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IV

Man lese den (1863 erschienenen) Roman von den Brüdern Goncourt, der den Titel „Renée Mauperin“ führt. Die Dichter schildern sonst gerne Ausnahmen. Dies ist aber eine typische, wirklichkeitsgetreue und doch fast ideale Darstellung des französischen jungen Mädchens aus dem höheren Bürgerstand, wie es durch eine Knabenerziehung und eine Entwickelung aller künstlerischen Anlagen der jungen weiblichen Seele geworden ist. Die Brüder Goncourt schildern edle Frauen nie als „schöne Seelen“. Sie sind dem Spiritualismus so abhold, dass man unter ihren Aphorismen („Idées et sensations“) sogar die Bemerkung findet: „Es ist selten, dass Jemand sich gratis dazu hergiebt, seine Mitmenschen zu vergeistigen. Wenn man die Theorien von dem Schönen, dem Guten, dem Ideal bis auf den Grund verfolgt, findet man fast immer die Sehnsucht nach einer Stelle, einem Katheder, einer hübschen Wohnung“. Sie sind keine Idealisten, auch jungen Mädchen gegenüber keine. Sie werden sich früh das Wort gesagt haben, das Taine's Graindorge so formulirt hat: „Wenn du ein junges Mädchen mit hellen Augen und rothen Wangen siehst, so glaube nicht, dass sie ein Engel sei, sondern dass man ihr viele Cotelets zu essen gegeben und sie um neun Uhr zu Bette geschickt hat“; um so interessanter ist es, wenn wir in ihren Büchern dem fast Idealen in der Darstellung junger Mädchen begegnen.

Renée Mauperin ist nach dem schlagenden Worte einer der Personen im Buch une mélancolique tintamarresque – tintamarresque d. h. lärmend, ausgelassen, insofern sie in Slang-Redensarten spricht, schwimmt, malt, Privatcomödie spielt, ebenso neugierig wie rein dem Leben gegenübersteht, ihre Unabhängigkeit sogar mit ziemlich gewagten Mitteln vertheidigt, ihre Freier haufenweise abziehen lässt, die Spiessbürgerlichkeit ihrer Umgebung empört und erschreckt – melancholisch, weil sie eine adlige Seele hat und ein Künstlertemperament und ein Nervensystem, das schmerzlich gegen alles Niedrige reagirt, weil sie desshalb nicht ihres Gleichen findet, oder doch nur in einem etwas älteren Freund, einem geistvollen und armen Weltmann, der nicht daran denkt, sie zu heirathen und in dem sie auch bloss einen Rathgeber und Kameraden sieht. Dabei ist sie von einer Rechtschaffenheit, einem unerbittlichen Ehrgefühl, wie es wenig Männer besitzen.

Der Bruder Renée's, der typische, junge, kaltehrgeizige Bourgeois mit correcter Aussenseite, fest entschlossen, durch eine überreiche Heirath vorwärts zu kommen, steht im Begriff eine Handlung zu begehen, die in Renée's Augen schmählich ist. Das Mittel, das sie anwendet, um dieselbe zu verhindern, führt unglücklicherweise zu einem Duell, in welchem der Bruder fällt. Die qualvolle Reue über diese an sich unschuldige Handlung untergräbt die Gesundheit Renée's. Sie stirbt langsam an einer zehrenden Krankheit, deren Verlauf mit herzschneidender Wahrheit und recht peinlicher Ausführlichkeit erzählt ist, und lässt ihre Eltern kinderlos zurück.

