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Hans Christian Andersen.
(1869.)

Es gehört Muth dazu, Talent zu besitzen. Man muss wagen, sich seiner Eingebung anzuvertrauen, man muss überzeugt sein, dass der Einfall, welcher Einem durch das Hirn schiesst, gesund ist, dass die Form, welche Einem als natürlich ansteht, selbst wenn sie neu ist, ein Recht hat, sich geltend zu machen, man muss die Kühnheit gewonnen haben, sich der Beschuldigung auszusetzen, dass man affektirt oder auf Irrwegen sei, ehe man sich seinem Instinkt überlassen und ihm folgen kann, wohin er uns gebieterisch lenkt. Als Armand Carrel seiner Zeit als junger Journalist von seinem Redakteur getadelt ward, der, auf eine Stelle seines Artikels deutend, bemerkte: „So schreibt man nicht“, erwiderte er: „Ich schreibe nicht wie man schreibt, sondern wie ich schreibe“, und dies ist die allgemeine Formel der Begabung. Sie vertheidigt weder Gesudel noch Erfinderei, aber sie spricht mit Selbstbewusstsein das Recht des Talentes aus, wenn keine herkömmliche Form und kein vorhandener Stoff den eigenthümlichen Bedürfnissen seiner Natur genügen, sich neue Stoffe zu wählen, neue Formen zu bilden, bis es eine Baustätte von solcher Beschaffenheit findet, dass es, ohne Ueberanstrengung einer einzigen seiner Kräfte, sie alle verwenden und sie leicht und frei entfalten kann. Eine solche Baustätte hat der Dichter Hans Christian Andersen im Märchen gefunden.

