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III

Was er verehrt, anbetet und darstellt ist also, ganz allgemein ausgedrückt, die Natur. Aber wie er seiner eigenen Natur folgt, so stellt er auch seine eigene Natur dar, und ihr Grundzug ist der, ursprünglich harmonisch zu sein. Eine solche Bezeichnung ist sehr weit und vag. Sie lässt, unbestimmt wie sie ist, Heyse wohl nächstens als einen Nachfolger Goethe's erscheinen und passt eben so gut auf den grossen Meister. Jene Harmonie ist indessen, näher bestimmt, nicht eine weltumspannende, sondern eine verhältnissmässig enge, sie ist eine aristokratische Harmonie. Es gibt Vieles, das sie ausschliesst, Vieles, das sie nicht versöhnt, ja nicht einmal berührt. Nicht als Naturforscher, sondern als Schönheitsanbeter betrachtet Heyse das bunte Treiben des Lebens. Es ist ersichtlich genug, dass er nicht begreift, wie man Lust dazu verspüren kann, als Künstler mit Vorliebe solche Gestalten zu schildern, denen man im Leben seine Thür verschliessen würde; ja er hat selbst mit grosser Offenheit ausgesprochen, dass er nie eine Figur habe zeichnen können, die nicht irgend etwas Liebenswürdiges gehabt hätte, nie einen weiblichen Charakter, in den er nicht bis zu einem gewissen Grade verliebt gewesen wäre.

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  K. d. W. I, 111; G. W. VI, 206.



 Darum besteht auch seine ganze Gestaltengallerie mit wenigen Ausnahmen (wie Lorinser oder Jansen's Frau) aus gleichartigen Wesen. Sie haben nicht blos Race, sondern edle Race, d. h. angeborenen Adel. Ihre gemeinsame Eigenschaft ist, was Heyse selbst als

Vornehmheit

 bezeichnet. Er nimmt das Wort in dem Sinne, dass die Vornehmheit bei allen seinen Charakteren die angeborene Unfähigkeit ist, etwas Niedriges oder Schmutziges zu begehen, bei dem Naturkinde durch die einfache Güte und Gesundheit der Seele bedingt, bei dem Culturmenschen mit dem bewussten Gefühl seines Menschenwerthes, mit der Ueberzeugung von dem Rechte eines vollen und kräftigen Menschenlebens versetzt, das seine Norm und seinen Richterstuhl in sich selber hat und mehr vor Halbheit als vor Irrthum schaudert. Heyse hat selbst einmal seinen Lieblingsterminus definirt. Im „Salamander“ heisst es

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  G. W. III, 300.



:





Ich habe meiner Tugenden und Fehler

Mich nie geschämt, mit jenen nie geprunkt,

Und meiner Sünden macht' ich nie den Hehler.

Denn dies vor Allem, dünkt mich, ist der Punkt,

Wo Freigeborne sich vom Pöbel scheiden,

Der feig und heuchlerisch herumhallunkt.

Den nenn' ich vornehm, der sich streng bescheiden

Die eigne Ehre gibt und wenig fragt,

Ob ihn die Nachbarn lästern oder neiden.



Und mit fast ähnlichen Worten spricht die früher von aristokratischem Schein geblendete Toinette diesen Grundgedanken aus: „Es gibt nur Eine wahre Vornehmheit: sich selber treu zu bleiben. Gemeine Menschen kehren sich an das, was die Leute sagen, und bitten Andere um Auskunft darüber, wie sie selbst eigentlich sein sollen. Wer Adel in sich hat, lebt und stirbt von seinen eigenen Gnaden und ist also souverän“.

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  K. d. W. II, 47.



 Diese Art von Adel ist denn der Stempel, den die ganze, diesem Dichtergehirn entsprungene Menschenrace trägt. Sie besitzen ihn alle, vom Bauer bis zum Philosophen, und vom Fischermädchen bis zur Gräfin. Die einfache Kellnerin in der „Reise nach dem Glück“ spricht eine Lebensansicht aus, die genau mit der eben angeführten zusammenfällt

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  G. W. V, 201. Seite 175 wird das Wort „vornehm“ von ihr gebraucht.