„Renée Mauperin“ ist eins der Bücher, die man nie vergisst. Die rührende Hauptgestalt ist öfters nachgeahmt worden, Sardou hat sein Fräulein Benoiton, Meilhac und Halévy haben ihre Frou-Frou nach ihr gebildet. Aber all' die übrigen Persönlichkeiten sind ebenso richtig und fein gezeichnet und ihr Wesen entfaltet sich in Gesprächen, deren Natürlichkeit und treffender Wahrheit noch keine Spur von Manier anklebt. Einen besonderen Reiz erhält der Roman, wie alle übrigen Werke der Goncourt, durch die Weise, wie das Aeussere, die Umgebung, das Landschaftliche behandelt ist. Die Brüder haben es verstanden, ohne in die Aufzählungen Balzac's zu verfallen, „die Seele“ der Dinge, den Charakter und Geruch der Lokalitäten, die sie uns vorführen, unvergesslich wiederzugeben. An ihren Beschreibungen fühlt man es, dass sie ursprünglich Maler und Radirer gewesen sind. Sie sehen nicht mit dem unschuldigen, das Aeusserliche meist nur symbolisch auffassenden Auge des Poeten, sondern mit dem malerischen Scharfblick des Kunstkenners oder Radirers. Sie skizziren nicht flüchtig die Gegenstände, sondern beschreiben sie so genau, dass ein Maler nicht im Zweifel sein würde, wie er sie malen müsse, oder richtiger: ihre Landschaften machen ganz den Eindruck von Gemälden. Sie wollen das und nennen bisweilen selbst den Maler, an dessen Stil sie gedacht haben. So beendigen sie eine merkwürdige, halb poetische, halb photographische Beschreibung der Seine-Ufer an einem Sommerabend mit diesen Worten: „Es war zugleich Asnières, Zaardam und Puteaux, eine jener Pariser Seine-Landschaften, wie Hervier sie malt, schmutzig und strahlend, elend und heiter, bevölkert und lebendig, wo die Natur hie und da zwischen den Gebäuden, der Arbeit und den Gewerben hervortritt wie ein Grashalm zwischen den Fingern eines Menschen“. Wenn aber ihre Landschaften so vollständig den Eindruck von Gemälden oder Radirungen machen, so liegt es besonders daran, dass sie den Ausschnitt genau so zeigen, wie er sich dem Auge dargeboten hat. Man braucht nur Eine Naturschilderung von ihnen aufmerksam zu lesen, um den Unterschied zwischen der gewöhnlichen und dieser modernen Naturschilderung zu haben. Sie sagen z. B.: „Ein Mann tauchte einen Büschel Stroh, offenbar um damit seinen Hafer zu binden, in das Wasser, das, leicht gewellt, den Schilf, die Bäume, die Wolken mit klaren Umrissen widerspiegelte; unter dem letzten Bogen der alten Brücke trat aber, ganz nahe vor uns, aus dem Schatten die Hälfte einer rothen Kuh hervor, die langsam trank, und die als sie getrunken hatte, ihr weisses Maul, von welchem das Wasser in Fäden heruntertroff, erhob und sich in Betrachtung verlor“.

Ein Schriftsteller der älteren Schule wie Sainte-Beuve, der die Aussenwelt eher fühlt, als sieht und für den die Landschaft nur Stimmungsmittel ist, hätte uns nicht die andere Hälfte der Kuh vorenthalten. Diese Beobachter halten sich streng an das, was sie sehen, und geben es, so wie sie es sehen.

Wie „Renée Mauperin“ ist „Sœur Philomène“ die Geschichte eines jungen, edel angelegten Mädchens. Das Leben einer barmherzigen Schwester wird in diesem Roman erzählt. Es gibt wenig so zartsinnige Bücher, wenig auch von so unendlicher Einfachheit. Es hat eben jene Einfachheit der höchsten Kultur, die ohne Naivetät wie ohne jegliche Unnatur ist.

Es ist die Geschichte eines armen Mädchens aus dem Volke, die in einem vornehmen Kloster erzogen worden, so dass nur ihr Geist unentwickelt und ihrem Stande entsprechend geblieben ist, während ihr Gemüthsleben wie ihre Sinnesempfindungen aufs Feinste ausgebildet sind. Noch als Kind zu ihrer Tante zurückgekehrt, welche die alte Haushälterin eines jungen, wohlhabenden Mannes ist, hegt sie eine kindliche, rührend sorgfältige Liebe zu diesem, dem sie die Wünsche aus den Augen liest, ohne dass er nur ein einziges Mal sie ansieht oder ihre Existenz bemerkt. Da er endlich eines Abends, halbbetrunken nach Hause gekommen, sich bei der Tante über die Gegenwart Philomène's im Hause beklagt, weil er aus Rücksicht auf das junge Mädchen seinen Junggesellengewohnheiten Zwang auferlegen muss, fällt Philomène, die hinter der Thür seine Worte gehört hat, in Ohnmacht. Sie beschliesst den Schleier zu nehmen.