I

Man trifft in seinen Märchen Anfänge wie diesen: „Man hätte glauben sollen, dass in dem Ententeiche etwas Wichtiges vorgehe, aber es ging Nichts vor! Alle Enten, die ruhig auf dem Wasser lagen – einige standen auf dem Kopfe, denn das konnten sie – schossen plötzlich ans Land; man konnte in dem nassen Lehm die Spuren ihrer Füsse sehen, und man konnte eine ganze Strecke weit ihr Geschnatter hören“ oder wie folgenden: „Seht! nun fangen wir an. Wenn wir am Ende der Geschichte sind, wissen wir mehr als jetzt, denn es war ein böser Kobold! Es war einer der allerschlimmsten, es war der Teufel!“ Die Konstruktion, die Wortstellung in den einzelnen Sätzen, die ganze Anordnung streitet wider die einfachsten Regeln der Syntax. „So schreibt man nicht“. Das ist wahr; aber so spricht man. Zu erwachsenen Menschen? Nein, aber zu Kindern; und wesshalb sollte man nicht befugt sein, die Worte in derselben Ordnung niederzuschreiben, in welcher man sie zu Kindern spricht? Man vertauscht hier die gewöhnliche Norm mit einer andern; nicht die Regel der abstracten Schriftsprache, sondern das Fassungsvermögen des Kindes ist hier das Bestimmende; es ist Methode in dieser Unordnung, wie Methode in den Sprachschnitzern des Kindes ist, wenn es sagt: „Du lügtest“, anstatt „Du logst“. Die angenommene Schriftsprache durch die freie Umgangssprache zu ersetzen, die steifere Ausdrucksweise des Erwachsenen mit derjenigen zu vertauschen, welche das Kind gebraucht und versteht, wird das Ziel des Dichters sobald er den Entschluss fasst, „Märchen für Kinder“ zu erzählen. Er hat die kühne Absicht, sich in einem Druckwerke der mündlichen Rede zu bedienen, er will nicht schreiben, sondern sprechen, und er will gern wie ein Schulkind schreiben, wenn er dadurch nur vermeidet, wie ein Buch zu reden. Das geschriebene Wort ist arm und verlassen, das mündliche hat ein Heer von Verbündeten in dem Zuge des Mundes, welcher den Gegenstand, von dem die Rede ist, nachahmt, in der Handbewegung, welche ihn malt, in der Länge oder Kürze des Tones, seinem scharfen oder milden, ernsten oder drolligen Charakter, im ganzen Mienenspiel und in der ganzen Haltung. Je ursprünglicher das Wesen ist, zu welchem man spricht, desto mehr versteht es durch diese Hilfsmittel. Wer einem Kinde eine Geschichte erzählt, der erzählt unwillkürlich mit vielen Fratzen und Geberden; denn das Kind sieht die Geschichte eben so viel, wie es sie hört; es achtet fast wie der Hund, mehr auf die zärtliche oder erbitterte Betonung, als darauf, ob die Worte Freundlichkeit oder Zorn ausdrücken. Wer sich schriftlich an das Kind wendet, muss also den wechselnden Tonfall, die plötzlichen Pausen, die beschreibenden Handbewegungen, die Furcht einjagende Miene, das die glückliche Wendung verrathende Lächeln, den Scherz, die Liebkosungen und den Appell, welcher die einschlummernde Aufmerksamkeit weckt, – alles dies muss er in seinem Vortrag zu verweben suchen, und da er nicht die Begebenheit geradezu dem Kinde vorsingen, malen oder tanzen kann, so muss er den Gesang, das Bild und die mimische Bewegung in seine Prosa bannen, dass sie wie gebundene Kräfte darin liegen, und sich erheben, sobald das Buch aufgeschlagen wird. Erstens: keine Umschreibungen; Alles wird frisch von der Leber weg gesagt, ja, mehr als gesagt, gebrummt, gesummt und geblasen: „Es kam ein Soldat auf der Landstrasse heran marschirt, eins zwei, eins zwei“. „Und die ausgeschnitzten Trompeter bliesen: Tratteratra! der kleine Junge ist da, tratteratra!“ „Hör', sagte der Schneckenvater wie es auf den Klettenblättern trommelt: rundumdum, rundumdum!“ Hier wird, wie in dem „Gänseblümchen“, mit einem „Nun hör' einmal!“ begonnen, das sofort die Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt. Hier wird in der Weise des Kindes gescherzt: „Dann hieb der Soldat der Hexe den Kopf ab. Da lag sie!“ Man hört das Lachen des Kindes, das auf diese kurze, nicht sehr gefühlvolle, aber anschauliche Darstellung des Abmuckens folgt. Hier werden so weiche Töne angeschlagen, wie z. B.: „Die Sonne schien auf den Flachs und die Regenwolken begossen ihn; und das war eben so gut für ihn, wie es für kleine Kinder ist, gewaschen zu werden und darauf einen Kuss von ihrer Mutter zu bekommen; sie werden ja viel schöner davon“. Dass an dieser Stelle eine Pause in der Erzählung gemacht wird, um dem Kinde den im Text gemeldeten Kuss zu geben, ist Etwas, das jede Mutter einräumen wird, und das sich von selbst versteht; der Kuss liegt ja im Buche. Die Rücksicht auf den jungen Leser kann nur dann noch weiter getrieben werden, wenn der Dichter kraft seiner geschmeidigen Sympathie sich ganz mit dem Kinde identificirt und sich so vollständig in dessen Vorstellungskreis, in dessen Anschauungsweise, ja in dessen rein körperlichen Gesichtspunkt hinein lebt, dass ihm ein Satz wie dieser unter die Feder kommt: „Das grösste grüne Blatt hier zu Lande ist doch jedenfalls das Klettenblatt; hält man eins vor seinen kleinen Leib, so ist es wie ein Schürzchen, und legt man es auf seinen Kopf, so ist es bei Regenwetter fast so gut wie ein Schirm, denn es ist so ausserordentlich gross“. Das sind Worte, die ein Kind, und jedes Kind, verstehen kann.

