Er studirt Botanik, schreibt an Linné, spricht ihm seine Bewunderung und Liebe aus. Die wissenschaftliche Naturbetrachtung bestimmt die sociale, welche wiederum die poetische bestimmt. Bernardin de Saint-Pierre führt durch seine merkwürdige Erzählung „Paul und Virginie“ die exotische Naturschilderung in die französische Prosa ein, und, was wohl zu beachten ist, zur selben Zeit, wo er die Landschaft malt, wendet er zwei Kinder als Helden und Heldin an. Alexander von Humboldt nimmt auf seinen Reisen in den Tropengegenden „Paul und Virginie“ mit, liest dies Buch mit Bewunderung seinen Reisegefährten in der Natur vor, welche es beschreibt, und spricht mit Dank von dem, was er Saint-Pierre schuldig sei. Humboldt wirkt auf Oersted, der seinerseits tief auf Andersen wirkt. Die sympathische Naturbetrachtung beeinflusst die wissenschaftliche, welche wiederum die poetische beeinflusst. Chateaubriand schildert in seiner farbigen glänzenden Weise eine Natur, die mit derjenigen verwandt ist, welche Saint-Pierre in sein friedliches, naturanbetendes Gemüth aufgenommen hatte. Steffens trägt in seinen berühmten Vorlesungen 1802 zum ersten Male das natürliche Natursystem (siehe den gedruckten Einleitungskursus) in Dänemark vor. Um das Jahr 1831, also zur selben Zeit, wo Andersen's Märchen entstehen, wird in England (demselben Lande, welches mit der Einführung des Kindes in die Litteratur den Anfang gemacht hatte) der erste Verein gegen Thierquälerei gegründet, Filialen werden in Frankreich und Deutschland errichtet, wo solche Vereine in München, Dresden, Berlin und Leipzig entstehen. Kierkegaard spottet in „Entweder – Oder“ über die Gründung eines dieser Vereine; er sieht in denselben nur eine Erscheinung des in seinen Augen von der Jämmerlichkeit der Persönlichkeiten zeugenden Associationstriebes. Kehren wir nach Dänemark zurück, so bemerken wir, dass die nationale, naturgetreue Landschaftsmalerei ihren entscheidenden Aufschwung gerade zu derselben Zeit nimmt, wo die Märchen gedichtet werden. Skovgaard malt den See, in welchem „das hässliche Entlein“ plätschert, und zur selben Zeit wird – wie durch ein Wunder – die grosse Stadt dem Kopenhagener zu enge. Ihn langweilen den langen Sommer hindurch ihre Pflastersteine, die vielen Häuser und Dächer, er will ein grösseres Stück Himmel sehen, er zieht aufs Land, legt Gärten an, lernt Gerste von Roggen unterscheiden, wird Landmann für die Sommermonate. Eine und dieselbe Idee, die wiedergefundene Naturidee, verbreitet ihr Wirken über alle Lebenssphären, wie das Wasser einer hoch liegenden Quelle im Herabfliessen sich in eine ganze Reihe getrennter Becken vertheilt. Seltsame und zum Nachdenken anregende Wirkung einer Idee! Im vorigen Jahrhundert gab es nichts Aehnliches. Man kann, wie witzig gesagt worden ist, Voltaire's „Henriade“ durchstöbern, ohne einen einzigen Grashalm zu finden; es ist kein Futter für die Pferde darin. Man kann fast sämmtliche Gedichte Baggesen's durchblättern, ohne auf eine Naturschilderung, selbst nur als Staffage zu stossen. Welch ein Sprung von dieser Poesie zu einer Poesie wie Christian Winther's, in welcher die Menschenfiguren meist nur Staffage sind und die Landschaft fast immer die Hauptsache ist, und wie weit war man damals davon entfernt, von einer Poesie, wie derjenigen Andersen's zu träumen, in welcher Thiere und Pflanzen den Menschen ersetzen, ja ihn fast überflüssig machen!35.