Das Spital, in dem sie angestellt ist, wird geschildert und zwar mit einer Meisterschaft ohne Gleichen. Die frischen Gespräche der jungen Mediciner bilden einen glücklichen Gegensatz zu der traurigen Grundstimmung des Ortes und zu dem inneren Leben der barmherzigen Schwester. In dem Spital entwickelt sich nun zwischen der Nonne und einem der dort wohnenden jungen Aerzte ein Verhältniss der gegenseitigen Achtung und Neigung, des einfachen Vergnügens, mit einander einige Worte über die Kranken und ihre Behandlung zu wechseln, das von den Dichtern mit den zartesten Farben gemalt ist. Die Nonne freut sich, von dem jungen Mann gelobt zu werden; sie wird in der Krankenpflege noch aufopfernder, noch hingebender, um sein Lob zu verdienen, während er ausser in den Viertelstunden ihres Zusammenseins nie an sie denkt. Dann wird eine frühere Geliebte von ihm, ein Mädchen, das ihn verlassen und seitdem ein leichtsinniges Leben geführt hat, in das Spital gebracht, um wegen eines Krebsschadens an der Brust operirt zu werden, und die Eifersucht auf diese Unglückliche stürzt die Nonne in ein Meer von Qualen. Der junge Arzt muss selbst die vergebliche Operation ausführen, und als Philomène in der Todesstunde Romaine's das Gebet für ihre Seele lesen muss, kämpft in ihrem Herzen der Hass ihrer weiblichen Natur mit dem Mitleid der Christin einen harten Kampf. Der, übrigens unwesentliche, Gang der Geschichte ist der, dass ein Missverständniss sie für immer von Barnier trennt, dass er – ziemlich unnatürlich – an der Sehnsucht nach der verstorbenen Romaine zu Grunde geht und dass die Sorge um die Seele des Freidenkers in seiner Todesstunde die ganze ideale Leidenschaft Philomène's wieder wachruft und sie zu ungewöhnlichen Schritten bewegt.

Neben diesen sanften und stillen Büchern haben die zwei Brüder auch andere, bewegtere, figurenreiche Romane geschrieben, voll bunten Lebens und reich an Witz und Geist, „Charles Demailly“, der das litterarische Leben, „Manette Salomon“, der das Künstlerleben in Paris zum Gegenstand hat. Der erstere, ihr frühester Versuch im Romanfach, ist ein wenig überlastet, ist zu geistreich und hat zu viele, nicht scharf und deutlich genug gezeichnete Personen. Die meisten scheinen Portraits zu sein – ich habe Théophile Gautier, Gustave Flaubert, Paul de Saint-Victor und Théodore de Banville erkannt – aber eben dieser Umstand hat verursacht, dass sie dem fremden Leser nicht anschaulich werden. Sie sind nicht fertig gezeichnet. Der Held in „Charles Demailly“ ist ein Schriftsteller und der Held in „Manette Salomon“ ein Maler, die beide durch das eheliche Zusammenleben mit einer sie nicht verstehenden Frau zu Grunde gehen; es sind Leidensgeschichten. Was hier tragisch behandelt ist, wird der Leser in Jean Pauls genialem „Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvocaten Siebenkäs“ humoristisch behandelt finden. „Manette Salomon“ ist eine weit reifere und saftreichere Frucht ihres Talents, und ist das Lieblingsbuch der Maler in Frankreich und im skandinavischen Norden geworden. Max Klinger schätzt es so sehr weil er Zola's L'Oeuvre unterschätzt. Nachdem ich es vor Jahren in den Künstlerkreisen Christiania's, wo es damals noch unbekannt war, stark gepriesen hatte, fand ich wenige Jahre später die Maler dort ganz voll von dem Roman. Die Bücher der Brüder Goncourt sind überhaupt das Entzücken aller Maler; dieses, welches das Künstlerleben darstellt, ist den Künstlern besonders werth. Der geniale Künstlervagabund Anatole hat übrigens nicht wenige Züge, die an den Helden in Gottfried Keller's „Der grüne Heinrich“ erinnern.