Wie glücklich ist doch ein Dichter wie Andersen! Welcher Schriftsteller hat ein Publikum wie er! Welch kümmerliches Schicksal hat im Vergleich ein Mann der Wissenschaft, der zumal in einem kleinen Lande für ein Publikum schreibt, das ihn weder liest noch schätzt, und der von vier oder fünf – Rivalen und Gegnern gelesen wird! Ein Dichter ist im Allgemeinen günstiger gestellt, aber wiewohl es für den Poeten ein Glück ist, von Männern gelesen zu werden, und zu wissen, dass seine Schriften von zarten Fingern durchblättert werden, die seidene Fäden als Lesezeichen verwenden, so hat doch keiner sich nur annähernd eines so frischen und aufgeweckten Leserkreises zu rühmen, wie Andersen dessen gewiss ist. Seine Märchen gehören zu den Büchern, die wir silbenweise entziffert haben, und die wir heute noch lesen. Es sind einzelne darunter, in welchen die Buchstaben uns immer noch grösser, die Worte gewichtvoller erscheinen, als in den anderen, weil wir sie zum ersten Mal Buchstaben für Buchstaben und Wort für Wort kennen lernten. Und welche Freude muss es für Andersen gewesen sein, in seinen Träumen dies Gewimmel von Kindergesichtern zu Tausenden um seine Lampe zu sehen, diese Menge blühender, rosenwangiger kleiner Krausköpfe, wie im Gewölk eines katholischen Altarbildes, flachshaarige dänische Knaben, zarte englische Babies, schwarzäugige Hindumädchen, – sie vor sich zu sehen, reich und arm, buchstabirend, lesend, aufhorchend, in allen Ländern, in allen Zungen, bald gesund und froh, müde vom Spiele, bald schwächlich, blass, mit durchsichtiger Haut nach einer der unzähligen Krankheiten, von denen die Kinder der Erde heimgesucht werden, und sie begierig diesen Wirrwarr weisser und dunkelbrauner Händchen nach jedem neuen, fertiggewordenen Blatte ausstrecken zu sehen! Ein so gläubiges, so tief aufmerksames, so unermüdliches Publikum hat kein Anderer. Kein Anderer hat auch ein so ehrwürdiges; denn selbst das Alter ist nicht so ehrwürdig und heilig wie die Kindheit. Hier bietet sich uns eine ganze Reihe friedlicher und idyllischer Scenen: da wird laut vorgelesen, und die Kinder lauschen mit Andacht, oder der Kleine sitzt vertieft in seine Lektüre, beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und die Mutter liest im Vorübergehen mit über die Schulter des Kindes. Lohnt sich's nicht der Mühe, für einen Hörerkreis wie diesen zu schreiben, und gibt es wohl einen, der eine unbeflecktere und willfährigere Phantasie hätte?

Es gibt keinen, und man braucht nur die Einbildungskraft der Hörer zu studiren, um die des Schriftstellers kennen zu lernen. Der Ausgangspunkt für seine Kunst ist das Spiel des Kindes, das Alles zu Allem macht; desshalb macht die spielende Laune des Künstlers Spielsachen zu natürlichen Geschöpfen, zu übernatürlichen Wesen (Kobolden), zu Helden, und benutzt umgekehrt die ganze Natur und alles Uebernatürliche, Helden, Kobolde und Feen, als Spielzeug, d. h. als künstlerische Mittel, welche bei jedem neuen künstlerischen Zusammenhange umgeprägt und neu gestempelt werden. Der Nerv dieser Kunst ist die Einbildungskraft des Kindes, welche alles beseelt und zu einem persönlichen Wesen macht; dadurch belebt sie ein Stück Hausrath so gut wie eine Pflanze, eine Blume so gut wie einen Vogel oder eine Katze, und das Thier in derselben Weise wie die Puppe, wie das Portrait, wie die Wolken, die Sonnenstrahlen, die Winde und die Jahreszeiten. Selbst der Hüpfauf aus dem Brustknochen einer Gans wird solchergestalt für das Kind ein lebendes Ganzes, ein denkendes, willensbegabtes Wesen. Das Vorbild einer solchen Poesie ist der Traum des Kindes, in welchem die kindlichen Vorstellungen noch rascher und mit noch kühneren Verwandlungen wechseln, als beim Spiele; desshalb nimmt der Dichter (wie in den „Blumen der kleinen Ida“, im „Sandmann“, im „Kleinen Tuck“, im „Fliedermütterchen“) gern seine Zuflucht zum Traume als zu seinem Arsenale; desshalb kommen ihm oft, wenn er den Kindestraum sich in den Vorstellungen ergehen lässt, welche das Kindesgemüth erfüllen und ängstigen, seine herrlichsten Inspirationen, z. B. wenn der kleine Hjalmar im Traume hört, wie die schiefen Buchstaben, die auf der Nase liegen, in seinem Schreibbuche jammern. „Seht, so sollet ihr euch halten!“ sagte die Vorschrift, „seht, so schräg geneigt, mit einem kräftigen Schwunge!“ „Ach, wir möchten gern“, sagten Hjalmar's Buchstaben, „aber wir können's nicht, wir sind so schwach!“ „Dann müsst ihr Kinderpulver einnehmen!“ sagte Ole Luköje. „O nein!“ riefen sie und da standen sie so schlank, dass es eine Lust war.“ So träumt ein Kind, und so malt ein Dichter uns den Traum eines Kindes. Aber die Seele dieser Poesie ist doch weder der Traum noch das Spiel, es ist ein eigenes, wieder kindliches, aber zugleich mehr als kindliches Vermögen, nicht blos das Eine für das Andere zu setzen, also Alles zu vertauschen, oder das Eine im Andern leben zu lassen, also Alles zu beleben, sondern, durch das Eine schnell und flüchtig an das Andere erinnert, das Eine im Andern wiederfindend, es zu verallgemeinern, das Bild zum Sinnbilde zu gestalten, den Traum zur Mythe zu erheben, und durch eine künstlerische Verschiebung den einzelnen märchenhaften Zug in einen Brennpunkt für das ganze Leben zu verwandeln.