Was ist nun in der Pflanze, im Thiere, im Kinde für Andersen so anziehend? Er liebt das Kind, weil sein weiches Herz ihn zu den Kleinen, den Schwachen und Hilflosen hinzieht, von denen man mitleidsvoll mit zarter Sympathie reden darf, und weil er, wenn er dies Gefühl einem Helden widmet – wie in „Nur ein Geiger“, – dafür verspottet wird (man vergl. Kierkegaard's Kritik36), aber wenn er es einem Kinde weiht, den natürlichen Anhaltspunkt für seine Stimmung findet. Aus demselben Gefühl der Theilnahme für die Geringen und Verlassenen führt Andersen – selbst ein Kind des Volkes – in seinen Märchen, wie Dickens in seinen Romanen, beständig Gestalten aus den ärmeren Klassen, „einfache Leute“, aber von echtem Herzensadel, vor: die alten Waschfrauen in „Der kleine Tuck“ und „Sie taugte Nichts“, das alte Mädchen in „Am Spittelfenster“, den Wächter und seine Frau in „Die alte Strassenlaterne“, den armen Handwerksburschen in „Unter dem Weidenbaum“, den armen Hauslehrer in „Alles am rechten Platze“. Der Arme ist wehrlos wie das Kind. Er liebt ferner das Kind, weil er es zu schildern vermag, nicht so sehr psychologisch in Romanform – er ist überhaupt kein reflektirender Psycholog – wie unmittelbar, indem er sich mit Einem Sprunge in die Welt des Kindes versetzt und thut als gäbe es gar keine andere. Sehr ungerecht war daher das Urtheil Kierkegaard's, da er Andersen vorwarf, dass er keine Kinder zu schildern vermöge. Aber wenn Kierkegaard, der übrigens als Litteraturkritiker mit ausserordentlichen Vorzügen grosse Mängel verbindet (namentlich an historischem Ueberblick) bei dieser Gelegenheit bemerkt, dass Andersen in seinen Romanen das Kind beständig „durch ein Anderes“ schildere, so ist dies wahr; es hört auf, wahr zu sein, sobald er im Märchen sich auf den Standpunkt des Kindes versetzt und kein „Anderes“ mehr kennt. Als handelnd und redend führt Andersen seltener das Kind in seine Märchen ein. Am öftesten hat er es in der reizenden kleinen Sammlung „Ein Bilderbuch ohne Bilder“ gethan, wo er mehr als irgendwo anders das Kind sich mit der ganzen Naivetät seiner Natur aussprechen lässt. In solchen kurzen naiven Aussprüchen eines Kindes, wie den dort angeführten, liegt etwas ausserordentlich Erheiterndes und Ergötzliches. Jeder hat derartige Anekdoten zu erzählen. Ich erinnere mich, wie ich einmal ein kleines Mädchen nach einem Vergnügungslokale mitnahm, um Tyroler Alpensänger zu hören. Es hörte ihre Lieder sehr aufmerksam an. Als wir nachher im Garten vor dem Pavillon spazieren gingen, begegneten uns einige der Sänger in ihrem Kostüme. Das kleine Mädchen klammerte sich ängstlich an mich an und frug verwundert: „Dürfen sie frei umhergehen?“ Solche kleine Aeusserungen vermag Niemand wie Andersen zu erzählen. In den Märchen kommen einzelne dergleichen vor, wie die liebenswürdigen Worte des Kindes in „Das alte Haus“, als dasselbe dem Manne den Zinnsoldaten schenkt „damit er nicht so schrecklich allein sei“, und ein paar hübsche Antworten in „Die Blumen der kleinen Ida“. Sonst kommen selten Kinder vor. Die bedeutendsten Kindergestalten sind der kleine Hjalmar, der kleine Tuck, Kay und Gerda, die unglückliche eitle Karen (in „Die rothen Schuhe“, – ein unheimliches, aber gut geschriebenes Märchen), das kleine Mädchen mit den Streichhölzchen und das kleine Mädchen in „Herzeleid“, endlich Ib und Christine, die Kinder in „Unter dem Weidenbaum“. Neben diesen wirklichen Kindern stehen einige ideale, das kleine elfenhafte Däumelinchen und das kleine wilde Räubermädchen, gewiss Andersen's frischeste Kindergestalt, die mit ihrer meisterhaft geschilderten Wildheit einen glücklichen Gegensatz zu den vielen artigen, blonden und zahmen Kindern bildet. Man sieht sie vor sich, wie sie leibt und lebt, phantastisch und wahr, sie und ihr Rennthier, das sie „jeden Abend, den Gott werden lässt, mit ihrem scharfen Messer am Halse kitzelt“.