, und wer sich nur die Mühe geben mag, die Schriften Heyse's zu durchblättern, wird entdecken, dass das kleine Wort „vornehm“ oder ein Aequivalent dafür immer eins von den ersten ist, die er anbringt, sobald es gilt zu charakterisiren oder zu preisen. Man sehe z. B. in einem einzigen Band der Novellen die Anwendung des Wortes „vornehm“, um die äussere Erscheinung, Blick und Haltung zu bezeichnen (in „Mutter und Kind“, in „Am todten See“, in „Ein Abenteuer“ VIII. 44, 246, 331). Oder man durchblättere, um sich von der durchgreifenden Bedeutung dieses Charakterzuges zu überzeugen, Heyses zwei erste Romane. In „Kinder der Welt“ bezeichnen alle die dem Leser sympathischen Personen sich gegenseitig als adlige Geister: Franzelius nennt Edwin und Balder die wahren Aristokraten der Menschheit, Edwin findet in der höchsten Schwärmerei der Leidenschaft kein höheres Lob für Toinette und Lea als das, dass sie das Adelsgepräge tragen, und da Toinette nach der Begegnung mit Lea diese als die würdige Gattin Edwin's anerkennt, ist es wieder derselbe Ausdruck, der sich ihr zu allererst darbietet; sie bezeichnet in ihrem Briefe Lea als Edwin's „so

vornehme

, kluge und holdselige Lebensgefährtin“.

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  K. d. W. II, 333 III, 309 und 335. Dass du das beste, tiefste, holdeste,

adligste

 Menschenbild bist. – Das arme tapfre, freigeborne Herz – es hat seinen Adel bewährt.



 Und in dem Roman „Im Paradiese“, dessen ersten Entwurf wir vermuthlich in dem versificirten Fragmente „Schlechte Gesellschaft“ haben, steht durchgängig die sogenannte „schlechte“ Künstlergesellschaft als die wahrhaft gute und vornehme der sogenannten vornehmen Gesellschaft gegenüber.

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  Im Paradiese. III, 6 ff.



 Von den Künstlern ist keiner im gewöhnlichen Sinne des Wortes Aristokrat. Ihre Herkunft ist, wie die der Helden in „Kinder der Welt“, durchgehends äusserst unansehnlich. Aber die Vornehmheit liegt ihnen im Blute, sie gehören zu den Auserkorenen, die gut und richtig handeln, nicht aus Pflichtgefühl oder durch mühsame Ueberwindung schlechter Triebe, sondern aus Natur. Was Toinette irgendwo „den redlichen Willen, der Menschheit keine Schande zu machen“ nennt, hat auch der Roman „Im Paradiese“ als den natürlichen Adel im Gegensatze zu der auf künstlichen Principien beruhenden Noblesse aufgestellt.