 

Eine solche Phantasie dringt nicht tief in den Kern der Dinge ein, sie beschäftigt sich mit Kleinigkeiten; sie sieht die groben Fehler, nicht die grossen, sie trifft, aber nicht tief, sie verletzt, aber nicht gefährlich, sie flattert wie ein beschwingter Falter von einem Orte zum andern, an den ungleichartigsten Punkten verweilend, und sie spinnt wie ein kluges Insekt ihr feines Gewebe von vielen verschiedenen Ausgangspunkten her zu einem Ganzen zusammen. Was sie erzeugt, ist kein Seelengemälde, keine unmittelbare Menschendarstellung, sondern ein Werk, das mit all seiner künstlerischen Vollkommenheit schon in den unschönen und verwirrenden Arabesken der „Fussreise nach Amack“ angedeutet war.

Während die Märchendichtung nämlich durch ihren Inhalt an alte Mythenbildungen erinnert („Fliedermütterchen“, „Die Schneekönigin“), an die Volkssagen, auf deren Grunde sie sich zuweilen erbaut, an Sprichwörter und Fabeln des Alterthums, ja, an die Parabeln des Neuen Testaments (der Buchweizen wird gestraft wie der Feigenbaum), während sie solchermaassen stets durch eine Idee zusammengehalten wird, lässt sie sich betreffs ihrer Form mit den phantastischen pompeianischen Dekorationsmalereien vergleichen, in welchen eigenthümlich stilisirte Pflanzen, lebensvolle Blumen, Tauben, Pfauen und Menschengestalten sich mit einander verschlingen und in einander übergehen.

Eine Form, die für jeden andern ein Umweg zum Ziele, ein Hinderniss und eine Verkleidung sein würde, wird für Andersen eine Maske, unter welcher er sich erst recht frei, recht fröhlich und sicher fühlt, sein kindlicher Genius spielt, wie die bekannten antiken Kindergestalten, mit der Maske, erweckt Lachen, ergötzt und erschreckt hinter ihr. So wird die in all' ihrer Offenherzigkeit maskirte Ausdrucksweise des Märchens der natürliche, ja klassische Tonfall seiner Stimme, welcher äusserst selten sich überschlägt oder falsch klingt. Das einzige, was hin und wieder vorkommt, ist, dass man statt der reinen Milch des Märchens einen Schluck Milchwasser erhält, dass der Ton etwas zu empfindsam und süsslich wird („Der arme Johannes!“ „Der arme Vogel!“ „Das arme Däumelinchen!“), was übrigens selten bei den dem Volksmärchen entnommenen Stoffen, wie „Das Feuerzeug“, „Der grosse Klaus und der kleine Klaus“ etc., der Fall ist, wo das naiv Lustige, Frische und Harte in der Erzählung, welche ohne die geringste mitleidige oder weinerliche Phrase von Verbrechen und Mordthaten berichtet, Andersen zu Statten kommt und seinen Figuren grössere Derbheit verleiht. Weniger klassisch ist der Ton dagegen in den, den Märchen eingefügten, lyrischen Ergüssen, in welchen der Dichter in einer bewegten und pathetischen Prosa einen flüchtig umfassenden Blick über einen grossen Zeitraum der Geschichte wirft („Der Ehre Dornenpfad“, „Das Schwanennest“). Hier scheint mir ein gewisser Schwung, eine gewisse forcirte Begeisterung in der Stimmung im Missverhältnisse zu dem nicht sehr bedeutenden Gedankeninhalt zu stehen.