 

Wir sahen, wie die Sympathie für die Kindernatur zur Sympathie mit dem Thiere, das doppelt so kindlich ist, und zur Sympathie mit den Pflanzen, den Wolken, dem Winde führte, die in doppelt so hohem Grade Natur sind. Was Andersen zu den unpersönlichen Wesen hinzieht, ist das Unpersönliche in ihm selbst; was ihn zu den ganz bewusstlosen Wesen hinleitet, ist nur die direkte Folge dieser Sympathie. Das Kind so jung es ist, wird alt geboren; jedes Kind ist eine ganze Generation älter als sein Vater, eine Kultur von Jahrtausenden hat ihren ererbten Stempel dem kleinen vierjährigen Residenzkinde aufgeprägt. Wie viele Kämpfe, wie viel Streben, wie viele Leiden haben das Antlitz eines solchen Kindes verfeinert, die Züge nervös und die Feinheit altklug gemacht! Anders bei den Thieren. Seht den Schwan, das Huhn, die Katze an, sie fressen, schlafen, leben, träumen ungestört, wie vor Jahrtausenden. Das Kind verräth schon böse Instinkte. Wir, die wir das Unbewusste, das Naive suchen, wir steigen gern die Leiter hinab, welche zu der Gegend führt, wo die Verantwortlichkeit aufhört sammt der Reue, dem Streben und der Leidenschaft, wo nichts von alledem sich findet ausser durch eine Unterschiebung, deren wir uns halb bewusst sind, und die der Theilnahme desshalb zur Hälfte ihren Stachel raubt. Ein Dichter, der, wie Andersen, so ungern das Grausame und Rohe in dessen Nacktheit vor Augen sieht und auf den es so starken Eindruck macht, dass er es nicht zu erzählen wagt, sondern hundertmal in seinen Werken vor einer Frevelthat oder Unthat mit dem mädchenhaften Ausrufe zurückschaudert: „Wir ertragen es nicht, daran zu denken!“, solch ein Dichter fühlt sich beruhigt und heimisch in einer Welt, wo alles, was wie Selbstsucht, Gewaltthat, Rohheit, Nichtswürdigkeit und Verfolgung aussieht, nur in uneigentlichem Sinne so genannt werden kann.

Höchst charakteristisch ist es nun, dass fast alle in Andersen's Märchen vorkommende Thiere zahme Thiere, Hausthiere sind. Dies ist erstlich ein Symptom derselben sanften und idyllischen Tendenz, welche bewirkt, dass fast all' seine Kinder so artig sind. Es ist ferner ein Zeugniss für seine Naturtreue, welche zur Folge hat, dass er ungern schildert, was er nicht gründlich kennt. Es erleichtert endlich die Verwendung, welche die Thiere hier finden; denn die Hausthiere sind nicht mehr reine Naturerzeugnisse, sie erinnern theils durch Ideenassociation an vieles Menschliche, und theils haben sie durch den langen menschlichen Umgang und durch die lange Kultur selbst etwas Menschliches erhalten, das in hohem Grade die Personificirung unterstützt und befördert. Diese Katzen und Hühner, diese Enten und Puter, diese Störche und Schwäne, diese Mäuse und jenes unnennbare Insekt, „mit Fräuleinblut im Leibe“ bieten dem Märchen viele Anknüpfungspunkte dar. Sie gehen bereits mit dem Menschen um, ihnen fehlt nur eine artikulirte Sprache, und es gibt Menschen mit artikulirter Sprache, die ihrer nicht werth sind und nicht die Sprache verdienen. Lasst uns darum den Thieren die Sprache geben und sie unter uns aufnehmen.