Wenige Dichter haben deshalb eine solche Reihe von Charakteren ohne Falsch und ohne Gemeinheit geschildert, wie Heyse. Niemand hat einen besseren Glauben an die Menschen gehabt. Den triftigsten Beweis dafür, wie lebendig sein Bedürfniss ist, überall das edle Erz in der Menschennatur hervorzuheben, liefert der Umstand, dass, wo bei ihm ein Umschlag im Charakter des Handelnden dem Leser oder dem Zuschauer eine Ueberraschung bereitet, die Enttäuschung immer darauf beruht, dass die Erwartung übertroffen wird und die Persönlichkeit sich weit besser und tüchtiger, weit edelgesinnter erweist, als Jemand geahnt hatte. Bei fast allen andern Dichtern ist die Enttäuschung die entgegengesetzte. In den Novellen, wie z. B. in „Barbarossa“ oder „Die Pfadfinderin“, wird die Versöhnung dadurch bewirkt, dass die schlechte Person der Erzählung zuletzt in sich geht, und da der Kern ursprünglich gut ist und der Betreffende wohl manchen hitzigen und schlechten, aber keinen eigentlich bösen Blutstropfen in sich hat, kommt eine Art Friedensschluss zwischen ihm und dem Leser, zur Verwunderung des letzteren, zu Stande. Weit bedeutsamer jedoch als in den Novellen tritt dieser charakteristische Optimismus in Heyse's Dramen hervor. Sie verdanken ihm ohne Frage ihre besten und wirkungsvollsten, vielleicht ihre entschieden dramatischsten Scenen. Ich will ein paar Beispiele anführen. In „Elisabeth Charlotte“ hat der Chevalier von Lorraine unedle Mittel aller Art benutzt, um die Heldin zu stürzen und die männliche Hauptperson des Stückes, den deutschen Gesandten Grafen Wied, aus Frankreich zu entfernen. Von dem Grafen gefordert, ist er schwer verwundet worden, und als jener von politischen Intriguen umstrickt, in die Bastille geschickt worden ist, tritt er im fünften Act im Audienzzimmer des Königs auf. Was kann er wollen? Den Grafen noch ärger anklagen? Sein unehrenhaftes Betragen fortsetzen, das seinem Gegner schon so viel Unglück und ihm selbst eine Wunde eingetragen hat? Wird er sich rächen, die Lage ausnutzen? Nein, er kommt, um die feierliche Erklärung abzugeben, dass der Graf wie ein echter Edelmann gehandelt hat, und dass er selbst an dem Duelle Schuld ist. Er wünscht sogar, selbst in die Bastille gesandt zu werden, damit sein Gegner nicht glaube, er hätte ehrlos einen unrichtigen Grund des Duells angegeben; mit anderen Worten: sogar in diesem verderbten Hofmanne lebt das Ehrgefühl als Rest des altfranzösischen Rittergeistes, ersetzt bis zu einem gewissen Grad das Gewissen, und zwingt ihn im entscheidenden Augenblick sich von seinem Schmerzenslager zu erheben, um zu Gunsten des Feindes einzuschreiten, den er rachsüchtig und rücksichtslos verfolgt hat. – In dem schönen und volksthümlichen Schauspiel „Hans Lange“ findet sich eine Scene, die bei der Aufführung die Zuschauer in athemloser Spannung hält, und deren Ausgang immer vielen Augen Thränen entlockt: es ist die Scene, wo das Leben des Junkers auf dem Spiele steht. Er ist verloren, wenn die Reiter ahnen, dass er es ist, der als Sohn des Juden verkleidet auf der Bank liegt. Da tritt der Grossknecht Henning auf, von Reitern geführt, die ihn im Stalle haben brummen hören, er wisse wohl, wo der Hase im Pfeffer liege. Henning ist vom Junker verdrängt worden; bevor dieser nach Lanzke kam, war er wie ein Kind im Hause, jetzt ist er weniger als Stiefkind geworden und er hat immer einen Groll auf den Vorgezogenen gehabt. Mit grösster Kunst wird die Scene nun so geführt, dass Henning trotz der Bitten und Verwünschungen der Eingeweihten immer deutlicher zu verstehen gibt, dass er sich an dem Junker rächen wolle, dass er wisse, wo derselbe sei, und dass keine Macht in der Welt ihn davon abhalten werde, seinen Feind zu verrathen – bis er, feurige Kohlen auf des Anderen Haupt sammelnd und sich mit dem eingejagten Schrecken begnügend, endlich das Blatt vom Munde nimmt, um die ihm jetzt natürlich blindlings vertrauenden Verfolger vollständig auf die falsche Spur zu bringen. – Und genau von derselben Natur ist endlich die entscheidende und schönste Scene in dem patriotischen Drama „Colberg“. Es wird Kriegsrath gehalten, aber auch die Bürger sind berufen, denn die Wichtigkeit des Augenblicks macht es wünschenswerth, dass alle Stimmen gehört werden. Alle Hoffnung für die belagerte Stadt scheint aus zu sein. Der französische General hat ein Schreiben gesandt, um Gneisenau zu einer ehrenhaften Capitulation aufzufordern. Das ganze Officiercorps erklärt sofort, dass von Uebergabe der Festung keine Rede sein kann, und Gneisenau legt dann der Bürgerschaft die Frage vor, ob man sich vom Feinde eine Frist erbitten solle um den Bürgern, Frauen und Kindern den Auszug aus der allen Schrecken preisgegebenen Stadt zu sichern. Da erhebt sich der alte pedantische Schulmeister Zipfel, ein echter altmodischer deutscher Philologe, um im Namen der Bürgerschaft die Antwort zu ertheilen. Mit vielen Umschweifen, mit lateinischen Redensarten spinnt er unter allgemeiner Ungeduld seine Rede aus. Man unterbricht ihn, man gibt ihm zu verstehen, dass man wohl wisse, er denke nur daran, dem Commandanten und den Truppen die gefährliche Vertheidigung der Stadt zu überlassen – endlich gelingt es ihm, die Ansicht zu erklären, die er mit der langen Erzählung vom grossen Perserkriege und Leonidas mit seinen Spartanern im Sinne gehabt; die Ansicht nämlich, dass es Allen, ohne Unterschied gebühre, dazubleiben und zu sterben. Diese Scene hat Heyse