Bis auf die hier angedeuteten wenigen Ausnahmen ist die Erzählungsweise der Märchen in ihrer Art musterhaft.

Lasst uns, um sie gründlich kennen zu lernen, den Dichter bei seiner Arbeit belauschen. Lasst uns durch das Studium seines Verfahrens ein tieferes Verständniss des Resultats gewinnen. Es gibt einen Fall, wo seine Arbeitsmethode sich deutlich beobachten lässt, nämlich wenn er einen Stoff umarbeitet. Wir brauchen dann nicht in unklarer Allgemeinheit zu empfinden und zu loben, wir können Punkt für Punkt, im Vergleich mit einer abweichenden Erzählungsart, scharf und bestimmt angeben, was er auslässt, was er hervorhebt, und so seine eigene unter unseren Augen heranwachsen sehen.

Andersen blättert eines Tages in Don Manuel's „Graf Lucanor“, ergötzt sich an der schlichten Weisheit der alten spanischen Geschichten, an ihrer feinen, mittelalterlichen Darstellung, und verweilt bei

Kapitel VII
Handelt davon, was einem König mit drei Betrügern begegnete

„Graf Lucanor sprach eines Tages mit Patronio, seinem Rathgeber, und sagte zu ihm: Es ist ein Mann zu mir gekommen und hat mir von einer sehr wichtigen Sache geredet. Er lässt durchblicken, dass sie im höchsten Grade zu meinem Besten gereichen würde. Aber er sagt, kein Mensch in der Welt dürfe darum wissen, wie hoch ich ihn auch schätzen möge, und er schärft mir so dringend ein, das Geheimniss zu bewahren, dass er sogar sagt, falls ich Jemand dasselbe offenbaren würde, so werde mein ganzes Besitzthum und mein Leben aufs höchste gefährdet sein. Und da ich weiss, dass man Euch Nichts sagen kann, ohne dass Ihr wisst, ob es zum Heile oder in trugvoller Absicht gesagt wird, so bitte ich Euch mir zu sagen, was Ihr von dieser Sache haltet. Herr Graf, antwortete Patronio, damit Ihr verstehen könnt, was hier nach meinem Dafürhalten zu thun ist, möchte ich Euch bitten, anzuhören, was einem Könige mit drei Betrügern begegnete, die zu ihm kamen. Der Graf frug, wie es sich damit verhielte“.

Diese Einleitung gleicht einem Programm; man erfährt zuerst die nackte Frage, auf welche die nachfolgende Geschichte antworten soll, und man fühlt, dass die Geschichte nur der Frage halber da ist. Es soll uns nicht erlaubt sein, selbst aus der Erzählung die Lehre, welche wir darin finden, zu entnehmen, sie soll mit aller Gewalt auf die Frage nach dem Vertrauen, welches geheimnissvolle Menschen verdienen, hingelenkt werden. Diese Erzählungsweise ist die praktische, nicht die poetische; sie beschränkt allzu stark das Vergnügen, welches der Leser daran findet, selbst die versteckte Moral zu ermitteln. Die Phantasie sieht es freilich gern, dass man ihr die Arbeit leicht macht, sie will sich nicht wirklich anstrengen; aber sie mag nicht, dass man ihrer leichten Thätigkeit vorgreift, sie will, wie alte Leute, die man zum Schein arbeiten lässt, nicht daran erinnert werden, dass ihre Arbeit nur Spiel ist. Die Natur gefällt, wenn sie einem Kunstwerk gleicht, sagt Kant, die Kunst, wenn sie wie Natur erscheint. Wesshalb? Weil die verschleierte Absicht gefällt. Aber gleichviel, lasst uns in dem Buche weiter lesen:

„Herr Graf, sagte Patronio, es kamen drei Betrüger zu einem Könige und sagten, sie seien ganz vorzügliche Meister in der Anfertigung von Kleiderstoffen, und sie verstünden namentlich eine Art Zeug zu verfertigen, das Jeder, welcher wirklich der Sohn des Vaters sei, den alle Welt dafür hielte, sehen könne, das aber der, welcher nicht der Sohn seines vermeintlichen Vaters sei, nicht zu sehen vermöge. Dem König gefiel dies sehr, da er dachte, dass er mit Hilfe dieses Zeuges erfahren könne, welche Männer in seinem Reiche die Söhne derer seien, die von rechtswegen ihre Väter sein sollten, und welche nicht, und dass er solchermassen Vieles in seinem Lande berichtigen könne; denn die Mauren beerben nicht ihren Vater, wenn sie nicht wirklich seine Kinder sind. Desshalb befahl er, ihnen einen Palast einzuräumen, in welchem sie arbeiten könnten“.

Der Anfang ist nicht dumm, es ist Humor in der Geschichte; aber, denkt Andersen, wenn man sie für Dänemark benutzen wollte, so müsste man freilich einen anderen Vorwand wählen, der passender für Kinder und für die bekannte nordische Unschuld wäre. Und dann dieser König, er steht in der Erzählung wie eine Schachfigur da; wesshalb kommen die Betrüger gerade zu ihm, was für einen Charakter besitzt er? ist er prunkliebend, ist er eitel? Man sieht ihn nicht vor Augen. Am besten wär's, wenn er ein Narr von König wäre. Man müsste ihn charakterisiren, ihn durch ein Wort, eine Redensart stempeln.

„Und sie sagten zu ihm, er möge sie, um sicher zu sein, dass sie ihn nicht betrügen, in jenen Palast einschliessen lassen, bis das Zeug fertig sei, und das gefiel dem König sehr“.

Sie erhalten jetzt Gold, Silber und Seide, verbreiten die Nachricht, dass das Gewebe begonnen sei, veranlassen durch ihr keckes Hinweisen auf Muster und Farben die Sendboten des Königs, das Zeug für vortrefflich zu erklären, und erreichen solchermaassen zuletzt den Besuch des Königs, welcher, da er Nichts sieht, „einen Todesschreck bekommt; denn er glaubt, er sei nicht der Sohn des Königs, den er für seinen Vater gehalten“. Er lobt desshalb das Zeug über die Maassen, und Alle machen es wie er, bis er eines Tages bei Gelegenheit eines Festes die unsichtbaren Kleider anlegt; er reitet durch die Stadt, „und es war gut für ihn, dass es Sommer war“. Niemand sah das Zeug, allein Jeder fürchtete durch das Eingeständniss seines Unvermögens sich ruinirt und entehrt zu sehen. „Dadurch wurde dies Geheimniss bewahrt, und Niemand erkühnte sich, es zu offenbaren, bis ein Neger, welcher das Pferd des Königs wartete und Nichts zu verlieren hatte, zum König ging“, und die Wahrheit an den Tag brachte.

„Wer Dir den Rath gibt: schweige gegen Deinen Freund,

Will ohne Zeugen sicherlich betrügen Dich“.

Eine sonderbare und zugleich eine sehr schlecht bewiesene Moral dieser artigen Geschichte. Andersen vergisst die Moral, beseitigt mit schonender Hand die schwerfällige Lehre, welche die Erzählung nach einer Seite hinbiegt, wo ihr wahrer Mittelpunkt nicht liegt, und erzählt nun mit dramatischer Lebendigkeit, in dialogischer Form, sein treffliches Märchen von dem eitlen Kaiser, von dem man in der Stadt sagte: „Der Kaiser ist in der Garderobe“. Er rückt uns die Erzählung ganz nahe. Es gibt Nichts, dessen Existenz man nicht zu leugnen wagte aus Furcht, für einen Bastard zu gelten; aber es gibt Vieles, über das man sich nicht die Wahrheit zu sagen getraut aus Feigheit, aus Furcht, anders zu handeln, als „alle Welt“, aus Besorgniss, dumm zu erscheinen. Und diese Geschichte ist ewig neu, ohne Ende. Sie hat ihre ernste, allein sie hat auch gerade wegen ihrer Unendlichkeit ihre humoristische Seite: „Aber er hat ja Nichts an! rief zuletzt das ganze Volk. Und das wurmte den Kaiser, denn es schien ihm, als hätten sie Recht, aber er dachte bei sich: Nun muss ich die Procession aushalten. Und so hielt er sich noch straffer, und die Kammerherren gingen hinterher und trugen die Schleppe, die gar nicht da war“. Andersen erst hat die Erzählung komisch gemacht.