Auf der fast ausschliesslichen Beschränkung auf die Hausthiere beruht ein doppelter Charakterzug dieser Märchen. Zum ersten die bezeichnende Consequenz, dass Andersen's Thiere, was sie im übrigen auch sein mögen, niemals viehisch, niemals brutal sind. Von Fehlern haben sie nur den, dumm und spiessbürgerlich zu sein, Andersen stellt nicht das Thier im Menschen, sondern den Menschen im Thiere dar. Ferner gibt es gewisse frische Stimmungen, gewisse volle Gefühle, gewisse starke und kühne, begeisterte und gewaltsame Ausbrüche, die man niemals im Hinterhofe der Hausthiere hört. Hier wird viel Schönes, viel Launiges und Ergötzliches gesprochen, aber ein Seitenstück zu der Fabel vom Wolfe und Hunde, vom Wolfe, der am Halse des Hundes die Spur der Kette bemerkte und seine Freiheit dem Schutze des Hundehauses vorzog, findet man hier nicht. Die wilde Nachtigall, in welcher die Poesie personificirt wird, ist ein zahmer und loyaler Vogel: „Ich habe Thränen in den Augen des Kaisers gesehen, das ist mir der reichste Schatz! Die Thränen eines Kaisers haben eine besondere Kraft!“ Und nun gar der Schwan, das edle, königliche Thier in dem meisterhaften, schon um der Katze und des Huhns willen nie genug zu bewundernden „Hässlichen jungen Entlein“, – wie endet er? Ach, als ein Hausthier. Dies ist einer der Punkte, wo es Einem schwer fällt, dem grossen Schriftsteller zu verzeihen. O, Dichter! fühlt man sich versucht auszurufen, wenn Du schon einen solchen Gedanken gehabt, ein solches Gedicht ersonnen und ausgeführt hast, wie konnte dann Deine Begeisterung, Dein Stolz es über's Herz bringen, den Schwan so enden zu lassen? Lass ihn sterben, wenn es sein muss! Das ist tragisch und gross. Lass ihn seine Schwingen erheben, im Jubel über seine Schönheit und Kraft brausend durch die Luft dahin fliegen, lass ihn sich auf einen einsamen und lieblichen Waldsee hinab senken! Das ist frei und schön. Aber nicht dieser Schluss: „In den Garten kamen einige kleine Kinder, die warfen Brod und Kuchen in das Wasser … Die Kinder liefen zu dem Vater und der Mutter, und es wurde Brod und Kuchen in das Wasser geworfen, sie sagten Alle: der neue ist der schönste! so jung und prächtig! und die alten Schwäne neigten sich vor ihm“. Mögen sie sich neigen, aber möge man nicht vergessen, dass es Etwas gibt, was mehr werth ist, als die Anerkennung aller alten Schwäne und Gänse und Enten, mehr werth, als dass man als Gartenvogel Brodkrumen und Kuchen erhält: das stille Dahingleiten und der freie Flug! —

Andersen zieht den Vogel dem vierfüssigen Thiere vor. Es kommen mehr Vögel als Säugethiere bei ihm vor, denn der Vogel ist sanfter, der Pflanze näher als dem Thiere. Die Nachtigall ist sein Sinnbild, der Schwan ist sein Ideal, der Storch ist sein erklärter Liebling. Es ist natürlich, dass der Storch, der merkwürdige Vogel, welcher die Kinder bringt, der Storch, der possirliche Langbein, der reisende, beliebte, stets mit Sehnsucht erwartete und mit Freude begrüsste Vogel, sein liebstes Symbol und Titelbild wird.