con amore

 geschrieben. Sie enthält, so zu sagen, sein ganzes System. Denn nirgends triumphirt sein guter Glaube an die Menschheit so, wie dort, wo er im Spiessbürger den Helden enthüllen, im armen Pedanten den unbeugsamen Mann aufweisen kann, den kein Anderer in ihm gefunden hätte als der Dichter allein, der es weiss, dass jede seiner Gestalten im tiefsten Grunde der Seele ein unauslöschliches Adelsgepräge trägt.

 



IV

Den Schriftstellern, die, wie Spielhagen z. B., am häufigsten bei den Kämpfen des Bewusstseins und des Willens verweilen, und die am liebsten die grossen socialen und politischen Conflicte schildern, werden selbstverständlich die Männerfiguren besser gelingen als die der Frauen. Ein Mannescharakter wie Leo in dem Romane „In Reih' und Glied“ sucht seines Gleichen, aber eine ebenso vorzügliche Frauengestalt hat Spielhagen nicht gezeichnet. Der dagegen, dessen Geist den Adel und die Anmuth des unmittelbar Natürlichen, die sichtbare und seelische Schönheit sucht, wird selbstverständlich lieber und besser Frauen schildern, als Männer. Hierin ist Heyse seinem Meister Goethe ähnlich. In fast allen seinen Productionen steht der Frauencharakter im Vordergrunde, und die männlichen Gestalten dienen hauptsächlich dazu, ihn hervorzuheben oder zu entwickeln. Da die Frauennatur in der Liebe ihr verborgenes Wesen entfaltet und die schönste Blüthe treibt, da in der Liebe die Natur als Natur durch tausend Illusionen zum Geist geadelt wird, so verherrlicht Heyse vorzugsweise die Liebe des Weibes. Er feiert die Liebe und er feiert das Weib, aber es ist seine höchste Freude, diese beiden Grossmächte im Kampfe mit einander darzustellen. Denn wenn die Liebe siegt, wenn sie als die Macht erscheint, deren Gebot das Frauenherz nicht Trotz zu bieten vermag, strahlt sie, den Widerstand überwältigend, wie eine Allmacht, und indem sie die Wirkung hat, dass das Weib unter ihrem Einflusse, im Trotz gegen sie, im Kampf wider sie, von ihr beseelt, sich im ganzen Stolz ihres Geschlechtes zusammenrafft, verleiht die Liebe ihr jene aristokratische Schönheit, welche Heyse am besten darstellt.



Der angeborene Mädchenstolz ist für Heyse das Schönste in der Natur. Eine ganze Gruppe seiner Novellen könnte die Ueberschrift „Mädchenstolz“ führen. Kierkegaard nennt irgendwo das Wesen des Weibes

eine Hingebung, deren Form Widerstand ist

. Dies ist wie aus Heyse's Herzen gesprochen, und dieser Widerstand ist es, der als Merkmal der adeligen Natur ihn interessirt und bezaubert. Es ist das ewig Festungsartige im weiblichen Gemüth, das ihn fesselt, das Sphinxartige, dessen Räthsel er immer wieder errathen muss. Der süsse Kern ist doppelt süss in seiner harten Schale, der feurige Champagner doppelt heiss in seiner Umwallung von Eis. Es liegt um die weibliche Natur, wie Heyse sie schildert (von L'Arrabbiata bis Julie und Irene im „Paradies“) ein Eispanzer, der verbirgt, abweist, irre führt, zerbricht und schmilzt. Die Frau behauptet ihren Adel, indem sie so lange wie möglich sich weigert, ihr Ich aus den Händen zu geben, indem sie den Schatz ihrer Liebe aufspart und aufbewahrt. Sie erhält sich ihren Adel, indem sie ihr Ich ausschliesslich in die Hände eines Einzigen legt und der übrigen Welt gegenüber abweisend dasteht. Sie ist keiner blinden Macht unterworfen. Ist der Mädchenstolz gebrochen und besiegt, so findet sie sich selbst auf der anderen Seite des Schlundes, und gibt sich frei, naturfrei möchte ich sagen. Nie kommt bei Heyse eine Verführung vor; wird eine solche ein einziges Mal als vergangenes Ereigniss erwähnt („Mutter und Kind“), so dient sie nur dazu, die stolze Selbstbehauptung und die ebenso stolze, bewusste Selbsthingebung in das schärfste Licht zu stellen.