Doch wir können der Erzählungsweise Andersen's noch näher treten; wir sahen ihn ein fremdes Märchen neu darstellen, wir können ihn auch seine eigenen Versuche umarbeiten sehen. Im Jahre 1830 veröffentlichte Andersen in einem Gedichtbande „Der Todte, ein Volksmärchen aus Fünen“, – dasselbe, welches er später unter dem Titel „Der Reisekamerad“ umformte. Die Erzählung ist in ihrer ersten Gestalt vornehm und würdevoll, sie beginnt folgendermaassen: „Ungefähr eine Meile von Bogensee findet man auf dem Felde in der Nahe von Elvedgaard einen durch seine Grösse merkwürdigen Weissdorn, den man selbst von der jütischen Küste aus sehen kann“. Hier sind hübsche landschaftliche Naturschilderungen, hier ist eine fertige Schriftstellermanier. „Die erste Nacht quartirte er sich in einem Heuschober auf dem Felde ein und schlief dort wie ein persischer Fürst in seinem glänzenden Schlafzimmer“. Ein persischer Fürst! Das ist eine kleinen Kindern fremde Vorstellung. Setzen wir lieber statt dessen: „Die erste Nacht musste er sich in einem Heuschober auf dem Felde schlafen legen, ein anderes Bett hatte er nicht. Aber, das sei recht hübsch, meinte er, der König selbst könne es nicht besser haben“. Das ist verständlich. „Der Mond hing wie eine argantische Lampe unter der gewölbten Decke und brannte mit einer steten Flamme“. Klingt der Ton nicht vertraulicher, wenn man sagt: „Der Mond war eine grosse Nachtlampe, hoch oben unter der blauen Decke, und der steckte gewiss nicht die Gardinen in Brand“? Die Geschichte von der Puppenkomödie wird umgeschrieben; es genügt, wenn wir wissen, dass das Stück von einem König und einer Königin handelt; Ahasverus, Esther und Mardochai, die zuerst genannt wurden, sind zu gelehrte Namen für Kinder. Stossen wir auf einen lebensvollen Zug, so behalten wir ihn: Die Königin kniete ebenfalls nieder und streckte ihre goldene Krone aus, als wollte sie sagen: „Nimm sie! aber schmiere meinen Gemahl und meine Hofleute!“ Solch eine Stelle ist eine von denen, wo der Märchenton durch die verfeinerte Form hindurchdringt, wo der Stil, welcher „Du“ zum Leser sagt, den, welcher „Sie“ sagt, bei Seite schiebt. Hier wimmelt es noch von Schriftsteller-Vergleichen: „Vom Wirth erfuhren unsere Wanderer, dass sie sich im Reiche des Herzkönigs befänden, eines trefflichen Regenten und nahe verwandt mit dem Rautenkönige Silvio, der hinlänglich aus Carlo Gozzi's dramatischem Märchen ‚Die drei Pommeranzen‘ bekannt ist“. Die Prinzessin wird mit Turandot verglichen, von Johannes heisst es: „Es war, als hätte er kürzlich den Werther und Siegwart gelesen, er konnte nur lieben und sterben“. Kreischende Misstöne im Märchenstile! Die Worte sind noch nicht dem Sprachschatze des Kindes entnommen, der Ton ist elegant, und die Bezeichnungen sind abstrakt: „Johannes sprach, aber er wusste selbst nicht, was er sagte, denn die Prinzessin lächelte ihn so selig an und reichte ihm ihre weisse Hand zu einem Kusse; seine Lippen brannten, er fühlte sein ganzes Inneres elektrisirt; nichts konnte er von den Erfrischungen geniessen, welche die Pagen ihm anboten, er sah nur sein schönes Traumbild“. Hören wir dies einmal in dem Stile, der uns Allen bekannt ist: „Sie war wunderschön anzuschauen und reichte Johannes die Hand, und er hielt noch viel mehr von ihr, als zuvor. Sie konnte sicher keine böse Hexe sein, wie alle Leute es ihr nachsagten. – Dann begaben sie sich in den Saal, und die kleinen Pagen präsentirten ihnen Eingemachtes und Pfeffernüsse, aber der alte König war so betrübt, er konnte gar nichts essen, und die Pfeffernüsse waren ihm auch zu hart“.