 

Das Problem, das die Goncourt in „Charles Demailly“ und „Manette Salomon“ zu lösen gestrebt haben, ist dasselbe, welches Edmond allein in seinem Roman „La Faustin“ wieder vorgenommen hat, nämlich dieses: Wie kommt ein Kunstwerk, ein Buch, ein Gemälde, eine Rolle zu Stande? Wie eignet das Nervensystem eines Künstlers sich die Welt an, wie saugt es die Eindrücke ein, um sie zu assimiliren, und wie bringt es aus seinen Beziehungen zur Aussenwelt das Kunstwerk hervor? Die genannten Romane geben für den Schriftsteller, den Maler und die tragische Schauspielerin die Antwort auf diese Frage. Sie stellen noch eine andere: Welchen Störungen ist das überreizte Nervensystem des Künstlers in seinen Verhältnissen zu der umgebenden Welt besonders ausgesetzt? Und da das Genie bei ihnen wie nach der bekannten Definition Doctor Moreau's „eine Nevrose“, das heisst eine Nervenkrankheit ist, so sind die Störungen mannigfach und tief eingreifend. Geneigt, wie sie sind, Feinheit und Schwäche überall zu sehen und zu schildern, zeigen sie uns nur unglückliche oder doch angegriffene Künstlernaturen, und die Schlussstimmung ist immer tief melancholisch.

Doch es gibt Stunden in dem Leben fast eines jeden Schriftstellers, wo eine wehmüthige Grundstimmung ihm nicht genügt, wo er das Bedürfniss hat, all' das Trostlose, das er gesehen, hinauszurufen, all' die Leiden seiner Nerven, all' die Bitterkeit, die er durch die Berührung mit den Menschen und den Dingen empfunden hat, den Leser fühlen zu lassen in einem nackten, blutigen Werk.

Auch solche Bücher haben die beiden Brüder geschrieben, vor Allem jene tiefergreifende, furchtbar-wahre Geschichte eines armen, hysterischen, aber guten und ehrenhaften, nach und nach dem Trunk und den Ausschweifungen ergebenen Dienstmädchens, „Germine Lacerteux“, ein hochbedeutendes Werk, das in der französischen Litteratur tief gewirkt hat und unter Anderem das kaum übertroffene Vorbild für Zola's genialen aber viel gröberen Roman „L'Assommoir“ gewesen ist31.

V

Welchen Erfolg hatten nun diese sechs Romane, die in dem Decennium 1859 – 69 erschienen? Die Frage ist fast überflüssig. Bücher von solcher Feinheit, Bücher, die sich an einen ausgesuchten Kreis von Lesern wenden, haben nie Erfolg, wenigstens nie augenblicklichen. Um solche Bücher zu verstehen und zu geniessen, ist etwas von der geistigen Entwickelung nothwendig, die erforderlich war, um sie zu schreiben, und eine derartige Vorurtheilsfreiheit ist selten. Ueberdies kommen solche Bücher und Schriftsteller das erste Jahrzehnt hindurch gar nicht in Berührung mit dem Publikum. Es weiss einfach nichts von ihrer Existenz.

Was brauche ich zu verweilen bei dem harten und qualvollen Kampfe gegen die Unbekanntheit, den sie mit fast allen grossen Schriftstellern gemein haben, bei den verschiedenen Stationen ihres Leidenswegs – erst die Station der Gleichgültigkeit des Publikums und der Presse, dann das Stadium der Verspottung und Verhöhnung durch alle Tonarten, weil das, was sie wollten und brachten, das was sie liebten und sagten, das Neue, Unerhörte war. Als die Goncourt 1851 in ihrer ersten Schrift die japanische Kunstindustrie priesen und sie hoch über diejenige von Paris stellten, wurde von einem Journalisten, der diese Geschmacklosigkeit geradezu wahnsinnig fand, gefordert, dass man sie in ein Tollhaus sperre; heutzutage sind nicht nur die meisten fremden Kunstverständigen, sondern sogar die Pariser mit dem Enthusiasmus für japanisches Kunstgewerbe vollständig einverstanden. Und jenes erste Urtheil war lange typisch für die Haltung der Presse ihnen gegenüber. Sie standen anfangs ohne Freunde, ohne litterarische Verbindungen da. Alles war ihnen verschlossen. Ueberall trafen sie das gegen Eindringlinge in die Litteratur, besonders gegen die Revolutionäre einer Kunstart so gut organisirte Schweigen.

Vielgenannt, vielgehört wurde ihr Name erst, als 1865 das Schauspiel „Henriette Maréchal“ am Théâtre français aufgeführt, von einer Bande Studenten ausgezischt und von der Bühne verdrängt wurde, nicht aus künstlerischen oder kritischen Gründen, sondern weil man zu wissen glaubte, dass die Brüder als Schützlinge der Prinzessin Mathilde Anhänger des zweiten Kaiserreichs seien, mit dem sie nie in der entferntesten Berührung gestanden hatten, wenn man nicht das eine Berührung nennt, dass sie am Tage des Staatsstreiches durch ein possierliches Missverständniss als verdächtig arretirt worden waren. Seitdem verzichteten sie auf jeden Versuch, an einem Theater aufgeführt zu werden.