Diese Selbstbehauptung, diese Widerstandskraft (Rabbia) wird in der Schilderung auf's mannigfaltigste variirt: Atalante in dem Drama „Meleager“ hat die ganze frische Wildheit des Amazonentypus; sie zieht das Leben und das Spielen in der freien Natur, Wettlauf, Speerkampf und das Geschäft des Waidwerks weichlicher Zärtlichkeit und schmeichelnder Liebkosung, den Siegeskranz dem Brautkranze vor. In Syritha wird die erste Schamhaftigkeit geschildert, die aufgescheucht von der Hochzeit entflieht; in L'Arrabbiata der Mädchenstolz, der es weiss, wie nahe bei der schüchternen Bitte in der Seele des Mannes das rohe Verlangen liegt; im Mädchen von Treppi die instinctive Weigerung der Jungfräulichkeit; in Marianne („Mutter und Kind“) der Frauenstolz, der bei dem sogenannten gefallenen Weibe sich unter dem Gefühl der unverschuldeten Schmach verdoppelt; in Madeleine („Die Reise nach dem Glück“) das Pflichtgefühl gegen den von Kindheit an eingeprägten Sittlichkeitsbegriff; in Lore („Lorenz und Lore“) das Schamgefühl des jungen Mädchens, dem Angesichts des Todes das Liebesgeständniss entschlüpft ist; in Lottka die melancholische Verschlossenheit im Gefühl angeerbter Erniedrigung; im schönen Käthchen der verzweifelte Unwille darüber, Allen zu gefallen, welcher alle Bewunderer und die eigene Schönheit zum Kukuk wünscht; in Lea die Scheu des entwickelten und reservirten Weibes, ihre Schwäche ahnen zu lassen; in Toinette der Abscheu des eingefrorenen Herzens, eine Leidenschaft zu heucheln, die es noch nicht fühlt; in Irene die Sittenstrenge einer kleinen Prinzessin; in Julie die Kälte einer Cordelia-Natur – bis der Augenblick kommt, da alle diese Bande gesprengt werden, da alle diese Herzen flammen, da der Männerhass der Amazone und die Schüchternheit des Mädchens und die Schamhaftigkeit der Jungfrau und der Stolz der Frau und die Pflicht der Strengerzogenen und die Schwermuth der Erniedrigten und die Hülle der Schneekönigin, Alles, Alles als Holz eines einzigen ungeheuren Scheiterhaufens in süssem Rauch auf dem Altare des Liebesgottes aufgeht.



Denn nicht im Widerstande, der nur Form und Schleier ist, sondern in der Hingebung sieht Heyse das Wesen des Weibes und ihre wahre Natur; und Naturanbeter, wie er ist, preist er Eros als den Unwiderstehlichen, der alle Schranken durchbricht. Das Weib bereut es nie, sich seiner Macht unterworfen zu haben, aber es kann seinen Trotz bereuen. Bettina sagt irgendwo in ihren Briefen ungefähr so: „Die Erdbeeren, die ich pflückte, hab' ich vergessen, aber die, welche ich stehen liess, brennen mir noch auf der Seele“. Heyse hat mehr als eine Variation dieses Themas gegeben: nachdem das Mädchen von Treppi sieben Jahre hindurch ihre jugendliche Sprödigkeit bereut hat, überwindet sie, als der Geliebte durch einen Zufall wieder in ihr Dorf kommt, kraft einer begeisterten und abergläubischen Ueberzeugung von der Macht und dem Recht ihrer Liebe, alle äusseren und inneren Hindernisse, die sich ihrem Glücke in den Weg stellen, sogar die Gleichgültigkeit und die Kälte des Zurückgekehrten. Madeleine in der „Reise nach dem Glück“ hat, wie oben erwähnt, in einer Nacht ihren Geliebten von ihrer Thür fortgewiesen, und da er in der Finsterniss wegreisen muss, ist er mit dem Pferde gestürzt und auf der Stelle gestorben. Die Reue über ihren Trotz gegen die Liebe lässt ihr keine Ruhe: „Was half mir meine Tugend?“ sagt sie; „sie war heil und ganz, und durchaus nicht fadenscheinig, und doch fror mich darin bis in's innerste Herz“.