Doch den Vögeln zieht er wieder die Pflanzen vor. Von allen organischen Wesen sind die Pflanzen diejenigen, welche am häufigsten in den Märchen vorkommen. Denn erst in der Pflanzenwelt herrscht Frieden und Harmonie. Auch die Pflanze gleicht einem Kinde, aber einem Kinde, das beständig schläft. Hier ist keine Unruhe, kein Handeln, kein Leiden und keine Sorge. Hier ist das Leben ein stilles, regelmässiges Wachsthum und der Tod nur ein schmerzloses Verwelken. Hier leidet Andersen's leicht erregte, lebhafte Sympathie noch minder. Hier ist nichts, was seine feinen Nerven erschüttert und angreift. Hier ist er zu Hause, hier malt er Tausend und eine Nacht hinter einem Klettenblatte. Alle Gefühle können wir hier empfinden, Wehmuth beim Schauen des gefällten Stammes, Kraftfülle beim Anblick der schwellenden Knospen, Beängstigung beim Dufte des starken Jasmins; viele Gedanken können uns zufliessen, wenn wir der Entwicklungsgeschichte des Flachses oder der kurzen Ehre des Tannenbaumes am Weihnachtsabend folgen, aber unsere Stimmung ist frei (wie dem Komischen gegenüber), das Bild ist so flüchtig, dass es entschwindet, sobald wir es festzuhalten versuchen. Die sympathische Erregung berührt leise unser Gemüth, aber sie erschüttert, sie erhitzt es nicht, und sie schlägt es nicht nieder. Ein Gedicht von der Pflanze befreit zwiefach die Sympathie, welche es in Anspruch nimmt; einmal weil wir wissen, dass das Gedicht nur Dichtung ist, und ferner, weil wir wissen, dass die Pflanze nur ein Bild ist. Nirgends hat der Dichter mit feinerem Takt den Pflanzen Sprache verliehen, als im „Tannenbaum“, in den „Blumen der kleinen Ida“ und in der „Schneekönigin“.

34Uffe der Schüchterne ist nach der Sage der Sohn des Dänenkönigs. Der Vater war zu seiner Zeit ein gewaltiger Krieger, aber nun ist er alt und kraftlos geworden. Der Sohn macht dem Vater die grösste Sorge. Keiner hat ihn je reden hören, er hat nie den Gebrauch der Waffen erlernen wollen, und er interessirt sich für Nichts, sondern geht in phlegmatischer Gleichgültigkeit einher. Aber als die Könige des Sachsenlandes sich weigern, dem alten Vater den gewohnten Tribut zu bezahlen, ihn verhöhnen und ihn zum Zweikampf fordern, und als der Vater in Verzweiflung die Hände ringt und ausruft: „Hätte ich doch einen Sohn!“ da spricht Uffe zum ersten Mal und fordert die beiden fremden Könige zum Holmgang heraus. Jetzt beeilt man sich, ihm Waffen zu bringen, aber kein Harnisch ist gross genug für seine breite Brust. Macht er eine Bewegung, so platzt der Harnisch sofort. Endlich muss er sich mit einem zusammengestückten und geborstenen begnügen. Eben so geht es mit jedem Schwerte, das man ihm in die Hand gibt. Sie zerspringen wie Glas, wenn er sie an einem Baume erprobt. Da lässt der König das alte Schwert Skräpp, welches sein Vater geführt, aus dem Hünengrabe holen und heisst Uffe dasselbe ergreifen, aber es nicht vor dem Kampfe erproben. So ausgerüstet stellt Uffe sich den beiden fremden Königen auf einer Insel in der Eider. Der alte blinde König sitzt am Ufer des Flusses und horcht mit bangem Herzklopfen auf die Schwerthiebe. Wenn sein Sohn fällt, will er sich in die Wellen stürzen und sterben. Da schlug Uffe auf den einen der Sachsenkönige los und hieb ihn quer mittendurch. „Den Ton kenne ich“, sagte der König, „das war Skräpp's Klang!“ Und Uffe that noch einen Streich und hieb den andern König der Länge nach mittendurch, so dass er in zwei Hälften zur Erde fiel. „Da klang Skräpp zum andern Mal“; sagte der blinde König. – Und als der alte König starb, bestieg Uffe den Thron und ward ein mächtiger und gefürchteter Herrscher. – Es ist übrigens auffallend wie viel Aehnlichkeit dieser dänische Nationalheld mit dem russischen, Ilia aus Murom, hat.
35Die Fabeln des vorigen Jahrhunderts (z. B. Lessing's Fabeln) sind blosse Moral.
36G. Brandes: S. Kierkegaard. Ein litterarisches Charakterbild. Leipzig 1879.