„Renée Mauperin“ war von andern – von Sardou, von Meilhac und Halévy – nachgeahmt worden, „Germinie Lacerteux“ hatte einen schnell vorübergehenden Skandalerfolg gehabt – die Goncourt beschlossen nun, all' ihre Kräfte an einen feinen, die höchsten Ansprüche befriedigenden Roman zu setzen. Fast drei volle Jahre arbeiteten sie an „Madame Gervaisais“, jener Erzählung von dem Uebergang einer frei denkenden Dame zum Katholicismus, dem feinsten und unfruchtbarsten, leider auch dem grossen Publikum unzugänglichsten ihrer Romane. December 1869 war er vollendet. Kein Pariser Blatt brachte einen Artikel über das Buch; es wurden im Ganzen 300 Exemplare verkauft.

Das brach dem jüngeren, feiner, weiblicher organisirten Bruder das Herz. Er hatte all' seine Hoffnungen an dieses Buch geknüpft. Er, der von den Meistern anerkannt war, er, der sein Leben lang sich über das Urtheil und den Geschmack der Dummköpfe lustig gemacht hatte, verfiel in eine qualvolle und hoffnungslose Nervenkrankheit vor Trauer, dass die Dummköpfe ihn nicht verstanden und seine Bücher nicht kauften. Das ist der Widerspruch, den man in fast allen Künstlernaturen findet.

In der ersten Zeit war Edmond geistig wie gelähmt. Er war entschlossen, nie mehr eine Feder anzusetzen. Er richtete das kleine Haus, das die Brüder sich eben in Auteuil gekauft hatten, zu einem wahren Museum ein, hing seine Zeichnungen auf, placirte seine Bronzen, ordnete seine ungeheure Bibliothek von seltenen Drucksachen und Handschriften.

Zuletzt konnte er aber doch von der Litteratur nicht lassen. Er gab zuerst ein Buch heraus, das er mit seinem Bruder noch besprochen hatte, „La fille Élisa“, und im Handumdrehen erreichte es 16 Auflagen. Der Stoff war peinlich, die Behandlungsweise trocken und didaktisch; aber der Ruhm war über Nacht im Gefolge des Todes über die Brüder hereingebrochen, eine junge Schule verkündete mit Posaunen ihr Lob, sie waren allbekannt, fast berühmt geworden, jetzt, wo der Eine todt, der Andere ein gebrochener Mann war.

Dann machte Edmond sich allein, zum ersten Male ganz allein daran, einen Roman zu schreiben. Und noch in die Erinnerung an den Bruder völlig verloren, schilderte er in „Les frères Zemganno“ ihr Zusammenleben und Zusammenwirken unter dem Bilde zweier Clowns in einem Cirkus, zweier jener Clowns, die wir alle kennen, die nur mit einander, in einander verflochten ihre Künste machen, immer zusammen geigen: bald auf Stuhlrücken sitzend, bald auf den Köpfen stehend, ihre Geigen in ununterbrochenem Takt des Zusammenspiels behandeln. Man fühlt, wenn man die Lebensgeschichte der Brüder kennt, ihre Persönlichkeiten durch, aber an und für sich ist Alles durchaus realistisch dargestellt. Edmond de Goncourt hatte die berühmtesten Kunstreiter und Akrobaten von Paris studirt und ausgefragt, bevor er daran ging, sein Buch zu schreiben. Der jüngere Bruder stürzt während eines gefährlichen Sprunges, den der ältere für ihn erfunden hat, bricht sein Bein und ist, zu seiner Verzweiflung, daran verhindert, jemals wieder aufzutreten. Er nimmt dem älteren Bruder das Versprechen ab, dass auch dieser nie mehr auftreten, nie mit einem Andern seine Kunst ausüben werde. Hier findet sich eine wunderbare Scene, wo der ältere Bruder, der das Turnen nicht mehr lassen kann, Nachts das Bett des Kranken verlässt, um in ihrem Turnsaal sich von einem Trapez zum andern zu schwingen; plötzlich begegnet er in der Thür dem Blick des Krüppels, der auf allen vieren dahin gekrochen ist, um zuzuschauen.