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  G. W. V, 197.



 Doch nicht genug damit, dass sie es bereut, der herkömmlichen Moral gefolgt zu sein: das Bild des Todten verfolgt sie Jahr aus Jahr ein; eifersüchtig scheint er über sie zu wachen. Jedes Mal in ihrem Leben, wenn sie glaubt, das Geschehene vergessen und das Glück auf's neue finden zu können, hört sie den Finger des Todten an die Thür klopfen, wie er klopfte in der Nacht, als er abgewiesen wurde. Streng straft Eros den, der nicht auf seinem Altare opfert. Und Heyse führt in anderen Dichtungen diesen Gedanken noch weiter aus. Hier hat der abgewiesene Liebhaber den Tod doch nur als zufällige Folge der Strenge gefunden, welche die Heissbegehrte gegen ihn erwiesen hat. Lasst uns den Fall setzen, dass er sich nicht als Bittender, sondern als Gewaltthäter nähert, und dass der Widerstand des stolzen Weibes statt auf einem Pflichtgefühl zu beruhen, das die Versuchung besiegt, nur Nothwehr gegen eine gefürchtete Ueberrumpelung ist, was dann? Auch dann straft Eros wie ein eifriger Gott. Das Drama „Die Sabinerinnen“ hat Heyse augenscheinlich um einer einzigen Gestalt willen geschrieben. Wie konnte er sonst darauf verfallen, diesen für die Tragödie so wenig geeigneten, rein burlesken Stoff sich zu tragischer Behandlung zu wählen! Jene Gestalt ist Tullia, die sabinische Königstochter. Von einem römischen Krieger geraubt, in seinem Hause eingeschlossen, tödtet sie ihn, da er in der Brautnacht es wagt, sich ihr zu nähern. Wenn ein tragisches Leid jetzt als Rache der Römer die Tollkühne träfe, würde sich Niemand darob wundern; aber die psychologische Pointe ist in Uebereinstimmung mit der ganzen Erotik Heyse's die, dass sie durch Ermordung ihres Gatten die erwachenden Triebe ihres eigenen Herzens zu tödten versucht und sich dadurch irreligiös gegen Eros empört hat.





Er neigte

Sein Angesicht herab zu meiner Stirn,

Dass mich des Athems Hauch umrieselte,

Und seine leise Stimme mir wie Gift

Schleichend durch alle Adern rann.



Jetzt schaudert sie mit zersplitterter Seele über ihre so echt weibliche, so tief berechtigte That. Die Erscheinung des Todten verfolgt sie überall, aber noch mehr als der Anblick seiner Leiche die Erinnerung an seine Liebkosungen. Nur Tag und Nacht, sagt sie, ist's her, dass jene That vollbracht wurde, und doch liegt's hinter mir, wie tausend Jahre und tausend Tode. Eins nur ist gegenwärtig und ich werd' es immer empfinden: sein Kuss auf meiner Wimper, seine Hand in meiner. Gegen den Schluss spricht sie dann zu ihrer Schwester die Grundidee des Stückes in diesen Worten aus:

 





Flieh' vor der Liebe nicht,

Sie holt dich dennoch ein. Geh' ihr entgegen

Und beuge dich vor ihr. Denn tödtlich zürnt sie

Dem der ihr trotzt, und saugt das Blut ihm aus.

Hat nicht der grimme Gott die Jungfrau'n alle

Sich unterworfen? Ich allein, o Schwester,

Entgelt' es, dass ich frei mich aufgelehnt.