 

In seiner Jugend war Andersen, welcher sich damals Musäus zum Vorbilde nahm, noch nicht so weit gelangt, dass er verstanden hätte, Scherz und Ernst in seinem Vortrage zu verschmelzen, sie fielen auseinander; kaum war das Gefühl ausgesprochen, als sofort die störende Parodie sich einstellte. Johannes sagt einige Worte, in denen er seine Liebe ausspricht, und der Verfasser fügt hinzu: „O, es war so rührend zu hören! Der arme junge Mensch, der sonst so natürlich, so liebenswürdig war, sprach jetzt ganz wie ein Claurensches Buch; aber was thut nicht die Liebe!“ Auf diesem Punkte, bei dieser pedantischen Frivolität verharrte Andersen noch 1830; allein fünf Jahre später ist sein Verwandlungsprocess beendet, sein Talent hat sich gehäutet, sein Muth ist gewachsen, er wagt seine eigene Sprache zu reden.

Das Bestimmende in dieser Sprechweise war von Anfang an das Kindliche. Um von so jugendlichen Lesern verstanden zu werden, wie die, an welche er sich wandte, musste er die allereinfachsten Worte gebrauchen, auf die allereinfachsten Vorstellungen zurück gehen, alles Abstrakte vermeiden, die indirekte Rede durch die direkte ersetzen, aber indem er solchermaasen das Einfältige sucht, findet er das dichterisch Schöne, und indem er zu dem Kindlichen gelangt, zeigt sich, dass dies Kindliche eben das Poetische ist; denn der allgemein verständliche, naive Ausdruck ist poetischer, als der, welcher an die Industrie, an die Geschichte, an die Litteratur erinnert, die konkrete Thatsache ist zugleich lebendiger und durchsichtiger, als die, welche als Beweis für einen Satz hingestellt wird, und die Sprache, welche unmittelbar von den Lippen gebildet wird, ist charakteristischer, als die blasse Umschreibung mit einem „dass“33.

Bei dieser Sprache zu verweilen, sich in ihren Wortschatz, ihre Syntax, ihre Betonung zu vertiefen, ist kein Zeugniss von einem kleinlichen Geiste und geschieht nicht aus Liebe zu den Vokabeln oder zum Idiom. Die Sprache ist allerdings nur die Oberfläche des Dichterwerks; aber indem man seinen Finger auf die Haut legt, fühlt man den klopfenden Puls, welcher den Herzschlag im Innern angibt. Das Genie gleicht einer Uhr: der sichtbare Zeiger wird von der unsichtbaren Feder gelenkt. Das Genie gleicht einem aufgerollten Knäul: so unauflöslich und verwickelt es erscheint, ist es doch in seinem innern Zusammenhange unzertrennlich Eins. Hat man nur das äusserste Ende des Fadens erfasst, so darf man versuchen, langsam und vorsichtig selbst den verworrensten Faden aus seinem Wickel zu entrollen. Er nimmt keinen Schaden dabei.

33Man vergleiche Stellen wie folgende: „Es ist, wie wenn Einer da sässe und ein Stück übte, das er nicht heraus kriegen kann, immer dasselbe Stück. ‚Ich kriege es doch heraus!‘ sagt er wohl, aber er kriegt's doch nicht heraus, wie lange er auch spielt“. – „Die grossen weissen Schnecken, aus denen vornehme Leute in alten Zeiten Fricassée bereiten liessen und, wenn sie es gegessen hatten, sagten: ‚Hm, wie das schmeckt!‘ – denn sie glaubten nun einmal, dass es vorzüglich gut schmecke – lebten von Klettenblättern“.