Vorzüglich hat Edmond hier sein eigenes Talent symbolisch charakterisirt, indem er sagt: Gianni's Hände waren, selbst wenn er ausruhte, unaufhörlich beschäftigt … sie ergriffen jeden Gegenstand, der ihnen nahe war, stellten die Sachen auf den Kopf, schräg geneigt, auf irgend einen Punkt ihrer Oberfläche, wo sie sich vernünftiger Weise nicht halten konnten, indem er sich vergeblich bestrebte, sie mehr als einen Augenblick im Gleichgewicht zu bewahren.

„Immer arbeiteten diese Hände unwillkürlich dem Gesetz der Schwere entgegen … Oft konnte er stundenlang ein Möbel, einen Tisch, einen Stuhl in alle Richtungen drehen und wenden mit einem stummen Fragen, so neugierig, so beharrlich, dass sein kleiner Bruder ihm zuletzt sagte:

„„Was willst du doch damit, Gianni?““

„„Ich suche““, antwortete er“.

Er suchte jenes Neue, das Edmond in seiner Kunst immer angestrebt hat. Augenscheinlich ist trotz des engen Zusammenarbeitens der ältere Bruder der eigentliche künstlerische Experimentator gewesen; der jüngere Bruder hat seine Stärke in der glanzvollen Ausführung gehabt.

VI

Wenn der Leser mit mir im Geiste das kleine Haus No. 53 Boulevard Montmorency betreten will, so wandern wir zuerst durch ein mit rothem und weissem Marmor belegtes Véstibule, wo japanische Stickereien, die sogenannten Fukusas, von den Wänden in prachtvollen Farben strahlen; wir betrachten in den Zimmern die Meisterwerke des französischen achtzehnten Jahrhunderts und die Schätze aus Japan, jenem äussersten Orient, dessen Kunstgewerbe der Besitzer nicht mit Unrecht so hoch hält und das er, eigenthümlich genug, aber nach der Ansicht anderer Kenner irrthümlich, gleichfalls dem achtzehnten Jahrhundert zuschreibt.

Wir suchen ihn vielleicht vergeblich in der Wohnstube und den Bibliothekszimmern, aber in dem kleinen Garten des Hauses steht ein stattlicher, eben sechzigjähriger, weisshaariger Mann über seine Blumen gebeugt. Er liebt seinen Garten, und wie ein echter Franzose, ein echter Landsmann Candide's hat er damit geendigt, seinen Garten zu bauen. Der Garten war, als er ihn kaufte, voll gewöhnlicher, bürgerlicher Pflanzen. Er liebt aber das Gewöhnliche und Bürgerliche nicht. Er hat nur die grossen, mächtigen Bäume stehen lassen und jene alltäglichen Pflanzen durch seltene Gewächse ersetzt, denn, wie er naiv und bezeichnend sich ausdrückt: „Das Seltene ist fast immer das Schöne“. Er hat sich einen malerischen Garten gebildet, er hat sogar ein prachtvolles Gefäss von Meissener Porzellan geopfert, um in dem Grün, das eine Fontaine frisch erhält, sich einen schönen weissen Flecken zu sichern. Da lebt er das Jahr hindurch mit seinen Blumen und jeder Monat bringt dem Garten neue Schönheit.

Doch der Sammler und Gärtner ist der Welt nicht fremd geworden. Er folgt mit lebhaftem Interesse der litterarischen Entwickelung seines Landes. Und hört er, wie sein Name jetzt überall bekannt ist, erfährt er, wie man nicht nur in Frankreich ihm eine späte Genugthuung gibt, sondern wie Männer der jüngeren Generation auch ausserhalb Frankreichs, sogar in fernen Ländern, ihn als einen bahnbrechenden Geist, als einen Meister verehren, so mischt sich in die Freude an seinem Ruhm der Schmerz, dass der jüngere Bruder, der die Arbeit mit ihm theilte, den Lohn zu theilen nicht erlebte.

31Die beiden Hauptpersonen In „L'Assommoir“ sind nach Germinie und Jupillon gebildet. Wie früh und tief der Roman auf Zola gewirkt hat, sieht man aus seiner 1864 geschriebenen Kritik des Buches in „Mes haines“.