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  G. W. IX, 73 ff.





Selbst den Gewaltthäter kann die Jungfrau nicht hassen. Er brach den Frieden; aber was thut Liebe anders? Er überlistete; aber die Liebe ist listig. Er höhnte: aber spottet nicht die Liebe selbst des Gewaltigsten und Freiesten? Mit andern Worten: ist nicht Eros selbst ein Gewaltthäter ohne Scheu und Scham, ein Verbrecher, der alle herkömmlichen Gesetze sprengt?



Alle? Das ist zu viel gesagt. Heyse hat wohl bisweilen, wie in den angeführten Fällen, eine an Kleist erinnernde Neigung zu rein pathologischen erotischen Problemen, aber er ist allzu harmonisch angelegt, allzu reif und allzu deutsch-national, um ohne weiteres die Leidenschaft als Ordnung und Gesetz der Gesellschaft durchbrechend zu schildern. Er ist entwickelt genug um einzusehen, dass die Gesetze der Leidenschaft und die Gesetze der Gesellschaft zwei höchst ungleichartige Dinge sind, die sehr wenig mit einander gemein haben; aber er bezeigt letzteren die Verehrung, die sie verdienen, d. h. eine bedingte. Seit seiner frühesten Jugend hat es ihn gereizt und gelockt, die nur relative Wahrheit und den nur bedingten Werth dieser Gesetze darzustellen, Fälle zu erdichten, wo sie auf solche Weise übertreten werden, dass die Ausnahme gegen die Regel Recht zu haben scheint, und sogar der verhärtetste Spiessbürger sich bedenken wird, hier zu verurtheilen. In seiner Besorgniss, der Ausnahme volles, unumstössliches Recht zu geben, hat Heyse bisweilen – wie in seinem ersten, in die gesammelten Werke nicht aufgenommenen Drama „Francesca von Rimini“ – völlig barocke Ausnahmen aufgesucht; aber durchgehends ist es sein Bestreben, den Fall so mit Pallisaden zu umzäunen, dass kein Sturmlauf der gewöhnlichen Moral diese Schutzwehr umstürzen könne. Wenn Goethe Egmont und Clärchen zusammenführt, stellt er das Verhältniss nicht dar, als ob es einer Entschuldigung bedürfe; das Verhältniss wird durch seine Schönheit vertheidigt. Heyse, der minder grossartige, ebenso vorsichtige als kühne Dichter, hat immer ein Auge auf die conventionelle Moral geheftet und bestrebt sich stets, sie zu versöhnen, entweder dadurch, dass er ihr so zu sagen Recht gibt in allen andern Fällen als eben diesem einen, wo ihre Uebertretung unvermeidlich war, oder dadurch, dass er das Vergehen wider die Sittenlehre sühnt, indem die Persönlichkeit mit Wissen und Willen das verbotene Glück um einen so hohen Preis erkauft, dass es, so theuer bezahlt, keinen Philister locken würde.



In „Francesca von Rimini“ liegt der Fall so: Lanciotto ist hässlich, roh und verderbt, sein Bruder Paolo edel und schön. Lanciotto entbrennt leidenschaftlich für Francesca. Durch Bruderliebe zu dem durchaus unwürdigen Lanciotto verleitet, hat sich Paolo dazu missbrauchen lassen, nicht nur als Liebeswerber, sondern sogar auf dem Hochzeitstage als Bräutigam verkleidet, den Bruder zu vertreten, welcher befürchtet, dass seine Hässlichkeit nie das Jawort des Mädchens erringen könne. Erst im Dunkel des Brautgemachs wagt Lanciotto sich seiner Braut zu nähern. Aber auch Paolo liebt Francesca, wie sie ihn wieder liebt. Es ist also kein Wunder, dass die junge Frau, als sie den plumpen Betrug entdeckt, dessen Beute sie geworden, sich durch die Liebkosungen ihres Gatten entehrt fühlt, und weit entfernt davon, ihre Liebe zu Paolo als Sünde zu betrachten, sie als berechtigt und heilig ansieht:





Der Kuss von Deinem Munde war die Hostie

Die den entehrten Mund mir neu gereinigt.



Um seine Verschanzung recht tüchtig zu bauen, hat also der Dichter in dieser naiven Jugendarbeit sich den unmöglichsten, an den Haaren herbeigezogenen Fall construirt; denn was kann ungereimter sein, als dass Paolo aus purer einfältiger Gutmüthigkeit gegen einen verächtlichen Bruder, seine Geliebte dem gemeinsten Betruge preisgibt, der noch dazu sein eigenes Lebensglück vernichtet. Aber man findet in diesem grellen Beispiel den Typus, nach welchem in Heyse's so zahlreichen späteren tactvollen und feinen Arbeiten die moralische Collision construirt wird. Ich greife auf's Gerathewohl einige Beispiele heraus: in „Beatrice“ ist die gesetzliche Ehe, welche die Liebesgeschichte durchbricht, eine Zwangsehe, ebenso unheilig, wie die Ehe Francesca's, obschon besser motivirt. In „Cleopatra“ wehrt der junge Deutsche sich so hartnäckig gegen die Liebe der schönen Aegypterin, wie Graf Wetter von Strahl bei Kleist sich gegen die Leidenschaft des Käthchens von Heilbronn. Erst als die Sehnsucht nach ihm, Cleopatra dem Tode nahe bringt, entsteht zwischen ihnen das Liebesverhältniss. Die stolze Gabriele, in der Novelle „Im Grafenschlosse“ lässt sich erst dann zu ihrer „Gewissensehe“ mit dem Grafen überreden, als er sein Leben ihretwillen aufs Spiel gesetzt hat. Die junge Frau in „Rafael“ erkauft sich einige Stunden des Zusammenseins mit dem Geliebten für lebenslängliche Einsperrung im Kloster: die Hingebung Garcinde's und Lottka's wird geadelt, indem das nach aussen gebundene, aber innerlich freie Ich sich eine Hingebung, welche die Verhältnisse verbieten, unter keiner anderen Bedingung denken kann, als unter der, dass sie den Tod zur Folge hat. Das Anrecht zum Glücke eines flüchtigen Augenblicks wird durch Selbstmord erworben.



Den Glücksbecher, den diese Persönlichkeiten leeren, hat ihr Schicksal mit Gift gewürzt. Heyse behauptet mithin für diese

heroischen

 Seelen das Recht, einen Streit der Pflichten anders zu lösen, als „der ängstliche, von kleinen Gewohnheiten und Rücksichten eingeengte Mittelschlag der Philister“ es zu thun pflegt, und in der Einleitung zu seiner „Beatrice“

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  G. W. VIII, 168.



 hat er selbst seine ethische Ketzerei mit diesen Worten theoretisch formulirt: „Geniale Naturen, die auf sich selbst beruhen, erweitern durch ihre Handlungen, indem sie das Maass ihrer innern Kraft und Grösse als ein Beispiel vorleuchten lassen, eben so sehr die Grenzen des sittlichen Gebiets, wie geniale Künstler die hergebrachten Schranken ihrer Kunst durchbrechen und weiter hinausrücken. Und was an Uebermass und Uebermuth des Selbstgefühls in jenen heroischen Seelen sich rühren mag, wird es nicht eben durch den tragischen Untergang geläutert und gebüsst?“



Nicht weniger als durch diese immer nahe liegende Association mit Untergang und Tod adelt Heyse die Liebe, legitim oder illegitim, wie oben berührt, durch die Art der Hingebung. Sie ist immer bewusst. Diese Weiber lassen sich nie hinreissen, sie verschenken sich als eine freie Gabe – wenn sie sich überhaupt verschenken. So schon in Arbeiten aus Heyse's früher Jugend, wie „Der Kreisrichter“,

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  G. W. VI, 71: „Ich bin einmal in meinem Leben verkauft worden. Wie wollen die Menschen mich nun schelten, wenn ich mich

verschenke

, um jene Schmach zu verschmerzen!“



 so in „Rafael“, in „Lottka“ und so vielen andern Novellen in Prosa und Versen. Ueberall ist die Selbstherrlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums gewahrt. Frei gibt das Weib sich dem Geliebten hin, frei geht es der Vernichtung entgegen oder gibt sich mit eigener Hand den Tod, und wo das Liebesglück nicht geadelt wird, durch den Preis, den es kostet, da wird es wenigstens durch den Stolz, womit es versc